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Ferienkrimi

Nordföhn von Peter Zeindler Sie standen mitten auf der geschwungenen Dop-

bemächtigen. Aber dann war er auf dem flau-

pelbrücke Ponte dei Salti und starrten in das

schigen Badezimmerteppich ausgerutscht und

Flussbett der Verzasca hinunter. Es war der erste

längelang hingefallen.

Tag ihres letzten Versuchs, ihre angeschlagene Ehe zu retten. Die vorgängig angestellten Experi-

good to know

Vom bekannten Zürcher Krimi-Autor Peter Zeindler gibt’s auf der InterhomeWebsite einen zusätzlichen Krimi zu lesen. Und: Online verlosen wir drei signierte Exemplare von Zeindlers jüngstem Werk «Die Meisterpartie». Weitere Infos:

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mente, wie zum Beispiel ge­meinsame Ten-

Das war ihr Kommentar gewesen, als sie in der

nisstunden oder organisierte Theaterbesuche

Badezimmertür spöttisch auf den zu ihren Fü-

mit anschliessender Diskussion hatten die alte

ssen liegenden Mann geblickt hatte.

Harmonie nicht wieder herzustellen vermocht.

Das Glockenspiel der Kirche von Laverezzo er-

Und so hatten sie diesen ultimativen Anlauf ge-

innerte an weit zurückliegende Flitterwochen.

nommen: Sie hatten ein Rustico im Tessin gemie-

Ein Windstoss fuhr ihm ins Genick.

tet, um in südlicher Umgebung den ehelichen Alltag neu zu gestalten. «Man hätte Lust, da unten ein kühles Bad zu nehmen.» «Dann spring doch!» sagte sie ungerührt. Er zuckte zusammen.

«Nordföhn», sagte er. Er war froh, mit einer banalen Bemerkung die bedrückende Stimmung aufzubrechen. «Es reicht!» sagte sie. « Das Experiment ist gescheitert. Morgen reisen wir ab.» «Wir haben für zwei Wochen bezahlt!»

Die gespannte Atmosphäre, die ihre Beziehung

«Gehen wir! Ich sehne mich nach einer Bade-

auf der Nordseite des Gotthards gekennzeichnet

wanne.» Und dort sass sie denn auch, kaum waren

hatte, war auch in der neuen Umgebung, in die-

sie wieder in ihrem Feriendomizil angekommen.

sem pittoresken Rustico, das sie für zwei Wo-

Er stand im Garten und starrte auf das vergit-

chen gemietet hatten, nicht in Harmonie umge-

terte Fenster des Badezimmers. Und während

schlagen. Alles war beim Alten geblieben. Mit

sie scheinbar glücklich vor sich hinträllerte,

einer Ausnahme: Sie hatte ihren kosmetischen

machten sich Mordgedanken in ihm breit. Er ging

Fundus, Töpfchen, Tuben, Pinselchen, Kompres-

auf das Fenster zu, sah ihren Rücken, ihr nasses

sen, der in letzter Zeit immer mehr angewachsen

Haar, entdeckte den Föhn, der in Fensternähe

war, nicht in diese Ehegenesungsferien mitge-

auf dem Plastikstuhl lag. Er zögerte. Er würde

nommen. Warum wohl? Hatte sie einen heimli-

jetzt den Föhn in Betrieb setzen und in die volle

chen Geliebten? Jenseits des Gotthards. Darauf

Wanne werfen. Ein Stromschlag! Ein Befreiungs-

deutete auch die Tatsache hin, dass sie ihr Handy

schlag! Er zwängte seine Hand durch das Gitter,

nie aus den Augen liess.

tastete nach dem Föhn…

Am Vortag, als er sie im Badezimmer hatte te-

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«Du übersiehst immer eine Kleinigkeit! Das kostet dich eines Tages den Kopf.»

«Du übersiehst wie immer das Wesentliche!»

lefonieren hören, hatte er sich ihr vorsichtig ge-

Erschrocken zog er die Hand zurück. «Der

nähert, um sie zu belauschen. Aber sie hatte die

Föhn steht nicht unter Strom! Und du hast zu-

Verbindung gekappt und das Handy hastig in den

dem übersehen, dass ich dich schon längst be-

hellblauen Beutel gleiten lassen, in dem sie

obachtet habe.»

sonst ihre Lockenwickler aufbewahrte. Dann

Sie lächelte ihn im Spiegel an.

hatte sie das Badezimmer verlassen. Er hatte

«War ja nur so eine Regung», murmelte er ver-

sich schnell zurückgezogen, war aber gleich da-

wirrt, drehte sich um und rannte durch den Gar-

rauf zurückgekehrt und hatte sich auf den hell-

ten davon, den Nordföhn im Nacken, der an

blauen Beutel gestürzt, um sich ihres Handys zu

Stärke zugenommen hatte.

Sommer 2010


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