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DEMODESASTER

EINMAL BONZE SEIN

Als Elizabeth Magie Phillips zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Brettspiel erfand, um auch den einfachen Leuten wirtschaftspolitische Ideen und die Gefahren des monopolistischen Landbesitzes zu erklären, war ihr nicht klar, welchen Kult sie damit lostreten würde. Denn kaum ein Gesellschaftsspiel offenbart selbst bei den besten Freunden solch ungeahnte Charakterzüge wie Monopoly. Was 1904 als „The Landlord's Game“ patentiert wurde, zeigt auch heute noch, wie schnell aus Laptop-Esoterikern und Marxisten raffgierige Miethaie werden können. Auch wir sind davor nicht gefeit und spekulieren in diesem Monat hemmungslos auf dem musikalischen Immobilienmarkt. ALAN J. BOUND COSMOLOGY

Ein Blick auf das Albumcover verrät es: Hier steht jemand auf Klischees. Alan J. Bound, Gitarrist aus Köln, hat lange Haare und ist der Klang- und Gedankenwelt des Mystic- und Psychedelic-Rock verfallen. Entsprechend tragen die Songs Titel wie „Ikarus“, „Deep Space“ oder „Magic Circle“ und hören sich auch genauso an: Alan schmeißt hallige Riffs und Soli in die unendlichen Weiten, während Synthesizer herumorgeln und Ex-Can-Drummer Jaki Liebezeit stoische Beats trommelt. Das ist in seiner fast hanebüchenen Konsequenz zwar durchaus bewundernswert, letztlich hat Alan bis auf ein, zwei Ausnahmen aber nur selbstvergessenes Gegniedel zu bieten. Eine spirituelle Offenbarung ist diese Platte jedenfalls nicht. Zwei Häuser auf der Hafenstraße Heimat: alanjbound.com

ALTBAU ALTBAU

Zwei-Mann-Projekte sind derzeit offenbar schwer in Mode. Auch Altbau aus Berlin setzen auf das duale Prinzip. Ausgerüstet mit Bassgitarre, Schlagzeug und einer Loop-Station unternehmen sie ausführliche Exkursionen in Sachen Klang. Meditatives Brummen, hintergründiges Gluckern, entschiedenes Stampfen und angriffslustiges Gedröhn: Hier wird, wie es sich für anständige Forscher gehört, zwischen den Koordinaten Noise, Wave und Funk mächtig viel ausprobiert. Das ist meist recht spannend, manchmal aber auch ganz schön viel verlangt. Richtig gut wird es dann, wenn sich aus all den Soundexperimenten ein echtes Thema herausschält. Insofern eine durchaus groovende Platte, die zuweilen jedoch etwas beliebig vor sich hin wabert. Ein Hotel auf der Goethestraße Heimat: myspace.com/altbaurocks Live: 7.12. Berlin - King Kong Klub

THE DISTINCTIVES HERMENEUTICA

Sich The Distinctives zu nennen, zeugt von Selbstvertrauen. Doch nicht nur das haben die drei Düsseldorfer mit den Größen des britischen Gitarren-Pop gemein. Ob es sich nun um die Beatles, Oasis, Supergrass oder The Kooks handelt: The Distinctives haben deren Alben mit Sicherheit im Schrank. Es dengelt und schrammelt eingängig vor sich hin, obendrein beherrscht Sänger Sebastian den Cockney-Akzent. Damit gelingen ihm und seinem beiden Kompagnons drei nette Liedchen sowie ein halbfertiges Fragment. Distinktiv, also unverwechselbar sind aber weder die einen noch das andere. Stattdes-

sen kommt diese EP wie ein Schnellschuss daher. Dass es die Band erst seit März gibt, komplettiert diesen Eindruck. Für das nächste Mal empfehlen wir daher ein wenig mehr Zeit zur Reife. Zwei Häuser auf der Berliner Straße Heimat: myspace.com/thedistinctives Live: 3.12. Düsseldorf - FFT

THE GRAND COULEE EP #1 (LONG LIVE THE KING)

Wir lassen die Hosenträger knallen, schunkeln zum beschwingten IndieFolk und halten Ausschau nach John-Boy und den Waltons. Gibt’s jetzt aber schummrige Lagerfeuermusik mit Strophen übers Küheschubsen und Moonshine-Trinken? Weit gefehlt! Stattdessen setzt das äußerst textaffine und gewitzte Duo aus Berlin mit „Long Live The King“ klar auf tiefgründig gute Texte und errichtet Michael Jackson und Farrah Fawcett posthum einen scherzhaften Schrein. Was die namensgebende Talsperre am Columbia River mit dem Ganzen zu tun hat, weiß keiner so recht. Der markante Wortwitz beider Geschichtenerzähler, angereichert mit ihren Mundharmonika-Soli und sich ins Hirn brennenden Refrains ist aber mindestens ebenso mitreißend. Ein Hotel auf der Parkstraße Heimat: thegrandcoulee.com

DAVID LEMAITRE VALEDICTION

David Lemaitre ist im wahrsten Wortsinne ein Meister der entspannten Klänge. Der Songwriter aus Bolivien mit Wahlheimat Berlin verknüpft auf seiner ersten EP sachte Gitarrenklänge mit ruhigen Beats und Streicherarrangements. Ein Könner der Caféhaus-Musik, der mal melancholisch düster wie Nick Drake, mal alternativ poppig wie Sufjan Stevens klingt. Bei allem Weltschmerz haucht er dennoch eine innere Ausgeglichenheit in seine Songs, die selbst hartnäckigen Misanthropen ein Lächeln abringen würde. „Valediction“ in Gänze ist dann wie heiße Schokolade mit Gebäck. Und mal ehrlich, die mag doch jeder. Vier Häuser auf dem Rathausplatz Heimat: david-lemaitre.de

SHIT FOR BRAINS BROKEN VOW

„Are you friendly or are you not?“, murrt uns eine Stimme entgegen und kündigt Shit For Brains’ neue Platte an. So richtig klar ist auch uns die Antwort darauf nicht. Zwar knurren einige der Songs der fünf Hessener gewaltig, aber beißen tun sie dann doch nicht. Der Sound verwundert kaum, wenn man weiß, dass die Jungs eine Wegstrecke, inklusive

Split und obligatorischer Reunion von bereits 17 Jahren auf dem Buckel haben. Thrash-Metal und Alternative-Rock, der die Neunziger in den Knochen hat, brezelt durch den Raum. Das klingt aber nicht nach muffigen alten Gebeinen, sondern hat immer noch Potenzial. Genug, um mit „Broken Vow“ einen Silberling auf die Welt loszulassen, der zwar nicht einfallsreich, aber überzeugend brutal klingt. Zwei Häuser auf der Lessingstraße Heimat: myspace.com/shitforbrainsgermany

TEMPOMATADOR MONDAY

Tempomatador mögen Vollgas, sagen sie. Nun, rasant geht es auf dem ersten Album der beiden Kasseler eigentlich nur am Anfang zu, wenn Clubbeats pumpen und Synthies wirbeln. Mit andauernder Fahrzeit verschreiben sie sich dann aber immer mehr smoothem Elektro-Power-Pop, der sich von halsbrecherischen Aktionen eher fern hält. Tempomatador wühlen durchaus gewagte Sounds aus dem Handschuhfach hervor, unterwerfen diese aber sogleich der Diktatur ausgleichenden Komponierens. Hin und wieder wird es sogar balladesk und ambientlastig. Spätestens hier sinkt der Adrenalinspiegel spürbar, so dass „Monday“ am Ende weniger einem Geschwindigkeitsrausch denn einem Tempomaten gleicht. Drei Häuser auf der Theaterstraße Heimat: myspace.com/tempomatador Live: 25.12. Kassel - Unten

URSA MAJOR SPACE STATION WONDERFUL TODAY

Die Ursa Major-Gruppe ist mit fast allen hellen Sternen des Großen Bären und des Großen Wagens der wohl größte Sternenhaufen an unserem Nachthimmel. So weit, so gut. Wer jetzt aber bei „Wonderful Today“ musikalische Astrophysik erwartet, wird enttäuscht. Denn seit die vier Münsteraner 1995 mit der Ursa Major Space Station ihre eigene Butze aufmachten, pfeift uns ein beständiger Wüstensturm aus Rhythm-andBlues entgegen. Desert-Rock vom Feinsten, der klare Verbeugungen vor Kyuss oder Fu Manchu nicht verstecken kann und mit einem Quäntchen Grunge verzwirbelt durch dynamische Wechsel und tiefgestimmte Gitarrenlastigkeit besticht. Was nicht verwundert, benannte sich die Band dann doch nicht nach dem Sternenhaufen, sondern DEM Reverb-Gitarreneffektgerät der späten Siebziger. Drei Häuser auf der Hauptstraße Heimat: myspace.com/ursamss Texte: Roy Fabian, Maik Werther


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