Rudolf Steiner - Geisteswissenschaft als Lebensgut (Leipzig, 4. Januar 1914)

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Das war dasjenige, wozu die Wege gestern dargestellt worden sind.

Rudolf Steiner

Geisteswissenschaft als Lebensgut Leipzig, 4. Januar 1914 Öffentlicher Vortrag

Sehr verehrte Anwesende! Nach dem gestrigen Vortrag, den ich hier halten durfte, kann vielleicht mancher der Zuhörer darüber erstaunt sein, dass man von Geisteswissenschaft oder Theosophie als «Lebensgut» sprechen könne. Denn was ich gestern versuchte, gleichsam als das Fundamentale, das Prinzipielle der Erforschung der geistigen Welten hier auseinanderzusetzen, das setzt eine energische, eine geduldige, lang andauernde Übung der menschlichen Seele voraus. Erst dadurch kann erreicht werden, wovon gestern gesprochen worden ist: dass die Seele in sich so erstarkt und erkraftet wird, um sich als geistig-seelisches Wesen zu erfühlen und tatsächlich das Physisch-Leibliche zu verlassen; also so zu leben, dass, im richtigen Sinne des Wortes gesprochen, die Seele selbst in ihrem Erleben ein geistiges Wesen unter anderen geistigen Wesen wird; dass sie eine neue Welt betritt in dieser geistigen Welt.

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Wenn wir uns noch einmal ganz kurz durch die Seele ziehen lassen, was sich da ergeben hat, so ist es dies, dass die menschliche Seele imstande ist, eine geistige Chemie zu treiben; dass sie imstande ist, sich selbst als geistigseelisches Wesen so aus dem Zusammenhang herauszuziehen, in dem sie im alltäglichen Leben mit dem Leib steht, wie man imstande ist, den Wasserstoff aus dem Wasser zu ziehen. Und wir haben gesehen, dass durch das energische Fortsetzen der gestern charakterisierten Übungen die Seele wirklich dazu gelangt, ihr Physisch-Leibliches zunächst als etwas Äußeres zu wissen wie die anderen Dinge, sich selbst aber als herausgehoben und in eine geistige Welt versetzt zu wissen. Und im weiteren Fortgang des Seelenübens stellt sich das heraus, dass die Seele auch das verlässt, was sie gewissermaßen im Alltag seelisch erlebt, was ihr nur die Erinnerung an ihr Leben bis zu dem Punkt zurückbringt, an dem unser gewöhnliches Erinnern, als an einem Punkt unserer Kindheit, vor unserem Selbstbewusstsein aufgetaucht ist; dass sich aber dann dieser innere Inhalt der Seele verändert und dass das mit herauskommt, was man den geistigen Kern des Menschen nennen kann, der, wenn er erlebt wird, das Ewige des Menschen enthält, das durch die Pforte des Todes hindurchgeht und von dem man aus wirklicher Erkenntnis dann wissen kann, dass er durch wiederholte Erdenleben geht, dass er ein Leben führt abwechselnd zwischen einem Leben auf Erden, das zwischen Geburt 2


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