Programmheft Karin Waehner

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KARIN WAEHNER (1926-1999) – Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS

ERBE Projekt mit WEGEHEN, Celui sans nom–Rekreation 2018 und Rahmenprogramm verbindet Vergangenheit und Gegenwart Karin Waehners im Tanzen, Choreografieren und Lehren zwischen Generationen und Erfahrungen.

PROGRAMM

im DOCK 11 | Eintritt: 15 | 12 Euro

WEGEHEN jeweils 19.00 Uhr

14. 3. Mittwoch: PREMIERE | 18.00 Uhr praktische EinfĂŒhrung mit B. G.

15. 3. Donnerstag | 18.00 Uhr praktische EinfĂŒhrung mit Bruno Genty

17. 3. Samstag | VORTRAG „Karin W..
.er?

Die Tanzvermittlerin / La passeuse de danse“ von Dr. Josephine Fenger

PODIUMSDISKUSSIONEN jeweils 20.30 Uhr

14. 3. Mittwoch, KĂŒnstlergesprĂ€ch

15. 3. Donnerstag, Kunst Migration Heimat (1): Geteilte NachlĂ€sse in Europa am Beispiel Karin Waehners in Kooperation mit der Akademie der KĂŒnste, Berlin mit Stephan Dörschel, Dr. Josephine Fenger, Jean Masse

16.3. Freitag, Kunst Migration Heimat (2): Moderner Tanz in den transkulturellen RĂ€umen des 20. Jahrhunderts in Kooperation mit dem gtf WORKSHOP FESTIVAL mit Dr. Josephine Fenger (D), Dr. Laure Guilbert (F), beteiligten KĂŒnstlern und GĂ€sten (CH|A|D|F)

17. 3. Samstag, Geschichte(n) erben? in Kooperation mit dem gtf WORKSHOP FESTIVAL mit den KĂŒnstlern beider Projekte

GASTSPIEL: 26. / 27. MĂ€rz zur TANZWOCHE Dresden, 2018

KOOPERATIONSPROJEKT: gtf WORKSHOP FESTIVAL

TRANSNATIONALE KONZEPTE IM MODERNEN TANZ im DOCK 11 | Eintritt: 12 | 10 Euro

16. 3. – 18. 3. Workshops

Lecture Demonstrations | Performances

16. 3. Freitag, 17.30 -21.30 Uhr

+ Vektortanz – KlĂŒtz – Vogelsang | Kirstin SeeligmĂŒller

+ Grundprinzipien ChladekÂź-Tanztechnik | Eva Lajko & Doris Buche-Reisinger

+ Das choreographische Erbe von Rosalia Chladek heute | Doris Buche-Reisinger

+ Sigurd Leeder – Der ĂŒbervolle Eimer | Karin Hermes & Tim Rubidge

Schweizer Tanzpreis, Kulturerbe Tanz 2016

+ Kunst Migration Heimat (2) in Kooperation mit dem TANZFONDS ERBE Projekt

Umschlaggrafik: SLGM

Foto: Karin Waehner: Jo Babout © Archiv Karin Waehner & Probenfoto WEGEHEN, 2017: Kamil Mrozowski

WEGEHEN

ABLAUF

Jean Masse, Selbstportrait 1.

Aus „l'Exode“, Diagonale | mit Peter Jarchow, Klavier, inspiriert nach der Musik von Benjamin Hohagen.

Jean Masse, Selbstportrait 2 | Musik: Franz Schubert: "Gute Nacht", Dietrich Fischer-Dieskau (voc) / Jörg Demus (p), 1966.

Michael Gross, Selbstportrait.

WEGE | Musik: RETIKHIY, Ricardo Villalobos & Max Loderbauer und Selbstportrait Annette Lopez Leal mit Zitaten aus: KhÎra (Choreografie von Rui Horta, 1996) | Diving (Choreografie von Rui Horta, 1991) | Time Quarry (Choreografie von José Biondi, 2000).

Bruno Genty, Selbstportrait mit Zitaten aus „Les Marches“ (Die Stufen, Choreografie von Karin Waehner, 1980).

Celui sans nom – Rekreation 2018 | Musik: Thierry Estival, Celui sans nom, 1990.

KARIN WAEHNER (1926-1999) – EIGENSINNIG IN ZWISCHENRÄUMEN.

EIN TANZFONDS ERBE PROJEKT

Idee / Dramaturgie / Organisation: Heide Lazarus

WEGEHEN | Konzeption / Choreografie / Regie / Tanz: Bruno Genty in Kollaboration mit den TĂ€nzern: Annette Lopez Leal, Michael Gross | Dramaturgie: Heide Lazarus

Öffentlichkeitsarbeit: DOCK 11, Gesellschaft fĂŒr Tanzforschung (gtf), Heide Lazarus

Fotografie / Dokumentation: Solaja Rechlin, Kamil Mrozowski

Grafik: Kirsten SeeligmĂŒller

Assistenz / Organisation: Katja Karouaschan

Technik: Asier Solana

Finanzen: Anja Vogel

Wissenschaftliche Beratung: Dr. Josephine Fenger (D), Dr. Laure Guilbert (F), Dr. Claudia Fleischle-Braun (D) |

Beteiligt im Rahmenprogramm: Stephan Dörschel vom Archiv der Akademie der KĂŒnste, Berlin sowie Mitwirkende des gtf WORKSHOP FESTIVALS

WEGEHEN


 ein Schritt – 4 TĂ€nzer, 4 Generationen, 4 Erfahrungen ...

Gehen, Weggehen, Weitergehen, Begegnen, Queren, Auseinandergehen –gemeinsam getrennt, jenseits einer Vorstellung von Ankommen oder Weggehen. Es sind allgemein menschliche Situationen. Die BezĂŒge sind verschieden, die Bewegungen Ă€hnlich. Die Unterschiede werden nicht durch die Diktatur einer perfekten Synchronisation ausgemerzt – weder fĂŒr die TĂ€nzer noch fĂŒr das Publikum.

In der Performance WEGEHEN werden mittels Zitaten aus verschiedenen Choreografien zudem einzelne Arbeitsprinzipien von Karin Waehner und ihre Relevanz heute zur Diskussion gestellt. WĂ€hrend Karin Waehner in Frankreich als eine Wegbereiterin des modernen und zeitgenössischen Tanzes gilt, sind ihr Name und ihr Werk in Deutschland eher unbekannt. Die kĂŒnstlerischen und pĂ€dagogischen Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts werden auch im Schaffen der Mary Wigman-SchĂŒlerin Karin Waehner erfahrbar: im heutigen Polen geboren, in Deutschland und den USA ausgebildet, in Frankreich sesshaft geworden, in Europa prĂ€sent, aber dennoch Deutschland als eine ihrer Heimaten wahrnehmend.

Die choreografischen AuszĂŒge in WEGEHEN erinnern außerdem an einen Spruch von Mary Wigman, der auch das tĂ€nzerische, choreografische und pĂ€dagogische Credo ihrer SchĂŒlerin Karin Waehner erfasst: „
the simplest, the most difficult, the most beautiful step – the walk. You must work on it all your life.“ (Mary Wigman, 1952)

Es ist wie Zwiebel schÀlen
Gedanken zum Rekonstruieren und zum Arbeitsprozess von WEGEHEN

Wir wollen keine Kopie. Die Choreografie ist das Modell, der TĂ€nzer ist kein Modell. Jeder TĂ€nzer hat seine Interpretation.

Es gibt viele Möglichkeiten der Weitergabe und des Re-Konstruierens. FĂŒr alles gibt es unterschiedliche Voraussetzungen.

Wir könnten eine Choreografie von Karin Waehner wie die fĂŒr Bruno Genty, „Celui sans nom“ (UA: 1990) oder einzelne Sequenzen wie die Diagonale aus „l’Exode“ einstudieren und das entweder ĂŒber den direkten Weg zusammen mit

dem ehemaligen TĂ€nzer Bruno Genty oder/und mittelbar durch Zeitzeugen, Videoaufzeichnungen oder Notationsexperten. Zudem mĂŒssen wir klĂ€ren, wie exakt wir vorgehen wollen. (Bruno Genty hatte „Celui sans nom“ bereits 2012/13 an Annette Lopez Leal ĂŒbertragen.)

Wir könnten uns aber auch auf choreografische Themen und Produktionsideen Karin Waehners wie die Gestaltung von Wegen oder das Arbeiten mit anderen Kunstgattungen und deren KĂŒnstlern konzentrieren. Wir mĂŒssten Fotos, Filme, Notizen, Skizzen, Erinnerungen auswerten und daraus eigene Skizzen schaffen. Wir könnten Leute und Materialien befragen und mĂŒssten daraus ein neues, eigenes StĂŒck bilden.

Wenn Karin Waehner eine Tanztechnik mit einem relativ stabilen Bewegungsrepertoire hinterlassen hĂ€tte, könnten wir dieses trainieren und fĂŒr unser StĂŒck verwenden. Wir könnten auch versuchen, diese Technik aus ihren per Video ĂŒberlieferten Choreografien und ihren Notizen herauszufiltern Bruno, Jean mĂŒssten uns trainieren. Das braucht viel Zeit. Außerdem: Welches StĂŒck?

Wir mĂŒssen uns entscheiden. Was wollen wir gemeinsam? Auf wie viel „Karin Waehner“ wollen wir uns einlassen? Wie viel „Karin Waehner“ muss noch erkennbar sein, damit es ehrlich bleibt? Was ist ĂŒberhaupt möglich?

„Celui sans nom“ (dt.: Namenlos) ist eines der letzten StĂŒcke Karin Waehners, zu dem der Jazz-Musiker und Komponist Thierry Estival speziell eine Musik komponierte. Der Arbeitstitel von 1989 hieß „DerriĂšre le mur“ (dt.: Hinter der Mauer). Zur Premiere 1990 am Théùtre Boris Vian hieß das StĂŒck „Celui sans nom“. Das Solo wurde von Bruno Genty an Annette Lopez Leal und Michael Gross weitergegeben und wird nun mit „Celui sans nom–Rekreation 2018“ als Trio wiederaufgefĂŒhrt. Außerdem bildet es den Ausgangspunkt die Performance&Lecture WEGEHEN.

Es wird keine Kopie des Solos geben. Vielmehr wird das Solo verdreifacht und auf die IndividualitĂ€t der TĂ€nzer bestanden. Wir beschrĂ€nken uns lediglich auf die Schritte und die Originalmusik und nicht auf den Kontext von KostĂŒm und Licht. Wir sprechen deshalb auch nicht von einer Rekonstruktion, sondern von einer Rekreation oder Rekomposition. Diese Entscheidung ist wĂ€hrend des Projektprozesses gefallen. Die Idee war zunĂ€chst, einen Trialog des Solos im Sinne einer Fuge zu gestalten, wobei das Bewegungsrepertoire hĂ€tte erweitert werden mĂŒssen. Das war interessant. Aber gleichzeitig ist die Raum- und Bewegungschoreografie von Karin Waehner „perfekt“. Wir respektieren sie. Deshalb entschieden wir, dass „die Schritte“ „identisch“ im Raum bleiben.

Das Solo wird lediglich durch eine Ein- und Ausleitung und die solistische Spur als Dreifachspur eines Trios sichtbar erweitert. Dennoch wird es keine Synchronisation nach dem „Modell“ von Bruno Genty geben. Die Reihenfolge des Erarbeitungsprozesses sollte erhalten bleiben: 1990: Bruno Genty/Karin Waehner | 2013: Annette Lopez Leal/Bruno Genty | 2017: Michael Gross/Annette Lopez Leal. Entsprechend wurde der Probenprozess gestaltet, der dadurch gelegentlich komische ZĂŒge annahm, wenn sich beispielsweise Bruno Genty bewusst bei der Probe und Korrektur wegdrehte oder den Raum verließ.

Bruno Genty hat fast alle Choreografien von Karin Waehner getanzt. Er hat die Choreografie weitergegeben, keine Kopie. Annette Lopez Leal sowie Michael Gross finden ihre eigenen Bilder, Spannungen und Sichtbarkeiten. Es wird damit drei Interpretationen in ihrer ganzen FĂŒlle geben. Das ist das Credo des Teams Karin Waehner-2018 zum Thema Tanzerbe, Weitergabe und Aktualisierung.

Notizen des Karin Waehner-Team 2018, aufgeschrieben von Heide Lazarus.

Beteiligte

Bruno Genty. TĂ€nzer, TanzpĂ€dagoge und Choreograf im Bereich des Zeitgenössischen Tanzes fĂŒr Theater und urbanen Raum in Europa. TĂ€nzer und Assistent u.a. bei Karin Waehner. heute Dozent fĂŒr Zeitgenössischen Tanz, TanzpĂ€dagogik und Repertoire an verschiedenen Hochschulen und AusbildungsstĂ€tten fĂŒr Professionelle und Laien. | www.studio31.fr >>> ATOUTDANSE / Stage Estival >>> Professeurs >>> Bruno Genty | www.pesmd-bordeauxaquitaine.com/fr/users/bruno-genty | www.bruckneruni.at/de/institute/tanz-ida/

Annette Lopez Leal. TĂ€nzerin bei S.O.A.P. Dance Theatre, Frankfurt/ Rui Horta. Zusammenarbeit und Tourneen u.a. mit JosĂ© Biondi und MS Schrittmacher/Martin Stiefermann. Dozentin fĂŒr Zeitgenössischen Tanz. Lehrt u.a. an der Anton Bruckner PrivatuniversitĂ€t in Linz. | www.bruckneruni.at/de/institute/tanz-ida/

Michael Gross. TĂ€nzer und TanzpĂ€dagoge fĂŒr Zeitgenössischen Tanz. U.a. Gast der PLAY Plattform in Frankfurt a.M. und Mitglied der Company SILK Fluegge in Linz.

Jean Masse. TĂ€nzer, Choreograf, TanzpĂ€dagoge, ehemaliger Assistent von Karin Waehner. Verwalter des kĂŒnstlerischen Erbes von Karin Waehner. KĂŒnstlerischer und pĂ€dagogischer Leiter der Compagnie Epiphane und des Centre Lafaurie Monbadon. Er ist Teil der nationalen französischen Expertengruppe fĂŒr den

Bereich ‚Tanz in der Schule‘. | www.cie-epiphane.com/ | http://www.centrelafaurie.com

Peter Jarchow. Pianist, Improvisator, MusikpĂ€dagoge, Dozent und Professor fĂŒr Improvisation, Ballettkorrepetition und musikalische Zusammenarbeit im Tanz. Seine entscheidende PrĂ€gung erhielt er als Pianist im Unterricht von Gret Palucca. UnterstĂŒtzt bis heute verschiedene Bildungs- und BĂŒhnenprojekte.

Kamil Mrozowski. TÀnzer, TanzpÀdagoge. Student am IDA der Anton-BrucknerPrivatuniversitÀt in Linz.

Solaja Rechlin. TĂ€nzerin, Choreografin, PĂ€dagogin und Coach fĂŒr Tanz-, Körperarbeit und Yoga. Mitarbeiterin fĂŒr psychosoziale Begleitung. VideokĂŒnstlerin fĂŒr Tanzdokumentation.

Kirsten SeeligmĂŒller. TanzpĂ€dagogin im VerstĂ€ndnis der Wigman-SchĂŒlerin Erika KlĂŒtz sowie MitgrĂŒnderin und -gesellschafterin, -intendantin, Kuratorin, Festivalleiterin von DOCK 11 sowie EDEN***** in Berlin, Grafikerin, Netzwerkerin mit der Verbindung von hohen Idealen und Pragmatik. | www.dock11-berlin.de

Heide Lazarus. Kultur-, Theater-, Tanzwissenschaftlerin, Produktionsdramaturgin. Initiatorin&Leiterin bzw. Herausgeberin des digitalen Katalogs „Die Akte Wigman“ (Olms, 2007), der Veranstaltungsreihe SPUREN SEHEN innerhalb von LINIE 08, Dresden und „KARIN WAEHNER (1926–1999) – Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt“ (2017/18). MitgrĂŒnderin/ -organisatorin von TanzNetzDresden (2010-14).

Katja Karouaschan. Theaterwissenschaftlerin. Kulturmanagerin in den Bereichen Produktion, Organisation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Dramaturgie. Freiberufliche Grafik- und Webdesignerin.

Asier Solana. Theater- und Veranstaltungstechniker. Technischer Leiter in den Dock 11 Studios. Lichtdesigner verschiedener Compagnies, u.a. Walter Bickmann, battleROYAL, Bale da Cidade de Sao Paulo, Modjgan Hashemian, Leyla Postalcioglu, Nir de Volff.

Anja Vogel. Kultur-, Projektmanagerin fĂŒr Projekte an der Schnittstelle von Kunst, Kultur, Bildung, Wissenschaft und Politik u.a. fĂŒr KulturbĂŒro sauerbrey | raabe und Kulturprojekte Berlin.

Josephine Fenger. Promovierte Kulturwissenschaftlerin, Publizistin, Editionswissenschaftlerin, frĂŒher BalletttĂ€nzerin. TrĂ€gt regelmĂ€ĂŸig zur Tanzforschung als Autorin, Herausgeberin, Veranstaltungsorganisatorin sowie durch Forschungsprojektkonzeptionen bei.

Claudia Fleischle-Braun. Lehrte als Tanz- und Sportwissenschaftlerin am Institut fĂŒr Bewegungs- und Sportwissenschaften der UniversitĂ€t Stuttgart. In den letzten Jahren in verschiedene historisch-pĂ€dagogische Recherche-Projekte zum Modernen Tanz involviert.

Laure Guilbert. Promovierte Historikerin und Tanzwissenschaftlerin. Tanzdramaturgin und Herausgeberin an der Pariser Oper. MitgrĂŒnderin von Association des Chercheurs en Danse (zeitweise deren PrĂ€sidentin) und Recherches en Danse (digitale Zeitschrift). Habilitationsprojekt ĂŒber die Exilanten der deutschsprachigen kĂŒnstlerischen Tanzszene unter dem Nationalsozialismus bis 1949.

Stephan Dörschel. Leiter des Archivs Darstellende KĂŒnste am Archiv der Akademie der KĂŒnste, Berlin.

Wir danken ganz herzlich unseren Projektpartnern, Heidemarie Wiesner (Konzertpianistin), unseren Familien und den Teams von DOCK 11 und TANZFONDS ERBE (DIEHL + RITTER) und allen Weiteren hier nicht Genannten.

Karin Waehner (1926-1999) - Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein Tanzfonds Erbe Projekt" - Koproduktion mit DOCK 11 von Heide Lazarus und Bruno Genty in Kollaboration mit Annette Lopez Leal und Michael Gross; gefördert von TANZFONDS ERBE – eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes und mit Genehmigung der Association Karin Waehner – Les Cahiers de l‘Oiseau; in Partnerschaft mit Institute of Dance Arts (IDA) der Anton Bruckner PrivatuniversitĂ€t in Linz, Archiv der Akademie der KĂŒnste, Berlin, Gesellschaft fĂŒr Tanzfoschung, TANZWOCHE Dresden; in Zusammenarbeit mit Compagnie Epiphane/Jean Masse, Peter Jarchow sowie Katja Karouaschan, Kamil Mrozowski, Solaja Rechlin, Kirsten SeeligmĂŒller, Asier Solana, Anja Vogel; unter wissenschaftlicher Beratung von Dr. Josephine Fenger, Dr. Claudia FleischleBraun, Dr. Laure Guilbert; unterstĂŒtzt von: körperbewegt in Linz, Centre Lafaurie Monbadon, „Karin Waehner, une artiste migrante. Archive“ (Forschungsprojekt der UniversitĂ€t Paris 8).

Es erscheint parallel das Heft „Aufforderung zur Recherche“ um Karin Waehner (1926 – 1999) mit OriginalbeitrĂ€gen von:

Veronika Darian, Josephine Fenger, Claudia Fleischle-Braun, Bruno Genty, Michael Gross, Heide Lazarus, Susanne Linke, Annette Lopez Leal, Jean Masse, Julia Schröder, Stephanie Schroedter, Katharine Sehnert, Irene Sieben und Originalzitaten von Karin Waehner.

AUFFORDERUNG ZUR RECHERCHE WEGEHEN

Entstanden im Rahmen von KARIN WAEHNER [1926 -1999]

Eigensinnig in ZwischenrÀumen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt

Aufforderung zur Recherche.

Karin Waehner (1926 - 1999) herausgegeben von Heide Lazarus

entstanden im Rahmen von "KARIN WAEHNER (1926 – 1999) -

Eigensinnig in ZwischenrÀumen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt"

WEGEHEN arbeiten.

AnnÀherungen an Karin Waehner (1926-1999)

Eigensinnig in ZwischenrÀumen

Annette Lopez Leal | Bruno Genty | Michael Gross | Heide Lazarus

Auf der Suche

Bruno Genty / Annette Lopez Leal, 2016

Was ist das Erbe von Karin Waehner? Worin besteht es? Welche QualitĂ€ten ihres kĂŒnstlerischen Schaffens und ihrer Persönlichkeit sind lesbar, fĂŒhlbar, tĂ€nzerisch nachvollziehbar?

Das Solo „Celui sans nom“ steht einerseits im Zentrum unseres kĂŒnstlerischen Forschungsprozesses. Andererseits wandelt es sich im Weitergeben. Wie ist ein Bewegungsnachlass wie „Celui sans nom“ ĂŒberhaupt ĂŒbertragbar und wie lĂ€sst sich die Differenz zwischen dem “Original”, was nicht mehr existiert und dem “Original”, welches durch den TĂ€nzer bzw. die TĂ€nzerin neu existiert, fĂŒr uns Tanzende klĂ€ren und fĂŒr das Publikum vermitteln? Welche Wege und Schritte entstehen dabei?

Eine andere Zeit, ein anderer Ort, der Alexanderplatz auf der Suche nach einer neuen IdentitÀt.

Der Körper und der Geist verbunden


Der Ausdruck und die Geste verbunden


Der Darsteller mit seiner Persönlichkeit und seinem Atem verbunden


Der TĂ€nzer als Kreateur!

Aus dem Antrag zur Tanzfonds Erbe-Förderung, Herbst 2016

Foto oben: Kamil Mrozowski, links: Probe, 2017 / Foto rechts: Probe „Celui sans nom – Rekreation 2018“, 2018

Celui sans nom [Namenlos]

Bruno Genty, 1990

Auf dem Alexanderplatz in Berlin im Jahr 1986, es war der Vorabend der Feier der Oktoberrevolution. Karin und ich saßen auf einer Bank mit Blick auf das Haus, in dem eine ihrer Freundinnen wohnte, die sie besuchen wollte. Wir warteten auf das Signal: Es sollte sich das Licht in ihrem Wohnzimmer drehen. Wir warteten. FußgĂ€nger passierten. Sie gingen wie Automaten, den Blick auf den Boden gerichtet. Sie gingen leise und trugen ihre Plastiktaschen. Sie wollten nichts zeigen, nichts anschauen. Sie hatten sogar den Wunsch, allein in der Menge zu sein - eine Hoffnung.

4 Jahre spÀter bestellte ich bei Karin ein Solo 
 
 und es kam alles und alles war wieder da auf dem Alexanderplatz am 6. Oktober 1986

Foto oben: Kamil Mrozowski, Probe, 2017
Foto itte: Peter R. Fiebig, Annette Lopez Leal, 2014
Foto unten: privat, Probe mit Karin Waehner, 1990
Foto: Karin Waehner-Team 2018, Solaja Rechlin, 2017

Gedanken zum Rekonstruieren und zum Arbeitsprozess von WEGEHEN

„Re-konstruieren“? 
 ist wie Zwiebel schĂ€len 
 Wir wollen keine Kopie. Die Choreografie ist das Modell, der TĂ€nzer ist kein Modell. Jeder TĂ€nzer hat seine Interpretation.

Schritte unseres Weges –Notizen

Mai 2017 (MG): Wir arbeiten an „Celui sans nom“. Außerdem entscheidet Bruno, einen Ausschnitt aus „l’Exode“ zu verwenden. Er hat es alles getanzt. Allerdings ist „Celui sans nom“ ein Solo, „l’Exode“ ist eine Gruppenchoreografie. Von „l’Exode“ ĂŒbernimmt er einen Weg. Eigentlich sind es dort zwei mal drei TĂ€nzer. Wir sind drei, das passt. Wir arbeiten mit dem Video, schlechte QualitĂ€t. Jeder sucht sich eine Figur aus, dann wechseln wir je nachdem, wie es passt. FĂŒr mich fĂŒhlt sich das Solo allerdings reicher, dichter an. Es beinhaltet mehr Information und Konstruktion. Alle Bewegungsmöglichkeiten, der gesamte Bau werden auf eine Person konzentriert. Ich bekomme mehr Coaching fĂŒr die Formung und den Bau, bis es meins wird. Im Oktober bekomme ich die Möglichkeit, im Hof der Tanz- und Theaterwerkstatt in Frankfurt (a.M.) einzelne Sequenzen vorzustellen. Es ist eine wichtige Übung fĂŒr mich.

(BG): „Celui sans nom“ ist das Zentrum meiner Arbeit mit der Erinnerung an Karin Waehner. Als wir es gearbeitet haben, fĂŒhlte es sich an wie ein gemeinsames Geschenk. Womit ergĂ€nze ich diese Arbeit, um das, was fĂŒr mich an den Arbeiten von Karin Waehner typisch ist, zu zeigen. Jean (Masse) ist dabei. Das ist gut. Wenn ich ihn sehe, sehe ich Karin. Er wird uns eine Sequenz schenken. Er wird in diesem StĂŒck Karin sein. Vielleicht nehme ich noch ein Duett aus „Les Marches“. Das braucht eine Frau und einen Mann und es ist klar, einfach, aber auch typisch und ganz anders als „Celui sans nom“. „l’Exode“? Ich will nicht die Choreografie zeigen, ich will einen technischen Aspekt zeigen. Karin hat dort viele Aspekte des Gehens verwendet. Ich nehme die eine Diagonale. Ich will in WEGEHEN diese Diagonale haben, als einen grafischen Aspekt. 
 Ich ĂŒber-

lege, was wichtig fĂŒr WEGEHEN ist und was fĂŒr mein Selbstportrait. Auf jeden Fall will ich die Entwicklung, die Evolution der Bewegung zeigen, die mit dem Alter und der Erfahrung verbunden ist. Karin hat diese Entwicklung immer genutzt. Sie ist als Choreografin meiner Evolution als TĂ€nzer gefolgt: „Les Marches“ ist simpler, von einem Bein zum anderen – ich war AnfĂ€nger. „Exodus“ – anspruchsvoller. „Celui sans nom“ ist in der Bewegung und Struktur komplex.

August 2017 (ALL:) Wir arbeiten immer wieder mit der Wiederholung von „Celui sans nom“ – es ist unser Forschungslabor: Bruno > Annette > Michael. Warum in dieser Trennung, warum arbeitet Bruno nicht mit Michael und mir zusammen, obwohl es Brunos Choreografie ist? Wir arbeiten mit der Idee der Rekonstruktion, Übertragung und Reformulierung. DafĂŒr macht genau dieser Aufbau Sinn, denn unser rekonstruierendes Arbeiten ist ein Prozess der solistischen Arbeit einerseits und der Zwiesprache mit den Vorgaben andererseits. Außerdem hatte Bruno mir die Choreografie bereits 2013

ĂŒbertragen. Eine Wiederholung machte keinen Sinn. FĂŒr mich war es auch die Chance, den Weg der Weitergabe selbstbestimmt zu gehen und dennoch mich immer rĂŒckversichern zu können.

(BG:) Es ist manchmal kurios, wenn ich mich zwingen muss, den Raum zu verlassen oder mich umzudrehen. Das Arbeiten ist sehr spannend. Wenn ich zuschaue, vergesse ich, dass ich die Choreografie schon kenne, ich schaue nur die tanzende Person an.

November 2017 (ALL): Bruno, du hattest entschieden, die Diagonale von Exodus von hinten links nach vorne rechts zu nehmen. Es ist also kein WEG GEHEN, sondern ein Wiederkommen, ZurĂŒckbringen, Wiederbringen, Wiederholen. Es gibt den Wendepunkt vorn beim Zuschauer. 
 Wie interpretieren wir diesen Moment? Wir fangen immer

wieder von vorn an? Wir holen etwas aus der Vergangenheit in die Gegenwart
 Der Umkehrpunkt ist damit vorn = die Zukunft? = Die Erwartung? Es macht Sinn.

Januar/Februar 2018: Wir bauen weiter. Unser Fokus liegt jetzt bei den Selbstportraits. Wir haben jeder fĂŒr sich entschieden, was wir von uns einbringen wollen und unseren Tanz ausgearbeitet. Jetzt muss gefeilt und alles zusammengesetzt werden. Und immer wieder „Celui sans nom“ und die Diagonale – in der Wiederholung kommt die Sicherheit und das Eigene und das Gemeinsame.

Bewegung Macht Was?! –

Sind Rekonstruktionsprozesse fĂŒr junge TĂ€nzer noch sinnvoll?

Annette Lopez Leal, 2016

Was macht Bewegung mit dem TĂ€nzer?

Welche Macht hat die Bewegung ĂŒber den TĂ€nzer?

Was macht der TĂ€nzer mit der Bewegung?

Welche Macht hat der TĂ€nzer ĂŒber die Bewegung?

Es geht um die Argumentation, warum Bewegungsmaterial und Inhalte auch aus den letzten 20 – 70 Jahren den Wert zur Weitergabe besitzen. Warum sollten jĂŒngere Generationen, mit einer heutigen Tanzsprache, mit diesen Choreografien in eine Auseinandersetzung kommen?

Welche Fertigkeiten können ĂŒber Einstudierungen von Repertoire erworben werden, wozu könnten diese Fertigkeiten benutzt werden?

Ist die Erarbeitung von historisch gewordenem Tanz noch sinnvoll in einer zeitgenössischen Tanzausbildung?

Es geht also darum, die Relevanz von Einstudierungen vergangener Epochen im heutigen Tanzgeschehen zu beleuchten

Der Code

Wir mĂŒssen unterscheiden: Zum einen haben wir das festgelegte Bewegungsmaterial als TrĂ€ger von bestimmten Eigenschaften, sozusagen als eine stabile Ebene. Der „Code“ dient als Dokument, Score, Text, auf die abrufbare Erinnerungen und Muster „geladen“ wurden. Ich bezeichne dieses gesamte Bewegungsmaterial als „Code“, weil in ihm spezifische Eigenschaften eingeschrieben sind. Zum anderen ist der individuelle Körper und die Persönlichkeit des TĂ€nzers zu beachten, die nun mit dem kodifizierten Bewegungsmaterial in BerĂŒhrung kommt. Welche dieser Informationen kann man entschlĂŒsseln oder transformieren?

Der individuelle „Bewegungscode“ einer choreografischen Sequenz ist folglich einer DNA gleich – es gilt ihn zu entschlĂŒsseln, zu ĂŒbersetzen, zu ĂŒbertragen. Es können Informationen auf diesen „Code“ hoch- oder runtergeladen, Teile eingefĂŒgt oder weggelassen werden.

Das sind BerĂŒhrungspunkte mit dem Archiv eines TĂ€nzers. Es gibt bestimmte „Tools“, die dem TĂ€nzer und dem PĂ€dagogen dafĂŒr zur VerfĂŒgung stehen. „Tools“ die sich zunĂ€chst auf die Analyse der Zusammensetzung des Bewegungsmaterials beziehen. Bei diesen EntschlĂŒsselungsprozessen entstehen spannende „ZwischenrĂ€ume“, sozusagen als eine instabile Ebene. Es ergibt sich ein Freiraum, der genutzt werden kann, um den „Code“ dahingehend zu verĂ€ndern, eine individuelle kĂŒnstlerische Interpretation des Bewegungsmaterials zu erzeugen. Hier eröffnet sich also ein Feld der Kommunikation mit dem Bewegungscode“ sowie der Resonanz auf den „Code“.

Dabei ist es den Rahmen von Inhalt und Form zu beachten, in dem der „Code“ eingebettet ist. Es gilt den Entscheidungsprozess wahrzunehmen, wie viel von Form und Inhalt gerechtfertigt bleiben soll.

Der Prozess von EntschlĂŒsselung

– Aneignung –Neuschöpfung

Welche Richtlinie könnte dieser EntschlĂŒsselungsprozess, diese Aneignung und Neuschöpfung verfolgen? Was könnte das verbindende Element sein zwischen dem Bestehenden, der stabilen Ebene, dem „Code“ sowie der instabilen Ebene einerseits und der „gelebten Bewegung“, der kĂŒnstlerischen Neukreation andererseits?

Hierzu möchte ich mich auf Alexander Kluge beziehen, der das Wort „Attunement“ folgendermaßen beschreibt: Um „Attunement“ herzustellen, bedarf es dreier Dinge: 1. Festigkeit, 2. Lockerheit, 3. rechter Zeitpunkt.

Bei den EntschlĂŒsselungsprozessen eines zu erlernenden TanzstĂŒckes könnte dies Folgendes bedeuten: Festigkeit oder das „Hinhören“: Welche Informationen sind auf dem „Code“ hochgeladen worden, um dem Inhalt und der Struktur gerecht zu werden. Die stabile Ebene des „Codes“. Lockerheit: Welche Informationen können dem „Code“ zugefĂŒgt, können weggelassen oder verĂ€ndert werden. Das ist der Transformationsprozess an sich. Die instabile Ebene des „Codes“.

Rechter Zeitpunkt: Entscheidungen können „on the spot“ getroffen werden – „Kairo als“ Bild, GefĂŒhl, Zustand, um die Bewegung am rechten Zeitpunkt am Schopf zu packen. Die variable „Konstante“ – die Interpretationsfreiheit im Moment der „gelebten Bewegung“ oder der AuffĂŒhrung.

Der „BindekĂŒnstler“ nach Alexander Kluge, der diese drei Elemente des „Attunements“ in sich vereint, entspricht fĂŒr mich gleichzeitig der Rolle des Lernenden und des Lehrenden. „Sanftheit“, „Klugheit“ und „Viel GefĂŒhl alles zusammenzubringen“ sind die Eigenschaften, die den „BindekĂŒnstler“ unterstĂŒtzen. Sie erzeugen und kreieren am Ende das Resultat dieses EntschlĂŒsselungsprozesses. Es entsteht eine „Stimmigkeit“ zwischen TĂ€nzer, „Code“ und Neuschöpfung.

Foto: Solaja Rechlin, 2017

Gedanken | Selbstportraits

Unseren Tanz als eine aktuelle Kunst verstehend, beschĂ€ftigen wir uns nicht nur mit Vorgefertigtem, sondern auch mit unseren eigenen Aneignungsprozessen. Unsere Selbstportraits sind Teil dieser Überlegungen. Sie hegen die Hoffnung, unser Publikum jenseits von Stilfragen an unserer Arbeit teilhaben zu lassen.

Wo stehe ich? Was ist fĂŒr mich wichtig und zu einer Erinnerung geworden? Was hat meine Arbeit mit der Arbeit mit Karin Waehner zu tun? Wann habe ich mich geweigert, die Erinnerung von Bruno als „wahr“ anzusehen? In welcher Situation nehme ich meine Entscheidungen und Erinnerungen als „wahr“ an? Was hat unser Projekt gebracht? Hat es etwas verĂ€ndert?

Diese Fragen standen im Raum, als wir die Aussagen zu unseren Selbstportraits getroffen haben.

Bruno Genty, TĂ€nzer, TanzpĂ€dagoge und Choreograf im Bereich des Zeitgenössischen Tanzes fĂŒr Theater und urbanen Raum in Europa. TĂ€nzer und Assistent u.a. bei Karin Waehner. heute Dozent fĂŒr Zeitgenössischen Tanz, TanzpĂ€dagogik und Repertoire an verschiedenen Hochschulen und AusbildungsstĂ€tten fĂŒr Professionelle und Laien. | http://www.studio31.fr >>> ATOUT-DANSE / Stage Estival >>> Professeurs >>> Bruno Genty // http://www.pesmd-bordeaux-aquitaine.com/fr/users/bruno-genty // https://www.bruckneruni.at/de/institute/tanz-ida/

Ich bin wie ich bin!

„Ich bin der Raum wo ich bin” Gaston Bachelard in: Die Poetik des Raums.

Ich bin 60 Jahre alt: ein Geschenk.

Jeden Tag Rotwein trinken!

Ich lebe nur in der Gegenwart und die Erinnerung gehört meiner Sprache nicht mehr.

Jeden Tag beobachten!

“La poùsie” ist mein Blut und mein Fleisch.

AndrĂ© Gide schreibt in Neue FrĂŒchte:

“O wohlschmeckende Frucht, von Wollust umhĂŒllt, ich weiss, dass du dich selbst aufgeben musst, um Keim zu werden. Sterben soll sie, sterben, diese runde SĂŒĂŸe! Sterben soll dieses ĂŒppige köstliche Fleisch, den es ist Besitz der Erde. Sterben soll es, damit du lebst. Ich weiß: wenn die Frucht nicht stirb, bleibt sie allein

O Herr, lass mich sterben, ehe mich der Tod erwartet.”

Den Tag; jeden Tag genießen!

“Wenn ihr Alltag ihnen arm scheint, klagen Sie ihn nicht an; klagen Sie sich an, sagen Sie sich, dass Sie nicht Dichter genug sind, seine ReichtĂŒmer zu rufen
” Rainer Maria Rilke in Briefe an einem jungen Dichter.

Jeden Tag ĂŒben: die Übung ist in der Übung!

Die Disziplin, die Rituale, der Körper. Lesen. Schreiben. In Kontakt bleiben.

Ja, ich bin wie ich bin.

25. Januar 2018, zwischen Paris und Linz

Foto links: Kamil Mrozowski, Probe 2017
Foto mitte: N.N. Le Cycle des Princes 2011 mit Harmen Tromp
Foto rechts: privat (Bruno Genty, „Celui sans nom“, UA, 1990) /

VerÀnderung und Stillstand

Mein GEHENtanz wird sich auf die Idee der „Kugelgestalt der Zeit“ von Bernd Alois Zimmermann und seine pluralistische Kompositionstechnik beziehen. Sie stehen im Zusammenhang mit der Idee einer SimultanitĂ€t der drei Zeiten: „die Gegenwart vom Vergangenen, die Gegenwart vom GegenwĂ€rtigen und die Gegenwart vom ZukĂŒnftigen“ (Augustinus).

Das GEHEN ist eine Grundlage des Tanzens. Das GEHEN symbolisiert fĂŒr mich aber auch die Zukunft und die Gegenwart, den Blick nach vorn gerichtet, die Zeit schreitet dahin 
 Auf dem Weg begegne ich Zitaten aus der Vergangenheit. Sie sind eingeflochten in das Gehen. Das Ende vom GEHENtanz ist die Zukunft, die Erwartung, das Weitergehen
 Mein GEHEN ordnet und organisiert die Zitate aus der Vergangenheit und wird zum „pluralistischen Zeit- und Erlebnisstrom“ (B. A. Zimmermann).

Drei Momente des Stillstands unterbrechen das GEHEN, die stĂ€ndige Gegenwart symbolisierend –VerĂ€nderung und Stillstand werden ununterscheidbar.

Zitate

KhĂŽra Choreografie Rui Horta, 1996

Diving Choreografie Rui Horta, 1991 Time Quarry Choreografie José Biondi, 2000

Alles verschmilzt zum SelbstportrĂ€t in einer SimultanitĂ€t der Zeit, zu einer persönlichen Collage oder wie James Joyce sagt: „Put all space in a nutshell“

Annette Lopez Leal, Uni.Doz., war TĂ€nzerin bei S.O.A.P. Dance Theatre, Frankfurt/ Rui Horta. Zusammenarbeit und Tourneen u.a. mit JosĂ© Biondi und MS Schrittmacher/Martin Stiefermann. Dozentin fĂŒr Zeitgenössischen Tanz. Lehrt u.a. an der Anton Bruckner PrivatuniversitĂ€t in Linz. https://www.bruckneruni.at/de/institute/tanz-ida/

Foto links : Peter F. Fiebig, „Celui sans nom“, 2013

rechts Kamil Mrozowski, 2017

Ist die Tanzgeschichte fĂŒr mich wichtig?

Michael Gross

Ein interessanter Teil ist die Tanzgeschichte auf jeden Fall, denn durch das ganze Netz der Tanzgeschichte fließen auch heute zeitgenössische EinflĂŒsse auf mich ein. Mit der Geschichte und dem Stil des Expressionismus oder Ausdruckstanzes identifiziere ich mich jedoch nicht. Dennoch sind diese auch Teil meiner Geschichte als TĂ€nzer als „deutscher TĂ€nzer“. Dem mich zu stellen und einerseits in meiner Zeit stehend, die EinflĂŒsse miteinander zu verschmelzen, Grenzen miteinander zu verflechten und so die Geschichte zu einem Teil meiner zeitgemĂ€ĂŸen Geschichte werden zu lassen das ist immer wieder ein spannender Prozess. Hier bin ich aufgerufen, meine eigene Position zu hinterfragen und zu behaupten.

Die Zusammenarbeit mit reiferen Profis ist fĂŒr mich immer wieder eine spannende Erfahrung, durch GesprĂ€che, Prozesse andere Perspektiven zu sehen und verstehen zu lernen. FĂŒr mich steht dabei die Komposition im Vordergrund, der Aufbau und die Struktur der BewegungsablĂ€ufe: Wie ist der Raum gestaltet? Welche Wege gibt es? Was

Foto links privat, 2014, in „Re-Cycling Prometheus“ (Choreographie: Rose Breuss) Foto oben: Kamil Mrozowski, Probenfotos WEGEHEN, 2017/18
Michael Gross, BA/MA, TĂ€nzer und TanzpĂ€dagoge fĂŒr Zeitgenössischen Tanz.
U.a. Gast der PLAY Platform in Frankfurt a.M. und Mitglied der Company SILK Fluegge in Linz.

waren damalige Strategien? Welche Differenz gibt es zu mir und heute? Werde ich mich Àndern?

Dies notierte ich zu Beginn unserer Planung, im Herbst 2016.

Notizen fĂŒr eine Antwort am Ende unserer Proben, Januar 2018:

Es war eine spannende Arbeit gemeinsam mit Bruno und Annette. Ich war ihr SchĂŒler und war es nicht.

Aus meinem Coaching (gemeinsam mit Annette) wurden mir wieder zwei wichtige Wege meiner Bewegungsforschung klarer:

Die Möglichkeit, von einer bestimmten Emotion zur Bewegung zu kommen oder die Möglichkeit, die Bewegung auszufĂŒhren, die mich dann in eine bestimmte Emotion versetzt –also von der Bewegung zur Emotion. Wenn ich die Sequenzen aber wiederhole, arbeite ich aber vor allem an der Bewegung.

So war es auch im Probenprozess vom „Celui sans nom–Rekreation 2018“. Die Geschichte der Person im Solo formt sich langsam zu meiner eigenen. Bilder helfen mir, die Organisation der Bewegung mehr zu verstehen, die den „Code“ der Choreografie und meine Bewegung reicher machen, sich mit meinem Zugang zur Emotion des Solos verwebt.

FĂŒr mich verĂ€ndert sich bis zuletzt alles durch das Wieder-Machen und Wieder-Erleben, wenn die Bewegungen klar artikuliert zu einem Ganzen verschmelzen und sich ein Sinn der Bewegung fĂŒr mich bildet. Die Bewegung wird von mir klar und deutlich artikuliert, deutlich gesprochen, das macht den Fluss aus.

In meinem Selbstportrait merke ich, dass die Tanzgeschichte mir etwas beigebracht hat. Ich bin schon immer fasziniert von Kompositionstechniken. In dieser Arbeit war das Spannende, dass niemals etwas gleich, sondern Àhnlich und deshalb ziemlich komplex ist.

Ich beziehe mich in meinem Selbstportrait eher auf diese Arbeitsweise fĂŒr „Celui sans nom“, die choreographischen Prinzipien und die tĂ€nzerische Arbeitsweise von Karin Waehner. FĂŒr mich liegt die Freiheit nicht in der choreographischen Sequenz, sondern im Raum, der Nutzung des Raumes, der Amplitude.

Foto unten: Kamil Mrozowski, Probenfotos WEGEHEN, 2017/18

Réflexions sur mon autoportrait

Jean Masse, TĂ€nzer, Choreograf, TanzpĂ€dagoge, ehemaliger Assistent von Karin Waehner. Verwalter des kĂŒnstlerischen Erbes von Karin Waehner. KĂŒnstlerischer und pĂ€dagogischer Leiter der Compagnie Epiphane und des Centre Lafaurie Monbadon. Er ist Teil der nationalen französischen Expertengruppe fĂŒr den Bereich ‚Tanz in der Schule‘. | http://www.cie-epiphane.com/ | http://www.centrelafaurie.com

Les fractures du temps

L‘ombre d‘un instant dĂ©pose sa trace dans le fracas du temps.

Retour incertain de l‘impact d‘un rayon de lune sur lâ€˜Ă©tang dont lâ€˜Ă©cho incessant se rĂ©percute Ă  l‘infini.

Il en va de la vie comme de l‘amour : une invitation, une persistance !

[Musique : Berlin, Amsterdam ou ailleurs (Paroles et musique : Eva / Laurence Matalon )

Le chant est en rĂ©fĂ©rence aux origines germaniques de Karin et aussi Ă  la nĂ©cessitĂ© que le mouvement est toujours un voyage, un dĂ©sir, une recherche infinie de l‘ailleurs.]

LĂ  oĂč l‘herbe est plus verte (hommage Ă  Karin Waehner)

Une rencontre, une révélation, un compagnonnage.

Et dans le dĂ©roulement quotidien du temps, l‘interioritĂ© de cette rencontre est un repĂšre et une constante !

[Musique : Franz Schubert : Gute Nacht extrait de Winterreise

Ce lied en particulier Ă©tait pour Karin indissociable du mouvement, du flux et du reflux, de l‘alternance entre l‘intĂ©rieur et l‘extĂ©rieur, entre le visible et l‘invisible.]

Karin Waehner

Biografische Notizen, zusammengestellt

von Claudia Fleischle-Braun und Heide Lazarus

Foto: Jo Babout, Karin Waehner um 1960, mit freundlicher Genehmigung der Akademie der KĂŒnste und Jean Masse

Karin Waehner gilt als eine der kĂŒnstlerischen Erben der Choreografin, PĂ€dagogin und TĂ€nzerin Mary Wigman (1886-1973). Sie wurde in Frankreich eine wichtige Wegbereiterin fĂŒr den modernen und zeitgenössischen Tanz. Insbesondere Waehners tanzpĂ€dagogischer Ansatz bezieht sich auf die Lehrweise von Mary Wigman: „Was sie [Wigman] lehrte, war ein SchlĂŒssel.“, so meinte Waehner. 1945 kam die junge Frau zusammen mit ihrer Mutter, die selbst TĂ€nzerin und TanzpĂ€dagogin war und nach den Lehren von Mensendieck, Dalcroze/ Chladek und Mary Wigman unterrichtete, als Sudetendeutsche nach Dresden. Dort begann sie ihre Körper- und Bewegungsschulung an der Menzler-Marsmann-Schule Hellerau bei Dresden, strebte aber stĂ€rker nach einem eigenen expressiven Ausdruck. 1946, nach Kriegsende fand sie so den Weg zu Mary Wigman nach Leipzig in deren private Tanzschule, wo sie spĂ€ter auch AnfĂ€nger-Klassen unterrichtete und in deren Tanzgruppe sie tanzte. 1949 erhielt sie von Mary Wigman ihr Diplom fĂŒr PĂ€dagogik, Choreografie und BĂŒhnentanz. Nach einem Jahresengagement am Theater Gießen folgte sie 1950 zusammen mit ihrer Mutter ihrem Bruder aus finanziellen GrĂŒnden nach Buenos Aires. Dort tanzte und unterrichtete sie in der Tanzschule von Otto Werberg, einem ehemaligen TĂ€nzer von Margarethe Wallmann und Kurt Jooss. In den 1950er Jahren kehrte sie nach Europa zurĂŒck und zog nach Paris. Hier konnte sie ihre ganze kĂŒnstlerische Kraft entfalten, besuchte aber, soweit es ihr möglich war, bei Wigman jeden Sommerkurs, „um mir dort wieder ein bisschen Kraft zu holen fĂŒr das Ausland“ (Interview mit Patricia Stöckemann 1990). Dem Rat von Marcel Marceau folgend, studierte sie zunĂ€chst bei Etienne Decroux Pantomime, verließ aber bald wieder diese Ausrichtung des kĂŒnstlerischen Körperausdrucks.

Mitte der 1950er Jahre begann die Zusammenarbeit mit weiteren Choreografen, TĂ€nzern und PĂ€dagogen des Modernen Tanzes, die damals in Frankreich zur bestimmenden Tanz- Avantgarde gehörten: Jacqueline Robinson, Françoise und Dominique Dupuy sowie Jerome Andrews. 1959 grĂŒndete sie ihre eigene Tanzgruppe Les ballets contemporains Karin Waehner, welche ĂŒber mehrere Jahre tourte.

Zudem gelang es ihr, in den 1950er Jahren erfolgreich den zeitgenössischen Tanz in die Ausbildung von Gymnastiklehrern an der damaligen Sporthochschule (ENSEP, École supĂ©rieure d’éducation physique) in Paris zu implementieren und gab in der Folgezeit an vielen weiteren französischen Sportinstituten Kurse zu ihrer Methode. Auf ihre Anregung hin erweiterte 1960 die traditionsreiche private Musikhochschule Schola Cantorum in Paris (heute: Hochschule fĂŒr Musik, Tanz und Theater) ihre bisherige ballettzentrierte Tanzausbildung um eine Abteilung fĂŒr Modernen Tanz, deren Leitung sie ĂŒbernahm. Sie unterrichtete nach ihrer eigenen, mehr und mehr sich entwickelnden Philosophie und Lehrweise. In ihrem Unterricht wurden beispielsweise auch Entwicklungen in anderen KĂŒnsten (Musik, Bildende KĂŒnste, Dichtung) interpretiert und ebenso Aspekte der Philosophie, der Stimme oder des schöpferischen Handelns thematisiert. Dieser stilĂŒbergreifend kombinierende eklektizistische Ansatz war in der damaligen Ausbildungspraxis innovativ. Deshalb kamen viele TĂ€nzer und TĂ€nzerinnen zu ihr, um den Reichtum eines Tanzunterrichts zu erfahren, bei dem sich die Entwicklung von tĂ€nzerischer Technik und KreativitĂ€t miteinander vermischten. So studierten bei ihr u.a. Jean Masse, Kiliana Cremona, Jean PomarĂšs, Pierre Doussaint, MichĂšle Mengual, Odile Cougoule, Jean Christophe Bleton, Angelin Preljocai, Marie Devillers und Bruno Genty. Von 1971 bis 1978 unterrichtete Karin Waehner im Centre d’ Action Culturelle (CAC) an dessen BĂŒhne „Les GĂ©meaux de Sceaux“ Modernen Tanz, danach lehrte sie am Konservatorium von Bagnolet. Neben ihrer LehrtĂ€tigkeit war Waehner wieder stĂ€rker choreografisch aktiv. AnlĂ€sslich der Ausstellung Paris - Berlin (1900–1933) im Centre Pompidou in Paris wurde sie 1979 beauftragt, fĂŒr einen Film ĂŒber den deutschen Expressionismus (Regie: Pierre Defonds) sechs Choreografien zu schaffen. Im Zuge dieser Arbeit reflektierte sie ihre eigenen expressionistischen Wurzeln, die dann in ihren spĂ€teren TanzstĂŒcken sich wieder deutlicher erkennbar wurden.

1982 wird sie zur Professorin fĂŒr Modernen bzw. zeitgenössischen Tanz an das Konservatorium fĂŒr Musik und Tanz La Rochelle berufen. Damals war es in Frankreich das erste Konservatorium, das einen eigenen Lehrstuhl fĂŒr modern-zeitgenössischen Tanz eingerichtet hatte. Nach fĂŒnf Jahren kehrte sie nach Paris zurĂŒck und war fortan vorwiegend als Gastlehrerin tĂ€tig. Sie gab Kurse am von ihr 1964 mitgegrĂŒndeten Centre international de la Danse (CID) in Paris, arbeitete mit der Kompagnie von Joseph Russillo (Toulouse) und unterrichtete im professionellen Tanzausbildungszentrum von Walter Nicks (Poitiers) sowie am Centre de Danse Contemporaine et Afro-AmĂ©ricaine, Free Song in Paris. Außerdem lehrte sie als Gastdozentin an verschiedenen UniversitĂ€ten, wie z.B. an der Tanzhochschule Turin sowie an der UniversitĂ€t Montpellier, UniversitĂ€t Bremen und an der UniversitĂ€t Strasbourg. Im Rahmen eines tanzwissenschaftlichen Kongresses an der Pariser Sorbonne (1990) referierte sie ĂŒber „die Lehre eines evolutionĂ€ren, wandlungsfĂ€higen Tanzes“ und erlĂ€uterte ihr TanzverstĂ€ndnis und ihren tanzkĂŒnstlerisch- pĂ€dagogischen Ansatz.

DarĂŒber hinaus leitete sie seit 1981 in Zusammenarbeit mit dem Psychomotoriker Jacques Garros (Körperarbeit) und dem TĂ€nzer und Choreografen Jean Masse (Zeitgenössischer Tanz) regelmĂ€ĂŸig bis zu ihrem Todesjahr 1999 Sommerkurse am Centre Laufaurie-Montadon in Castillon de Castets im DĂ©partement Gironde. Diese wurden von vielen TanzkĂŒnstlerinnen und -kĂŒnstlern besucht, die zur Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes maßgeblich beigetragen haben. In den 1990er Jahren war sie zusammen mit Françoise und Dominique Dupuy am Ausbildungsinstitut fĂŒr Tanz- und MusikpĂ€dagogik (Institut de formation des enseignants de la danse et de la musique, IFEDEM) in Paris im Rahmen der neu eingefĂŒhrten staatlichen Diplom-Ausbildung fĂŒr Zeitgenössische TanzpĂ€dagogik engagiert und war mit Lehraufgaben und Konzeptionsaufgaben betraut. DarĂŒber hinaus wirkte sie am Aufbau der von Dominique Dupuy geleiteten Tanzabteilung des Instituts fĂŒr Musikalische und Choreographische PĂ€dagogik (IPMC) mit. Diese Einrichtung war mit der Archivierung, Dokumentation, Forschung und Weiterbildung auf dem Gebiet der Zeitgenössischen

Tanzkunst betraut und veranstaltete internationale Tagungen. Außerdem war sie noch an zwei der dezentralen Nationalen Choreografischen Zentren (CCN) tĂ€tig: 1992 auf Einladung von Dominique Bagouet am CCN von Montpellier und 1996 am CCN von La Rochelle sowie beim Ballet Atlantique RĂ©gine Chopinot (BARC) im Rahmen eines beruflichen EinfĂŒhrungsseminars fĂŒr TĂ€nzer.

1993 veröffentlichte Karin Waehner (mit Odile Cougoule) ihre ‚choreografische Toolbox „Outillage chorĂ©graphique: manuel de composition“ (Paris: Vigot). In diesem Lehrbuch fasste sie ihren Ansatz zusammen und erlĂ€uterte die Strategien und die von ihr genutzten ‚handwerklichen‘ Mittel des Schaffensprozesses. 1999 wurde die Association Karin Waehner Les Cahiers de l‘Oiseau gegrĂŒndet, damit das umfangreiche Schaffenswerk der KĂŒnstlerin und PĂ€dagogin im kollektive-kommunikativen und kulturellen GedĂ€chtnis von einer institutionellen Einrichtung heraus gesichert, gepflegt und weitergegeben werden kann.

Einige beispielhafte Choreografien von Karin Waehner sind „l‘Oiseau qui n‘existe pas“ (Der Vogel, der nicht existiert, 1963); „Poùme“ (Gedicht, 1965); „Labyrinthe“ (1972); „Les Marches“ (Die Stufen, 1980); „Sehnsucht“ (1982); „l‘Exode“ (Exodus oder Auswanderung, 1986); „Celui sans nom“ (Namenlos, 1990).

Claudia Fleischle-Braun, Dr., lehrte als Tanz- und Sportwissenschaftlerin am Institut fĂŒr Bewegungsund Sportwissenschaften der UniversitĂ€t Stuttgart. In den letzten Jahren in verschiedene historisch-pĂ€dagogische Recherche-Projekte zum Modernen Tanz involviert.

Heide Lazarus, M.A., Kultur-, Theater-, Tanzwissenschaftlerin, Produktionsdramaturgin. Initiatorin und Leiterin bzw. Herausgeberin des digitalen Katalogs von Dokumenten der WigmanSchule-Dresden mit KontextbeitrĂ€gen „Die Akte Wigman“ (Olms, 2007) als CD-ROM und „KARIN WAEHNER (1926–1999) – Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt“ (2017/18). Promoviert derzeit zum Thema „Tanz als Beruf“.

Zeitzeugen

Foto: privat © Archive von Compagnie Épiphane, Jean Masse und Karin Waehner, 1986

MARY WIGMAN HAT NIE IN FRANKREICH GETANZT!

Der „danse expressive“ oder „danse expressioniste“, wie man den Ausdruckstanz ja ganz richtig in Frankreich nennt, hatte in Frankreich immer schwer zu kĂ€mpfen, als eine eigene Tanzkunst anerkannt zu werden. Bis in die frĂŒhen 1970er Jahre stellte das Klassische Ballett mit seinen vielen von uns Deutschen empfundenen Manierismen alles andere in den Schatten. Obwohl schon zu dieser Zeit ca. 1973 die aus den USA kommende Carolyn Carlsson als der neue Star in der Hochburg der Pariser Opera mit dort eigener Gruppe „GRCOP“ als die große Hoffnung fĂŒr die Zukunft des modernen Tanzes leuchtete. Es war Rolf Liebermann zu verdanken, der dafĂŒr als Intendant der Pariser Opera den enormen Mut hatte!

So war meine Empfindung damals 1975, als ich zum ersten Mal am „Concours chorĂ©graphique international de Bagnolet“, dem „Ballet pour Demain“ mit meiner Choreografie „Danse funebre“ teilnahm. Jaque Chaurand war der mutige Leiter. Zu meiner grĂ¶ĂŸten Überraschung bekam ich den 3. Preis neben Royston Maldoom – 1. Preis und Pat O‘Bine – 2. Preis.

Diesen GlĂŒcksstrahl bis heute verdanke ich allein Karin Waehner aus der Jury. Wie mir schien, war sie eine anerkannte Persönlichkeit innerhalb der Tanzwelt in Paris. Kein Wunder
 denn sie sprĂŒhte vor Lebendigkeit mit Geist voll ehrlicher Direktheit, was fĂŒr die Franzosen damals unĂŒblich war. Sie hatte eine Schule und eine Gruppe – was sie mit viel MĂŒhe und auch Erfolg durchzog. Auch Christine Brunel***, ehemals SchĂŒlerin von Karin Waehner, erzĂ€hlte mir viel ĂŒber sie. Ab 1975 verband uns eine innige Freundschaft eben als „Die Wigman SchĂŒlerinnen“.

In den darauffolgenden Jahren konnte ich beobachten – mitunter als Jurorin – wie der Concours es ermöglichte, dass viele der wie Pilze neu aufsprießenden kleinen Gruppen ihre zum Teil sehr guten modernen Choreografien zeigen konnten. Es war hochspannend zu sehen, wie sich Frankreich von Jahr zu Jahr immer stĂ€rker zu einem der intensivsten Förderer des modernen Tanzes in Europa entwickelte!

Und Deutschland 
 befand sich noch im Tiefschlaf, gefangen in den noch recht starren Regeln der Stadttheaterinstitutionen!

*** Christine Brunel (2017 gest.) war zudem Absolventin von Folkwang, tanzte 6 Jahre bis 1984 im Folkwang Tanzstudio, unternahm zahlreiche Auslandsgastspiele und unterrichtete spÀter verstÀrkt. (http://www.brunel-tanzcie.com)

Susanne Linke, TĂ€nzerin, Choreografin, TanzpĂ€dagogin, Honorarprofessorin an der Folkwang UniversitĂ€t. Ausgebildet bei Mary Wigman sowie an der Folkwang Hochschule. TĂ€nzerin im Folkwang Tanzstudio unter der kĂŒnstlerischen Leitung von Pina Bausch. KĂŒnstlerische Leitung des Folkwang Tanzstudios, Leiterin des Bremer Tanztheaters zusammen mit Urs Dietrich, Leiterin der Tanzsparte im Theater Trier. KĂŒnstlerische Leitung und GrĂŒndungsmitglied des Choreografischen Zentrums NRW (heute: PACT Zollverein). In all den Jahren national und international zahlreiche Workshops, Gastchoreografien, Gastspiele als TĂ€nzerin und Choreografin. | www.susanne-linke.eu

Gedanken und Erinnerungen

Bei einem Internationalen Sommerkurs im Mary-Wigman-Studio in Berlin lernte ich Mitte der 1950er Jahre Karin Waehner kennen. Sie lebte zu der Zeit bereits in Paris. Bei meinen sporadischen Besuchen in dieser Stadt, die auf uns damals eine große Anziehungskraft ausĂŒbte mit ihrer reichen Kulturlandschaft – Sartre, Juliette Greco, Chansons, Filme – vertiefte sich im Laufe der Zeit unsere Bekanntschaft. Das letzte Mal, als wir uns in ihrer Pariser Wohnung trafen – es war kurz nach ihrer HĂŒft-OP – fĂŒhrte sie mir, unter den fachmĂ€nnischen Blicken ihres Mannes, ihr Reha-Programm vor: Es war der Walzerschritt (tief-hoch-hoch), mit dem sie ihr Gleichgewicht trainierte. Es war wahrscheinlich sehr lustig uns zu beobachten, wie wir gemeinsam durch die eingeschrĂ€nkten „Frei“rĂ€ume der Wohnung tanzten.

In einem langjĂ€hrigen Kampf hat sie dem Modernen Tanz in Frankreich den Boden bereitet. Mit ihrem pĂ€dagogischen und kĂŒnstlerischen Einsatz hat sie immense Aufbauarbeit geleistet und dafĂŒr gebĂŒhrt ihr höchste Anerkennung.

Auf die Tanzentwicklung in Deutschland hatte das jedoch keinen Einfluss .

Hier sehe ich die Entwicklungslinie von Mary Wigman ĂŒber Dore Hoyer – Manja ChmiĂšl – zu Gruppe MOTION Berlin – und letztlich auf dem Umweg ĂŒber die USA die GrĂŒndung der Tanzfabrik Berlin und deren Arbeit in den ersten Jahren.

Karin Waehner und Manja ChmiĂšl, beide SchĂŒlerinnen der Leipziger Schule, waren sich sehr Ă€hnlich in ihrem Temperament. Aufbauend auf dem grundsĂ€tzlichen Ansatz des Unterrichts bei Mary Wigman, die eigene Körperwirklichkeit und PrĂ€senz zu finden, entwickelten sie ihre ganz eigene energetische, kraftvolle Bewegungssprache. Beiden gemeinsam war der große persönliche Einsatz, dem Tanz, der in den

1950/60er Jahren nach der damaligen Terminologie Neuer Tanz bzw. Danse Contemporaine oder Zeitgenössischer Tanz genannt wurde, Akzeptanz und Anerkennung zu verschaffen - die Eine in Frankreich, die Andere in Deutschland.

Manja ChmiĂšl war, wie Dore Hoyer, eine herausragende Solistin - die es wieder zu entdecken gilt!

Lehrerin am Berliner Wigman-Studio, war sie ein Bindeglied zwischen den Generationen. Mit ihr vollzog sich der Wandel von der „nur“ solistischen Arbeit hin zur Gruppenchoreografie.

Auch die Besonderheit der Berliner Situation, wo ein anderes politisches Klima herrschte als im Westdeutschland Konrad Adenauers, spielte keine geringe Rolle. Das Infragestellen ĂŒberkommener Strukturen grenzte auch die Kunst nicht aus. 1962 schlossen sich drei Wigman-Absolventen zu einem TĂ€nzerchoreografen-Kollektiv zusammen und grĂŒndeten die „Studiogruppe fĂŒr Neuen Tanz MOTION Berlin“, die einige Jahre fester Bestandteil der zeitgenössischen Tanzszene wurde mit zahlreichen Gastspielen im In- und Ausland.

Neue choreographische Konzepte wurden ausprobiert. Bewegungsformen sollten nicht mehr als Ausdruck einer inneren Befindlichkeit gesehen werden, sie wurden „entpersonalisiert“. Von Bedeutung war allein der reine Bewegungsvorgang, der nur sich selbst darstellte mit seiner eigenen immanenten Wirklichkeit.Mit dieser Weiterentwicklung begann quasi die sogenannte Freie Szene.

Der Blick nach außen zeigt ĂŒbrigens die gleiche Umorientierung in der Tanzszene der USA, nahezu zeitgleich und völlig unabhĂ€ngig von der Entwicklung in Deutschland.

Inge Katharine Sehnert. TĂ€nzerin, Choreografin, TanzpĂ€dagogin, ausgebildet bei Mary Wigman in Berlin. MitbegrĂŒnderin der „Studiogruppe fĂŒr Neuen Tanz MOTION Berlin“. Assistentin von Pina Bausch in Essen. GrĂŒndung der „Gruppe MOBILE Frankfurt“ und spĂ€ter des TANZRAUMs in Köln. In den vergangenen Jahren verstĂ€rkt engagiert, mit Seminaren, VortrĂ€gen sowie Mitarbeit an Rekonstruktionen, das kulturelle Erbe Mary Wigmans fĂŒr die Gegenwart und Zukunft zu erhalten. www.katharinesehnert.com

Erinnerungen

Wie Karin Waehner

1980 die „WigmanTechnik“ nach Dresden an die Palucca Schule

brachte – nach

Erinnerungen von Hanne Wandtke

Boris Gruhl

Boris Gruhl, freier Autor und Kulturjournalist in Dresden, Bereiche Ballett, Tanz, Musiktheater fĂŒr Rundfunk, Tagespresse, Fachmagazine und Internet. Kurator und Moderator. Vorstands- und JurytĂ€tigkeit, u.a. TanzbĂŒhne Dresden e.V..

*** Karin Waehner: „Seit Mary grossen Geburtstagsfeier in Berlin, wo sie mir <handschr. verbessert „mich“> Palucca an das Herz legte, bewerbe ich mich in Dresden als Gastdozent u. wurde immer von Palucca ausweichend vertröstet – es kam mir immer etwas merkwĂŒrdig vor, nun klappt es, wo Palucca selbst nicht mehr an diesem Kursus unterrichtet.“ (gemeint ist die Feier bei Mary Wigman zum 85. Geburtstag, 1971. 1980 war Palucca vor Waehners Ankunft bereits in ihre Ferien abgereist. Notiz vom „14.02.1980 an Gruber und Praski; Fehler aus dem Typoskript ĂŒbernommen.“, Fenger, 2017, S. 563).

Im Rahmen der Internationalen Sommerkurse 1980 an der Palucca Schule Dresden gab Karin Waehner vom 23. Juni bis zum 5. Juli als Gastdozentin fĂŒr modernen Tanz einen Kurs.*** KĂŒnstlerischer Leiter war Wolfgang Zeibig, Lehrer fĂŒr Rhythmik nach Orff an der Palucca Schule Dresden (der heutigen Palucca Hochschule fĂŒr Tanz Dresden). Der Versuch, Erinnerungen von damaligen Teilnehmenden wach zu rufen, gestaltet sich schwierig. Im Schriftwechsel mit Karin Waehner findet sich aber immerhin ein Brief vom 25. Mai 1980, in dem sie von ihrer Aufregung spricht, es sei ja fĂŒr sie das erste Mal, dass sie in Ostdeutschland arbeite und dass sie deshalb, „stĂ€ndig in Angst lebe, dass in der letzten Minute irgendetwas nicht in Ordnung ist.“

Professorin Hanne Wandtke, damals Lehrerin an der Schule, nahm aus Lust, Interesse und Neugier an dem Kurs von Karin Waehner teil. In einem GesprĂ€ch erinnert sie sich: In stĂ€rkster Erinnerung ist bei ihr Waehners „toller Humor“, allerdings nicht im Kurs sondern in der Freizeit, die man gerne miteinander verbrachte, auch mit dem Pianisten Professor Peter Jarchow, der sich daran ebenfalls vor allem erinnert. Was die von Karin Waehner vermittelten Inhalte angeht, wird die Erinnerung kritischer und eine leichte Ironie ist nicht zu ĂŒberhören. Karin Waehner hatte den Anspruch, den Teilnehmenden eine „Wigman-Technik“ zu vermitteln. Da stellte sich aber schon die Frage, ob es diese denn in so ausgeprĂ€gter und autorisierter Weise ĂŒberhaupt gĂ€be. Was dann zudem als „Wigman-Technik“ vorgegeben wurde, ging fĂŒr Hanne Wandkte stark in Richtung Yoga-Übungen mit meditativen Körperhaltungen aus dem Repertoire der Feldenkrais-Methoden. TĂ€nzerisch wurde es vornehmlich mit Anregungen fĂŒr die Teilnehmenden zu Abfolgen von Ausfallschritten und einem Konglomerat verschiedenster Typisierungen. Manche erinnerten an kraftvolle VersatzstĂŒcke, wie man sie von Jean Weidt kannte, aber bei Waehner eben nicht in die fĂŒr ihn so typische Gruppendynamik fĂŒhrten. Als Problem erwies sich auch, dass Waehners Vorgaben nicht so leicht zu befolgen waren, worauf sie zwar Wert legte, was sie aber aufgrund ihrer körperlichen EinschrĂ€nkung nicht immer klar genug zu vermitteln vermochte. Kritische Korrekturen wurden hingegen den Teilnehmenden gegenĂŒber sehr hart geĂ€ußert. Zudem habe es an konstruktiver Inspiration gemangelt. Improvisationen waren nicht erwĂŒnscht, lediglich das Befolgen der eben nicht so einfach erkennbaren Vorgaben. Wenig hilfreich fĂŒr die Teilnehmenden war auch der mehrfach zu spĂŒrende Unterton, dass man ja hier ĂŒberhaupt erst einmal Fundamente fĂŒr modernen, zeitgenössischen Tanz etablieren mĂŒsse. Das war natĂŒrlich gerade an dieser Schule nicht unbedingt von motivierender Wirkung. Immerhin unterrichtete Patricio Bunster seit 1979 in den FĂ€chern Zeitgenössischer Tanz und Choreografie und gehörte ebenfalls zu den Kursleitern dieses Jahrganges; Paluccas Improvisationsunterricht setzte ebenfalls MaßstĂ€be – man war es also durchaus gewöhnt, die KreativitĂ€t der Teilnehmenden zu fordern und somit zu fördern. Aber wenn die Kurse beendet waren, dann war die Stimmung ausgesprochen gut. Man traf sich in großen Runden und ließ die Tage beim gemeinsamen Essen ausklingen.

Im Vorfeld und in Bezug zu den Mary-Wigman-Ehrungen anlĂ€sslich ihres 100. Geburtstages fanden Gastspiele des Ballets Contemporains Karin Waehner aus Paris unter anderem in Dresden und in Berlin-Ost statt.*** In meinen Erinnerungen an das Dresdner Gastspiel im Theater der Jungen Generation ist noch immer prĂ€sent, dass die Erwartungen hoch waren, die EindrĂŒcke dann aber insgesamt eher zwiespĂ€ltig.

Dabei ging es mir nicht so, wie dem Rezensenten der Zeitschrift „Theater der Zeit“, dem es nicht leichtfiel, die Choreografien von Karin Waehner zu verstehen. Ich erinnere mich an gegenteilige EindrĂŒcke. Mir war vieles zu klar, zu direkt. FĂŒr mich wurde immer wieder der politische, antikapitalistische Zeigefinger erhoben, sehr stark in der Choreografie zu den „Wiegenliedern einer proletarischen Mutter“. – Brechts Gedichte in der Vertonung von Hanns Eisler, deren Bebilderung es meines Erachtens nicht bedurfte.

FĂŒr Dietmar Fritzsche in der Ausgabe 12/1986 in der „Festtags- Umschau“ der Zeitschrift „Theater der Zeit“ entstand eine Mischung aus „abstrakt“ und „real“, die auch fĂŒr ihn nicht den „emotionstiefen und anspruchsvollen“ musikalischen Vorgaben entsprach. FĂŒr Ines Köthnig in der SĂ€chsischen Zeitung vom 18.10.1986, die schon in der Überschrift auf ein „Eigenwilliges Ballett im Gastspiel aus Paris“ verweist und in der Unterzeile sogar von einer „Tanzgruppe“ spricht, erschließen sich hier allerdings „Bitterkeit und Kompromisslosigkeit einer Mutter, die trotz aller Nöte ihrem Kind den festen Willen und die Kraft mit auf den Weg gibt, fĂŒr ein spĂ€teres besseres Leben zu streiten“. Insgesamt hat Ines Köthnig vier ganz unterschiedliche Ballette erlebt und macht keine kritischen Anmerkungen. In der Choreografie „Der Traum ein Vogel zu sein“ sah sie Varianten des uralten Menschheitstraumes, tĂ€nzerisch gestische Vielfalt und unterschiedlichste Ausdrucksformen, die sie allerdings nicht ansatzweise zu beschreiben weiß. Wichtig ist ihr, dass zu Bildern „heutiger Bedrohungen unserer Welt“ schrille, elektronische Musik erklingt.

Höhepunkt des Gastspiels war fĂŒr die Dresdner Rezensentin ebenso wie fĂŒr den Berliner Autor die abschließende Choreografie „Die Stufen“ (Les Marches). FĂŒr Dietmar Fritzsche „stehen die Stufen als Sinnbild fĂŒr menschliches Streben ‚nach oben‘ zu kommen.“ BemĂ€ngelte der Kritiker sonst wie bei der Choreografie l’Exode (Auswanderung) „zu oft Ähnlichkeiten in der Bewegung, im Dargestellten, zu verselbstĂ€ndigte Posen und Gesten“ – was fĂŒr ihn insgesamt eine „konfliktgeladene, spannungsvolle Entwicklung des Geschehens“ hemmt – begegnen sich fĂŒr ihn hier auf und im Umfeld der Stufen „unterschiedliche Charaktere und Temperamente mit eigenen, teilweise gegensĂ€tzlichen Zielen“. Der Berliner Rezensent kann sich jedoch letztlich einen ironischen Seitenhieb nicht verkneifen und schreibt: „Immerhin war zu erleben, wie GĂ€nge, SchwĂŒnge aus der HĂŒfte, ‚sprechende‘ Arme in den Dienst einer Aussageabsicht gestellt wurden.“ Die Dresdner Rezensentin sah ebenfalls „egoistische MachtgefĂŒhle, die in jedem Menschen mehr oder weniger ihren Platz haben und die zur GenĂŒge zu Katastrophen gefĂŒhrt haben“. Sie wĂŒrden „auf der BĂŒhne mit beeindruckender Dichte umgesetzt.“ Insgesamt fĂŒr sie „ein eigenwilliger und beeindruckender Ballettabend.“ Meine eigene Erinnerung entspricht allerdings eher der ironischen Zusammenfassung von Dietmar Fritzsche.

Erinnerungen an das Ost-Gastspiel des Ballets Contemporains Karin

Waehner im Oktober 1986

*** Karin Waehner: „Oft denke ich an den 13.10. zurĂŒck u. frage mich, ob ich das alles getrĂ€umt habe! Fred fragte mich am Abend dieses Tages, warum ich nicht glĂŒcklicher aussĂ€he? Wahrscheinlich war es deshalb, weil ich wusste, dass Blumen, Erfolg, Komplimente kein Morgen sehen wĂŒrden. Und so ist es nun auch. Ich bin zu meinem schweren Alltag zurĂŒckgekehrt, unterrichte 21 Stunden in der Woche, Schola u. La Rochelle u. kein Hahn krĂ€ht mehr nach Mary.“ („12.12.1986 an Gruber und Praski“, Fenger, 2017, S. 564)

Über das Choreografieren von Karin Waehner

Sur l‘approche chorĂ©graphique. Elle a eu des approches trĂšs diverses. Au dĂ©but elle a Ă©crit pour les danseurs des partitions de mouvements qu‘elle leur demandait d‘interprĂ©ter, en insistant sur les intentions qui Ă©taient liĂ©es Ă  telle phrase chorĂ©graphique, en lien ou non avec les musiques. MĂȘme dans l‘apprentissage de chorĂ©graphies Ă©crites elle insistait sur le ressenti et l‘implication du danseur.

Puis elle a insistĂ© sur le travail d‘improvisation et demandĂ© Ă  ses danseurs d‘explorer des nuances de mouvements en fonction du thĂšme qu‘elle voulait traiter. Elle partait alors de la forme exposĂ©e par les danseurs et ensuite composait pour donner une forme qui se structurait peu Ă  peu.

Elle a travaillĂ© souvent sur des thĂšmes qu‘elle donnait aux danseurs. Ils improvisaient souvent sans musique et la bande sonore arrivait bien aprĂšs. Il y avait une rĂ©elle connivence entre les danseurs et la chorĂ©graphe. Elle attachait une grande importance Ă  la personnalitĂ© crĂ©atrice de ses danseurs qu‘elle considĂ©rait comme un matĂ©riau qu‘il fallait modeler comme un sculpteur. Ainsi les processus de crĂ©ation Ă©taient chaque fois diffĂ©rents. La durĂ©e du travail Ă©tait chaque fois diffĂ©rente. Il lui arrivait de traiter la matiĂšre pendant de longues semaines, parfois lâ€˜Ă©chĂ©ance qui arrivait la conduisait Ă  travailler dans l‘urgence et elle pouvait demander Ă  ses danseurs un travail oĂč le temps nâ€˜Ă©tait pas comptĂ©. Il fallait arriver au bout.

Tous ses thĂšmes chorĂ©graphiques Ă©taient prĂ©parĂ©s Ă  l‘avance et elle accumulait les documents de recherche soit sous forme de lecture, de peinture, de sculpture, d‘ouvrages oĂč elle puisait sa recherche. Ainsi sa bibliothĂšque Ă  la fin de sa vie Ă©tait comme des strates successives qui s‘appuyaient les unes sur les autres et faisaient apparaĂźtre la diversitĂ© de ses intĂ©rĂȘts et de ses recherches (lectures, musique, objets
).

Pour les reprises de rĂŽle elle s‘appuyait sur des documents filmĂ©s, mais chaque fois elle recrĂ©ait la partition en l‘adaptant Ă  la personnalitĂ© du danseur ou de la danseuse. Elle Ă©tait trĂšs exigeante et en mĂȘme temps trĂšs respectueuse des gens avec qui elle travaillait. Elle Ă©tablissait une relation de confiance telle que chacun donnait le meilleur de lui-mĂȘme. Elle nâ€˜Ă©tait pas intĂ©ressĂ©e par la notion de rĂ©pertoire, mais plutĂŽt par la fonction d‘une recrĂ©ation de ce qui avait eu lieu et qu‘il fallait renouveler pour ne pas sclĂ©roser la forme.

Erinnerungen an die Arbeit mit Karin Waehner

AuszĂŒge aus einem GesprĂ€ch von Heide Lazarus mit Bruno Genty, 2017

Du hast gesagt, dass Karin Waehner manchmal wie ein Dresseur war
 (H.L.) Nicht pĂ€dagogisch! Eher im persönlichen Umgang. (B.G.) Was hieß das konkret fĂŒr dich? (H.L.) Sie hat mein Leben kontrolliert, die QualitĂ€t meines Lebens: Nahrung, Gesundheit, wie eine Mutter. Ich wurde regelmĂ€ĂŸig angerufen, zum Essen bei ihr eingeladen. Und wie war Karin Waehner als PĂ€dagogin? (H.L.) Karins Erfahrung und Haltung war die einer KĂ€mpferin. Das hat sie auch als PĂ€dagogin geprĂ€gt. Sie verlangte eine eigene Forschung, KreativitĂ€t, ExpressivitĂ€t. Sie hatte hohe Interpretationsstandards, beeinflusst von Graham, LimĂłn und Wigman. Man musste sich ihr als Choreographen hingeben. Sie war ein Handwerker - drastisch, despotisch, oft wie in der zeitgenössischen Malerei [
] spontan und gequĂ€lt. [
]

War das Training und das Choreographieren ein gemeinsamer Prozess oder war es getrennt voneinander? (H.L.) Training und Choreografie waren immer getrennt. (B.G.) Hat sie Euch regelmĂ€ĂŸig zum Training bestellt, oder nur zu den Proben? (H.L.) Nur zu den Proben. FĂŒr sein Training war jeder selbst verantwortlich. Training hat sie nur fĂŒr ihre Studenten gegeben. Aber wir könnten an diesem Unterricht teilnehmen. (B.G.)

Wie hat Karin Waehner mit Euch „l’Exode“ und „Les Marches“ erarbeitet? (H.L.) „L’Exode“ in der originalen Version hat sie fĂŒr das Konservatorium von La Rochelle gearbeitet. Es ist eine AnhĂ€ufung von Kombinationen fĂŒr Studenten, vor allem Studentinnen. Dann hat sie fĂŒr die Biennale de Lyon eine neue Version mit uns gemacht. Wir haben einige Schritte gelernt und haben sie auf uns adaptiert – mit unseren technischen Möglichkeiten, mit unseren Persönlichkeiten. Trotzdem war „L’Exode“ ein Kompromiss. Sie brauchte ein StĂŒck fĂŒr das Programm in Lyon und sie wollte oder konnte keine neue Kreation machen. Aber „Les Marches“ war eine richtige Kreation. (B.G.)

Wie hat sie mit dir dabei gearbeitet? (H.L.) FĂŒr „Les Marches“ hat sie meine Partitur auf mich gebaut. Keine Improvisation. Ich habe alle Schritte von ihr gelernt. Ich war AnfĂ€nger, es war meine erste Rolle auf der BĂŒhne. Es war wie eine Dressur. Sie war eine Bildhauerin mit mir. FĂŒr „Celui sans nom“ war es anders. Es gab GesprĂ€che, Improvisation, viel Forschung. (B.G.)

Musstet Ihr einzelne Parts selbst erarbeiten, so wie Ihr jetzt zum Beispiel eure Selbstportraits in WEGEHEN choreografiert? (H.L.) Ich nie (B.G.)

Die TanzpÀdagogin

Karin Waehners Einfluss auf die Tanzerziehung im Rahmen der Leibeserziehung und Sportunterrichts in Frankreich

Ab den 1960er Jahren war Karin Waehner verstĂ€rkt in der Lehre und in der Vermittlung ihres Ansatzes tĂ€tig. In dieser Zeit gelang es ihr, den modern-zeitgenössischen Tanz sowohl an der Schola Cantorum im Rahmen der tanzkĂŒnstlerischen Ausbildung als auch an der damaligen Sporthochschule (ENSEP, École supĂ©rieure d’éducation physique) in die Aus- und Fortbildung von Sport- und Gymnastiklehrer in Paris zu implementieren. Sie gab in der Folgezeit an weiteren französischen Sportinstituten Kurse im Modernen Tanz, in denen sie ihre Lehrmethode vorstellte. Dabei vermittelte sie den Studierenden und LehrkrĂ€ften vor allem ein neues TanzverstĂ€ndnis, welches das kompositorisch-gestaltende Arbeiten im Tanz vor allem durch eine Idee motiviert betrachtete und nicht nur als eine Folge von auf Musik gesetzte Bewegungen.

Durch ihr Engagement in der Lehrerbildung hatte Karin Waehner die Tanzdidaktik sowie den Tanzunterricht an Frankreichs Schulen maßgeblich und nachhaltig beeinflusst. Der von ihr vermittelte Moderne Tanz und das von ihr vertretene didaktische Konzept kam zu einem Zeitpunkt, als „das Rezitieren von Gesten auf einem musikalischen Rhythmus“ zunehmend als ĂŒberholt galt „und es darum ging, einen neuen Blick auf die Ausdruckskraft des Körpers und die kĂŒnstlerisch-Ă€sthetische Bildung zu richten“. Der Impuls, dadurch einen neuen Sportunterricht schaffen zu wollen, geschah in Frankreich zur gleichen Zeit, als fĂŒr die Tanzkunst und akademische TanzpĂ€dagogik durch das Aufkommen des Modernen Tanzes eine neue Dimension anbrach. Die durch die Expression Corporelle-Strömung

beeinflussten didaktischen AnsĂ€tze hatten sich in der Lehrerbildung und im Curriculum im Rahmen der APEX (ActivitĂ©s physiques d’expression) in den 1980er Jahren oder als APA (ActivitĂ©s physiques artistiques) in den 1990er Jahren manifestiert.

„Das plötzliche Eindringen des modernen Tanzes war der Auftakt einer veritablen Revolution in den LeibesĂŒbungen dieser Epoche, in der Konzeption der Bewegung und des sich bewegenden Körpers, und löste innerhalb dieser Schule, einer Flut von Forschungsarbeiten und Überlegungen ĂŒber die körperliche Ausdruckskraft aus. Jenseits der GebĂ€rden des VergnĂŒgens sowie der formalen und analytischen Übungen unserer Gymnastik, die dazu dienen, gelenkig zu werden, Muskeln zu stĂ€rken, besser zu koordinieren und einen Körper mechanisch zu beherrschen (ein ausschließlich biomechanisches

Bewegungskonzept eines maschinellen Körpers) war eine andere BewegungsqualitĂ€t zum Vorschein gekommen. Diese stellt Dynamiken und verschiedenartige Formen her, eine neue Art, sich zu bewegen, seinen Körper zu erleben und zu tanzen.“ (Peix-Arguel, 1990, S. 299, Übersetzung: C.F-B.)

Mit diesen Worten beschrieb beschrieb Mireille Peix-Arguel, die zur ersten Generation der von Waehner ausgebildeten Tanzdozentinnen gehörte, das Auftauchen des modernen Tanzes im Bereich der Körperund Sporterziehung in einem Beitrag fĂŒr das Grundlagenwerk von Jaqueline Robinson zur Entwicklung des Modernen Tanzes in Frankreich (1990).

Foto: Siegfried Prölß, Sommerkurs 1980, © Palucca Hochschule fĂŒr Tanz Dresden

Karin Waehner unterrichtete nach ihrer eigenen Philosophie und Lehrweise, die sich im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einem Konzept verdichtet hat. Dabei wollte sie die Tanzenden fĂŒr einen gefĂŒhlten bzw. verinnerlichten Tanz zugĂ€nglich machen („une danse sentie“ bzw. „une danse intĂ©riorisĂ©e“). Sie war der Auffassung, dass keine Bewegung ohne innerliche Beteiligung geschieht und lehnte daher auch in Übungs- und Trainingsprozessen eine systematische Mechanisierung entschieden ab, denn „in der kleinsten Geste oder in der kleinsten körperlichen Anstrengung [
] das ganze Individuum, der ganze Körper dabei“.

Waehner sah ihren Ansatz in der historischen Traditionslinie der Wegbereiter des Modernen Tanzes und verweigerte somit jede Kodifizierung im Sinne eines Systems. Vielmehr ging sie wie auch ihre Lehrmeisterin Mary Wigman von einem ganzheitlichen Entwicklungsprozess der Vermittlung aus, bei dem individuell-persönliche oder zeitbedingte Entwicklungen des Lebensumfeldes Transformationen hervorrufen, die dann in den tĂ€nzerischen Objektivationen ebenfalls spĂŒr- und sichtbar werden („danse evolutive“). Daher vertrat sie die Einstellung, dass sich ‚ModernitĂ€t‘ jeweils durch die BerĂŒcksichtigung von Zeit und Raum widerspiegeln wĂŒrde. Nach ihrem VerstĂ€ndnis erwĂ€chst und entwickelt sich ein Tanz aus spontan-intuitiven, durch Imaginationen erzeugten Reaktionen. Dieser Prozess fĂŒhrt dann mehr und mehr zu einer Bewusstheit, mit einer Balance von Körper und Geist, die auch SpiritualitĂ€t beinhalten kann. Ausgangspunkt ist jeweils ein innerer Impuls, der die Substanz des Tanzes entdecken lĂ€sst und die dann gesuchten oder erspĂŒrten Bewegungen können entsprechend der Parameter Raum, Zeit, IntensitĂ€t und QualitĂ€ten vielfach variiert werden. Das methodische Vorgehen „Thema mit Variationen“ hatte sie bei Mary Wigman erfahren.

FĂŒr die körpertechnische Ausbildung nutzte Karin Waehner die Bodenarbeit und Elemente aus dem Repertoire amerikanischer Modern Dance-Techniken (Graham, LimĂłn, Cunningham), nicht zuletzt, weil diese in ihrer Bein- und Fußarbeit eine NĂ€he zum Klassischen Tanz

Das tanzpÀdagogische Konzept von Karin Waehner

hatten. In ihrer Lehre hatte sie versucht, eine Symbiose zwischen den Modern Dance-Techniken und der Lehrweise von Wigman herzustellen, indem sie bei der Vermittlung der BewegungsablĂ€ufe und ihrer spezifischen QualitĂ€ten diese weniger unter formalen Gesichtspunkten unterrichtete, sondern vielmehr mit imaginativen Vorstellungsbildern und kinĂ€sthetischen Wahrnehmungserfahrungen verband. So versuchte sie beispielsweise, „den Boden von Grahams Standpunkt her zu betrachten (Rollen, Fallen), ihn aber auch in das Wigman-Universum zu integrieren (indem sie fĂŒr ihn eine emotionale Motivation findet)“. Aus ihrer eigenen Erfahrung als TanzpĂ€dagogin und Choreografin war sie wie Wigman der Auffassung, dass die technischen Herausforderungen vor allem der Entwicklung der TĂ€nzerpersönlichkeit dienen sollten. In ihrem Unterricht nutzte sie das ganze Bewegungsspektrum von SchwĂŒngen, Spiralen und SprĂŒngen sowie die Spannungsskalen und Kategorien des bewegungsanalytischen Laban-Systems (Bewegung, Zeit, Raum, Beziehungen). Diese letztgenannten Analyse-Kategorien bildeten fĂŒr Waehner eine wesentliche Grundlage fĂŒr das Lernen und Choreografieren von Tanz.

Karin Waehner war in Frankreich die erste KĂŒnstlerin, der es gelungen war, in der Tanz- und TanzpĂ€dagogen-Aus- und Weiterbildung von akademischen Institutionen das Monopol des Klassischen Balletts aufzubrechen. Zusammen mit Françoise und Dominique Dupuy wirkte sie noch in den 1990er Jahren in Paris im Rahmen der neu eingefĂŒhrten staatlichen Diplom-Ausbildung fĂŒr Zeitgenössische TanzpĂ€dagogik mit und lehrte in den Vorbereitungskursen zur staatlichen DiplĂŽme d‘Etat-PrĂŒfung. Bis heute finden sich in den Konzepten und Arbeitshilfen zur tĂ€nzerischen Grundausbildung und zur zeitgenössischen Tanzvermittlung des CND Spuren ihrer Lehre

Karin Waehner disparue depuis peu, a dĂ©veloppĂ© l’approche d’une danse Ă©volutive mettant en Ă©vidence une pĂ©dagogie axĂ©e sur l’improvisation et les lois fondamentales du mouvement. Ayant introduit la danse moderne Ă  la Schola Cantorum dĂšs 1958 elle crĂ©e le dĂ©partement danse en 1960 dont elle a assurĂ© la direction jusqu‘à sa mort. D‘autre part elle a Ă©tĂ© Ă  l‘origine du cursus de danse-thĂ©rapie Ă  la Schola Cantorum dont elle a assurĂ© les cours en pĂ©dagogie de la danse.

Karin Waehner, die TanzpÀdagogin

Elle a Ă©tĂ© une pĂ©dagogue fĂ©conde Ă©veillant les personnes Ă  une dĂ©couverte en profondeur de leur dimension humaine et artistique. Son intĂ©rĂȘt pour toute forme de mouvement, pour toute proposition l’a conduite Ă  renouveler sans cesse sa propre maniĂšre d’enseigner. Refusant toute codification qu’elle considĂ©rait comme un systĂšme figĂ©, elle avait, inscrite en elle, cette modernitĂ© qui est avant tout un Ă©tat d’esprit, une prise en compte du temps et de l’espace insistant Ă  temps et Ă  contretemps, sur ce que Wigman disait dĂ©jĂ , Ă  savoir que l’exigence technique est au service du danseur pour sa propre Ă©volution. A travers son itinĂ©raire elle rejoint tous ces courants qui ont traversĂ© le siĂšcle, elle relie l’ĂȘtre dans toutes ses dimensions affirmant que l’art est le grand chemin de la rĂ©alisation de l’homme.

Über die Tanztechnik von Karin Waehner

Il me semble important de signaler que Karin ne parlait pas de technique, mais plutĂŽt de style. Elle n‘a pas cherchĂ© Ă  crĂ©er une mĂ©thode, mais elle a utilisĂ© tous les outils auxquels elle s‘est confrontĂ©e. Dans ses cours elle citait toujours ses sources. Aussi quand elle enseignait la contraction Graham, elle disait cela vient de Martha. Sur les tours et les spirales elle disait c‘est du Wigman. De mĂȘme quand elle travaillait sur la parallĂšle elle disait que cela lui venait de Merce Cunningham. Pour les chutes elle se rĂ©fĂ©rait Ă  Humphrey et Limon. Ainsi elle a su, au fil de ses expĂ©riences, assimiler de nombreux Ă©lĂ©ments qu‘elle a intĂ©grĂ©s dans son enseignement.

Elle Ă©tait extrĂȘmement soucieuse de conduire les danseurs professionnels ou amateurs sur la qualitĂ© de la sensation du mouvement. Ainsi elle a Ă©tĂ© amenĂ©e Ă  parler dĂšs les annĂ©es 1980 d‘une danse Ă©volutive et s‘insurgeait contre une codification du mouvement qu‘elle considĂ©rait comme un abrutissement. La personne Ă©tait pour elle le lieu de l‘incarnation du geste pour exprimer l‘essentiel et rejoindre ce qui est humain dans l‘homme.

Choreografische Arbeitsweisen

Tanz und Alter(n) als Teil des Lebens und Alter(n) s insgesamt ist in der westlichen Kultur ein lange Zeit unbeachtetes, nahezu tabuisiertes Thema gewesen. Zumindest in Europa ist dieses Thema erst in jĂŒngster Zeit – und dies ist sicher auch den hiesigen demografischen Entwicklungen und deren Spiegelungen in Politik und Medien geschuldet – in grĂ¶ĂŸerem Maße von TĂ€nzer, Choreografen und auch der Kulturpolitik ‚entdeckt‘ worden. Das Nederlands Dans Theater III hat es Anfang der 1990er zumindest fĂŒr ein paar Jahre vorgemacht. Zunehmend mehr Choreografen fielen ebenfalls mit Arbeiten nicht nur ĂŒber das Alter, sondern mit Ă€lteren TĂ€nzern auf und das unter anderem aus Bundesmitteln geförderte „Modellprojekt“ DANCE ON fĂŒr TĂ€nzer und TĂ€nzerinnen ĂŒber 40 verankerte das Thema auch im tanzkulturellen Mainstream.

Drei Aspekte scheinen auf den ersten Blick leitend zu sein beim Tanz rund um das Alter(n): erstens die Betonung des Erfahrungsaspektes Ă€lterer TĂ€nzer und TĂ€nzerinnen – gegenĂŒber deren vermeintlich nachlassenden körperlichen FĂ€higkeiten; zweitens der intergenerationelle Austausch, der vielfach mit Fragen des tanzkulturellen Erbes – einem weiteren aktuell relevanten und auch geförderten kulturpolitischen Thema – in Verbindung steht; und drittens die zunehmende Arbeit mit Laien. Dass dabei ein vierter Aspekt nicht immer –und meines Erachtens noch viel zu wenig – zum Tragen kommt, scheint auffĂ€llig: die Erforschung des alt(ernd) en Körpers, die – gegenĂŒber einer oftmals biographisch motivierten, mitunter auch narrativ abgerundeten Reflexion eines Lebens – den Körper in seiner MaterialitĂ€t und Endlichkeit zur Disposition stellt.

TatsĂ€chlich wird beim Thema „Alter der Prozess des Alterns“ oftmals weniger in den Blick genommen, als vielmehr das „Alter als Stereotyp und Drama“ in Szene gesetzt. Schon 1970 stellte die Schriftstellerin Simone de Beauvoir in ihrem mĂ€chtigen Essay „Das Alter“ (Originaltitel: „La Vieillesse“) fest, das Thema des Alters sei in der Literatur seit dem alten Ägypten immer als Stereotyp behandelt und der alte Mensch wie unter Schablonen begraben worden, so dass man weder das Alter noch sich selbst darin erkennen könne. Da kann es durchaus fruchtbar sein, den „Skandal der Endlichkeit“, wie der Altersforscher Gerd Göckenjan es in seinem im Jahr 2000 erschienen Buch „Das Alter wĂŒrdigen: Altersbilder und Bedeutungswandel des Alters“ eher pejorativ gefĂ€rbt formuliert, als Potenzial einer sich der eigenen VergĂ€nglichkeit bewusstwerdenden Lebendigkeit hervorzukehren – unabhĂ€ngig vom eigentlichen Alter. Und wo könnte dies besser gelingen, als in der körperbasierten, ja, sogar körperfokussierten Kunstform Tanz, in der man es neben modellhaften Idealkörpern eben auch und basal mit Leibern zu tun bekommt, gerade wenn diese ihr Alter(n) nicht zu verhehlen haben. Da kann Alter(n) plötzlich und unverhofft wieder alle (be-)treffen.

Der Tanz um das Alter(n)

Veronika Darian

Veronika Darian, Juniorprofessorin fĂŒr Theaterwissenschaft transkulturell am Institut fĂŒr Theaterwissenschaft der UniversitĂ€t Leipzig. Aktuell vor allem mit den Themen Biografie und Theater, Alter(n)s- und Fremdheitsforschung beschĂ€ftigt. http://theaterwissenschaft.gko.uni-leipzig.de

Stichpunkte zur Musik im Tanz des 20. Jahrhunderts

Karin Waehner kam als SchĂŒlerin von Mary Wigman aus einer Tanztradition, die sich von der Musik emanzipiert hatte. Bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts gab es Tanz ohne Musik, TĂ€nzerinnen und TĂ€nzer begleiteten sich selbst auf Perkussionsinstrumenten, getanzt wurde zu Lyrik-Rezitation und Choreografien entstanden vor ihrer Musikbegleitung, so dass ein Komponist zunĂ€chst Rhythmus und wechselnde Metren des Tanzes niederschreiben musste, um sodann eine Komposition innerhalb dieser Vorgaben zu schaffen. Kurz: die Musik war nicht mehr notwendigerweise taktangebend. Die Choreografen schufen autonome Körperrhythmen.

In den folgenden Jahrzehnten nutzten die Choreografen gern Musikaufnahmen, die ihnen UnabhĂ€ngigkeit von anwesenden Musikern erlaubte, was auch finanzielle Vorteile hatte. Alle Musikstile waren so verfĂŒgbar und populĂ€re Musikrichtungen wurden ebenso fĂŒr BĂŒhnentanz eingesetzt wie Ballettmusik. Anhand von Musik auf Reproduktionsmedien – also Schallplatten, TonbĂ€ndern, CDs und digitalen Audiomedien – konnten Choreografen unmittelbarer mit Musik umgehen. Sie stellten Collagen aus unterschiedlichen Musikstilen zusammen.

Aber auch in direkter Zusammenarbeit mit Komponisten entstanden weiterhin neue Kompositionen. Karin Waehner schuf laut ihrem Werkverzeichnis Choreografien auf Musik ihrer kompositorischen Zeitgenossen, wie Mauricio Kagel – den sie möglicherweise noch in Argentinien kennen gelernt hatte, bevor beide nach Europa kamen –, Bruno Maderna oder Iannis Xenakis – der wie Waehner als Migrant in Paris lebte. Wie genau zusammengearbeitet wurde und welchen Austausch es gab, muss noch erforscht werden.

Aufschlussreich in Hinsicht auf ihren Musikeinsatz sind die Erinnerungen des TĂ€nzers Bruno Genty bezĂŒglich Waehners Vorgehen in „Celui sans nom“ (1990). In einer Findungsphase improvisierten Choreografin und TĂ€nzer teils ohne Musik, teils mit verschiedenen Musiken. Musik setzte Waehner dabei zur Entwicklung einer speziellen Stimmung oder eines emotionalen Ausdrucks ein. Genty erinnert sich an Kompositionen von Paul Hindemith und Lieder von Franz Schubert, an afrikanische Perkussionsmusik und ungarische Volksmusik. Anhand dieser Musiken wurden die einzelnen Teile entwickelt und zusammengesetzt, so dass die Choreografie auf eine Reihe aneinandergeschnittener, sehr unterschiedlicher MusikstĂŒcke fertiggestellt wurde. Diese Musik war nur vorlĂ€ufig, so wie ein Kinofilm oft auf einen Temp-Track, einen temporĂ€ren Musiktrack aus prĂ€existenter Musik geschnitten wird, die dann zugunsten einer komplett neuen Komposition aus einer Hand entfĂ€llt. Waehner nennt diesen Umgang mit Musik in ihrer Veröffentlichung 1993 eine mögliche Quelle von Überraschungen und SchĂ€tzen fĂŒr die choreografische Arbeit. Sie hat die verschiedenen Umgangsformen mit Musik – von musiklosem Tanz ĂŒber die Zusammenarbeit mit Komponisten bis zur Choreografie auf prĂ€existente Musik – theoretisch reflektiert und praktisch umgesetzt. Damit ist ihr Schaffen exemplarisch fĂŒr den Musikeinsatz im modernen Tanz der zweiten HĂ€lfte des zwanzigsten Jahrhunderts.

Julia H. Schröder, promovierte Musikwissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkten in Musik des 20. Jahrhunderts, Klangkunst, Musik und Tanz sowie Sound Studies. Hierzu liegen verschiedene Veröffentlichungen vor.

Hören mit dem Muskelsinn – oder: wieviel Musik braucht der Tanz?

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Bedeutung der Musik fĂŒr tĂ€nzerische Ausdrucksformen bzw. choreographische Prozesse radikal in Frage gestellt. Freilich ist diese Entwicklung als Reaktion, genauer: Gegentendenz zu der (Musik-)Tradition der klassisch-romantischen BallettĂ€sthetik zu verstehen – und hat vor diesem Hintergrund auch ihre Berechtigung. Dennoch wurde und wird rund um den Globus zu Musik getanzt – und das betrifft keineswegs nur den BĂŒhnentanz. Gerade in populĂ€ren Musik-/Tanzpraxen wird die Rezeption bzw. die Perzeption von Musik scheinbar selbstverstĂ€ndlich mit (Körper-) Bewegungen verbunden. Es handelt sich hierbei also keineswegs um ein kulturell und historisch gebundenes Konstrukt, sondern ein kulturanthropologisches PhĂ€nomen, dessen AusprĂ€gungen zeitlich und rĂ€umlich/geographisch gebunden sind. Wie lĂ€sst sich das erklĂ€ren?

UnabhĂ€ngig von der Frage, ob Musik tatsĂ€chlich eine Bewegung ist bzw. ihr Bewegungen (letztlich physikalische Schwingen) zugrunde liegen, verstehen bzw. konzeptualisieren wir Musik (kognitiv) als Bewegung. Es handelt sich dabei allerdings keineswegs um einen Konzeptualisierungsprozess, der ausschließlich in unserem Gehirn stattfindet, sondern der durch neurophysiologische VorgĂ€nge in unserem gesamten Körper ausgelöst bzw. ‚getriggert‘ wird. Anders gewendet: Wir hören nicht nur mit unseren Ohren, sondern fĂŒr die Verarbeitung auditiver Reize sind ebenso sich ĂŒber unseren gesamten Körper erstreckende Propriozeptoren, die die Wahrnehmung unserer eigenen Bewegungen und Bewegungskoordination in Relation zu unserem Umraum steuern, verantwortlich. Unter dieser Voraussetzung erscheint es umso dringlicher, Hören nicht als eine Universalie hinzunehmen, sondern zwischen unterschiedlichen Hörmodi zu differenzieren.

In Hinblick auf den Tanz erscheint mir ein spezifisch körperliches Bewegungshören – ein situiertes Bewegungshören bzw. Embodied Movement Listening – von Interesse, das Musik in Bewegung, zu Bewegung und als Bewegung erlebt und versteht. Dabei kann die Musik hörbar, kaum noch oder nicht (mehr) hörbar beziehungsweise ausschließlich in einer inneren Vorstellung prĂ€sent sein. Zudem können die (Körper)Bewegungen sichtbar wie unsichtbar, d.h. imaginĂ€r sein. Dieses Hören umschreibe ich auch als ein kinĂ€sthetisches Hören im Gegensatz zu einem kinetischen Hören, bei dem die Musikwahrnehmung unmittelbar mit einer deutlich erkennbaren physischen Bewegung gekoppelt ist, die mit ihr kongruiert, weil der musikalische Rhythmus zu einem Bewegungsmotor avanciert. Seit der Tanzavantgarde des frĂŒhen 20. Jahrhunderts schienen sich die TĂ€nzer und Choreografen zunehmend gegen dieses gleichsam instinktiv-reflexartige, kinetische Hören zu wehren, um stattdessen umso mehr SensibilitĂ€t fĂŒr ein kinĂ€sthetisches Hören zu entwickeln und es kĂŒnstlerisch-kreativ zu gestalten. Eine rigorose Ablehnung von Musik fand nur in EinzelfĂ€llen statt. Sie scheint sich unserer körperlichen Wahrnehmungskonstitution zu widersetzen, die – nicht nur in kĂŒnstlerischen Prozessen – gerne alle Sinne ins Spiel bringen möchte.

Stephanie Schroedter, habilitierte Tanz- und Musikwissenschaftlerin, derzeit Leiterin eines von der Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts zu „Körpern und KlĂ€ngen in Bewegung“ zur Erarbeitung von Modellen einer musikchoreografischen Inszenierungs- und klangperformativen AuffĂŒhrungsanalyse.

Weitere Erinnerungen des TĂ€nzers

Bruno Genty an die Arbeit mit Karin Waehner fĂŒr „Celui sans nom“ (1989/90):

„FĂŒr mich war die choreografische Komposition von Karin spontan, unbedarft, sie folgte ihren Emotionen und ihrer Intuition. Sie hatte sicherlich einen Plan. Das erkennt man ja auch an ihren NotizbĂŒchern. Aber sie hat immer erst an Einzelsequenzen und einzelnen QualitĂ€ten gearbeitet Die Gesamtkomposition kam immer ganz am Ende. Wie bei einem Puzzle. So war es auch mit der Musik. [
] Als das Solo fertig war, haben wir es dem Musiker zusammen mit den Kassetten von Karin prĂ€sentiert. Er betrachtete zuerst das Solo und hörte Karins musikalische VorschlĂ€ge und rhythmischen Forderungen. Ich nahm auch an der Diskussion teil. Dann improvisierte er zu meinem Solo am Klavier und machte sich Notizen. SpĂ€ter hatten wir dann seine Musik auf Kassette und begannen, die Treffpunkte zwischen Musik und Tanz zu fixieren. Ich erinnere mich, dass Karin und ich um einige VerĂ€nderungen baten, die sich auf Dauer und IntensitĂ€t bezogen. Wichtig war fĂŒr Karin und mich vor allem, dass die Musik auf die Bewegung trifft. FĂŒr dieses Solo habe ich damit zwar musikalische Referenzen, aber ich muss der Musik nicht folgen. Ich fĂŒhle immer, dass die Musik mir folgt. Ich hatte eine Freiheit der Wahrnehmung von Musik, entsprechend meiner Erinnerungen und GefĂŒhle. Das Publikum sieht sicherlich eine andere Geschichte, wichtig bleibt aber die IntensitĂ€t.“

(Bruno Genty zur Celui sans nom-Arbeit 1990 an Heide Lazarus, 2017.)

Aus Karin Waehner/ Odile

Cougoule, „Outillage chorĂ©graphique“, 1993

ĂŒbersetzt von Claudia Fleischle-Braun

„TraditionsgemĂ€ĂŸ tanzt man „auf die Musik“. [
] Jedoch kann sich das VerhĂ€ltnis zwischen Tanz und Musik nicht auf diese einfache zeitlich bestimmte Bindung beschrĂ€nken. Wenn man sich entscheidet, mit Musik zu arbeiten, dann muss man akzeptieren, ihr einen Platz im choreografischen Aufbau zu geben und sie nicht nur als ein Zubehörteil zu betrachten, sondern als integrierender Bestandteil des Werks.“ „Eine aufgezeichnete Musik zu wĂ€hlen bedeutet, sich einem bestimmten Stil anzupassen: Schönberg, Satie, [
].

„Andererseits bietet die Stille alle Möglichkeiten. Die Stille ist nicht die Abwesenheit des Tons. Sie verleiht dem Tanz einen geheimnisvollen Anblick [
]. Schweigend zu arbeiten, das bedeutet allein zu sein. Aus der Stille können Töne entstehen: Atmen, das Klopfen der FĂŒĂŸe auf den Boden, der Fall, das Stöhnen, 
einen Rhythmus mit den Tönen schaffen, die Stille interpunktieren. Schweigend in Gang kommen und die Musik in der Folge kommen lassen, 
 ALLES IST MÖGLICH! [...]“

(S. 25-26, mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen und Jean Masse)

Gedankenschnipsel | Zeitgenössischer Tanz?

„Dass ich zum Beispiel nicht zwischen dem, was â€șmodernâ€č ist und dem, was â€șzeitgenössischâ€č oder vielleicht gegenwĂ€rtig ist, unterscheide. Manche TĂ€nzer [
] werden es mir verĂŒbeln (
).“

„FĂŒr mich gibt es erst einen zeitgenössischen Tanz, seitdem zu Anfang dieses Jahrhunderts die Idee einer nicht ĂŒberlieferten gestischen Sprache aufkam.“

|Laurence Louppe (1997, dt.: 2009)

„Der Zeitgenössische Tanz versteht sich nicht auf der Basis nur einer Technik oder Ă€sthetischen Form, sondern aus der Vielfalt heraus. Er sucht GrenzĂŒberschreitungen zwischen den KĂŒnsten und bricht immer wieder mit vorhandenen Formen. Zeitgenössischer Tanz in diesem Sinne hat eine offene Struktur, die sich bewusst von festgelegten, linearen EntwĂŒrfen der Klassik und Moderne distanziert. Zeitgenössische TĂ€nzer und Choreographen verstehen ihre Arbeit als Suche, als Entwicklung. Dabei spielt der Prozess der Arbeit eine entscheidende Rolle.“

|Johannes Odenthal (1998

Du musst dich jeden Moment auf der BĂŒhne fragen: Was tust Du hier? Es gibt keinen durchgĂ€ngigen Schutz von Vorgaben. Jeder Moment ist Regie. Wir mĂŒssen umgehen lernen mit LĂŒcken, Unterbrechungen, Wiederholungen. Es geht nicht um eine Kopie des Alltags, sondern um eine Konstruktion von Alltag und eine Phantasie von Leben – aber eben nicht mit unserem Sprechen, sondern mit unseren Bewegungen. Das ist fĂŒr uns ein Zeitgenössischer Tanz; er nimmt die Techniken des Modernen Tanzes auf. Jeder muss sie selbst zusammensetzen. Es gibt keinen Schutz in nur einer Technik. Du musst mehr in deinen Rucksack tun. Du musst auf der Hut sein. Ein einsames Arbeiten. Eine Überforderung. Du musst eine Lösung finden – jeder fĂŒr sich. Das ist auch Karin Waehner.

Karin Waehner-Team 2018

Michal Freriks, aus der Aktion von K3 - Zentrum fĂŒr Choreographie | Tanzplan Hamburg, 2017

TransnationalitÀt & Wandel in Europa

Zum „Bewegungsangebot“ einer Stadt wie Gleiwitz, dem Geburtsort von Karin Waehner, gehörte – wie fĂŒr alle grĂ¶ĂŸeren StĂ€dte des deutschsprachigen Raums der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts – selbstverstĂ€ndlich auch „Mensendieck“. Die fĂŒr Gleiwitz zustĂ€ndige Mensendieck-Lehrerin war Waehners Mutter! Dass am Beginn der Biographie von Waehner also der Name Bess M. Mensendieck (1864–1957) steht, kann vielleicht noch mit familiĂ€rer NĂ€he erklĂ€rt werden. Den Namen in Zusammenhang mit Rosalia Chladek zu hören, belehrt einen aber eines Besseren, denn jetzt erst wird der wahre Stellenwert von Mensendieck fĂŒr das Werden des Modernen Tanzes im deutschsprachigem Raum klar. Auf die – freilich erst in spĂ€ten Jahren – gestellte Frage, auf welchem Körperkonzept ihr System nun eigentlich beruhe, antwortete Chladek gelassen: „Auf Bess Mensendieck!“. Bekannt ist beispielsweise ebenfalls, dass Dorothee GĂŒnther, die ihre Schule zusammen mit Gunild Keetman und Carl Orff in den Zwanzigerjahren in MĂŒnchen aufbaute, Mensendieck-Absolventin war und dass auch an der Wigman-Schule in Dresden zur gleichen Zeit PĂ€dagoginnen lehrten, die eine Mensendieckausbildung absolviert hatten.

Zentrum der Mensendieck-Bewegung war freilich Berlin, wo das Zentralinstitut zur Ausbildung von Gymnastiklehrerinnen nach dem Mensendieck-System florierte und folglich bereits auch SchĂŒlerinnen der amerikanischen Ärztin hollĂ€ndischer Abstammung selbsttĂ€tig lehrten. Schon 1906 hatte Mensendieck in Deutschland ein Buch ĂŒber Körperkultur veröffentlicht, das bisher in acht Auflagen erschienen ist. Und dass sie auch in der französischen Hauptstadt zugegen war, erfĂ€hrt man aus verschiedenen Quellen, darunter auch im Buch von Jacqueline Robinson, der engen Mitarbeiterin von Waehner im Paris der FĂŒnfzigerjahre.

Der Tanzmoderne die Körperbasis gegeben – Bess M. Mensendieck

Wer also war Mensendieck? Und welche Bedeutung kommt ihrem pĂ€dagogischen Wirken zwischen der Jahrhundertwende und der MachtĂŒbernahme der Nationalsozialisten zu?

Heute oft und leicht irrefĂŒhrend nur als Teil der „Gymnastikbewegung“ gesehen, wurde Mensendiecks Köperkonzept – das letztlich im amerikanischen Delsartismus wurzelnd – die Basis fĂŒr die Formierung von kĂŒnstlerischer „Körperbildung“. Dies deswegen, weil es insbesondere Frauen geholfen hatte, sich der „Ummantelungen“ des 19. Jahrhunderts zu entledigen. Dadurch war die Möglichkeit gegeben, jene Körperfunktionen zu erspĂŒren und zu gestalten, die die Basis von Mesendiecks Lehre waren. Durch das gewonnene Körperbewusstsein und das daraus entstandene körperliche Fundament konnten die großen Bewegungsutopien des frĂŒhen 20. Jahrhunderts – die Rhythmusbewegung oder die Lehren von Rudolf von Laban –realisiert werden. Diese These wissenschaftlich zu belegen, dazu das Tun von Mitstreiterinnen oder SchĂŒlerinnen von Bess Mensendieck (etwa Hedwig Kallmeyer, Hedwig Hagemann, Elsa Gindler) zu beleuchten, wĂ€re ein dringliches Forschungsanliegen der nĂ€chsten Zeit.

Gunhild Oberzaucher-SchĂŒller, Dr., Tanzhistorikerin, Autorin zahlreicher Publikationen, verantwortlich fĂŒr den Tanzteil von „Pipers EnzyklopĂ€die des Musiktheaters“, Ausstellungskuratorin, internationale VortragstĂ€tigkeit. Lehrte an den UniversitĂ€ten Wien, Bayreuth und Salzburg und leitete die Derra de Moroda Dance Archives.

Tanz als Kunstform in der Schweiz?

Die BĂŒhnentanzgeschichte der Schweiz unterscheidet sich deutlich von der gewohnten Abfolge der Epochen in Europa. Denn sie begann hier ĂŒberhaupt erst nach 1900. Besser: Am Genfer Konservatorium gab damals Èmile Jaques-Dalcroze den Anstoß zur Schulung des Körperrhythmus. Und in der Deutschschweiz wurde durch die Labanschulen auf dem Monte VeritĂ  und in ZĂŒrich eine Ausdruckstanz-Lawine losgetreten.

Dass die heute unter dem Begriff des „Ausdruckstanzes“ zusammengefasste neue TanzĂ€sthetik bis zur Jahrhundertmitte dominierte und den zeitgenössischen Tanz spĂ€ter stark beeinflusste, hĂ€ngt meiner Meinung nach mit der Schweizer MentalitĂ€t zusammen. Die ReformpĂ€dagogik, das Postulat der NatĂŒrlichkeit und die Fokussierung auf Freiheit, Selbstbestimmung und IndividualitĂ€t machten ihn attraktiv. Im

Gegensatz zu Deutschland und Österreich blieb der Ausdruckstanz politisch immer unabhĂ€ngig, wurde weder gefördert noch instrumentalisiert oder zensiert. Und der 2.Weltkrieg verĂ€nderte zunĂ€chst wenig: Pionierinnen wie Suzanne Perrottet in ZĂŒrich und Katja Wulff in Basel unterrichteten bis ins hohe Alter weiter.

Zu den Internationalen

Sommerkursen des Schweizerischen Berufsverbands fĂŒr Tanz und Gymnastik (SBTG, 19461988) in Interlaken, Magglingen und ZĂŒrich kamen in den ersten Jahren vor allem die KoryphĂ€en des Ausdruckstanzes, also Rudolf von Laban, Mary Wigman, Kurt Jooss, Sigurd Leeder, Rosalia Chladek und Harald Kreutzberg. Im Rahmen der Sommerkurse traten Dore Hoyer 1956 und die Jooss-SchĂŒlerin Pina Bausch 1958 mit eigenen TĂ€nzen auf. Doch schon 1949 gab Hans ZĂŒllig auch den Kurs „Klassisches Training fĂŒr moderne TĂ€nzer“. „Klassisches Ballett“ hieß dann das Fach ab 1950, das von Mme Nora aus Paris, Vera Karalli und Victor Gsovsky unterrichtet wurde. Das Fach „Modern

Dance“ begann 1955 mit Anna Sokolov und wurde danach von Laura Sheleen, Alwin Nikolais, Pearl Lang, Annemarie Parekh-Rychiger und Yuriko fortgefĂŒhrt.

Neben den zu Beginn einzigartigen Sommerkursen entstand seit den frĂŒhen 1950er Jahren sukzessiv ein Nebeneinander unterschiedlicher Tanzstile. Der Ausdruckstanz indes verlor seine VitalitĂ€t nicht: Kreutzberg unterrichtete 1955-68 in Bern, und Leeder gab 1964-81, unterstĂŒtzt von Grete MĂŒller sein immenses Wissen an der Sigurd Leeder School of Dance in Herisau weiter. Ihre SchĂŒler entwickeln das Erbe individuell weiter.

Eine eher rudimentÀre

Ausbildung in akademischem Tanz war bekannt. Neu war jedoch die Entdeckung der Ballettklassiker auf den BĂŒhnen in Basel, Genf und ZĂŒrich, bald gefolgt von der Neoklassik. Auch das Interesse fĂŒr Modern Dance verbreitete sich: Tanzschaffende wie Alain Bernard und Annemarie Parekh eigneten sich Jazz-Tanz und Graham Technik in New York an und

grĂŒndeten dann in Bern ihre Schulen. 1980 eröffnete Noemie Lapzeson ihr Studio in Genf. Die Gleichzeitigkeit der heterogenen Tanzformen machte die 1970er und 1980er Jahre besonders spannend und fruchtbar. Die Formen rieben sich aneinander, vermischten sich mit EinflĂŒssen des deutschen Tanztheaters und der Post-Moderne. Und damit setzte auch der Aufbau einer erfolgreichen Freien Szene ein, die sich schweizweit

Ursula Pellaton, Dr., Ballettkritikerin, Kulturjournalistin, Autorin tanzhistorischer Recherchen. Dozentin fĂŒr Tanzgeschichte an der Tanz Akademie ZĂŒrich der ZĂŒrcher Hochschule der KĂŒnste. Mitarbeit am Projekt Schweizer Theaterlexikon und am „Historischen Lexikon Schweiz“.*** Fachreferentin des SAPA, Schweizer Archiv der Darstellenden KĂŒnste (vormals Schweizer Tanzarchiv).

*** http://tls.theaterwissenschaft.ch | http:// www.hls-dhs-dss.ch

Zitate aus Briefen von Mary Wigman an Karin Waehner zur transnationalen Arbeitssituation nach 1945

„Überlege mir auf welche Weise ich Dir zu einer Freistelle im Schweizer Sommerkurs verhelfen könnte. Es wĂŒrde aber nur eine Freistelle fĂŒr die Kursteilnahme herauskommen können. Nicht fĂŒr Reise und Aufenthalt.“ (09.04.1953, in Fenger, 2017, S. 498).

„Margret Dietz ist allem Anschein nach sehr glĂŒcklich drĂŒben. Aber die Arbeit an einer gut fundierten Univer=sitĂ€t in der Verbindung mit Musik- und Schauspielabteilungen ist ja auch anders gelagert, als die an einer Privaten Schule, die sich ganz auf tĂ€nzerische und gymnastische Aufgaben stĂŒtzen muss. Und drĂŒ=ben wohl auch noch in ganz ande=rem Maasse als bei uns, die Laien [unterstrichen] Arbeit zu berĂŒcksichtigen hat. Ich kann Dir also weder zu- noch abraten, Karin. [
] Ich kann es nur zu gut verstehen, dass Du an der persönlichen Freiheit des Arbeitens hĂ€ngst, und Dir dabei oft genug das Wasser bis zum Halse steht.“ (08.05.1954, in Fenger, 2017, S. 504-505).

„Diese komischen Amerikaner! Dass sie aus der Tatsache einer ostzonalen Geburt –wobei dieses staatliche Gebil=de ja knapp 10 Jahre alt ist! – eine Art Verbrechen konstituieren und das Einreisevisum verweigern! [
] Bei Dir tut es mir so besonders leid, weil ich Dir diesen unmittelbaren Sprung in die andere Welt so sehr gewĂŒnscht hĂ€tte. Weiss ich doch dass Deine persönliche Empfangsbereit=schaft und Deine kĂŒnstlerische Ehr=lichkeit so Hand in Hand gehen, dass Du alle Anregungen richtig ausarbeiten wĂŒrdest.“ (1955, in Fenger, 2017, S. 510)

„Dass man nach langer Totalverausgabung mal in einen Zustand [
] der MĂŒdigkeit gerĂ€t kann, bei Gott, passieren. Aber ich frage mich oft ob es nötig oder gar richtig ist, die TĂŒren hinter sich zumachen zu wollen, und partout wo anders etwas Neues anfangen zu mĂŒssen. Du hast Dir in Paris einen Hintergrund geschaffen, der Dich trĂ€gt, vergiss es nicht.“ (26.01.1971, in Fenger, 2017, S. 533)..

Foto: Josephine Fenger, „Karin Waehner im Pariser Studio der TĂ€nzerin Rose-Marie Paillet (ca. 1958 – seit 1958 lehrte Waehner dort). Paillet traf Waehner und Robinson 1954, folgte ihnen in einen Sommerkurs bei Wigman in Berlin und tanzte in Waehners Compagnie. Vgl. Robinson (wie Anm. 55), S. 275f.“ (in Fenger, 2017, S. 521).

Screenshot von https://prezi.com/ytuxy5kzm2sa/ausdruck-mobil-von-ms-schrittmacher vom 5.3.18) PREZI Dokumentation/PrĂ€sentation zu AUSDRUCK-MOBIL - eine Recherche-Installation der MS Schrittmacher ĂŒber die Emigration und Flucht deutscher AusdruckstĂ€nzerInnen. Produziert im Rahmen des POST-Ausdruckstanz Festivals im DOCK 11 in Berlin 2015. Information zum Projekt und den Beteiligten: http://www.msschrittmacher.de/ausdruck-mobil/

Die Nachkriegszeit im Tanz stand in Deutschland im Zeichen verfeindeter Lager: Hier das aufstrebende klassische Ballett, dort der durch die Nazis verdrĂ€ngte Freie, Neue oder German Dance, deren Individualisten – Dore Hoyer, Harald Kreutzberg, Manja ChmiĂšl, Roger George, Marianne Vogelsang – auf Off-BĂŒhnen knapp ĂŒberlebten. Gefördert wurden sie nicht. - Diese Stiltrennung gab es in England und USA lĂ€ngst nicht mehr. - Tatjana Gsovskys hochdramatische Ballette mit expressionistischem Flair und halsbrecherisch modernen Kompositionen von Blacher, Klebe, Nono und Henze bestimmten in Berlin die Avantgarde. Die RusslandflĂŒchtige profitierte von der einst revolutionĂ€ren Kraft des Ausdruckstanzes, sparte aber nicht mit Spott fĂŒr die „TieftĂ€nzer“ in Opposition zu ihren „HochtĂ€nzern“. 1957 studierte Mary Wigman mit Gsovskys OperntĂ€nzern Strawinskys „Sacre“ ein, Dore Hoyer als „ErwĂ€hlte“. Eine gelungene Liaison. In der Folkwang-Hochschule entwickelte Kurt Jooss indes mit Labans Choreutik, auf klassischer Basis, die Grundlage fĂŒr das, was in den 1970er Jahren erblĂŒhte: das Tanztheater neuen Stils um Pina Bausch, Reinhild Hoffmann, Susanne Linke...

In Berlin wurde die Trennung der Metiers 1961 durch den Bau der Mauer auch politisch manifestiert. Das knapp subventionierte Dahlemer Studio der alternden Mary Wigman war zwar noch immer ein Magnet fĂŒr US-Studenten, doch das Klientel aus dem sowjetischen Sektor blieb aus. Zuvor war bereits Marianne Vogelsang in den Ostsektor nach Weißensee gegangen. Statt ihrer wurde die Tschechin Manja ChmiĂšl - ab 1946 bei Wigman in Leipzig ausgebildet - 1952 die Assistentin von Mary Wigman, nachdem sie sich von den Ballets Jooss gelöst hatte. ChmiĂšl gehörte mit ihrer erdigen, glutvoll-rhythmischen QualitĂ€t zu den stĂ€rksten Inspiratoren der neuen Generation und zu einem Katalysator dessen, was heute Zeitgenössischer Tanz genannt wird. Sie verwendete fĂŒr ihre raumdynamischen Solo- und GruppentĂ€nze meist elektronische Musik. Nicht zuletzt auch Cunninghams erstes Berlin-Gastspiel hatte bei den Studenten die Lust an Abstraktion und Reduktion entfacht – contra Pathos und Emotion.

1962 grĂŒndeten drei Wigman-Absolventen die Gruppe MOTION (Brigitta Herrmann, Inge Katharine Sehnert, Hellmut Gottschild), kurz darauf folgte Manja ChmiĂšl mit der Gruppe Neuer Tanz Berlin. Ihr Pamphlet „Mein Tanz ist nicht Ausdruckstanz“ prĂ€zisiert, wie sie ihre Kunst sah: „Ich will, dass die Struktur meiner TĂ€nze mit der Struktur unserer Zeit identisch ist...“ Folglich trennten sich Wigman und ChmiĂšl, die ihr eigenes Studio eröffnete (bis 1968). 1967 schließt das Wigman-Studio; viele Kritiker formulieren ihr UnverstĂ€ndnis fĂŒr den Neuen Tanz; das Publikum schwindet. MOTION wanderte nach Philadelphia aus. Erfolgreich! „Ableger“ grĂŒndeten 10 Jahre spĂ€ter die Tanzfabrik Berlin. Dore Hoyer wĂ€hlte den Freitod. Manja ChmiĂšl zog sich knieverletzt nach Hannover zurĂŒck und unterrichtete bis 2005 vor allem Laien. Auf ihrem Weg von Japan nach New York suchten Eiko&Koma bei ihr nach den Wurzeln des Ausdruckstanzes. Gerhard Bohner – oft Gast im Wigman-Studio und Gsovskys markantester CharaktertĂ€nzer – profilierte sich indes als Fusions-Choreograph. Er brach mit spektakulĂ€rer Pionierarbeit aus den OpernballettzwĂ€ngen aus und grĂŒndete 1972 sein erstes Tanztheater an einem subventionierten Theater; Pina Bausch folgte 1973. SpĂ€ter förderte die Akademie der KĂŒnste West Bohners freie solistische Erforschungen. Die BĂŒhne im Hansaviertel war in den 1960er Jahren Heimat der frĂŒhen Freien Szene, seit den 1970er Jahren avancierte sie zum Kultort fĂŒr die internationale Szene des zeitgenössischen Tanzes und der Freien Szene in Berlin, die sich erst nach der GrĂŒndung der Tanzfabrik 1978 wieder lebendig zeigte.

Abstraktion und Reduktion contra Pathos und Emotion –

Die 1960er Jahre im deutschen Tanz

Irene Sieben

Irene Sieben, TĂ€nzerin, TanzpĂ€dagogin, Feldenkrais-Lehrerin, Journalistin, Autorin fĂŒr somatisches Lernen. SchĂŒlerin von Mary Wigman und Manja ChmiĂšl. Mitglied der Gruppen Neuer Tanz Berlin und MOTION sowie spĂ€ter Mit-GrĂŒnderin der TanzTangente in Berlin.

Sammlungsgeschichten

Notiz von Karin Waehner zur Probenarbeit an „Celui sans nom“ in Fonds Karin Waehner (1926-1999). Cahiers de notes. 1981-1990. „Toulouse-Poitiers dĂ©c. 88 – Turin fĂ©v. 89 // Heidelberg fĂ©v. 89 – Frankfurt juin 89/oct. 89“, BnF, http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b531438464/f85. image.r=KArin%20Waehner, mit freundlicher Genehmigung durch Jean Masse

Von TĂ€nzen und Texten: passer la danse, passer le texte

„Passer la danse“ betrifft die Vermittlung der Philosophie des Tanzes, denn auch, wenn Bewegung von Körper zu Körper ĂŒbertragen wird, wird dem Rechnung getragen, dass die choreographische Form zeitbedingt und individuell wandelbar ist. Im Verlauf des zeitlichen Diskurses von Textdokumenten und TĂ€nzen verĂ€ndert sich zwar ihre Rezeption, dennoch erfolgen EindrĂŒcke der Unmittelbarkeit, die zwischen Leser und Zuschauer und den historischen Dokumenten vermitteln.

Erst nach Karin Waehners Tod kamen im Diskurs der boomenden Tanzforschung auch im zeitgenössischen Tanz Tendenzen auf, die, kontrastierend oder auch ergĂ€nzend zur formal rekonstruierenden Forschung in Form von Notationen und Recherchen zu historischen Fakten, unter dem Begriff „artistic research“ zusammengefasst, in Bewegungsexperimenten, -analysen u. v. m. eine erfahrbare dialogische Form der Tanzvermittlung zwischen Tanztheorie und -praxis intendieren. Die Praxis des „re-enacting“ fokussiert eine Idee analytischer Erinnerung. „Passer la danse“ als choreographische Technik, wie sie auch an Soli Karin Waehners vorgenommen wurde, gehört deutlich in einen vergleichbaren Kontext.*** Diese wenigen von ihr erhaltenen Choreographien werden jedoch nicht kulturgeschichtlich rekonstruierend

aufgefĂŒhrt, wie es das „re-enacting“ impliziert. Im Fokus stehen vielmehr die Nachvollziehbarkeit der Bewegungsphilosophie und die im Tanz ausgedrĂŒckte Erfahrung und Emotion. Die Vermittlung via KörpergedĂ€chtnis – wie sie das „passer la danse“ vollzieht – sowie die modifizierte Auffassung der Parafaktoren der Tanzdarbietung anhand des „re-enacting“ verdeutlichen, dass auch der Umgang mit schriftlichen Materialien fĂŒr die Befragung von Tanzgeschichte verĂ€ndert ist. So werden Dokumente als Spuren historischer AuffĂŒhrungen als Fragestellung und Inspiration fĂŒr neue Tanzwerke analysiert. Das dynamische Zusammenwirken aller Fakten erzeugt eine AnnĂ€herung, die nicht reproduzierend sein will und Raum lĂ€sst fĂŒr die Erfahrbarkeit der zeitlichen Distanz.

Das Potential der Archive, in deren Sammlungen diese akkumulierten Informationen zu rumoren beginnen, wenn eine gezielte Befragung sie zueinander in Beziehung setzt, kann als komplexer Wiederbelebungsfaktor kaum ĂŒberschĂ€tzt werden.

Josephine Fenger, Dr., promovierte Kulturwissenschaftlerin, Publizistin, Editionswissenschaftlerin, frĂŒher BalletttĂ€nzerin. TrĂ€gt regelmĂ€ĂŸig zur Tanzforschung als Autorin, Herausgeberin, Veranstaltungsorganisatorin sowie durch Forschungsprojektkonzeptionen bei.

*** Neben den Motiven aus „Celui sans nom“ war „L’Oiseau qui n’existe pas“ (1963) seit 2008 wiederholt Gegenstand kreativer Transferierungsprojekte.

Die KarinWaehnerSammlung im Archiv der Akademie der KĂŒnste, Berlin

Stephan Dörschel

Die KĂŒnstlerarchive der Akademie sind eine Errungenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich in der gerade gegrĂŒndeten DDR wie auch in Westberlin jeweils eine Akademie der KĂŒnste als FortfĂŒhrung der preußischen Akademie, die 1796 installiert wurde, wiedergrĂŒndeten. Anlass fĂŒr die Einrichtung von KĂŒnstlerarchiven war fĂŒr beide Institutionen der Versuch, die von den Nationalsozialisten verfemten, verfolgten, verjagten und ermordeten KĂŒnstler mit ihrem Werk wieder zurĂŒckzuholen in ihre Heimat. Sehr schnell weitete sich das Spektrum der Personalarchive auch auf die Mitglieder und die maßstabsetzenden KĂŒnstler aus.

In beiden Akademien wurden auch jeweils Mitgliedersektionen fĂŒr Darstellende Kunst neu gegrĂŒndet und auch in den Archiven wurden von Anfang an auch KĂŒnstler des Theaters und somit auch des Tanzes aufgenommen.

Die Karin-Waehner-Sammlung der Akademie der KĂŒnste befindet sich daher in guter Gesellschaft zu den anderen BestĂ€nden aus dem Tanzbereich. In der online-Datenbank der ArchivbestĂ€nde der Akademie (https://archiv.adk.de) kann man im sogenannten Bestandsviewer erste Informationen zu der Sammlung einsehen (https:// archiv.adk.de/bigobjekt/32317).

Eine SpezialitĂ€t des Genre-ĂŒbergreifenden Archivs sind natĂŒrlich auch die VerknĂŒpfungen mit anderen BestĂ€nden. So ergibt eine Such nach Karin Waehner ĂŒber den verzeichneten Gesamtbestand 329 Fundstellen, die die Karin-Waehner-Sammlung betreffen und 16 Treffer aus anderen Archiven.

Im Verwaltungsarchiv der Ost-Akademie wird z.B. ĂŒberliefert, dass im August 1986 die damalige Leiterin der Archivabteilung Aune Köpping-Renk nach Paris fĂ€hrt zwecks „Übernahme eines Teilbestandes des Archivs von Karin Waehner“. Als DDR-BĂŒrgerin musste Frau Köpping-Renk dafĂŒr ein so genannter Reisekader sein. Es ging, das wird in dieser Überlieferung deutlich, vor allem um die Mary Wigman-Briefe. 1986 wurde sowohl in der West- wie in der Ost-Akademie der 100. Geburtstag von Mary Wigman, einer der GrĂŒnderinnen des Ausdruckstanzes, gefeiert, im Westen bewahrte man den kĂŒnstlerischen Nachlass, dem man im Osten nun mit den bis dahin unbekannten Wigman-Briefen etwas entgegensetzen wollte. 1986 wird Karin Waehner daher nicht nur in der West-Akademie am Hanseatenweg mit ihrem Ballets contemporains auftreten, sondern auch eine DDR-Tournee durchfĂŒhren können – war das der „Preis“ fĂŒr die Wigman-Briefe? Immer wieder und immer wieder vergeblich hatte Karin Waehner zuvor versucht,

in der DDR oder in der Bundesrepublik aufzutreten. Die Schenkung Karin Waehners an die Ost-Akademie ist auf 1987 datiert.

1992, also nach der Vereinigung Deutschlands, aber noch vor der Vereinigung der beiden Akademien ein Jahr spĂ€ter, schreibt Karin Waehner einen Brief an den damaligen Direktor des Ost-Archivs, Volker Kahl, in dem sie bewundernd feststellt, „mit welcher unwahrscheinlichen PrĂ€zision und mit welchem Respekt die vielen Arbeitsunterlagen und sĂ€mtliche Zeugnisse einer sehr bewegten kĂŒnstlerischen Laufbahn sorgfĂ€ltig aufbewahrt und sortiert sind.“ (Archivakte Waehner, Karin Waehner an Volker Kahl, 17.3.1992). Und 1998 schreibt Karin Waehner an Renate RĂ€tz, die Nachfolgerin von Aune Renk in dem Begleitschreiben zu einer Videokassette:

„Ansonsten bin ich noch immer sehr tĂ€tig und sollte Ihnen allerhand Material zukommen lassen. Doch bin ich stĂ€ndig ĂŒberfordert, habe Gesundheitsprobleme und die Dokumente sind nicht geordnet.“ (Archivakte Waehner, Karin Waehner an Renate RĂ€tz, 24.7.1998) In ihrem Antwortschreiben bestĂ€tigt Frau RĂ€tz das Interesse des Archivs an dem Werk von Karin Waehner, auch wenn es ungeordnet sein sollte – es gehe um die möglichst umfassende Bewahrung der Dokumente ihrer kĂŒnstlerischen Gesamtpersönlichkeit. Mit dem Tode Karin Waehners 1999 brach der Kontakt ab. Erst Jahre spĂ€ter ergaben Recherchen, dass der eigentliche kĂŒnstlerische Nachlass Karin Waehners in Frankreich gesichert ist.

Stephan Dörschel, Leiter des Archivs Darstellende KĂŒnste am Archiv der Akademie der KĂŒnste, Berlin.

Zur Karin-WaehnerSammlung in Frankreich. Erinnerungen von Jean Masse

Im Juli 1996 schrieb Karin in einem Brief: „Es ist ein echtes Leiden, das mich dazu gebracht hat, einen Film zu wĂŒnschen, der wie ein Archiv das meiste von dem beinhalten könnte, was ich in dem Moment fĂŒhle, wo ich gerade bin. Ich werde von vielen SchĂŒlern und Freunden, TĂ€nzern, Lehrern und Forschern, die sich des Einflusses meiner Arbeit im gegenwĂ€rtigen Panorama des europĂ€ischen Tanzes bewusst sind, in dieses Unternehmen gedrĂ€ngt. Ich denke zum Beispiel an einen jungen Choreografen wie Angelin Preljocaj, der mein SchĂŒler war, oder an die Tatsache, dass Dominique Bagouet zu seiner Zeit und kĂŒrzlich RĂ©gine Chopinot mich gebeten haben, mich an ihrer professionellen Arbeit zu beteiligen. In der Person von Jean Masse jedoch erkenne ich meinen Haupterben in Bezug auf die expressionistische Tradition, und ich vertraue auf ihn, diese Übertragungsarbeit fortzusetzen, falls mir etwas zustoßen sollte.“

Ich konnte mir damals, als sie gerade ihren 70ten Geburtstag feierte, nicht vorstellen, dass es mir drei Jahre spĂ€ter wirklich oblag, diesen Weg fortzusetzen. Bei der Bekanntgabe Ihres Todes kam ich, um sie auf diesem letzten Weg zu begleiten. Mit der Einwilligung ihres Ehemannes Victor Franceschi und ihres Bruders Hanns Waehner habe ich mich dann intensiv fĂŒr die Ordnung der Archive eingesetzt, die sie in der Schola Cantorum und in ihrer Wohnung in der 83 Rue Vieille du Temple gesammelt hatte. Dank der Hilfe von mehreren Leuten, darunter Carole Mougeolle, Paule Rouat, Anita Bernard und Patricia Bungener, haben wir alles, was wir gefunden haben, gesammelt und in Kartons verpackt. Dann wurden alle diese Kartons zum Espace Karin Waehner in Castillon de Castets in der Gironde transportiert. Eine erste AufrĂ€umaktion wurde vor Ort durchgefĂŒhrt und mehrere TĂ€nzer, Forscherinnen und Forscher kamen in dieses Archiv.

2004 hat mich Susan Buirge ĂŒber die Existenz des IMEC fĂŒr die Aufnahme von Archiven informiert.

Nachdem sie 2012 Françoise Dupuy eingeladen hatte, einen Tanzworkshop durchzufĂŒhren, erzĂ€hlte sie mir von der Französischen Nationalbibliothek (BnF), wohin diese mit Dominique Dupuy eine erste Spende ihres Archivs gemacht hatten. Auf ihren Rat hin traf ich JoĂ«l Hutwohl, Direktor des Theaterarchivs in der BnF. Nach einem Austausch mit der Nichte und dem Neffen von Karin schien es natĂŒrlich und organisch, das Archiv von Karin Waehner an die BnF zu spenden, eine Spende, die im Sommer 2013 erfolgte.

Nach der Schenkung von Françoise und Dominique Dupuy machte der Inhaber des Archivs von Jerome Andrews den gleichen Schritt, und in den folgenden Monaten trafen die Rechteinhaber von Jacqueline Robinson die gleiche Entscheidung. So sind heute alle Archive ĂŒber die Pioniere des modernen Tanzes in Frankreich zusammengetragen, die so viele verschiedene Strömungen gesĂ€t haben, die auf diesem Boden gediehen sind.

Ich möchte JoĂ«l Hutwohl, JoĂ«lle Garcia, Corinne Gibello und ValĂ©rie Nonnemacher fĂŒr ihre UnterstĂŒtzung bei diesem Transfer, ihre BegrĂŒĂŸung und ihre vernĂŒnftigen RatschlĂ€ge danken. Außerdem danke ich Guillaume SintĂšs, MĂ©lanie Papin und Sylvia PagĂšs*** fĂŒr ihre effektive und grĂŒndliche Forschungsarbeit.

Als Verwahrer einer Arbeit, die uns ĂŒbertrifft, sind wir lediglich die Überbringer dessen, was wir erhalten haben.

Jean Masse, TĂ€nzer und Choreograf Nachlassverwalter der kĂŒnstlerischen Arbeit von Karin Waehner(ArbeitsĂŒbersetzung)

*** Diese drei Tanzwissenschaftler bilden die Forschungsgruppe „Karin Waehner, une artiste migrante. Archives, patrimoine et histoire transculturelle de la danse“ (Karin Waehner, eine WanderkĂŒnstlerin – Archiv, Erbe und transkulturelle Geschichte des Tanzes) innerhalb der 2015 gegrĂŒndeten Forschungsgruppe an der UniversitĂ€t Paris 8: „Histoire contemporaine du champ chorĂ©graphique en France“ (Zeitgeschichte des choreografischen Feldes in Frankreich).

Diese Forschungsgruppe hat die Rekonstruktion von „l’Oiseauqui-n’existe-pas“ (Der Vogel, der nicht existiert, 1963) durch AurĂ©lie Berland initiiert. Diese wurde in Zusammenarbeit mit Émilie Georges nach der Benesh Notation von VĂ©ronique GĂ©min-Bataille und mit UnterstĂŒtzung durch Barbara Falco und Jean Masse erarbeitet.

Permalink zur französischen Karin-Waehner-Sammlung im Archiv der Bibliotheque National de France (BnF): http://data.bnf. fr/12952055/karin_waehner/

Vom „absoluten“ zum „evolutiven“ Tanz Josephine Fenger

Als „Zwischengeneration“ bezeichnet ist die Nachkriegszeit und die Epoche des Kalten Krieges, in denen Waehner hauptsĂ€chlich choreographierte, tanzte und lehrte. KĂŒnstlerisch auf den ersten Blick wenig bedeutend, ist jedoch die Kommunikation zwischen verschiedenen europĂ€ischen und amerikanischen Strömungen des Tanzes signifikant, die erst gegen die Jahrtausendwende Resultate der Innovationen aus all diesen EinflĂŒssen zeigten.

Ich habe 2017 den Briefwechsel zwischen Karin Waehner und Mary Wigman transkribiert und ausgewertet, aus dem in dieser BroschĂŒre Weniges auch zitiert wird.*** Der Briefwechsel ist auch ein Spiegel eines Segments dieses Kommunikationsprozesses und reflektiert Aspekte der französischen und deutschen Tanzgeschichte der Epoche.

Die thematisierten VortrĂ€ge und Schriften Waehners dokumentieren die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes generell – und die der Choreographin und PĂ€dagogin Waehner individuell: Ihr seit 1983 mit den RĂŒckbesinnungen auf die Ästhetik des Ausdruckstanzes operierender Stil, ihre Erfahrungen mit der Mime corporel als

Ausdruckform zeichnen sie als eine profunde Vertreterin und Analytikerin des expressionistischen, des „absoluten“ Tanzes Wigmanscher PrĂ€gung aus – mit einem entscheidenden Unterschied gegenĂŒber ihrer Lehrerin: Wigman lehrte aus der Emotion, Waehner entwickelte hierfĂŒr Techniken. WĂ€hrend ihrer gesamten Karriere arbeitete Waehner daran, fĂŒr das Formen der Form, die aus der Emotion entsteht, Instrumente und vermittelbare Praktiken zu entwickeln, die Wigmansche Expression in eine lehrbare Strategie zu ĂŒberfĂŒhren. Das akademische analytische Tanz-Denken, wie es sich erst in den 1980er Jahren im Diskurs der Etablierung der Tanzforschung als Hochschuldisziplin entwickelte und sich auch in der Tanzpraxis widerspiegelte, klingt in dem Briefwechsel zeitgenössisch charakteristisch an.

*** Fenger, Josephine: „Mitteilungen von Mensch zu Mensch.” Der Briefwechsel von Mary Wigman und Karin Waehner. In: Jungmayr, J. & M. Schotte (Hg.): Opera minora editorica. Editorische BeitrĂ€ge zur Kulturwissenschaft. Weidler Verlag, Berlin 2017, S. 457–572.

Aufforderung zur Recherche .

Karin Waehner (1926 - 1999)

herausgegeben von Heide Lazarus entstanden im Rahmen von „KARIN WAEHNER (1926 – 1999) - Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen.

Ein TANZFONDS ERBE Projekt

Einband Karin Waehner von Jo Babout © Archiv Karin Waehner & Probenfoto WEGEHEN, 2017 von Kamil Mrozowski

Grafik SLGM

Redaktion Heide Lazarus Dresden | Berlin, 2018

Kontakt laz_dd@web.de

Die Verwendung des generischen Maskulinums ist stilistisch begrĂŒndet und schließt keine Geschlechter aus.

Alle Rechte liegen bei den Autoren.

Quellen und Literaturverweise bitte anfragen unter laz_dd@web.de.

Karin Waehner (1926-1999)

Eigensinnig in ZwischenrÀumen.

Ein Tanzfonds Erbe Projekt

Koproduktion mit DOCK 11 von Heide Lazarus und Bruno Genty in Kollaboration mit Annette Lopez Leal und Michael Gross; gefördert von TANZFONDS ERBE – eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes mit Genehmigung der Association Karin Waehner – Les Cahiers de l‘Oiseau in Partnerschaft mit Institute of Dance Arts (IDA) der Anton Bruckner PrivatuniversitĂ€t in Linz, Archiv der Akademie der KĂŒnste, Berlin, Gesellschaft fĂŒr Tanzfoschung (gtf), TANZWOCHE Dresden in Zusammenarbeit mit Compagnie Epiphane/Jean Masse, Peter Jarchow, Kamil Mrozowski, Solaja Rechlin, Anja Vogel mit wissenschaftlicher Beratung von Dr. Josephine Fenger, Dr. Claudia Fleischle-Braun, Dr. Laure Guilbert unterstĂŒtzt von körperbewegt in Linz, Centre Lafaurie Monbadon, „Karin Waehner, une artiste migrante. Archive, patrimoine et histoire transculturelle de la danse“ (Forschungsprojekt der UniversitĂ€t Paris 8)

14.-18. MĂ€rz 2018 im DOCK 11

- Eigensinnig in ZwischenrÀumenEin TANZFONDS ERBE Projekt

Die kĂŒnstlerischen und pĂ€dagogischen Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts werden im Schaffen der Mary Wigman-SchĂŒlerin Karin Waehner erfahrbar: im heutigen Polen geboren, in Deutschland ausgebildet, in Frankreich sesshaft geworden, in Europa prĂ€sent, aber dennoch Deutschland als eine ihrer Heimaten wahrnehmend.

CELUI SANS NOM („Namenlos“) ist eines der letzten StĂŒcke Waehners. Weitergegeben und erweitert, bildet es den Ausgangspunkt fĂŒr die Lecture Performance WEGEHEN mit Bruno Genty, Annette Lopez Leal und Michael Gross. Die Vergangenheit und Gegenwart im Tanzen und Choreografieren, Lernen und Lehren von Karin Waehner wird im Trialog zwischen Generationen und Erfahrungen verbunden.

 Weitere Partner : Association Karin Waehner – Les Cahiers de l’Oiseau | Compagnie Epiphane/Jean Masse | Archiv der Akademie der KĂŒnste, Berlin | Institute of Dance Arts der Anton Bruckner PrivatuniversitĂ€t in Linz | Gesellschaft fĂŒr Tanzforschung |Dr. Josephine Fenger | Dr. Claudia FleischleBraun | Solaja Rechlin | Peter Jarchow | Dr. Laure Guilbert | Centre Lafaurie Monbadon | „Karin Waehner, une artiste migrante. “ (UniversitĂ€t Paris 8)

 Gastspiel : TANZWOCHE 2018 in Dresden

Gefördert von TANZFONDS ERBE – eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes

| Information | Termine | mit Outdoorperformance – Vortrag –Diskussionen : www.tanzfonds.de/projekte/dokumentation-2017/

|Gesamtleitung | Kontakt | Heide Lazarus : laz_dd@freenet.de

BERLIN

Kastanienallee 79 14 .- 18. MÄRZ 2018 gtf

- Transnational e K onzepte im moderne n Tanzunter Schirmherrschaft der Deutschen UNESCO-Kommission

Das Workshop-Festival widmet sich den Migrationsbewegungen von TanzkĂŒnstler_innen in Europa im Übergang zwischen der ersten und der zweiten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen die „GrenzgĂ€nger“ und „BrĂŒckenbauer“ – zwischen „alten“ und „neuen“ Konzepten der BĂŒhnenkunst und den Methoden der Tanzvermittlung. Sie haben mit dem Modernen Tanz elaborierte Instrumente und differenzierte Arbeitsweisen fĂŒr das tĂ€nzerische Körper- und Bewegungstraining und das choreografische Schaffen entwickelt.

Es werden aktuelle und nachhaltige Anregungspotenziale erforscht. Die kĂŒnstlerischen Recherchen dienen als Ausgangspunkt fĂŒr eine vergleichende Auseinandersetzung mit Fragen zu transnationaler Arbeitsweise und Werkentwicklung, Vermittlung und Weitergabe im modernen bzw. zeitgenössischen Tanz.

 Karin Waehner [1]

zwischen Deutschland und Frankreich

| Leitung: Jean Masse, Bruno Genty, Annette Lopez Leal

 Rosalia Chladek [2]

zwischen Deutschland, Österreich und weiteren LĂ€ndern Europas

| Leitung: Eva Lajko, Doris Buche-Reisinger

 Erika KlĂŒtz [3] und Marianne Vogelsang [4]

zwischen Ost- und Westdeutschland

| Leitung: Kirsten SeeligmĂŒller

 Sigurd Leeder [5]

zwischen Deutschland, England, Chile, Schweiz

| Leitung: Karin Hermes

WORKSHOP-FESTIVAL

Transnationale Konzepte im modernen Tanz

16.-18. MĂ€rz 2018 Ι DOCK 11, 10435 Berlin, Kastanienallee 79

Das Workshop-Festival widmet sich den Migrationsbewegungen von TanzkĂŒnstler_innen in Europa im Übergang zwischen der ersten und zweiten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen „GrenzgĂ€nger_innen“ und „BrĂŒckenbauer_innen“ zwischen „alten“ und „neuen“ Konzepten der BĂŒhnenkunst mit ihren Methoden der Tanzvermittlung, wie z.B. Sigurd Leeder (1902-1981), Rosalia Chladek (1905-1995), Erika KlĂŒtz (1908-2005), Marianne Vogelsang (19121973) und Karin Waehner (1926-1999). Jene hatten elaborierte Instrumente fĂŒr das tĂ€nzerische Körpertraining und differenzierte Arbeitsweisen fĂŒr das choreografische Schaffen entwickelt, deren aktuelle und nachhaltige Anregungspotenziale beim Workshop-Festival in verschiedenen Tanz-Laboratorien erforscht werden.

Vier europĂ€ische kĂŒnstlerische Recherche-Projekte dienen als Ausgangspunkt fĂŒr eine vergleichende Auseinandersetzung mit Fragen zu transnational verbreiteten Arbeitsweisen und Werkentwicklungen sowie zur Vermittlung und Weitergabe im zeitgenössischen Tanz.

Das gtf-Workshop-Festival „Transnationale Konzepte im modernen Tanz“ findet in VerknĂŒpfung mit dem TANZFONDS ERBE-Projekt „Karin Waehner –Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen“ im DOCK 11, Berlin statt.

In Kooperation mit:

 SIGURD LEEDER-Projekt (Leitung: Karin Hermes, hermesdance Bern)

 INTERNATIONALE GESELLSCHAFT ROSALIA CHLADEK e.V. WIEN (Leitung: Eva Lajko)

 DOCK 11, BERLIN: Projekt VEKTORTANZ (Leitung: Kirsten SeeligmĂŒller)

 KARIN WAEHNER (1926 – 1999) - Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt (Gesamtleitung: Heide Lazarus) mit Compagnie Epiphane (Jean Masse)

 Dachverband Tanz Deutschland e.V.

Konzeption, Organisation, Redaktion: Dr. Claudia Fleischle-Braun

Fotos:

Bill Dagens © Schweizer Tanzarchiv; IGRC © MUK PrivatuniversitĂ€t Wien/ Theatermuseum Wien; © Erika KlĂŒtz-Schule Hamburg; Fritz Eschen (1952) © Deutsche Fotothek; Jo Babout © Archiv Karin Waehner; Doris Buche-Reisinger; Daniel Schneeberger; Kamil Mrozowski; Margrit Bischof.

Mit besonderem Dank an das DOCK 11/ EDEN*****-Team: Kirsten SeeligmĂŒller, Katja Karouaschan (Organisation) sowie an Asier Solana mit seinem TechnikTeam (Technik / Licht) und an Heide Lazarus fĂŒr die Koordinierung mit dem Tanzfonds Erbe-Projekt Karin Waehner: Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ebenso danke ich Alexa Junge (GTF-GeschĂ€ftsstelle) und Annaelle Toussaere fĂŒr die hilfreiche UnterstĂŒtzung.

Grußwort

Tanz ohne Grenzen

Das bevorstehende gtf-Workshop-Festival Transnationale Konzepte im modernen Tanz befasst sich mit den Migrationsbewegungen von TanzkĂŒnstler innen in Europa. Ausgehend von vier europĂ€ischen kĂŒnstlerischen Recherche-Projekten geht es nebst den Fragen zu transnational verbreiteten Arbeitsweisen und Werkentwicklungen vor allem auch um Erinnern und Aufbruch, um Grenz- und BegegnungsrĂ€ume und schließlich um Austausch und Bewegung. Damit reiht sich die Veranstaltung in die gesamteuropĂ€ische Auseinandersetzung mit dem Kulturerbe ein – eine Auseinandersetzung, welche die EU und der Europarat im Jahr 2018 unter dem Motto «Sharing Heritage» besonders fördern wollen. Dieses Motto kann als Aufforderung interpretiert werden, Kulturerbe zu teilen, am Kulturerbe anderer teilzuhaben oder auch das Kulturerbe anderer mitzubenutzen.

Mit zahlreichen Veranstaltungen zelebrieren die einzelnen LĂ€nder ihr vielfĂ€ltiges kulturelles Erbe. Entsprechend haben sich in den LĂ€ndern Institutionen gebildet, welche sich dieser Aufgabe annehmen. In der Schweiz zum Beispiel lĂ€uft die Kampagne unter ï€ŁKULTURERBE2018 und steht unter dem Patronat des BundesprĂ€sidenten. Ziel ist es, mit öffentlichen und privaten Partnern das Kulturerbe den Menschen nĂ€her zu bringen und dadurch das Potential des Kulturerbes fĂŒr eine demokratische und nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft sichtbar zu machen. In Deutschland gibt es entsprechende Initiativen und die Website https://sharingheritage.de/ listet eine Vielzahl an Projekten auf. Im Internetauftritt werden fĂŒnf Leitthemen genannt, welche die Anliegen des EuropĂ€ischen Kulturerbe-Jahres 2018 verdeutlichen. Davon greife ich drei heraus, von denen ich ĂŒberzeugt bin, dass sie mit unserer Veranstaltung etwas zu tun haben:

Mit Europa: Austausch und Bewegung ist ein grenzenĂŒberschreitender akademischer Wissenstransfer gemeint, der sich speziell an junge Menschen richtet, um sie fĂŒr eine Partizipation und Gestaltung der zukĂŒnftigen Kulturarbeit zu gewinnen.

Mit Europa: Erinnern und Aufbruch soll versucht werden, sich in Europa als eine Art historische Schicksals- und kulturelle Wertegemeinschaft zu verstehen und dadurch eine europĂ€ische IdentitĂ€t zu entwickeln, welche wiederum die regionalen und nationalen bereichern kann. Und mit Europa: Grenz- und BegegnungsrĂ€ume soll bewusst gemacht werden, wie viel Einfluss andere Kulturen auf das bestehende lokale Erbe hatten, damit es leichter fĂ€llt, neue kulturelle PrĂ€gungen vor Ort willkommen zu heißen.

Im Schwerpunkt «GrenzgĂ€nger» und «BrĂŒckenbauer» zwischen «alten» und «neuen» Konzepten der BĂŒhnenkunst des Workshop-Festivals spiegeln sich somit wichtige Anliegen des Kulturerbe-Jahres. Lassen wir uns davon zu einer zeit- und grenzenĂŒberschreitenden Debatte mit dem Tanzerbe anregen!

Ich wĂŒnsche allen Teilnehmer innen und Referent innen eine belebende Auseinandersetzung mit unserem speziellen Kulturgut des Tanzes.

Margrit Bischof

1. Vorsitzende der Gesellschaft fĂŒr Tanzforschung

gtf-Workshop-Festival

„Transnationale Konzepte im modernen Tanz“

Freitag, 16.3.2018

14:00 - 15:00 Uhr Studio BegrĂŒĂŸung und Poster-PrĂ€sentation

Transnationale Konzepte des Modernen Tanzes

- Karin Waehner:

Zwischen Deutschland und Frankreich

- Erika KlĂŒtz, Marianne Vogelsang:

Zwischen Ost- und Westdeutschland

- Rosalia Chladek: Zwischen Österreich, Deutschland und weiteren LĂ€ndern Europas

- Sigurd Leeder:

Zwischen Deutschland, England, Chile, Schweiz

17:30 - 18:00 Uhr BĂŒhne

Lecture Demonstration

Vektortanz unter Einbezug von Studienmaterial von Erika KlĂŒtz, Marianne Vogelsang u.a.

Leitung: Kirsten SeeligmĂŒller

Das Erbe des Modernen Tanzes und AnsĂ€tze des Zeitgenössischen Tanzes werden von Kirsten SeeligmĂŒller wie Folien ĂŒbereinandergeschichtet und verbunden, vergleichend mit den Parametern der Vektorgraphik. Vektortanz steht auch fĂŒr das Prinzip „Motion  Emotion  Motion“, das bedeutet, dass z.B. somatische VorschlĂ€ge und VorgĂ€nge Emotionen hervorrufen und umgekehrt. Die emotionale Interpretation kann jedoch bei den Bewegenden und Zuschauenden ganz unterschiedlich sein.

15:15 - 17:00 Uhr

Studio Workshop 1

Karin Waehner: Der individuelle Ausdruck der Bewegung

Leitung: Bruno Genty, Jean Masse, Annette Lopez Leal

Wie kann eine einfache Bewegung zu einem spannenden Ereignis werden? - Mit dieser Frage ist das Wirken von Karin Waehner und ihrer „evolutiven PĂ€dagogik“ verbunden. Im Workshop werden ĂŒber eine körperliche Vorbereitung Bewegungssequenzen aus dem Solo Celui sans nom individuell erarbeitet. Dabei eröffnen sich Möglichkeiten der persönlichen Interpretation, jedoch ohne den Zwang, den Körper spĂŒren zu mĂŒssen.

18:15 - 19:00 Uhr

BĂŒhne

Lecture Demonstration

Grundprinzipien der ChladekÂź-Tanztechnik

Leitung: Doris Buche-Reisinger und Eva Lajko

Die Tanztechnik des ChladekÂź -Systems beruht im Wesentlichen auf anatomisch-physiologischen GesetzmĂ€ĂŸigkeiten. Doris Buche-Reisinger wird die drei Prinzipien der ChladekÂź -Tanztechnik (SchwerpunktverĂ€nderung, BewegungsansĂ€tze und Körperverhalten) in freier und performativer Weise demonstrieren, kommentierend begleitet von Eva Lajko. Um dem Publikum einen Einblick in das ChladekÂź-Systems zu geben, werden diese zunehmend ineinander verwoben. Die Performerinnen zeigen auf, wie die Prinzipien im heutigen zeitgenössischen Tanz individuell kĂŒnstlerisch umgesetzt werden können.

19:00 - 19:25 Uhr

BĂŒhne

Lecture Performance

Das choreografische Erbe von Rosalia Chladek heute Choreografie/ Tanz: Doris Buche-Reisinger

Doris Buche-Reisinger zeigt zwei TanzstĂŒcke, die auf der Basis von zwei rekonstruierten TĂ€nzen von Rosalia Chladek entstanden sind:

Den Slawischen Tanz Nr. 8 (Musik: Antonin Dvoƙák) hatte Rosalia Chladek 1923 in der Schule HellerauDresden als AchtzehnjĂ€hrige erstmals aufgefĂŒhrt.

1988 studierte Chladek diesen Tanz der Wiener StaatsoperntĂ€nzerin Fara Grieco ein. Aus dieser Version hat Doris Buche-Reisinger ihr TanzstĂŒck Way entwickelt.

In Danse tournante setzt sich die TĂ€nzerin zunĂ€chst mit dem Original des Drehtanzes von Rosalia Chladek (1928 BrĂŒnn, Musik: Issac AlbĂ©niz) auseinander. In einem nĂ€chsten Arbeitsschritt hat sie das TanzstĂŒck in ihrer eigenen kĂŒnstlerischen Lesart weiterverarbeitet.

19:30 - 20:15 Uhr BĂŒhne

Lecture Performance

Sigurd Leeder- Der ĂŒbervolle Eimer

Choreografie / Tanz: Karin Hermes und Tim Rubidge

Karin Hermes und Tim Rubidge tanzen aus Werken von Sigurd Leeder und geben humorvolle wie auch tiefsinnige Einblicke in das Leben von Sigurd Leeder. Dabei zeigen sie ihre zeitgenössischen kĂŒnstlerischen Auseinandersetzungen mit der Form der EtĂŒden der Choreutik und Eukinetik.

Ausschnitte und zeitgenössische Bearbeitung von folgenden Werken Leeders: Danse macabre (1935), War memorial (1936, 1956), Sommer (1952), Rain (1952), Mobile (1975).

Mit UnterstĂŒtzung der IGRC e.V. und des Bundeskanzleramts Österreich

Mit UnterstĂŒtzung von hermesdance Bern

20:30 - 21:30 Uhr

BĂŒhne Podiumsdiskussion

(in Kooperation mit KARIN WAEHNER – Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt)

Kunst Migration Heimat : Moderner Tanz in den transkulturellen RĂ€umen des 20. Jahrhunderts

Mit Dr. Laure Guilbert, Dr. Josephine Fenger und beteiligten KĂŒnstler_innen sowie weiteren eingeladenen GĂ€sten.

Samstag, 17.3.2018

10:00 - 11:45 Uhr

Studio Workshop 2

Vektortanz unter Einbezug von Studienmaterial von Erika KlĂŒtz, Marianne Vogelsang u.a.

Leitung: Kirsten SeeligmĂŒller

Verschiedene AnsĂ€tze der eigenen Tanzbiografie, wie z.B. die EinflĂŒsse durch die AusdruckstĂ€nzerin Erika KlĂŒtz und die intensive Auseinandersetzung mit Studienmaterial von Marianne Vogelsang werden im Workshop wie Folien ĂŒbereinander gelegt, um dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich zu machen und um eine eigene, zeitgenössische Melange zu kreieren. Es werden die Parameter der Vektorgraphik aufgegriffen und neben rĂ€umlichen Dimensionen auch Emotionen, Worte, AtmosphĂ€ren sowie die klassischen Improvisationsvektoren wie Zeit, Dynamik und Kraft genutzt.

rasen, hasten, laufen, sausen, stĂŒrmen, flitzen, eilen, fegen, sprinten, spurten, wetzen, hetzen, sich abhetzen, jagen, joggen, rennen, anecken, anrennen, anschlagen, rammen, sich stoßen, prallen gegen, prellen gegen, spritzen, ausschreiten, brausen, fliegen, galoppieren, hasten, huschen, preschen, rasen, sausen, eilen, pfeifen, eilen, hetzen, hasten, fortjagen, haschen, hinterherjagen, nachjagen, nachstellen, pesen, pirschen, dauerlaufen, langlaufen, angreifen, anstĂŒrmen, attackieren, vorstĂŒrmen, vorstoßen, beeilen, schwirren, springen, stieben, stĂŒrzen, traben, wĂŒhlen

13:15 - 15:00 Uhr

Studio Workshop 3:

Ursache und Wirkung in der tÀnzerischen Bewegung:

Die Prinzipien der ChladekÂź-Technik

Leitung: Eva Lajko

Ein Schwerpunkt wird auf die BewegungsansĂ€tze gelegt. Wenn wir unserer Bewegung bewusst Aufmerksamkeit schenken, steckt zumeist eine willkĂŒrliche Bewegungsaktion, ausgehend von einer bestimmten Körperregion dahinter. Auf jede Bewegung erfolgt eine Reaktion, deren anatomisch-muskulĂ€re Verkettung beispielhaft nĂ€her betrachtet werden soll. Im Workshop werden BewegungszusammenhĂ€nge bewusst wahrgenommen, erforscht und in strukturierten Tanzimprovisationen angewendet bzw. integriert.

Die Ă€sthetisch-sinnliche Erfahrung bildet den Zugang fĂŒr das Verstehen der BewegungszusammenhĂ€nge auf ganzheitliche Weise.

15:30 - 17:15 Uhr

Studio

Workshop 4 (Tanz-Laboratorium)

Sigurd Leeder- EtĂŒden und Notationen

Leitung: Karin Hermes, Tim Rubidge

EtĂŒden von Sigurd Leeder sind Inspiration fĂŒr eine heutige kĂŒnstlerische Auseinandersetzung. Im Workshop bearbeiten wir choreutische und eukinetische EtĂŒden von Sigurd Leeder. Diese Werkstrukturen werden anhand von Tanzpartituren vermittelt. Die entstehenden Arbeitsprozesse zwischen Schrift und Tanz sind Teil des spielerischen Workshops.

18.00 - 18.45 Uhr

BĂŒhne Vortrag (in Kooperation mit KARIN WAEHNER – Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt)

Josephine Fenger : Karin W..
.er? Die Tanzvermittlerin / La passeuse de danse

Eine biografische EinfĂŒhrung mit Textpassagen aus Briefen von Karin Waehner und Mary Wigman.

19:00 - 20:15 Uhr

BĂŒhne Performance (in Kooperation mit KARIN WAEHNER – Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt)

WEGEHEN mit celui sans nom - Rekreation 2018

Choreografie/Tanz: Bruno Genty, Annette Lopez Leal, Michael Gross

... 3 TĂ€nzer, 3 Generationen, 3 Erfahrungen, 3 Interpretationen ... Ein Wandel in die Zukunft mit Bruno

Genty, Annette Lopez Lea , Michael Gross. Special Guests: Jean Masse ( Choreograf, TĂ€nzer und kĂŒnstlerische Nachlassverwalter von Karin Waehner) sowie Peter Jarchow (Pianist und Improvisator).

In der Performance WEGEHEN werden mittels Sequenzen aus verschiedenen Choreografien einzelne Arbeitsprinzipien von Karin Waehner und ihre Relevanz heute zur Diskussion gestellt. Es geht um menschliche Situationen. Die BezĂŒge sind fĂŒr jeden verschieden, die Bewegungen Ă€hnlich.

B. Genty lehnt es ab, „ein Modell“ zu sein oder Kopien zu vermitteln. A. Lopez Leal und M. Gross finden ihre eigenen Bilder und Sichtbarkeiten. Unterschiede werden nicht durch die Diktatur einer perfekten Synchronisation ausgemerzt - weder fĂŒr die TĂ€nzer noch fĂŒr das Publikum; weder in der Kreation noch in der Rekonstruktion. Deshalb wird hier von einer Rekreation gesprochen.

Der Ausgangspunkt fĂŒr WEGEHEN lag in einem Solo fĂŒr Bruno Genty, eines der letzten StĂŒcke Karin Waehners. Der Arbeitstitel vor 1989 hieß DerriĂšre le mur/ Hinter der Mauer). Zur Premiere 1990 hieß das StĂŒck celui sans nom/ Namenlos. Es wurde in einem speziell definierten Probenprozess weitergegeben und wird als Trio wiederaufgefĂŒhrt.

20:30 - 21:30 Uhr BĂŒhne Podiumsdiskussion (in Kooperation mit KARIN WAEHNER – Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt)

Geschichte(n) erben?

Wie haben wir gearbeitet / was ist entstanden? –Eine Diskussion mit den beteiligten KĂŒnstler_innen und Tanzwissenschaftler_innen ĂŒber die Möglichkeiten von Rekonstruktionen und Lecture Performances sowie ĂŒber die Erinnerungsarbeit im Weitergeben.

Sonntag, 18.3.2017

10:00 - 12:30 Uhr

Studio Gemeinsames Laboratorium mit allen WorkshopLeiter_innen):

(Neue) Perspektiven durch kĂŒnstlerische Recherchen zu Ă€sthetischen und pĂ€dagogischen Konzepten der Tanzmoderne nach 1945 in Europa?

Welche Relevanz besitzen diese Konzepte fĂŒr die zeitgenössische Tanzvermittlung (Tanztechnik & Choreografie)?

In welcher Weise werden die Themen der tanzpĂ€dagogischen AnsĂ€tze von Leeder, Chladek, KlĂŒtz, Vogelsang, Waehner u.a. heute vermittelt und weitergegeben?

12:30 - 13:00 Uhr

Studio Ein vorlÀufiges Fazit?

Bedeutung der Recherchen zum europĂ€ischen Tanzerbe der Moderne fĂŒr die zeitgenössische Aus- bzw. Weiterbildung, Tanzforschung sowie fĂŒr die Tanzvermittlung im Rahmen der Kulturellen Bildung. Visionen und Desiderate ?

Biographische Notizen zu den Akteuren des WORKSHOP-FESTIVALS

Doris Buche-Reisinger studierte Klassischen Tanz bei Prof. Berti Handl und TĂ€nzerische Bewegungserziehung am Konservatorium der Stadt Wien (heute: MUK PrivatuniversitĂ€t der Stadt Wien). Als TĂ€nzerin realisierte sie in Österreich und international neben der fĂŒnfjĂ€hrigen Zusammenarbeit mit dem Tanz Atelier Wien diverse tĂ€nzerische und choreographische Projekte, u.a. mit Hof-Dantzer, Wire Monkey Dance Company (USA), tanztheater homunculus, Tanz*Hotel, Cie Willi Dorner und dem Tanz-Musik-Duo zweiacht sowie mit Musikern der Wiener Philharmoniker. Sie erarbeitete und rekonstruierte fĂŒr die Internationale Gesellschaft Rosalia Chladek e.V. TĂ€nze von Rosalia Chladek und ist ReprĂ€sentantin fĂŒr Frankreich im Vorstand. Neben choreografischen TĂ€tigkeiten fĂŒr das österreichische Generalkonsulat in Straßburg und schulischen Tanzprojekten unterrichtet sie an der Ecole BolĂ©rO Oberhausbergen, am Maison des Arts Lingolsheim und im CSC FossĂ© des Treize in Straßburg.

Josephine Fenger, Dr., arbeitete nach einer Ausbildung im Klassischen und Modernen Tanz als Ballett-TĂ€nzerin in SĂŒdamerika. Sie studierte Theaterwissenschaft, Publizistik, Wissenschaftsmanagement und Editionswissenschaft. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin ist Co-Herausgeberin (zusammen mit Johannes Birringer) der gtf-JahrbĂŒcher Tanz im Kopf – Tanz und Kognition (2005) und Tanz und WahnSinn (2011). Zudem ist sie Autorin von Auftritt der Schatten (2009). Zu ihren aktuellen ForschungsaktivitĂ€ten gehören Studien ĂŒber choreomanische und rituelle Aspekte im Tanz, besonders in der Volkstanzkultur SĂŒditaliens sowie die historiographische Vermittlung von Tanzgeschichte. Sie organisiert tanzwissenschaftliche Konferenzen und referiert und veröffentlicht regelmĂ€ĂŸig BeitrĂ€ge zur Tanzforschung. Ihre kommentierte Edition von Mary Wigmans Briefen an Karin Waehner wurde unter dem Titel „Mitteilungen von Mensch zu Mensch. Der Briefwechsel von Mary Wigman und Karin Waehner“ in: Jungmayr, J. & M. Schotte (Ed.) (2017): Opera minora editorica. Editorische BeitrĂ€ge zur Kulturwissenschaft publiziert.

Claudia Fleischle-Braun, Dr., war wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin fĂŒr Gymnastik und Tanz am Institut fĂŒr Bewegungs-und Sportwissenschaften der UniversitĂ€t Stuttgart (1978–2006). Sie promovierte ĂŒber die Geschichte und Vermittlungskonzepte im Modernen Tanz (1999). Sie arbeitete im Vorstandsteam der Gesellschaft fĂŒr Tanzforschung (gtf) mit (2005–2015) und war mehrfach mit der Konzeption und Leitung von tanzwissenschaftlichen Tagungen und Symposien befasst. Ferner initiierte sie, dass der Moderne Tanz mit seinen Stil- und Vermittlungsformen auf der bundesweiten Liste des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCOKommission verzeichnet wurde. Mitherausgeberin (zusammen mit Ralf Stabel) von Tanzforschung & Tanzausbildung (2008), Tanzerfahrung und Welterkenntnis (2012, zusammen mit Claudia Behrens, Helga Burkhard und Krystyna Obermaier) sowie Zum immateriellen Kulturerbe des Modernen Tanzes (2015, zusammen mit Krystyna Obermaier und Denise Temme).

Bruno Genty erhielt seine Ausbildung Klassischem, Modernem und Zeitgenössischem Tanz u.a. bei Joseph Russillio, am Centre International de Dance und an der Scola Cantorum in Paris. Neben Waehners Ansatz einer evolutiven PĂ€dagogik und der von ihr vermittelten choreografischen Trainingsmethode nach Mary Wigman wurde er durch die Tanztechnik von Aaron Osborne nach JosĂ© Limon, die body-work-Techniken von Peter Gross und die Mimen-Techniken nach Pinok et Matho beeinflusst. Bereits wĂ€hrend seines Studiums wurde Waehner eine seiner wichtigsten Mentoren und spĂ€ter wurde er ihr Assistent. Genty war zudem langjĂ€hriger TĂ€nzer in der Company von Karin Waehner, Michel Caserta und zuletzt bei Philippe Tresserra, bevor er eigene Wege ging. Er unterrichtete und choreografierte seit den 1990er Jahren in zahlreichen Opern, Theatern, UniversitĂ€ten und Tanzschulen. Stationen waren u.a. die Schola Cantorum in Paris, die Karls UniversitĂ€t in Prag, das Prager Kammerballett von Pavel Ć mok, die Oper des Slowakischen Nationaltheaters in Bratislava, Staatliche Oper und Ensemble Trakia in Bulgarien/Plovdiv, das Dance Place-Center in Washington DC, SZENE Salzburg oder das Landestheater Linz. Zudem war er 1989/1990 Ballettmeister beim Europa Ballett von Chalon-sur-SaĂŽne, dem auch MichaĂ«l Denard verbunden war. Seine Themen sind die Einsamkeit, das BedĂŒrfnis

nach Freundschaft und Kommunikation, Toleranz und Selbstachtung. Sein Stil basiert auf einem intensiven Training, ist aber nicht auf Technik ausgerichtet. Er entsteht durch die individuellen Erfahrungen, die Erforschungen zu poetischen Geschichten und deren Übersetzungen mittels Improvisation in eine absurde, fiktive RealitĂ€t. Auf dieser Grundlage arbeitet er auch hĂ€ufig mit Laien und im öffentlichen Raum wie beispielsweise 1998, als er zu einem inszenierten Ball auf der Grundlage von M. Duras Indiasong einlud. 2009/2010 war er in die choreografische und tanztechnische Rekonstruktion von Les Marches fĂŒr deren Verschriftlichung eingebunden. Seitdem beschĂ€ftigt er sich verstĂ€rkt mit dem modernen choreografischen Repertoire des 20. Jahrhunderts. Zudem ist er seit einigen Jahren Dozent fĂŒr Zeitgenössischen Tanz, Repertoire und Didaktik der TanzpĂ€dagogik an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz sowie am PĂŽle d'Enseignement SupĂ©rieur Musique et Danse der UniversitĂ€t Michel de Montaigne in Bordeaux, welche ein staatliches Diplom fĂŒr TanzpĂ€dagogik vergibt.

Laure Guilbert, Dr., promovierte nach ihrem Studium in Geschichte und Literatur in Lille und Paris am Instituto Universitario Europeo in Florenz mit der Dissertation Danser avec le IIIe Reich. Les danseurs modernes sous le nazisme (2000, 2011 erweitere Ausgabe). Sie hat an mehreren UniversitĂ€t in Frankreich Geschichte und Theorien des Tanzes und des Theaters gelehrt. Parallel dazu leitete sie Forschungsprojekte fĂŒr die CitĂ© de la musique und das Centre national de la Danse (CND) in Paris. Seit 2002 ist sie Tanzdramaturgin an der Pariser Oper. Sie war außerdem 2007 MitbegrĂŒnderin der aCD (Association des Chercheurs en Danse) und bis 2014 deren PrĂ€sidentin. Von 2015–2017 war sie mit dem deutsch-französischen Forschungszentrum fĂŒr Geistes- und Sozialwissenschaften Centre Marc Bloch in Berlin assoziiert und zugleich BRAIN-Marie Curie-Gastwissenschaftlerin an der Europa UniversitĂ€t Viadrina in Frankfurt (Oder), wo sie mit einem Habilitationsvorhaben ĂŒber das Exil der deutschsprachigen kĂŒnstlerischen Tanzszene zwischen 1933 und 1949 befasst war. 2016 hatte sie von der Hochschule fĂŒr Musik und Tanz Köln ein Forschungsstipendium fĂŒr das Forschungskolleg Tanzwissenschaft erhalten. Aktuell arbeitet sie wieder als Dramaturgin an der Pariser Oper, setzt ihre Forschung ĂŒber Exilanten fort

und veröffentlicht regelmĂ€ĂŸig tanzhistorische BeitrĂ€ge, u.a. in der von ihr 2014 mitbegrĂŒndeten tanzwissenschaftlichen digitalen Zeitschrift der aCD Recherches en Danse.

Michael Gross, MA, ist freischaffender TĂ€nzer und TanzpĂ€dagoge. Er studierte an der Anton Bruckner PrivatuniversitĂ€t in Linz im BA und MA-Programm fĂŒr movement studies and performance. WĂ€hrend seines Studiums nutzte er die Möglichkeit, mit verschiedenen Choreografen zusammenzuarbeiten. So wirkte er u.a. in Produktionen von Bruno Genty mit Harmen Tromp in Le Cycle Des Princes, Klaus Obermair zur Eröffnung des Soundframe Festivals in Wien, Rose Breuss und der C.O.V./ Cie ff Verticality company mit dem StĂŒck Re-Cycling Prometheus, das auf dem Leo Festival in Wroclaw (PL) gastierte. Michael Gross ist Mitglied der SILK Fluegge dance company (Linz) und wirkte beim SchĂ€xpir-Festival in dem StĂŒck BOOOM!!! (Choreografie: Silke Grabinger) mit, das anschließend mit dem STELLA 15 AWARD ausgezeichnet wurde. Seit 2016 unterrichtet er im Raum Frankfurt a.M. Modernen und Zeitgenössischen Tanz, Ballett sowie Improvisation und Komposition und ist Gast der PLAY Plattform in Frankfurt a.M. 2017 absolvierte er ein Praktikum bei der Dresden Frankfurt Dance Company.

Karin Hermes ist Choreografin, TĂ€nzerin, Spezialistin fĂŒr Kinetographie Laban und TanzpĂ€dagogin. Ihre Ausbildung zur BĂŒhnentĂ€nzerin absolvierte sie an der Ballettakademie ZĂŒrich und der School of American Ballet New York City. Nach Engagements am Schauspielhaus ZĂŒrich, Staatstheater Stuttgart und YNO-Tanztheater studierte sie TanzpĂ€dagogik am Institut fĂŒr BĂŒhnentanz der Musikhochschule Köln. WĂ€hrend dieses Studiums erhielt sie ein Stipendium fĂŒr das Conservatoire National SupĂ©rieure de Musique et de Danse de Paris fĂŒr das Studium der Bewegungsanalyse und -notation (System Laban), welches sie mit dem Cycle de perfectionnement abschloss. Sie arbeitete als Ballettmeisterin fĂŒr das Atelier d’Envol und spezialisierte sich auf die Bearbeitung und Einstudierung notierter Tanzwerke des 20. Jahrhunderts. FĂŒr das Junior Ballet Lyon rekonstruierte sie in Zusammenarbeit mit Anna Markard Big City, eine Choreografie (1932) von Kurt Jooss. Diese Arbeit wurde vom WDR aufgezeichnet. Karin Hermes reali-

sierte mehrere Tanzfilmdokumentationen in Zusammenarbeit mit Heidemarie HĂ€rtel des Deutschen Tanzfilminstituts. Sie notierte Choreografien von François Malkovsky, Lucinda Childs und Ether Winter. 2004–2007 war Karin Hermes kĂŒnstlerische Leiterin des atempo repertory dance ensemble und experimentierte mit zeitgenössischen Auseinandersetzungen zu Werken von Yvonne Rainer, Dominique Bagouet, Anna Sokolow, Helen Tamiris, Lester Horton. 2007 grĂŒndete sie hermesdance in Bern (CH) und entwickelt seither eine eigene Tanzsprache, welche mit Schichten des Sichtbaren experimentiert. Als KĂŒnstlerin und PĂ€dagogin hat sie unzĂ€hlige Projekte fĂŒr Kinder, Jugendliche und Profis verwirklicht. Von 2011–2015 leitete sie das Research Panel des International Council of Kinetographie Laban. Derzeit forscht sie ĂŒber Re-Interpretationsprozesse historischer Tanzwerke und entwickelt ihr Spezialgebiet der Tanznotationen weiter. Hermes arbeitet eng mit bildenden KĂŒnstlern zusammen, u.a. mit Carmen Perrin fĂŒr das Projekt MaternitĂ© am Krankenhaus Genf. Mit ihrem professionellen Ensemble hermesdance tourt sie international, realisierte Koproduktionen mit dem Centre National de la danse, Pantin-Paris und Zentrum Paul Klee Bern. Hermes ist GastkĂŒnstlerin und -dozentin an Theatern und Hochschulen in Paris, Lyon, The Place und Trinity Laban London, Israel und Deutschland. Ihre Arbeit Betwixed and Between – Dialog with „Rooms“ by Anna Sokolow wurde fĂŒr die ARTE-Produktion Dance-Rebells 2009 aufgezeichnet. 2016 hat sie den Schweizer Tanzpreis fĂŒr das Projekt Sigurd Leeder, Kulturerbe Tanz erhalten. 2017 wurde ihre Arbeit mit dem Kulturvermittlungspreis des Kantons Bern ausgezeichnet. 2009 und 2017 erhielt sie vom Kanton Bern WerkbeitrĂ€ge fĂŒr ihre Choreografien In der grĂŒnen Ecke des Kreises und human rights.

Peter Jarchow, Dr. Prof. em., war wĂ€hrend seines Studium in Klavier, Komposition und Improvisation an der Hochschule fĂŒr Musik "Hanns Eisler" Berlin fĂŒnf Jahre als Pianist bei Jean Weidt und seiner Gruppe Junger TĂ€nzer. Er absolvierte in dieser Zeit zudem Praktika an den Ballettschulen der DDR (Berlin, Leipzig, Dresden) und wurde Pianist zu den Internationalen Sommerkursen des Tanzes der Palucca Schule Dresden (heute Palucca Hochschule fĂŒr Tanz Dresden), wo er 33 Jahre lang blieb. 1975–2004 ĂŒbernahm

er zusĂ€tzlich die Leitung (zeitweise in Co-Regie) der gattungsĂŒbergreifenden Winterkurse fĂŒr Improvisation an der Palucca Schule Dresden. Nach seinem Studium wurde er 1967 musikalischer Mitarbeiter und Pianist in dem von Palucca vertretenen Unterrichtsfach Neuer KĂŒnstlerischer Tanz an der Palucca-Schule, bevor er 1975 an die Hochschule fĂŒr Musik in Leipzig (heute: Hochschule fĂŒr Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig) wechselte und dort bis 2010 Improvisation und Ballettkorrepetition lehrte (1992–1999 Professur). In dieser Zeit kam er auch an die neu gegrĂŒndete Abteilung fĂŒr Choreographie der damaligen schauspielzentrierten

Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig an, wo er ab 1977 fĂŒr 10 Jahre deren Bereichsleiter fĂŒr musikalische Ausbildung war. Parallel arbeitete er 1979–1992 als Pianist, Improvisator und Musikdramaturg beim Ballettensemble der SĂ€chsischen Staatsoper Dresden (1985–1987 stellv. Ballettdirektor). Seine Promotion zum Thema Spezifik der Ballettmusik schloss er 1986 an der UniversitĂ€t Leipzig ab. 1994 kam er an die Palucca-Schule als deren Direktor zurĂŒck (bis 1997); grĂŒndete 1998 das Deutsche Institut fĂŒr Improvisation und nahm ein Jahr spĂ€ter den Ruf zum Professor fĂŒr Tanzund Balletmusik an der Hochschule fĂŒr Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin (bis 2010) an, wo er bereits seit 1988 ebenfalls lehrte. Außerdem war er an verschiedenen Hochschulen und UniversitĂ€ten Dozent und Gastprofessor sowie als Musiker international tĂ€tig. Peter Jarchow hat darĂŒber hinaus zahlreiche Texte zum VerhĂ€ltnis Musik und Tanz und zur Geschichte des Modernen Tanzes in Deutschland veröffentlicht. Er war mehrfacher PreistrĂ€ger beim Weimarer Improvisationswettbewerb (1970 1. Preis) und hat langjĂ€hrige Erfahrungen als Jurymitglied (auch Vorsitzender) bei Wettbewerben fĂŒr Choreografie, Tanz und Improvisation im In- und Ausland. Zudem war er Mitglied oder Vorsitzender von Findungskommissionen verschiedener deutscher hochschulischer Tanzinstitute. Seit seiner Emeritierung arbeitet er mit verschiedenen Weiterbildungseinrichtungen zusammen.

Eva Lajko erhielt ihre Tanzausbildung am Konservatorium der Stadt Wien (heute: MUK-PrivatuniversitĂ€t der Stadt Wien). Sie unterrichtet Kreativen Kindertanz und zeitgenössische Tanzimprovisation fĂŒr Erwachsene, leitet Kurse und Workshops in der ChladekÂź-Tanztechnik, Körperwahrnehmung und Yoga. Seit 2000 lebt sie in SaarbrĂŒcken und ist als TĂ€nzerin, Choreografin und PĂ€dagogin in Deutschland und Österreich tĂ€tig. Gemeinsam mit dem KĂŒnstler Miguel Bejarano BolĂ­var grĂŒndete sie 2001 das MUsikTANzTHeater-Laboratorium MUTANTH, mit dem sie bereits zahlreiche MusikTanztheater-Produktionen in Zusammenarbeit mit verschiedenen KĂŒnstlern und KĂŒnstlerinnen unterschiedlicher kultureller und kĂŒnstlerischer Herkunft verwirklichte. DarĂŒber hinaus lehrte sie regelmĂ€ĂŸig als Dozentin in der Berufsbegleitenden Ausbildung der Internationalen Gesellschaft Rosalia Chladek e.V. zur Bewegungs- und TanzpĂ€dagogIn im ChladekÂź-System. Seit 2009 ist sie die Leiterin der berufsbegleitenden IGRC-Ausbildung in Wien. DarĂŒber hinaus fĂŒhrt sie an Grundschulen und in KindergĂ€rten TanztheaterProjekte durch.

Heide Lazarus, M.A., ist freie Produktionsdramaturgin, Kultur-, Tanz- und Theaterwissenschaftlerin. Arbeitsmittelpunkt ist Dresden. Dort war sie u.a. an der SĂ€chsischen Staatsoper Dresden, dem Deutschen Hygiene Museum Dresden, der Trans-Media-Akademie Hellerau sowie bei den Festivals TANZWOCHE und tanzHERBST dramaturgisch oder organisatorisch tĂ€tig und hat als langjĂ€hrig praktizierende Physiotherapeutin an der Palucca Hochschule fĂŒr Tanz Dresden Anatomie unterrichtet. Sie ist die Initiatorin und Herausgeberin der CD-ROM Die Akte Wigman (2007), einem digitalen Katalog von Dokumenten der Wigman-Schule-Dresden und weiterer lokaler Schulen mit dem Digitalisat der Zeitschrift Tanz-Gemeinschaft (1929–1930), dem noch existierenden Auszug aus dem Hörspiel Trommel, Trommel, Gong von Eugen Kurt Fischer mit dem GerĂ€uschstudio der Wigman-Schule-Dresden (1932) sowie weiteren kontextualisierenden Essays. Von 2007–2010 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Systemische Körper? Kulturelle und politische Konstruktionen des Schauspielers in schauspielmethodischen Programmen Deutschlands 1945–1989 (Leitung: Prof. Dr. Anja Klöck, Leipzig). Innerhalb von LINIE 08 von TanzNetzDresden ent-

wickelte sie die Idee zur Reihe Spuren sehen, die sie auch kuratierte. Außerdem ist sie die Initiatorin von „KARIN WAEHNER (1926–1999) – Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen. Ein TANZFONDS ERBE Projekt“, dessen Gesamtleitung sie innehat. Aktuell beendet sie ihre Dissertation zum Thema Tanz als Beruf, die mit einem Stipendium des Evangelischen Studienwerks Villigst unterstĂŒtzt wurde. Sie war Mit-Initiatorin und vier Jahre Mit-Organisatorin von TanzNetzDresden sowie deren Veranstaltungsreihe LINIE 08 und ist zudem Mitglied in verschiedenen Berufs- und InteressenverbĂ€nden im Bereich Tanz und Theater.

Annette Lopez Leal, Univ.Doz., tanzte fĂŒnf Jahre beim S.O.A.P. Dance Theatre, Frankfurt (kĂŒnstlerische Leitung: Rui Horta). 1999 war sie GasttĂ€nzerin bei Carte Blanche Danseteatre Bergen und realisierte 2000 und 2004 Prjekte mit Biondidanza (kĂŒnstlerische Leitung: JosĂ© Biondi und A. Lopez Leal) mit Tourneen in Finnland, Norwegen und Spanien. 2001 war sie in einem Projekt mit MS Schrittmacher, Berlin und dem Staatstheater Oldenburg (kĂŒnstlerische Leitung: Martin Stiefermann) beteiligt. Sie lehrte an den Tanzhochschulen in Frankfurt und Dresden und war Assistentin und Trainingsleiterin fĂŒr das Tanzensemble des Staatstheaters Oldenburg. Seit dem WS 2008/09 lehrt sie an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz. Dort habilitierte sie 2015 im kĂŒnstlerisch-wissenschaftlichen Bereich mit dem Thema: my body – my instrument. Als UniversitĂ€tsdozentin lehrt sie

Zeitgenössischen Tanz, Repertoire und Didaktik. Zudem ist sie zustĂ€ndig fĂŒr kĂŒnstlerische Projekte im interdisziplinĂ€ren Bereich der UniversitĂ€t – so z.B. 2018 zum 100. Geburtstag von Bernd Alois Zimmermann mit dem Forum Kammermusik der UniversitĂ€t in Linz. Ferner wird sie als Gastlehrerin gern eingeladen, u.a. fĂŒr verschiedene Tanzensembles (StĂ€dtische BĂŒhnen OsnabrĂŒck, Staatstheater Oldenburg, Theater Luzern) sowie an die Hochschule fĂŒr Musik und Darstellende Kunst Frankfurt a.M. 2011/12 realisierte sie verschiedene Produktionen im Rahmen der Veranstaltungsreihe LINIE 08 von TanzNetz Dresden in HELLERAU-EuropĂ€ischen Zentrum der KĂŒnste Dresden. Mit Bruno Genty verbindet sie eine von JosĂ© LimĂłn sowie physischer Dynamik und analytischer MusikalitĂ€t inspirierte Arbeitsweise.

Jean Masse studierte in Paris Zeitgenössischen Tanz bei Karin Waehner. Er war Mitglied ihrer Tanzkompagnie und spĂ€ter auch ihr Assistent. 1974 wurde er beim Concours chorĂ©graphique international de Bagnolet ausgezeichnet und grĂŒndete die Kompagnie Epiphane, fĂŒr die er seitdem choreografiert. Gleichzeitig baute er zusammen mit dem Psychomotoriker Jacques Garros das Centre Lafaurie-Monbadon auf (seit 1977 in Castets-et-Castillon, in der NĂ€he von Bordeaux). Dieser Ausbildungs- und Residenzort fĂŒr zeitgenössischen Tanz, in dem sich Professionelle und Amateure begegnen, entwickelte sich in der Region Aquitanien mit Verbindungen nach SĂŒdeuropa und bis Beirut (bis 2009). Von 1981–1984 war er am Roy Art Theatre beteiligt und lehrte von 1993–1995 beim Ballet Atlantique (BARC, Leitung: RĂ©gine Chopinot). FĂŒr BARC war er sowohl als Berater als auch 1995–1996 als TanzpĂ€dagoge fĂŒr die angegliederte Berufsausbildung tĂ€tig. Seit seiner staatlichen Anerkennung als diplomierter TanzpĂ€dagoge (1992) ist Jean Masse fĂŒr den zeitgenössischen Tanz auch auf dem Gebiet von „Tanz in Schulen“ der nationale Experte fĂŒr die Region Aquitanien. DarĂŒber hinaus ist er pĂ€dagogischer und kĂŒnstlerischer Co-Direktor des Centre Lafaurie Monbadon, das mit den Prinzipien des zeitgenössischen Tanzes nach Karin Waehner sowie der Körperarbeit nach Hilde Peerboom (eine SchĂŒlerin von Rosalia Chladek und Partnerin von Yvonne Berge) arbeitet. In den Kursen wurde eine große Anzahl von TĂ€nzer_innen unterrichtet, die fĂŒr den zeitgenössischen Tanz in Frankreich bedeutsam wurden. Andere TĂ€nzer_innen wurden in ihrer Grundausbildung unterstĂŒtzt und sind heute anerkannte zeitgenössische Choreografen und TanzpĂ€dagogen in Frankreich. Jean Masse ist GrĂŒndungs- und Vorstandsmitglied der Gesellschaft Karin Waehner - Les Cahiers de l'Oiseau. Als Kenner und offizieller Vermittler der Arbeitstechniken von Waehner ist er seit 1999 deren treuhĂ€nderischer Verwalter. Dadurch ermöglichte er beispielsweise drei Notationsprojekte: die Benesh-Notation des Solos L'Oiseau qui n'existe pas/ Der Vogel, der nicht mehr fliegt durch VĂ©ronique Gemin-Bataille (2006) sowie die LabanNotationen von Teilen der Choreografie Les Marches/ Die Stufen durch Elena Bertuzzi (2010) und des Trios aus Sehnsucht durch Christine Caradec (2012).

Tim Rubidge studierte Tanz und TanzpĂ€dagogik bei Sigurd Leeder in Herisau (CH). Seit 1975 erarbeitete und entwickelte er viele Werke im modernen bzw. zeitgenössischen Tanz. Mit diesen Solo- und kleinen Ensemble-Choreografien ist er nicht nur in StĂ€dten und Gemeinden Großbritanniens, sondern international in Europa, den USA und SĂŒdafrika aufgetreten. Parallel dazu entwickelte und leitete er Kooperations- und Partizipationsprojekte sowie Residenzen in verschiedenen Kultureinrichtungen und auch in nichtkĂŒnstlerischen Settings, wobei mittels Tanz Themen wie IdentitĂ€t und Beziehungen mit anderen thematisiert wurden. In den letzten Jahren hatte sich seine Arbeit auf Site-Spezific-Choreografien konzentriert, die durch stĂ€dtische und lĂ€ndliche Orte und ebenso durch ihre spezifische physische als auch soziale Umgebungen inspiriert waren. Mittels eines fantasievollen Prozesses erkundete und realisierte er dabei Performances, die im Tanz sowohl den Dialog zwischen den TĂ€nzern, als auch die IdentitĂ€t des Platzes sowie die physischen und sensorischen Erfahrungen verbunden haben. Tim Rubidge war an kulturellen Austauschprogrammen beteiligt und hat an verschiedenen UniversitĂ€ten unterrichtet. Beispielsweise war er von 2008–2011 an der Northumbria University in Newcastle upon Tyne (UK) Gastprofessor fĂŒr Choreografie. 2015/2016 hat er das Forschungsprojekt Make/ Shift konzipiert und geleitet, das der Frage nachging, wie sich zeitgenössische choreografische Praxis mit der FlĂŒchtlingserfahrung der Vertreibung und Migration beschĂ€ftigen könnte, vermittelt ĂŒber die Ungleichheit des Kontextes von verschiedenen Teilnehmergruppen. 2016/17 entwickelte er fĂŒr sich die Hope Etudes, das sind vier einander verbundene Miniatur-Choreografien, die aufgefĂŒhrt werden, um eine Art „Hoffnungslandschaft” zu schaffen; die Inspiration dazu waren Solo-Dialoge mit der Vergangenheit und Gegenwart. Im Laufe der Jahre hat Tim Rubidge viele Subventionen und Preise fĂŒr seine Arbeit erhalten.

Kirsten SeeligmĂŒller ist MitbegrĂŒnderin und Mit-GeschĂ€ftsfĂŒhrerin des DOCK 11 & EDEN***** GmbH (gemeinnĂŒtzig) in Berlin. Sie hat eine Graphiker- und Schriftsetzer-Ausbildung absolviert und eine Tanzausbildung an der Erika KlĂŒtz Schule Hamburg. 1994 grĂŒndete sie in Berlin zusammen mit Wibke Janssen das Kulturzentrum DOCK 11, das gleichzeitig sowohl eine Schule als auch ein choreografisches Zentrum und ein AuffĂŒhrungs- und Probenort ist. 2004 wurde mit EDEN***** ein zweiter Standort aufgebaut. Zudem war sie in der Koalition der freien Szene Berlin aktiv. 2006 initiierte sie zusammen mit Anja Weber das Recherche-Projekt Im Prinzip Tanztechnik? – Zeitgenössische Tanztechniken, Tanzmethoden, Tanzsysteme im Vergleich fĂŒr das Berliner HochschulĂŒbergreifende Zentrum Tanz. Sie leitete u.a. 2015 das Projekt POST – Ausdruckstanz in Israel, Deutschland und im Butoh. Beim gtf-Workshop Festival wird sie den Spuren ihrer eigenen Tanzbiografie nachgehen und mit den Ergebnissen ihrer tĂ€nzerischen Recherchen zum Modernen Tanz verknĂŒpfen.

Biografische Notizen zu den thematisierten „GrenzgĂ€ngern“ und „BrĂŒckenbauern“ des modern-zeitgenössischen Tanzes in Europa

Rosalia Chladek (1905-1995)

Die TĂ€nzerin, Choreografin und TanzpĂ€dagogin wurde 1905 in BrĂŒnn (Brno, heute Tschechoslowakei) geboren, wo sie in ihrer Jugend bei Margarete Kalab eine rhythmisch-musikalische Basiserziehung erhielt (1918-1921). Anschließend studierte sie drei Jahre an der Schule fĂŒr Rhythmus, Musik und Körperbildung Hellerau bei Dresden. Nach ihrem Studienabschluss (Lehrdiplom fĂŒr Körperbildung) wurde sie 1922 Mitglied in der Tanzgruppe Kratina der Schule Hellerau, in der sie einige Rollen kreierte (z.B. in Kratinas Choreografie Der holzgeschnitzte Prinz oder in Der Mensch und seine Sehnsucht). Im darauffolgenden Jahr hatte sie außerdem in Dresden ihr DebĂŒt als SolotĂ€nzerin. 1924 bis 1928 lehrte sie an der Schule Hellerau und nach deren Übersiedlung nach Österreich (1925) in die NĂ€he von Wien, an der Schule Hellerau-Laxenburg; 1926 trat sie in Wien mit Suite im alten Stil auch als SolotĂ€nzerin auf. 1928 erhielt sie eine Einladung zum 2. Deutschen TĂ€nzerkongress in Essen und trat erstmals in Berlin auf. Anschließend nahm Chladek das Angebot zur Leitung der AusbildungsstĂ€tte fĂŒr Gymnastik und Tanz am Konservatorium Basel (Schweiz) an und begann, ausgehend von den Grundlagen der gymnastischen Körperschulung ein eigenes System der modernen tĂ€nzerischen Erziehung zu entwickeln, dessen Bewegungen aus den GesetzmĂ€ĂŸigkeiten des Körpers abgeleitet werden. Gleichzeitig leitete sie die Tanzgruppe des Basler Konservatoriums und war als Choreografin am Stadttheater Basel tĂ€tig, wo sie u.a. die StĂŒcke Die Geschichte vom Soldaten, Petruschka, Don Juan und Pulcinella inszenierte. Mit ihrer Basler Tanzgruppe nahm sie am 3. Deutschen TĂ€nzerkongress in MĂŒnchen teil und danach wurden in Wien Elemente-Zyklus, Rhythmen-Zyklus und Figuren aus Petruschka aufgefĂŒhrt. Von 1930 bis zur Schließung der Schule 1938 durch die Nationalsozialisten war Rosalia Chladek die kĂŒnstlerische Leiterin der

Tanzgruppe und sie hatte an der Schule Hellerau-Laxenburg auch die gymnastische und tĂ€nzerische Ausbildung geleitet. 1931 war sie bei den Wiener Festwochen beteiligt, die unter dem Motto Festliche Tanzsuite standen. 1932 gewann sie in Paris mit Les Contrastes den 2. Preis beim Großen Internationalen Wettbewerb fĂŒr Choreografie und 1933 ebenfalls den 2. Preis beim Ersten Internationalen Wettbewerb fĂŒr KĂŒnstlerischen Tanz in Warschau. Bis 1952 wirkte sie regelmĂ€ĂŸig bei den Festspielen in Italien mit und absolvierte Gastspiele in Paris. 1934 choreografierte und tanzte Chladek die Hauptrollen in Marienleben und Jeanne d'Arc. Zum zehnjĂ€hrigen Bestehen der Schule Hellerau-Laxenburg, deren Ausbildungskurse damals von einer internationalen SchĂŒlerschaft besucht wurden, schuf Chladek 1935 die Choreografie La Danza. Ein Jahr spĂ€ter wirkte sie in Totengeleite mit und erarbeitete die Mythologische Suite mit Narcissus, Pythia und Waffentanz der Penthesilea. Nach Kriegsende ergĂ€nzte sie diesen Zyklus noch mit den StĂŒcken „Daphne“ und „Agaue“ (1946). Mit ihrer Tanzgruppe absolvierte Chladek Gastspiele in Paris und Rom, 1938 fand noch eine Tournee durch Schweden, Estland, Lettland, Polen und die Niederlande statt, in der u.a. die Erzengel-Suite zur AuffĂŒhrung kam, 1940 hatte sie ein Gastspiel in Rom und ging mit Alexander Swaine auf eine Tournee durch Indonesien. Im selben Jahr fĂŒhrte Chladek mit Orpheus und Eurydike (1940) erstmals Regie an der Wiener Staatsoper und wurde als Choreografin und SolotĂ€nzerin an die Deutsche TanzbĂŒhne in Berlin verpflichtet. Sie leitete dort zwei Jahre die Moderne Tanzausbildung an den Deutschen MeisterstĂ€tten fĂŒr Tanz. Nach ihrer RĂŒckkehr nach Wien ĂŒbernahm sie die Leitung der AusbildungsstĂ€tte fĂŒr BĂŒhne und Lehrfach am Konservatorium der Stadt Wien (1942 bis 1952).

In dieser Zeit entstanden u.a. Ein romantisches Liebesschicksal – Die Kameliendame (1943) und mit Echo-GesĂ€nge (1946) gesprochene und getanzte Lyrik. Es folgten weitere Arbeiten, wie z.B. die choreografische Gestaltung des Jedermann (1947) bei den Salzburger Festspielen. Ab 1948 internationale GastlehrertĂ€tigkeit (u.a. Internationale Sommerkurse des Schweizer Berufsverbandes fĂŒr Tanz und Gymnastik sowie zahlreiche Gastkurse im gesamten europĂ€ischen Raum. 1949 choreografierte sie Die vier Temperamente, Pantea sowie Peter und der Wolf (Regie: Gustav Manker) und 1951

gab sie ein Gastspiel in New York sowie Auftritte der Tanzgruppe Rosalia Chladek in Wien, u.a. mit Afro-amerikanischer Lyrik und From Morning to Midnight sowie Tourneen durch Italien, Deutschland und die Schweiz.

1952 wird Rosalia Chladek schließlich zum Vorstand der Abteilung fĂŒr kĂŒnstlerischen Tanz an der Akademie fĂŒr Musik und Darstellende Kunst in Wien berufen, 1967 wird sie zur Hochschulprofessorin ernannt und von 1962 bis 1977 leitete sie den eigenstĂ€ndigen Hochschullehrgang „Moderne tĂ€nzerische Erziehung und TanzpĂ€dagogik – System Rosalia Chladek“. 1972 erfolgte die GrĂŒndung der Internationalen Gesellschaft Rosalia Chladek (IGRC) mit Arbeitsgemeinschaften, die in Österreich, Deutschland, in der Schweiz, Italien und Frankreich aktiv sind und in Kursen die von ihr entwickelte Technik und ihre Lehrweise verbreiten.

Rosalia Chladek hatte als herausragende AusdruckstĂ€nzerin und PĂ€dagogin ein immenses choreografisches Werk geschaffen, nicht nur im Bereich des kĂŒnstlerischen BĂŒhnentanzes, sondern auch im Rahmen von Schauspiel, Oper, Operette, Film und Fernsehen. FĂŒr ihr Lebenswerk wurde Rosalia Chladek u.a. 1960 mit dem Ehrenkreuz fĂŒr Wissenschaft und Kunst 1. Klasse ausgezeichnet und 1971 erhielt sie die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien 1971, sie war Ehrenmitglied der Deutschen Akademie des Tanzes und außerdem wurde ihr der Eschilo d’Oro Italiens verliehen,

Sigurd Leeder (1902-1981)

Bereits als Student an der Hamburger Hochschule der Bildenden KĂŒnste und war Sigurd Leeder - ohne eine professionelle Ausbildung erhalten zu haben - als Schauspieler, TĂ€nzer sowie KostĂŒm- und BĂŒhnenbildner an den Hamburger Kammerspielen engagiert. Sein erstes Solo Tanz ohne Musik schuf er 1920, seit 1921 kreierte er in Hamburg auch TanzstĂŒcke fĂŒr seine Tanzgruppe und gab Solo-Tanzabende. 1923 tanzte er bei einer Tournee mit der MĂŒnchner Tanzgruppe von Jutta von Collande. 1924 begrĂŒndete er mit Kurt Jooss das Ensemble Neue TanzbĂŒhne am Theater MĂŒnster und war bis 1947 engster Mitarbeiter und Partner von Kurt Jooss, mit dem er gemeinsame Tanzabende gestaltete (u.a. Zwei TĂ€nzer). Ab 1927 bauten

Kurt Jooss und Sigurd Leeder zusammen in Essen die Folkwang-Schule und das Folkwang-Tanz-Theater-Studio auf, welches spĂ€ter als Ballets Jooss weltweit tourte und fĂŒr das Leeder als TĂ€nzer, Ballettmeister und KostĂŒmbildner arbeitete. Als Kurt Jooss 1933 mit seinem gesamten Ensemble nach England emigrierte, folgte ihm Sigurd Leeder. Ab 1934 fĂŒhrten Jooss und Leeder in Dartington Hall (GB) gemeinsam die Jooss-Leeder-School of Dance. Nach Auflösung der Ballets Jooss und der gemeinsam geleiteten AusbildungsstĂ€tte in Dartington grĂŒndete Sigurd Leeder 1947 in London eine eigene Schule mit Studiogruppe, die in England eine der renommiertesten AusbildungsstĂ€tten fĂŒr Modernen Tanz war. Er unterrichtete eine internationale SchĂŒlerschaft und wurde als ein herausragender, geradezu begnadeter TanzpĂ€dagoge geschĂ€tzt, der international als Referent zu Gastkursen eingeladen wurde, u.a. zu den Sommerkursen des Schweizer Tanzund Gymnastiklehrerverbandes, wie auch Mary Wigman, Rosalia Chladek, Harald Kreutzberg etc. Seine Unterrichtsmethodik zur Vermittlung der tanztechnischen Grundlagen des Modernen Tanzes baut sich in Spiralform vom Einfachen zum Komplexen, vom Kleinen zum Großen auf und er griff außerdem auf die Lehren Labans zurĂŒck. 1959 ĂŒbergab er die Leitung seiner Schule an seine Assistentinnen June Kemp und Simone Michelle und nahm einen Ruf als Gastprofessor an die UniversitĂ€t von Santiago de Chile an. Von 1959 bis 1964 leitete Sigurd Leeder die Tanzabteilung der UniversitĂ€t von Santiago de Chile. Die Londoner Schule musste 1965 aufgrund der in Großbritannien starken Hegemonie des Klassischen Tanzes und der Konkurrenz von Schulen, welche den aus USA kommenden Modern Dance unterrichteten, endgĂŒltig schließen. Sigurd Leeder lehrte von 1964 bis zu seinem Tod 1981 mit Grete MĂŒller an der Sigurd Leeder School of Dance in Herisau und bildete eine betrĂ€chtliche Zahl angehender Tanzschaffenden und TanzpĂ€dagog_innen aus, die nicht nur aus der Schweiz kamen, sondern auch von NachbarlĂ€ndern. Dadurch hat Sigurd Leeder auch maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Freien Tanzszene und des zeitgenössischen Tanztheaters genommen. Leeder konnte Tanzbewegungen prĂ€zise und differenziert analysieren und er motivierte die Tanzstudierenden, auch in den zu Trainingszwecken komponierten TanzetĂŒden ihren eigenen persönlichen

Bewegungsausdruck zu suchen. Sein Lehrkonzept entwickelte er auf der Basis des Laban-Systems, auch wenn er selbst nicht zu dessen unmittelbarem SchĂŒlerkreis gehörte. Die von ihm geschaffenen grundlegenden EtĂŒden in Tanztechnik, Eukinetik und Choreutik hat er mit seinen Studierenden in der Labanotation schriftlich aufgezeichnet. Sigurd Leeder wurde 1959 in den International Council of Kinetography Laban (ICKL) berufen und gab wichtige Impulse fĂŒr die Weiterentwicklung der Kinetografie Laban. 1979 wurde er zum Vorsitzenden des ICKL gewĂ€hlt.

Erika KlĂŒtz (1908-1905)

Erika KlĂŒtz arbeitete als klassisch ausgebildete TĂ€nzerin in Schwerin und Rostock. Ihr Interesse fĂŒr den Modernen Tanz fĂŒhrte sie auf andere Wege: „Nur der moderne Tanz mit seiner aus den natĂŒrlichen Bewegungsmöglichkeiten entwickelten Technik“ ist imstande, „das verĂ€nderte Lebens- und ZeitgefĂŒhl der zwanziger Jahre aufzugreifen und zu gestalten.“ Sie gab in Rostock ihre Stellung als SolotĂ€nzerin auf und begann ihr Studium 1929 in der Wigman Schule Berlin bei Margarethe Wallmann und spĂ€ter in Dresden, wo sie auch ihre AbschlussprĂŒfung ablegte. Nach Abschluss der TanzpĂ€dagogik-Ausbildung wurde Erika KlĂŒtz zusammen mit ihrer Kollegin Gisela Sonntag von Mary Wigman als Assistentinnen engagiert. An der WigmanSchule unterrichtete Erika KlĂŒtz die AnfĂ€ngerklasse der Tanzausbildung und die Kinderklassen. 1934 wurde sie Mitglied der Mary Wigman Tanzgruppe, die auf ausgedehnten Gastspielreisen in ganz Europa auftrat. Nach Auflösung der Tanzgruppe von Mary Wigman lehrte sie an den MeisterstĂ€tten fĂŒr Tanz in Berlin (1936 bis 1939). Auf diese Weise arbeitete sie mit Harald Kreutzberg, Max Terpis, Tatjana Gsovsky, Tamara Rauser, Marianne Vogelsang und Mary Wigman zusammen. Sie ĂŒbernahm den Unterricht von Mary Wigman, wenn diese nicht in Berlin war und trat als SolotĂ€nzerin in der Freien VolksbĂŒhne Berlin auf.

WĂ€hrend der Kriegsjahre wurde Erika KlĂŒtz Ballettmeisterin und erste SolotĂ€nzerin am Staatstheater Schwerin und leitete die Abteilung Tanz am Mecklenburgischen Konservatorium. Mit einem von der englischen MilitĂ€r-

behörde organisierten KĂŒnstlertransport kam Erika KlĂŒtz nach Hamburg und wurde zunĂ€chst Ballettmeisterin und Leiterin der Kinder- und Elevenausbildung an der Hamburgischen Staatsoper. Nach der RĂŒckkehr des in Gefangenschaft geratenen Ballettmeisters Max Aust eröffnete Erika KlĂŒtz in Hamburg ihre eigene Schule fĂŒr Theatertanz und TanzpĂ€dagogik und entwickelte auf der Grundlage der Zusammenarbeit mit Mary Wigman im Laufe ihrer jahrzehntelangen Unterrichtspraxis ihren ganz eigenen Stil und eine offene Haltung, die sie fast 60 Jahre an Generationen von TĂ€nzer_innen weitergegeben hat.

Marianne Vogelsang (1912-1973)

In ihrer Heimatstadt Dresden besuchte Marianne Vogelsang das MĂ€dchenGymnasium und gehörte danach von 1929 bis1933 zum Kreis von Gret Paluccas ersten SchĂŒlerinnen. Ihr Diplom fĂŒr Tanz und TanzpĂ€dagogik erhielt sie am 31. Mai 1933. Zudem gehörte sie bis 1934 neben Herta Fischer und Charlotte Hölzner dem bekannten Palucca-Trio an, die u.a. mit dem Arabesque-StĂŒck (nach Cassado) auftraten oder mit Grazioso, einer Volksmusikadaption. Des Weiteren tanzte Marianne Vogelsang mit Palucca auch in Cantion (Musik: Granados). 1935 gab sie dann ihren ersten Tanzabend und ging zu Rudolf von Laban an die Deutsche TanzbĂŒhne und unterrichtete an dieser Einrichtung zur kostenlosen Weiterbildung von arbeitslosen TĂ€nzer_innen Modernen Tanz. 1936 ging sie als Lehrerin an die von Laban mitgegrĂŒndeten MeisterstĂ€tten fĂŒr Tanz in Berlin, und von 1938 bis 1940 lehrte sie an der Folkwang-Schule in Essen. WĂ€hrend des Krieges kehrte sie nach Berlin zurĂŒck und unterrichtete dort zwei Jahre an mehreren klassischen Tanzschulen, u.a. bei Tatjana Gsovsky und Tamara Rauser. Nach dem Krieg war Marianne Vogelsang in Rostock als Leiterin der Arbeitsgruppe Tanz der Hochschule fĂŒr Musik engagiert. An der der Rostocker Musikhochschule unterrichtete sie bis 1948. Sie trat weiterhin als TĂ€nzerin auf. Sie tanzte nach der Musik von Corelli, Bach, Rameau, Chopin und Skrjabin, ferner gibt es Verweise auf einen Zyklus mit dem Titel Ahnung - Ferne –Zwiespalt – Weg. Ebenso nahm sie Musik von Ullrich Keßler (z.B. beim

Tanzzyklus Die sieben TodsĂŒnden) und ein breites Spektrum europĂ€ischer Musik und Volksweisen als Vorlage fĂŒr ihre TĂ€nze. 1948 ĂŒbernahm sie eine eigene Ausbildungsschule in Berlin und war zusĂ€tzlich bis 1950 Mitarbeiterin des Mary Wigman-Studios. Als ihre eigene Schule in Weißensee spĂ€ter mit der Staatlichen Fachschule fĂŒr kĂŒnstlerischen Tanz Berlin vereinigt wurde, leitete sie dort von 1951 bis zu deren Auflösung 1958 die Abteilung fĂŒr Modernen Tanz. Danach gastierte sie an verschiedenen Berlinern Theatern und beim Deutschen Fernsehfunk, choreografierte Iphigenie in Aulis an der Deutschen Staatsoper „Unter den Linden“ und tanzte die Rolle der Marte Rull in einem Ballett zu Kleists Der zerbrochene Krug (Ch.: Anni Peterka). Ferner wirkte sie in einer berĂŒhmten Faust-Inszenierung von Wolfgang Langhoff mit, in der Ernst Busch den Mephisto spielte.

Nach ihrer pĂ€dagogischen TĂ€tigkeit am Institut fĂŒr BĂŒhnentanz in Köln (1963-1965) war sie ab 1965 Dozentin an Volkshochschulen verschiedener West-Berliner Bezirke und als freie Mitarbeiterin an der Musikhochschule Hannover aktiv. Ihre letzten Choreografien schuf sie 1972 und 1973 mit den FĂŒnf PrĂ€ludien aus dem Wohltemperierten Klavier von Bach, die sie nur wenige Wochen vor ihrem Tod in Dresden an Manfred Schnelle ĂŒbertrug. Sie sind ein beispielhaftes Zeugnis, in welchem TanzverstĂ€ndnis sie arbeitete und wie sie TĂ€nzer, Bewegung, Raum und Musik zu einem Gesamtwerk gestalten vermochte.

In der von ihr verantworteten Tanzausbildung gehörten die EinfĂŒhrung in die Musik und die Vermittlung von Technik und tĂ€nzerischer Gestaltung zusammen, entsprechend dem VerstĂ€ndnis einer praktischen Musikerziehung, bei der Formenlehre, Stil, rhythmische Gegebenheiten und motivische Charakteristika vermittelt wurden. Ihr Hauptanliegen war es, dass die TĂ€nzer_innen selbst zur Gestaltung ihrer TĂ€nze finden. Mit dieser Tanzauffassung entstehen die Technik und die kĂŒnstlerische Form aus der Idee des Tanzes. Marianne Vogelsang griff in ihrem Unterricht auch Beispiele aus dem Historischen Tanz auf. Ihre Studierenden erlernten RenaissancetĂ€nze oder erarbeiteten alte Musik in freier Gestaltung und am Beispiel von BĂ©la BartĂłk erfuhren sie mögliche BezĂŒge zur zeitgenössischen

Musik. TĂ€nze zu Musiken von Brahms und Robert Schumann fanden eine ErgĂ€nzung durch eine Bezugnahme zur Bildenden Kunst, beispielsweise zu Barlach. FĂŒr eine Filmproduktion des Fernsehens hatte sie mit TĂ€nzern Barlach-Gestalten interpretiert.

Karin Waehner (1926-1999)

Karin Waehner gilt als eine der kĂŒnstlerischen Erben der Choreografin, PĂ€dagogin und TĂ€nzerin Mary Wigman (1886-1973). Sie wurde in Frankreich eine wichtige Wegbereiterin fĂŒr den modernen und zeitgenössischen Tanz. Insbesondere Waehners tanzpĂ€dagogischer Ansatz bezieht sich auf die Lehrweise von Mary Wigman: "Was sie [Wigman] lehrte, war ein SchlĂŒssel", so meinte Waehner. 1945 kam die junge Frau zusammen mit ihrer Mutter, die selbst TĂ€nzerin und TanzpĂ€dagogin war und nach den Lehren von Mensendieck, Dalcroze/ Chladek und Mary Wigman unterrichtete, als Sudetendeutsche nach Dresden. Dort begann sie ihre Körper- und Bewegungsschulung an der Menzler-Marsmann-Schule Hellerau bei Dresden, strebte aber stĂ€rker nach einem eigenen expressiven Ausdruck. 1946, nach Kriegsende fand sie so den Weg zu Mary Wigman nach Leipzig in deren private Tanzschule, wo sie spĂ€ter auch AnfĂ€nger-Klassen unterrichtete und in Tanzgruppe tanzte. 1949 erhielt sie von Mary Wigman ihr Diplom fĂŒr PĂ€dagogik, Choreografie und BĂŒhnentanz. Nach einem Jahresengagement am Theater Gießen folgte sie 1950 zusammen mit ihrer Mutter ihrem Bruder aus finanziellen GrĂŒnden nach Buenos Aires. Dort tanzte und unterrichtete sie in der Tanzschule von Otto Werberg, einem ehemaligen TĂ€nzer von Margarethe Wallmann und Kurt Jooss. In den 1950er Jahren kehrte sie nach Europa zurĂŒck und zog nach Paris. Hier konnte sie ihre ganze kĂŒnstlerische Kraft entfalten, besuchte aber, soweit es ihr möglich war, bei Wigman jeden Sommerkurs, "um mir dort wieder ein bisschen Kraft zu holen fĂŒr das Ausland" (nach einem Interview mit Patricia Stöckemann 1990). Dem Rat von Marcel Marceau folgend, studierte sie zunĂ€chst bei Etienne Decroux Pantomime, verließ aber bald wieder diese Ausrichtung des kĂŒnstlerischen Körperausdrucks.

Mitte der 1950er Jahre begann die Zusammenarbeit mit weiteren Choreografen, TĂ€nzern und PĂ€dagogen des Modernen Tanzes, die damals in Frankreich zur bestimmenden Tanz-Avantgarde gehörten: Jacqueline Robinson, Françoise und Dominique Dupuy sowie Jerome Andrews. 1959 grĂŒndete sie ihre eigene Tanzgruppe Les ballets contemporains Karin Waehner, welche ĂŒber mehrere Jahre tourte. Zudem gelang es ihr, in den 1950er Jahren erfolgreich den zeitgenössischen Tanz in die Ausbildung von Gymnastiklehrer_innen an der damaligen Sporthochschule (ENSEP, École supĂ©rieure d’éducation physique) in Paris zu implementieren und gab in der Folgezeit an vielen weiteren französischen Sportinstituten Kurse zu ihrer Methode. Auf ihre Anregung hin erweiterte 1960 die traditionsreiche private Musikhochschule Schola Cantorum in Paris (heute: Hochschule fĂŒr Musik, Tanz und Theater) ihre bisherige ballettzentrierte Tanzausbildung um eine Abteilung fĂŒr Modernen Tanz, deren Leitung sie ĂŒbernahm. Sie unterrichtete nach ihrer eigenen, mehr und mehr sich entwickelnden Philosophie und innovativen Lehrweise. In ihrem Unterricht wurden beispielsweise auch Entwicklungen in anderen KĂŒnsten (Musik, Bildende KĂŒnste, Dichtung) interpretiert und ebenso Aspekte der Philosophie, der Stimme oder des schöpferischen Handelns thematisiert. Dieser stilĂŒbergreifend kombinierende eklektizistische Ansatz war in der in der damaligen Ausbildungspraxis innovativ und deshalb kamen viele TĂ€nzer und TĂ€nzerinnen zu ihr, um den Reichtum eines Tanzunterrichts zu erfahren, bei dem sich die Entwicklung von tĂ€nzerischer Technik und KreativitĂ€t miteinander vermischten. So studierten bei ihr u.a. Jean Masse, Kiliana Cremona, Jean PomarĂšs, Pierre Doussaint, MichĂšle Mengual, Odile Cougoule, Jean Christophe Bleton, Angelin Preljocai, Marie Devillers und Bruno Genty. Von 1971 bis 1978 unterrichtete Karin Waehner im Centre d’ Action Culturelle (CAC) an dessen BĂŒhne „Les GĂ©meaux de Sceaux“ Modernen Tanz, danach lehrte sie am Konservatorium von Bagnolet. Neben ihrer LehrtĂ€tigkeit war Waehner wieder stĂ€rker choreografisch aktiv. AnlĂ€sslich der Ausstellung Paris-Berlin (1900–1933) im Centre Pompidou in Paris wurde sie 1979 beauftragt, fĂŒr einen Film ĂŒber den deutschen Expressionismus (Regie: Pierre Defonds) sechs Choreografien zu schaffen. Im Zuge dieser Arbeit reflektierte sie ihre

eigenen expressionistischen Wurzeln, die dann in ihren spĂ€teren TanzstĂŒcken wieder deutlicher erkennbar wurden. 1882 wird sie zur Professorin fĂŒr Modernen bzw. zeitgenössischen Tanz an das Konservatorium fĂŒr Musik und Tanz La Rochelle berufen. Damals war es in Frankreich das erste Konservatorium, das einen eigenen Lehrstuhl fĂŒr modern-zeitgenössischen Tanz eingerichtet hatte. Nach fĂŒnf Jahren kehrte sie nach Paris zurĂŒck und war fortan vorwiegend als Gastlehrerin tĂ€tig. Sie gab Kurse am von ihr 1964 mitgegrĂŒndeten Centre international de la Danse (CID) in Paris, arbeitete mit der Kompagnie von Joseph Russillo (Toulouse) und unterrichtete im professionellen Tanzausbildungszentrum von Walter Nicks (Poitiers) sowie am Centre de Danse Contemporaine et Afro-AmĂ©ricaine „Free Song“ in Paris. Außerdem lehrte sie als Gastdozentin an verschiedenen UniversitĂ€ten, wie z.B. an der Tanzhochschule Turin sowie an der UniversitĂ€t Montpellier, UniversitĂ€t Bremen und an der UniversitĂ€t Strasbourg. Im Rahmen eines tanzwissenschaftlichen Kongresses an der Pariser Sorbonne (1990) referierte sie ĂŒber „die Lehre eines evolutionĂ€ren, wandlungsfĂ€higen Tanzes“ und erlĂ€uterte dort ihr TanzverstĂ€ndnis und ihren tanzkĂŒnstlerischpĂ€dagogischen Ansatz. DarĂŒber hinaus leitete sie seit 1981 in Zusammenarbeit mit dem Psychomotoriker Jacques Garros (Körperarbeit) und dem TĂ€nzer und Choreografen Jean Masse (Zeitgenössischer Tanz) regelmĂ€ĂŸig bis zu ihrem Todesjahr 1999 Sommerkurse am Centre Laufaurie-Montadon in Castillon de Castets im DĂ©partement Gironde. Diese wurden von vielen TanzkĂŒnstlerinnen und -kĂŒnstlern besucht, die zur Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes maßgeblich beigetragen haben. In den 1990er Jahren war sie zusammen mit Françoise und Dominique Dupuy am Ausbildungsinstitut fĂŒr Tanz- und MusikpĂ€dagogik (Institut de formation des enseignants de la danse et de la musique, IFEDEM) in Paris im Rahmen der neu eingefĂŒhrten staatlichen Diplom-Ausbildung fĂŒr Zeitgenössische TanzpĂ€dagogik engagiert und war mit Lehr- und Konzeptionsaufgaben betraut. DarĂŒber hinaus wirkte sie am Aufbau der von Dominique Dupuy geleiteten Tanzabteilung des Instituts fĂŒr Musikalische und Choreographische PĂ€dagogik (IPMC) mit. Diese Einrichtung war mit der Archivierung, Dokumentation, Forschung und Weiterbil-

dung auf dem Gebiet der Zeitgenössischen Tanzkunst betraut und veranstaltete internationale Tagungen. Außerdem war sie noch an zwei der dezentralen Nationalen Choreografischen Zentren (CCN) tĂ€tig: 1992 auf Einladung von Dominique Bagouet am CCN von Montpellier und 1996 am CCN von La Rochelle sowie beim Ballet Atlantique RĂ©gine Chopinot, BARC) im Rahmen eines beruflichen EinfĂŒhrungsseminars fĂŒr TĂ€nzer.

1993 veröffentlicht Karin Waehner (zusammen mit Odile Cougoule) ihren „choreografischen Werkzeug-Kasten“ Outillage chorĂ©graphique (Paris: Vigot). In diesem Lehrbuch fasste sie ihren Ansatz zusammen und erlĂ€uterte die Strategien und die von ihr genutzten „handwerklichen“ Mittel dieses Schaffensprozesses.

Einige beispielhafte Choreografien von Karin Waehner sind l'oiseau qui n'existe pas/ der Vogel, der nicht existiert (1963), PoĂšme/ Gedicht (1965), Labyrinthe (1972), Les marches/ die Treppen (1980), Sehnsucht (1982), exode/ Exodus (1988) und celui sans nom/ Namenlos (1990).

1999 wurde die Association Karin Waehner Les Cahiers de l'Oiseau gegrĂŒndet, damit das umfangreiche Schaffenswerk der KĂŒnstlerin und PĂ€dagogin im kollektiv-kommunikativen und kulturellen GedĂ€chtnis von einer institutionellen Einrichtung heraus gesichert, gepflegt und weitergegeben werden kann.

Literatur

Biographie Erika KlĂŒtz. Zugriff unter http://www.kluetzschule.de/uber-uns/ biographie

Fleischle-Braun, Claudia (2017): Das tanzpĂ€dagogische Konzept von Sigurd Leeder und seine transnationale Verbreitung. In: Tanzwissenschaft Nr. 12. Digitale Zeitschrift fĂŒr Tanzwissenschaft, Tanzgeschichte und Tanzforschung. Zugriff unter https://www.sk-kultur.de/tanz/tw/ tw12.pdf

Fleischle-Braun, Claudia (2018): Zur Verbreitung des Modernen Tanzes und sein Einfluss auf die TanzpÀdagogik in Frankreich. In: Andreas Luh/ Norbert Gissel (Hg.) Neue Forschung zur Kulturgeschichte des Sports (i. Dr.). Hamburg: Feldhaus.

Giel, Ingrid/ Lajko, Eva/ Schebrak-Carcich (2017): Das System und die Lehr weise von Rosalia Chladek. In: Claudia Fleischle-Braun/ Krystyna Obermaier/ Denise Temme (Hg.): Zum immateriellen Kulturerbe des Modernen Tanzes (S. 141-168). Bielefeld: transcript.

Oberzaucher-SchĂŒller, Gunhild/ Giel, Ingrid (2002): Rosalia Chladek. Klassikerin des bewegten Ausdrucks. MĂŒnchen: Kieser.

Robinson, Jacqueline (1990): L’aventure de la danse moderne en France (1920-1970). Paris: BougĂ©.

Schnelle, Manfred: Marianne Vogelsang. In: tanz (1990/ Heft 10). Zugriff unter https://www.der-theaterverlag.de/tanz/.../mariannevogelsang-marianne-vogelsang/

Waehner, Karin (1993): Outillage Chorégraphique. Manuel de composition. Paris: Vigot.

Exposer / performer l’archive au CN D Karin Waehner, une

artiste migrante

SoirĂ©e conçue par Sylviane PagĂšs, MĂ©lanie Papin et Guillaume SintĂšs dans le cadre des activitĂ©s du Groupe de recherche : Histoire contemporaine du champ chorĂ©graphique en France / Musidanse, universitĂ© Paris 8 Montage d’archives StĂ©phane Caroff

Avec le soutien du Labex Arts-H2H et de Musidanse – Ă©quipe Discours et Pratiques en danse –universitĂ© Paris 8 En partenariat avec la BibliothĂšque nationale de France – dĂ©partement des Arts du spectacle Avec le concours du CN D, de l’Ina et de la Maison de la danse de Lyon et la collaboration du Ballet Théùtre Épiphane, de la compagnie Gramma, de l’Akademie der KĂŒnste de Berlin et de l’universitĂ© de Linz (Autriche)

Ce projet bĂ©nĂ©ficie d’une aide de l’Agence nationale de la recherche au titre du programme Investissements d’avenir (ANR-10-LABX-80-01).

Avec l’aimable autorisation de Jean Masse et le concours de Laurent BarrĂ©, Marion Bastien, AurĂ©lie Berland, Olivier Bioret, Jean-Christophe Bleton, Christine Caradec, StĂ©phane Caroff, Pauline Cellard, Olivier Chervin, Odile Cougoule, Mireille Delsout-Drancourt, CĂ©line de Dianous, Stephan Dörschel, Barbara Falco, Josephine Ulrike Fenger, VĂ©ronique GĂ©min-Bataille, Bruno Genty, Émilie Georges, Corinne Gibello-Bernette, Dominique Hervieu, JoĂ«l Huthwohl, Isabelle Launay, Wilson Le Personnic, Heike Helen Meier, MichĂšle Mengual, Mathilde Monnier, ValĂ©rie Nonnenmacher, Fabien Plasson, GĂ©raldine Poels, Laurent Sebillotte

Le projet « Karin Waehner, Exposer / performer l’archive » se poursuit avec le colloque international Ă  la BibliothĂšque nationale de France – site Tolbiac – Galerie Jules Verne, le 16.12.2017.

Karin Waehner, une artiste migrante

15.12.2017

« Trios de femmes » ou « Le trio de Brecht » extrait de Sehnsucht (1981)

Chorégraphie

Karin Waehner

Montage musical d’aprĂšs les Ɠuvres de György Ligeti, Gustav Mahler

Chansons et poĂšmes

Bertolt Brecht, Hanns Eisler

Interprétation

Lola Atger, Aurélie Berland, Claire Malchrowicz

Travail sonore

Jean-Luc Télesfort

Proposition d’Olivier Bioret, d’aprĂšs la partition Laban rĂ©alisĂ©e par Christine Caradec, accessible dans le fonds Aide Ă  la recherche et au patrimoine en danse du CN D.

Remonter une danse taillĂ©e sur mesure pour la personnalitĂ© des interprĂštes originaux tendait deux piĂšges : celui de l’imitation et celui de l’assĂšchement. Nous avons donc jouĂ© le jeu de remonter de la trace du mouvement vers l’intention, Ă  rebours des processus de crĂ©ation initiaux, en tentant, au cas par cas, de trouver les rĂ©ponses les plus pertinentes aux questions soulevĂ©es par ces traces. Travail souvent intuitif, presque artisanal, il s’agissait de trouver parmi les nombreuses informations d’une trĂšs riche partition, celles qui rĂ©sonnaient pour le reconstructeur et les danseuses, qui cristallisent l’interprĂ©tation du mouvement.

Celui sans nom (1990)

Chorégraphie

Karin Waehner

Musique originale

Thierry Estival

Interprétation

Bruno Genty, Annette Lopez

Recréation 2017

Bruno Genty, Annette Lopez, Michael Gross dans le cadre du projet Karin Waehner (1926-1999) – Eigensinnig in ZwischenĂ€umen portĂ© par Heide Lazarus, soutenu par le programme allemand Tanzfonds Erbe/Dance Heritage Fund

Solo de Karin Waehner créé pour Bruno Genty en 1990. Retour de Karin Waehner dans une Allemagne dĂ©chirĂ©e, sĂ©parĂ©e par le Mur. À la veille de la RĂ©volution d’octobre, Karin Waehner et Bruno Genty sont assis, ce soir du 6 octobre 1986, sur un banc de l’Alexanderplatz Ă  Berlin. Ils attendent le signal Ă©mis depuis les

fenĂȘtres d’une maison de l’autre cĂŽtĂ© du mur : une lumiĂšre qui s’allume puis s’éteint. Puis, ils attendent celui qui les fera traverser le mur. Cette recrĂ©ation interroge autant la question de la rĂ©appropriation d’une Ɠuvre par son interprĂšte d’origine, plus de 25 ans aprĂšs sa crĂ©ation, que celle d’un pays pour sa propre histoire. Comment retrouver dans son corps les souvenirs de mouvements passĂ©s ? Et comment les transmettre ? Ce solo acte bien Ă©videmment le retour de Karin Waehner Ă  ses origines gĂ©ographiques et Ă  l’expressionnisme allemand initiĂ© quelques annĂ©es plus tĂŽt Ă  l’occasion de l’exposition « Paris-Berlin » au Centre Pompidou en 1978. Comme un Ă©cho Ă  L’Oiseau-qui-n’existe-pas, ce dernier solo de Karin Waehner sera dansĂ© en miroir : face Ă  face, Bruno Genty, interprĂšte original, et Annette Lopez performeront ce solo créé entre l’Ouest et l’Est.

L’Oiseau-qui-n’existe-pas (1963)

Chorégraphie

Karin Waehner

Musique originale

Paul Arma

Interprétation

Aurélie Berland

Proposition d’AurĂ©lie Berland, Émilie Georges d’aprĂšs la partition Benesh rĂ©alisĂ©e par VĂ©ronique GĂ©min-Bataille, accessible dans le fonds

Aide Ă  la recherche et au patrimoine en danse du CN D avec le concours de Barbara Falco et Jean Masse

Six minutes de danse, mais tant de questions. Cette reconstruction reprĂ©sente un travail collectif, commencĂ© par AurĂ©lie Berland il y a un an, avec Émilie Georges qui lui a transmis le solo d’aprĂšs la partition Benesh rĂ©alisĂ©e par VĂ©ronique

GĂ©min-Bataille. Barbara Falco – derniĂšre interprĂšte du solo – et Jean Masse –gardien bienveillant du rĂ©pertoire de Karin Waehner – ont acceptĂ© de poursuivre la recherche sous le regard d’AndrĂ©a Samain, notatrice Laban qui tĂ©moignera de ce travail par une nouvelle partition. Le paysage du solo s’est aussi constituĂ© de dĂ©tours : la lecture des exercices et des Ă©tudes de technique Wigman enseignĂ©s par Gundel Eplinius, notĂ©s en Laban par Anja Hirvikallio et la consultation du fonds Waehner Ă  la BnF. D’une partition Benesh Ă  une partition Laban, d’une gĂ©nĂ©ration Ă  une autre, d’un texte Ă  un corps, d’un corps Ă  un autre corps et d’un corps Ă  un texte, ce travail d’enquĂȘte en vases communicants est sans fin, tiraillĂ© tout comme le suggĂšre le thĂšme du solo inspirĂ© par la musique de Paul Arma, Ă  propos duquel Karin Waehner dit : « Il y avait ce son qui avait une rĂ©sistance
 notion extrĂȘmement importante dans tout mon travail. Ce n’est pas seulement de la rĂ©sistance, c’est aussi de crĂ©er des contraintes. Elle a donnĂ© conscience Ă  mon thĂšme de fond... un thĂšme trĂšs expressionniste : l’herbe ailleurs est meilleure, c’est-Ă -dire de ne jamais ĂȘtre sur place mais toujours dĂ©sirer autre chose qu’on a
 c’est un fond qui va trĂšs loin au point de vue ĂȘtre humain mais aussi au point de vue technique, corporel, c’est-Ă -dire l’instabilitĂ©, toujours le transfert, ce que j’appelle toujours le voyage. »

Partir de la figure de Karin Waehner pour une histoire collective et transationale de la

danse en France

Depuis l’automne 2015, le Groupe de recherche : Histoire contemporaine du champ chorĂ©graphique en France (Musidanse, universitĂ© Paris 8), soutenu par le Labex Arts-H2H, consacre ses activitĂ©s Ă  un projet collectif autour de la chorĂ©graphe, danseuse et pĂ©dagogue Karin Waehner. Ce projet « Karin Waehner, une artiste migrante : Archive, patrimoine et histoire transculturelle de la danse » consiste Ă  analyser le fonds d’archives Karin Waehner dĂ©posĂ© Ă  la BnF, afin d’étudier le parcours et l’Ɠuvre de l’une des artistes les plus engagĂ©es dans l’émergence de la danse contemporaine en France, sous le signe des circulations et des migrations chorĂ©graphiques.

NĂ©e en Haute-SilĂ©sie (ancienne province de Prusse) en 1926, Karin Waehner devient, aprĂšs-guerre, l’élĂšve de Mary Wigman Ă  Leipzig, puis part danser en Argentine avant de s’installer en France en 1953. Elle poursuit des Ă©tudes de mime auprĂšs d’Étienne Decroux. À Paris, elle rencontre Ă©galement un petit groupe de danseurs et chorĂ©graphes modernes qui commence Ă  se constituer : Françoise et Dominique Dupuy, Jerome Andrews, Jacqueline Robinson. Avec ces deux derniers, elle forme les Compagnons de la danse. Puis elle fonde sa propre compagnie, Les Ballets contemporains Karin Waehner, en 1959. L’annĂ©e suivante, elle est nommĂ©e professeur et dirige l’organisation des cours de danse Ă  la Schola Cantorum, poste qu’elle occupe jusqu’à son dĂ©cĂšs survenu en 1999. Elle enseigne Ă©galement Ă  l’École normale supĂ©rieure d’éducation physique (ENSEP), Ă  l’occasion de nombreux stages de fĂ©dĂ©rations sportives et d’associations de danse, dans des centres de formations professionnels (CEFEDEM et IFEDEM), des conservatoires (La Rochelle et Bagnolet), comme dans des universitĂ©s (Turin, Montpellier 3 et Paris 8), en France mais aussi un peu partout en Europe (Italie, Suisse, Allemagne, Europe centrale). Karin Waehner est Ă©galement une chorĂ©graphe prolifique, auteure de plus d’une cinquantaine de piĂšces.

Le parcours de Karin Waehner croise ainsi l’histoire de l’émergence de la danse moderne en France, l’histoire de la pĂ©dagogie et de la formation du danseur, ou encore l’histoire des circulations de gestes entre l’Allemagne, les États-Unis et la France. Comment ce fonds d’archives permet de retracer la pensĂ©e esthĂ©tique et pĂ©dagogique de Karin Waehner, qui semble nourrir de maniĂšre plus ou moins visible, plus ou moins identifiĂ©e ou rĂ©fĂ©rencĂ©e les pratiques chorĂ©graphiques et pĂ©dagogiques contemporaines aujourd’hui ?

Agencer les documents, cheminer parmi les archives

En consacrant la premiĂšre phase de notre programme de recherche Ă  une mission de traitement, de description et d’analyse des archives du fonds Karin Waehner, nous nous sommes placĂ©s dans un entre-deux, entre l’archiviste et l’historien. Cette posture est venue rendre poreuses deux fonctions habituelle-

ment distinctes. Cette soirĂ©e-recherche donne en partage les questionnements qui traversent notre recherche autant que cette immersion dans l’archive, rendant visibles nos gestes et nos regards face aux documents : classer, rĂ©pertorier, mettre en sĂ©rie ou choisir, isoler, faire un focus.

D’emblĂ©e, s’affirme la diversitĂ© des sources auxquelles nous avons eu accĂšs : Ă©missions de radio ; interviews filmĂ©es, enregistrĂ©es ou retranscrites ; captations filmĂ©es de performance en plein air, de reprĂ©sentation, de stage ; photographies de scĂšne ou de rĂ©pĂ©tition ; cahiers de travail de Karin Waehner
 Ces documents sont exposĂ©s avec l’altĂ©ration du temps et, parfois, en dĂ©pit de la mauvaise qualitĂ© des enregistrements ou des captations. Mettre en partage ces archives, c’est se demander ce qu’elles ouvrent comme questionnements, comme pistes thĂ©oriques, historiographiques, heuristiques, comme potentiels de gestes aussi. Si le point de dĂ©part de notre recherche est bien l’archive, dans un rapport plutĂŽt distanciĂ© dans un premier temps Ă  Karin Waehner, elle nous a inĂ©vitablement plongĂ©s dans l’intime de la pensĂ©e de la chorĂ©graphe que traduisent les cahiers, les notes, les correspondances, le rythme particulier de son phrasĂ©. Les enregistrements restituent l’évolution du grain de la voix. Ce moment d’exposition de la recherche ouvre aussi une nouvelle phase dans la recherche collective : permettant un temps de dialogue et de partage avec les tĂ©moins, les compagnons de route ou les Ă©lĂšves de Karin Waehner.

Exposer / performer l’archive

Nous avons pris le parti d’exposer l’archive, sans la commenter mais en l’agençant aux grands thĂšmes qui ont forgĂ© le parcours et la carriĂšre de Karin Waehner. Cet agencement de documents permet de tracer des lignes de force, de poser des questions, sans pour autant tout dire, loin s’en faut, de l’entiĂšretĂ© du parcours de Karin Waehner, de ses collaborations, ou encore de toutes ses Ɠuvres. Les documents ne rĂ©vĂšlent pas tout de la relation fondatrice qui la lie Ă  Mary Wigman, ni de l’histoire discontinue de l’empreinte wigmanienne dans son travail. Ils n’expliquent pas complĂštement les raisons de son besoin d’aller chercher aux États-Unis, du cĂŽtĂ© de la modern dance, et en particulier de Martha Graham et Louis Horst, une « technique » Ă  transmettre. Difficile aussi, Ă  travers quelques films, de montrer les Ă©volutions de son enseignement de la danse, tout comme l’élaboration de sa pensĂ©e d’une « pĂ©dagogie Ă©volutive ». Seuls quelques focus sur des moments, des cours techniques ou des ateliers de composition et d’improvisation, laissent entrevoir Ă  quel point elle a investi ce champ de la pĂ©dagogie.

Impossible non plus de rendre compte de la cinquantaine d’Ɠuvres créées par la chorĂ©graphe. Les documents choisis nous permettent nĂ©anmoins d’apprĂ©hender son travail de crĂ©ation, sous l’angle du rapport Ă  l’objet et au costume, des spatialitĂ©s construites par les scĂ©nographies ou la composition pour un grand nombre de danseurs. Enfin, il convenait aussi de pouvoir plonger dans

les Ɠuvres chorĂ©graphiques, Ă  travers quelques extraits, filmĂ©s comme le solo de MichĂšle Mengual dans Les Marches, ou dansĂ©s et recréées pour cette soirĂ©e.

L’archive est alors Ă©galement « performĂ©e » dans le sens oĂč les recrĂ©ations de trois piĂšces emblĂ©matiques, de notre point de vue, sont le rĂ©sultat d’un travail menĂ© par des artistes chorĂ©graphiques Ă  partir de notations, d’archives vidĂ©os, de textes et des diffĂ©rents Ă©changes avec les chercheurs.

Étude des Ɠuvres

Il s’est d’abord agi, dans l’optique de l’analyse des processus de crĂ©ation chorĂ©graphique et des principes pĂ©dagogiques dĂ©veloppĂ©s par Karin Waehner, de procĂ©der Ă  une Ă©tude de cas laquelle a abouti au remontage d’un solo L’Oiseau-qui-n’existe-pas. D’autres documents audiovisuels dont le film Passeurs de danse qui met en scĂšne la transmission du solo de Karin Waehner Ă  Christine Brunel, contribuent Ă  dessiner non pas une gĂ©nĂ©tique (en amont) mais une gĂ©nĂ©alogie (en aval) de l’Ɠuvre, son Ă©volution, sa transformation par sĂ©dimentation des interprĂ©tations successives. Notation, captation ou film documentaire − dont l’objet initial est d’apporter un regard spĂ©cifique sur l’Ɠuvre − rĂ©unis Ă  l’occasion d’une mĂȘme recherche, ne disent plus la cristallisation du « geste dansĂ© dans une unique version » ; mais revĂȘtent – outre leur fonction de support Ă  l’étude de l’Ɠuvre – le statut d’archive. Bien que ne faisant pas directement partie du fonds Waehner Ă  proprement parler, ils ne peuvent pour autant plus ĂȘtre considĂ©rĂ©s comme lui Ă©tant exogĂšnes. Cette documentation est bien entendu complĂ©tĂ©e et enrichie par des archives sur l’Ɠuvre elle-mĂȘme (photographies, carnets de notes, indications techniques, etc.) issus du fonds conservĂ© Ă  la BnF, mais aussi des documents qui permettent de recontextualiser le solo Ă  sa crĂ©ation et dans ses reprises ultĂ©rieures. Aussi, plus que de recrĂ©ation, nous parlons Ă  dessein d’étude chorĂ©graphique dans cette dĂ©marche. Celle-ci faisant d’abord partie d’un processus de travail sur l’archive et n’en constitue pas l’objectif ou la finalitĂ©. Raison pour laquelle nous avons associĂ© Ă  cette recherche deux danseuses, AurĂ©lie Berland et Émilie Georges, dont l’approche est aussi (et avant tout) celle de notatrices.

Un mĂȘme processus de travail s’est mis en place sur un extrait de Sehnsucht avec le travail du notateur et danseur, Olivier Bioret. Cette recherche collective sur Karin Waehner s’est dĂ©ployĂ©e alors selon diffĂ©rents points de vue, rĂ©unissant artistes et chercheurs.

Elle vient enfin entrer en rĂ©sonance avec un autre projet, tĂ©moignant de l’actualitĂ© de la recherche sur Karin Waehner en Allemagne, « Karin Waehner (1926-1999) − Eigensinnig in ZwischenrĂ€umen − Ein Tanzfonds Erbe Projekt ». L’invitation de Bruno Genty Ă  danser avec Annette Lopez la piĂšce Celui sans nom s’inscrit dans ce dialogue entre des Ă©quipes allemandes, autrichiennes et françaises.

CN D

Centre national de la danse

1, rue Victor-Hugo, 93507 Pantin cedex - France

40 ter, rue Vaubecour, 69002 Lyon - France

Licences 1-1077965 / 2-1077966 / 3-1077967

SIRET 417 822 632 000 10

Réservations et informations pratiques + 33 (0)1 41 83 98 98 cnd.fr

Le CN D est un établissement public à caractÚre industriel et commercial subventionné par le ministÚre de la Culture.

Directrice générale

Mathilde Monnier

Conception graphique

Casier / Fieuws et les équipes du CN D

Typographie Trade Gothic — Papier Munken Lynx 170 gr/m2

Impression

I.M.S. Pantin

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