RUDOLF STEINER HERMES Berlin, 16. Februar 1911
Wenn es schon für die Geisteswissenschaft an sich eine große Bedeutung hat, zu sehen, wie das geistige Leben der Menschheit von Epoche zu Epoche fortschreitet, langsam sozusagen aus dunklen Tiefen sich an die Oberfläche drängt, so hat die Betrachtung der altägyptischen Kultur und des altägyptischen Geisteslebens, man möchte sagen, noch in ganz hervorragenderem Maße eine solche Bedeutung. In einer doppelten Weise wird diese Bedeutung empfunden, wenn man sich in dieses altägyptische Geistesleben hineinzuleben versucht. Zunächst erscheint dasjenige, was zu uns aus grauen Vorzeiten herübertönt, so geheimnisvoll wie das Antlitz der Sphinxe selbst, die wir ja als Denkmäler dieser altägyptischen Kultur haben. Dieses Geheimnisvolle wird dadurch noch erhöht, dass selbst die äußere Forschung in den letzten Zeiten mehr und mehr in immer altere und ältere Zeiten zurückschreiten musste, um das Dasein der späteren ägyptischen Kultur, für welche bedeutsamere Dokumente vorhanden sind, erklären zu können. Weite Jahrtausende vor unsere Zeitrechnung hinauf bis ins siebente Jahrtausend mindestens - aber auch noch weiter hinauf datiert für die äußere Forschung das, was in dem ägyptischen Kulturleben gearbeitet hat. Ist das der eine Grund, warum wir gerade dieser Kultur ein besonderes Interesse zuwenden, so dürfen wir sagen: der andere Grund ist der, dass - man mag wollen oder nicht - für den Menschen der Gegenwart diese Kultur etwas Merkwürdiges dadurch hat, dass dieser Mensch der Gegenwart-ich meine jetzt unsere größere, breitere Gegenwart - das Gefühl hat, diese Kultur habe doch etwas Verwandtes, etwas geheimnisvoll Verwandtes mit dem, was dieser Mensch der Gegenwart selbst will und sich als Ziel setzen mag. Daher erscheint es auch bedeutsam, dass ein so großer Geist, der in der Morgen-