RUDOLF STEINER DIE GROSSEN EINGEWEIHTEN Berlin, 16. März 1905
Die theosophische Weltanschauung unterscheidet sich von, man darf wohl sagen, allen übrigen Weltanschauungen, denen wir in der Gegenwart begegnen können, dadurch, dass sie der Erkenntnis auch in hohem Maße Befriedigung gewährt. Wir haben ja so oft in der Gegenwart gehört: Gewisse Dinge sind für uns unerkennbar, unser Erkenntnisvermögen hat Grenzen und kann sich nicht über eine gewisse Höhe hinaus erheben. Wenn wir die philosophischen Untersuchungen der Gegenwart an uns herantreten lassen, dann wird uns - insbesondere bei denjenigen philosophischen Schulen, welche auf den Kantianismus zurückgehen - immer von solchen Erkenntnisgrenzen gesprochen. Die Auffassung des Theosophen und des praktischen Mystikers unterscheidet sich von allen solchen Auseinandersetzungen ihrer Art nach dadurch, dass sie niemals dem menschlichen Erkenntnisvermögen Grenzen setzt, sondern es so betrachtet, dass es selbst einer Erweiterung, einer Erhöhung fähig ist. Ist es da nicht in gewissem Grade eine Unbescheidenheit höchster Art, wenn jemand sein besonderes Erkenntnisvermögen, den Standpunkt des Erkennens, auf dem er gerade steht, in gewisser Beziehung als etwas Ausschlaggebendes betrachtet und nun sagt, dass wir mit diesem unserem Erkenntnisvermögen nicht über eine gewisse Grenze hinausgehen können? Der Theosoph sagt: Ich stehe heute auf einem gewissen Standpunkt menschlichen Erkennens. Von diesem Standpunkt aus kann ich dieses oder jenes erkennen, dieses oder jenes nicht erkennen. – Aber es ist möglich, das menschliche Erkenntnisvermögen selbst auszubilden, dieses Erkenntnisvermögen selbst zu erhöhen. Dasjenige, was man Einweihungsschulen nennt, ist im wesentlichen dazu bestimmt, dieses menschliche Erkenntnisvermögen selbst auf eine höhere Stufe zu erheben, so dass es gewiss richtig ist,