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Auf einen Blick Ein knapper Rückblick auf Opernpremieren und Festivals der letzten zwei Monate

Das Gesicht im Spiegel in Krefeld

Weimarer Fidelio Vor 200 Jahren wurde in Wien Beethovens Fidelio uraufgeführt. Diese Erstfassung kam nun in Weimar auf die Bühne. Am meisten Aufsehen erregte die Inszenierung von Thilo Reinhardt im Schlussbild durch die Freigabe des Bühnenrandes für Demonstranten von der Straße, wodurch Beethovens Werk mit der

S T U T TE

Kühle Ekstasen in Hannover

F OTO : MAT T H I AS

Gewicht beigemessen wird, so stimmen die Proportionen des Abends auch sonst nicht immer. Baesler und Thor füllen die Bühne zwar mit technischem Gerät und lassen glatzköpfige Choristen wie Wesen von anderen Sternen umherschwirren, erzählen aber insgesamt bilderbuchartig, ohne einen kühlenden Anflug von Abstraktion. Widmanns phantasievolle Klangpartitur erobert sich die Bühne allerdings mit Grandeur, und Kenneth Duryea ist ihr ein überlegener Anwalt. Ein hochbeeindruckender Abend auch dank des Ensembles. JM

nicht Souveränität aus. Überwiegend junge Mitwirkende auf der nächtlich-königlichen Gegenposition (R. Duncan) wie im übrigen Ensemble. BK

und dem Sinfonieorchester unter E. Stier zu einer umjubelten Uraufführung brachte. In bester künstlerisch effektiver Einheit der beiden so unterschiedlichen Ensembles, sicherem Dirigat und hervorragenden Jazzbreaks ging das Werk mit Bearbeitungen von neun Beatles-Titeln in mitreißender Interpretation über die Bühne. Musikantische Begeisterung „oben“ und frenetischer Jubel „unten“. Ein höchst gelungener Abend. FS

Jörg Widmann hat für seine vor anderthalb Jahren in München uraufgeführte Oper Das Gesicht im Spiegel ein brisantes Thema gewählt: Das Klonen von Menschen! In seinem Biokonzern hat Ingenieur Milton den Klon Justine erschaffen. Dieser weckt Begehrlichkeiten in Bruno. Für eine per Video belauschte Liebesnacht rächt sich Patrizia an ihrer Nebenbuhlerin, indem sie diese in den Spiegel zu blicken zwingt. Die Erkenntnis, nur eine Kopie zu sein, lässt Justine zusammenbrechen. Trostlos bleibt sie in dem Müll zurück, den Ausstatter Harald B. Thor beim Flugzeugabsturz (mit Tod von Bruno) vom Bühnenhimmel regnen lässt. So wie dieser eigentlich marginalen Finalepisode von Stück und Inszenierung (A. Baesler) optisch allzu viel

F OTO : N AT I O N A LT H E AT E R W E I M A R

In Hannover gab es den ersten Tristan seit etwa vierzig Jahren. Enttäuscht wurden nur diejenigen, die keltisch mystische Nebel erwarteten, denn J. Schlömer (Regie und Bühne) verweigert dem Werk den nordischen Mythos, lässt es im Hier und Jetzt ankommen. Unterstützt wird sein Konzept von imaginationsfähigen Darstellern, selbst eine kleinere Rolle wie der Melot (O. Zwarg) wird zum wichtigen Teil des Ganzen. V. Walders mysteriöse Brangäne fasziniert, ebenso wie S. Ishinos intensiver Kurwenal B. Schneider-Hofstetters bronzen-timbrierte Isolde. Ein wuchtiger, seriöser Bass mit enormem Potential ist X. Li als König Marke. Die Krone des Abends verdient aber der Tenor L. Gentile, Intensität und Durchdringung trifft hier auf stimmliche Bewältigung der mörderischen Partie – der dritte Akt macht richtig Gänsehaut! Shao-Chia Lü gibt mit dem Staatsorchester einen soliden, diesseitigen Tristan. MF

Frage nach der Freiheit unter den Bedingungen der kapitalistisch-demokratischen Zweidrittelgesellschaft konfrontiert werden sollte. Dieses Experiment ist gescheitert, es gab keine Konfrontation, sondern nur ein peinliches Nebeneinander. Bis zu diesem Moment aber war es ein beeindruckender Opernabend. Harter Realismus – ein in Ölfarbe gestrichener Folter- und Verhörraum für das erste Bild, ein in der Kerkerhaft sich selbst verstümmelnder Florestan – traf auf anspielungsreiche Verfremdungseffekte. Die Staatskapelle unter der Leitung des neuen Ersten Kapellmeisters und stellvertretenden GMD Martin Hoff steigerte sich von einer etwas blassen Ouvertüre zu stimmiger und stimmungsvoller Gestaltung im zweiten Akt. Aus dem wie immer in Weimar durchweg guten Solistenensemble ragte Catherine Foster als Leonore hervor, einen starken Eindruck machte auch Volker Schunke durch seine rauhe Tongebung als Pizarro. PSa

Die Zauberflöte in Schwerin An der Schweriner Zauberflöte ist nichts überzeichnet oder übertrieben. Peter Dehler, als Opernregisseur debütierend, hebt allerdings die Märchenelemente hervor. Mit sparsamen Mitteln der Zauberei unterstützt M. Fischer den spielerisch-freundlichen Grundton. Als Dritter im gerundeten Bunde erzeugt Matthias Foremny durch lebendige Detailwirkungen einen schwerelosen, weichen Mozartklang. In diesem ist die warm tönende Pamina (S. Salminen) bestens aufgehoben. Witz und Lebensklugheit vereint der handfeste Papageno (M. Winkler). Der junge Sarastro (R. Mészar) strahlt mit beachtlicher Stimmschwärze schon Würde, aber noch

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Fidelio in Mannheim FOTO : P E T ER

F ES T ER SE N

The Beatles-World in Chemnitz Mit der Michael-Fuchs-Band verband sich das Chemnitzer Sinfonieorchester für einen Ausflug in den Jazz. Neben der Ouvertüre zu Bernsteins Musical Wonderful Town und H. Brubecks Dialogen für Jazzband und Orchester faszinierte vor allem die mitreißende Uraufführung von The Beatles World, die M. Fuchs, der Arrangeur des Werkes, mit seinen fünf Jazz-Solisten

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In Mannheim erregte ein fast konzertanter, gekürzter Fidelio die Gemüter. In einem von D. Hacker nachgebauten NBC-Studio hat der in der Oper debütierende Schauspielregisseur F.-P. Steckel die von C. Melching in Anlehnung an die 1940er Jahre gewandeten Solisten und Orchestermitglieder platziert. Die Atmosphäre der Radioübertragung von 1944 wurde durch Origi-

EDITORIAL PERSÖNLICH GEHÖRT HIGH FIDELITY

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