Prospekt // Das Magazin der Deutschen Oper am Rhein // Heft 12

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D E R R IN G D E S NIB E L U N G E N

Regisseur Dietrich W. Hilsdorf, Dramaturg Bernhard F. Loges und Bühnenbildner Dieter Richter

setzung mit den Umwälzungen seiner Zeit, der beginnenden Industrialisierung und dem Erstarken des Bürgertums, das seinen eigenen Platz behauptete – zunächst gegen die Fürsten, dann gegen die Arbeiter, auf deren Kosten es sein Kapital anhäufte. Wagner, der gerade noch als Revolutionär Manifeste geschrieben hatte, musste nach Zürich fliehen und plante ein Werk um einen charismatischen Sozialrevolutionär, der ein neues, menschlicheres Zeitalter begründen soll. Nachdem er Pläne zu einem Barbarossa-Drama und einer Jesus von Nazareth-Oper verworfen hatte, verfasste er 1848 die Dichtung der Heldenoper „Siegfrieds Tod“, aus der schließlich die „Götterdämmerung“ werden sollte. Sein Weg führte ihn in den folgenden fünf Jahren vom Endspiel „Götterdämmerung“ über das Heldenmärchen „Siegfried“ und das Beziehungsdrama „Walküre“ hin zum Satyrspiel „Rheingold“, mit dessen Komposition er 1853 die musikalische Konzeption seines „Ring des Nibelungen“ eröffnete.

Wagners eigene politische Gegenwart blieb stets der Motor seines größten Werkes. Alle dramaturgische Recherche im Vorfeld eines „Ring“-Projektes bedeutet eine Auseinandersetzung mit Widersprüchen. Zunächst einmal muss dieser Berg an Büchern – wie er sich im wörtlichen Sinne auf dem Vorbereitungstisch stapelt – zur Kenntnis genommen werden, um sich dann von diesem Ballast zu befreien und den Stücken „rein“ zu begegnen. Bei einem Werk, dessen Rezeptionsgeschichte so überladen ist – da sind sich Regisseur Dietrich W. Hilsdorf und Bühnen-

bildner Dieter Richter einig – ist es entscheidend, „dem Stück nicht hinterherzulaufen, sondern es in die Zange zu nehmen“. Dietrich W. Hilsdorf beginnt seine Arbeit an allen Stücken, die er inszeniert, mit einer intensiven Lektüre des Textes dieser Werke. Mit verteilten Rollen wird laut gelesen, jeder Satz beleuchtet, nach seiner Bedeutung für die Charaktere und für den Gesamtkontext befragt. Dann stellt sich die Frage nach der Herangehensweise: Wollen wir einen Bogen, der alles zusammen erklärt? Wollen wir überhaupt erklären oder nicht vielmehr erzählen? Es kristalliert sich heraus, dass es uns interessiert, jedes Stück für sich zu denken und dann daraus die Verknüpfungen entspringen zu lassen. Wagners eigene politische Gegenwart blieb stets der Motor seines größten Werkes und nicht zuletzt seit Patrice Chéreaus Bayreuther „Jahrhundert-Ring“ (1976–1980) ist eine Rezeption des Werkes aus seiner Zeit heraus auf der Opernbühne angekommen. „Das Rheingold“, in dem alle Konflikte der Tetralogie bereits vorprogrammiert sind, kann wie eine Collage aus Bildern des Bürgertums im 19. Jahrhundert gesehen werden, in dessen Idylle die wirtschaftlichen und sozialen Krisen seiner Zeit einbrechen. Für George Bernard Shaw war „Der Ring des Nibelungen“ 1898 in seinem „WagnerBrevier“ ein Drama der Gegenwart und keine Geschichte aus grauer Vorzeit, als es noch Götter und Riesen gab. Die ganze Welt, die dem Kapital verfallen scheint, ist hier in einen gesellschaftlichen Kontext des Niedergangs eingebunden. Neben dem „Ring des Nibelungen“ gab es Ende des 19. Jahrhunderts nur ein künstlerisches Großprojekt, das sich mit ihm vergleichen lässt: Émile Zolas Rougon-Macquart-Zyklus. Zwanzig Romane, in denen der französische Naturalist seine Zeit in allen Facetten porträtierte. Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub

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