Argumentarium Asyl (2017)

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Argumentarium Nr. 3

Diakonische Information 183-1/17

Flucht und Asyl Über 60 Millionen Menschen sind weltweit unterwegs. Gezwungener Maßen. Sie suchen in anderen Landesteilen oder in anderen Ländern Schutz vor Verfolgung durch totalitäre Systeme und vor Gewalt, bedingt durch Kriege, Bürgerkriege oder den Zerfall staatlicher Ordnungen. [>> Daten und Trends] Diese Fluchtbewegungen haben zum einen weitreichende Konsequenzen für die Lebensverläufe der Geflüchteten. Zum anderen resultiert aus ihnen sozialer Wandel in den Aufnahmeländern. Obwohl sie hauptsächlich den globalen Süden betreffen, halten sie Politik, Medien und Zivilgesellschaft hierzulande in Atem. Und so sind sie auch Thema geworden für jene Wissenschaft, welche die moralische Praxis reflektiert: die Ethik. Was sollen wir tun – und warum? Wie sollen wir gut (mit Blick auf Haltungen und

Prinzipien) und richtig (mit Blick auf Ergebnis und Folgen) handeln? Wozu sind wir als einzelne (Individualmoral) und als Gesellschaft (Sozialethik) verpflichtet?

Offene Fragen Zweifelsohne stellen die aktuellen Fluchtbewegungen Österreich und Europa vor große Herausforderungen. Und sie werfen Fragen auf. Viele ÖsterreicherInnen reagieren empathisch auf das Leid der ankommenden Geflüchteten und helfen. Für diese unmittelbare Hilfe wurde im Herbst 2015 der Begriff „Willkommenskultur“ geprägt. Das Klima war zuversichtlich. Doch 2016 ist die Zuversicht gewichen. Ein Gefühl der Überforderung und Skepsis hat sich breit gemacht: Ist das nicht zu viel? Schaffen wir das wirklich? Ist die Willkommenskultur nicht eine Einladung,

die dazu führt, dass immer mehr Menschen kommen? Ist sie nicht naiv? Es können ja nicht alle kommen! Das empört wiederum Helfende, die sich keineswegs überfordert fühlen, dafür aber von der Politik im Stich gelassen. Für die politische Lösung der so genannten Flüchtlingskrise ist die europäische Ebene entscheidend. Es braucht ein solidarisches Aufnahme- und Verteilungssystem von Geflüchteten in Europa. Es braucht ein einheitlich geregeltes Asylverfahren, das Geflüchteten in jedem europäischen Land die gleichen Bedingungen und Chancen garantiert. Doch eine europäische Lösung ist nicht in Sicht. Gleichzeitig verzeichnen in ganz Europa rechtspopulistische Parteien starken Zulauf. Fremdenfeindlichkeit nimmt zu und schlägt in offenen Hass um. Wie kann man den Rechtsruck stoppen? Wie das

Daten und Trends Seit Ende des Kalten Krieges gab es zwei Hochphasen im globalen Fluchtgeschehen: Anfang der 1990iger Jahre (20,5 Millionen Flüchtlinge 1992) und Mitte der 2010er Jahre (21,3 Millionen Ende 2015). Stärker als die Zahl der Flüchtlinge, die Landesgrenzen überwinden, wuchs die Zahl der Binnenflüchtlinge: von 21,2 Millionen im Jahr 2000 auf 40,8 Millionen 2015. Flucht ist selten ein linearer Prozess. Menschen auf der Flucht bewegen sich meist in Etappen. Zunächst suchen sie nahe gelegene Zufluchtsorte und wandern dann weiter zu Verwandten oder Bekannten. Wenn Konflikt- und Sicherheitslage sowie Versorgungs- und Erwerbsmöglichkeiten es nötig machen, ziehen sie in benachbarte Regionen oder Nachbarstaaten.

Größere Fluchtdistanzen sind selten. 95% der aus Afghanistan Geflüchteten leben in den Nachbarländern Pakistan und Iran. 7,6 Millionen syrische Kriegsflüchtlinge sind Binnenvertriebene, 2,7 Millionen sind in die Türkei geflüchtet, 1,1 Millionen in den Libanon und 640.000 nach Jordanien. Ob Menschen größere Distanzen überwinden, hängt von mehreren Faktoren ab: von finanziellen Ressourcen, persönlichen Netzwerken, natürlichen Hindernissen und Grenzregimen. Viele hält auch der Wunsch nach rascher Rückkehr davon ab, sich zu weit von zu Hause zu entfernen. Muster von (mehrfacher) Rückkehr und erneuter Flucht finden sich oft. Die Fokussierung auf den Pull-Faktor so genannter „Anreize“ im europäischen Zielland greift zu kurz. ➜

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