DianMo #4

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Dok Wo also steht der gegenwärtige Dokumentarfilm in China? Was zeichnet ihn aus? Und kann man überhaupt von dem Chinesischen Dokumentarfilm sprechen? Natürlich gibt es einen chinesischen Subkontext, der mit einer gewissen Ästhetik einhergeht, die sowohl für den Chinaexperten als auch für den Laien erkenntlich macht, wo der Film spielt. Von den ethnologischen über die rituellen und alltäglichen Kontexte transportiert der chinesische Dokumentarfilm Werte und Inhalte, die uns fremd oder wertfrei einfach chinesisch erscheinen. Gleichzeitig kann man den chinesischen Film aber nicht mehr einfach in bestimmte thematische oder stilistische Schemata einteilen, wie man es wenn überhaupt noch ansatzweise in der Zuteilung der sechs Generationen konnte.

Zum einen ist dafür sicherlich der westliche Einfluss verantwortlich positiv gedacht. Der Cultural exchange im klassischen Sinne ist an vielen Stellen bereits abgeschlossen. Das bedeutet, dass die westlichen Einflüsse längst nicht mehr einfach adaptiert werden, sondern im eigenen kulturellen Kontext eingebettet und neu kodiert worden sind. Der chinesische Kulturraum ist somit über seine eigene Tradition hinaus bereichert worden. Dazu muss ergänzt werden, dass dieser Prozess niemals wirklich abschließt und wenn man ihn weiter positiv betrachtet immer wechselseitig befruchtend wirkt, solange es einen Austausch der Kulturen gibt. Zum anderen hat sich das Themenfeld, mit dem die Dokumentarfilmer arbeiten, enorm erweitert. Die bereits angeführte Geschichtsaufarbeitung Hu Jies schöpft die Möglichkeiten des (chinesischen) Dokumentarfilms bei weitem nicht aus. Von gegenwartspolitischen

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Beobachtungen zu sozioökonomischen Studien, von der Betrachtung einzelner Figuren und Phänomene hin zur Darstellung sozialer Schichten und Gesellschaftsströmungen sowie dem Diskurs von Kunst und Kultur ist er äußerst facettenreich. Die moderne Technik erleichtert diesen vielfältigen Schaffensprozess zudem wer will und kann schon sämtliche Handkameras und Heimcomputer in ganz China kontrollieren? Es kann also, abgesehen vom kulturellen Subkontext, keine einfache Frage nach dem chinesischen Dokumentarfilm gestellt werden. Auch oder erst recht nicht im Rahmen der halboffiziellen Produktionen. Die Filmemacher selbst müssen ins Zentrum der Betrachtung rücken. Genauso wie die Akteure der anderen Sektoren in der chinesischen Kreativbranche. Die Idee des Filmemachers muss im Vordergrund stehen seine Ambitionen, seine Herangehensweise, seine Kunstfertigkeit und sein Auge für die filmischen Details. Und auch hier öffnet sich selbstredend ein weites Feld. Abgesehen von den kleineren Filmemachern, die gänzlich aus eigener Motivation und ohne filmische Ausbildung ihre Werke produzieren, sind auch bei den größeren Namen, den Absolventen der Filmhochschulen und Filminstitute in Beijing, Shanghai und anderen Universitätsstädten, große Unterschiede in Qualität und filmischer Aussagekraft festzustellen. Ein prominentes Beispiel wäre an dieser Stelle der Regisseur Cui Zi en. Ein Enfant terrible der Beijinger Filmakademie, mit hohem kreativen Potential und Filmprojekten, die oft provokativ sind und an der Grenze zur Illegalität in China stehen. Sein letzter Film We Are The Of Communism (2007) ist dennoch ein Beispiel dafür, wie eine gute Idee und eine mangelhafte Durchführung in diametralem Gegensatz zueinander stehen können. Der Film begleitet die Kinder einer Beijinger Schule, die als Kinder von Wanderarbeitern einen der großen Sorgenfälle im aufgeklärten China darstellen.


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