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Travelling Light

Kiki Streitberger crazeebee







Sechzig Millionen Menschen auf der Welt sind Flüchtlinge. Das sind fast neun Millionen mehr als letztes Jahr, und die Hälfte davon sind Kinder. Viele sind Vertriebene im eigenen Land oder suchen Unterkunft in einem Nachbarland. Eine stetig steigende Zahl jedoch riskiert ihr Leben für eine bessere Zukunft weit weg von zu Hause. 2015 haben über 300.000 Menschen die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer nach Europa gewagt. Viele von ihnen kommen aus Krisengebieten wie Syrien und dem Irak, andere entfliehen Diktaturen oder religiöser Verfolgung, wie es zum Beispiel in Eritrea der Fall ist. Wieder andere hoffen, auf diese Weise die Armut hinter sich zu lassen und in Europa ein neues Leben beginnen zu können. Syrer nennen diese Überfahrt ‚Todesreise‘ – doch nachdem sie bereits in ihrem Heimatland alles verloren haben, scheint sie ihre beste Chance zu sein. In Syrien müssten sie täglich um ihr Leben und das ihrer Kinder bangen; in den Nachbarländern wären sie ewigen Demütigungen ausgesetzt. Die meisten, die sich entscheiden, Kontakt zu einem Menschenschmuggler aufzunehmen, haben Freunde und Verwandte, die die Fahrt schon vor ihnen unternommen haben. Sie sind sich der Gefahren bewusst und wissen, dass die Fahrt mit dem Tod enden kann. Sie wissen aber auch, dass ihre Chancen auf eine sichere und erfolgreiche Zukunft in Europa ungleich viel höher sind als in anderen Teilen der Erde. Einen Schmuggler zu kontaktieren ist einfach. Ihre Mittelsmänner sind im gesamten Nahen Osten und in Afrika verteilt, und ihre Telefonnummern sind weithin bekannt. Wenn man also einen Platz auf einem Boot für sich und seine Familie buchen möchte, genügt ein Anruf. Und dann muss man bezahlen. Eine Überfahrt kostet zwischen 1200 und 7000 US Dollar pro Erwachsenem – je nach Strecke und Saison. Kinder reisen kostenlos. Eine einzige Schiffsladung voller Migranten bringt einem Schmuggler bis zu 90.000 Dollar ein – und das ohne nennenswerte Auslagen. Auch die Gefahr erwischt zu werden ist nur minimal. Den meisten Flüchtlingen wird eine private Jacht versprochen – oder aber zumindest ein sicheres,


seetüchtiges Schiff. Schwimmweste und oft auch Verpflegung sind im Preis inbegriffen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Oft sitzen bis zu 520 Männer, Frauen und Kinder dicht gedrängt in einem kleinen, klapprigen Fischerboot. Verpflegung gibt es nur selten und wenn, dann wenig. Ist man aber erst mal beim Schiff, gibt es kein Zurück mehr. Entweder man steigt auf – oder stirbt. Und dann hoffen sie und warten. Sie hoffen, dass der Motor nicht aufgibt. Sie hoffen, dass die Küstenwache sie nicht zurückholt, bevor die internationalen Gewässer erreicht sind. Sie hoffen, dass das überfüllte Boot nicht untergeht. Sie hoffen, dass der Kapitän die Route kennt (denn oft kennt er sie nicht) und sie hoffen, dass eine Barija – eine europäische Küstenwache, ein Militärschiff oder ein großes Frachtschiff – zu ihrer Rettung kommt, bevor eine der oben genannten Situationen eintritt. Weil die Schiffe so überfüllt sind, verbringen viele der Flüchtlinge die Fahrt im Wasser sitzend, denn die Wellen schwappen von allen Seiten ins Boot. Oft verbringen sie so viele Stunden und Tage ohne Nahrung und Trinkwasser. Tabletten gegen Seekrankheit sind sehr gefragt, obwohl sie oft nur wenig oder gar nicht helfen. Oft sind sie noch in der Tasche, die am Ufer zurückbleiben musste. Gepäck ist nur selten erlaubt. Oft wird es den Flüchtlingen abgenommen, bevor sie zusteigen, sodass sie nur noch ihre Kleider und ein paar wenige, kleine Besitztümer haben, die sie direkt am Körper tragen können. Dennoch haben die meisten Glück und werden gerettet. Aber nicht alle. Rund 2500 Menschen starben in 2015 auf der Überfahrt, die gemeinhin als die tödlichste der Welt beschrieben wird – und viele sind dem Tod nur knapp entronnen. Wer sind die Leute, die ihr Leben im Mittelmeer riskieren? Was können Menschen, die alles zurücklassen müssen, in ihr neues Leben hinüberretten? Und was bedeuten ihnen diese Gegenstände? Wir Menschen definieren uns nicht nur darüber, wer wir sind, sondern auch darüber, was wir haben. Wir messen Dingen eine Bedeutung bei, die weit über ihren Warenwert hinausgeht. Ich habe syrische Flüchtlinge nach den Gegenständen, die sie auf ihrer Fahrt dabei hatten, befragt. Dabei bin ich wunderbaren Menschen begegnet, die nicht nur ihre Geschichte, sondern auch ein Stück weit ihr Leben mit mir teilten.








Die Kufiya habe ich in Syrien speziell für diese Reise gekauft. In Palästina ist sie ein wichtiges Symbol, aber außerhalb Palästinas ist sie einfach nur ein Tuch. Ich hatte sie dabei, um mich vor der Sonne und dem Sand zu schützen. Die Tasche habe ich gekauft, um unsere wichtigen Dokumente sowie etwas Geld und mein Handy während der Reise darin aufzubewahren. Das Geld ist altes syrisches Geld. Es ist nicht mehr gültig, aber in meinem Laden habe ich es trotzdem angenommen ... weil ich es mag. Ich habe es mitgebracht, weil es mich an zu Hause erinnert – und an meinen Laden und an meine Freunde, die mich dort immer besucht haben. Meinen Pass mag ich nicht. Er ist ein ‚Reisedokument für palästinensische Flüchtlinge‘, womit ich fast nirgends hinreisen kann. Nur nach Khartum. Syrien war für mich wie ein Gefängnis. Dennoch ist er wichtig: Er sagt, wer ich bin. Mit den Salben habe ich die aufgescheuerten Stellen eingerieben, die ich mir während der sechstägigen Fahrt durch die Wüste auf der Ladefläche eines Pick-ups zugezogen hatte. Und die Tabletten sind gegen Seekrankheit ... aber die haben nicht viel geholfen. Ich musste mich trotzdem übergeben – und das obwohl ich nichts gegessen hatte.

Ahmad, 40, Drucker und Ladenbesitzer

Das Feuerzeug ist aus meinem Laden. Es ist vier Jahre alt und kaputt, aber ich behalte es als Andenken.


Diese Kleider werden zum Gebet getragen. Sie sind ein Geschenk von meiner Mutter. Ich habe sie bekommen, als ich mit den Kindern bei ihr in Latakia wohnte. Ich hatte andere Gebetskleider in Damaskus, aber als unser Haus zerstört wurde, haben wir alles verloren. Meine Mutter hat diese Kleider einige Zeit bevor wir kamen gekauft – sie wollte damit nach Mekka pilgern. Als sie aber sah, dass ich keine Kleider zum Beten hatte, öffnete sie den Schrank und gab mir ihre. Ich bete fünfmal am Tag. Einmal am Morgen, einmal zur Mittagszeit, einmal um 5 Uhr, einmal wenn die Sonne untergeht und einmal zur Nacht. Auf der Reise habe ich nicht gebetet. Ich habe die Kleider in einer Tasche getragen – und nachdem ich diese in Italien weggeworfen hatte, packte ich sie in eine andere Tasche, um sie zu schützen. Diese Kleider bedeuten mir sehr viel. Nicht nur, weil ich sie zum Beten brauche – sie erinnern mich auch an meine Mutter zu Hause in Syrien. Ich mache mir Sorgen um sie. Mit der Creme habe ich meine Hände und mein Gesicht eingecremt, um mich während der langen Fahrt durch die Wüste zu schützen. Wir sind auf der Ladefläche eines Pick-ups gefahren, es war sehr heiß und staubig und die Sonne brannte. Ich war ganz schwarz von der Sonne. Für mich hatte ich keine Sonnencreme. Die, die ich hatte, habe ich meinen Kindern gegeben. Mit der Creme habe ich auch eine Wunde am Knie verarztet – ich war hingefallen, als ich im Dunkeln einen Ort suchte, wo ich zur Toilette gehen konnte. Es hat sehr wehgetan und meine Hose war zerrissen, aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich musste stark bleiben für meine Kinder. Sie sollten nicht sehen, dass ich Angst hatte.

Asmaa, 36, Hauswirtschaftslehrerin




Meine Mutter hat mir dieses T-Shirt zu meinem letzten Eid in Damaskus gekauft. Ich habe es mitgebracht, weil mir die Farben so gut gefallen. Das ist ein Buch über arabische Geschichte. Ich habe oft mit meinem Opa zusammen in diesem Buch gelesen ... ich habe es noch nicht zu Ende gelesen ... Das Buch ist voller guter Geschichten ... von Zeiten, als Männer noch männlich und stark waren ... und auch intelligent. Das gibt es heute nicht mehr. Heute sind Männer entweder intelligent – zum Beispiel Ärzte – oder sie kämpfen in einem Krieg und sterben. Aber damals gab es Männer, die kämpften und Gedichte schrieben. Heute kämpfen nur Idioten im Krieg – die Intelligenten tun etwas anderes. Das Notizbuch habe ich seit drei Jahren. Wenn ich groß bin, möchte ich Schriftsteller oder Journalist werden. Darin notiere ich die Dinge, die ich wissen oder tun sollte, um ein guter Mensch und ein guter Schüler zu sein. Den Inhalator brauche ich, weil ich Asthma habe. Die Brille hatte ich auf der Fahrt durch die Wüste und über das Meer immer auf. Ich liebe diese Brille. Sie hat mich nie im Stich gelassen. Mein Opa hat sie mir gekauft.

Alaa, 14, Schüler

Das Zeugnis ist mein letztes von zu Hause. Ich habe es mitgebracht, weil ich den Leuten hier zeigen möchte, dass ich nicht dumm bin. Nur weil ich komme und um Asyl bitten muss, heißt das nicht, dass ich ein Idiot bin. Ich möchte, dass die Leute das begreifen.



Das rosa Dokument ist mein Schulzeugnis. Ich habe es mitgebracht, weil ich der Beste in meiner Klasse war. Mein Lieblingsfach war Mathe. Ich hatte ganz viele Freunde in der Schule. Ich vermisse sie. Mit ein paar bin ich noch in Kontakt, aber nicht mit allen. Die meisten sind noch in Syrien – aber ein Freund ist in Österreich und einer in Schweden. Niemand ist in Deutschland. Die Kufiya ist ein Geschenk von meinem Papa. Ich habe sie extra für die Reise bekommen. Das ist ein palästinensisches Kopftuch. Ich hatte es, um mich vor der Sonne in der Wüste zu schützen. Wir hatten jeder eine Kufiya, aber ein paar sind verloren gegangen. Mein Bruder hat auch seine Mütze verloren. Die wurde während der Fahrt auf dem Pick-up von seinem Kopf geweht. Meine Mütze hatten wir in der Tasche, deshalb habe ich sie noch. Ich mag die Mütze sehr, sehr gerne. Sie ist aus Damaskus. Ich hab sie schon lange – und wenn ich ein Opa bin, dann behalte ich sie immer noch. Die beiden Bücher habe ich einem Jungen auf der Straße abgekauft. Er fragte: „Willst Du sie kaufen?“ – Da habe ich meine Mama gefragt, und sie hat ja gesagt. Das rote Buch ist von Agatha Christie und das andere heißt ‚Der weiße Elefant‘. Es ist eine Detektivgeschichte. Ich habe sie aber noch nicht durchgelesen. Nezar, 11, Schüler

Ich hatte auch noch eine Sonnenbrille, aber ich weiß nicht, wo die ist.


Die Puppe ist meine aus Syrien. Sie heißt Aia. Sie ist meine Freundin. Ich habe sie von meinem Papa bekommen. Ich habe sie, seit ich ein Jahr alt bin. Sie schläft jede Nacht in meinem Bett. Sie ist so süß! Auf der Reise war sie immer bei mir. Sie ist von Damaskus nach Latakia, zurück nach Damaskus, nach Khartum, nach Ägypten, nach Libyen, über das Meer nach Italien und nach Deutschland gereist. Die Creme ist für mein Gesicht. Sie ist für die Nase und die Hände. Sie ist für die Sonne.

Shahed, 5, Kindergartenkind








Die Jeans ist aus Syrien. Ich habe sie dort mit meiner Frau gekauft. Ich habe sie nicht speziell für die Reise angezogen – das war eher Zufall. Ich hatte auch noch eine kurze, ausgefranste Jeans dabei, die meine Frau für mich gemacht hat. Zwei Tage lang habe ich sie unter der langen Hose getragen. Dann habe ich sie in eine Tasche gepackt. In Mailand wurden mir die Tasche und 300 Euro von einem Taxifahrer gestohlen. Das Geld war mir egal, aber es tat mir sehr leid um die schöne Hose. Den Pulli habe ich in einem Laden in Syrien gekauft. Er gefiel mir sofort, als ich ihn sah. Ich hatte auch noch einen dunkelroten Pulli dabei, den mir meine Frau gestrickt hat, aber den musste ich in Griechenland zurücklassen – zusammen mit meiner Tasche und meiner Jacke. Als ich ins Boot stieg, musste ich eine Schwimmweste anziehen und hatte keinen Platz für zusätzliches Gepäck ... Ich kam im Oktober nach Italien. Es war sehr kalt auf dem Schiff. Ich hatte nur diese Jeans und den Pulli. Und den Ring. Er ist ein Geschenk und bedeutet mir sehr viel. Das ist erst das zweite Mal in sieben Jahren, dass ich ihn abnehme. Die Freundin, die ihn mir geschenkt hat, kam im Krieg ums Leben.

Ahmad, 38, Händler für Autoteile

Jeden Morgen bekomme ich eine WhatsApp-Nachricht von meinen Kindern. Ich habe drei Kinder. „Wir vermissen Dich“, schreiben sie mir jeden Tag. Es ist schlimm, so weit von ihnen entfernt zu sein. Ich hoffe, bald wieder mit meiner Familie zusammen sein zu können.






Die Jacke habe ich in der Türkei gekauft. Ich wusste, dass es auf dem Schiff kalt werden würde. Als wir Syrien verließen, war es Sommer, deshalb hatte ich keine warme Jacke dabei. Ich wollte nicht nach Europa kommen. Als mein Mann dann aber vorschlug alleine zu fahren, blieb mir keine andere Wahl. Ich wollte nicht mit drei kleinen Kindern alleine zurückbleiben. Die Tasche ist aus Syrien. Ich habe sie während der ganzen Reise bei mir getragen. Darin hatte ich hauptsächlich Babysachen ... Kleider, Pampers, eine Flasche Wasser und auch das Deo und das weiße T-Shirt. Das T-Shirt war ein Geschenk von meinem Mann zu unserem letzten Hochzeitstag in Syrien. Ich mag es sehr gerne. Die Jeans ist aus einem schicken Einkaufszentrum in Aleppo. Zu Beginn der Reise hatte ich viele Kleider – die meisten sind jedoch unterwegs kaputtgegangen. Diese Jeans war meine liebste – deshalb habe ich sie auf dem Schiff getragen. Den Hijab habe ich vor ungefähr fünf Jahren auf dem Markt in Aleppo gekauft. Ich trage ihn immer noch. Zu Hause tragen verheiratete Frauen immer schwarze Kopftücher als Zeichen des Respekts für ihren Ehemann, ihre Familie und ihre Religion. Der Ring ist etwa zwei Jahre alt. Er ist ein Geschenk meines Mannes. Ich habe mir diesen Ring und zwei Armbänder auf dem Markt ausgesucht. Die Armbänder haben wir verkauft, um die Reise zu bezahlen. Die Fahrt war sehr teuer. Wir mussten alles, was wir hatten, verkaufen, um die Schmuggler bezahlen zu können. Meine beiden Schwestern leben mit ihren Familien in der Türkei. Sie möchten auch gerne nach Deutschland kommen, aber sie können es sich nicht leisten.

Sara, 28, Hausfrau




Die Jacke ist aus meiner Heimatstadt Aleppo. Kurz bevor wir fliehen mussten, habe ich sie auf dem Markt gekauft. Sie ist schön warm. Das Hemd ist auch vom Markt. Ich mag gerne karierte Hemden und auch die Farben gefallen mir. Das Hemd und auch die Jeans wurden in Syrien hergestellt. Die kleine Tasche habe ich einen oder zwei Tage vor der Abfahrt gekauft. Während der ganzen Reise habe ich sie unter meinen Kleidern getragen, sodass mein Geld und meine Papiere sicher waren. Die Karte habe ich von der Bank bekommen, als ich vor etwa drei Jahren ein neues Konto eröffnete. Ich habe fast alles Geld für die Reise abgehoben – es sind nur noch ca. zwanzig Euro drauf. Wir mussten alles verkaufen, um die Schmuggler zu bezahlen. 200 Dollar, um nach Tunesien zu kommen, 700 Dollar bis nach Libyen und 4000 Dollar für zwei Plätze auf dem Boot nach Italien. In Italien wurde ich verprügelt, weil ich keine Fingerabdrücke abgeben wollte. Letztlich musste ich aber doch einen Abdruck machen. Warum ich die Visitenkarte von einem Rechtsanwalt dabei habe? Weiß ich auch nicht ... sie war in der Tasche. Das Räucherstäbchen hatte ich in der Tasche, damit die Kleider gut riechen. Die SIM-Karten sind aus Syrien, der Türkei, Algerien, Tunesien und Italien. In jedem Land habe ich eine neue gekauft. Die drei Zettel sind Einreisepapiere für die Türkei. Wenn wir in Syrien Passbilder machen lassen, bekommen wir normalerweise zwölf Fotos in einem kleinen Umschlag. Ein paar habe ich für verschiedene Dokumente gebraucht, und eines habe ich einem Freund geschenkt.

Ahmad, 36, Maler

Die Frau auf dem Foto ist meine Mutter. Das Bild ist fast fünfzig Jahre alt. Meine Eltern kamen im Krieg ums Leben.


“Der seine Existenz Allah anvertraut soll niemlas Not leiden...�








Dieses Kleid nennt man Abaya. Ich habe es vor ca. zwei Jahren in Libyen gekauft. Bevor wir nach Deutschland kamen, haben wir einige Jahre dort gelebt. In Syrien war es zu gefährlich. Dort konnten wir nicht bleiben. Ich trug diese Abaya meistens zu Hause oder wenn ich schnell mal die Nachbarn besuchte. Ich mag die Farbe, aber das Kleid ist nicht formell genug, um es in der Öffentlichkeit zu tragen. Auf dem Boot trug ich es, weil es sehr leicht und bequem ist. Dazu trug ich einen Hijab. Ich hatte drei Hijabs dabei – aber das ist der einzige, den ich noch habe. Er gefällt mir gut. Die Fotos hatte ich in Plastikfolie eingewickelt, sodass sie auf der Fahrt nicht nass wurden. Es sind Fotos von meinem Mann und von meinen Kindern. Die Fotos wurden in Syrien aufgenommen. Die ‚50-Euro-Serviette‘ ist ein Geschenk von meiner Freundin Ahlam. Ich musste ihr versprechen, diese niemals wegzuwerfen. Sie erinnert mich an sie. Die Gebetskette ist aus der Sayyidh-RuqayyaMoschee in Damaskus. Ich habe sie an einem kleinen Stand am Eingang gekauft. Wir sind oft dorthin gegangen, um um Schutz und Gesundheit zu beten. Es ist ein Ort, an dem man sich Gott nahe fühlt. Man fühlt sich dort sicher. Ich habe die Kette zum Schutz mitgenommen – und um auf dem Schiff damit zu beten.

Iman, 40, Hausfrau

Die Reise war gefährlich. Wir haben zwei Tage auf einem kleinen, klapprigen Boot mitten auf dem Meer verbracht. 520 Personen. Schließlich wurden wir von einem Rettungsboot gefunden und sicher nach Italien gebracht. Alhamdulilla.



Ich habe diese Jeans auf dem Boot getragen. Ich habe sie letztes Jahr zu Eid bekommen. Wir waren damals in Libyen. Wir waren ein Jahr und acht Monate dort, bevor wir nach Europa kamen. Es war eine schlimme Zeit – es war so gefährlich dort, dass ich nicht mal zur Schule gehen konnte. Ich hatte auch noch ein T-Shirt und eine graue Jacke, aber die habe ich weggeworfen, als ich in Europa neue Kleider bekam. Das Kopftuch habe ich auch auf dem Schiff getragen. Es gefällt mir sehr gut – die Farbe und die Fransen. Ich hab es mit meiner Mutter auf dem Markt gekauft. Die Kosmetiktasche ist auch aus Libyen. Sie gefällt mir. Pink ist meine Lieblingsfarbe! Ich habe immer mein Make-up in der Tasche aufbewahrt, aber meine Mutter hat sie mit auf die Reise genommen, um unsere Fotos und Papiere trocken zu halten, solange wir auf dem Boot waren. Das kleine Mädchen bin ich, als ich noch jünger war ...

Inas, 14, Schülerin

Ich bin froh, dass wir jetzt hier sind. Es ist schön, Freunde zu haben und in die Schule gehen zu können. Ich höre gerne Musik und ich tanze gern – und wenn ich groß bin, möchte ich Arabischlehrerin werden.


Das gestreifte T-Shirt habe ich auf einem kleinen Markt direkt vor der Fabrik, wo ich arbeitete, gekauft. Mir gefällt die Farbe sehr gut. Es erinnert mich an Tage am Meer mit meinen Freunden. Wir wohnten damals in Libyen. Fast zwei Jahre waren wir dort und haben immer gehofft, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können – doch die Situation wurde auch in Libyen immer schlimmer, und es war nicht mehr sicher, dort zu bleiben. Das schwarze T-Shirt ist von Zara. Es hat mich 25 Libysche Dinar gekostet. Es war nicht billig, aber die Qualität ist gut. Ich erinnere mich an viele Busfahrten zum Haus meiner Eltern, auf denen ich es trug. Unter der Woche wohnte ich in der Fabrik – nur am Wochenende habe ich meine Familie gesehen. Die Hose war viel dunkler, als sie neu war. Die Sonne hat sie ausgebleicht. Ich habe sie und das gestreifte T-Shirt auf dem Boot getragen – nicht, weil ich das so geplant hatte, sondern weil ich das gerade anhatte, als der Schmuggler kam, um uns abzuholen. Da war keine Zeit mehr, sich umzuziehen oder irgendetwas einzupacken. Nur mein Handy hab ich mir noch geschnappt. Ich habe es in eine Plastiktüte gewickelt und hatte es die ganze Zeit in meiner Hosentasche. Ich benutze es auch jetzt noch – allerdings habe ich nun auch ein zusätzliches Smartphone. Das brauche ich, um mit meiner Verlobten in Ägypten telefonieren zu können. Den Ring habe ich auf dem Goldmarkt in Tripolis gekauft. Ich habe ihn getragen, bis ich vor Kurzem den schwarzen Stein verloren habe.

Ahmad, 22, Mosaikleger / Steinmetz




Meine Söhne und ich trugen die Jacke abwechselnd – es war die einzige, die wir hatten, und so zog immer der sie an, dem es gerade kalt war. Ich habe sie im vorherigen Winter in Tripolis gekauft. Zu Eid. Meine Frau meinte, sie passe gut zu mir, deshalb nahm ich sie. Ich hatte viele Jacken, aber da ich nur eine mitnehmen konnte, nahm ich diese mit – meine neueste und wärmste. Sie hat mir auf der Fahrt gute Dienste geleistet; trotzdem verbinde ich keine guten Erinnerungen mit ihr. Wenn ich sie anschaue, rieche ich das Meer und das Motorenöl. Ich träume auch heute noch von den Wellen, wie sie unser kleines Boot geschüttelt haben. Ich möchte diese Jacke nicht mehr anziehen. Einer meiner Söhne trägt sie noch manchmal, sonst hätte ich sie schon längst weggeworfen. Die Hose mochte ich gerne – aber jetzt nicht mehr. Am liebsten würde ich sie wegwerfen, aber irgendwie bringt meine Frau sie immer wieder zurück. Ich kann sie nicht mehr anziehen. Sie hat einen Blauschimmer, wo das Schiff abgefärbt hat. Es war sehr kalt nachts, und am Tag verbrannte unsere Haut, sodass sie sich schälte. Uns wurde gesagt, dass die Fahrt nach Italien sechs oder sieben Stunden dauern würde und dass es deshalb nicht nötig sei, etwas zu essen mitzunehmen. Nach zwei Tagen wurden wir schließlich gerettet ... Ich hatte wirklich gedacht, wir würden sterben.

Nazir, 50, Mosaikleger / Steinmetz

Alle meine Papiere sind jetzt bei der Einwanderungsbehörde. Zusammen mit den Fotos von meiner Familie trug ich sie in einer kleinen Tasche.







Die Jacke und die Handschuhe hatte ich für eine zuvor geplante Fahrt nach Europa gekauft, die aber leider nicht stattfand. Ich mag das grüne Hemd. Es ist aus der Türkei. Die Farbe steht mir, und ich mag gerne lange Hemden. Der Jogginganzug ist schon alt. Etwa 15 Jahre. Immer wenn ich mich auf dem Schiff hinlegte, setzte ich die Kapuze auf, denn die Kissen waren nicht sehr sauber, und ich wollte sie nicht berühren. Und es gab Kakerlaken. Ich hatte ständig Angst, deshalb schlief ich mit Jeans, Schuhen und Kontaktlinsen ... Alle schliefen so. Man wusste nie, was passieren würde. Wir warteten auf internationalem Gewässer auf eine Lebensmittelladung und die restlichen Passagiere. Zwei davon waren meine Kinder. Vergeblich. Niemand kam mehr zum Schiff. Während wir warteten, gerieten wir in zwei schlimme Stürme. Es war sehr gefährlich. Schließlich mussten wir ohne die anderen abfahren. Die Schuhe sind sehr bequem. Das waren die einzigen Schuhe in meiner Größe, die ich in der Türkei finden konnte. Der Pulli war in meinem Rucksack. Auf dem Schiff habe ich ihn nicht getragen. Wir haben nie die Kleider gewechselt. Ich hatte auch noch eine zweite Jeans, Süßigkeiten und Socken in der Tasche – und einen Schal und Datteln und Brot vom syrischen Bäcker in Mersin; und Kaugummi und eine Flasche Wasser und Pistazien, etwas Schokolade, Nescafé, zwei Flaschen Milch – jeden Morgen trank ich davon. In meiner Bauchtasche hatte ich Make-up, meine Zahnbürste, Shampoo, Conditioner, Deo, Handgel und einen Fön. Und Tabletten gegen Reiseübelkeit, die ich aber nicht gebraucht habe. Und einen Stift.

Ranya, 52, Französischlehrerin

Der Schlüssel gehört zu meinem Auto in der Türkei. Es wartet dort auf mich. Und der Gürtel ist aus Damaskus. Es ist mein Lieblingsgürtel.


Die Jacke, der Pulli, die Stulpen und der blaue Rollkragenpulli sind alle aus Mersin in der Türkei, wo wir zwei Jahre gewohnt haben. Mersin hat ein tolles Einkaufszentrum. Da war ich oft. Sonst gab es dort nichts zu tun. Wir hatten eine üble Zeit in der Türkei. Keiner hatte die Chance, etwas Sinnvolles zu tun – es gab weder die Möglichkeit zur Arbeit noch zur Ausbildung. Es fühlte sich an wie ein endloses Warten. Was wir auch versuchten, nichts schien zu funktionieren. Wir gaben nur all unser Geld aus. Ich wollte Medizin studieren, aber es gab keine Möglichkeit dazu. Ich war sehr unglücklich. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Am Ende sahen wir keine andere Chance, als nach Deutschland zu kommen. Der Handschuh ist auch aus der Türkei ... der zweite muss irgendwo in Karlsruhe sein. Die Stiefel habe ich getragen, weil sie wasserdicht sind, und die Feuchttücher waren wahrscheinlich seit Syrien in meiner Tasche. Die Augentropfen habe ich zur Sicherheit mitgenommen – ich hatte mal eine Augenentzündung ... Der Flaschenöffner hatte früher ein RealMadrid-Logo drauf. Als Teenager war ich total fußballverrückt. Ich habe kein Spiel verpasst. Dann begannen die Massaker in Banyas, und ich habe jegliches Interesse daran verloren. Die Jogginghose war ein Geschenk von meiner Tante, und das grüne Sweatshirt ist auch schon ziemlich alt. Ich habe es von meiner Mutter bekommen. Meine Schwester hatte das gleiche in Braun. Der Schal ist auch aus Syrien. Er ist von Adidas. Meine Schwester hatte einen ähnlichen, der mir immer gut gefallen hat. Ich hatte eine Freundin in Mersin. Sie kam auch aus meiner Heimatstadt Banyas. Sie war mit uns auf dem Schiff und lebt jetzt in Schweden. Sie ist ein wunderbarer Mensch. Sie ist die einzige Freundin, die ich je hatte. Sie heißt Bushra.

Maha, 21, Studentin




Die Jacke, die Mütze und die Handschuhe habe ich aus der Türkei. Ich habe sie extra für die Reise gekauft. Wir hatten gehört, dass es kalt sei in Deutschland im Januar, deshalb habe ich diese Kleider gekauft, um mich vor der Kälte zu schützen. Wir sind die Kälte nicht gewohnt. Mein Bruder ist vor uns gegangen. Er lebt jetzt in Holland. Er hat uns vor der Kälte gewarnt. Ich hatte Angst vor der Reise, aber wir waren in Gefahr, und ich wollte nicht mit meinem Leben und dem meiner Familie spielen. Ich brauche keine Demütigungen mehr. Ich bin jetzt 55. Wenn sie mich einsperren, sterbe ich womöglich im Gefängnis. Ich habe große Angst. Es gibt keinen Schutz. Es ist nicht sicher in Syrien. Das ist die Wahrheit. Die Turnschuhe habe ich auch mit Blick auf die Reise gekauft. Fila ist eine gute Marke. Die Schuhe würden mir auf dem Schiff dienlich sein. Ich trug sie jeden Tag – sogar als ich schlief. Wir verbrachten zwölf Tage auf dem Schiff. Die Jogginghose ist aus Syrien. Ich mag sie. Ich habe sie im Laden meines Schwagers gekauft.

Omar, 55, Geschäftsmann

Auf dem Schiff gab es nicht viel Wasser zum Abspülen, deshalb hielt ich es für sinnvoll, meinen eigenen Teller und Besteck mitzunehmen. Das war hygienischer. Das Essen auf dem Schiff war sehr schlecht. Es bestand hauptsächlich aus gekochten Eiern, Kartoffeln und Reis. Die ersten Tage war genug für alle da, aber durch das dauernde Schaukeln hatten die meisten sowieso keinen Hunger. Den Rucksack habe ich vor langer Zeit für eine Pilgerreise nach Mekka gekauft. Sonst brauche ich eigentlich keinen Rucksack. In Syrien ist es zu heiß zum Wandern. Und die Visa-Karte? Die ist aus der Türkei.



Ich hatte gehört, dass ich wasserdichte Stiefel für die Reise brauchen würde. Dies waren die einzigen in meiner Größe, aber die Farbe gefällt mir. Sie sind ein bisschen zu groß, weil ich immer zwei Strumpfhosen und Socken anhatte. Uns wurde gesagt, dass es kalt sei in Europa, deshalb habe ich meinen Schal mitgenommen. Den habe ich schon lange ... fast sieben Jahre. Ich habe ihn im Urlaub in der Türkei bekommen. Ich trage ihn auch heute noch. Die Bauchtasche hat mir meine Tante vor einigen Jahren für einen Schulausflug nach Latakia geschenkt. Ich hatte meine persönlichen Sachen darin. Auch das kleine Parfumfläschchen. Dummerweise ist der Deckel aufgegangen und es ist ausgelaufen. Der Spiegel ist ein Souvenir, das mir meine Cousine aus Ägypten mitgebracht hat. Die elektronische Misbaha ist zum Beten. Man steckt sie auf den Zeigefinger und drückt bei jedem Gebet auf den Knopf. Seit wir hier sind, habe ich sie nicht oft benutzt. Der türkische Kaugummi schmeckt eigentlich nach nichts, aber irgendwie mag ich ihn. Und die Tabletten sind gegen Seekrankheit, aber mit ihnen musste ich mich nur noch mehr übergeben. Die Serviette ist aus meinem liebsten Kebab-Laden in Mersin. Das Essen dort war so lecker. Schön scharf. Den Rucksack hat mir meine andere Cousine vor fünf oder sechs Jahren geschenkt. Es ist ein toller Rucksack, aber ich benutze ihn nicht mehr, weil er diese rosa Flecken hat. Die Feuchttücher waren noch drin von früher. Die Jacke gehörte meiner Schwester Judy. Ich mag sie, weil sie so viele Taschen hat.

Souriana, 15, Schülerin

Ich bin gerne in Deutschland – trotzdem hoffe ich, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können. Ich möchte in Banyas ein Sportstudio eröffnen.







Das pinkfarbene T-Shirt ist aus Mersin in der Türkei. Ich habe es gekauft, als ich auf ein Schiff nach Europa gewartet habe. Zwei Monate habe ich gewartet.. 6000 Euro habe ich an einen Mann bezahlt, der versprach, mich mit dem Schiff nach Italien zu bringen – aber als er mich abholen sollte, kam er nicht. Ich musste einen neuen Schmuggler finden und erneut bezahlen. Meine Mutter hat all ihren Schmuck verkauft, um meine Reise zu finanzieren. Mir wurde eine Jacht versprochen, deshalb habe ich gute Kleider mitgenommen. Das weiße T-Shirt ist aus Italien. Ich habe es gekauft, als ich vor ein paar Jahren durch meine Arbeit dort war, und das blaue habe ich bei einem früheren Besuch in der Türkei gekauft. Ich mag schöne Kleider – besonders in bunten Farben. Ich achte sehr auf mein Aussehen, deshalb habe ich dieses Haargel mit aus Ägypten mitgebracht. Die dunkle Hose ist aus Rumänien, die helle aus Frankreich, die kurze Hose aus der Türkei ... Ich war auf der ganzen Welt unterwegs ... Ich war sogar schon in Paraguay. Und dann habe ich noch das kleine Armband. Meine Schwester Jihan hat es um mein Handgelenk gestreift, als ich schlief. Das war vor sechs Jahren. Es bringt Glück. Ich habe es immer bei mir. Und der kleine Schuh ... Eine Freundin hat ihn mir geschenkt, als ich 14 war. Sie heißt Emine. Sie ist inzwischen verheiratet und hat zwei Kinder. Sie wohnt in Syrien. Und der Schuh ist bei mir. Ich habe ihn an einer Kette getragen, aber die ist kaputtgegangen, und nun habe ich ihn im Geldbeutel.

Samir, 25, Arbeiter auf einem Frachtschiff

Ich vermisse meine Freunde und meine Familie. Sie sind auf der ganzen Welt verstreut. Am meisten vermisse ich meine Mutter. Ich habe sie seit viereinhalb Jahren nicht gesehen.





Den Stoff für diese Jalaba habe ich auf dem Markt in meiner Heimatstadt Daraa gekauft. Daraa hat einen der besten Märkte in Syrien, und die Menschen kommen aus dem ganzen Land, um dort einzukaufen. Wir wohnten direkt neben dem Markt, das war sehr praktisch. Diese Jalaba habe ich seit Beginn der Revolution in 2011. Sie wurde nach meinen Angaben genäht. Sie begleitete mich von Syrien in den Libanon, dann nach Ägypten, nach Libyen, nach Italien und nach Deutschland. Den Hijab trug ich auch auf dem Schiff. Ich habe ihn in Libyen kurz vor der Abfahrt gekauft. Die kleinen Perlen am Rand gefallen mir sehr gut. Der Hijab ist die traditionelle und angemessene Kopfbekleidung für eine muslimische Frau. Das Falafelgerät ist aus meiner Küche in Syrien. Ich wusste nicht, ob ich im Ausland so etwas finden würde. Das Handy ist nur noch ein Andenken. Die Bücher sind Hadithe – Berichte des Prophet Mohammed zu verschiedenen Situationen. Das dunkle hat Antworten auf allgemeine Fragen, und das rote enthält Empfehlungen bezüglich Gesundheit und Sauberkeit. Es sind wunderbare Bücher. Während der Fahrt habe ich sie in einer Plastiktüte verwahrt, um sie vor Feuchtigkeit zu schützen. Die goldene Uhr ist von meinem Sohn. Er war in der Freien Syrischen Armee. Eines Tages entdeckten sie einen geheimen Vorrat gestohlenen Goldes. Da sie die Besitzer nicht ausfindig machen konnten, verteilten sie die Schmuckstücke. Mir hat er diese Uhr gegeben. Sie ist schön, aber ich hoffe immer, dass ich irgendwann ihre rechtmäßige Besitzerin finde und sie zurückgeben kann.

Hecmet, 49, Hausfrau

Es ist gut hier in Deutschland, aber eigentlich sollte ich bei den Sterbenden und den Hilfsbedürftigen zu Hause sein. Ich würde meinem Land gerne besser dienen, aber ich habe auch einen Mann und zehn Kinder, die mich hier brauchen.


Der Mantel ist aus Damaskus. Meine Mutter hat ihn mir bei einem ihrer seltenen Besuche gekauft. Ich habe dort an der Universität Chemie studiert. Das war eine schöne Zeit. Ich habe mir eine Wohnung mit zwei Freundinnen in einem modernen Stadtteil namens Jaramana nahe der Universität geteilt. Immer wenn meine Mutter mich besuchen kam, brachte sie mir Kleider mit. Dieses Mal bat sie mich, mit ihr einkaufen zu gehen ... ich wollte nicht, und so ging sie alleine und kam mit diesem Mantel zurück. Bis heute bin ich nicht sicher, ob er mir gefällt. Die Farbe ist ok ... der Schnitt gefällt mir nicht wirklich. Vielleicht wäre ich doch besser mitgegangen. Der Hijab ist auch aus Syrien. Während der Reise hatte ich ihn in meiner Tasche. Auf dem Kopf trug ich einen braunen, aber den habe ich verloren. Als ich in Damaskus wohnte, wurde ich krank. Die ganzen Sorgen wegen des Krieges waren wohl zu viel für mich. Eines Abends ging ich wie immer spazieren, und nach etwa zwei Kilometern bemerkte ich, dass ich Schwierigkeiten hatte, mein Bein zu heben. Es war plötzlich so schwer. Das passierte immer wieder, und schließlich zeigte eine Untersuchung, dass ich unter MS litt. Meine Verwandten glauben, dass ich den bösen Blick auf mich gezogen habe, aber das glaube ich nicht. Ich denke, dass es eine Folge des Krieges ist. Ich hoffe, es vergeht wieder. Als wir Syrien verließen, wollten meine Mutter und ich nach Libyen fliegen, um dort den Rest der Familie zu treffen. Bei einem Zwischenstopp im Libanon wurden wir festgehalten, weil uns das nötige Visum fehlte. Wir mussten also zurück nach Syrien und konnten es auch die nächsten sieben Monate nicht verlassen. Wir hatten kein Zuhause mehr und waren auf fremde Hilfe angewiesen.

Baraah, 20, Studentin









Das ist die traditionelle Kleidung in Daraa. Sie heißt Jalabiya. Sie ist kühler und deshalb angenehmer als andere Kleider. Den Stoff habe ich in Saudi Arabien gekauft, als ich mit meiner Frau 2009 zur Umra, einer Pilgerfahrt, in Mekka war. Wir fuhren die 1960 Kilometer von unserem Haus bis Mekka mit dem Bus. Es dauerte ungefähr 24 Stunden und war ohne Zweifel die beste Reise meines Lebens. Ab dem Moment, in dem man in Mekka ankommt, ändert sich alles. Alles, was an dir falsch war, wird auf einmal richtig. Es ist ein seltsames Gefühl, das ich nicht erklären kann ... Plötzlich fühlst du dich besser, einfach nur, weil du da bist. Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch. Dieses Gefühl ist mir bis heute geblieben. Die Jalabiya hat ein Schneider dann in Nawa genäht. Sie ist ein Andenken an den heiligen Ort, der mich so tief beeindruckt hat. Ich habe sie mitgebracht, weil sie für meine Kultur steht und für meine Traditionen und meine Familie und mein Umfeld. Sie ist so viel mehr als einfach nur ein Kleidungsstück. Sie ist Ausdruck meiner Identität. Auf dem Schiff habe ich das gestreifte Hemd und eine Hose getragen, aber die habe ich nicht mehr. Das Hemd bedeutet mir sehr viel. Es ist nicht nur ein Hemd – es ist ein Teil meines Herzens. Es ist der einzige Gegenstand aus Syrien, den ich noch habe. Es fühlt sich an wie Zuhause. Wenn ich den Fernseher anschalte, sehe ich nur Krieg und Zerstörung in Syrien – wenn ich das Hemd anschaue, erinnere ich mich an die Zeit, als alles ok war. Es war ein Geschenk von meiner Frau zu unserem Hochzeitstag vor sechs Jahren. Ich hoffe, dass der Krieg irgendwann vorbei sein wird und ich zurück nach Hause kann. Ohne diese Hoffnung wäre ich jetzt nicht hier. Diese Hoffnung hält mich am Leben.

Mohammad Said, 52, Möbelhändler




Das Kleid ist ein Geschenk von meiner Freundin Sahra. Sie ist die Schwester von einem Freund von meinem Bruder. Ich mag das Kleid sehr gerne. Auf dem Schiff hatte ich es in einer Tasche. Ich hatte ein normales Oberteil und eine Jeans an, aber diese Kleider habe ich nicht mehr. Wir haben sie in Italien weggeworfen, weil sie sehr schmutzig waren. Die Jeans ist aus Libyen. Ich erinnere mich zu 100 % an die Bootsfahrt. Es war schrecklich. Ich musste mich die ganze Zeit übergeben. Die ganze Zeit hatte ich eine Spucktüte im Arm. Ich saß am Rand vom Boot, und immer wenn ich ins Wasser schaute, wurde mir wieder übel. Ich hatte keine Angst. Ich habe nur gehofft, dass wir schnell ankommen würden. Es war sehr laut auf dem Schiff. Der Motor machte einen solchen Krach und das ganze Boot hat gewackelt. Ich bin froh, dass wir jetzt hier sind. Mir gefällt es hier. Ich habe zwei Freunde namens Malak und Marian, aber ich vermisse meine Freunde zu Hause in Syrien ... und unser Haus und mein Zimmer und unseren Laden, wo ich immer gespielt habe. Es war sehr schön. Afnnan, 10, Schülerin

Wenn ich groß bin, möchte ich Kinderärztin werden.



Das dunkelrote Buch gehört der Bücherei der Universität Damaskus. Ich wollte es kaufen, aber es war unmöglich, eines zu bekommen, und deshalb habe ich dieses behalten. Es ist ein tolles Buch. Ich habe es vor zwei Hausbränden gerettet – ich wohnte mit Freunden in einer WG und unser Ofen ist explodiert ... Das rote Buch war ein Geschenk zum UniAbschluss von meinem Freund Maher. Er ist noch in Syrien. Das Parfum war auch ein Geschenk. Ich habe es von meinem Freund Hlal aus Saudi Arabien bekommen. Die Computerprogramme habe ich mitgebracht, weil ich sie für die Arbeit brauche. In Libyen war es schwer, welche zu bekommen, und als wir gegangen sind, wusste ich nicht, wo wir landen würden, deshalb habe ich sie mitgenommen. Der Militärausweis ist wichtig, obwohl ich gar nicht beim Militär war. Mein Vater hat mich freigekauft. Es kostete etwa 2000 Euro – das ist das durchschnittliche Jahresgehalt eines Arbeiters. Das weiße Gewand heißt Dishdasha. Mein Onkel hat es in den Vereinigten Arabischen Emiraten selbst genäht. Er starb letztes Jahr im Krieg. Ich habe es zum Andenken an ihn mitgebracht. Mein Universitätsdiplom bedeutet mir sehr viel. Es erinnert mich an meine Zeit an der Uni. Normalerweise wird es aufgehängt. Es ist wirklich sehr wichtig. Die lila Karte ist von meiner Arbeit in Libyen, die nächste ist mein Ausweis und die andere ist meine Aufenthaltserlaubnis für Libyen. Rechts ist mein Führerschein, und der Zettel darunter ist meine Aufenthaltsgenehmigung für den Libanon. Mohanned, 26, Physiklehrer

Der Mann auf dem Foto ist mein Freund Yamen aus Damaskus. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt über WhatsApp. Ich vermisse meine Freunde sehr und hoffe, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können. Der kleine Kalender ist ein Geschenk von meinem Cousin Mohammad im Libanon, und die Visitenkarte ist von einem Reisebüro, wo ich einen Flug gebucht habe. Die drei Notizbücher sind von der Uni. Jedes Jahr eines. Darin habe ich alles notiert, was ich wissen muss. Das Geld ist aus Libyen. Damit könnte ich 30 Baguettes oder zehn Liter Benzin kaufen ... aber nur einen Liter Milch. Es ist verrückt. Lycamobile war die italienische SIM-Karte, und der Geldbeutel ist nur noch ein Andenken an Damaskus. Der Anzug war ein Geschenk von meiner Mutter zum Uni-Abschluss. Ich habe ihn nur zweimal zur Arbeit getragen, aber er gefällt mir sehr gut, und vielleicht werde ich ihn eines Tages an meiner Hochzeit tragen. Meine Verlobte ist noch in Syrien, aber ich hoffe sie kommt bald nach. Mit dem Lötkolben habe ich zu Hause alles repariert. Besonders gerne Fernseher. Meistens hat es geklappt, nur einer ist in die Luft gegangen ... Der Stift war mein erster ‚Tafelstift‘ als Lehrer und das Feuerzeug brauchte ich, um Physikexperimente vorzuführen. Nie hätte ich gedacht, dass es eines Tages ein Andenken werden würde. Das schwarze Büchlein ist mein Motorradführerschein. Ich hatte eine schwarze 125er Honda. Diese Zange war meine erste, und sie ist so gut. Man findet nicht oft so gutes Werkzeug.


Das sind die Kleider, die ich auf dem Schiff getragen habe. Die Jeans habe ich letztes Jahr zu Eid bekommen. Die Löcher an den Knien sind vom Skateboard fahren. Meine Knie sind voller Narben. Das T-Shirt ist ein Geschenk von meiner ältesten Schwester Rim. Sie ist noch in Syrien. Ich wünsche mir, dass sie auch kommt. Ich vermisse sie. Am meisten vermisse ich unser Haus und meine Freunde und meinen Cousin. Ich mag meinen Cousin sehr. Und ich vermisse die Klingel an unserem Haus. Immer wenn jemand auf den Knopf drückte, zwitscherte sie wie ein Vogel. Ich habe diese Klingel geliebt. Ich hatte keine Angst auf dem Schiff nach Italien. Immer wenn sich das Geräusch änderte oder mir irgendetwas ungewöhnlich vorkam, fragte ich den Kapitän, ob alles ok sei, und er sagte ja. Und dann hatte ich keine Angst mehr. Er sagte, der Motor sei immer so laut. Das sei normal. Er war ein netter Mann aus Ägypten. Er war ungefähr 46 Jahre alt und seine beiden Gehilfen waren so etwa 25 und 26 Jahre alt, glaube ich. Mir war die ganze Zeit schlecht. Einen ganzen Tag lang habe ich nichts gegessen, und trotzdem brauchte ich eine Spucktüte. Wir hatten keine Tabletten gegen Seekrankheit. Die waren alle ausverkauft. Als wir von einem großen Frachtschiff gerettet wurden, gaben sie uns etwas zu essen. Das war super. Ich habe auch mit Freunden auf dem Schiff gespielt. Der Kapitän sagte, wir sollen aufhören herumzurennen, aber wir haben es trotzdem gemacht. Es war cool, aber ein Tag hätte gereicht. Wir waren zwei Tage auf dem Schiff, bis wir in Sizilien ankamen. Das war sehr schön. Dann fuhren wir nach Mailand und von dort nach Deutschland. Wenn ich groß bin, möchte ich Physik studieren wie mein Bruder.

Salahdin, 14, Schüler



Der Mantel ist aus Syrien. Er gehörte meiner Schwester, aber sie hat ihn mir geschenkt. Er ist ungefähr fünf Jahre alt. Er gefällt mir sehr gut – er hat einen coolen Schnitt, der Kragen ist super und die Farbe steht mir gut. Meine Lieblingsfarbe ist weiß. Weiß ist gut für die Seele. Ich mag auch weiße Häuser, weiße Möbel ... Mein Zimmer zu Hause war sehr bunt – pinkund orangefarbene Wände und weiße Vorhänge. Ich vermisse mein Zimmer. Ich habe es mit meiner kleinen Schwester geteilt. Der Hijab ist aus Damaskus. Meine Schwester hat ihn mir geschenkt, als sie dort studiert hat. Ich selbst war nie in Damaskus, obwohl Daraa nicht so weit weg ist. Ich wollte auch dort studieren, aber was jetzt wird, weiß ich auch nicht. Bald werde ich den Freund von meinem Bruder heiraten, und dann werde ich nach Schweden ziehen ... Auf der Reise hatte ich auch noch einen anderen Mantel und einen zweiten Hijab und noch eine Hose dabei, aber die habe ich Leuten gegeben, die nichts hatten. Viele Leute waren klatschnass und brauchten trockene Kleidung. Während der ganzen Fahrt schwappten die Wellen in unser Boot. Zwei Kinder saßen auf meinem Schoß, obwohl mir selbst so übel war. Manchmal hab ich mir gewünscht, einfach unterzugehen. Mir war so schlecht und ich war so erschöpft ... Ich wollte nur noch sterben. Mein Platz war neben der Toilette, und dauernd sind Menschen über mich drübergestiegen. Wir waren über hundert Leute in einem 12-Meter-Boot. Angst hatte ich keine – ich war nur so müde. Ich bin glücklich hier in Deutschland, aber ich vermisse meine Freunde. Ich habe den Kontakt mit ihnen verloren und habe keine Ahnung, wie es ihnen geht.

Bilsan, 17, Schülerin








Die Hose habe ich auf dem Markt in Ajdabiya gekauft. Meine Eltern wohnen dort. Ich selber habe auch vier Jahre in Libyen gewohnt, aber schließlich mussten wir das Land verlassen. Es wäre zu gefährlich gewesen, dort zu bleiben. Ich fuhr mit meiner schwangeren Frau und drei kleinen Kindern fünf Tage über das Meer. Diese Shorts trug ich dabei unter einer Jeans. Die kleine Tasche hat meine Mutter für mich genäht. Darin habe ich während der Reise unsere wichtigen Papiere und Fotos aufbewahrt. Das Gesundheitszeugnis ist aus Libyen. Ich brauchte es, um dort arbeiten zu können. Die SIM-Karte habe ich an meinem ersten Tag in Libyen gekauft. Sie hat mich 35 Dinar gekostet ... das sind ungefähr 60 Euro. Die Visitenkarte ist von einem Juwelier, bei dem ich oft eingekauft habe. Leider mussten wir alles verkaufen, um diese Reise bezahlen zu können. Das schwarze Büchlein ist mein Militärausweis. Ich war zweieinhalb Jahre als Automechaniker bei der syrischen Armee. Das blaue Heft ist mein Pass. Meine Wahlkarte habe ich auch dabei. Ich brauche diese Papiere, wenn ich hoffentlich eines Tages zurück nach Syrien gehen kann. Die Fotos sind von meinem Sohn, meinen Eltern und von Verwandten meiner Frau.

Mohammad, 33, Automechaniker

Die Sure Yasin ist ein Buch aus dem Koran. Ich habe es bekommen, als mein Nachbar in Syrien vor acht Jahren starb. Es bedeutet mir sehr viel.



Das Foto ist aus Libyen. Es wurde am letzten Schultag in der ersten Klasse aufgenommen. Ich gehe gerne in die Schule. Meine Lieblingsfächer sind Sport und Deutsch. Und ich mag Arabisch. Ich kann gut arabisch schreiben. Ich habe ein Foto bekommen, obwohl ich gar nicht lange in dieser Klasse war. Es war sehr gefährlich in Libyen, deshalb musste ich mittags zu Hause bleiben. Wir haben alleine in einem Haus gewohnt. Da gab es keine anderen Kinder zum Spielen. Ich hab dort gerne am Laptop Computerspiele gespielt, aber dann hat meine Schwester den Laptop kaputtgemacht. Manchmal durfte ich mit meinem Papa in der Wüste mit dem Auto fahren. Ich kann schon selber fahren. Ich muss mich aber hinstellen, damit ich an die Pedale komme. Wenn ich groß bin, möchte ich Automechaniker werden. Meine Lieblingsautos sind BMWs und meine Lieblingsfarbe ist Schwarz. Das ist mein Pass. Auf der Rückseite hat er einen Aufkleber. Den habe ich draufgeklebt, als wir mit dem Bus von Syrien nach Libyen gefahren sind. Der Pulli ist aus Libyen. Ich habe ihn auf dem Schiff angehabt. Außerdem hatte ich noch eine orangefarbene Schwimmweste an. Alle hatten eine an. Die haben wir aber im Boot gelassen, als wir ins große Rettungsschiff umgestiegen sind. Die Hose ist auch aus Libyen. Ich bin hingefallen, deshalb sind da Löcher an den Knien. Aber es hat nicht sehr wehgetan.

Diaaeddin, 7, Schüler

Ich bin gerne in Deutschland und gehe gerne in die Schule. Und ich mag meine Freunde Johannes, Ben, Karl und Tamir.


Ich habe die Jeans letztes Jahr zu Eid in einem Geschäft in Ajdabiya in Libyen gekauft. Sie ist sehr bequem, deshalb habe ich sie mitgenommen. Den Hijab habe ich schon ungefähr sechs Jahre. Er ist mit mir von Syrien nach Libyen gereist, dann über das Mittelmeer nach Italien und von dort nach Deutschland. Er hat die Welt gesehen. Ich hatte ihn die ganze Zeit an, und trage ihn auch heute noch gerne. Ich hatte mehrere Kopftücher dabei, aber alle anderen habe ich in Italien weggeworfen. Sie waren schmutzig und rochen nach Erbrochenem. Den Ring habe ich vor etwa eineinhalb Jahren in Brega gekauft. Damals haben wir in Libyen gewohnt. Ich habe ihn aus einem Modeschmuckgeschäft. Ich habe ihn an der Hochzeit meines Schwagers getragen. Er passte perfekt zu meinem Leopardenkleid. Er ist aus sogenanntem russischem Gold – das ist nicht so wertvoll, aber mir gefällt es. Als wir nach Libyen gingen, war ich das erste Mal im Ausland – da habe ich zum ersten Mal meinen Pass gebraucht. Wir sind manchmal im Urlaub in Tartus gewesen. Das ist ein wunderschöner Ort am Mittelmeer. Wir haben dann dort ein Häuschen für eine Woche gemietet ... Das Make-up habe ich extra für die Reise nach Deutschland in einer Drogerie in Brega gekauft. Ich vermisse meine Familie. Meine Eltern und fünf meiner Geschwister sind noch in Syrien. Eine Schwester hat den Bruder meines Mannes geheiratet und lebt jetzt in Libyen. Wir haben so viel Zeit zusammen verbracht, und jetzt sind sie so weit weg ... Wir telefonieren, aber meine Mutter kennt noch nicht einmal meine beiden jüngsten Kinder. Ich wünschte, sie könnten kommen, aber es ist zu teuer. Sie können sich das nicht leisten.

Naja, 26, Hausfrau








Samer, 34, Handelsvertreter

Am 1. Januar 2014 habe ich Damaskus verlassen. Einer meiner Brüder war von Assads Leuten ermordet worden, und die anderen beiden waren in Gefangenschaft. Meine Eltern bestanden darauf, dass ich Syrien verließ. Mit meiner Frau und meinen drei Kindern ging ich in den Libanon, nach Sahla. Dort blieben wir neun Monate. Es war schwierig, dort Arbeit zu bekommen, deshalb verließ ich schließlich meine Familie und machte mich auf den Weg nach Europa. Ich ging nach Algerien, wo ich einen Schmuggler anheuerte, um mich über Tunesien nach Libyen zu bringen und von dort mit dem Schiff nach Europa. Ich bezahlte insgesamt 3400 US Dollar, und trotzdem wurde ich in Tunesien verhaftet und verbrachte eine Nacht im Gefängnis. Nach meiner Freilassung und vier Stunden auf der Ladefläche eines Pick-ups kam ich in Suara an, wo das Boot ablegen sollte. Zunächst mussten wir jedoch einen Kilometer bis zur Küste laufen, dann etwa 15 Meter schwimmen und schließlich in das kleine Boot klettern, das uns zum Hauptschiff brachte. Wir waren 340 Passagiere auf zwei Ebenen. Ohne Gepäck saßen wir nass und frierend im Boot. Kurz darauf ging die Schiffsschraube kaputt. Kaum hatten die Schlepper sie repariert, wiesen sie einen von uns ein, wie man das Schiff steuert, und dann ließen sie uns mitten im Meer allein. Als einige Zeit später der Motor aussetzte, kam Wasser ins Boot und wir begannen zu sinken. Ein Hubschrauber sah uns, aber für 230 Menschen kam jede Hilfe zu spät. Ich hatte Glück. Nach fünf Stunden im Meer warf mir jemand eine Leiter zu, sodass ich auf das Rettungsboot klettern konnte. Mein Handy hatte ich sicher an meinem Körper befestigt; so konnte ich meine Frau gleich nach der Ankunft anrufen. Als mich ein italienischer Polizist schlug, um meine Fingerabdrücke zu bekommen, ging es aber kaputt. Ich möchte nicht mehr gedemütigt werden. Ich möchte nach Hause.







Ich habe die Jeans und das karierte Hemd auf dem Schiff getragen. Ich bin auf einem 16 Meter langen Fischerboot zusammen mit 464 anderen Menschen gefahren. Die meisten waren Syrer und Palästinenser, aber es waren auch noch etwa fünfzig Afrikaner an Bord. Wir haben drei Tage auf dem Schiff verbracht, bis wir von einem indischen Gastanker gerettet wurden. Ich habe diese Kleider extra ausgesucht, weil sie mich an meine Frau erinnern. Wir haben die Jeans zusammen in Jordanien gekauft, und das Hemd war ein Geschenk zu unserem siebten Hochzeitstag vor drei Jahren. Es ist mein Glückshemd. Immer wenn ich es trage, habe ich das Gefühl, meiner Familie nahe zu sein. Die Badehose habe ich unter der Jeans getragen. Ich dachte, sie könnten nützlich sein, falls das Schiff untergehen sollte und wir schwimmen müssten. Gott sei Dank ist nichts Derartiges passiert, und alle meine Kleider blieben trocken. Die Jacke ist auch aus Jordanien. Sie erinnert mich an meine Frau. Außerdem ist sie schön warm und war praktisch für die Reise. Es war schließlich sehr kalt nachts auf dem Schiff ... obwohl ich im Sommer gefahren bin. Den Schal hat mir meine Frau vor etwa sechs Jahren geschenkt. Und dann hatte ich noch eine Mütze, aber die finde ich nicht mehr.

Rami, 30, Möbellackierer

Ich wünschte, meine Familie wäre bei mir. Ich vermisse meine Frau und meine beiden Kinder. Sie wohnen derzeit bei meinen Schwiegereltern in Jordanien. Ich hoffe, dass ich sie bald nach Deutschland holen kann. Ich liebe meine Heimatstadt Homs, aber die ist so zerstört, dass wir dort keine Zukunft mehr haben. Ich wünsche mir einfach nur eine gute Zukunft für meine Kinder, und in Syrien gibt es keine.







Die Jeans habe ich vor etwa eineinhalb Jahren zu Eid in Benghazi gekauft. Als unser Haus in Homs 2011 zerstört wurde, zogen wir dorthin. Wir hatten gehofft, dass die Unruhen bald zu Ende sein würden und wir nach Hause zurückkehren könnten. Ich mag die Jeans immer noch, aber jetzt ist sie nicht einfach mehr irgendeine Hose ... Sie ist ein Andenken ... Ich erinnere mich, wie wir jenes Eid mit unseren Freunden und unserer Familie im Garten verbracht haben. Wir hatten ungefähr zwanzig Gäste zu Besuch. Es war schön, aber solche Feiertage sind in Syrien schöner. Zu Hause geht man Leute besuchen und auf Grillpartys ... Die Sporthose ist aus demselben Laden wie die anderen Kleider. Ich habe dort gerne eingekauft – die meisten anderen Geschäfte in Benghazi hatten nur traditionelle arabische Kleidung. Auf der Hose steht AC Milan, aber ich hab sie nur so gekauft ... zum Rumlaufen. Mein Lieblingsteam ist Bayern München. Auf dem Schiff habe ich die Shorts unter meiner Jeans getragen. Wenn mir heiß wurde, zog ich die Jeans einfach aus. Man konnte nichts mitnehmen – je mehr man also übereinander anziehen konnte, desto besser. Fast jeder auf dem Schiff musste sich übergeben. Meine Kinder auch. Während der ganzen drei Tage habe ich nichts gegessen außer ein paar Datteln – das hat der Schlepper uns empfohlen, und damit ging es mir gut. Schließlich wurden wir von einem Öltanker gerettet. Um hinaufzukommen, mussten wir 15 Meter an einer Strickleiter emporklettern. Ich hatte Angst um die Kinder. Wir mussten sie tragen. Zur Beruhigung habe ich auf der ganzen Fahrt Koranverse mit diesen Kopfhörern gehört.

Mohammad, 33, Autolackierer

Wir mussten alles zurücklassen, aber ich bin deshalb nicht traurig. Ich bin froh, dass wir hier sind. Gott sei Dank ging alles gut.



Ich wollte nicht nach Europa kommen, aber ich hatte keine Wahl. Wir mussten gehen ... unserer Kinder wegen. Ich hatte große Angst, aber ich bin froh, dass wir jetzt hier sind. Meine Eltern und Geschwister sind noch in Syrien, in einem Dorf bei Aleppo. Ich wünschte, sie könnten auch kommen. Wir telefonieren nur selten – der Empfang im Dorf ist sehr schlecht. Mein Bruder geht manchmal in ein Internet-Café, dann können wir chatten. Die Abaya habe ich in Libyen gekauft. Sie ist ungefähr zwei Jahre alt, und ich hatte sie oft an. Die Kleiderordnung in Libyen ist sehr streng. Neben der Abaya musste ich einen Niqab – einen Gesichtsschleier – und Handschuhe tragen ... ohne durfte eine Frau das Haus nicht verlassen. Wir hatten Angst. Ich mag diese Abaya – besonders die Ärmel, aber ich ziehe sie nicht mehr an. Sie hängt nur noch als Erinnerung im Schrank. Hier trage ich einen Mantel und einen Hijab, wenn ich rausgehe – ich habe das Gefühl, freier atmen zu können. Gerne möchte ich auch noch etwas lernen. Ich habe die Schule mit 16 verlassen.

Alaa, 26, Hausfrau

Der Igel ist aus Libyen. Er ist so süß. Ich habe ihn als Anhänger für meinen Hausschlüssel gekauft. Als ich den Schlüssel an den Vermieter zurückgeben musste, behielt ich den Igel. Er erinnert mich an zu Hause. Ich vermisse unser Haus und die Nachbarn. Ich hatte zwei sehr gute Freundinnen dort. Oft saß ich mit meinen Geschwistern im Garten ... Ich denke oft an unsere Zeit in Libyen. Die Haarspange ist ein Geschenk von meinem Mann. Sie gefällt mir. Unter der Abaya habe ich dieses Oberteil getragen. Es ist mein Lieblingsoberteil. Ich mag die Farbe und den Schnitt. Es erinnert mich an einen schönen Tag mit meinen Freundinnen. Ich hatte auch noch ein Täschchen mit Schmuck dabei – aber das ist unterwegs verlorengegangen.


Diese Kleider hatte ich auf dem Schiff an. Das weißte T-Shirt zieht man über das andere. Es war noch ganz neu. Ich hatte alles an, und deshalb war mir nicht kalt. Ich habe aber viel geweint. Dann wurde ich von einer Person zur nächsten gereicht, bis zu meinem Papa. Dann war es besser. Da waren ganz viele Kinder auf dem Schiff. Viele haben geweint. Wir hatten keinen Platz zum Spielen.

Anas, 3




Die lila Bluse und der Rock gehören zusammen. Ich habe beides letztes Jahr zu Eid bekommen. Sie sind vom Markt in Libyen. Ich war mit Mama und Papa einkaufen. Wir waren oft einkaufen. Sie waren noch ganz neu, als wir weggegangen sind, und deshalb wollte ich sie mitnehmen. Unsere Nachbarn wollten, dass ich sie ihnen schenke, aber mein Papa hat gesagt, ich darf sie mitnehmen. Das T-Shirt war ein Geschenk von dem Mann, dem der Laden gehört. Ich hatte es mit einer Jeans auf dem Schiff an. Den Rock und die Bluse hatte meine Mama in ihrer Tasche. Meine besten Freundinnen zu Hause hießen Nadja und Maria. Wir sind gerne auf Matratzen gehüpft. Das war lustig! Und ich hatte viele Teddys. Ich hab sie alle an meine Freunde verschenkt.

Inas, 6, Schülerin

Jetzt habe ich neue Freundinnen. Sie heißen Lisa und Hala. Wir spielen viel draußen. Ich gehe gerne in die Schule. Es gefällt mir in Deutschland.







Ich habe den Pulli schon lange ... Vor etwa sieben Jahren hab ich ihn in Syrien gekauft. Auf dem Al-Hamidiya-Markt in Damaskus. Ich mag ihn besonders gern. Ich habe ihn mitgenommen, weil er warm ist und bequemer unter einer Jacke zu tragen als ein Hemd. Ich hatte eine schwarze Jacke dabei, aber die habe ich auf dem Boot zurückgelassen. Wir hatten auch zwei Taschen dabei, aber als wir nach sechs Tagen auf dem kleinen 21-Meter-Boot von einem großen Frachtschiff gerettet wurden, haben wir nur unsere Kinder geschnappt und sind die Leiter hinaufgeklettert. Unser Gepäck, unsere Kleider und Medikamente blieben zurück. Alle ließen ihr Gepäck im Boot. Wir hatten Glück, dass das Schiff rechtzeitig zu unserer Rettung kam. Uns war aufgefallen, dass wir immer mehr und mehr Wasser im Boot hatten, und wir hatten Angst. Wir sandten einen Notruf aus. Alle schrien und weinten, doch wir haben es geschafft. Die schwedische Besatzung auf dem Frachtschiff war wunderbar.

Mohammad, 41, Lebensmittelhändler

Die Hose ist aus Ägypten. Wir haben dort ein Jahr und drei Monate gewohnt, bevor wir nach Europa kamen. Wir wären geblieben, wäre es für Syrer nicht unmöglich geworden, dort zu arbeiten. Ich habe in einer Fabrik gearbeitet, die Jeans färbt. Das Bleichmittel wird von Hand aufgesprüht, und so ist jedes Stück ein klein wenig anders. Dies ist eine Stretch-Jeans. Sie ist sehr bequem, und ich habe sie selber gefärbt. Aber jetzt hat sie Rostflecken vom Boot. Der Gürtel ist aus Syrien. Ich trage ihn immer noch. Wir haben in der Nähe des Markts gewohnt, deshalb haben wir fast alles dort gekauft. Wir hatten eine schöne ZweieinhalbZimmer-Wohnung im Zentrum von Damaskus. Das Handy hat mein Schwager meiner Frau gekauft. Zur Geburt unseres jüngsten Sohnes hat er ihr ein neues geschenkt, und ich bekam dieses.



Auf dem Schiff habe ich den Pulli unter einem dünnen, schwarzen Mantel getragen. Ich hatte mit den Kindern eine Kabine, deshalb war mir nicht kalt. Aber der Mantel wurde nass und schmutzig, und so ließ ich ihn zurück. Ich trage normalerweise immer einen langen Mantel in der Öffentlichkeit. Der Pulli ist sehr bequem. Ich habe ihn auf dem Al-Hamidiya-Markt gekauft. Das ist ein sehr guter Markt in Damaskus. Ich mag gerne schöne Kleider. Bevor wir die Reise antraten, habe ich alle meine Kleider an bedürftige Menschen verteilt. Ägypten zu verlassen, war meine Idee. Mein Mann hatte Angst, aber wir hatten kein Zuhause mehr, und ich hatte keine Lust mehr, von einem Verwandten zum nächsten zu ziehen. Ich entschied also, dass es das Beste sei, mit dem Schiff nach Europa zu fahren. Ich hatte ein gutes Gefühl. Ich dachte, entweder sterbe ich oder ich überlebe, aber zumindest haben meine Kinder die Chance auf eine bessere Zukunft. Meine Hauptmotivation war die Zukunft meiner Kinder. Ich hatte nie ernsthaft geglaubt, dass wir sterben könnten ... erst in den letzten paar Stunden auf dem Schiff ... Ich sah meine Kinder weinen und fragte mich, ob ich wirklich richtig entschieden hatte. Aber dann wurden wir gerettet.

Hiam, 40, Lehrerin

Die Jeans ist aus Ägypten. Es ist eine Schwangerschaftshose – einige Monate zuvor kam unser jüngstes Kind auf die Welt. Mein Hijab ging unterwegs kaputt – eine Frau in Italien hat mir einen neuen geschenkt. Darunter trug ich dieses Haargummi. Ich trug es zufällig am Tag der Abfahrt. Ich bin froh, in Deutschland zu sein. Ich möchte nur eine sichere Zukunft und eine gute Ausbildung für meine Kinder. Hauptsächlich vermisse ich die Fotos, die ich zurücklassen musste ... aber das Wichtigste ist, dass mein Mann und meine Kinder bei mir sind.







Die Weste und die Jeans habe ich in einem Laden in meiner Heimatstadt Hama gekauft. Beide sind etwa sechs Jahre alt. Die Jeans trage ich sehr gerne, aber die Weste brauchte ich in Syrien selten. Ich habe sie mitgebracht, weil sie schön warm ist und ich ahnte, dass es auf dem Schiff kalt werden würde. Das Schiff, auf dem ich fuhr, war nur ein kleines Fischerboot – und wir waren 500 Passagiere. Etwa 200 Personen waren unter Deck und der Rest oben. Nach dreizehn Stunden wurden wir von einem italienischen Militärschiff gerettet und nach Foggia gebracht. Von dort fuhr ich weiter nach Frankreich ... eigentlich wollte ich nach Schweden, wo mein Bruder wohnt, aber in Kiel wurde ich erwischt, und so bin ich jetzt in Deutschland. Der Gürtel ist ca. vier Jahre alt. Ich trage immer einen Gürtel. Die Gebetskette heißt Misbaha. Sie gehörte meiner Mutter. Sie hat sie vor fünf Jahren aus Ägypten mitgebracht. Sie trug sie immer in ihrer Handtasche. Vor einem halben Jahr hat sie sie mir geschenkt. Ich bete damit. Ich vermisse meine Mutter und denke an sie, wenn ich die Kette halte.

Mohammad, 32, Computerprogrammierer

Ich wünsche mir, dass meine Eltern und meine Schwestern auch bald hierher kommen können – oder noch besser wäre es, wenn der Krieg bald zu Ende wäre und ich zurück nach Hause könnte.







Das Hemd ist aus meiner Heimatstadt Homs. Ich mag diese Blautöne. Ich habe es zufällig an jenem Tag in Sousse in Tunesien getragen, als der Schmuggler kam, um uns abzuholen. Es war das zweite Mal, dass wir jemanden bezahlt hatten, um uns nach Europa zu bringen. Der andere hatte sich mit 60,000 Dollar aus dem Staub gemacht. Dieses Mal haben wir erst bezahlt, als wir in Italien angekommen waren. Ich kannte Deutschland gut. Ich war schon oft geschäftlich hier – oft bis zu drei Monate am Stück. Als das Leben in Kairo immer schwieriger wurde, sah ich in Deutschland unsere einzige Chance – und da es keinen legalen Weg gab, dorthin zu kommen, wandten wir uns an einen Schmuggler. Die Jacke ist ein Geschenk von einem guten Freund in Spanien. Ich war damals auf Geschäftsreise in Spanien ... Ich habe sie mitgenommen, weil sie sehr warm und bequem ist und auch, weil sie mich an meinen Freund Saad erinnert. Er lebt in einem Schlösschen in Granada. Ich hoffe, wir können ihn bald einmal besuchen. Das Handy ist aus Syrien. Ich habe einfach die SIM-Karte in jedem Land ausgetauscht, und es funktionierte perfekt. Auf dem Boot hatte ich es in Plastik eingewickelt, und es funktionierte auch in Italien noch einwandfrei. Der erste Anruf auf europäischem Boden ging an meine Tochter im Libanon. Sie konnte nicht mit uns mitkommen, da sie an Diabetes leidet.

Hassan, 48, Geschäftsmann

Den internationalen Führerschein habe ich, weil ich oft im Ausland war. Ich hatte eine erfolgreiche Firma, die mit Autoteilen handelte. Ich hatte mit Mercedes, Skoda, VW und Opel zu tun ... Aber meine Lieblingsmarke ist Mercedes. Ich habe noch einen alten, champagnerfarbenen Mercedes zu Hause. Mein Neffe fährt ihn jetzt.


Die Hose ist aus Ägypten. Ich habe sie vor etwa einem Jahr in der Stadt des 10. Ramadan in der Nähe von Kairo gekauft. Dort haben wir gewohnt, bevor wir hierher kamen. Das Oberteil habe ich von der Frau vom Onkel meines Mannes bekommen. Ich habe es an einem Ausflug getragen, den wir mit ägyptischen Freunden meines Mannes unternommen haben. Das war schön. Während der Fahrt auf dem Schiff hatte ich es zusammen mit der Jeans in meiner Handtasche. Der Schlepper hatte uns zwar versprochen, unsere Kleider und Taschen ins Boot zu bringen, da ich aber bereits viele schlimme Geschichten gehört hatte, glaubte ich ihm nicht und behielt meine Tasche bei mir. Ich hatte ein olivgrünes T-Shirt und eine schwarze Hose an, aber beides habe ich weggeworfen, als wir in Italien ankamen. Sie waren schmutzig und zerrissen. Meine schwarze Handtasche musste ich auch wegwerfen. Alles war kaputt. Die Uhr ist ein Geschenk von meiner Schwester. Als sie zu Beginn des Krieges nach Ägypten zog, hat sie sie mir zur Erinnerung geschenkt. Als wir schließlich auch nach Ägypten zogen, wohnten wir zwei Jahre bei ihr. Sie wollte nicht mit nach Europa kommen. Ihr Mann ist Libanese. Er hat einen guten Job dort. Für uns als Syrer war dort zu bleiben jedoch keine Option, da wir in Ägypten nicht arbeiten können und unsere Kinder keine Schule besuchen dürfen. Ich nehme diese Uhr niemals ab. Nicht mal auf dem Boot. Sie ist wasserdicht, deshalb war das kein Problem. Ich hatte große Angst auf dem Schiff – richtige Panikattacken. Aber es ist gut, hier zu sein. Es ist sicher, und die Kinder haben eine gute Zukunft. Es ist auch besser für mich. Ich habe Freunde hier. Ich vermisse nur meine älteste Tochter. Sie ist noch in Ägypten. Sie hat gerade ein Kind bekommen. Ich möchte so gerne mein Enkelkind sehen.

Shaza, 42, Hausfrau



Der Hijab ist aus Ägypten. Dort haben wir zwei Jahre gewohnt. Ich habe ihn selbst gekauft. Ich brauchte einen neuen, und die Farbe gefiel mir sehr gut. Ich erinnere mich speziell an einen Tag in Kairo, an dem ich ihn getragen habe. Meine Familie und die Familie meines Onkels haben damals eine Schifffahrt auf dem Nil gemacht. Das war schön. Das Haargummi war ein Geschenk von meiner Schwester. Wir waren in Homs einkaufen. Meine Schwester, meine Mutter und ich. Das ist fünf Jahre her. An dem Tag haben wir auch noch zwei T-Shirts gekauft – eines für meine Schwester und eines für mich. Meine Schwester ist noch in Ägypten. Ich vermisse sie. Ich vermisse auch meine Freundinnen aus Syrien. Als wir nach Ägypten zogen, sollte es eigentlich nur für eine kurze Zeit sein. Wir dachten, wir würden uns bald wiedersehen. Jetzt sind wir hier, eine Freundin ist in Amerika, eine im Libanon und eine in Saudi Arabien ... Wir sind über Facebook und WhatsApp in Kontakt, aber es ist nicht dasselbe. In Ägypten hatte ich nur zwei Freundinnen – eine aus Syrien und eine aus dem Irak. Auf der Fahrt trug ich eine Jeans, ein Jeanshemd und graue Stiefel. Wir kamen im Winter. Ich hatte keinen Mantel, denn der war in der Tasche, die die Schlepper mir geklaut haben. Es war sehr kalt und nass auf dem Boot, aber ich war so müde, dass ich trotzdem schlafen konnte. Als ich aufwachte und sah, dass wir mitten auf dem Meer waren, bekam ich Angst. Warum tut man Menschen so etwas an? Als ob wir nichts wert wären. Dennoch habe ich nie an der Entscheidung gezweifelt. Ich hatte immer die Hoffnung, dass wir sicher ankommen würden. Ich möchte in Deutschland Medizin studieren und Frauenärztin werden, und dann hoffe ich, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können.

Yara, 18, Schülerin




Die Hose ist aus Tunesien. Ich habe sie von meinem Freund bekommen. Er ist schon erwachsen. Er heißt Mohammad. Er fuhr mit uns nach Deutschland. Er wohnt jetzt in Konstanz. Mohammad ist mein Freund, der immer mit mir Fußball gespielt hat, seit wir in Ägypten gewohnt haben. Ich spiele so gerne Fußball, aber ich bin nicht sehr gut ... Mein Lieblingsteam ist Barcelona. Ich war noch nie bei einem Spiel – ich habe es immer nur im Fernsehen angeschaut. Auf dem Boot trug ich außerdem ein T-Shirt mit der britischen Fahne drauf. Es war ein Geschenk von meinen Verwandten in Ägypten. Leider musste ich es in Italien lassen. Ich hatte auch Schuhe, aber als uns das Rettungsboot abgeholt hat, bin ich ohne diese hinübergeklettert.

Abud, 11, Schüler

Ich habe meinen Freunden erzählt, dass wir nach Europa gehen. Eigentlich sollte ich nichts sagen, aber ich habe es trotzdem getan ... Omar, Fadel, Ahmad, Asla ... Denen habe ich von der Reise erzählt. Jetzt haben wir keinen Kontakt mehr. Ich vermisse sie und würde so gerne wieder zurück nach Ägypten gehen. Ich bin traurig, dass wir hier sein müssen.









Ich habe die Jacke letztes Jahr in einem Einkaufszentrum in Damaskus gekauft. Sie gefällt mir. Sie ist aus echtem Leder. Es war immer eine sehr schicke Jacke, aber auf der Reise bekam sie einen Riss, und der Regen und das Wasser haben dem Leder zugesetzt. Um zum Boot zu gelangen, mussten wir alle durchs Wasser laufen. Es ging mir fast bis zum Hals. Das Einzige, was ich tragen konnte, war mein Sohn. Meine Tasche mit allem, was ich hatte, musste ich zurücklassen. Meine Kleider waren klatschnass. Auch diese Jacke. Wir saßen alle im Boot, ohne trockene Wechselklamotten, und es war sehr kalt. Wir wurden alle krank. Unsere Fahrt begann in Alexandria. 576 Menschen waren auf dem Schiff. Es hatte zwei Stockwerke, aber das untere war voll Wasser. Einer der Motoren war kaputt, und der zweite lief auch nicht richtig, sodass wir ihn selbst reparieren mussten. Letztendlich mussten wir mitten auf dem Meer das Schiff wechseln. 400 Personen stiegen in ein Schiff und die restlichen in ein kleines, hölzernes Fischerboot. Nach zwei Tagen mussten wir in ein größeres Schiff umsteigen. Darauf waren bereits andere Leute. Die hatten kein Trinkwasser und nur schimmliges Brot. Einige Menschen wollten nicht in dieses Boot steigen, aber die Schlepper drohten, sie umzubringen, wenn sie sich weigerten. Die Leute auf dem Schiff hatten bereits acht Tage auf uns gewartet. Sie waren in einem schrecklichen Zustand.

Mohammad Majid, 52, Automechaniker

Mitten im Meer das Schiff zu wechseln war sehr gruselig. Das Schaukeln der Wellen machte es schwierig, den richtigen Moment abzupassen. Einige sind dabei ins Wasser gefallen, aber keiner ist ertrunken. Wir haben es sogar geschafft, zwei Menschen im Rollstuhl hinüberzuhieven. Ich hatte große Angst. Es war eine Todesreise.



Alles, was mir von dieser Reise geblieben ist, ist mein Handy. Es war mein erstes Handy. Ich habe es aus Ägypten. Damals war es das neueste Modell. Ich trug es immer bei mir und bekam ständig Nachrichten über WhatsApp und Facebook. Auf der Fahrt hatte ich es in eine Plastiktüte eingewickelt, aber es wurde trotzdem nass. Ich hab mich so bemüht, es trockenzuhalten, aber es ging trotzdem kaputt. Leider. Jetzt habe ich ein neues Handy, aber das ist auch kaputt und wird gerade repariert.

Ayham, 18, Schüler

Ich habe regelmäßig Kontakt mit meinen Freunden in Syrien. Allerdings nicht jeden Tag, da die Verbindung dort oft nicht sehr gut ist. Die meisten meiner Freunde sind noch dort. Ich vermisse sie. Und ich vermisse die Straßen, auf denen ich gelaufen bin, und meine Familie, die noch dort ist. Ich vermisse mein Zuhause, aber im Moment möchte ich nicht zurück. Ich möchte hier in Deutschland eine Zukunft für mich aufbauen. Ich möchte gerne Ingenieurwesen studieren. Ich interessiere mich für Medizintechnik.


Der Mantel und der Hijab sind alles, was ich von der Reise noch habe. Den Mantel habe ich vor ungefähr vier Jahren auf dem Markt in Damaskus gekauft. Er steht mir gut. Ich hatte mehrere Kleider für die Reise eingepackt – die besseren hatte ich in einer Tasche, die wollte ich in Italien anziehen. Aber dann konnte ich die Tasche gar nicht mitnehmen, und so habe ich jetzt nur noch den Mantel und den Hijab. Ich habe auch meine Handtasche verloren – oder vielmehr habe ich sie in Italien weggeworfen. Dort habe ich eine neue Tasche und neue Kleider gekauft. In der Öffentlichkeit trage ich immer einen langen Mantel. Ich habe diesen Mantel an Eid 2012 bei einem Besuch bei meiner Mutter in der Türkei getragen. Das war ein schön. Den Hijab hab ich mitgebracht, weil er zum einen gut zum Mantel passt und zum anderen, weil verheiratete Frauen fast immer schwarze Kopftücher tragen. Ich habe ihn auch im Zug nach Deutschland getragen. Viele Leute sagen, dass ich sehr deutsch aussehe mit meinen hellen Haaren und blauen Augen ... Wahrscheinlich wäre ich ohne Kopftuch weniger aufgefallen ... aber es gehört zu mir und zu meiner Religion und zu meiner Kultur und ich trage immer eines. Ich habe keine Erinnerungsstücke dabei. An was soll ich mich auch erinnern? Wir hatten eine schreckliche Zeit in Syrien und eine schreckliche Zeit in Ägypten und eine schreckliche Zeit auf dem Boot. Am meisten vermisse ich meine Familie. Meine Tochter wohnt mit ihrem Mann und Kind im Sudan, meine Eltern leben in der Türkei und meine fünf Schwestern sind noch in Damaskus. Aber ich bin froh, dass wir jetzt hier sind.

Raghdaa, 42, Kindergärtnerin




Ich gehe noch nicht zur Schule, aber ich freue mich schon so sehr darauf. Ich war einmal zu einem Schnuppertag dort, und es war sehr schön. Diese Jeans ist aus Ägypten. Meine Mama hat sie mir gekauft, als wir in Kairo gewohnt haben. Das Loch am Knie ist passiert, als ich mit dem Roller hingefallen bin. Da hab ich auch meinen Arm gebrochen und musste zum Arzt. Jetzt habe ich Metallplatten im Arm. Als es passierte, waren wir neu in Deutschland. Jetzt ist die Jeans zwar ein bisschen kaputt, aber ich mag sie immer noch. Gestern habe ich eine andere Hose zerrissen, als ich vom Fahrrad gefallen bin. Das passiert halt ... Als wir in Ägypten gewohnt haben, durfte ich nie alleine draußen mit meinen Freunden spielen. Ich durfte höchstens mit meiner Mutter in den Park gehen. Am liebsten bin ich zum Vergnügungspark gegangen. Das hat Spaß gemacht. Ich fahre gerne mit den schnellen Achterbahnen. Eine war wie ein ganz, ganz schneller Wurm. Die war toll. Ich spiele auch gerne Fußball. Wo wir jetzt wohnen, gibt es viele Kinder. Ich habe Freunde hier. Ich wohne gerne hier. Als wir Ägypten verlassen mussten, habe ich mich von meinem Freund Manar verabschiedet. Ich habe ihm erzählt, dass wir gehen – ihm und meinem Cousin Rawad. Der wohnt jetzt in Saudi Arabien. Ich kann mich noch gut an das Schiff erinnern. Mir war so schlecht, und ich musste dauernd brechen. Die haben uns mitten auf dem Meer von einem Schiff in ein anderes geworfen. Eines war aus Holz und das andere aus Metall und die beiden sind immer zusammengekracht. Ich träume immer noch davon. Ich gehe zum Doktor deswegen. Wais, 6

Ich kann sehr gut schwimmen, aber Schiffe mag ich nicht mehr. Wenn ich groß bin, werde ich Pilot.




















Originalausgabe Idee, Fotos, Text und Layout © Kiki Streitberger, 2015 www. kikistreitberger.com E-Mail: info@kikistreitberger.com Herausgeber: crazeebee books, London, 2015 www.crazeebee.com E-Mail: info@crazeebee.com Korrektorat: Miriam Neidhardt Das vorliegende Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. ISBN: 978-0-9565789-5-2 Druck: Finidr, s.r.o. Für Vertriebsinformationen wenden Sie sich bitte an info@crazeebee.com




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