Programmheft "Monte Verità - Raumdeutungen" von Juliette Villemin

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Deborah Bay Den Vorhaben von Reformbewegungen und anderen Strömungen, die eine Flucht aus dem Körper und dem heillosen Durcheinander versprachen, wird ein Altar gewidmet. Auf diesem Altar ist neben verschiedenen Objekten ein Video mit Vorstellungen und Assoziationen zum Vorhaben der Körper- und Geistoptimierung zu sehen. Deborah Bay studiert an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart im 4. Semester in der Klasse von Reto Boller. Ihre bisherige Arbeit besteht aus Zeichnungen und Video.

Christine Braun »ES ATMET« Wie kann man heute noch Raumerweiterung erfahren? Wo fängt Raumerweiterung an? Dabei interessiert mich als Ausgangspunkt die Manifestation von Leben und Lebendigkeit im Körper des Menschen. Sie zeigt sich als Atemimpuls. Es ist nicht möglich willentlich nicht zu atmen. Bei 12 Ein-Ausatmungen pro Minute in Ruhe, strömen mit jedem Atemzug ca. 500 ml Luft in den Körper und gelangen wieder zurück in den Umraum. In dem Luftpolsterraum befinden sich 8316 Liter Atemluft. Durch das Knallen einer Luftpolsterkammer wird jeweils 0,26ml Luft freigesetzt. Raum betreten, hinliegen, nach dem an der Decke angegebenen Ablauf atmen. Nach jedem Atemzug wird eine Luftkammer geknallt bis alle Luftbläschen des vorgegebenen Folienabschnitts leergeknallt sind. Christine Braun wechselt nach einem Jahr an der Freien Kunstschule Stuttgart an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und studiert dort seit 2007 Freie Kunst und Bildhauerei bei Prof. Werner Pokorny und Prof. Mariella Mosler.

Laura Fröhlich In Anlehnung an die am Monte Verità stattgefundenen Lebens- und Tanzexperimente, beschäftige ich mich mit der Thematik der Atmung als einem ununterbrochen stattfindenden Austausch von Energie und Materie. Einem Austausch zwischen unserem Organismus und dem, was wir »Umwelt« nennen. Atmung als das was den Rhythmus des Lebens in uns ausmacht. In der Regel sehen wir unseren Atem als etwas Selbstverständliches an, doch durch die Tatsache, dass er als rhythmischer Vorgang mit unserer jeweiligen Stimmungslage einem ständigen Wandel unterliegt, kann er leicht

beobachtet und beeinflusst werden. Die Behandlung in einem medizinischen »Atmungsapparat« wirft die Frage auf, in wie weit die zunehmende Mechanisierung der Gesellschaft in unser Leben als Individuum eingreift. Laura Fröhlich studiert seit 2010 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, bis 2013 Bildende Kunst, seit 2014 Kunsterziehung.

Katarina Holstein Zeichnungen: Körpersprache und Körper-RaumBeziehungen schnell und dynamisch skizziert. Installation: Die Natur als Standhaftigkeit im pulsierenden Gewirr der Erneuerung. Katarina Holstein studiert an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart im 4. Semester bei Prof. Peter Chevalier Malerei.

Marina Grün Durch mich durch und aus mir heraus verläuft die Auseinandersetzung mit Suzanne Perrottet und Monte Verità im Hinblick auf Lebenseinstellung, Raum und Körper, ihrer gegenseitigen Beziehung und Begrenzung. Marina Grün ist in Russland und Deutschland aufgewachsen. Seit ihrer Tanzausbildung an der Anton Bruckner Universität Linz und der Hogeschool voor de Kunsten Amsterdam arbeitet sie als Tänzerin und Choreografin in Deutschland und Österreich.

Viviana Gulli Meine Projektionen sind »Körper-Raum-Untersuchungen«. Tragende, stützende Teile kommen in Bewegung, werden ihrer Funktion beraubt und belebt. Heraustreten aus engstem Raum, ihn durch die Aufnahme von Beziehungen zwischen zwei Menschen auflösen und gleichzeitig sichtbar machen. Interaktionen zwischen Körper und Raum. Projektionen mit Sawako Nunotaki und Kira Senkpiel. Viviana Gulli ist in Italien und Deutschland aufgewachsen und studiert seit 2013 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.

Nora Haser Gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen sind immer auch ein Wechselspiel von Unruhe und Balance, von An- und Entspannung: ein großer elastischer Stoffballen, in dem sich in regelmäßigen Abständen Menschen einflechten und darin bewegen, so dass eine Spannung aufgebaut und Balance gefunden werden kann. Nora Haser studiert an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart im 4. Semester Kunsterziehung in der Klasse von Rainer Ganahl mit Schwerpunkt Bildhauerei und Malerei.

Sabrina Karl Eine Szene, begehrend, ein Ort, entziehend, eine sprechende Person, asketisch, eine Bewegung, genussvoll. Entwicklung in Zusammenarbeit mit Élodie Laurière. Sabrina Karl studiert an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei den Professoren Udo Koch, Felix Ensslin und Discoteca Flaming Star. Sie arbeitet in den Bereichen Tanz, Performance und Video.

Élodie Laurière »Alles ist eins, Welle und Perle, Meer und Stein. Nichts, was es gibt in dieser Welt, existiert außerhalb von dir. (...) Die ganze Geschichte der Menschheit schlummert in jedem von uns.« (frei nach Rumi) Élodie Laurière ist in Frankreich geboren, hat an der Anton Bruckner Universität Linz zeitgenössischen Tanz studiert. Sie absolvierte eine Ausbildung in Schauspiel am Theater »temps d’M« in Bordeaux, besitzt ein Diplom in Tanzpädagogik und hat einen Masterabschluss der Universität Bordeaux in »Histoire et Analyse des Arts de la Scène«.

Sawako Nunotani Während ich mich bewege, stehe ich im Leben. Ich erlebe Monte Verità in diesem Raum als eine Reise. Als eine Erfahrung, um mich von Dimension zu Dimension zu bewegen, von einer Zeit zu einer anderen Zeit, mit meinem kleinen Haus, meinem kleinen Kosmos. Was ich sehe, was ich berühre, was ich erfahre, wie ich gehe, all das ist Ausdruck meines inneren Raumes. Und wie ich neue Beziehungen erlebe, so teile ich sie mit dem Raum, mit meiner Atmung, mit meinem Körper. Ich kann alle diese Erfahrungen klar sehen, so dass sie alle zurück zu meinem inneren Raum

kommen, wo ich sie halten kann und sie mich daran erinnern, dass ich lebe. Sawako Nunotani ist eine in Japan ausgebildete Tänzerin, die dort viele eigene interdisziplinäre Projekte (Tanz, Musik, Video) realisierte. Seit 2010 lebt sie in Deutschland und arbeitet als Tänzerin, Tanzdozentin und Choreografin.

Kira Senkpiel Das Solo ist von Dussias Bereskas Solo »Orchidee« (1922) inspiriert. Rekonstruiert mit wenigen überlieferten Angaben: Das Solo wurde sitzend und ohne Musik aufgeführt. Die Tänzerin war »ganz Naturgewalt«, halb »bewegendes Tier«, halb »träumende sinnende Pflanze«. Man sah detaillierte und artikulierte Arm- und Fingerbewegungen und -gesten, beschleunigte und entschleunigte Bewegungen. Gewaltige Körperspannung und ganzer Körpereinsatz kennzeichneten die Darbietung. Es ist ein Tanz, der Öffnung und Geschlossenheit der Blüte symbolisiert. Diese Rekonstruktion sucht Parallelen zwischen dem Solo »Orchidee« und der Lebensreformbewegung am Monte Verità. In der Veränderung, im Weiterentwickeln, in der Emanzipation liegt das Potential frei sein zu können. Da jedoch jede Bewegung in ihrem Extrem angekommen, wieder eine andere Gestalt, Form oder Struktur annimmt, wieder ein System wird, frage ich mich, in welchem Moment die Befreiung sich wieder einer (Re-)Konstruktion annähert und in welchem Ausmaße wir der Freiheit zu existieren erlauben. Kira Senkpiel arbeitet seit ihrer Ausbildung an der Nationalen Ballettschule Norwegen und der Osloer Kunstakademie als Tänzerin und Choreografin vorwiegend in Stuttgart, Berlin und Oslo.

Mira Simon In Bezug auf Monte Verità interessiert mich besonders die Überschreitung von Grenzen und den Bruch mit der Gesellschaft. Daraus hat sich meine Arbeit entwickelt. Im Alltäglichen der Kleidung kann man diese Grenzen und Brüche finden. Das Spiel mit der Selbstinszenierung und dem Schamgefühl, die Grenze zwischen privat und öffentlich ist dabei zu sehen. Wie definieren wir uns über Kleidung und wann wird es zu intim?

Mira Simon studiert seit 2012 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, mit Grundstudium in der Klasse von Andreas Opiolka und seit dem 3. Semester in der Fachklasse von Thomas Bechinger.

Julia Smolka Durch zwei entgegen gesetzte »Intentionen«, ein Festhalten und ein Gehen-Wollen, baut sich Spannung auf. Mich interessiert die Trägheit einer großen, weichen Masse auf der einen Seite, die eine scharfe, gerichtete Kraft auf der anderen Seite nicht loslässt. Eine weiche Hülle, die nicht mehr als angenehm empfunden wird und ein blindes Herausreißen provoziert. Julia Smolka studiert seit 2009 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Bildhauerei bei Werner Pokorny, Axel Anklam und Susanne Windelen und seit 2012 Politikwissenschaften an der Universität Stuttgart.

Juliette Villemin Quartett: Eine Zeichnung vom Laban aus dem Jahr 1915 wird als Ausgangspunkt für das Quartett verwendet. Vier parallel gestellte Figürchen, die wie Tiere kriechen. Nach dem ersten Blick entdeckt man die Unterschiedeinnerhalb der starken Ähnlichkeiten; sie scheinen sich zu vermeiden, doch es gibt unvermeidliche Verbindungen. Mary Wigman spricht in ihrer Autobiografie über ihr Ankommen am Monte Verità im Jahre 1913, dass sie das Gefühl gehabt hätte nach Hause gekommen zu sein und sich unter dem Diktat der Trommel Labans befreit gefühlt habe. Die Dichotomie von Abhängigkeit und Unabhängigkeit in Verbindung mit dem Raum, welchen wir suchen und finden, erspüren die Tänzerinnen im Stück auf der Suche nach dem Ort des Selbst. Tanz: Marina Grün, Élodie Laurière, Sawako Nunotaki, Kira Senkpiel Duo: Thema dieses Stückes ist das Spiel mit der Kinesphäre. Die Wahrnehmung des Umraumes und das Spiel mit den drei Bewegungsebenen wurden am Monte Verità untersucht, erste intuitive Experimente zu diesem Thema haben dort statt gefunden. Das utopische Spiel, eine Kinesphäre für zwei Körper, gibt Impulse zu diesem Duo-Solo. Tanz: Marina Grün, Kira Senkpiel Juliette Villemin wurde in Bilbao, Spanien, im Klassischen Ballett ausgebildet und erhielt ihren Master of Arts in zeitgenössischer Tanzpädagogik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt a.M. Seit 2001 lebt sie in Stuttgart und arbeitet als zeitgenössische Tänzerin, Tanzdozentin und Choreografin.


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