Rudolf Steiner - Die sittliche Grundlage des Menschenlebens, 1914

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RUDOLF STEINER DIE SITTLICHE GRUNDLAGE DES MENSCHENLEBENS Berlin, 12. Februar 1914

Obwohl naturgemäß in diesem Zyklus von Vorträgen öfter die Rede sein musste von dem sittlichen Leben des Menschen, von der sittlichen Weltordnung, so sei es mir doch gestattet, heute noch einmal im besonderen dasjenige zusammenzufassen, was vom Standpunkte der Geisteswissenschaft aus über die Grundlagen der sittlichen Weltordnung im Menschenleben zu sagen ist. Schiller hat in einer grandios einfachen Weise zum Ausdruck gebracht, man möchte sagen, aus einem allgemeinen Weltgefühl heraus den Grundcharakter des sittlichen Menschenlebens. In den einfachen Worten drückt er das aus: Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren. Was sie willenlos ist, sei du es wollend - das ist’s. Es werden gerade die heutigen Auseinandersetzungen vielleicht zeigen, dass der Grundcharakter des sittlichen Lebens wirklich mit diesem Ausspruche getroffen ist. Dass aber in der zweiten Hälfte dieses Ausspruches ein Rätsel, ein bedeutsames Rätsel verborgen ist: «Was die Pflanze willenlos ist, sei du es wollend das ist’s!» darauf kommt es eben an: wie, wodurch und woher der Mensch wollend sein könnte, was die Pflanze willenlos ist. Und in dem Rätsel, das in dieser zweiten Hälfte des Schillerschen Ausspruches liegt, hat man im Grunde genommen auch den Grundnerv aller philosophischen und moralwissenschaftlichen Forschungen zu suchen, wie sie durch die geistige Entwickelungsgeschichte der Menschheit gehen. In unserer Zeit ist es einer großen Anzahl von Denkern, von Persönlichkeiten, die sich mit den moralischen Fragen der Menschheit beschäftigen, kaum möglich, wirklich bis zu dem vorzudringen, aus dem heraus die doch unleugbare Tatsache ei-


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