Demo 3/2015

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APR 2015

Fl端chtlinge und ihre Integration

Einzelpreis 6,00 Euro | 67. JG. | A 02125

Zuhause in der Fremde

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Inhalt

Titel Flüchtlinge und ihre Integration 4

Foto: Dirk Bleicker

Liebe Leserin, lieber Leser, dies ist die letzte Ausgabe der DEMO, die ich als Chefredakteurin zu verantworten habe. Von der Nummer 4 an wird die DEMO redaktionell vom Vorwärts betreut, die zuständige Redakteurin dort ist dann Karin Billanitsch. Ihr wünsche ich einen guten Start und dass es ihr gelingen möge, die eigene Art unserer kommunalen Zeitung zu bewahren. Ich habe die letzten vier Jahre sehr gerne für dieses Magazin gearbeitet. Es hat Spass gemacht, vieles neu zu entdecken und neu zu konzipieren. Die DEMO hat nicht nur ein neues Äußeres bekommen, sie hat auch an Profil gewonnen. Vor allem hat die DEMO ein gutes Image in der Branche erlangt. Was neben vielen positiven Rückmeldungen auch daran ersichtlich ist, dass alle, die wir für ein Interview oder einen Artikel angefragt haben, ohne Ausnahme unseren Wünschen folgten. Danken möchte ich meinem Team Heidi Lehmann, Carl Friedrich Höck und Nils Hilbert (bis 2014), die immer vollen Einsatz für die DEMO und unsere gemeinsame Sache gebracht haben. Dank auch den vielen freien Autoren, die uns nie im Stich ließen und immer pünktlich gut recherchierte Stücke geliefert haben.

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6 Report Stadtplanung und Regionalentwicklung 13 15 16 18 19 20 22 24

Jung kauft alt: Hiddenhausen hat Weitblick bewiesen | Wachsen ohne Neubau Wollen Politiker die Bürgerbeteiligung wirklich? | Demokratie ist anstrengend BOS-Digitalfunk | Umstellung von analog auf digital macht Schwierigkeiten „Leipzig Region“ ist mehr als die Messestadt | Umfassendes Stadtmarketing Der Leerstand wird aufgenommen | Tourismus und Stadtentwicklung in Cuxhaven Zurück zur Natur: Nationalpark Hunsrück-Hochwald | Touristenattraktion Deutschlands Brücken verfallen weiter | Ein Zustandsbericht Fußgängerzone Ade! | In Itzehoe dürfen Autos wieder in die Innenstadt

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Tschüss, mach`s gut DEMO!

Barbara Behrends, Chefredakteurin

Junge Flüchtlinge fördern | Interview mit Aydan Özoğus, Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Meine Freundin Somaye | Patenschaft eröffnet neue Perspektiven Das Leverkusener Modell | Privatwohnungen statt Massenunterkünfte Geschlossen oder offen? | Minderjährige Kinder auf der Flucht Schleusern in die Fänge gegangen | Rumänen und Bulgaren in Mannheim Geheimsache Asylunterkunft | Pegida profitiert von Fehlern in Dresden Woher Wohnraum nehmen und nicht stehlen? | Vergaberichtlinien für Unterkünfte SPD-Bundestagsfraktion | Thomas Oppermann zur Einwanderungspolitik

Berichte 26 27 28 29 30

Lernen vor Ort – Bildungslandschaften kommunal gestalten | Kooperationen Widerstand gegen Spione im Forst | Kameras im Wald sollen abgebaut werden Bücher Menschen | Termine Das Letzte | Vorschau | Impressum

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Titel

Junge Flüchtlinge fördern Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, hat sich viel vorgenommen, um die Situation der Migranten in Deutschland zu verbessern Interview Barbara Behrends

Die Kommunen ächzen unter den Zahlungen, die sie für Flüchtlinge leisten müssen. Reicht das Geld, das die Bundesregierung zur Verfügung stellt, aus? Zurzeit zwingen die schwersten Menschenrechtskrisen seit Jahrzehnten immer mehr Frauen, Männer und Kinder, aus ihrer Heimat zu fliehen. Dies stellt viele der ohnehin schon finanziell stark belasteten Kommunen vor neue Herausforderungen. Der Bund hat daher beschlossen, den Ländern insgesamt eine Milliarde Euro für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen. Zudem hat die Bundesregierung das im Koalitionsvertrag vereinbar-

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te kommunale Hilfspaket zur Bewältigung notwendiger Investitionen auf fünf Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre aufgestockt. Mir ist vor allem wichtig, dass Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen, auch um das große zivilgesellschaftliche Engagement weiter zu stützen, das vielerorts zu spüren ist. Ungleich stärker noch belasten Angst und Nichtwissen die Beziehungen zwischen der „Urbevölkerung“ und den neu Hinzukommenden. Was kann man tun, um eine Annäherung zu bewirken? Unsere Gesellschaft ist in den vergangenen

Jahrzehnten vielfältiger geworden. Heute bestreitet niemand mehr: Deutschland ist ein Einwanderungsland; jetzt müssen wir den Schritt zu einer echten Einwanderungsgesellschaft schaffen. Das bedeutet die Wertschätzung von kultureller Vielfalt. Ein Fünftel unserer Bevölkerung hat eine Einwanderungsgeschichte. Jedes dritte Kind in Deutschland unter zehn Jahren hat einen Migrationshintergrund. Ein wachsender Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund verfügt aber über keine eigene Migrationserfahrung. Das alles muss uns noch stärker bewusst werden. Wir beobachten aber auch schon lange, dass dort, wo es am wenigs-


Titel

Titel: Flüchtlinge und Integration in den Kommunen

Foto: kbuntu – Fotolia

ten Einwanderer gibt, die Vorbehalte oft am größten sind. Und leider halten sich Vorurteile, wie zum Beispiel, dass es mehr Kriminalität gäbe in der Nähe von Asylunterkünften. Viele Ehrenamtliche kümmern sich in den Gemeinden um die Flüchtlinge und sind ein Segen für die oft traumatisierten Menschen. Gibt es Bestrebungen, den Helfern zu helfen besser mit den ungewohnten Situationen umzugehen? Ich bin dankbar für die große Hilfsbereitschaft und Solidarität in der Bevölkerung. Zehntausende wollen Menschen, die vor Verfolgung, Krieg, Terror und Unterdrückung geflohen sind, helfen. Willkommensfeste werden organisiert, ehrenamtlich Deutschunterricht gegeben, für die Kinder werden Laternenumzüge und Sportveranstaltungen angeboten oder Sachspenden gesammelt. Ich setze mich sehr dafür ein, dass wir dieses Engagement vor Ort wertschätzen und unterstützen. Deshalb habe ich 570 Ehrenamtliche aus ganz Deutsch-

land zu einem Empfang nach Berlin eingeladen, um ihnen zu danken. Daneben unterstützen wir gemeinsam mit dem DFB und der Bundesliga viele Projekte vor Ort. Mit Wohlfahrtsverbänden sind wir im Gespräch über weitere Hilfsmaßnahmen. Oft scheitert Integration an der NichtAnerkennung von Abschlüssen der Migranten hierzulande. Tut sich da was? Mit dem Anerkennungsgesetz des Bundes aus dem Jahr 2012 haben wir schon vieles erreicht, um die Integrationschancen für viele Fachkräfte zu erhöhen. Die Verfahren wurden vereinfacht und für weitere Personengruppen geöffnet. Bis Ende 2013 gab es 16 700 Verfahren auf Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen, rund 75 Prozent der abgeschlossenen Verfahren endeten mit einer vollen Anerkennung. Verbesserungen, die die Aufnahme von oftmals erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen erleichtern sollen, werden demnächst im Aufenthaltsgesetz geregelt. Gleichwohl gibt es weiterhin viel zu tun. Migranten brauchen

Hilfe bei der Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse, auch die zuständigen Stellen in den Ländern müssen unterstützt werden. Ziel muss es sein, zügige Verfahren durchzuführen. Wir können es uns nicht mehr leisten, die Leute nur auf das Absolvieren inländischer Ausbildungsgänge zu verweisen. Was sehen Sie als wichtigste Maßnahme an, die Ihre Behörde in absehbarer Zeit auf den Weg bringen muss? Wir brauchen bessere Ausbildungsmöglichkeiten für junge Flüchtlinge. Mein Schwerpunkt im Amt der Integrationsbeauftragten für das Jahr 2015 liegt zudem auf den Bereichen Gesundheit und Pflege. Dabei werde ich auch die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen aufgreifen. Wir haben hier großen Nachbesserungsbedarf. Einiges nachzuholen haben wir auch bei der interkulturellen Öffnung des öffentlichen Dienstes. Im Jahr 2015 erheben wir daher in den Bundesministerien und nachgeordneten Behörden erstmals den Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund.

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Titel

Meine Freundin Somaye Im Sprachcafé, in dem sich Flüchtlinge und Bürger einmal die Woche treffen, begegneten wir uns das erste Mal. Die Idee dieser Veranstaltung: Wir Deutsche sollen Patenschaft übernehmen Autorin Susanne Dohrn

Ich habe sie an einem Freitag im August kennengelernt. Noch war Sommer. Noch war es hell und warm. Warum gerade sie, weiß ich nicht. Sie ist jünger, 26 Jahre beträgt der Abstand um genau zu sein. Sie ist verheiratet. Vermutlich gab das den Ausschlag: Für einen alleinstehenden Afghanen oder Syrer „zuständig“ zu sein habe ich mich nicht getraut. Dann lieber etwas Sicheres: ein Paar. Ich gab mir einen Ruck und gab Somaye meine Telefonnummer und Adresse. Aber sie rief nicht an. Sie kam auch nicht vorbei. Also besuchte ich sie eines Tages und brachte ihr und ihrem Mann Äpfel aus unserem Garten.

Aus einem anderen Leben Unser beider Glück: Somaye spricht Englisch. Ihr Mann auch. Wir können reden. Schon bei meinem ersten Besuch zeigt sie Autorin Susanne Dohrn hilft ihrem Schützling Somaye, die Balance zu halten: im neuen Leben genauso wie beim Radfahren. Foto: Dohrn

mir auf dem Handy die Bilder von ihrer Hochzeit. Ein Traum in Weiß und eine Frau, die ich nicht wieder erkenne: der Mund so rot wie die Rosen auf ihrem Schoß, mit schräg geschminkten, dunklen Katzenaugen, schmalen Wangenknochen und einer dunkelbraunen Haarpracht, die ihr in üppigen Wellen über die bleichen Schultern fällt. Acht Stunden habe die Vorbereitung für die Hochzeit gedauert, sagt sie. Nun ist sie hier, in einer Eineinhalb-ZimmerWohnung, zwei Stühle, zwei Sessel, Schrank und Bett, schaut in die Runde und sagt: „So habe ich noch nie gelebt.“ Sie meint so ärmlich und ich weiß, dass sie mir auch deshalb die Fotos von ihrer Hochzeit gezeigt hat. Die Bilder sind Heimat und der Beweis: Wir waren nicht immer so arm, wie wir es jetzt sind. Irgendwann, einige Wochen später, wird in der Wohnung für Tage und Wochen der Strom ausfallen, kein Licht, kein Herd, kein Fernsehen. Eine Wand ist von einem Wasserschaden durchfeuchtet, inzwischen ist Herbst. Die Nächte werden länger, die Tage kürzer. „Wenn wir etwas haben, dann Zeit“, sagt Somaye. Zuviel Zeit. Ihr Mann sagt: „Wir würden gerne diesem Land, das uns aufgenommen hat, etwas zurückgeben.“ Aber wie, wenn man als Flüchtling in Deutschland nicht arbeiten darf?

Eine andere Welt, ein anderes Leben Was ich an Somaye mag: Sie ist neugierig. Wir kannten uns nur wenige Wochen, da habe ich sie gefragt, ob sie mit zum Fitnesstraining kommen will. „Gemischte Gruppe, Männer und Frauen, ist das OK?“ „Ja“, sagt sie. Der Weg dorthin und zurück dauert mit dem Auto eine halbe Stunde, in der Zeit können wir von Frau zu Frau quatschen: Über ihre Geschwister, die Eltern, die Neffen und

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Nichten. Wenn sie sagt, „I miss my family“, wird ihre Stimme ganz klein. Zu Hause habe sie ihre Eltern jeden Tag besucht. Hier bleibt nur das Telefon, bei dem keiner weiß, wer noch alles mithört. Einmal will ich wissen, warum sie erst mit fast 30 geheiratet habe. Weil die Männer, die sie heiraten wollten, ihr alle zu religiös gewesen seien. Sie verrät ein sicheres Mittel, einen ungeliebten Verehrer in die Flucht zu schlagen: Sich in seiner Anwesenheit eine Zigarette anzünden und klarmachen, dass man das auch als verheiratete Frau nicht aufgeben werde. Und einen Boyfriend? Den habe sie nie gehabt, sagt sie.

Vielleicht klappt bald der Einstieg in das Berufsleben Nachdem wir uns ein paar Wochen kennen, die beiden uns ein paar Mal besucht haben – wir kochen deutsch-europäisch, sie iranisch – sagt meine neue Freundin: „Ich will lernen so zu leben wie Ihr.“ Dass sie das sagt, ist ein Stück Integration. Denn dazu muss man wissen, wie die Menschen in einem Land leben, muss man ihnen begegnen, nicht nur auf der Straße, sondern auch in ihren Häusern, in der Freizeit, am besten auch im Job. Ob letzteres klappt werden wir sehen. Ein erstes Vorstellungsgespräch hat Somaye demnächst. Und sie muss Radfahren lernen. Damit wir im Sommer Ausflüge machen können. „Warum sagst du immer, das machen wir im Sommer“, hat sie mich einmal gefragt. „Lebt ihr im Winter in Deutschland nicht?“ Recht hat sie und das liebe ich an ihr: Ich lerne nicht nur etwas über ihr Land, ich erfahre auch etwas über uns. Und wenn sie wieder mal sagt „you are my best friend“ geht mir das Herz auf. Das hat niemand mehr zu mir gesagt, seit ich zwölf war.


Titel

Ein eigenes Zuhause garantiert Flüchtlingen Privatsphäre. Und auch die Stadt profitiert vom Verzicht auf Massenunterkünfte. Foto: Fotimmz/fotolia

Das Leverkusener Modell Flüchtlinge leben erfolgreich in Privatwohnungen Autorin Maicke Mackerodt

In Leverkusen werden Flüchtlinge seit 15 Jahren nicht mehr in Sammelunterkünften untergebracht, sondern in Privatwohnungen. Asylbewerber oder Menschen mit einer Duldung können bereits nach wenigen Monaten in ihre eigenen vier Wände ziehen. Das sogenannte „Leverkusener Modell“ zeigt erfolgreich, dass es auch anders geht.

ren sich alle sofort einig: „Niemand wollte ein neues Flüchtlingsheim mit Stacheldraht drum herum.“ Gemeinsam mit der Caritas, dem Ausländerbeirat und der Stadt entwickelte der Leverkusener Flüchtlingsrat im Jahr 2000 das neue Konzept: „Zwei Jahre später starteten wir in eine Testphase mit 80 Flüchtlingen in dezentralen Privatunterkünften.“

Die Stadt spart viel Geld „Das ist menschenwürdiger und kostengünstiger für die Stadt Leverkusen“, sagte Rita Schillings vom Flüchtlingsrat zuletzt im Gespräch mit der Tagesschau. Gemeinsam mit der Caritas begleitete der Flüchtlingsrat Hunderte Flüchtlinge auf dem Weg in die eigenen vier Wände. Dazu gehört auch, nach preiswerten Mietwohnungen zu suchen, die innerhalb einer von der Stadt festgelegten Preisspanne liegen müssen. Das funktioniert hervorragend, aber das war nicht immer so. Auch in Leverkusen waren Flüchtlinge jahrelang in den üblichen Containern untergebracht worden. „Viele Menschen lebten auf engstem Raum, es gab keine Privatsphäre, ständig Probleme mit den Sanitäranlagen, denn wenn sich sechs Familien eine Toilette teilen, hört auch der Gutwilligste irgendwann auf zu putzen. Zudem waren die Sammelunterkünfte in marodem Zustand“, erinnert sich die Sozialarbeiterin. Als öffentlich diskutiert wurde, noch eine große Sammelunterkunft zu bauen, wa-

Es klingt paradox, aber Flüchtlinge, die Leverkusen zugewiesen bekommt, leben trotzdem zuerst im Übergangsheim. Dort müssen sie sich als „wohntauglich“ erweisen. Gemeint ist, dass sie sich auf Deutsch verständigen können und keine Probleme in den Heimen verursachen. „Das ist eine Kröte, die wir als Flüchtlingsrat schlucken mussten, weil die Verwaltung anfangs große Bedenken hatte“, erläutert Geschäftsführerin Rita Schillings. Erst mit dieser Bescheinigung können sich Flüchtlinge eigenständig eine Wohnung suchen. Der Auszug aus der Sammelunterkunft ist für viele ein Hoffnungsschimmer, weiß Frank Stein (SPD), der damalige Sozialdezernent: „In einem normalen gesellschaftlichen Umfeld zu leben ist für alle Beteiligten besser. Im Vergleich zum Übergangsheim ist es ein Quantensprung an Lebensqualität.“ Und die Stadt spart Sozialleistungen, kann sanierungsbedürftige Sammelunterkünfte schließen und die Grundstücke verkaufen.

„Unterm Strich hatten wir einen mittleren sechsstelligen Betrag weniger Aufwand als bei der konventionellen Vorgehensweise“, freut sich Stein, der heute Kämmerer ist. Allein im ersten Jahr hat die Stadt 76 000 Euro eingespart. Die Unterbringung in Wohnheimen ist teuer, weil für Bau, Renovierung und Instandhaltung sehr viel Geld ausgegeben werden muss. „Ende 2013 lebten von 1 400 Flüchtlingen nur noch gut 400 in einem der verbliebenen Übergangsheime“, sagt Rita Schillings. 2012 kostete die Unterbringung in einem Heim 223 Euro pro Person. In einer Privatwohnung ist das für nur 148 Euro möglich.

Das Modell findet Nachahmer Auch Lünen im Ruhrgebiet folgt aus Kostengründen seit einem Jahr einstimmig dem Leverkusener Modell, das nicht nur in Köln und Münster, sondern auch in Wuppertal, Duisburg und Dortmund bereits erfolgreich praktiziert wird. „Wir können uns nicht entspannt zurücklehnen“, warnt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD): Zusammen mit Folgeanträgen werden 2015, so die Prognose, 60 000 Menschen in NRW Asyl beantragen. 2014 waren es noch 40 000 Flüchtlinge, die nach NRW kamen. „In all der Zeit musste in Leverkusen noch nie ein Flüchtling wieder in die Sammelunterkunft zurückkehren“, so Rita Schillings. Es gibt Wohnungsgesellschaften, die auch an Flüchtlinge vermieten und darauf achten, dass es eine gute Durchmischung gibt – also Ausländer unterschiedlicher Nationalitäten und Deutsche. Manche Flüchtlinge erzählten, dass es schwer gewesen sei, Anschluss zu finden. Sie sind nach dem Einzug mit Tee und Kuchen zu den Nachbarn gegangen und wunderten sich, dass diese Sitte unbekannt ist. „Andererseits sind in manchen Häusern durch die Flüchtlinge echte Hausgemeinschaften entstanden. Plötzlich ist es selbstverständlich, alle Nachbarn einzuladen, wenn man im Garten grillt.“

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Geschlossen oder offen? Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Eine kleine Gruppe von ihnen macht den Behörden Probleme und bringt Anwohner gegen die alleinstehenden Kinder aus der Fremde auf Autor Ulf Buschmann

Aufschrei in Bremen: Kriminelle Jugendliche wolle man nicht. Binnen weniger Tage trugen sich in die Facebook-Gruppe „Rekumer Straße – nicht mit uns“ gut 3 000 Mitglieder ein. Einer Demonstration folgten aber nur 200 Teilnehmer. Der Protest richtete sich gegen die Absicht des Bremer Sozialressorts, eine spezielle Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im nördlichsten Bremer Ortsteil Farge-Rekum zu schaffen. Träger ist die Akademie Lothar Kannenberg.

Kinder alleine in der Fremde Die kleine Gruppe, mit teilweise schweren Straftaten aufgefallen, sollte so diszipliniert werden. Und die fünf Prozent an minderjährigen Flüchtlingen rückten so in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Denn die unter 18-Jährigen kommen ohne Eltern in eine völlig fremde Welt, in der sie sich zurechtfinden müssten, erklären Flüchtlingsorganisationen. Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge machen den größeren Städten wie Bremen, aber auch Hamburg oder Frankfurt am Main Probleme. Sie werden nicht nach dem „Königsteiner Schlüssel“ anteilig auf die Bundesländer aufgeteilt, sondern in Obhut genommen, wo sie sich zuerst melden. Eine geplante Gesetzesänderung wird wohl nicht vor 2016 kommen.

schätzung der Behörden lediglich, dass ein Ende nicht abzusehen ist. Angesichts dieser Aussichten beklagen Städte und Kommunen, dass das bestehende System auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, KJHG, immer mehr an seine Grenzen stoße. Es fehlten qualifizierte Mitarbeiter und der kleine Anteil der als kriminell geltenden Jugendlichen entziehe sich jeder Betreuung.

Wer der Träger der neuen Einrichtung werden soll, ist laut Medienberichten noch nicht klar. Die bremischen Jugendhilfe-Akteure haben bereits abgewunken. Sie stehen nicht hinter dem Konzept. Deshalb sucht das Sozialressort nach anderen Partnern. Im Gespräch ist dem Vernehmen nach die Pädagogisch Therapeutische Jugendhilfe (PTJ) aus Hamburg.

Besserung in Sicht Nachdem sie insbesondere die Polizei in Atem gehalten hatten, versucht es das Sozialressort jetzt mit einem Mix aus schneller Identitätsfeststellung, in Obhutnahme beim Aufgreifen nachts und einer zeitweisen Unterbringung in Wohngruppen auf dem Gelände des Bremer Frauenknastes. Im Sommer sollen diese Flüchtlinge auf das Areal der seit Jahren leerstehenden Justizvollzugsanstalt für Jugendliche umziehen. So steht es im „Konzept für den Umgang mit straffällig gewordenen Flüchtlingen“.

Derweil ist es an der Protestfront in FargeRekum ruhig geworden. Dort versuchen Jugendliche aus dem Maghreb, sich in kleinen Schritten im hiesigen Alltag zurecht zu finden. Dazu gehören nach Auskunft von Andreas Kaminski, kaufmännischer Leiter der Akademie Kannenberg, und des pädagogischen Leiters Herbert Becker, der Hausputz und eigenständiges Abwaschen. Imane Mourit-Kettani, sogenannter RespectCoach, zeigt stolz auf den Fußboden: „Das haben wir mit den Jungs selbst verlegt.“

Die jungen Leute orientieren sich dabei, nach Erkenntnissen der Behörden, an Verkehrsrouten, dem Bekanntheitsgrad der Stellen oder daran, wo es ein Erstaufnahme- und Clearingsystem gibt. Das kleinste Bundesland hat 2014 knapp 500 minderjährige Flüchtlinge aufgenommen – mehr als alle östlichen Bundesländer zusammen. Bundesweit liegt die Zahl zwischen 7 000 und 8 000. Wie viele es in diesem Jahr sein werden, ist noch nicht abzusehen. Sicher ist nach Ein-

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Im Bremer Ortsteil Farge-Rekum sind derzeit drei unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Foto: Buschmann


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Schleusern in die Fänge gegangen Mannheim kämpft mit wechselndem Erfolg für die Eingliederung der Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien, die vor der Perspektivlosigkeit fliehen – und in Deutschland ausgebeutet werden Autor Harald Sawatzki

Claus Preißler gibt sich keinen Illusionen hin: Mannheims Integrationsbeauftragter sieht keine schnellen Erfolge bei der Eingliederung tausender bulgarischer und rumänischer Einwanderer. Zu unübersichtlich erscheinen ihm die Strukturen, die den Anstieg der Zuzugsströme auslösten, der erkennbar 2007 einsetzte. Damals lebten etwa 2 500 Angehörige dieser beiden Nationalitäten in Mannheim. Inzwischen kletterte ihre Zahl auf über 8 000. „Schlepper und Schleuser“ vermutet nicht nur Preißler hinter der Flut von Flüchtlingen. Die Männer und Frauen fliehen mit ihren Kindern vor einer trostlosen Gegenwart und aussichtslosen Zukunft aus ihren Heimatländern. Vor allem in den ländlichen Gebieten beider Länder rekrutieren die kriminellen Menschenfänger ihre Kundschaft, die man eigentlich als „Beute“ bezeichnen müsste. Die hierher Geschleusten werden oft als Billigarbeiter eingesetzt: harte Arbeit, miserabler Lohn. An die Händler dagegen fließt viel Geld.

Auch die Bundespolitik reagiert Die Stadt Mannheim versucht – wie andere westdeutsche Großstädte auch – seit Jahren, der Problematik Herr zu werden. In der jüngsten Vergangenheit gelang es mehrfach, auch hohe Vertreter der Bundespolitik in die Stadt zu holen: Bundespräsident Joachim Gauck und Umweltministerin Barbara Hendricks waren da, Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney lässt sich ohnehin regelmäßig über die aktuellen Entwicklungen informieren. Hendricks legte ein 25-Millionen-Euro-Programm auf, aus dem sich die Länder bedienen können. Da Mannheim in einem baden-württembergischen „Sozial-Ranking“ bedürftiger und stark belasteter Kommunen landesweit auf Platz eins rangiert, sei man

nun „in froher Erwartung“ zusätzlicher Finanzhilfen. Aus dem Hause Öney kam „sehr schnell“ eine Zusage über 280 000 Euro für die Integrationsarbeit in den Jahren 2013 bis 2016. Mannheim schießt 60 000 Euro dazu, aus einem eigens geschaffenen kommunalen Integrationsfonds fließen seit 2013 pro Jahr 30 000 Euro. Zudem werden mit über einer halben Million Euro zusätzliche Stellen für die Integrationsarbeit finanziert.

erwerben die Südeuropäer ein Daueraufenthaltsrecht und haben damit Anspruch auf Leistungen nach den Sozialgesetzen. Leistungsberechtigt sind Angehörige beider Nationalitäten inzwischen in einem niedrigen vierstelligen Bereich. Allein das Jobcenter rechnet dafür jährlich mit einem Betrag von mehr als 20 Millionen Euro. Zwischen fünf und sieben Millionen Euro davon muss die Stadt zahlen.

Noch sind die Erfolge bei der Integrationsarbeit bescheiden, wenngleich Preißler betont, „dass die Bevölkerung auf die Menschen aus Südosteuropa toll reagiert hat“. Die Probleme beim Zusammenleben – insbesondere in zwei stark betroffenen Stadtteilen – lassen sich laut Preißler mit „Kommunikationshelfern“ ein wenig entschärfen. Darüber hinaus geht Mannheim mit etwa einem Dutzend ausgewählter Projekte auf die Ankömmlinge zu: Dazu gehören Maßnahmen zur Sprach- und Bildungsförderung, Mieterhilfen, Unterstützungsprojekte für Frauen und Kinder, Maßnahmen der Sozialarbeit und diverse Motivationsangebote vor allem für Jugendliche. Ein Büro beim Bürgerdienst bietet „Starthilfen“ an. Dorthin werden die Zugezogenen geschickt, wenn sie sich im Einwohnermeldeamt registrieren lassen. Eine Bulgarin und ein Rumäne empfangen sie in ihrer Muttersprache und betreuen sie beim Einleben in der neuen Stadt.

Eine Mauer des Schweigens

Preißlers Erfahrung bei den Neubürgern: Zuerst kommen die Männer, die nach einem Jahr oder später Frauen und Kinder ins Land holen. Das geht problemlos. Es handelt sich bei Bulgaren und Rumänen schließlich um einen Personenkreis, der sich in der EU freizügig bewegen kann, da beide Länder mittlerweile der EU angehören. Das hat Folgen für die finanziellen Hilfen. Nach fünf Jahren

Während für das tägliche Leben der Familien und für die Einhaltung der Schulpflicht in diesem Personenkreis durchaus gesorgt ist, bereiten zwei andere, ebenfalls lebenswichtige Problemkreise Kopfzerbrechen. „Die zentralen Themen Arbeit und Wohnen können wir nicht lösen“, bedauert Preißler. Schuld daran sind unter anderem die erwähnten Schlepper und Schleuser. Sie dirigieren die Armutsmigranten „von der Abreise in der Heimat bis zum Arbeiterstrich in Mannheim.“ Unübersichtlich stellt sich auch die Wohnsituation dar: Benutzt werden in der Regel nicht angemietete Wohnungen, sondern gelebt wird oft bei Familienangehörigen oder in nur schwer überschaubaren Sammelunterkünften. Prekäre Wohnverhältnisse und Gesundheitsrisiken seien erkennbar. Preißler würde sich deshalb wünschen, mehr über die Strukturen im Hintergrund zu wissen. Aber seine Erfahrung ist: Es besteht gewissermaßen eine Mauer des Schweigens, hinter der sich die betroffenen, ausgebeuteten Einwanderer verschanzen. Das hat einen einfachen Grund: Selbst unterbezahltes Arbeiten in Mannheim lohne sich allemal mehr als völliger Armut in der Heimat ausgesetzt zu sein. Um diesen Teufelskreis aufzubrechen, sagt der Integrationsbeauftragte, „müsste uns der Bund mehr unterstützen.“

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Titel

No-Legida in Leipzig: Menschen demonstrieren in Dresdens Nachbarstadt gegen Pegida.

Foto: Lachmann

Geheimsache Asylunterkunft Hektik und fehlende Bürgerbeteiligung bei der Standortsuche für neue Flüchtlingsheime beförderten nicht unmaßgeblich die Pegida-Bewegung in Dresden Autor Harald Lachmann

Der erste erschrockene Hype auf die Pegida-Umzüge an der Elbe ist zwar verebbt, doch eine Frage bewegt nach wie vor: Wie konnte sich solch eine islamfeindliche Bewegung gerade in Dresden etablieren? Keine Moschee lässt sich hier weit und breit ausmachen. Und während der Ausländeranteil bundesweit 8,2 Prozent beträgt, liegt er in Sachsen bei gerade 2,2 Prozent. Bei Muslimen sind die Zahlen noch weitaus geringer.

Wo Gerüchte blühen, wächst die Angst vor dem Unbekannten Bei genauerem Hinsehen entdeckt man jedoch, dass hausgemachte Probleme diese Proteste mit verursachten. Denn Pegida formierte sich just in dem Moment, als in Dresden geheime Pläne für neue Asylbewerberheime auftauchten. Da sich die Zahl der rund 2 000 Hilfesuchenden, die derzeit in der Stadt leben, bis 2016 in etwa verdoppeln soll, setzte im letzten Herbst plötzlich eine hektische Standortsuche ein. Vieles wurde mit heißer Nadel gestrickt – und vor allem über die Köpfe der potentiellen Anrainer hinweg. Keiner bezog sie in die Planungen ein. Gerüchte blühten ohne Ende.

nur in den tangierten Wohnvierteln. Daraus erklärt sich teils auch der überraschend hohe Anteil „ganz normaler“ Mittelschichtvertreter bei den Pegida-Abenden. Und gerade in bessersituierten Vierteln wusste man sich bald auch juristisch zu wehren: Der Betreiber eines Hotels im Villenquartier Laubegast zum Beispiel wurde so massiv unter Druck gesetzt, dass er seine Pläne für die Umwidmung des Hauses in eine Flüchtlingsunterkunft wieder begrub. Aber ähnliches kennt man ja auch aus Hamburg … Dessen ungeachtet muss in der Halbmillionenstadt wegen der zunehmenden Flüchtlingsströme die Zahl der acht Übergangswohnheime nun schnell auf 19 wachsen. Auch zu den bisher knapp 300 Gewährleistungswohnungen sollen weitere 140 kommen. Nun liegen die Pläne hierfür auch offen aus, doch wirklich Ruhe schafft das vorerst nicht in Dresden. Eher scheint es, als ob sich trotz der langsam erneut steigenden Teilnehmerzahlen zu den Pegida-Montagen der ohnehin meist stille Protest wieder in die Hinterzimmer zurückzog.

trat krankheitsbedingt zurück – schickt nun auch Pegida einen eigenen Kandidaten ins Rennen. Und es ist zu befürchten, dass dieser dann auch dank jener großen Zahl Dresdener, die sich nicht länger mit CDU oder FDP arrangieren will, dabei gut zweistellig vorlegt.

Geht gar nicht: Ex-Stasi-Offizier wieder für Flüchtlinge in Aktion Zur Befriedung der Situation um Asylbewerber würde dies jedoch kaum beitragen. Dabei benötigt Dresden allein 2015 noch 900 neue Plätze für Flüchtlinge, über die bisher geplanten Standorte hinaus. Nutznießer dieser prekären Lage sind dann weiterhin zwielichtige Unternehmen wie die Immobilienfirma ITB im Vorort Radebeul. In einem recht heruntergekommenen zweistöckigen Containerbau beherbergt sie bereits rund 130 Flüchtlinge – fast alles Männer. Das Geschmackloseste dabei: Der Geschäftsführer hatte schon in der DDR mit Flüchtlingen zu tun – als Offizier der Staatssicherheit. Damals verhörter er sie, wenn sie illegal das Land verlassen wollten, heute verdient er sein Geld mit ihnen.

Auf ins Rathaus Als sich schließlich zwölf von hundert potentiellen Standorten für neue Asylheime herauskristallisiert hatten, fiel wegen jener größtmöglichen Verschwiegenheit im Rathaus die ohnehin zu erwartende Abwehrhaltung noch schroffer aus. Und das nicht

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Stattdessen will die Bewegung, die inzwischen vorgeblich auf allzu platte Islamphobie verzichtet und lieber „für mehr direkte Demokratie“ kämpft, selbst ins Rathaus. Zur Oberbürgermeister-Neuwahl am 7. Juni – die bisherige Rathauschefin Helma Orosz (CDU)

Beim Heim-TÜV des sächsischen Ausländerbeauftragten war die Radebeuler Unterkunft auf Platz 35 unter 40 Asylbewerberquartieren gelandet. Doch solange die Stadt keine Alternativen bieten kann, ist sie dem Betreiber am Ende noch dankbar.


Titel

Woher Wohnraum nehmen und nicht stehlen? Neue Asylbewerberunterkünfte – schnell und rechtssicher. Die Vergaberichtlinien machen den Kommunen zu schaffen Autoren Dr. Ute Jasper, Rechtsanwältin, Leiterin der Praxisgruppe „Öffentlicher Sektor und Vergabe“, Dr. Jens Biemann, Rechtsanwalt

Die Kommunen müssen Unterkünfte für Asylbewerber bauen. Sie wollen schnell handeln und gleichzeitig das Vergaberecht einhalten. Das Gerücht von der freihändigen Vergabe wegen Dringlichkeit machte die Runde, ist aber vom Bundeswirtschaftsministerium mit einem aktuellen Rundschreiben vom 9. Januar 2015 widerlegt. Was also tun, um schnell und flexibel, aber auch rechtssicher Unterkünfte zu beschaffen? Der Zeitdruck bestimmt oftmals die Wahl der Beschaffungsmethode: Wenn eine Kommune die Plätze in ein paar Wochen benötigt, kann sie nicht erst einen Neubau ausschreiben. In Betracht kommt dann insbesondere die Anmietung von Gebäuden oder Wohnungen. Der Vorteil: Mietverträge unterliegen nicht dem Vergaberecht. Die öffentliche Hand darf somit wettbewerbsfrei die entsprechenden Räumlichkeiten anmieten. Für den Kauf einer fertigen Immobilie darf eine Kommune ebenfalls auf ein förmliches Vergabeverfahren verzichten. Sie muss aber die haushaltsrechtlichen Gebote der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit beachten. Deutlich über dem Marktpreis liegende Kauf- oder Mietzahlungen sind somit nur ausnahmsweise zulässig.

Vergaberechtliche Spielräume Für den Bau neuer Asylbewerberunterkünfte müssen Kommunen die vergaberechtlichen Bestimmungen beachten. Der Beschaffungsakt ist ein öffentlicher Bauauftrag, der oberhalb eines Auftragswertes von aktuell 5,186 Millionen Euro sogar europaweit auszuschreiben ist. Da häufig die Zeit drängt, sieht das Vergaberecht bestimmte Beschleunigungsmöglichkeiten – beispiels-

weise Fristverkürzungen – für das erforderliche Vergabeverfahren vor. Direktvergaben an ein bestimmtes Unternehmen oder Verhandlungen mit nur wenigen Bauunternehmen sind meist unzulässig. Dies geht nur in absoluten Ausnahmefällen, deren Gründe genau schriftlich zu dokumentieren sind. Bei der Verfahrenskonzeption sollte die Kommune die vergaberechtlich erlaubten Handlungsspielräume nutzen. Ein Verhandlungsverfahren eröffnet dem Auftraggeber die Chance, aktuelle Entwicklungen zum Auftragsgegenstand noch im laufenden Vergabeverfahren zu berücksichtigen. Dies kann vor allem bei noch unklarer Zahl der zu beschaffenden Plätze oder alternativen Standorten für die Asylbewerberunterkünfte relevant sein. Zugleich kann er im Verhandlungsverfahren das Know-how der Bieter einbinden und dadurch seinen vorgegebenen Auftragsgegenstand optimieren.

Innovative Beschaffungsmethoden Neue Herausforderungen verlangen innovative Ideen der öffentlichen Hand. Das ansonsten oftmals als Last empfundene Vergaberecht ermöglicht weiterhin kreative Ansätze und gute Chancen für eine rechtssichere und schnelle Beschaffung. Eine Kombination aus Kauf und Miete kann beispielsweise die Bedürfnisse einer Kommune optimal umsetzen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt sind die Asylbewerberunterkünfte vom Auftragnehmer zur Verfügung zu stellen. Wenn der Auftragnehmer schnell baut, muss er nur für kürzere Zeit Mietunterkünfte – zum Beispiel Wohncontainer – vorhalten. Der Wettbewerb sichert der Kommune gleichzeitig eine gesamtwirtschaftliche Umsetzung. Bei all

Dr. Ute Jasper

Fotos (2): privat

Dr. Jens Biemann

diesen vergaberechtlichen Problemstellungen sollte eine Kommune aber niemals das Hauptziel, nämlich die menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge, aus den Augen verlieren. Dem wird sich im Rahmen aller rechtlich noch zulässigen Handlungsoptionen auch das Vergaberecht unterordnen müssen. Mit fachlicher Unterstützung der Vergaberechtsexperten der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek veranstaltet der BehördenSpiegel am 24. April 2015 in Düsseldorf und am 11. September 2015 in Frankfurt Praxisseminare zum Bau und Betrieb von Asylbewerberunterkünften.

Weitere Informationen unter: http://www.fuehrungskraefte-forum.de

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Titel

Die Welt liebt Deutschland Oder warum wir eine neue Einwanderungspolitik brauchen Autor Thomas Oppermann, MdB, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

Die Welt liebt Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommt das Marktforschungsunternehmen GfK in einer aktuellen Umfrage unter 20 000 Menschen weltweit. Demnach hat Deutschland die USA als das Land mit dem besten Image abgelöst. Als besonders positiv wahrgenommen werden – neben den sportlichen Erfolgen – die verantwortungsvolle Außenpolitik und die starke deutsche Wirtschaft.

nadischen System vor Ort ein Bild machen. Mein Fazit: Nicht alles ist übertragbar, aber wir können uns von den Kanadiern einiges abgucken, etwa wie man soziale Konflikte von Beginn an vermeidet.

Arbeitsmarkt für Flüchtlinge stärker öffnen

Die Hürden für Fachkräfte sind in Deutschland zu hoch Unser gutes Ansehen führt jedoch nicht dazu, dass qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten ihr Glück in Deutschland suchen. Seit 2012 haben nur 24 000 Einwanderer die „EU Blue Card“ genutzt, die den Zuzug aus dem Nicht-EU-Ausland regelt. Das zeigt: Die Hürden für Fachkräfte aus Drittstaaten sind in Deutschland nach wie vor hoch. Die besten Köpfe gehen lieber in die Vereinigten Staaten oder nach Australien. Als hochentwickeltes Industrieland sind wir auf qualifizierte Fachkräfte von außen dringend angewiesen. Denn unsere Gesellschaft altert und schrumpft. Bis zu sieben Millionen Erwerbsfähige scheiden in den kommenden zehn Jahren aus. Mit gravierenden Folgen: Wir laufen Gefahr, unseren Wohlstand zu verlieren und unsere Sozialsysteme nicht mehr finanzieren zu können. Vorrangiges Ziel der deutschen Sozialdemokratie ist es, die in Deutschland lebenden Arbeitskräfte besser zu mobilisieren und zu qualifizieren. Wir dürfen nicht zusehen, wenn 1,5 Millionen Menschen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren keine Berufsausbildung haben. Parallel arbeiten wir daran, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter zu erhöhen. Aber die Arbeitsmarktexperten sind sich einig: Nur das inländische Poten-

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Foto: Gerrit Sievert

zial auszuschöpfen, reicht langfristig nicht aus. Auch die vielen qualifizierten Einwanderer aus anderen EU-Mitgliedsländern, von denen Deutschland momentan profitiert, sind keine dauerhafte Lösung. Sobald sich die Beschäftigungssituation im Süden Europas verbessert, wird der Zuzug aus diesen Ländern wieder abnehmen. Viele werden in ihre Heimat zurückkehren.

Kanadisches Punktesystem erfolgversprechend Aus diesen Gründen setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion für ein neues Einwanderungsgesetz ein. Dieses Gesetz soll bessere Rahmenbedingungen für die Einwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten schaffen. Dafür wollen wir die zersplitterten Einwanderungsvorschriften in einem Einwanderungsgesetz bündeln. Zudem schlagen wir vor, ein flexibles nachfrageorientiertes Punktesystem zu entwickeln. Mit einem solchen System gewinnt beispielsweise Kanada pro Jahr rund 250 000 qualifizierte Einwanderer. In diesem Februar konnte ich mir von dem ka-

Die steigenden Flüchtlingszahlen stellen die deutschen Städte und Gemeinden vor große Herausforderungen. Zu Recht steht dieses Thema aktuell im Zentrum der Einwanderungsdebatte. Die SPD setzt sich dafür ein, dass der Bund die Kosten der Flüchtlingsunterbringung übernimmt und die Flüchtlinge in Europa fair verteilt werden. Außerdem wollen wir den Arbeitsmarkt für Flüchtlinge stärker öffnen. Davon können alle Seiten profitieren: die Flüchtlinge, die Unternehmen und die Kommunen. Die Große Koalition hat die Frist für den Zugang von Asylbewerbern und Geduldeten zum Arbeitsmarkt bereits auf drei Monate abgesenkt. Jetzt müssen weitere Maßnahmen folgen. Zum Beispiel sollten wir darüber nachdenken, ob wir besonders qualifizierten Asylbewerbern einen „Spurwechsel“ ermöglichen, also den Übergang aus dem Asylverfahren in ein ordentliches Einwanderungsverfahren. Mit einer geregelten Einwanderung aus Drittstaaten, guter Flüchtlingspolitik und verstärkten Integrationsmaßnahmen sichern wir Deutschlands Zukunft. Und wir signalisieren der ganzen Welt, dass Deutschland ein attraktives und weltoffenes Land ist. So wäre uns in der Rangliste der beliebtesten Länder wohl auch weiterhin ein Spitzenplatz sicher.

V.i.S.d.P.: Petra Ernstberger, Parlamentarische Geschäftsführerin, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Tel.: (030) 227-744 20, petra.ernstberger@spdfraktion.de


Report

Report: Stadtplanung und Regionalentwicklung

Foto: Olivier Tuffé – Fotolia

Jung kauft Alt: Hiddenhausen hat Weitblick bewiesen Mit einem innovativen Projekt wirbt die Gemeinde um Zuzügler und erhält den historischen Ortskern Autorin Maicke Mackerodt

Die ostwestfälische Gemeinde Hiddenhausen weist seit Jahren keine Neubaugebiete mehr aus – und hat trotzdem fast 150 Neubürger pro Jahr. Das Geheimnis: Junge Familien kaufen alte Häuser und erhalten dafür eine Prämie. In Hiddenhausen ist diese Idee seit 2007 unter dem Namen „Jung kauft Alt“ ein echter Erfolg, nicht nur um Leerstände zu bekämpfen. Hiddenhausen liegt irgendwo zwischen Herford und Bielefeld und gilt als größtes Dorf in NRW. Das „Dorf“ in der Nähe des Teutoburger Waldes besteht aus sechs Gemeinden und gilt als „westfälische Küchenmeile“, weil die meisten Einbauküchen aus dieser nordrhein-westfälischen Gegend kommen. Dass diese stark zersiedelte Gemeinde, mit einem Vogelschutzgebiet in der Nähe, zu den meist prämierten Orten im Land gehört und seit acht Jahren einen wichtigen Beitrag für die Gestaltung ländlicher Räume liefert, grenzt fast an ein Wunder. Seit Anfang diesen Jahres hängt an den Eingängen der Verwaltung gut sichtbar eine Ehrentafel, damit alle Rathausbesucher die Zukunftsfähigkeit der Großgemeinde

sofort erkennen können: Denn Hiddenhausen wurde Ende 2014 für sein erfolgreiches Projekt „Jung kauf Alt – kommunales Förderprogramm gegen Leerstand“ bei dem renommierten bundesweiten Wettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ geehrt. Die Botschafterin der bundesweiten Initiative, Juliane von Trotha, verglich die Hiddenhausener Situation mit der in vielen Kommunen im Land: „Hiddenhausen hat Weitblick bewiesen und sich zeitig und in bemerkenswerter Weise mit dem Problem der Überalterung beschäftigt.“

Der Abwanderungstrend konnte umgedreht werden Für den SPD-Bürgermeister Ulrich Rolfsmeyer, der unkonventionelle Ideen liebt und schon zweimal wiedergewählt wurde, war vor gut zehn Jahren klar: Nur wenn die Bevölkerungsstruktur stimmt, kann Hiddenhausen überleben und wird kein aussterbender Ort. „Wir haben alle zusammen und mit großer Einigkeit eine Antwort gesucht. Unser Motto: Jungen Familien eine Chance geben, sesshaft zu werden.“ So konnte die Gemeinde vermeiden, in die Problemfalle Demografie zu tappen. Fazit des Bürger-

meisters: „Wir haben die Wanderungsbilanz gedreht. 200 mehr Wegzügen im Jahr 2007 stehen 100 mehr Zuzüge in den vergangenen vier Jahren gegenüber.“ So gibt es nun mehr Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren als noch 2007. Da waren es 426 und sechs Jahre später zählte man 543. Die Idee ist simpel: Junge Paare sollen in alte Häuser aus den 50er und 60er Jahren ziehen. So werden Neubaugebiete vermieden. Gefördert wird der Kauf von Gebäuden, die mindestens 25 Jahre alt sind. Der maximale Förderungsbetrag beläuft sich auf 9 000 Euro, verteilt auf sechs Jahre: Pro Jahr und Haus zahlt die Gemeinde 600 Euro. Der Betrag erhöht sich pro Kind um 300 Euro bis zu einer maximalen Summe von 1 500 Euro. Und um vor teuren Überraschungen bei der Sanierung zu schützen wird auch die Erstellung eines Altbaugutachtens einmalig mit maximal 1 500 Euro gefördert. Gezahlt wird unabhängig vom Einkommen, die Gemeinde möchte eine gute Mischung aller Einkommensklassen. Rund die Hälfte der Käuferfamilien hat vorher in der Nähe (Kreis Herford), aber nicht in Hiddenhausen gewohnt.

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Report

„Mit dem Förderprogramm „Junge Menschen kaufen alte Häuser“ werden die knapper werdenden Freiflächen nachhaltig geschont, gewachsene Quartiere wieder mit jungem Leben gefüllt, die Auslastung der vorhandenen Infrastruktur verbessert sowie Kindergärten und Schulen gestärkt“, stellt Andreas Homburg vergnügt fest. Der Wirtschaftsförderer im Rathaus ist einer der Initiatoren des Projekts. Der Leerstand von älteren Häusern und damit auch das sogenannte „Leerlaufen“ der bestehenden Infrastruktur sollte ebenso vermieden werden

det“, so Andreas Homburg. Von Anfang an stand fest: „Die Gemeinde hat zwar die Idee, aber wir wollen und werden keine Häuser vermitteln.“ 270 000 Euro kostet das Projekt die Gemeinde im Jahr. „Trotz der 20 Millionen Euro Haushaltsdefizit rechnet es sich, obwohl wir weder von der EU noch vom Bund oder vom Land NRW unterstützt werden.“ Wer im Ort wohnt, zahlt nicht nur Steuern oder nutzt die Infrastruktur, sondern sorgt auch dafür, dass die Gemeinde weiter die an die Einwohnerzahl gebundenen Zuweisungen des Landes erhält.

stützt unser Ziel, in jedem Dorf die Grundschule zu erhalten.“

Erfolgreiche Nachahmer Viele Kommunen haben „Jung kauft Alt“ in den vergangenen Jahren kopiert, um ebenfalls ihren Einwohnerrückgang zu stoppen. An ein Ende des Programms denkt selbst die preisgekrönte Gemeinde Hiddenhausen vorerst nicht. 2013 lebten in 600 von 5 000 Wohngebäuden in Hiddenhausen noch ein oder zwei Personen, die bereits älter als 70 waren, weiß Andreas Homburg, der immer

Blick auf den Hiddenhausener Gemeindeteil Schweicheln-Bermbeck: Statt neu zu bauen, sollen Zuzügler in die bestehenden, alten Häuser einziehen. Mit dem Projekt wird der Ortskern erhalten – Bewohner und Gemeinde profitieren gleichermaßen. Foto: Grugerio/wikimedia.org (CC BY-SA 3.0)

wie der parallele Bau teurer, neuer Straßen, Leitungen und anderer Einrichtungen. Gemeinsam mit seinem Chef entwickelte er drei Jahre lang das preisgekrönte Konzept. Sogar der Stadtrat, immerhin fünf Fraktionen, fällte die meisten Beschlüsse einstimmig. Damit hat die Gemeinde den Strukturwandel frühzeitig eingeleitet.

Das Projekt rechnet sich Um das Projekt in Gang zu bringen, wurde 2004 zunächst ein runder Tisch gegründet: Finanzierer, Makler, Landschaftsplaner, Architekten. „Wir haben geredet und gere-

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„Etwa 350 Altbaukäufe in den vergangenen siebeneinhalb Jahren und über 30 geförderte Gebäudegutachten“ gab es, so der Bürgermeister. Dazu profitiert das Leben in der Gemeinde von gut 600 zugezogenen Erwachsenen und 365 Kindern. „Rein rechnerisch also pro Haus ein Kind.“ Tatsächlich sind 60 Prozent der zugezogenen Haushalte solche mit Kindern, die sich über die gewachsene Nachbarschaft freuen. Die Hälfte des Nachwuchses wiederum ist im Kindergartenalter. Eine ganze Schulklasse – 23 Kinder – stammen aus Familien, die Häuser aus dem Projekt übernommen haben. „Das

wieder von anderen Kommunen eingeladen wird, um das Förderprogramm vorzustellen. „Wie sich das auf den Immobilienmarkt ausgewirkt hat, kann man sich ausrechnen.“ Bisher konnten alle Förderanträge bewilligt werden. „Ab 2014 rechnen wir mit einem stabilen Betrag, den wir als Gemeinde bereitstellen. Dann können wir jährlich 40 bis 50 Anträge bewilligen.“

Weitere Informationen http://www2.hiddenhausen.de/Hiddenhausen/ Wohnen/Bauen/Jung-kauft-Alt


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Wollen Politiker die Bürgerbeteiligung wirklich? Die Bürger wollen bei Entscheidungen mitmischen, das macht die Arbeit für Politiker schwer Autor Holger Albers

Direkte Demokratie, Bürgerentscheide oder Bürgerbeteiligung sind wichtige Schlagworte der aktuellen politischen Diskussion – gerade auf kommunaler Ebene. Immer wieder betonen Politiker, für wie bedeutsam sie die direkte Rückmeldung des Bürgers halten. Sind das mehr als reine Lippenbekenntnisse?

Prozent der Bürger diese Haltung akzeptabel. Studienleiter Robert Vehrkampl: „Die Bürger wollen durch Wahlen ihre politische Mitbestimmung nicht für vier Jahre komplett aus der Hand geben. Politiker sollten diesen Wunsch nach mehr direkter Demokratie und Dialog ernst nehmen und ihr repräsentatives Mandat entsprechend offen interpretieren.“

Alle Macht dem Volk Allein die Frage beschleunigt bereits den Puls mancher Politiker. Natürlich, so werden sie sagen, geht alle Macht vom Volke aus, und wo wäre dies besser zu sehen als in der direkten Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen. Das ist richtig in der Theorie, aber schwierig in der Praxis. Die Bertelsmannstiftung hat 2014 dazu eine Untersuchung vorgelegt. Mit 69 Prozent sprach sich danach die Mehrheit der Bürger dafür aus, mehr und direkter über politische Sachverhalte mitentscheiden zu wollen. Die befragten Politiker sahen sich dagegen frei in ihrer jeweiligen Entscheidung: Etwa 80 Prozent interpretieren diese Freiheit so, dass sie im Zweifel auch gegen die Bürgermehrheit entscheiden würden. Wenig überraschend fanden nur 43 Ein schöner Entwurf des Architekten Jahn, der am Bürgerwillen scheiterte. Foto: Stadt Wiesbaden

Parlamentarische und direkte Demokratie dürfen sich gegenseitig nicht ausschließen. Genauso können auch verschiedene Beteiligungsformen nebeneinander oder in Kombination funktionieren. Henning Banthien und Hans-Luitger Dienel vom Bonner ‚Netzwerk Bürgerbeteiligung‘ etwa plädieren in diese Richtung: „Letztlich ist dies keine Frage des Entweder/Oder. Vielmehr muss gefragt werden, wie sich diskursive, direkte und repräsentative Formen der Demokratie sinnvoll miteinander verbinden lassen.“ Die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden hat sich gerade auf den Weg gemacht, Bürgerbeteiligung zu institutionalisieren. Eine breite politische Mehrheit befürwortet einen Prozess, der vor wenigen Monaten startete und bis Ende des Jahres abgeschlossen sein soll. In Informationsveranstaltungen und

Workshops erarbeiten Bürger, wann und wie sie eingebunden sein wollen oder müssen. So viel Mitbestimmung war wohl selbst den Bürgern im ersten Schritt zuviel: Wiesbaden hat rund 280 000 Einwohner, 120 Personen kamen zur ersten Veranstaltung, davon die Hälfte aus Politik und Verwaltung; beim zweiten und dritten Termin waren es noch weniger. An mangelnder Bewerbung habe es gelegen, monieren die einen, generelles Desinteresse der Bevölkerung konstatieren die anderen. „Bürgerbeteiligung kostet Kraft“, sagte Wiesbadens Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) und meinte damit sicher nicht nur die sechs Stunden Dauer der ersten Veranstaltung.

Kein Stadtmuseum in Wiesbaden Oder hat er Protagonisten der Regierungskoalition im Stadtparlament gemeint? Gerade hatte das Parlament das Projekt des neuen Stadtmuseums zu Grabe getragen. Vorausgegangen waren hitzige Diskussionen zwischen den Bürgern und ihren parlamentarischen Vertretern um den Standort, den Entwurf des Architekten Helmut Jahn und die Finanzierung. Eine Bürgerinitiative wollte einen Bürgerentscheid herbeiführen und versuchte mit juristischen Mitteln den Bau zu verhindern. Nicht alle Politiker fanden soviel Bürgerwillen toll. Auf der Pressekonferenz nach dem endgültigen Aus, so berichtet ein Reporter des Wiesbadener Kurier, habe ein führender Stadtpolitiker gewirkt „...wie ein trotziger Junge, dessen größter Weihnachtswunsch nicht erfüllt wurde.“ Politiker werden sich daran gewöhnen müssen, dass die Bürger ihre Belange stärker in die eigenen Hände nehmen wollen. Dann sollte die Politik schnell reagieren – mit der Chance, den Prozess mit zu gestalten.

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Report

BOS-Digitalfunk Die schöne neue Welt ist noch nicht heil, die Umstellung von analog auf digital macht in Tunneln und Gebäuden mehr Schwierigkeiten als erwartet Auch die Nürnberger U-Bahn hat mit den Folgen der Umstellung zu kämpfen. Foto: Wraneschitz

Autor Heinz Wraneschitz

BOS-Digitalfunk: Bei der Umstellung von „Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ von Analog- auf DigitalTechnik gibt es augenscheinlich Probleme, gerade in Gebäuden. Hat daran anfangs niemand gedacht? „Digitalfunk hilft helfen – im Einsatz für die Menschen in Bayern“. Von der Internetseite der „Projektgruppe DigiNet“ im Bayerischen Innenministerium strahlen Bürger und Vertreter von Feuerwehr, Polizei, THW und Rettungsdiensten um die Wette. Sie versprechen „noch bessere, schnellere und verlässlichere Hilfeleistung in Notlagen“.

Umstellung von Analog- auf Digitalfunk. Kunze-Howes Auftritte erzeugen bei seinen Zuhörern regelmäßig bedenkliches Kopfkratzen.

Ausweichmanöver Gibt es technische Regeln? Ja, den 54-seitigen „Leitfaden zur Planung und Realisierung von Objektversorgungen (L-OV)“ des BDBOS. Der nenne aber eine Vielfalt technischer Möglichkeiten. Auch den Föderalismus der 16 Bundesländer sieht er als „Riesen-Bremsklotz“, und einzelne Kreisbrandräte, die der Umstellung sehr kritisch gegenüber stünden.

Bestandsschutz bremst Baurecht Die Projektgruppe DigiNet sieht jede Menge Vorteile. Von Abhörsicherheit bis GPSOrtung, alles „moderne, zukunftsorientierte Technik.“ Aber die muss ja länderübergreifend funktionieren. Deshalb plane und koordiniere die „Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“, Kürzel BDBOS, bundesweit den Netzaufbau für den Digitalfunk, heißt es.

Umstellung hakt Das geht auf der Oberfläche von Stadt und Land zügig voran. Aber in Gebäuden, Tunneln, beim ÖPNV – den so genannten Objekten – hakt die Umstellung gewaltig. So muss man jedenfalls den Maschinenbauingenieur Wolfgang Kunze-Howe verstehen, bei der Berliner Feuerwehr Berater für die

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lagen mitbenutzen können.“ Ob der BOSFunk in den Tunneln unter der Stadt schon digital läuft, ist der VAG nicht bekannt.

Schnellen und flächendeckenden BOS-Digifunk in allen Objekten verhindere auch das deutsche Baurecht: „Der Bestandsschutz ist ein mächtiges Schwert: Der Analogfunk muss also weiter mit. Denn an den Bestandsschutz will die Politik ja nicht ran.“ Fakt ist außerdem: Der Umbau kostet. „Hardware und die Antenne außen müssen erneuert werden. Die Kosten sind sehr individuell“, weiß Wolfgang Kunze-Howe. Gut schaut es bei der Umrüstung der Autobahntunnel aus. Denn die gehören dem Bund, und der stellt das Geld für die neue DigitalAusrüstung bereit. Aber in den Städten, beispielsweise Nürnberg? Hier hat der Betreiber VAG zwar „den Behörden angeboten, dass sie unsere An-

Und die Länder? Die Bayerische Projektgruppe DigiNet zum Beispiel weicht heute noch der Frage aus, welche technische Digitalfunk-Lösung sie für umzurüstende, landeseigene Objekte bevorzuge. Ihr „Rahmenkonzept Objektversorgung … beschreibt die Rahmenbedingungen, unter denen digitale Objektfunkanlagen in Bayern geplant, errichtet und betrieben werden können. Darin werden z.B. Vorgaben gemacht, wie hoch die Mindestfeldstärke in den zu versorgenden Bereichen sein muss“, heißt es kryptisch von einem Sprecher der Projektgruppe. Und auf die Frage, wann aus Sicht von Bayerns Innenministerium die Umstellung aller landeseigenen Objekte auf Digitalfunk abgeschlossen sein wird, antwortet der Mann vielsagend: „Gegenwärtig kann kein expliziter Zeitpunkt genannt werden.“ Zur Begründung ergänzt DigiNet: „Da das Digitalfunknetz jederzeit zuverlässig und störungsfrei funktionieren muss, gibt es strenge Auflagen zur Netzsicherheit.“ Dabei setzt man doch extra „mit TETRA auf eine weltweit bewährte Technik. Wir bauen eines der modernsten Digitalfunknetze im Sicherheitsbereich.“ Und das dauert. Nicht nur in Bayern.


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Privateigentümer haben sich im Calluna Quartier ihren Wohntraum erfüllt.

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1976 stellte das Bergwerk „Ewald Fortsetzung“ in Oer-Erkenschwick im nördlichen Ruhrgebiet die Förderung ein. 1984 wurde die dortige Kokerei stillgelegt. Rund 30 Jahre sind inzwischen vergangen und auf dem 37 Hektar großen Zechenareal, in der Mittelstadt im Kreis Recklinghausen, zeichnen sich inzwischen deutlich die Bausteine eines neuen nachhaltigen Stadtquartiers ab. In unmittelbarer Nähe zur OerErkenschwicker Innenstadt entsteht derzeit ein attraktiver Standort, der gekennzeichnet ist durch einen zentralen Wohnbereich zwischen denkmalgeschützten und inzwischen gewerblich genutzten Bestandsgebäuden und einem Mischgebiet mit Gesundheitszentrum, sozialtherapeutischer Wohneinrichtung und Einzelhandel. „Ein großer Erfolg im Rahmen des ganzheitlichen und nachhaltigen Entwicklungskonzeptes als integriertes Stadtquartier auf einem ehemaligen Zechenareal“, betont der verantwortliche Projektleiter der RAG Montan Immobilien Volker Duddek. Die Idee dazu wurde im Jahre 2011 geboren. Damals setzte er sich mit Vertretern der Stadt, interessierten Investoren, sozialen Einrichtungen und Institutionen in einem Arbeitskreis zusammen. Dieser formulierte die Zielsetzung für die Entwicklung. „Mit dem neuen Calluna Quartier nehmen wir auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen Bezug. Familien mit Kindern, Singles, Menschen mit Behinderung und

Senioren finden generationenübergreifend in City-Nähe zusammen“, beschreibt Duddek den Kern des Gesamtkonzeptes. Das Wohnangebot ergänzen im Westen ein Ärztezentrum, weitere Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen und Einzelhandel, dazu kommen großzügige Grünflächen für Freizeit und Erholung im Nordosten. „Unsere Konzeption steht und sobald der Bebauungsplan Rechtskraft verlangt – voraussichtlich Ende dieses Jahres – kann mit den

Hochbaumaßnahmen begonnen werden,“ betont Dirk Grünhagen verantwortlich für die Projektentwicklung Hochbau bei der RAG Montan Immobilien. Ebenfalls auf dem Areal befindet sich ein kleines Bergbaumuseum in einem ehemaligen Lehrstollen, das an die bergbauliche Vergangenheit des Standortes erinnert. Bei der Energieversorgung wurde gemeinsam mit der RWE und der Ewald Fortsetzungs- Immobilien GmbH – ganz im Rahmen des nach-

haltigen Entwicklungsansatzes – ein Fernwärmenetz aufgebaut, welches die Wärme aus regenerativen Energiequellen gewinnt. Die Entwicklung der rund 30.000 Quadratmeter großen Wohngebietsfläche mit mehreren Geschosswohnungsbauten, etlichen alleinstehenden Einfamilien- und Doppelhäusern ist weitgehend abgeschlossen. Inzwischen haben Privateigentümer rund 80 Prozent der Grundstücke, ca. 21-tausend Quadratmeter, gekauft. Weitere Grundstücke sind bereits reserviert. So langsam wird das ehemalige Zechenareal zum neuen Lebensraum für Jung und Alt. Für Samy Saidi, Mitarbeiter der RAG Montan Immobilien, der für den Verkauf der Grundstücke verantwortlich zeichnet, stellt das Calluna Quartier eine Erfolgsgeschichte dar: „ Wir zeigten, dass wir trotz schwieriger Vorzeichen durch die Integration der Akteure vor Ort und ihrer Ideen eine Projekt erfolgreich voranbringen. Ein wesentlicher Faktor stellt auch die gute Kooperation von Projektleitung und Vertrieb sowie die Flexibilität der Planung dar.“

Für die Kinder gibt es im Calluna Quartier attraktive Spielmöglichkeiten.

Kontakt für Grundstücksanfragen: Samy Saidi Telefon: +49(0)201 / 378 2770 Email: samy.saidi@rag-montanimmobilien.de RAG Montan Immobilien GmbH Im Welterbe 1-8 45141 Essen


Report

„Leipzig Region“ ist mehr als die Messestadt Stadt und Natur ergänzen sich zum Vorteil für beide Seiten.

Foto: Lachmann

Das Stadtmarketing der größten und wirtschaftlich erfolgreichsten rein ostdeutschen Metropole bezieht bewusst auch das Umland in seine Entwicklungsplanung und Außendarstellung ein Autor Harald Lachmann

Leipzig bleibt die ostdeutsche Wirtschaftslokomotive. Nirgendwo im Osten entstehen derzeit mehr Jobs und sprudeln die Gewerbesteuereinnahmen kräftiger. 2014 hängte man hier das etwa gleich große – aber stets deutlich besser vom Land geförderte – Dresden sogar überraschend klar ab. Während Leipzig Gewerbesteuern in Höhe von 273 Millionen Euro einnahm, waren es in der Landeshauptstadt gerade 211 Millionen Euro.

Naherholung macht attraktiv Die damit verbundene Attraktivität der westsächsischen Metropole für unternehmerische Ansiedlungen rührt indes auch aus Standortfaktoren, die über die Stadtgrenze hinaus reichen. Denn die besten Noten bei den jüngst von der IHK befragten Firmenchefs erhielten die Punkte „Naherholungsmöglichkeiten“ und „regionale und überregionale Verkehrsanbindung“. Leipzig ist das Herzstück einer Region, die auch die beiden tangierenden Landkreise Nordsachsen und Leipzig einbezieht. Bereits 2008 bildete man schon einen gemeinsamen „Regionalen Planungsverband Leipzig-Westsachsen“, der in seinen konkreten Zielen Jahr um Jahr fortgeschrieben wird. Während die hierbei erörterte Regionalent-

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wicklung in Teilen eher als informelles Instrument der Raumordnung gilt und damit keine Rechtsverbindlichkeit besitzt, machten Leipzig und die beiden Landkreise in anderen Fragen bereits Nägel mit Köpfen. Sonnen sich etwa Umlandregionen gewöhnlich im Licht der Metropole in ihrer Mitte, was Vermarktung und Außendarstellung betrifft, ist es hier eher andersherum. Seit Jahresbeginn firmieren Leipzig und die beiden Landkreise unter einer gemeinsamen Dachmarke: „Leipzig Region“. Die neue Seenkette, zu der gerade die früheren Braunkohletagebaue südlich und nördlich der Metropole mutieren, oder die angrenzenden Burgen- und Heideregionen lassen das Image von Leipzig glänzen. Dass die „Leipzig Region“ inzwischen ein Viertel des sächsischen Übernachtungsvolumens auf sich vereint und damit rund zwei Milliarden Euro im Jahr umsetzt, rührt ebenfalls aus dieser zunehmenden Stadt-UmlandVerflechtung. Schon seit 2013 bündeln Leipzig und beide Nachbarkreise auch ihre weltweite Investorenakquise in einer Invest Region Leipzig GmbH. Deren Geschäftsführer Lutz Thielemann setzt nun auf zehn Mitarbeiter, einen jährlichen Etat von 1,7 Millionen

Euro – sowie ganz maßgeblich eben auf jene attraktive Seen- und Wassersportlandschaft. So schaute eine Schweizer Unternehmerdelegation, die das Leipziger BMW-Werk und die Blüthner-Piano-Manufaktur besuchte, anschließend auch im nagelneuen Ferienresort Lagovida am Störmthaler See vorbei.

Auf direktem Weg zu den Firmen Das überzeugt, so Thielemann, potenziell ansiedlungswillige Firmen sofort von der Lebensqualität der Region. Neben Inseraten in der überregionalen Presse oder Messepräsentationen gehe man dabei auch den direkten Weg zu Firmen auf der Suche nach lukrativen Standorten für eine Erweiterung. Thielemann setzt dabei besonders auf Unternehmen mit mehr als hundert Beschäftigten, „weniger Weltkonzerne, mehr den klassischen Mittelstand“. Auf diese Weise hatte die Invest Region Leipzig GmbH allein letztes Jahr 27 000 Unternehmen gezielt kontaktiert und anschließend erfreut festgestellt: Allenfalls jedes fünfzigste reagierte gar nicht, während fünf bis zehn Prozent ernsthaftes Interesse an einer Niederlassung in oder um Leipzig zeigten.


Report

Der Leerstand wird aufgenommen Cuxhaven ist touristisch eine der stärksten Städte Deutschlands. Der Spagat zwischen Besuchern und Stadtentwicklung ist nicht ganz einfach zu bewältigen Autor Ulf Buschmann

Schon beim Walfang blieb manch ein wagemutiger Mann auf See und das Leben an Bord war rau. Die Kinder hören dem Walfänger aus dem 18. Jahrhundert fasziniert zu. Es ist einer der zahlreichen Programmpunkte des Museumsfestes von „Windstärke 10“, einem der neuen touristischen Angebote in Cuxhaven.

schaft noch nicht überall bei den Vertretern kommunaler Gremien angekommen. Industrie- und Handelskammern und Wohnungsbauinvestoren setzen noch immer auf Expansion. Wagt sich ein Behördenchef – wie kürzlich in einer Bremer Diskussion – mit so einem Ansatz aus der Deckung, wird sogar seine Absetzung gefordert.

Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg. Danach dürfen Ferienwohnungen nicht in Wohngebieten liegen. Doch so scharf wie Mecklenburg-Vorpommern dieses Urteil umgesetzt hat, will Cuxhaven nicht vorgehen. Vielmehr solle es im Rahmen der intelligenten Schrumpfung zu einer schrittweisen Entflechtung kommen.

Seit Dezember 2013 gehört das Museum in zwei ehemaligen Fischpackhallen zu den touristischen Anziehungspunkten. Heute liegt der Tourismus vor der Fischerei. In der 49 000 Einwohner-Stadt gehören 6 000 Arbeitsplätze direkt zur Branche. Bei drei Millionen Übernachtungen und 400 000 Tagesgästen jährlich kommt ordentlich Geld in die Kasse.

Leerstand ist nicht das Problem bei Ferienwohnungen

Auch die Investoren müssen bei der Infrastruktur mittun

Cuxhaven scheint da einiger zu sein. Leerstand, so Baudezernent Adamski, sei nicht wirklich das Problem. Er werde von der Tourismusbranche „aufgenommen“: entweder mit neuen Beherbergungsangeboten oder mit Menschen, die sich eine Zweitwohnung zulegten.

Die Besucher lieben vor allem die Sandstrände in den Stadtteilen Sahlenburg und Dunen – und das seit Generationen.

Rechtlich sei die Stadt hier besonders gefordert. Hintergrund ist das Urteil des

Es gibt viele Schnittstellen zwischen Tourismus und Stadtentwicklung in Cuxhaven. Auch von der Infrastruktur profitieren Besucher und Einwohner gleichermaßen. Hierzu zählen die Bäder oder auch die neue Promenade in Dunen. Damit dies in Zukunft so bleibt, werden laut Adamski auch „die Investoren in die Pflicht genommen“. Er sagt auch: „Sie haben es verstanden.“

Intelligent schrumpfen ist besser als unkontrolliert wachsen Aber Cuxhaven hat nicht nur Touristen, „sondern ist auch Stadt“, wie Baudezernent Martin Adamski betont. Der demografische Wandel setzt der Stadt zu – zehn Jahre eher als anderen, erklärt Adamski. Inzwischen seien rund 40 Prozent der Einwohner Cuxhavens über 60 Jahre alt. Weg von der Flächenexpansion, hin zur Innenentwicklung, heißt da die Devise. „Schlaues Schrumpfen“ – in Cuxhaven und auch in anderen Städten. Die Frage ist, wo das Wohnen noch sinnvoll und möglich ist. Hierzu habe die Stadt ein Wohnungsentwicklungskonzept aufgelegt, für das die Gremien vor kurzem grünes Licht gegeben hätten, so Adamski. In Cuxhaven gibt es die Wohnlotsen. Sie nehmen den Bestand unter die Lupe. Allerdings ist die Bot-

Die Stadt Cuxhaven mit seiner Kugelbake ist eine der führenden Touristenziele in Deutschland – unter anderem wegen der Lage am Meer. Foto: Buschmann

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Report

Zurück zur Natur: Nationalpark Hunsrück-Hochwald Eine strukturschwache Region macht das Beste aus der Situation und der Natur Autor Magnus Jung, MdL im saarländischen Landtag

Seit Jahrhunderten wandern die Menschen vom Hunsrück aus. Heute noch ist die Mittelgebirgsregion, die im Norden des Saarlandes beginnt und sich in Rheinland-Pfalz rechts der Mosel Richtung Koblenz hinzieht, davon geprägt, dass es hier von allem weniger gibt: weniger Arbeit, weniger Bruttosozialprodukt, weniger Zukunftsperspektiven für junge Menschen. Die Landesregierung in Mainz hat in den letzten 20 Jahren viel unternommen, um die Region voran zu bringen: Der Flughafen Hahn und der Umweltcampus bei Birkenfeld sind prominente Beispiel dafür. Im Saarland ist es der CenterPark am Bostalsee mit über 500 000 zusätzlichen Übernachtungen. Die waldreiche Landschaft des Hunsrück ist rau und reizvoll zugleich, genau wie die Menschen hierzulande.

Die Natur Natur sein lassen, das ist das Konzept des neuen Nationalparks. Foto: Klaus Görg

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Zurück zur Natur Die einzigartige Natur und beeindruckende Geschichte wollen die Länder RheinlandPfalz und Saarland jetzt gemeinsam zur Aufwertung der Region nutzen. Pfingsten öffnet offiziell der länderübergreifende Nationalpark Hunsrück-Hochwald mit einer Fläche von ca. 10 000 Hektar. Über 30 Jahre lang werden bis zu 75 Prozent der Fläche aus der Nutzung von Land- und Forstwirtschaft genommen. Nach dem Motto: „Natur Natur sein lassen“ wird die Kulturlandschaft immer mehr eine natürliche Form annehmen. Die Buche, auch heute schon stark vertreten, wird zur dominierenden Baumart werden. Natürliche Hochmoore werden wieder entstehen. Die Wildkatze, die heute schon vorkommt, wird wieder heimisch. Das Nationalpark-Amt sorgt dafür, die Artenvielfalt zu erhalten. Die Hoffnungen in der Region richten sich auf zusätzliche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur.

Immerhin werden mehr als 200 000 Touristen erwartet und 200 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wandern und Radfahren ist auf gesonderten Wegen erlaubt. Nicht alle bejubeln den neuen Nationalpark. Der Verzicht auf Bewirtschaftung der Flächen bricht mit örtlichen Traditionen und schürt Ängste. Während im Saarland eine deutliche Mehrheit vor Ort und Einstimmigkeit im Landtag erzielt werden konnte, hatte die CDU im rheinland-pfälzischen Landtag den Park zum Kampfthema gegen RotGrün erkoren. Teilweise über die Köpfe der örtlichen CDU hinweg holzte Julia Klöckner in Mainz gegen den Nationalpark. Am Ende wollten das auch die eigenen Leute im Hunsrück nicht mehr hören.

Besucher anziehen Neben den Mitteln, die notwendig sein werden, um die Naturschutz-Ziele des Parks zu erreichen, stehen jetzt Investitionen in die Infrastruktur für die Besucher an. Diese konzentrieren sich vor allem an den Nationalparktoren. So plant das Saarland am Keltenpark in Otzenhausen ein Besucherzentrum, das die Themen Kelten und Nationalpark kombiniert. Die Idee: Der Nationalpark wird zum Wald der Kelten, die Natur entwickelt sich in einen Zustand, wie sie ihn kannten. Der Nationalpark wird zur Zeitreise für den Besucher. Der Nonnweiler Bürgermeister Franz-Josef Barth kann auf Förderzusagen des Saarlandes von mehreren Millionen vertrauen. Die Planungen werden in nächster Zeit in den kommunalen Gremien diskutiert. Wichtig ist, die Menschen vor Ort mitzunehmen, in deren Bewusstsein der Nationalpark noch kaum verankert ist. Der Stolz, aus einer Nationalparkgemeinde zu kommen, ist jedoch eine Voraussetzung für den Erfolg.


Report

Ausgerechnet in dem für die Trinkwasser-Überwachung zuständigen Sozialministerium in Hessen darf das Trinkwasser nicht mehr getrunken werden. Von der Versorgung mit trinkbarem Nass sind auch das nahgelegene Landeskriminalamt und die Wiesbadener Finanzämter I und II schon seit Februar abgeschnitten. Gegen den Widerstand der Opposition hatte das Land die Gebäude vor einigen Jahren privatisiert. Und da wurde offensichtlich ein Korrosionsschutzmittel für die Wasserleitungen benutzt, das schädliche Wirkung hatte. Die Mitarbeiter werden jetzt mit Wasser in Flaschen versorgt. Von der Beeinträchtigung des Trinkwassers sind rund 1 600 Angestellte im öffentlichen Dienst in Wiesbaden betroffen. Foto: Can Stock Photo Inc. / Elenathewisex Anzeige

Dorothea Minderop

Kommunen auf dem Weg zur Bildungslandschaft Ein Handbuch für kommunale Akteure Dorothea Minderop

Kommunen auf dem Weg zur Bildungslandschaft

2014, 130 Seiten, Broschur € 20,– [D] / sFr. 28,90 ISBN 978-3-86793-577-7

Ein Handbuch für kommunale Akteure

EBOOK

Auch als E-Book erhältlich

Das Handbuch basiert auf den Erfahrungen erfolgreicher Kommunen, die ihre örtlichen Bildungsangebote gezielt auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger abgestimmt haben. Es beschreibt, wie eine Kommune schrittweise ihre eigene Bildungslandschaft gestalten kann, und skizziert Herausforderungen, mit denen Kommunen im Bereich der Bildung heute konfrontiert sind.

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Report

Prüfer des ADAC haben Deutschlands Brücken untersucht (hier: Saalebrücke Röpzig in Halle). Das Ergebnis: Viele sind in schlechtem Zustand.

Deutschlands Brücken verfallen weiter Bundesverkehrsminister Dobrindt ist in der Pflicht

Foto: ADAC

schämend für ein hochentwickeltes Land. Der größte Teil der Brücken liegt in kommunaler Verantwortung. Nach Zählung des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) sind es 66 714. Das Difu hält davon jede zweite für sanierungsbedürftig; 15 Prozent gar für nicht mehr sanierungsfähig sondern für den Abriss bestimmt.

Autor Peter H. Niederelz

Sebastian F. wohnt mit seiner Familie in Bad-Kreuznach und arbeitet in Wiesbaden. Normalerweise braucht er für die Fahrt dorthin 45 Minuten. Seit die Schiersteiner Brücke von Mainz nach Wiesbaden wegen Bauschäden total gesperrt ist, ist er für eine Strecke auf Umwegen etwa drei Stunden unterwegs. Er hat sich jetzt in Wiesbaden eine kleine Wohnung genommen und hofft, dass die 1960 gebaute Brücke repariert werden kann, denn die Wohnung ist teuer und er wäre lieber bei seiner Familie. Er schimpft auf den auch für diese Brücke zuständigen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der – wie sein Amts-

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vorgänger – zu wenig in den Erhalt der großen Brücken in Deutschland investiert hat. Bundesminister Dobrindt hat 2014 ein, wie er meinte, großes Brückensanierungsprogramm mit einer Milliarde Euro Investitionsmitteln bis 2017 aufgelegt. Das reicht gerade einmal für 78 unter Bundesverantwortung stehende Brücken.

Die Kommunen alleine können den gewaltigen Sanierungsaufwand nicht stemmen. Alleine in Berlin sind 78 Brückenbauwerke mit hoher Bedeutung für den städtischen Verkehr dringend sanierungsbedürftig. Wenn schon eine Straßenmaut in Deutschland, dann muss diese dringend zur Instandhaltung der Brücken eingesetzt werden, und die Kommunen müssen entsprechend ihres hohen Aufwandes den Hauptteil davon bekommen.

6 000 Brücken sind völlig marode Insgesamt gibt es in Deutschland rund 120 000 Brücken in Bundes-, Landes-, Kommunal- oder Privathand. Knapp 40 000 davon dienen dem Fernverkehr auf Straßen. Etwa 6 000 davon sind in etwa in dem Zustand wie die Schiersteiner Brücke. Be-

Ein besonderes Kapitel sind die Eisenbahnbrücken. Jede dritte ist über 100 Jahre alt. Allein in Nordrhein-Westfalen sind eigentlich 202 abrissreif. Aus Geldmangel wird mit Streckensperrungen und Langsamfahrstrecken reagiert. Aber die Verkehrssicherheit


Report

sei, wie bei den Straßenbrücken, mit einer akribisch durchzuführenden Brückenkontrolle gewährleistet, versichert die Bahn. Die meisten großen Brücken in Deutschland sind Spannbetonbrücken aus den 60er und 70er Jahren. Sie sind nur bedingt für den Schwerlastverkehr ausgelegt. Man sagt, dass ein großer LKW eine genau so hohe Brückenbelastung mit sich bringt wie 200 000 PKW.

Bleibt nur der Umstieg aufs Rad? Ähnlich wie am Schiersteiner Kreuz mit pro Tag 80 000 bis 90 000 Fahrzeugen, darunter vielen LKW, die sich jetzt nach der Sperrung der Schiersteiner Brücke andere Wege suchen müssen, ist die Situation an weiteren Stellen in Deutschland. Die rheinlandpfälzischen Grünen wussten nichts Besseres zu tun, als den Pendlern den Umstieg auf Fahrräder zu empfehlen. Die A1 ist bei Köln seit 2012 für den Schwerlastverkehr total gesperrt. Für PKW gilt die Höchstgeschwindigkeit 60 km/h. Allein auf der Sauerlandlinie von Hessen ins Ruhgebiet sind mehrere Dutzend Brücken sanierungs-

bedürftig. Die neue Schiersteiner Autobahnbrücke soll mit 1,2 Kilometern Länge 225 Millionen Euro kosten. Mindestens 100 weitere Ersatzneubauten stehen an. Das sind gut 25 Milliarden Euro nur für die Autobahnbrücken. Eine Milliarde ist dagegen wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

die Sandbergbrücke in Lübeck. Nach ADACBerechnungen werden in Deutschland jährlich 53 Milliarden Euro an spezifischen Autofahrerabgaben erhoben. Das müsse ohne Maut für den Bau und die Instandhaltung der Verkehrswege reichen.

Der Standort ist gefährdet Die Kritik an Bundesverkehrsminister Dobrindt nimmt zu. Als kürzlich eine weitere Autobahnbrücke in Duisburg für den Schwerlastverkehr gesperrt wurde, hat der Auto Club Europa (ACE) ihn scharf angegriffen. Der Bundesverkehrsminister kümmere sich um eine zweifelhafte Maut mit geringem Nutzen, statt unsere Straßen und Brücken sicher instand zu halten. Der ADAC hat sich ebenfalls mit einem Brücken-Test eingeschaltet. Ergebnis war, dass die häufigsten Mängel beschädigte oder undichte Fugen sowie Rost an tragenden Teilen der Konstruktion waren. Ganz negativ bewertet wurde beispielsweise die Boxbergknotenbrücke über der B3 in Heidelberg, die Bimbachbrücke in Erlangen, die Brücken in der Wismarschen Straße in Schwerin und die Hüxtertorbrücke wie auch

Wenn Brücken gesperrt werden, müssen sich Autofahrer auf weite Umwege und Staus einstellen.

Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Hessische Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel hat den von der Politik verursachten Sanierungsstau bei Brücken und Straßen kürzlich kritisiert. Die derzeitige schwarz-grüne hessische Landesregierung erwähnte er als besonderes Beispiel. Auch die Vereinigung der Deutschen Technikjournalisten und -publizisten (TELI) kritisiert, dass der Technologie- und Innovationsstandort Deutschland wegen der Versäumnisse bei der Brückensanierung gefährdet ist. Im Rhein-Main-Gebiet wird die TELI dazu eine Experten-Tagung durchführen.

Weitere Informationen: www.adac.de www.bmvi.de

Foto: Can Stock Photo Inc. / alexandragl

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Report

tofreie Zonen. Doch immer weniger Menschen nutzten die Shopping-Meilen, immer mehr Geschäfte und Wohnungen standen leer. Kein Wunder also, dass die politisch Verantwortlichen in Itzehoe letztlich einen radikal anderen Weg einschlugen. Statt Autos raus aus der Stadt heißt es nun: Autos (wieder) rein in die City.

Noch mehr freie Fahrt

Auch die Obere Feldschmiede wurde inzwischen wieder für den Pkw-Verkehr freigegeben.

Foto: Wittmaack

Fußgängerzone Ade! Mit dem Rückbau von verkehrsberuhigten Zonen geht die niedersächsische Stadt Itzehoe experimentelle Wege Autor Carsten Wittmaack

Itzehoes Fußgängerzonen schrumpfen weiter. Vor zwei Jahren (DEMO Nr. 7/8-2014, Seite 40) berichteten wir von den Plänen der schleswig-holsteinischen Kreisstadt, Teile ihrer City wieder für den Autoverkehr freizugeben. Jetzt sollen sogar noch weitere Bereiche für den Pkw-Verkehr geöffnet werden. Im September 2014 hieß es in einer Sitzungsvorlage der Stadtvertreter: „Allgemeiner Tenor ist, dass es durch die Freigabe für den Autoverkehr und die Einrichtung von Kurzzeitparkplätzen zu einer Belebung der Innenstadt gekommen ist und sich die Umsätze erhöht haben“. Und Stadtmanagerin Lydia Keune-Sekula lobte: „Nach gut einem Jahr kann man sagen, dass Geschäfte, die – umgangs-

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sprachlich ausgedrückt – bereits unter dem Sauerstoffzelt lagen, mittlerweile wieder steigende Umsatzzahlen verbuchen.“

180-Grad-Wende Schon im Juni 2011 wurde der Bereich zwischen Krämerstraße und Breitenburger Straße für den Verkehr freigegeben. Der Entschluss, die angrenzende Fußgängerzone ebenfalls zu öffnen, fiel im April 2013. Vier Monate später wurden die Beschilderungen entsprechend geändert. Damit vollzogen Itzehoes Kommunalpolitiker so etwas wie eine 180-Grad-Wende. Denn seit den 1970er Jahren ist die Fußgängerzone in der 31 000-Einwohner-Stadt kontinuierlich gewachsen. Über die Jahre hinweg verwandelten sich weite Teile der Innenstadt in au-

Und weil das Projekt ein überwiegend positives Echo erzeugte, geht es mit dem Fußgängerzogen-Rückbau munter weiter. Freie Fahrt heißt es seit Oktober 2014 auch in der oberen Feldschmiede zwischen Dithmarscher Platz und Gartenstraße. Bürgermeister Dr. Andreas Koeppen sprach von einer „historischen Stunde“, als er zusammen mit Anliegern das Band durchtrennte. Die neuerliche Verkehrsbelebung sei „eine weitere Maßnahme aus dem umfangreichen Paket zur Stärkung der Innenstadt“. Die Freigabe des Areals für den Fahrzeugverkehr hatten sich vor allem die ansässigen Geschäftsleute gewünscht. Doch auch Politik und Verwaltung standen dem Projekt nach den guten Erfahrungen der Vormonate aufgeschlossen gegenüber. Es scheine ein dringender Kundenwunsch zu sein, beim Einkaufen während des Ein- und Ausladens möglichst direkt vor den Geschäften parken zu können, sagte Koeppen. Auch für die obere Feldschmiede gilt nun eine einjährige Probezeit. Quasi präventiv appellierte Itzehoes Bürgermeister an die Autofahrer: „Wer meint, rasen zu müssen, oder wer sich in den Weg stellt und alle aufhält, macht etwas falsch.“ Ein halbes Jahr später ist es Alltag. Die wenigen Fußgänger, die den Bereich nutzen, weichen brav zur Seite, wenn ein Pkw vorbei möchte. Viele Autos verirren sich sowieso nicht in die obere Feldschmiede. Und für Radfahrer soll noch ein sogenannter „Masterplan“ erarbeitet werden. Ob die Abkehr von der autofreien Innenstadt am Ende wirklich ein Erfolg sein wird, ist nach der ersten Testphase noch keinesfalls sicher. Das meint auch Stadtmanagerin Keune-Sekula: „Es ist ein langer Prozess. Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre lassen sich nicht in ein oder zwei Jahren rückgängig machen.“ Aber Itzehoe sei jetzt „auf einem guten Weg“.


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Bildung

Lernen vor Ort – Bildungslandschaften kommunal gestalten Kooperation von Kommunen, Land und Zivilgesellschaft Autoren Dr. Anja Langness, Heinz Frenz, Programm LebensWerte Kommune, Bertelsmann Stiftung

Viele Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland haben längst erkannt, dass Bildung ein zentrales strategisches Handlungsfeld kommunaler Entwicklung ist. Die Zukunftsfähigkeit einer Region steht und fällt mit den Bildungschancen der dort lebenden Menschen. Im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge und ihrer verfassungsgemäßen Allzuständigkeit für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft übernehmen Kommunen schon seit langem wichtige Aufgaben in der

Die Erkenntnis wächst, dass die Gestaltung des Bildungswesens nur vor Ort möglich ist. Umso besser, je intensiver die lokalen Akteure daran beteiligt sind und miteinander kooperieren. Immer mehr Kommunen entwickeln sich dabei von „Bildungsverwaltern“ zu „Bildungsgestaltern“. Sie übernehmen eine koordinierende und moderierende Rolle und bauen damit kommunale Bildungslandschaften auf. Kooperationen bieten Bürgerinnen und Bürgern in einer Kommune bessere und vielfältigere Bildungsmöglichkeiten – von der frühkindlichen Bildung bis zum Lernen im ho-

neu anpasst. Von kommunalen Bildungslandschaften profitieren alle Seiten: Bevölkerung, Kommunen und Bildungsträger. Die Bertelsmann Stiftung unterstützt seit langem die Entwicklung kommunaler Bildungslandschaften – zuletzt in der Initiative „Lernen vor Ort“, gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und über 180 deutsche Stiftungen. Fünf Jahre hat die Stiftung die Städteregion Aachen, die Stadt Freiburg und die Stadt Leipzig dabei unterstützt, die Bildungsangebote vor Ort gezielt auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger abzustimmen. Ein neues Handbuch gibt einen Überblick über die zentralen Steuerungs- und Koordinationsaufgaben bei der Entwicklung von Bildungslandschaften. Das Handbuch basiert auf den Erfahrungen der drei „Lernen vor Ort“-Patenkommunen der Stiftung sowie den sieben „Regionalen Bildungsnetzwerken“ in Ostwestfalen-Lippe. Es beschreibt, wie eine Kommune schrittweise ihre eigene Bildungslandschaft gestalten kann, und skizziert die Herausforderungen, mit denen Kommunen im Bereich der Bildung heute konfrontiert sind.

Lernen bildet, dabei darf man an Geschwindigkeit gerne zulegen. Tempo 30 ist allerdings auf den Straßen der Kommunen eine wichtige Begrenzung. Foto: Achenbach/Bertelsmann

Bildung: in der Förderung von Kindertageseinrichtungen und außerschulischer Jugendarbeit, als Schulträger von allgemeinen und beruflichen Schulen, in der Weiterbildung und der Förderung von bildungsnahen Einrichtungen wie Bibliotheken, Musikschulen, beruflicher Beratung, schulpsychologischen Diensten, sowie letztlich auch in Museen und weiteren Kultureinrichtungen.

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hen Alter. Eine institutionelle Kooperation der unterschiedlichen Zuständigkeiten, Akteure und Professionalitäten fördert die örtliche Bildungsentwicklung. So entsteht ein nachhaltiges Bildungsnetzwerk (Bildungslandschaft), das sich den unterschiedlichen Bedingungen und Herausforderungen in den Kommunen immer wieder

Ansprechpartner Dr. Anja Langness, anja.langness@bertelsmannstiftung.de, Tel.: 05241-8181169 Heinz Frenz, heinz.frenz@bertelsmann-stiftung.de Weitere Informationen Minderop, Dorothea. Kommunen auf dem Weg zur Bildungslandschaft. Ein Handbuch für kommunale Akteure. Verlag Bertelsmann Stiftung 2014. Praxisbeispiele und Handlungsempfehlungen für kommunales Bildungsmanagement im „Wegweiser Kommune“: http://www.wegweiser-kommune.de/ projekte/kommunal/bildung


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Widerstand gegen Spione im Forst

Gerade in Momenten trauter Zweisamkeit wollen sich die meisten Menschen ungern fotografieren lassen.

Foto: Can Stock Photo Inc. / Lyoshanazarenko

In deutschen Wäldern haben Waidmänner tausende Kameras installiert. Oft geraten Spaziergänger vor ihr Objektiv, ohne es zu bemerken. Saarland und Rheinland-Pfalz gehen nun dagegen vor Autor Karl-Otto Sattler

Natürlich sind auf den Fotos oft kräftige Schwarzkittel, putzige Rehe, schlaue Füchse und mümmelnde Hasen zu sehen. Wildkameras lichten indes auch Jogger, Wanderer, Jugendliche beim Wild-West-Spiel im Unterholz, Pilzsammler, ja sogar Liebespaare beim Knutschen oder beim Sexvergnügen im weichen Moos ab. Eigentlich müssen solche Aufnahmen sofort gelöscht werden, und das geschehe auch, beteuern Jagdverbände. Stefan Brink vom Landesamt für Datenschutz in Mainz jedoch weiß, dass dies keineswegs immer der Fall ist: „An Jägerstammtischen kreisen schon mal solche Bilder, sogar im Internet tauchten bereits Aufnahmen auf“.

Datenschützer protestieren In deutschen Forsten haben Waidmänner massenhaft Kameras installiert, um das Wild besser beobachten und effizienter jagen zu können. Aus Sicht des rheinland-pfälzischen Datenschutzbeauftragten Edgar Wagner ist freilich das Interesse der Bürger „an einem unbeobachteten Aufenthalt“ in der Natur wichtiger. Seine saarländische Kollegin Judith Thieser betont das Recht, sich auch im Wald „frei und ungezwungen“ aufhalten zu können. Wagners Amt, nach dessen Berechnungen zwischen Pfalz und Eifel mittlerweile 30 000 Wildkameras hängen, bekämpft diese elektronischen Spione nun besonders konsequent: Landesweit ist diese Video-

überwachung im Prinzip verboten und nur noch in Ausnahmefällen zulässig – etwa bei der Zählung seltener Tiere auf Wildbrücken. Als erstes Bundesland hat Rheinland-Pfalz ein Bußgeld festgesetzt: Entfernt ein Waidmann trotz Aufforderung eine Wildkamera nicht, so muss er 5 000 Euro berappen. Was Brink verblüfft: „Bislang ist noch kein Widerspruch gegen unsere Marschroute eingegangen.“ Im benachbarten Saarland hingegen klagen Jäger jetzt vorm Verwaltungsgericht gegen Einschränkungen beim Einsatz der Waldspione. Die Justiz werde jedoch „am Ende den Datenschutz stärken“, ist die Datenschutzbeauftragte Thieser überzeugt. Die Regelungen an der Saar, wo nach Schätzungen bis zu 1 000 Kameras im Forst montiert sind, verlangen eine „hinreichende Distanz“ zwischen Waldwegen und Kameras. An Kirrungen, den Wildfütterungsstellen, dürfen Kameras nur in Hüfthöhe mit einer Neigung zum Boden installiert werden, um Aufnahmen auf den Nahbereich zu beschränken. Über Kameras ist Thieser zu informieren, auf Standorte ist zudem in Gemeindeblättern und im Wald hinzuweisen. Freilich wurden bislang erst 25 Kameras gemeldet, obwohl bei einer Unterlassung mittlerweile auch an der Saar ein Bußgeld droht. Und abgebaut worden ist wohl noch kein solcher Spion. In Rheinland-Pfalz sind

dagegen mehrere hundert Wildkameras verschwunden: Bei 30 000 Geräten ist das nicht viel, Brink spricht von „Sisyphusarbeit“, aber immerhin wurde eine Trendwende eingeleitet – bundesweit ein Signal.

DStGB will keine Verbotsdebatte In beiden Ländern können Bürger die Datenschutzbehörden zur Entfernung von elektronischen Spionen aus dem Wald auffordern, man muss also nicht selbst vor Gericht ziehen. Der Saarforst, ein Landesbetrieb, duldet auf seinen Flächen keine Wildkameras. Im Nachbarland werden in Jagdpachtverträgen des Landes solche Überwachungsgeräte verboten. Brink ruft die Kommunen auf, diesen Vorbildern zu folgen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weiß indes von keinen Beispielen, wo Kommunen in Pachtverträgen Wildkameras untersagen. Deren Anbringung sei ohnehin nur in Ausnahmefällen und unter strengen Voraussetzungen erlaubt, so Ute Kreienmeier, zuständig für Kommunalwald. Der Verband lehne eine „neue Verbotsdebatte“ ab und setze auf das „Verantwortungsbewusstsein“ der Jäger. In Bad Münstereifel hat der Forstausschuss des Gemeinderats entschieden, dass im Stadtwald installierte Kameras abgehängt werden müssen: In der Debatte hieß es, früher seien Waidmänner „auch ohne dieses Mittel ausgekommen“.

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Bücher

Keine Angst vor dem Wandel In ihrem Buch beschreibt Eva Douma die durch das Klima und die Überalterung der Gesellschaft bedingten Umbrüche als Chance. Ihr Credo: Weniger ist mehr Zwei Faktoren verändern unsere Gesellschaft: Der Klimawandel und der demografische Wandel. Eva Douma, Personal- und Organisationsberaterin, prophezeit: Das Wirtschaftswachstum wird an seine Grenzen stoßen, die Zahl der Arbeitnehmer sinken und die der Rentner wachsen. Das sind keine schlechten Nachrichten, lautet ihre Kernthese. Im Gegenteil: Wenn die Deutschen sich rechtzeitig umstellen, berge der Wandel sogar eine große Chance. Eva Douma plädiert für Konsumverzicht. Die meisten Menschen hätten ohnehin mehr Kleidung und Bücher, als sie benötigten. Rentner seien heute schon vorbildlich: Sie gäben nicht nur weniger Geld aus, sondern investierten es auch eher in Dienstleistungen – etwa ein Essen im Restaurant – als für die 30ste schicke Hose. Da-

mit schonten sie die Ressourcen der Erde – und seien deshalb nicht weniger glücklich als andere. Die Politik müsse deshalb Anreize setzen, um den Konsum in klimaverträgliche Bahnen zu lenken, fordert Douma. Und sie müsse Bedingungen schaffen, damit die Menschen auch mit weniger Konsum und sinkender Wirtschaftskraft ein gutes Leben führen könnten. So unterstützt Douma die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle. Es nehme den Menschen die Existenzängste und fördere ehrenamtliche Arbeit. Was das alles mit den Kommunen zu tun hat? Einiges! So wird der demografische Wandel auch die Stadtbilder prägen. Nötig sei heute schon eine vorausschauende Stadtplanung, die einerseits den Bedürfnissen einer alternden Gesellschaft

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Oberbürgermeisterkandidatin/en für Bitterfeld-Wolfen! Bitterfeld-Wolfen ist die fünftgrößte Stadt SachsenAnhalts und hat eine lange Tradition als Standort der Chemieindustrie, die auch heute noch zahlreich angesiedelt ist. Die bisherige Amtsinhaberin wird zur nächsten Wahl, die im Herbst 2015 stattfinden wird, nicht wieder antreten. Aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Situation in der Stadt wäre kommunalpolitische Erfahrung wünschenswert. Interessenten wenden sich bitte an den stellvertretenden Ortsvereinsvorsitzenden Chris Henze, henze.chris@gmx.de

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gerecht wird, andererseits dem Wunsch junger Menschen nach mehr Flexibilität Rechnung trägt. All diese Forderungen und Ideen sind nicht neu. Dennoch bietet das Buch einen interessanten, neuen Blickwinkel auf bekannte Probleme. CFH

Eva Douma: Juhu, wir werden alt und bauen ab! Arbeiten und Leben in Zeiten des Klimawandels. Cividale Verlag, 2015, 294 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-945219-08-9

Raus aus dem sozialen Abseits Daten und Fakten der Hartz-IV-Gesetze werden in diesem Buch analysiert und nicht für gut befunden Kurt Bohr, der ehemalige Chef der Saarländischen Staatskanzlei von 1991 bis 1996, analysiert mit seinen Co-Autoren den Arbeitsmarkt in Deutschland und die Auswirkungen von Hartz IV auf die Betroffenen und die Gesellschaft. Er fordert einen dritten Arbeitsmarkt, der Menschen, die ohne Arbeit sind, nicht einfach nur wegverwaltet. Fachkräfte sollen die Betroffenen betreuen, ermutigen und individuell qualifizieren. Denn das Schlimme ist: In diese Situation kann jeder kommen. Und wem es passiert, der hat, so wie es jetzt in den Arbeitsagenturen läuft, nur wenig Chancen diesem Dilemma je wieder zu entrinnen. Oft rutschen Menschen ohne gute Ausbildung ab in die Arbeitslosigkeit. Wenn sie dann vom

Staat Geld bekommen für sinnvolle Arbeit, macht das eine Rückkehr in den normalen Arbeitsmarkt zumindest wahrscheinlich. Der wichtigste Punkt für eine Änderung der Situation, so Bohr, seien jedoch die Kinder. Sie haben, besonders in der zweiten Generation, keine

Chance aus dem Kreislauf des Entsetzens auszubrechen. BB Kurt Bohr: Hartz IV ist kein Schicksal Dietz-Verlag, 2015, 144 Seiten, 12,90 Euro, ISBN 978-3-8012-0465-5


Menschen/Termine

Wahlen

Lutz Trümper Foto: Landeshauptstadt Magdeburg

Einen beeindruckenden Erfolg konnte Lutz Trümper (SPD) bei der Oberbürgermeisterwahl in Magdeburg verbuchen. Der Amtsinhaber setzte sich gleich im ersten Wahlgang am 15. März gegen sieben Gegenkandidaten durch und erhielt 69,2 Prozent der Wählerstimmen. Wiedergewählt wurde auch Jens Bühligen (CDU) als Oberbürgermeister von Merseburg in Sachsen-Anhalt. Für ihn stimmten 68,8 Prozent der Wähler. Gegenkandidat Daniel Fleischhauer, der als Einzelbewerber von der SPD unterstützt wurde, erhielt 31,2 Prozent der Stimmen. Andreas Michelmann bleibt Oberbürgermeister der Stadt Aschersleben (Sachsen-Anhalt). Der Kandidat der Aschersleber Wählerinitiative widab, der das Amt seit 1994 innehat, erhielt in der Wahl am 15. März 76 Prozent der Stimmen. Der einzige Gegenkandidat, Ralf Klar von der CDU, kam auf 24 Prozent. Die Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt in Köthen am 8. März hat der SPD-Kandidat Bernd Hauschild gewonnen. Mit 56,1 Prozent setzte er sich gegen Marina Hinze (Die Linke) durch.

Die baden-württembergische Stadt Waghäusel wird auch künftig von Walter Heiler (SPD) regiert. Aus der Oberbürgermeisterwahl am 15. März ging der Amtsinhaber mit 61,9 Prozent als Sieger hervor. Das zweitbeste Ergebnis erhielt CDU-Kandidat Jimmy Jüttner mit 36,5 Prozent. Erfolgreich für die SPD war am gleichen Tag auch Roman Götzmann bei der Oberbürgermeisterwahl in Waldkirch (Baden-Württemberg). Für ihn stimmten 72,4 Prozent. Damit folgt er auf den Sozialdemokraten Richard Leibinger, der aus Altersgründen nicht erneut angetreten war.

Marian Schreier Foto: Pressefoto/Yan Revazov

Der erst 25-jährige Marian Schreier wird Deutschlands jüngster hauptamtlicher Bürgermeister. Mit 70,6 Prozent hat der Sozialdemokrat am 2. März die Bürgermeisterwahl in der Gemeinde Tengen in BadenWürttemberg gewonnen. Nur wenig älter ist der Sieger

Philipp Wesemann

der Bürgermeisterwahl in der Kreisstadt Forst. Der ebenfalls 25-jährige SPD-Kandidat Philipp Wesemann kam in der Stichwahl am 15. März auf 60,6 Prozent und wird somit jüngster hauptamtlicher Bürgermeister Brandenburgs. Für bundesweites Aufsehen hat die Oberbürgermeisterwahl in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) gesorgt. Denn gewählt wurde ein Einzelbewerber, der bis dahin vor allem als Kabarettist bekannt war: Silvio Witt. In der Stichwahl am 15. März setzte er sich mit 69,7 Prozent gegen Torsten Koplin (Die Linke) durch. Entschieden ist auch, wer in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) die Nachfolge des langjährigen SPD-Oberbürgermeisters Eberhard Brecht antritt. Die Wahl am 22. März hat CDU-Kandidat Frank Ruch gewonnen. Für ihn stimmten 56,3 Prozent der Quedlinburger. Bernd Skudelny (SPD) erzielte mit 29,9 Prozent nur das zweitbeste Ergebnis. Die Stadt Viernheim in Hessen wird weiterhin von dem Sozialdemokraten Matthias Baaß regiert. Bereits im ersten Wahl-

Termine „Die smarte Stadt – Den digitalen Wandel intelligent gestalten“ 24.04.2015, Düsseldorf www.fes.de/vera/vera_kommunal.php

gang am 22. März sicherte er sich mit 55,1 Prozent eine weitere Amtszeit als Bürgermeister – seine bereits vierte. Die Landratswahl im Odenwaldkreis (Hessen) hat der SPD-Kandidat Frank Matiaske gewonnen. Mit 58,9 Prozent verwies er den bisherigen Amtsinhaber Dietrich Kübler (ÜWG) auf Platz zwei. Der Sozialdemokrat Winfried Becker hat die vorgezogene Landratswahl im Kreis Schwalm-Eder (Hessen) mit 60,6 Prozent der Stimmen für sich entschieden. Mark Weinmeister (CDU) kam auf 39,4 Prozent. Der bisherige Landrat Frank-Martin Neupärtl (SPD) war im Dezember verstorben. Offen ist noch die Frage, wer der neue Landrat im hessischen Kreis Bergstraße wird. Amtsinhaber Matthias Wilkes (CDU) ist nicht wieder angetreten. Bei der Wahl am 22. März entfielen die meisten Stimmen auf den CDU-Kandidaten Christian Engelhardt (47,3 Prozent) und auf den SPD-Politiker Gerald Kummer (39,6 Prozent). Zwischen den beiden findet am 19. April eine Stichwahl statt.

Spaces 2015 – der Innovationskongress zur Zukunft der Arbeit 06.05.2015, Berlin www.3rd-places.net

„25 Jahre erste freie Kommunalwahlen in der DDR“ 25.04.2015, Berlin www.bundes-sgk.de

Konferenz zu „Infrastrukturfinanzierung und Digitale Agenda in den Kommunen“ 03.07.2015 – 04.07.2015, Potsdam www.bundes-sgk.de

2. Komm. IT Sicherheitskongress 27.04.2015 – 28.04.2015, Berlin www.landkreistag.de/termine-25.html

10. DEMO-Kommunalkongress 29.10.2015 – 30.10.2015, Berlin www.demo-online.de

Foto: Pressefoto

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Das Letzte

Sarg-Discount Das Geschäft mit dem Tod boomt. BilligBestatter bringen die Branche in Verruf Das letzte Hemd hat keine Taschen – der Tote braucht im Grab kein Geld mehr. Aber die Angehörigen, deren Hemden ja durchaus noch über Taschen verfügen, haben oft keine Lust viel Geld für eine Beerdigung auszugeben. Wie man hört, ist die Zahlungsmoral auch nicht allzu gut. Kurz nach dem Tod möchten die Nachfahren noch gerne mit großem Pomp ihren Toten bestatten. Wenn es dann später ans Zahlen geht, sieht die Sache schon anders aus. Ca. 30 Prozent der „Klienten“ zahlen nicht oder nur teilweise. Das macht den Markt natürlich anfällig für Billig-Angebote. In Berlin zum Beispiel tobt ein Preiskampf der besonderen Art. Der Obermeister der Innung in Berlin/Brandenburg beklagt, es

Foto: Can Stock Photo Inc. / Chuhail

gebe zuviele Bestatter und zu wenig Tote. Besonders im unteren Preissegment beim sogenannten Sarg-Discount geht es beim Kampf um Leichen und Preise zur Sache. Besonders schlimm steht es um die Branche, seit 2004 das Sterbegeld wegfiel. Konnten die Hinterbliebenen vorher noch eine einfache Beerdigung davon bezahlen, müssen sie nun oft ans

DEMO 4/2015 erscheint am 13. Mai 2015 mit folgenden Themen: Sport ist gut für die Gesundheit. Kommunen müssen deshalb Sportstätten vorhalten und Sportvereine entsprechend fördern. Im Report geht es in dieser Ausgabe um die Digitale Kommune. Foto: Can Stock Photo Inc. / EvrenKalinbacak

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Erbe oder ans Ersparte. Da fällt es dann leicht, eines der absoluten Billigangebote ab 400 Euro wahrzunehmen, auf Kaffee und Kuchen und alles Überlieferte zu verzichten und den armen Verstorbenen ohne Hemd mit Taschen schnell und unproblematisch unter die Erde zu bringen. Was bei den Billigheimern der Branche so alles passiert, der Zufall bringt es an den Tag: Autoschieber klauten den Lieferwagen eines Bestatters – darin ein Dutzend Särge samt Inhalt. Die europäische Richtlinie schreibt vor, nur zwei Särge pro Fahrzeug zu transportieren – aus Pietät. Bei einem Unfall fiel ein Wagen auf, der acht nackte Tote in Sperrholzkisten in ein Krematorium in Tschechien überführen sollte. Ein Berliner Fuhrunternehmen stapelte 17 Leichen in seiner Garage – ungekühlt. Das Verfahren läuft. Jeder Kulturkreis hat seine eigenen Rituale, wenn die Menschen sich von ihren Verstorbenen verabschieden. Wenn das so weitergeht, werden neue Rituale ein merkwürdiges Licht auf den Umgang unseres Kulturkreises mit den Toten werfen. Barbara Behrends

IMPRESSUM Demokratische Gemeinde, Fachorgan der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (Bundes-SGK) Stresemannstraße 30, 10963 Berlin Postfach 61 03 22, 10925 Berlin Telefon: (030) 255 94-200 Telefax: (030) 255 94-290 ISDN: (030) 255 94-615 E-Mail: redaktion@demo-online.de Internet: www.demo-online.de Herausgeber: Norbert Bude (OB Mönchengladbach, Vorsitzender der Bundes-SGK) Redaktion: Barbara Behrends (Chefredakteurin), Carl-Friedrich Höck (Redakteur) Telefon: (030) 255 94-230 Layout/Sekretariat: Heidemarie Lehmann Telefon: (030) 255 94-200 Projektleitung: Henning Witzel Telefon: (030) 255 94-175 Verlag: Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin, Postfach 61 03 22, 10925 Berlin Telefon: (030) 255 94-100 Telefax: (030) 255 94-192 Verlagsleitung: Guido Schmitz Anzeigen: Nicole Stelzner (Anzeigenleiterin), Henning Witzel (Verkauf), Gültige Anzeigen-Preisliste: Nr. 30 vom 1. Januar 2014, Anzeigenschluss ist der 15. des Vormonats. Vertrieb: Stefanie Martin Telefon: (030) 255 94-130 Abonnementverwaltung: IPS Datenservice GmbH, Andreas Gruner, Carl-Zeiss-Str. 5, 53340 Meckenheim Telefon: (02225) 70 85-366 Telefax: (02225) 70 85-399 E-Mail: abo-vorwaerts@ips-d.de Einzelverkaufspreis: 6 € Jahres-Abonnement: 60 € (inkl. Versand und 7 % MwSt.); für Schüler und Studenten (Nachweis erforderlich) 40 € Jahres-Abonnement (Ausland): 60 € zzgl. Versandkosten Die Abonnements verlängern sich jeweils um ein Jahr, sofern nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Bankverbindung: SEB AG, BLZ: 100 101 11, Konto-Nr.: 1 748 136 900 Bei Nichterscheinen der Zeitung oder Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages und im Falle höherer Gewalt besteht kein Anspruch auf Leistung, Schadenersatz oder auf Minderung des Bezugspreises. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Quellenangabe. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Litho: metagate Berlin, Litfaß-Platz 1, 10178 Berlin, Telefon: (030) 283 06 - 0 Druck: Braunschweig-Druck GmbH, Ernst-Böhme-Straße 20, 38112 Braunschweig Telefon: (0531) 310 85-0 Telefax: (0531) 310 85-28 Zugleich Versandanschrift für Beilagen und Beihefter. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Titelbild: Bernd Schwabe in Hannover/ wikimedia.org (CC-BY-SA-3.0)


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Top-Referenten u. a.

Dieter Schweer, 0LWJOLHG GHU +DXSW geschäftsfßhrung, %XQGHVYHUEDQG GHU Deutschen Industrie (BDI)

Volker Hauff, Bundesminister D ' HKHP 9RUVLW ]HQGHU GHV 5DWHV fĂźr Nachhaltige Entwicklung

Dr. Peter Tschentscher, Senator und Präses GHU )LQDQ]EHK|UGH GHU Freien und Hansestadt +DPEXUJ

Gabriele Klug, Stadtkämmerin, 6WDGW .|OQ

Siim Sikkut, National ICT Policy $GYLVHU LQ *RYHUQ PHQW 2IĂ€ FH RI Estonia

Heike Raab, Staatssekretärin, Ministerium des Innern, fßr Sport und Infrastruktur

5. – 6. Mai 2015, dbb forum, Berlin Anmeldung und weitere Informationen unter www.effizienterstaat.eu und www.haushalt-modern.de

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Weitere Aussteller und Beteiligungen

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WER KOMMT SCHNELL IN DIE GÄNGE

GIBT VOLLGAS UNTER DER ERDE?

Die Thüga Energieeffizienz GmbH entwickelt Lösungen zum intelligenten Umgang mit Energie für die Thüga-Gruppe.

Mini-Blockheizkraftwerke im Keller.

Die kompakten Geräte arbeiten auch im Dunkeln hoch effizient: Sie passen in fast jeden Heizungsraum und werden idealerweise mit Erdgas betrieben, mit dem sie gleichzeitig Wärme und Strom erzeugen. So lassen sich bis zu 35 % der Energiekosten und fast 50 % CO2 einsparen – im Gewerbe genauso wie im Eigenheim.

Nur eine der vielen Ideen, mit denen die in der Thüga-Gruppe organisierten Stadtwerke wie die Städtischen Werke aus Kassel die Energiewende vorantreiben. Für ein entscheidendes Plus für Mensch, Natur und Umwelt. Für das große Plus für alle.

Erfahren Sie mehr über www.energie-und-wende.de


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