Hans Peter Treichler, Die Tyrannei des Geldes

Hans Peter Treichler

Die Tyrannei des Geldes Henri-Frédéric Amiel über Besitz und Bürgertum

Hans Peter Treichler

Die Tyrannei des Geldes Henri-Frédéric Amiel über Besitz und Bürgertum

Conzett Verlag

4 Autor und Verlag danken für die Förderung des Werks durch die STEO-STIFTUNG ZÜRICH

Alle Rechte vorbehalten Nachdruck in jeder Form sowie die Wiedergabe durch Fernsehen, Rundfunk, Film, Bild- und Tonträger, die Speicherung und Verbreitung in elektronischen Medien oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung des Verlags 1. Auflage 2012 © Conzett Verlag by Sunflower Foundation, Zürich Satz und Gestaltung: Vreni Stoob, St. Gallen Bildbearbeitung: Meithal AG, Zürich Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany isbn 978-3-03760-010-8 Weitere Informationen finden Sie unter www.conzettverlag.ch und www.sunflower.ch

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Inhalt

Vorwort

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Kapitel 1

Ein Leben im Rückwärtsgehen

Kapitel 2

Genf – die magischen Jahre

21

Kapitel 3

Der Literat und das Geld oder La tyrannie de l’écu

29

Kapitel 4

Liebe und Mitgift

43

Kapitel 5

Standesgemäss leben

59

Kapitel 6

Les reflets de l’or: Psychologie des Geldes

75

Kapitel 7

Der Schweizer Franken: Patenkind des Elysées

87

Kapitel 8

Das Geld und die Zeit

99

Kapitel 9

Banken und Börsen

123

Kapitel 10

Gefahr des Versteinerns: das Bürgertum

139

Epilog

Ein Liebhaber des Halbschattens

153

9

Anhang

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Bibliografie

158

Bildnachweise

159

Textnachweise

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Jahr für Jahr – Zeittabelle

165

Register

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Vorwort

Genf im 19. Jahrhundert: Täglich schreibt der Philosoph Henri-Frédéric Amiel seine Eindrücke nieder und hinterlässt 16’900 Seiten gelebtes Leben.

Ein Journal intime mit verblüffenden Gedanken und Ideen. Denn Amiel trifft 150 Jahre vorweg den Kern der Finanz- und Gesellschaftskrise des angehenden 21. Jahrhunderts.

«Die bürgerliche Gesellschaft», mahnt Amiel im Tagebuch, «die sich auf das Geld gründet, geht durch das Geld unter, wenn das Symbol die Sache selbst ersetzt.»

Das schreibt Amiel 1851. Es ist die Zeit der grossen Romane von Victor Hugo und Honoré de Balzac. In Paris. Auch im kleinen Genf sitzt einer, der sich Gedanken macht. Gedanken, die heute so aktuell sind wie damals.

Was spricht Amiel hier an? Wer das Geld mit der Sache selbst verwechselt, erkennt die Beziehungen hinter dem Geld nicht. Alles wird materialisiert. Doch wenn wir auch die menschlichen Beziehungen materialisieren, geht die herkömmliche Gesellschaft unter. Wie ungeheuerlich wirkt seine Prophezeiung erst für eine Zeit, in der wir das Symbol, die Banknote, die Münze nicht mehr anfassen können? Eine neue Gesellschaftsform bahnt sich an.

Gerne verfolgen wir Amiels Gedanken zu Geld, aber auch zu Liebe und Mitgift, zum Bürgertum, zum Genf seiner Zeit.

Jürg Conzett

Henri-Frédéric Amiel in seinen ersten Jahren als Dozent an der Académie (Porträt von 1852). Viele Bekannte merkten seine Ähnlichkeit mit dem Freiheitshelden Garibaldi an. Der Poet und Philosoph Amiel ist aber alles andere als ein Kämpfer. Zurückgezogen lebend, führt er während Jahrzehnten ein Tagebuch voller tiefsinniger Einsichten über das Wesen des Menschen und der Gesellschaft.

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Kapitel 1

Ein Leben im Rückwärtsgehen

Combien un peu d’or de plus ou de moins change la vie!

Cela révolte la fierté de l’âme. La tyrannie de l’écu est avilissante.

Il est ignoble de poursuivre la fortune; il est irritant de dépendre de Mammon.

Ein paar Goldstücke mehr oder weniger – wie sehr verändern sie doch das Leben! Das empört die Seele in ihrem Stolz. Die Tyrannei des Geldes ist erniedrigend. Es ist würdelos, dem Reichtum nachzujagen; es ist irritierend, vom Mammon abhängig zu sein.

Ein Leben im Rückwärtsgehen

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Der Mann, der diese Sätze festhielt, brauchte nicht würdelos dem

Geld nachzujagen. Henri-Frédéric Amiel (1821–1881) stammte aus einer gutsituierten Genfer Kaufmannsfamilie, erhielt schon mit 28 eine Professur für Ästhetik an der Genfer Académie und wurde in seinen Kreisen als geistreicher, liebenswürdiger Causeur geschätzt. Frauen liebten seinen sanften, ein wenig melancholischen Blick und seine einfühlende Art; er galt für manche Genfer Familien als begehrter Junggeselle. Zwar trug ihm die Stellung als Dozent nur ein bescheidenes Gehalt ein, aber Amiels Eltern hatten ihren Kindern ein ansehnliches Vermögen hinterlassen. Sowohl Vater wie Mutter verstarben früh; die Familie eines Onkels hatte den 13-jährigen Henri-Frédéric und die beiden Schwestern aufgenommen und ihnen eine «standesgemässe» Erziehung ermöglicht. Für Amiel bedeutete das: Ausbildung an der Académie, daran anschliessend lange Studienjahre im Ausland, vor allem in Berlin, Abschluss in Philosophie und Geistesgeschichte, die Berufung nach Genf.

Trotzdem fand sich Amiel im mittleren Lebensalter in einer unbequemen Zwischenstellung. Zur aristokratisch getönten Genfer Oberschicht der Gelehrten und Bankiers mit Namen wie Pictet, Dufour und de Saussure, die er als «gutes altes Felsgestein» achtete, hielt er Abstand. Noch weniger behagten ihm die dynamischen Kaufleute und Unternehmer radikaler Prägung. Sie hatten in den Mittvierzigerjahren in einem blutigen Putsch die politische Macht erobert und Amiel indirekt zu seinem Posten verholfen.

Denn unter dem Diktat des charismatischen Regierungspräsidenten James Fazy entliessen die Radikalen den Grossteil der konservativ gesinnten Dozenten der Académie, sofern diese nicht von sich aus kündigten. Amiel brach, beflügelt von der Aussicht auf einen Lehrstuhl, seine Studien in Berlin ab und erhielt prompt seine Berufung. Die noch ausstehende Dissertation schrieb er in ein paar Wochen herunter; im Oktober 1849 hielt er die erste Vorlesung.

Aber die folgenden Jahre zeigten Amiel seine schiefe Stellung immer deutlicher auf. Weder gehörte er zum «Felsgestein» noch war er Radikaler,

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Kapitel 1

vom Temperament her eher ein stiller Gelehrter, doch mit künstlerischem Ehrgeiz. Er veröffentlichte, ohne grossen Erfolg, einige Gedichtbände, die ihn einem Kreis von Literaten, Malern und Musikern nahebrachten. Aber die damit verhakte Welt der Genfer Boheme blieb ihm zutiefst fremd, und die Bohemiens selbst rieben ihm seinen einzigen wahrhaften Publikumserfolg unter die Nase: Amiel hatte unter dem Titel Roulez, tambours! ein reichlich pathetisches Vaterlandslied verfasst. Zahlreiche Studienfreunde von früher waren Theologen und jetzt als Pfarrer oder Dozenten in der Stadt tätig. Aber auch zu ihnen fehlte ihm der rechte Zugang. Sie schienen ihm verkörpert in seinem Schwager Franki Guillermet: rechtschaffen und dabei ehrgeizig, dauernd gemessen an ihren Erfolgen mit «schwungvollen», «mitreissenden» Predigten – ein Graus!

Auch in Amiels Beziehung zu den jungen Frauen seines Kreises zeigte sich eine deutliche Fehlhaltung. Anmutige und gescheite Töchter voller Herzensbildung wurden ihm vorgestellt; sie schieden aus, eine nach der anderen. Sara Cherbuliez, die Tochter eines Dozentenkollegen, hat «tieffarbene meergrüne Augen» und errötet sichtlich, wenn er sich zur Runde im Salon gesellt. Ein reizendes Mädchen, ein grundsolides, gebildetes und sympathisches Milieu ... aber: keine Mitgift! Die Pfarrerstochter Henriette Vaucher zeigt «liebenswerte Ehrlichkeit und bescheidene Güte», ist hübsch und vermögend ... aber: zahlreiche Gebrechen im Familienkreis, beunruhigende Erbanlagen! Im April 1858, nach zahlreichen Bekanntschaften, muss Amiel gestehen: «Ich bin praktisch unverheiratbar (in-mariable), weil ich eine ungeheure Abneigung gegen den Zufall hege.»

Weshalb sollten wir uns befassen mit diesem wenig überzeugenden Dozenten und erfolglosen Poeten? Es war gerade die unbehagliche Stellung zwischen zwei Welten, die aus dem nach aussen hin so umgänglichen Junggesellen einen rabiaten Skeptiker und scharfen Beobachter seiner Umgebung machte, aber auch einen ewigen Zweifler und Zauderer. Ein grösseres kulturgeschichtliches oder philosophisches Werk, wie Amiel es zeitlebens von sich selbst verlangte, gelang ihm nicht. Dafür waren die Selbstzweifel zu mächtig, verschlang die Vorbereitung der Vorlesungen zu viel Zeit und Energie. Kam hinzu, dass er schon vor seiner Rückkehr nach Genf und erst recht von da an die Gewohnheit angenommen hatte, am Abend jedes Tages seine Eindrücke und Überlegungen schriftlich festzuhalten. Obwohl er

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sich selbst verdächtigte, in dieser Routine «einen Ersatz für das Leben zu suchen» und seine schöpferische Kraft in einen Nebenkanal abzuleiten, hielt er bis kurz vor seinem Tod an den täglichen Einträgen fest. Den Erben fiel ein Konvolut von 170 Heften zu, insgesamt 16’900 dicht beschriebene Seiten. Sie deckten die drei Jahrzehnte von der Jahrhundertmitte bis zu Amiels Tod praktisch lückenlos ab. Amiel selbst hatte die Papiere sorgfältig in Schachteln aufbewahrt, sie nummeriert und datiert und die Titelseiten mit Merksprüchen und Versen versehen. Bemerkungen und Verweise in den Seitenspalten zeugen davon, dass der Autor sein Journal intime immer wieder durchging, in den alten Heften blätterte, auch wenn er sich selbst oft dafür schalt, «ein Leben im Rückwärtsgehen» zu verbringen.

Was ihm vorschwebte, war eine Art Digest, eine Blütenlese, die nach seinem Tod erscheinen würde. Könnte man, so wünschte er, von diesem hüfthohen Stoss von Seiten «deren 500 retten, so ist das viel, vielleicht genug».

Genauso sollte es sich abspielen: 1883 brachte der einstige Freund Edmond Scherer, jetzt Redaktor in Paris, die Fragments d’un journal intime heraus.

Es waren Tagebuchauszüge in zwei Bänden, über die Einträge von Jahrzehnten hinweg herausgepflückt, dazwischen gestreut Gedankensplitter und Aphorismen aus Amiels vergessenen Gedichtbänden. Die Fragments fanden auf Anhieb durchschlagenden Erfolg, wurden ein Dutzend Mal neu aufgelegt, in viele europäische Sprachen übersetzt. Nietzsche, Hofmannsthal und Gide priesen sie, Leo Tolstoi leitete eine russische Ausgabe in die Wege und fand in den Fragments Passagen «voller Leben, Weisheit, Lehrhaftigkeit und Trost». Sie würden, so Tolstoi im Vorwort, «für immer eines jener besten Bücher bleiben, die uns unverhofft hinterlassen wurden von Menschen wie Marc Aurel, Pascal, Epiktet». In gewissem Sinn erfüllten die beiden Bändchen die Forderung, die der Autor immer wieder an sich selbst gestellt hatte: ein die Generationen überdauerndes œuvre zu schaffen.

Vor allem aber machten sich die Merksprüche selbständig, die Kernsätze und Aphorismen. Sie erschienen auf den Rückseiten von Kalenderblättern und in schmucken Almanachen – grosse Wahrheiten in kleiner Form, viele davon mit mahnendem, warnendem Unterton: «Das Schicksal hat zwei Möglichkeiten, uns zu zermalmen: indem es sich unseren Wünschen versagt – oder sie erfüllt.» «Der Mensch, der alles vollkommen klar sehen will, bevor er sich entscheidet, fasst nie einen Entschluss.» Die Hausfrau, die am Morgen das perforierte Kalenderblatt abtrennte, las vielleicht

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«Ein Irrtum ist umso gefährlicher, je mehr Anteile an Wahrheit er enthält», sinnierte womöglich über einem Ausspruch wie «Jede Landschaft ist ein Zustand der Seele – Un paysage quelconque est un état de l’âme». Vieles, was uns heute als redensartliche Formel erscheint, stammt aus dem Journal intime, beispielsweise «Man ist so alt, wie man sich fühlt». Ebenso das vielzitierte «Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg», das wir eher einem amerikanischen Manager-Handbuch zuordnen würden (Nothing succeeds like success). Amiel hielt die Einsicht im März 1868 fest, bezeichnenderweise an einem Tag, an dem er sich schlaff und unwohl fühlte: Rien ne réussit comme le succès. Von Amiel stammt auch das von Zivilisationsskeptikern vielfach übernommene und abgewandelte Wort «Tausend Dinge rücken vor, 999 machen einen Schritt zurück. Das nennt man Fortschritt». Selbstverständlich sind seine Aphorismen heute auch auf dem Internet abrufbar, unter Sparten wie Best Quotes Amiel oder Amiel Quotes and Sayings. Aus dem Selbstzweifler, dem schüchtern-charmanten Professor ist eine Art Guru geworden, ein Mann des knappen und präzisen Wortes.

Heute liegt das Journal intime vollständig im Druck vor, in zwölf dickleibigen Bänden, nach einer verlegerischen wie wissenschaftlichen Parforcetour, die 1994 abgeschlossen wurde. Der Index gibt nur einen schwachen Eindruck der Themen, die Amiel im Verlauf der drei Jahrzehnte abhandelte, dies neben den gleichsam gesetzten Einträgen über die praktischen Tätigkeiten, über das tägliche va-et-vient. Ausführliche Passagen handeln von Religion, Philosophie, Politik, von der zeitgenössischen Genfer Gesellschaft, der Psychologie der Nationen, vor allem aber: vom Seelenleben des Autors selbst. Die tägliche Stunde am Schreibtisch erlaubte ihm, «allen Purzelbäumen und Bocksprüngen des inneren Lebens zu folgen», den Menschen zu studieren «anhand eines komplizierten Exemplars der Rasse» – seiner selbst. Dazu gehören Einsichten, die man heute der Tiefenpsychologie zuordnen würde. Amiel hielt zahlreiche Träume fest und interpretierte sie mit erstaunlichem Scharfblick für die Abläufe und Finten des Unbewussten. Manche Einsichten über die Mechanismen des Traums nehmen die Erkenntnisse von Freuds 1900 erschienener «Traumdeutung» vorweg – um Jahrzehnte.

Das einführende Zitat weist darauf hin: Die folgenden Kapitel befassen sich mit Amiels Ausführungen zum Geld, zu Besitz und Besitzdenken, zur

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Ungleichheit der Güterverteilung und zum Verhältnis von Prestige und Vermögen. Gleichsam von der Seitenlinie aus folgte der Aussenseiter Amiel einer Art Versteinerungsprozess, der sich innerhalb der Bourgeoisie vollzog. Der alte Genfer Kaufmannsgeist, der Leistung und Verdienst betonte, schien ihm im Verschwinden begriffen. Eine Mentalität des Behaltenwollens, der Absicherung schien ihm überhandzunehmen; im Zentrum stand der Besitz, als absolute Grösse. «Die bürgerliche Gesellschaft», mahnte Amiel im Tagebuch, «die sich auf das Geld gründet, geht durch das Geld unter, wenn das Symbol die Sache selbst ersetzt.»

Das war eine Entwicklung, die sich nur schwer in Zahlen fassen liess.

Anders die Welle von Spekulation und zügellosem Gewinnstreben, welche die Stadt um die Jahrhundertmitte heimsuchte. 1852 war die Genfer Börse gegründet worden, die erste der Schweiz, vier Jahre später hatte sie sich in der Form der Ringbörse etabliert. Hier trat eine neue Generation von Financiers auf den Plan: Kaufleute und Unternehmer mit dem Ehrgeiz, Genf ans internationale Finanzwesen anzugliedern. Gestandene Geschäftsmänner – so Amiel – trieben sich nun im Börsenvorsaal herum, statt sich ihrem Unternehmen zu widmen: «Was für ein stumpfsinniges und unterwürfiges Metier! Das Sinnen und Trachten des Menschen darauf gerichtet, die Krümel vom Geld einzusammeln, die Goldstücke schwitzen zu lassen, vorne dranzubleiben im Spiel von Kauf und Verkauf, Hausse und Baisse, Terminkauf und freiem Kauf – puuuh!» Die wachsenden Umsätze der Börse zeugten von der Faszination des neuen Instituts, aber auch die zahlreichen Konkurse und Insolvenzerklärungen, Selbstmorde und Skandale. Davon blieb selbst die Banque Générale Suisse nicht verschont. Unter Bürgermeister James Fazy 1853 eröffnet, war sie mit 25 Millionen Gründungskapital für damalige Verhältnisse ein Big Player, engagierte sich für den Bau eines Kanals durch Panama und bei der Bahngesellschaft Chemins de fer de l’Ouest, beide Male mit grossen Verlusten. Nach dreizehn Jahren ging sie in Konkurs. Fazy verlor sein gesamtes Vermögen; zahlreiche Anleger erlitten schwere Einbussen. «La ruine est facile pour les châteaux de cartes», kommentierte Amiel; Kartenhäuser stürzen leicht zusammen.

Was er «Plutolatrie» nannte, die Verehrung oder Anbetung des Geldes, war für ihn auf heillose Weise verknüpft mit den Vereinigten Staaten, mit dem dort herrschenden Ideal des selfmade man. Obwohl überzeugter Anhänger des republikanischen Prinzips, stand Amiel den demokratischen

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Idealen der absoluten Gleichberechtigung skeptisch gegenüber. «Wenn es einmal nur noch gleichberechtigte Einzelwesen geben wird, ohne Unterschied zwischen jung und alt, zwischen Mann und Frau, Empfängern und Wohltätern, wird der gesellschaftliche Unterschied allein vom Geld ausgehen.» La différence sociale se fera par l’écu.

So wie seine Stellung in der Gesellschaft auf schwankendem Grund ruhte, war Amiel ein nachlässiger Verwalter der eigenen Einkünfte und seines Vermögens. «Diese ganzen Budgetangelegenheiten langweilen mich», meldet das Tagebuch jeweils zu Jahresbeginn, «und ich gestehe zu meiner Schande, dass ich die Flinte ins Korn geworfen und meine Konten das ganze Jahr nicht nachgeführt habe.» «Ich weiss nicht, was ich genau eingenommen habe», heisst es an anderem Ort, «und was ich berechtigterweise ausgeben darf – kurz: meine Geschäfte stehen Kopf und es ist möglich, dass meine Befürchtungen lächerlich sind oder meine Hoffnungen verstiegen.» Und weshalb fehlte ihm «der Instinkt für das Eigentum, das Beherrschen und Besitzergreifen»? Hatte dieser Mangel zu tun mit dem Schicksal seines Vaters? Jean-Henri Amiel hatte sich während Jahren aufgerieben im Kampf um die Erbschaft seiner Gattin, in einem zermürbenden Rechtsstreit mit Vorladungen, Urteilen, Anfechtungen und gehässigen Anschuldigungen. Der Vater, ein Kaufmann, war seinem Instinkt gefolgt, hatte gekämpft. Aber stand es denn einem Philosophen, einem homme d’esprit wie Amiel junior, an, sich in die Niederungen des Feilschens und Prozentrechnens zu begeben oder sich mit seinem Arbeitgeber über die Höhe des Salärs zu streiten?

Auch das sind Fragen, auf welche die folgenden Kapitel eingehen: die Stellung des Literaten in Staat und Wirtschaft, die Psychologie des Geldes ganz allgemein, über die das Tagebuch bemerkenswerte Einsichten liefert.

In seiner Gesamtheit bietet das Journal intime Stoff für eine Art Ökobiografie, den finanziellen Lebenslauf eines Einzelnen. Darüber hinaus offeriert es viele Einblicke in die Besitz- und Erwerbsmentalität einer Epoche, die der heutigen in vieler Hinsicht gleicht.

Wie müssen wir uns den äusseren Rahmen vorstellen, in dem dieses Leben abläuft? Spielt die «Tyrannei des Geldes», die der Eingangstext anspricht, darin eine Rolle? Und hält sich der Autor selbst an die Einsichten und Maximen, die seinen Namen weltweit bekanntmachten? Sein Alltag in den

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Jahren ab 1850 folgt jedenfalls einem geordneten Rhythmus mit Vorlesungen, meist an drei Wochentagen, mit Prüfungen und Benoten von Semesterarbeiten. Gelegentlich übernimmt Amiel eine Vortragsreihe bei den öffentlichen Veranstaltungen im Hôtel de Ville, einer Art Volkshochschule.

Aber hier wie dort wird erwartet, dass der Redner frei spricht, weder auf Notizen schaut noch gar vom fertig formulierten Script abliest. Das erschwert Amiel die Aufgabe ungemein. Nur im privaten Kreis kann er im Gespräch überzeugen und mitreissen. Vor Publikum fühlt er sich unsicher und gehemmt. «Dreissig Ideen genügen mir nicht, um eine Stunde zu füllen», heisst es so oder ähnlich immer wieder, «so wenig weiss ich meine Exposition zu entwickeln, auszufüllen und zu polstern. Auch stelle ich fest, dass ich überhaupt nichts zu meiner intellektuellen Verfügung habe, keine Manövriermasse, keinen Grundstock.»

Der Sommerurlaub führt Amiel gelegentlich ins Ausland, 1851 beispielsweise an die Weltausstellung in London, meist aber in die Gegend rund um Montreux, die er über alles liebt. Hier läuft er im ungezwungenen Kreis der Pensionsgäste gelegentlich zu grosser Form auf, trägt an regnerischen Nachmittagen ganze Bühnenstücke vor, gibt au vol, aus dem Stand, jeder Rolle ihre eigene Stimme. Manche Gäste sind den Tränen nahe und vergleichen ihn mit den besten Vorlesern auf Europas Bühnen, stellen ihn noch über den berühmten Mimen Eduard Devrient.

Ein vielseitiger Mann – wenn man ihn lässt. Aber der Alltag in Genf kennt kaum solche Sternstunden. Wenn nach der Vorlesung ein Student mit einer Frage an der Tür zum Hörsaal wartet, wird dieser kleine Erfolg bereits im Tagebuch vermerkt. Nach der Verheiratung seiner Schwester Fanny mit Pastor Franki Guillermet, einem hageren Geistlichen, schliesst sich Amiel der Familie an, als eine Art Pensionär. 1859 zieht der Haushalt in eine geräumige Stadtwohnung an der Cour Saint-Pierre, dem Kathedralenplatz im Herzen der Stadt. Amiel übernimmt zwei Mansardenzimmer, stattet sie aus mit seiner umfangreichen Bibliothek von 2500 Bänden. Das ist alles idyllisch, gemütlich, mit knisterndem Kaminfeuer und dem Blick über die Dächer der Altstadt – aber kein Raum zum Vorzeigen. Stattet ihm ein auswärtiger Student seine Antrittsvisite ab, muss er ihn im Salon von Fanny und Franki empfangen. Hier ist womöglich nicht aufgeräumt, brennt kein Feuer im Kamin ... ein unbefriedigender Zustand!

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Kapitel 1

Auf die Dauer lässt sich der gemeinsame Haushalt mit der Pfarrersfamilie nicht aufrechterhalten: «Zehn Jahre haben den Vorrat an gutem Willen aufgebraucht, und ich sollte auf eigenen Füssen stehen.» 1869 – als 48-Jähriger – bezieht Amiel erstmals eine eigene Wohnung. In die gleiche Zeit fällt sein erster und letzter ernsthafter Versuch, eine Familie zu gründen; er verlobt sich mit der Pastorentochter Anna Droin. Aber nach wenigen Wochen geben sich die beiden ihre Briefe und Geschenke zurück. Zu unterschiedlich sind die Erwartungen: Amiel hat die stille Art der Verlobten als Tiefsinn und Abgeklärtheit interpretiert, Anna ihrerseits fühlt sich vom Anspruch auf gehaltvolle Gespräche und Briefe völlig überfordert.

Es bleibt ein Kreis anteilnehmender und bewundernder Freundinnen, von Aussenstehenden als les amiélines belächelt. Man trifft sich im Sommer und Herbst in den Kurorten am Léman zu gemeinsamen Ausflügen und Gesprächen, man wechselt Briefe. Als besondere Gunstbezeugung wertet es der Musenzirkel, wenn eine der Anhängerinnen ein Heft des Journal intime ausgeliehen erhält. Besonders die Lehrerin Fanny Mercier ist von der überragenden literarischen Bedeutung des Tagebuchs überzeugt.

Sie ist es denn auch, die eine Auswahl markanter Passagen und Merksprüche zusammenstellt und nach Paris übermittelt, dies in den Monaten nach Amiels Tod. Denn in den späten 1870er-Jahren verschlechtert sich seine Gesundheit zusehends: Atemnot, Hustenkrämpfe, allgemeine Schwäche.

Die Vorlesungen, an denen er bis Februar 1881 festhält, erschöpfen ihn immer mehr. Die letzten Monate verbringt er, kaum je das Haus verlassend, in der Pension von Berthe Vadier, einer weiteren Freundin, die er ma filleule nennt – seine Patentochter. Sie und ihre Mutter pflegen ihn aufopfernd; der letzte Eintrag im Journal ist denn auch ein Dank an ihre Hingabe. Er stammt vom 29. April; zehn Tage später stirbt Amiel. Das Krankenzimmer ist vollgestellt mit Blumen, Dosen voll Konfekt und anderen Geschenken, die in den letzten Wochen eingetroffen sind – «von Freunden, die zum Teil weit entfernt wohnen», wie er verwundert feststellt.

In keiner anderen Epoche verändert sich das Stadtbild von Genf so radikal wie in den Jahren um 1850. Die Stadt öffnet sich zum See; es entstehen grosszügige Quaianlagen und Strassenblocks mit Hotels und Kaufhäusern. Sie besetzen den Platz, den zuvor die seit langem unnütz gewordenen Befestigungsanlagen eingenommen haben.

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Kapitel 2

Genf – die magischen Jahre

Genève devient de plus en plus la ville neutre et cosmopolite où se débattent tous les grands procès d’idées et où se commencent les institutions humaines.

Genf wird mehr und mehr zur neutralen und kosmopolitischen Stadt, wo sich die grossen ideellen Auseinandersetzungen abspielen und wo die menschenfreundlichen Institutionen ihren Anfang nehmen.

Genf – die magischen Jahre

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« s war zu dieser Zeit», schreibt Jean-Elie David, «dass der Kanton die alten Kanonen der Schanzen verkaufte. Ich habe sie Seite an Seite stehen sehen, in einem Schuppen, den man neben der Bastion de Hollande errichtet hatte. Sie waren nutzlos geworden, weil die gesamten Befestigungsanlagen geschleift wurden.» Das einprägsame Bild einer Parade ausgedienter Geschütze, von Grünspan befallen, stammt aus den Jugenderinnerungen des Landvermessers David, den wir noch näher kennenlernen werden – und es verkörpert auf eindrückliche Weise einen Wendepunkt in Genfs Geschichte. In den frühen 1850er-Jahren liess die Stadt den breiten Befestigungsgürtel abtragen, der sie seit dem 17. Jahrhundert umschlossen hatte: ein Panzer aus Stein, ein System aus Wällen, Mauern, Bollwerken und Forts, das ebenso viel Raum beanspruchte wie die alte Stadt selbst.

Aber die Schanzen waren genauso nutzlos geworden wie die alten Kanonen, die nun am Holland-Bollwerk auf den Schrotthändler oder den Liebhaber von Antiquitäten warteten. Beide mussten sie weg – und mit ihnen das alte Genf.

Was sich nach der «Entfestigung» herausschälte (ein Wort, das Amiel zugesagt hätte), war die uns heute vertraute Stadt. Sie wendete sich dem See zu, mit dem Bau von grosszügigen Quais, Uferpromenaden, Brücken und Parks. Die 1857 eingeweihten beiden jets d’eau setzten mit ihren Fontänen dieser Öffnung ein Denkmal. Das tat auch die fünf Jahre später eröffnete Montblanc-Brücke, die gleichsam einen Schlussstrich unter die Ära der Enge und Einkapselung zog. Viele Neuerungen der Epoche von 1850 bis 1870, die uns hier interessiert, gehen zurück auf die Aufbruchszeit der Jahrhundertmitte. Sie wird durchwegs verknüpft mit dem Namen von James Fazy, dem tatendurstigen Genfer Staatsmann und Publizisten. 1846 hatte sich seine radikaldemokratische Partei an die Macht geputscht, und bis zu seiner Abwahl 18 Jahre später bestimmte Fazy weitgehend die Geschicke der Stadt. Dabei stützte er sich auf eine Ämterkumulation, wie sie höchstens noch in Zürich dem eine Generation jüngeren Alfred Escher zugestanden wurde. Fazy war Bankengründer und -präsident, Genfer Regierungspräsi-

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Kapitel 2

dent, Ständerat in Bern, dazu Besitzer und Herausgeber des tonangebenden Journal de Genève: ein Macher, ein wortgewaltiger Redner und Schreiber, ein Herrschertyp, der sich als Mann des Volks gebärdete.

Im Journal de Genève erschienen gelegentlich auch die Abhandlungen und Rezensionen Amiels, aber im Journal intime ist jede Erwähnung Fazys grundiert von tiefem Misstrauen, ja von Hass. Zwar anerkannte Amiel das génie révolutionnaire des Politikers und zollte den Radikalen eine Art grollenden Respekts. Die konservative Seite könne vielleicht – so Amiel – Form und Tradition für sich beanspruchen, aber Kraft, Idee, Konzept fänden sich allein beim Radikalismus, auch wenn sie eine unheilvolle Zukunft verhiessen. «Bei unseren Radikalen sagen mir weder die Personen noch die Grundsätze zu. Bei den Konservativen schätze ich die Menschen, aber nicht ihre Maximen.» Fazy selbst war in seinen Augen ein zynischer Volksverführer, der «unter dem Deckmantel der Demokratie die Fahne der Lüge hisste». Seine Verehrer, die fazylâtres, waren verantwortlich für die Verrohung der politischen Sitten: Blutsauger, gewissenlose Karrieristen.

So wie Amiel dachten viele Genfer, die von Naturell oder Erziehung her zum vieux Genève der Konservativen neigten. Entsprechend brachten sie durchwegs das Regime Fazy mit dem radikalen Umbau in Verbindung, der das neue Genf schuf. Dabei hatte bereits Kantonsbaumeister GuillaumeHenri Dufour, genialer Kartograf und zwei Mal Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, die ersten Weichen gestellt. Der «Ring», der nach der Entfestigung auf ehemaligem Schanzengebiet einen Gürtel von Strassen, neuen Wohnquartieren, Parks und Plätzen brachte, war noch unter dem konservativen Regime konzipiert worden. Zur Umsetzung aber brauchte es die harte Hand des Machers Fazy. Die nach dem Schanzenabbruch erschlossenen Grundstücke wurden an die Meistbietenden verkauft. Mit dem Ertrag – und öffentlichen Anleihen in für die Schweiz ungewöhnlicher Höhe – finanzierte das neue Regime Brückenbauten, ein Wasserkraftwerk in der Rhone und selbst ein Kasino. Dieser cercle des étrangers, prominent an der Seefront gelegen, galt den Konservativen als Inbegriff des vulgären neuen Genf der Emporkömmlinge und Glücksritter.

Zusammen mit dem bebauten Gebiet wuchs in den zwei genannten Jahrzehnten auch die Einwohnerzahl massiv an: von rund 37’000 auf 60’000. Neue Kirchen wurden gebaut: die katholische Notre-Dame, eine

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Synagoge, eine anglikanische Kapelle – sie alle erst ermöglicht durch die neu verankerte Freiheit der Religionsausübung. Gleichsam als Gegenstück entstand 1856 der Bau der Börse, den Skeptiker spöttisch als «Fazy-Tempel» bezeichneten. Ein Jahr zuvor war das Palais électoral eingeweiht worden.

Es ersetzte als Versammlungs- und Wahllokal die Kathedrale Saint-Pierre; in den Augen vieler hatten die tumultuösen Auseinandersetzungen während des Umsturzes den ehrwürdigen Boden dieser Kirche entweiht. Als wären der Baustellen noch nicht genug, hatte die Stadt im gleichen Jahrzehnt den Bau zweier Bahnlinien zu verkraften. 1858 brachte, ausgehend von der Gare de Cornavin, die Eröffnung der Schienenstrecken nach Lausanne und nach Lyon. Wenig später verkehrte auf Genfs Strassen ein seltsamer pferdegezogener Omnibus auf Schienen: die erste Strassenbahn des Landes! Auch die Académie mit ihren altehrwürdigen, aber bröckligen Hörsälen hatte ausgedient. Amiel selbst schrieb die Eröffnungshymne für den Universitäts-Neubau. Er kam in die Bastions zu liegen – ein Niemandsland zu Füssen der mittelalterlichen Befestigung, mit alten Bäumen und malerischen Teichen, wo im Frühjahr die Nachtigallen sangen und die Frösche quakten. «Die Frösche wichen den dicken Mauern», erinnert sich Landvermesser David, «die Gräben wurden aufgefüllt.»

Genf war im Baufieber, Genf hatte den Anschluss an die nationalen und internationalen Bahnnetze geschafft. Aber im Frühjahr 1860 gerieten Stadt und Kanton auch in den Brennpunkt eines aussenpolitischen Konflikts – und an den Rand eines Kriegs. Beim italienischen Einigungskrieg des Vorjahrs hatte sich Frankreich an die Seite von Sardinien-Piemont gestellt; gemeinsam hatten die Partner gegen die österreichische Vorherrschaft auf italienischem Boden gekämpft. Dass sich Frankreich einen Preis für die Hilfestellung ausbedungen hatte, wurde erst nach dem Frieden von Zürich (November 1859) offenkundig. Das ehemalige Herzogtum Savoyen sollte zu Frankreich geschlagen werden – eine Erweiterung des Staatsgebiets um 10’000 Quadratkilometer. Zu ihnen gehörten die Provinzen Chablais und Faucigny am Südufer des Genfersees. Die Verträge am Wiener Kongress von 1814/15 hatten hier eine entmilitarisierte Zone geschaffen und der Schweiz das Recht eingeräumt, Nordsavoyen im Kriegsfall militärisch zu besetzen. Jetzt, mit der Annexion, drohte dieses Recht zu erlöschen. Genf, auf allen Seiten von französischem Gebiet umschlossen, würde sich in einer strategisch unhaltbaren Lage finden. In Bern pochte der Bundesrat

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Kapitel 2

auf eine Neutralisierung des Léman-Südufers und verlangte nach einer internationalen Schlichtungskommission; in Paris gab man sich zurückhaltend.

Die Savoyerfrage kam während Monaten nicht zur Ruhe. Vorübergehend brachte ein Angebot von Napoleon III. Entspannung: Er sei gewillt, die beiden Provinzen an Genf «abzutreten». Es fiel bald in Vergessenheit, denn Savoyens Bevölkerung stimmte dem Anschluss an Frankreich mit überwältigendem Mehr zu – auch im Norden. Eine kriegerische Minderheit in Bern und Zürich plädierte für sofortiges militärisches Eingreifen; ein Genfer Grossrat namens John Perrier dampfte, zusammen mit einer Handvoll Anhänger, mit einem gekaperten Ausflugsschiff nach Thonon und versuchte einen genffreundlichen Aufstand anzuzetteln. Perrier, oft als «rechte Hand Fazys» bezeichnet, scheiterte kläglich und wurde nach seiner Rückkehr inhaftiert.

Viele Bauarbeiten in Genf gerieten während des Konflikts ins Stocken. Erzürnte Anhänger Perriers belagerten das Rathaus, wo die Rädelsführer der verunglückten Expedition in Haft sassen. Amiel selbst schildert, wie er sich auf dem Nachhauseweg von einer Vorlesung zwischen den Ordnungstruppen mit ihren aufgepflanzten Bajonetten durchzwängen musste: «Wer da?

Halt! Wegtreten! schallt es von allen Seiten. Wir befinden uns praktisch im Ausnahmezustand.» Die «abscheuliche Eskapade» von Perrier schien ihm die Ruchlosigkeit des Regimes von Fazy ein weiteres Mal zu bestätigen.

Als dieser vier Jahre darauf abgewählt wurde, kam es erneut zu blutigen Unruhen; abermals entsandte Bern eidgenössische Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung. Aber in eben diesem Jahr 1864 unterzeichneten die Vertreter von zwölf europäischen Staaten im Hôtel de Ville die Genfer Konvention zum Schutz der Kriegsverletzten und ihrer Betreuer: die Geburtsstunde des Roten Kreuzes! Was als städtebaulicher Kraftakt begonnen hatte, wirkte sich in einem viel allgemeineren Sinn aus. Genf öffnete sich nach aussen, wurde zur Stadt mit internationaler Ausstrahlung. Das bestätigte sich erneut im Jahre 1872, als Genf zum Gastgeber einer Schlichtungskonferenz wurde. Das so genannte Alabama-Schiedsgericht legte eine brisante Streitfrage zwischen Grossbritannien und den USA bei, die zu eskalieren drohte; zwei Grossmächte regelten ihren Konflikt auf friedliche Weise. Für einmal empfand auch Amiel Stolz auf seine Heimatstadt.

Genf – die magischen Jahre

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Nirgends anders als hier werde «das Buch des Fortschritts und des Rechts geschrieben», meldet das Tagebuch, «das Buch der weltweiten Zivilisation».

Kaufen und Verkaufen, Markten und Feilschen ... Der Strassenhändler mit seinem Bauchladen voller Bänder, Seifen und Knöpfe verkörpert das Genf der zweiten Jahrhunderthälfte, die dem Handel rasant wachsende Umsätze bringt. Es entsteht eine florierende Börse, und die Zahl der Banken steigt steil an.

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Kapitel 3

Der Literat und das Geld oder La tyrannie de l’Êcu

Je constate mon défaut croissant de goût pour tout ce qui est finances, placement, comptabilité, etc. J’aime l’ordre, mais je ne puis souffrir les basses œuvres par lesquelles il s’effectue.

Je suis heureux qu’on abatte les chiens malades, mais je ne saurais faire le valet de ville.

Ich stelle meine wachsende Abneigung gegen alles fest, was mit Finanzen, Investitionen, Buchhaltung und so weiter zu tun hat.

Ich liebe die Ordnung, aber ich ertrage die erniedrigende Arbeit nicht, mit der sie erstellt wird.

Ich bin froh, dass jemand die tollwütigen Hunde abtut, aber ich könnte nicht Abdecker sein.

Der Literat und das Geld oder La tyrannie de l’écu

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Selber bezeichnete sich Amiel mit Vorliebe als lettré, homme de lettres,

seltener als savant, Letzteres mit deutlichen Abstrichen. Denn gehörte zum Intellektuellen, zum Literaten nicht gerade, dass er ständig auf der Suche blieb? Dass er auch als Dozent auf dem Katheder die Frage nach der Erkenntnis vermittelte und nicht die Erkenntnis selbst? Nicht von ungefähr dominierte in Amiels Gedichten, im Penseroso oder in La Part du rêve, das Ungelöste, der offene Schluss. Zahlreiche Verszeilen münden in eine Frage, manchmal mehrere Male pro Strophe: Suis-je une femme enfin ou suis-je une statue?

Seule, pourquoi faut-il que le désir me tue?

Stellvertretend für die Gesellschaft blieb der homme de lettres offen für Fragen und mögliche Antworten. Er suchte neue Wege in der Welt des Geistes und neue Furten durch die Strömungen der aktuellen Philosophie – anders als der Geistliche, der sonntags von der Kanzel die Gewissheiten des protestantischen Kanons verkündete. Aber was Amiel im Haushalt von Schwager Franki Guillermet täglich vor Augen geführt bekam: Die Genfer Kirche bot mehreren Dutzend Pfarrern ein anständiges Auskommen, eine behagliche Existenz im gutbürgerlichen Rahmen. Welche Möglichkeiten blieben dagegen dem Intellektuellen, der sich genauso wie Franki als Diener des Wortes sah, nur in einem weiter gesteckten Rahmen? Der Lehrstuhl an der Académie, den der junge Amiel mit so grossen Hoffnungen übernommen hatte, erwies sich immer deutlicher als harter und ungepolsterter Sessel.

Es gab zahlreiche Verpflichtungen neben den eigentlichen Vorlesungen, Sitzungen über Lehrpläne, Examen und Ernennungen; beim Institut national genevois blieb das Sekretariat der Abteilung Literatur an Amiel hängen.

Keine dieser Aufgaben wurde entschädigt. Es blieben einzig das Jahresgehalt für die Professur und der Anteil an den Semestergeldern, das verhasste casuel. Denn diese Sporteln waren völlig ungewiss und hingen ab von der Anzahl eingeschriebener Studenten; diese wiederum schwankte je nach

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Attraktivität des Kursthemas. Oft kam zum jährlichen Grundgehalt von 2000 Francs nur ein lächerliches Trinkgeld hinzu. «Mon casuel académique du semestre d’hiver est réduit à rien», notiert das Tagebuch mehr als einmal.

Kurz: Wie Genf die Dozenten seiner Académie bezahlte, war eine Schande, une vergogne. «Es reicht gerade für den Ankauf der nötigen Bücher und die Kosten einer Ferienreise.» Die meisten seiner Kollegen, so musste Amiel feststellen, behandelten diese Einkünfte – Gehalt wie Sporteln – als schlechten Witz. Aber dem Unglücklichen, der sein Budget auf diese Beträge stützen musste, waren sie eine trübe Quelle von Kummer und Enttäuschung: un nid à chagrins et une boîte de déceptions ... Gehörte es denn nicht zu den Aufgaben des Staates, seinen Vordenkern einen bescheidenen Wohlstand zu garantieren? Aber nein, für einen kleinen Beamteten der Hochehrwürdigen Republik, Sérénissime République, stellte noch der bescheidenste gesellige Anlass eine unverantwortliche Ausschweifung dar. Amiel bekam das einmal mehr zu spüren, als er im Februar 1867 ein paar Kollegen und Freunde zu einem kleinen Souper einlud und dann die Rechnung überreicht erhielt. «Jedes Glas Wein stellt die Balance auf den Kopf!», klagt das Tagebuch. «Es ist beschämend, daran zu denken. Fünfzehn Gäste stellen, so scheint es, einen ungeheuren Luxus dar für einen Professor, der kein Kapitalist ist. Nur schon eine einzige solche Einladung im Monat würde mehr als die Hälfte meiner mageren Einkünfte verschlingen.»

Wie kam es, dass nur in einem einzigen Beruf die Löhne stagnierten, und zwar bei der «ehrenhaftesten aller Beschäftigungen», nämlich der des Unterrichtens? So wie der Intellektuelle von heute, der seinen Stundenlohn bestürzt mit dem des Garagisten oder Heizungsinstallateurs vergleicht, verwarf Amiel die Hände: «Der kleinste Kommis, der schäbigste Zahnbrecher verdient mehr.» Nein, es lag auf der Hand: Unterrichten, Dozieren war ein Beruf für Gimpel. Wer ihn ergriff, wurde vom Staat über den Tisch gezogen. Noch nicht einmal eine bescheidene Rente für die alten Tage schaute heraus! «Was wird man in diesem métier (...) doch übers Ohr gehauen! Ein Leben lang für Nussschalen schuften! (...) Wenn ich daran denke, bewahre ich nur mit Mühe die Ruhe. Die Republik bestiehlt ihre Diener, und das Schicksal spielt den Geistesarbeitern übel mit.» Denn zur Freiheit des Wortes und des Gedankens gehörte notwendigerweise die

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Freiheit von den Sorgen des Alltags. Und die stellte das Gehalt der Académie nicht einmal für einen Junggesellen sicher, geschweige denn für eine Familie, die ein verwegener Springinsfeld allenfalls zu gründen wagte.

La gêne, die Bedürftigkeit. Alle Einträge Amiels bezeugen es: Der ärgste Feind des Geistesarbeiters war nicht die nackte Armut. Die Armut stellte die Betroffenen vor ein Entweder-oder, stellte eine existenzielle Herausforderung dar: Man rappelte sich hoch, oder man endete in der Gosse.

Was den jungen oder älteren Professor, was den Redaktor oder Künstler lähmte, das war die tägliche Rechnerei, das Schielen auf das Haushaltbuch und den monatlichen Abschluss. Amiels Tagebuch findet vielerlei Ausdrücke dafür: Rappenspalterei, la préoccupation du centime, das unübersetzbare boursicotage, das Scharwenzeln rund um die Geldbörse. Vor allem aber: la gêne, die Bedürftigkeit, die Bedrängnis, die Klemme. Wer als geistig Schaffender, als Literat in dieser Klemme sass, war verloren, war unfrei, auch wenn er sich freier Künstler nannte. «Die Freiheit wird zur Knechtschaft, wenn sie andauernd gegen die Bedürftigkeit kämpfen muss», heisst es im Journal intime vom März 1866. «Diese ängstliche Sorge um jeden Rappen, diese zwanghafte und erzwungene Sparsamkeit – was ist sie, wenn nicht erniedrigendste Sklaverei?»

Amiel notierte diese Überlegungen nach einer Diskussion mit Tante Julie. Julie Brandt, eigentlich eine Cousine seiner Mutter, war 17 Jahre älter als er und als Romantikerin aufgewachsen, mit Idealen, die Amiel eher einer Romanze des Biedermeier zuordnete als der Wirklichkeit. Julie lebte in einer Welt, in der sich das Glück noch in der ärmlichsten Hütte fand und wo mausarme Liebende Liedchen wie L’Amour avec l’eau claire trällerten.

«Sie versteht nichts von den Bedürfnissen des heutigen Lebens, so als hätte sie wie Epimenides vierzig Jahre in einer Höhle verschlafen.» Was sollte er mit den Ratschlägen einer romantischen alten Jungfer anfangen? In ihrer Naivität rührten und ärgerten sie ihn zugleich.

Wo Tante Julie recht hatte: Der lettré, auch der Künstler, lebte in einer Welt des Geistes und bezog aus ihr seine Würde und seinen Trost. Aber wie lange hielten Würde und Trost vor für den Literaten in seiner Dachkammer, den Maler im zugigen Atelier? Auf die Dauer mussten beide an den Kleinlichkeiten des Alltags scheitern. «Die Bedürftigkeit», heisst es kurz später im Tagebuch, «ist letztlich noch schlimmer als die Einsamkeit,

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da sie unfehlbar das intellektuelle Leben abtötet.» Denn das geistige Leben, der Gestaltungsdrang des Künstlers gingen von der Prämisse aus, dass es keine Grenzen gab – für die Wissbegierde, für die Welt der Formen, Klänge und Farben. Wer aber täglich seine Francs und Centimes umdrehen musste, wurde auf Schritt und Tritt ans Limit erinnert, an Schranken und Beschränkung. «Geld zählen heisst eine Grenze ziehen», notiert Amiel, «heisst sie anerkennen, sich vor der Notwendigkeit beugen.» Nein, es gab nur eins für den Literaten, den Künstler: die materielle Absicherung durch einen bescheidenen Wohlstand, une aisance modeste, die kein Nachdenken über Geld mehr erheischte. Letztlich bedingten sich aisance und Freiheit gegenseitig, da mochte Tante Julie noch lange von ihrer Hütte mit dem Strohdach und den kaltes Wasser trinkenden Liebenden schwärmen. «Wenn man Einladungen ausschlagen muss, weil man sie nicht erwidern kann, wenn man sich in den Ferien nicht ein paar Wochen auf dem Land oder in den Bergen leisten kann wie alle anderen, wenn der Ehemann nicht mehr gelegentlich auf einer Reise seine Ideen auffrischen kann, da kann man nicht mehr von Wohlstand und Freiheit sprechen.»

Aber wie hielten es denn die anderen damit? Die Kollegen an der Académie, die so wenig wie Amiel einer der alten Patrizierfamilien Genfs entstammten? Die Dichter und Schriftsteller, zu denen er aufblickte? Hier gab es warnende Beispiele genug – zum Beispiel Walter Scott, dessen Ivanhoe Amiel verehrte. Scott hatte sich als Drucker und Verleger weit auf die Äste hinausgewagt und war in Konkurs gegangen. Genauso erging es Balzac, der sich mit einer Verlagsdruckerei und einer Letterngiesserei in die Nesseln ritt. Wenn sich der Romancier als Geschäftsmann gebärdete, konstatierte Amiel, spielte eine Art Hybris mit. Als Schöpfer seiner Romanwelt war er es gewohnt, seine Figuren nach Belieben einzusetzen, ihnen Pech und Leiden zu bescheren, aber auch Erfolg und Glück. Wehe, wenn der Schriftsteller dieses Prinzip auf die Wirklichkeit übertrug! Erdrückt von einem Schuldenberg, wie ihn beispielsweise Walter Scott während Jahrzehnten abzutragen versuchte, wurde selbst das Genie versklavt: «Même le génie peut devenir le forçat des écus.»

Ungleich näher noch gingen Amiel manche Schicksale aus dem eigenen Lebenskreis, etwa jenes des eine Generation älteren André Cherbuliez. Der hochgebildete Hellenist und Gräzist war ein angesehener Dozentenkollege

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an der Académie, wahrte aber nur mit Mühe einen würdigen äusseren Rahmen für sich und seine Familie. «Eine schäbige, mühsame Karriere voll geheimer Ängste», notiert das Tagebuch über den väterlichen Freund, «voll von Entbehrungen, Demütigungen und Selbstverleugnung. Noch mit fünfzig Nachhilfestunden geben müssen, unter dem Dach wohnen, seine Kleider austragen, bis sie fadenscheinig werden ...»

Sah so seine eigene Zukunft als Literat aus, als Mann des Wortes? Da war weiter der langjährige Freund Albert Heim, ein Theologe und Gymnasiallehrer. Auch Heim hätte gerne eine eigene Familie gegründet, war aber gefangen in einem Haushalt mit einem kränkelnden Vater und zwei verwaisten Nichten, für die er Tag und Nacht unterwegs war. Eine eigene Gattin, eigene Kinder? Undenkbar. «Der Grund für seinen Verzicht sind die mangelnden finanziellen Ressourcen. Darin besteht die empörende Macht des Geldes, dass es noch das bescheidenste Schicksal zermalmt und die edelsten Instinkte zunichte macht.»

La puissance révoltante de l’écu. Geld versklavte, Geld zermalmte. Amiel konnte verstehen, dass einst die Gesetzgeber der Antike den Unternehmer und Händler aus dem Kreis der freien Männer ausgeschlossen hatten. «Die Begehrlichkeit, die Geldgier, das ist die Knechtschaft. Der Sklave des Mammons ist ebenso wenig ein Mann wie der Leibeigene der Scholle.»

Aber stand es ihm als Mann des Wortes denn nicht offen, sich auf würdige Weise vom Schreiben zu ernähren, sich wenigstens einen namhaften Zusatzverdienst zu verschaffen? Wie schaffte das Marc Monnier, der offenbar eine goldene Feder gefunden hatte? Monnier, auch er ein Literat und Dozent, war ein weiterer langjähriger Freund. «Dieses Bürschchen meldet mir doch», heisst es ziemlich missmutig, «dass er monatlich 1000 Francs macht.»

Monnier profitierte von der Telegrafenverbindung durch den Ärmelkanal, übersetzte und übermittelte Depeschen zwischen Italien und England. Ein Tausender im Monat! Täglich ein Stündchen Arbeit oder zwei! Und das, ohne sich dem Teufel zu verschreiben! Denn stellte es nicht ein Stück Völkerverständigung dar, wenn man in Westminster wusste, was in Turin vor sich ging?

Amiel selbst schrieb regelmässig für das Journal de Genève, wenn auch mit grossen Abständen – eine Besprechung vom Konzert des Kirchenchors, der Hinweis auf das Buch eines Freundes, mitunter ein Nachruf auf

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einen verstorbenen Zeitgenossen, der ihm besonders am Herzen lag. Aber über diesen kurzen Texten brütete er ganze Abende lang, war selten mit dem Ergebnis zufrieden, besonders nicht, wenn der Redaktor die wohlgeformten Sätze schliesslich auf zehn oder zwanzig Zeilen zusammenstrich.

Wie sollte dabei ein anständiges Honorar herausspringen? Und wie sollte ein Projekt wie die Übersetzung von Schillers «Glocke» je rentieren? Amiel sass monatelang über den rund 400 Verszeilen der Ballade, hielt schliesslich (im Herbst 1860) das schmale Heft mit der französischen Version in der Hand, nahm stolz das Lob eines befreundeten Redaktors entgegen: «Sie haben ein Meisterwerk durch ein Meisterwerk wiedergegeben!» Aber die paar hundert verkauften Exemplare deckten knapp die Druckkosten, und die zweite Auflage blieb in den Gestellen der Buchhändler liegen.

Und wie stand es mit der Hymne à Genève vom Vorjahr, Amiels Beitrag zum 300-jährigen Bestehen der Académie? Ein Komponist namens Franz Grast hatte die Verse vertont; das Festlied war für die Feierlichkeiten im Druck erschienen und verteilt worden. Der Musikverlag Kübli & Noverraz hatte am Druckauftrag verdient, der Komponist war entlöhnt worden – aber Amiel? Ein paar lobende Worte im Journal de Genève und das zweifelhafte Vergnügen, die Hymne im 600-plätzigen Festsaal aufgeführt zu wissen. So wie die Trinksprüche ging sie im Stimmenlärm unter: «Man hörte nichts.»

Amiels Gedichte, welche die Revue du monde gelegentlich aufnahm, brachten jeweils ein paar Francs ein, aber Gedichtbände wie Grains de mil und La part du rêve waren das reine Verlustgeschäft. Der Buchhändler und Verleger Cherbuliez liess sie drucken und verkaufte sie in Kommission.

Eine erste Abrechnung nach fünfzehn Jahren ergab, dass je etwa 150 Exemplare über den Ladentisch gegangen waren. Der Reingewinn betrug 98 Francs, die Tantième Amiels ein Viertel davon. So wie jeder Autor, der sich in seinem Stolz verletzt sieht, witterte der Dichter Betrug, bösen Willen, Missgunst und bewusste Vernachlässigung. «Welche Halsabschneiderei! Reiner Diebstahl! Dieser Räuber will mich mit 25 Francs abspeisen ...

25 Francs in fünfzehn Jahren, und kein Wort über die Zinsen! Wenn das ehrlich gehandelt ist, was tun denn die Gauner?»

Comment font les coquins, si c’est là de l’honnêteté? Und beflügelt vom rabenschwarzen Ärger zieht Amiel im Tagebucheintrag gleich noch über Joseph Hornung her, seinen besten Freund, klagt über Aimé Herminjard,

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der ja auch ein langjähriger und achtenswerter Kollege ist: «J. H. verreist nach Brent und borgt ein paar Bücher bei mir aus. Er kauft nie selbst etwas und profitiert von den Kastanien, die andere aus dem Feuer holen. Warum stellst du dich selber nie so geschickt an? – Hrd. hat genüsslich einige meiner Bände aus dem 16. Jahrhundert durchgeackert. Diese Schlingel von Gelehrten lecken sich die Finger, wenn sie ein seltenes Buch in die Hände bekommen. Aber man sollte ihnen den Willen lassen, nur schon um die Freude zu sehen, mit der sie es sich unter den Nagel reissen.»

Macht er sich denn nie ernsthaft Gedanken darüber, sich ganz als Autor zu etablieren, vom Schreiben zu leben – er, den man in seinem Kreis als tiefsinnigen und gleichzeitig geistreichen Causeur rühmt? So abwegig ist der Gedanke auch für einen kleinen Genfer Professor keineswegs. Gleich zwei von Amiels nächsten Bekannten schaffen sich als Korrespondenten der grossen Pariser Gazetten einen Namen. Er erlebt in den 1860er-Jahren mit, wie sie beide in die französische Hauptstadt ziehen und sich dort behaupten. Edmond Scherer, mit dem er bei manch einer Wanderung auf den Mont Salève über Gott und die Welt diskutiert hat, schafft es in Paris zum führenden Literaturkritiker von Le temps. Victor Cherbuliez, der Sohn des ärmlichen Griechischprofessors und Bruder des Mädchens mit den meergrünen Augen, steigt auf zum gefeierten französischen Romancier, wird in die Ehrenlegion aufgenommen. Ist es ihretwegen, dass sich Amiel erstmals Gedanken über eine literarische Karriere macht, im reifen Alter von 42 Jahren? «Mit der Feder Geld verdienen – sagen wir tausend Francs im Jahr; dieser Gedanke kommt mir zum ersten Mal. Es wäre die einzige Lösung, die mir erlauben würde, ein armes Mädchen zu heiraten. Und es wäre vielleicht auch die einzige Möglichkeit, meine Scheu vor dem Sich-Produzieren zu überwinden.»

Es soll hier noch die Rede sein von Amiels fast zwanghafter Beschäftigung mit den Kosten einer Eheschliessung und der Gründung eines gutbürgerlichen Haushalts. Was uns hier interessiert, ist die Frage der beruflichen Laufbahn. Geht es dem Autor im Grunde genommen zu gut, trotz aller Klagen über die kümmerliche Besoldung durch die Académie? Hindert ihn das kärgliche, aber gesicherte Einkommen, ergänzt durch die Erträge seines kleinen Vermögens – hindert es ihn daran, ein gut verkäufliches Werk zu schaffen, das sich an ein breites Publikum richtet? Das ihn

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ins Gespräch bringt, vielleicht auch auf den Pariser Redaktionen? Es fehlt an Druck und Zwang von aussen, und so gesehen stellen seine Einkünfte eine Art allzu sanftes Ruhekissen dar, un oreiller de paresse. Mehr als einmal merkt er es selbst an: Statt sich auf ein durchschlagendes Werk zu konzentrieren, verzettelt er sich mit seinen Konzertkritiken, seiner Hymne à Genève und Gelegenheitsarbeiten wie einem gereimten Stadtführer für Touristen. Hat denn die Welt auf launige Verse über die Gassen der Genfer Altstadt gewartet?

Auf einer der Wanderungen zum Mont Salève hat er mit den Freunden Scherer und Heim eine Anfrage der Genfer Bildungsdirektion diskutiert.

Er, Amiel, soll ab Januar 1861 eine zehnteilige öffentliche Vortragsreihe im Stadthaus halten, Thema frei wählbar. Die Freunde warten mit einem ganzen Feuerwerk möglicher Sujets auf. Amiel notiert sie getreulich. Weshalb nicht eine populär gehaltene Betrachtung über das Wunderbare: Le merveilleux, son analyse et son histoire? Und wenn er das Material ohnehin zusammentragen muss – weshalb das Ganze nicht anschliessend ausarbeiten zu einem Buch, womöglich hübsch illustriert? Was das Genfer Publikum sicher ebenso interessiert: die Kultur des Geschmacks. Eine Vortragsreihe unter dem Titel Le goût, sa valeur et sa culture würde bestimmt die Damenwelt ins Stadthaus locken. Oder eine Untersuchung des Komischen, müsste sie nicht auch die Herren interessieren? Le Comique et ses variétés hätte zudem den Vorteil, dass Amiel ungeniert Beispiele anführen dürfte, mit Witzen oder Bonmots das Publikum zum Lachen bringen würde.

Dreizehn Themen kommen so schliesslich zusammen. Amiel wählt das unauffälligste von allen, Le langage et la langue maternelle, und hält am 8. Januar im Hôtel de Ville den ersten seiner zehn Vorträge. Die Sprache und das gesprochene Wort – das tönt nach philologischen Spitzfindigkeiten, nach trockenem Kästchendenken. Entsprechend lichten sich denn auch die Sitzreihen im Stadthaus schon in der dritten Januarwoche. Währenddessen hält, an einem anderen Wochentag, Kollege Victor Cherbuliez seine Vorträge zum Artusroman und zur höfischen Liebe vor brechend vollem Saal, auch bei Folge zwei, drei und so weiter bis in den März.

Cherbuliez, der Sohn des bedrängten Griechischprofessors, wird nach Paris ziehen. Amiel nicht. Es fehlt am Zwang, am Druck von aussen; zuhause wartet das weiche Ruhekissen, l’oreiller de paresse.

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Amiel verdient zu wenig für ein Leben ohne Sorgen und trotzdem zu viel, als dass sich ein energischer, zupackender, selbstbestimmter Lebensentwurf aufdrängen würde. Aber was hindert ihn daran, sein eigenes kleines Vermögen zu optimieren, solange die Ehefrage offenbleibt? So wie viele seiner Bekannten hier und dort eine Anlage zu tätigen, wie ihm dies sein Treuhänder Louis Goetz immer wieder rät? Er könnte, meint Goetz, täglich ein halbes Stündchen für diese Dinge einsetzen, gleichsam mit der linken Hand die Finanzen nachführen, während er mit der rechten an einem ernsthaften Werk arbeitet. So wie dies jeder solide Haushalt handhabt, so wie Schwester Fanny es ihm täglich vorlebt: nouer les deux bouts, sein Scherflein zusammenhalten. So wie die Schwester und ihr Mann «das Gleichgewicht finden zwischen Bedürfnissen und Möglichkeiten, zwischen Einnahmen und Ausgaben». Und dabei tüchtig nutzen, was übrig bleibt.

Weshalb gelingt ihm das nicht?

Regelmässig zum Jahresende erklingt im Tagebuch das gleiche Lied: Die Finanzen sind in Unordnung, es fehlt die Übersicht. «Mit Beschämung den wirren Zustand meiner Buchhaltung und die Unordnung meiner Kontoauszüge konstatiert», heisst es beispielsweise zu Silvester 1854. «Versäumnisse jeglicher Art in meinen Geschäften und meinen finanziellen Interessen. Alles als Folge meiner fatalen Faulheit, die alles aufschiebt, und meiner Unkenntnis bei den Methoden und Vorgehensweisen.» Manchmal reisst er sich zusammen, sortiert er seine Werttitel, setzt er sich mit Goetz und seinem Bankier Lejeune zusammen, zahlt das Bargeld ein, das sich in seiner Schublade angesammelt hat – die schmalen Honorare vom Journal de Genève, das Kursgeld für die Literaturvorlesungen, die er am Töchterinstitut der Demoiselles Maunoir hält. Aber noch viel öfter tut er nur das Allernötigste mit dem Bezahlen ausstehender Rechnungen, lässt er den Rest schleifen. Ist es der Hochmut, mit dem der geistig Tätige auf die Welt der Finanzen herunterblickt? «Geld verdienen erscheint mir instinktiv als eine schäbige Sache, die allein durch die Unterwerfung unter ein moralisches Ziel veredelt wird – zum Beispiel seine Familie ernähren, das Gesetz der Arbeit erfüllen, Gutes tun und so weiter. Ich ehre die Arbeit und heisse alle Berufe gut, aber der Handel, das Geschäft, die Bank stossen mich direkt ab, als niedrigste unter den menschlichen Tätigkeiten, als gemeinste und beschämendste.»

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Der Eintrag stammt vom Herbst 1856. Damals ist er 35-jährig, aber auch der 50-Jährige empfindet ähnlich, wenn nicht noch eine Spur heftiger. «Ich stelle meine wachsende Abneigung gegen alles fest, was mit Finanzen, Investitionen, Buchhaltung und so weiter zu tun hat», heisst es im Frühling 1870. «Ich liebe die Ordnung, aber ich ertrage die erniedrigende Arbeit nicht, mit der sie erstellt wird. Ich bin froh, dass jemand die tollwütigen Hunde abtut, aber ich könnte nicht Abdecker sein.» Und später, im gleichen Eintrag: «Man könnte meinen, ich sei ein Adliger des Ancien Régime, so sehr missfällt mir das bürgerliche Krämertum, so widerlich ist mir dieses Jonglieren mit Zinsen, Konti, Wechseln undsoweiter. Lieber noch werde ich von diesen Beutelschneidern mit ihrem Geldriecher ausgebeutet, als dass ich mich mit dieser unwürdigen Wissenschaft herumschlage. Ich gehöre nicht in meine Zeit und in meine Schicht.»

Je ne suis pas de mon temps ni de ma classe ... Sollen wir das hier so stehen lassen? Es wird im folgenden Kapitel die Rede sein vom Dilemma, das Amiel während eines Vierteljahrhunderts immer neu formuliert hat: Wie finde ich eine Braut, mit der ich einen gutbürgerlichen Haushalt gründen kann? Wie lässt sich die Forderung nach einer namhaften Mitgift, ohne die ein standesgemässer Lebensstil unerreichbar bleibt, vereinbaren mit dem Ideal bedingungsloser gegenseitiger Liebe? Fällt er auch damit ausserhalb seiner Zeit, seiner Klasse?

Vorerst steht als Fazit fest: Im Umgang mit Geld schwingt beim feinsinnigen Philosophen stets die Stilfrage mit, vermischt mit dem Gefühl des verletzten Stolzes. «Die Tyrannei des Mammons ist erniedrigend», heisst es so oder ähnlich immer wieder. «Es ist unwürdig, dem Reichtum nachzujagen; es ist irritierend, vom Mammon abhängig zu sein.» Vom Geizigen oder vom Geldscheffler, der dem Geld dient, sagt ein Dichterwort, er sei «seines Knechtes Knecht». Natürlich will er sich nicht zu ihnen gezählt wissen. Aber sieht denn die Knechtschaft, die das Budget ausübt, so völlig anders aus?

Tatsächlich wird Amiel erst im Jahre 1873, zweieinhalb Jahrzehnte nach seiner Ernennung zum Dozenten, bei der Académie eine Gehaltserhöhung fordern. Obwohl Erziehungsdirektor Carteret umgehend, ja fast schon erschrocken, die Bezüge um die Hälfte anhebt, kann sich Amiel über den Triumph nicht so recht freuen. Zwar bezieht er statt 2000 nun 3000 Francs

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im Jahr – aber er hat sich mit seinem Vorpreschen selbst verleugnet, ist sich selbst untreu geworden. «Il est odieux de sortir de son caractère, après 24 ans de discrétion», bedauert er im Tagebuch. Immerhin hat ihn nicht Gewinnsucht zu seiner Forderung getrieben, auch das will er festgehalten wissen. Oh nein, es war das Gefühl für Recht und Unrecht, le sentiment de justice.

Nach welchen Kriterien wähle ich meine Zukünftige? Geist, Schönheit, Reichtum? Amiels Heiratspläne scheitern alle an der einen oder anderen Klippe.

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Kapitel 4

Liebe und Mitgift

Cette jeune fille certainement me conviendrait à beaucoup d’égards; mais il me faut être indépendant de ma place, pour ne pas être esclave, c’est-à-dire qu’il faut une dot.

Diese junge Frau würde mir in vielerlei Hinsicht sehr zusagen. Aber um nicht zu versklaven, muss ich von meiner Anstellung unabhängig bleiben.

Mit anderen Worten: Es braucht eine Mitgift.

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Im Sommer und Herbst 1860 häufen sich im Journal intime die Ein-

träge, welche die Suche nach einer passenden Ehepartnerin und die Gründung einer eigenen Familie einkreisen. Das hat vor allem zu tun mit einer «runden» Zahl. Im September 1861 droht Amiels vierzigster Geburtstag.

Jenem, den er jetzt begeht, steht noch eine Drei voran, «der letzte, den man bei grosszügiger Auslegung der Jugend zurechnen darf». Bis in einem Jahr, so nimmt er sich nun wiederholt vor, soll eine Entscheidung fallen. Er wird, so macht er sich Mut, irgendwie seine Erwählte treffen, ohne Zögern den Ehebund schliessen, sich etablieren. Er redet sich selbst gut zu: «Ich sollte öfter ausgehen und mich ernsthafter mit dem Heiraten befassen, bevor ich 40 bin, mit grauen Haaren oder einer Glatze, oder bis alle drei Dinge aufs Mal zusammenkommen.»

Das klingt neckisch und selbstironisch, aber dahinter lauern weniger amüsante Beweggründe. Ein alternder Junggeselle, der sich in der Wohnung von Schwester und Schwager einquartiert hat – das führt zwangsläufig zu Misshelligkeiten. Wie Amiel im September von einer Urlaubsreise zurückkehrt, wird ihm seine schiefe Lage bei den Guillermets einmal mehr bewusst: «Mein hässliches Logis: eng, abhängig, nicht präsentabel; meine Schwester, die statt eines fröhlichen Willkommens zu verstehen gab, dass es sie störte, ein spätes Nachtessen organisieren zu müssen.» Zwar leben Fanny und er auf durchaus vertrautem Fuss, aber manchmal fühlt er sich an der Cour Saint-Pierre doch «eher empfangen als begrüsst». Im Grunde kann er das nachvollziehen: Täglich erlebt er mit, wie seine Schwester alle Hände voll damit zu tun hat, den Alltag der eigenen Familie im Griff zu behalten. Jules und Henri, die beiden Buben, sind eher wild und störrisch; Gatte Franki ist trotz seines besinnlichen Berufs ein lauter und mitunter aufbrausender Gatte. «Obwohl ich versuche», versichert Amiel, «mich so unsichtbar wie möglich zu machen und keinerlei Vorhaben oder Vorkehrungen zu stören, so spüre ich doch, dass mein Aufenthalt nun lange genug gedauert hat. Zehn Jahre haben den Vorrat an gutem Willen aufgebraucht, und ich sollte auf eigenen Füssen stehen.» Es sind genau die zehn Jahre,

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Kapitel 4

die Amiel in gewissem Sinn «überzogen» hat. In seinen Kreisen, in Genfer Patriziat und Bürgertum, gilt beim männlichen Heiratsalter die Dreissig als obere Grenze. Tatsächlich erhält Amiel jetzt mit zunehmender Häufigkeit Heiratsanzeigen von ehemaligen Studenten. Chacun trouve sa chacune, notiert er in solchen Fällen missmutig. Jedermann findet seine Jedefrau, bloss er nicht.

Es kommt hinzu, dass gerade in diesem Jahr zwei ... wie soll er sie nennen? ... zwei freundschaftliche Verhältnisse mit jüngeren Frauen einer Entscheidung zustreben. Eine Eheschliessung kommt weder hier noch dort in Frage. Louise Wyder kennt er seit seinem Berliner Studium in den 1840erJahren. Die seelenvolle, ja schwärmerische Hauslehrerin hat ihm uneingeschränkt zu verstehen gegeben, dass sie ihn liebt, ja ihr Leben mit ihm teilen will. Marie Favre ist da unabhängiger. Als uneheliche Tochter einer Plätterin stammt sie aus wenig geordneten Verhältnissen, hat sich aber als junge Witwe in einem Genfer Bauunternehmen eine solide Stellung geschaffen, ist geschäftstüchtig und attraktiv. Eine belesene Frau, die malt, dichtet, ein wenig Musik macht und den geistreichen, melancholischen Herrn Professor über alle Massen bewundert, sich aber wohlweislich davor hütet, die Möglichkeit einer offiziellen Verbindung auch nur anzutönen.

Mit beiden Frauen trifft sich Amiel – abwechselnd, versteht sich – zu ausgedehnten Spaziergängen in den Parks zu Füssen der alten Festungsmauern. Aber je länger, je deutlicher realisiert er in diesem Sommer 1860, dass Marie wie Louise im Grunde genommen den Vorwand liefern, sich um eine Entscheidung zu drücken. La chose pressante est de m’établir, heisst es im Tagebuch mehrere Male: Was am dringendsten nottut, ist sich zu etablieren, ein Heim zu gründen. Wie soll es denn je dazu kommen, wenn er seine freie Zeit mit Spaziergängen und schwärmerischen Gesprächen im Park verbringt?

Denn in beiden Fällen besteht ein unüberwindliches Hindernis, sieht er einmal vom unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergrund ab. Weder Louise noch Marie verfügen über Vermögen oder ein grösseres gesichertes Einkommen, das zusammen mit seinen Einkünften die Gründung eines standesgemässen bürgerlichen Haushalts ermöglichen würde. «Ich sehe immer deutlicher», notiert er im September, «dass man in Genf mit weniger als 7000 Francs kaum ein anständiges Heim gründen kann und dass ich deshalb auf keinen Fall an eine Frau ohne Mitgift denken darf.»

Liebe und Mitgift

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Die Mitgift findet denn auch Eingang in das ausgeklügelte Punktesystem, mit dem Amiel die jungen Genferinnen seiner Kreise erfasst. Die über Jahre hinweg nachgeführte Liste hält die Vorzüge und Nachteile möglicher Kandidatinnen auf zwei Spalten fest. Jeder Eintrag wird benotet. Als Höchstnote gilt die 6, so wie Amiel das bei seinen Lizentiatsprüflingen hält. «Alles wurde gewissenhaft benotet», berichtet Biograf Albert Thibaudet, «Geist, Geschmack, Erinnerung, Nüchternheit, Subjektivität, dazu einzelne Qualitäten, die er aus unbekannten Gründen algorhythmisch nannte.

Dann zählte er die Resultate der beiden Spalten zusammen und ermittelte die Differenz. Das Ergebnis der linken Spalte war meist höher, das Konto der Kandidatinnen endete im Minus.»

Zumindest eine Spalte dieser seltsamen Zeugnishefte hat sich erhalten: Schönheit 5 3/4 Sensibilität 4 1/2 Einbildungskraft 3 1/4 Ordnung und Methodik 4 3/4 Mitgift 1 1/4 Bildschön und ordnungsliebend ... aber arm!

Siebentausend Francs im Jahr, eine Braut mit Rente, Mitgift oder eigenem Vermögen – um diese Fixpunkte kreisen während mehr als zwei Jahrzehnten Amiels Überlegungen zur Ehe. Für Zeit, Ort und Gesellschaftsschicht, von denen wir hier sprechen, stellen sie keineswegs eine Ausnahme dar. Bis etwa zur Zeit des Ersten Weltkriegs statteten die meisten bürgerlichen Familien ihre Töchter bei der Verheiratung mit einer Rente oder einer einmalig ausgerichteten Geldsumme aus, sofern die Braut nicht bereits über ein eigenes Erbe verfügte. Vielfach war Heiraten, «vor allem über die Mitgift der Frau, ein wesentliches Mittel zur Beschaffung von Kapital», wie es in einer Untersuchung heisst. Zur Tagesordnung gehörte ein Treffen zwischen zukünftigem Schwiegervater und Bräutigam; hier wurde auch ein allfälliger Ehevertrag festgelegt. Amiel machte kein Hehl aus seiner Abscheu vor diesem papier timbré, der notariellen Urkunde, welche die Verfügungsgewalt über das eheliche Besitztum festlegte: «Es richtet mehr Verheerungen an, als sich die Eheleute zugeben», es «beleidigt die zärtlichen und stolzen Herzen». Viele Male will er beobachtet haben, «wie die von den Eltern im Ehe-

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vertrag ihrer Tochter verankerten Absicherungen nichts als Unglück brachten, indem sie das Vertrauen des Schwiegersohns erschütterten und ihn für immer verletzten».

Das sind durchaus generelle, gleichsam platonische Überlegungen. Noch nie ist Amiel selbst in die Lage gekommen, eine Unterredung dieser Art zu führen, geschweige denn den Inhalt eines solchen papier timbré zu skizzieren. Umso eifriger rechnet er an vielen Abenden, Schreibfeder in der Hand, die Kosten eines zukünftigen Haushalts durch. Das Dozentengehalt reicht, wie gesehen, noch nicht einmal für die Junggesellenexistenz aus; jährlich muss er einen Teil der Einnahmen aus seinem kleinen Vermögen drauflegen.

«Ich trinke und ich rauche nicht, ich halte mir weder ein Pferd noch eine Mätresse, aber alles zusammengenommen gebe ich doppelt so viel aus wie ich verdiene.» Er sieht sich bei Verwandten und Bekannten um, konsultiert sogar Schwager Franki, den er sonst einen bornierten Langeweiler nennt.

Die Meinung des Pfarrers lautet eindeutig: «Wenn einer meiner Söhne dereinst heiraten will und mir nicht ein Budget von Zehntausend im Jahr vorlegen kann, verweigere ich meine Zustimmung. Denn darunter beginnt heutzutage die Bedürftigkeit.» Nicht ganz so rigoros klingt die Auskunft des alten Jugendfreunds Hornung, der sich so gerne in Amiels Bibliothek bedient: «Joseph Hornung braucht jährlich 8000 Francs, daran trägt seine Frau fünf Achtel bei. Wenn ich meinerseits eine reizende Frau mit 4000 Francs Einkommen als Mitgift suche, bewege ich mich durchaus im bescheidenen, ja eingeschränkten Bereich der heutigen Lebensführung in Genf.»

Kommt hinzu, dass er nicht für alle Zukunft auf den Dozentenlohn der Académie zählen will – oder kann. Die Säuberung nach der radikalen Revolution hat Amiel den Posten eingetragen; er kann auf die gleiche Weise wieder verlorengehen. Vielleicht will er ja auch selbst seine äussere Freiheit zurückhaben, sich als freier Autor etablieren. «Dunque, Madame meine Gattin muss mindestens 2000 Francs Rente mitbringen, wenn ich bereit bin, weiter von meinem Posten abhängig zu bleiben, oder dann 4000, wenn ich mir die Freiheit meiner Stellung vorbehalte. Das wäre dann eine Brautgabe von 100’000 Francs.» Aber als geniere sich der Tagebuchautor nachgerade für sein Kalkül rund um bräutliches Kapital und Zinsertrag, fügt er entschuldigend an: «Die Frage nach dem vollen Kochtopf erweist sich als die unangenehmste, aber auch die unvermeidlichste von allen. Sie

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ist das sine qua non des bürgerlichen Romans, wenn man ihn in die Wirklichkeit übersetzt.»

La question de la marmite. Amiel rechnet sie immer von neuem durch und spitzt sie zu, so als entschärfe er mit jedem Tausender weniger, den er der Zukünftigen abverlangt, den Vorwurf der kalten Berechnung. Wenige Wochen nach dem marmite-Eintrag legt Amiel auf Anraten von Goetz den grössten Teil seines Barbesitzes als Hypothek an und stellt, die Feder in der Hand, sein Jahreseinkommen neu zusammen: 1300 1800 1600 2400

als Gläubiger-Hypothekenbesitzer (auf Haus) als Hausbesitzer (Haus Rue des Cendriers) als Anleger (öffentliche Anleihen) Académie

Aber weiterhin muss jede Rechnung rund um eine Verheiratung davon ausgehen, dass das Dozentengehalt wegfällt, ob durch Krankheit oder durch Kündigung von dieser oder jener Seite. Zu den dann verbleibenden 4700 Francs, da beisst die Maus keinen Faden ab, muss die Zukünftige mindestens 3000 dazulegen – rechne! «Ein Engel mit sechzigtausend Francs, das ist und bleibt mein letztes Angebot im Feilschen mit dem Schicksal.»

La dot, die Mitgift. Sie gehört in der deutschen wie in der romanischen Schweiz zum Instrumentarium der bürgerlichen Eheanbahnung. Dabei schliesst die gebräuchliche partie oeconomique oder mariage de raison gegenseitige Zuneigung, ja Liebe keineswegs aus. Wo sie sich nicht von Beginn weg zeigen, geht man davon aus, dass sie sich während der ersten Ehejahre zwanglos einstellen. Albert Tanner, der die Verhältnisse in der Berner und Zürcher Bourgeoisie untersucht hat, hält fest, dass die finanzielle Ausstattung der Braut oft nach einem bestimmten, wenn auch nirgends festgeschriebenen Schema verläuft. In einem frühen Stadium der Partnerfindung treffen die Väter der Ehewilligen zusammen, um die Höhe des Betrags und den Übergabemodus festzulegen. Meist gesellt sich auch der zukünftige Schwiegersohn dazu. Aber die gute Sitte will, dass sich der Zukünftige bei diesen Verhandlungen zurücknimmt, also so weit wie möglich an der Fiktion festhält, es handle sich um eine Heirat aus Neigung, die er nur widerwillig mit materialistischen Erwägungen verknüpfe. Das gilt auch für die jungen Frauen selbst. Aufgewachsen im Schonraum von Töchterpensionat

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und gutbürgerlichem Heim, in einer behüteten Ambiance ohne materielle Zwänge, sehen sie in der Mitgiftdiskussion «weder etwas Anrüchiges noch Zynisches» und akzeptieren, dass die Brautgabe «diskret hinter dem Rücken der Braut geregelt» wird. Das erlaubt das Festhalten am Ideal der bedingungslosen Liebe als Fundament der Ehe: Über Geld wird nicht gesprochen.

Diese Mentalität hat auch Amiel kennengelernt, wiederholte Male. Zwar trifft er nicht mit allfälligen Schwiegervätern zusammen. Aber bei der einen und anderen Gelegenheit hat er durchaus versucht, mit einer jungen Frau, die er sich als Partnerin vorstellen kann, ein zukünftiges Budget zu skizzieren – auf delikate Weise, wie sich versteht. Alles vergeblich, wie er sich im Tagebuch eingestehen muss. «Ist denn keine freimütige Diskussion möglich, die auch diese heiklen Dinge einschliesst? Die Demoiselles sind schrecklich. Da kann die Budgetfrage noch lange über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit entscheiden – darüber spricht man schlicht nicht. Und wenn man darüber spricht, ist alles verloren.» Die Themen Geld und Ehe dürfen ganz einfach nichts miteinander zu tun haben, punktum. «Daran nehmen die jungen Damen Anstoss. Sie behaupten, man wolle sie verschachern, wenn man darüber nachdenkt, ob man mit den vereinten Mitteln zu zweit leben könne. Dabei setzt man nicht nur ihr Wohlwollen aufs Spiel, sondern auch ihren Respekt.»

La dot, die Tyrannin. Umgekehrt stellt sich Amiel durchaus wieder ganz auf die Seite der vorbehaltlosen Liebe – sobald er nämlich in der kleinbürgerlichen Sphäre auf die Mitgiftfrage trifft. Wie viele Schicksale, meint das Tagebuch, sind hier nicht schon an der kalten Berechnung einsichtsloser Eltern gescheitert! Von einem besonders tragischen Fall erfährt er bei einem Ferienaufenthalt am Léman; er betrifft die Familie seines Hoteliers. Sowohl Sohn wie Tochter, so erzählen ihm Mitgäste, mussten wegen des tyrannischen Vaters ihrer Herzensneigung entsagen. «Das Resultat: Familie zerstört, der Unterwerfung unter den Dollargott geopfert.»

Denn der Sohn erkrankte wegen der erzwungenen Trennung an Epilepsie und erlitt einen tödlichen Unfall, die Tochter starb vor Kummer, die Mutter verfiel in Schwermut. «Dem Vater bleiben eine junge Schwiegertochter und ein Enkel. Vielleicht findet er, die Seinen hätten sich starrköpfig benommen, unvernünftig und uneinsichtig, und er selbst habe als Einziger klar gesehen.

La dot erinnert ein wenig an die Götzen im alten Mexiko, die ihre Menschenopfer forderten.»

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Würde man, sinniert er weiter, die Mitgift abschaffen, so wie Plato dies forderte, wären fünf Personen verschont geblieben: die Kinder, ihre beiden Partner und die Mutter. «Und wenn man daran denkt, dass sich dieses Leiden in so vielen Häusern so vieler Dörfer und in manchen Häusern unserer Städte einnistet, steht man zutiefst erschrocken vor diesem Kampf zwischen Geld und Gefühl, zwischen Vater und Kindern, zwischen Besitzstreben und Gefühl. Natur und Zivilisation liefern sich hier einen Kampf auf Leben und Tod.» Tatsächlich spielte Amiel gerade im Sommer und Herbst 1860 das Dilemma durch, das sich auf diesen Schnittflächen von Kalkül und Sentiment, von Geld und Liebe ergab. Louise Wyder drängte auf eine Entscheidung.

Die sanfte Hauslehrerin war die Einzige, die ihn seit den gemeinsamen Berliner Zeiten mit «Fritz» anredete; nach einer emotionalen Kampagne voller tränenreicher Szenen, zärtlicher Briefe und freundschaftlicher Gespräche hatte sie ihren Fritz in eine Situation manövriert, der er bisher tunlichst ausgewichen war: Amiel stellte sich ihrer Familie vor, wenn auch in unverbindlichster Form. Jetzt erwarteten Madame Wyder, die verwitwete Mutter, die verheiratete Schwester Caroline und deren Gatte Paul Privat einen nächsten und verbindlicheren Schritt – die Einleitung der Verlobung. Amiel sah sich gezwungen, ein weiteres Mal das Für und Wider einer Ehe auf schmaler finanzieller Basis zu erwägen. Was die Gefühle betraf, so rührte ihn die unerschütterliche und absolute Liebe Louises zutiefst. Es gab Augenblicke, in denen er sich ein gemeinsames Leben mit der um zwei Jahre Jüngeren vorstellen konnte. Vor allem aber warnte ihn eine «Herzensstimme», er versündige sich, wenn er ein solch tiefes und unschuldig dargebrachtes Gefühl zurückweise.

Alle diese Erwägungen, Berechnungen und praktischen Schritte lassen sich nachlesen im Journal intime und in Dutzenden ausgetauschter Briefe aus Amiels Nachlass. Sie sind ein Glücksfall für die gründerzeitliche Mentalitätsgeschichte der Bourgeoisie, denn dank ihnen lässt sich die Maschinerie der bürgerlichen Eheanbahnung gleichsam in ihre Komponenten zerlegen und neu zusammensetzen: Prestige, Sicherheitsdenken, Emotionen.

Auch nach 150 Jahren liest sich die Geschichte von Louise und Fritz als anrührendes Zeugnis.

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Die Begegnung mit dem Familienkreis Wyder-Privat, dem Amiel so lange ausgewichen war, ergab sich an einem Ball. Tout Genève feierte am 4. August den Abschied der eidgenössischen Truppen, die Bern im Gefolge der Savoyerkrise an den Léman beordert hatte. Amiel hatte für die Wyders zwei Eintrittskarten besorgt und setzte sich sporadisch an den Tisch der Familie, auch führte er nach Ballschluss Mutter und Tochter in einer Droschke nachhause. Aber der Eindruck, den er von dieser kleinen Runde gewann? Amiel sah sämtliche seiner Vorurteile bestätigt: «Ärgerlicher, jedenfalls wenig anziehender Eindruck, was Ästhetik, Eleganz und Ansehen angeht. Ehrliches, solides Milieu, aber entmutigend.» Was Louise selbst betraf, so lobt der Eintrag im Tagebuch ihr hübsches Kleid und das schöne Haar. Aber der Rest? Hochgezogene Schultern, «typisch englische Unbeholfenheit im Gehen, das Gesicht müde und ohne Frische». Es fehlten, was ihn betraf, Anziehungskraft und Anmut.

Solche Eindrücke erscheinen noch nicht einmal im Fazit, das Amiel kurz später zog. «Ihre Mutter will sie versorgt wissen, und sie hat damit recht. Was eine zukünftige Verbindung mit L. betrifft, so erfüllt diese aber nur einen Teil meiner Bedingungen. Bildung, Gesundheit und Einkommen bilden drei unüberwindliche Hindernisse. Ich hätte mir gewünscht, sie ganz sacht von mir wegzusteuern, indem ich meine Untugenden zeige, meine Sprödigkeit und Undankbarkeit, meine moralischen Schwächen. Aber ich zweifle, ob mir das gelungen ist.»

Trotzdem – einige Tage vor dem Ball hatte er einen Schritt unternommen, der gleichsam zum Repertoire der bürgerlichen Eheanbahnung gehörte: die Verwandtschaft konsultieren. In diesem Fall war das Tante Fanchette, die Schwägerin seines verstorbenen Vaters. Die wohlwollende alte Dame hatte Louise einmal zufällig getroffen, war im grossen Ganzen über die Situation informiert. «Elle vous aime bien», wusste Fritz. Die Konsultation wurde eine gewichtige Sache: «An Tante Fanchette geschrieben mit Bitte um mütterlichen Rat in Sachen Gewissen und Zukunft, die das Schicksal unerbittlich fordert. Meine Ausführungen vervollständigt, als Beilage für die Tante sechs Briefe von Louise als Rechtfertigungs- und Beweismittel beigefügt.» Bei den Briefen hatte Amiel die Unterschrift unkenntlich gemacht, weiter dem kleinen Dossier eine Art medizinisches Attest beigelegt; tatsächlich hatte ihm Louises Arzt eine Gesundheitsbestätigung zukommen lassen. Für Doktor Jacques Seiler bestand kein gewichtiger Grund, der

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gegen eine Eheschliessung sprach, auch einer zukünftigen Mutterschaft Louises stand nichts entgegen.

Tante Fanchette dagegen riet ausdrücklich ab. Mitte Oktober leitete Amiel ihren Ratschlag brieflich an Louise weiter. «Was unsere Aussprache betrifft, so schätzt sie Sie zwar sehr, aber sie hat auch angefügt: ‹Man muss von etwas leben, und das werdet ihr nicht können, später noch weniger als heute.›» Als ziehe dieser Rat einen dicken Schlussstrich unter die Beziehung, beendete Amiel den Brief mit einer poetischen Formel, die sich nicht anders denn als Abschiedsgruss lesen liess: «Möge Sie der Engel der grossen Herzen schützen und segnen!»

Aber Louise liess nicht locker. «Ich will dem Hindernis, das uns trennt, ins Auge blicken», beharrte sie in ihrer Antwort. «Ich will die Zahlen sehen, ich will ernsthaft wissen, was es für einen Haushalt braucht. Gewiss hat Ihre teure Tante richtig geurteilt – aber hat sie dabei nicht mit einer Frau gerechnet, die sich gewohnt ist, das Geld ohne nachzudenken auszugeben?

Davon kann bei mir keine Rede sein. Lieber Fritz, persönlich gebe ich so wenig aus ... in den zwei Jahren, die ich in Genf wohne, habe ich noch keine 50 Francs an meine Toilette gewendet.» Um sich für die angestrebte Unterredung zu wappnen, klopfte Louise bei befreundeten Ehepaaren an und konnte einen Tag später melden: «Heute, bien-aimé, habe ich mir das Gewünschte verschaffen können. Nämlich genauen Aufschluss über die Kosten eines Heims, das Einrichten eines Hauses. Interessieren Sie diese Dinge noch? Möchten Sie, dass wir uns darüber unterhalten?» Sie schlug auch gleich ein Datum vor, den folgenden Donnerstagnachmittag, wartete dann aber vergeblich auf Amiel.

Denn dieser, offensichtlich über das Nachhaken irritiert, liess den Termin ungenutzt verstreichen. Dafür setzte er einen Brief auf, der Louise «mit Feingefühl, aber Bestimmtheit» in ihre Grenzen weisen sollte. «Ich bedaure sehr, dass Sie gestern vergeblich auf mich gewartet haben. Aber ich will zur Hauptsache kommen: Die kleine Fee hat sich der Prosa des Lebens gestellt, sie wollte die Macht ihres Zauberstabs an den materiellen Hindernissen ausprobieren. Ah ... Vergebliche Mühe! Ich glaube an die Wunder des Fleisses und der Sparsamkeit und weiss, dass Ihnen in dieser Hinsicht niemand ebenbürtig ist ... aber diese Wunder haben ihre Grenzen. Ich weiss im grossen Ganzen Bescheid über die Budgets meiner Schwäger, einiger Freunde und einiger Familien meines Standes, mit ihren gesellschaftlichen

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Pflichten und Lasten, und allein diese Zahlen erübrigen jede Diskussion über Details. Sie haben alles unternommen, was man nur verlangen kann; für den Rest sind Sie nicht verantwortlich. Dieser Gedanke hat doch etwas Beruhigendes, finden Sie nicht auch?» Im Übrigen müsse er sich weitere Treffen mit Louise versagen. Sowohl seine wie ihre Umgebung könnten das Fortführen der Beziehung falsch verstehen. Im Weiteren käme in den Wintermonaten sehr viel Arbeit an der Académie auf ihn zu; zudem habe er, Amiel, seine Verwandtschaft während der Monate dauernden Auseinandersetzung mit Louise arg vernachlässigt.

Damit war Amiel erfolgreich dem Treffen rund um ein künftiges Haushaltbudget ausgewichen. Diesmal musste Louise die Absage hinnehmen, legte aber in einem bitteren Schreiben den Finger auf den wunden Punkt: «Sie können doch nicht um schnödes Gold das Leben eines Menschen zerstören, der Ihnen – Sie sagen es selbst – nur Gutes getan hat! Ist es gerecht, mich mit hochfahrender Geringschätzung zu strafen, nur weil ich Ihnen kein Vermögen bieten kann? Sie sagen: Ich brauche Sie nicht mehr, ich habe meinen eigenen Kreis mit meinen Verwandten, der mir genügt, meine Arbeit, in der ich bis über die Ohren stecke, meine Zerstreuungen, die Aussicht auf einen fröhlichen Winter – gehen Sie, Sie sind zu arm für mich!»

Das schienen eindeutige Worte, aber zu Amiels Verwirrung meldete an eben dem Tag, an dem der Brief eintraf, Louises Schwager seinen Besuch an. Ohne Mitwissen der Tochter hatte der Wydersche Familienrat beschlossen, Amiel vor eine Entscheidung zu stellen. «Heute Morgen um elf Besuch von Paul Privat», meldet das Tagebuch vom 28. Oktober, «er hat mir seitens seiner Schwiegermutter die einfache Frage gestellt, ob ich die Absicht hege, um die Hand von Louise anzuhalten. Ich habe verneint.» Offenbar stellte sich Amiel auf eine ausführliche Diskussion ein, rechnete womöglich mit einem finanziellen Angebot seitens der Wyders. Aber Schwager Privat brachte nichts dergleichen zur Sprache. «Er wollte weiter nichts wissen, und wir haben uns verabschiedet. Dieses Wort, das mir im Vorfeld so viele Kämpfe und Gefühle bescherte, sprach sich ganz leicht aus, vor allem auf seine nüchterne Frage hin.» Allerdings: Wie viel Verwirrung dieses Non bei Amiel auslöste, lässt sich dem folgenden Eintrag entnehmen: «Und trotzdem ist es eine Gewissheit, dass ich, hätte ich einige tausend Francs Rente mehr, wahrscheinlich mit Ja geantwortet hätte.»

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Gewissheit ... hätte ich ... wahrscheinlich ... allein die schiefe Logik des Satzes zeigt, welche Verunsicherungen das herrschende System der durch la dot mitbestimmten Ehe auslöste. Von welchem Betrag an pendelten sich Gefühl und Vernunft ein? Wie entschied sich ein Anwärter, wenn verschiedene junge Frauen zur Auswahl standen? Und wie stand es im umgekehrten Fall? Dass auch die Familie Wyder durchaus mit ähnlichen Argumenten operierte, zeigt ein abschliessender Passus in Louises bitterem Brief: «Vor einigen Monaten bat mich Maman, ernsthaft über einen Antrag nachzudenken, der mir gemacht wurde. Der junge Mann war, wie er sein sollte, es gab nichts auszusetzen, ein nettes Vermögen und eine Familie, die mich willkommen geheissen hätte. Maman sah keinerlei Hindernis und wurde sehr hartnäckig. Ich sagte ihr: ‹Ich fühle mich nicht frei.› ‹Also hast du eine Übereinkunft mit Monsieur Amiel, warum sagt ihr mir das nicht?› ‹Er wird es tun, sein nobler und aufrichtiger Charakter wird es nicht bei dieser Geheimnistuerei belassen.› Sie sagte mir: ‹Ich zweifle nicht an seinen ehrlichen Absichten, ich bin von der Redlichkeit seiner Gefühle überzeugt, aber er muss mit mir darüber sprechen.›» Wenn diese Chronik der Unschlüssigkeiten, Zweifel und Vorwürfe hier so breit skizziert wurde, so weil sie mitten ins Herz des bürgerlichen Prestigeund Besitzdenkens führt. Ob tatsächlich wie behauptet ein wohlhabender Anwärter um die Hand der mittellosen 37-jährigen Hauslehrerin anhielt und zurückgewiesen wurde, ist zweitrangig. Der Antrag beleuchtet das Dilemma zwischen Kalkül und Gefühl von einer anderen Seite her: Wenn Louise eine einleuchtende Alternative zurückwies, trotz Drängen der Mutter, berief sie sich auf eine emotionelle Verpflichtung; sie fühlte sich nicht «frei». Umgekehrt setzte sie diesen Verzicht, wenn auch verspätet, als Druckmittel ein, um die von ihr bevorzugte Verbindung zu erzwingen – eine Art Kalkül des Herzens.

Louise blieb damit erfolglos, denn Amiel brach die Beziehung endgültig ab. Allerdings liess er den Vorwurf nicht auf sich sitzen, er habe seine Gefühle aus finanziellen Erwägungen verraten. In einer ausführlichen brieflichen Rechtfertigung erinnerte er an die vielen Male, an denen er Louises zu hoch geschraubte Erwartungen gedämpft habe. Es folgten mehrere Repliken Louises, von Mal zu Mal gehässiger formuliert. In einem vernichtenden Schreiben vom Dezember 1860 bezichtigte sie Fritz schliesslich, er

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habe die ihm dargebrachten Gefühle missbraucht und sie selbst zappeln lassen, «um sich ausgiebig und so lange wie möglich an der ganzen Süsse einer reinen, tiefen und ergebenen Liebe zu erfreuen». Im Stil «Das muss jetzt aber auch gesagt sein» fügte sie an, selbst engste Freunde hätten Amiel als «kalten, harten, herzlosen Mann» bezeichnet, als «falsch und stolz»; sogar der Selbstmord von Vater Amiel wurde ins Feld geführt.

Aus dem Abwägen und Verrechnen finanzieller Voraussetzungen rund um la dot ist hier ein emotioneller Kontoauszug geworden, ein Abrechnen der Gefühlsposten – zusammengefasst in Louises Ausspruch, sie habe «Gold gegen Falschgeld eingetauscht». Wie steht es denn aber mit den nicht metaphorisch gemeinten Posten? Mit den zahlenmässig fassbaren Voraussetzungen, mit Amiels finanzieller Schmerzgrenze von 7000 Francs?

Mit Löhnen, Budgets, Preisen und Lebenskosten ganz allgemein?

Anbieter und Hausfrauen an einem Genfer Marktstand. Die Lebensmittelkosten machten vor 150 Jahren einen betr채chtlichen Anteil des Haushaltbudgets aus. Bei Unterschichtsfamilien nahmen sie die H채lfte des Einkommens und mehr ein, aber auch f체r gutb체rgerliche Familien fielen sie stark ins Gewicht.

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Le résultat c’est que depuis vingt ans, à Genève, la vie d’un ménage est devenue deux fois plus chère et que 3000 francs d’alors en représentaient 6000 d’aujourd’hui. La cause en serait double: le renchérissement des choses en général et l’accroissement des besoins dans la même classe de la population.

Das Ergebnis ist, dass sich in Genf in den letzten zwanzig Jahren die Lebenskosten im Haushalt verdoppelt haben und dass 3000 damalige Francs heutigen 6000 Francs gleichkommen. Der Grund dürfte in zwei Dingen liegen: die Verteuerung der Waren ganz allgemein und das Ansteigen der Bedürfnisse in der gleichen Bevölkerungsklasse.

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Unterwegs auf einer Studienreise, ohnehin verwirrt in einer Stadt, in

der er keine Menschenseele kennt, gerät der kleine Professor aus Genf in Panik: «Ich fühle mich verstört, verlassen, ausgeraubt.» Wird seine Reisebörse ausreichen? Muss er vorzeitig abreisen? «Das Geld rinnt wie Wasser durch die Finger, und alles ist dreimal so teuer wie bei meiner letzten Durchreise. Beispiel: Überall kostet jetzt ein kärgliches Nachtessen mit Übernachtung und Frühstück zehn Francs, und laut meiner Speisekarte kommt hier sogar das Souper auf das Doppelte zu stehen: Beefsteak Fr. 3.50 + Suppe Fr. 1 + Gemüse Fr. 1, dazu das Bier Fr. 1.50, total Fr. 7.» Einmal mehr erkennt Amiel, dass er im praktischen Alltag unterzugehen droht, wenn er dessen Anforderungen und Bedingungen immer nur einer zweiten oder dritten, jedenfalls untergeordneten Kategorie des Lebens zuweist.

«Trotz allen Widerstrebens muss man sich darum bemühen, den Preis der Dinge kennenzulernen», rät er sich selbst, «und den Überblick über seine Einnahmen, Ausgaben und Anlagen zu behalten.» Mit anderen Worten: Quittungen aufbewahren, seine Auslagen notieren und dem noch vorhandenen Kapital anpassen. Und das gilt nicht nur unterwegs auf Reisen. «Der homme de lettres, der kein Buchhalter sein will und keine Kalkulation anstellt, wird von jedermann ausgebeutet, so wie dieser arme Pestalozzi. Ordnung im Wirtschaftlichen ist die Grundlage des gewöhnlichen Lebens. Das ist wahrscheinlich die erste Bedingung der Freiheit.»

Connaître le prix des choses. Wer nicht ohne einen Centime im Beutel in einer fremden Stadt stranden will, muss den Preiszettel umdrehen und das Menü studieren, wer sich verheiraten will, muss erst einmal die Kosten für die Hochzeit berechnen. Der Eintrag in einem Spezialheft mit dem Titel «Überlegungen zur Ehe», Délibérations matrimoniales, zeigt Amiel beim Auflisten der zu erwartenden Ausgaben für die Trauung; im bürgerlichen Genf seiner Zeit fallen diese an den Bräutigam. Dazu gehört die Ausstattung für die Braut: Schal 200 Francs, Spitzen 100, Samt für ihren Mantel 100, Robe aus Taft 100, Armreif (eventuell Brosche) nochmals 100, zusammen bereits 600 Francs. Kommt mit 300 Francs hinzu die Grundausstattung für

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die Küche, für die Teller, Pfannen und Schüsseln, dazu 150 für ein Fass Bordeaux, ebenso viel für ein Fass Beaujolais, Brennholz und Kohle 115, Bestücken der Speisekammer 150, noch einmal gegen 800 Francs.

Die Liste – wie nicht anders zu erwarten – schreckte Amiel ein weiteres Mal ab, liess ihn seine Heiratspläne auf später verschieben. Uns aber gibt sie, zusammen mit den oben aufgeführten Preisen für den zeitgenössischen Touristen, einen Einblick in die Lebenskosten der Zeit vor 150 Jahren. Ganz im Sinne von Louise Wyder und ihrem Wunsch nach «genauem Aufschluss über die Kosten eines Heims, das Einrichten eines Hauses» soll dieses Kapitel das bis jetzt nur in groben Zügen skizzierte Budget eines Haushalts aufschlüsseln.Wie gross sind die Posten für Miete, Kleider und Er nährung, was kostete ein Buch oder ein Bleistift im Genf der 1860er-Jahre? Wie viel verdienten ein Buchhalter, ein Fabrikarbeiter und ein hoher Beamter? Ab welchem Vermögen galt jemand als wohlhabend oder als reich, und was müssen wir unter dem so oft zitierten «standesgemässen» Haushalt verstehen? Ein Kapitel mit vielen Zahlen, und dies aus dem ganzen Gebiet der Schweiz: So gering sind die regionalen Unterschiede, dass neben den Genfer Preisen und Löhnen durchaus ein Beispiel aus Basel oder Bern Platz hat.

So wie Amiel bezog der etwas ältere Berner Mediziner Gustav Valentin ein Dozentengehalt von einer Hochschule, in diesem Fall der Berner Akademie – rund 4200 Franken. Wie das Haushaltungsbuch seiner Gattin für die Zeit um 1860 ausweist, gab die Familie (zwei Kinder, eine Magd) allein für den Haushalt 4100 Franken aus. Nicht abgedeckt waren somit Steuern, Rücklagen fürs Alter, Versicherungen und dergleichen. Genau wie Amiel waren die Valentins auf ein Zusatzeinkommen angewiesen. Ein ererbtes Vermögen von 20’000 warf jährlich rund tausend Franken ab. Das entspricht einem Zinssatz von knapp fünf Prozent; in allen hier zitierten Übersichten gilt dieser praktisch als gegeben und entspricht dem damals gängigen Hypothekarzins. Ein Einkommen in unbekannter Höhe brachte Valentins ärztliche Praxis, die der Professor neben der Vorlesetätigkeit betrieb. Allzu hoch kann es nicht gewesen sein, denn Valentin versuchte angelegentlich, sein Vermögen zu optimieren, indem er mit amerikanischen Eisenbahnaktien spekulierte – allerdings ohne viel Erfolg.

Waren also Amiels Klagen berechtigt? Ging der Staat mit seinen Geistesarbeitern knausrig um, setzte er bei der Entlöhnung seiner Hochschul-

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dozenten praktisch ein eigenes Vermögen voraus und schränkte somit die Auswahl empfindlich ein? Auch Albert Tanners gross angelegte Untersuchung über das Bürgertum hält fest: Viele Magistraten und Lehrende mussten «durch nebenamtliche oder ergänzende Tätigkeiten ihr Gehalt aufbessern, um so doch ein einigermassen standesgemässes Leben zu führen».

Das traf etwa auf den Maler und Schriftsteller August Corrodi zu, der um 1860 als Zeichenlehrer an den Winterthurer Stadtschulen auf 1900 Franken Jahreslohn kam. Schrieb Amiel Gedichte und Abhandlungen, so brachte bei Corrodi der Verkauf von Gemälden und Zeichnungen etwas zusätzlichen Verdienst. Auch hier war die Familie (zwei Kinder, eine Magd) angewiesen auf das Frauenvermögen und dessen jährliche 1800 Franken Zinserträge; sie brachten das Jahreseinkommen auf 4600 Franken. Selbst der 1864 in den Bundesrat gewählte Carl Schenk – ein weiteres Beispiel, das Tanner anführt – musste «in der Lebensführung gewisse Abstriche machen». Als Mitglied der Landesregierung kam Bundesrat Schenk auf jährlich 8400 Franken, stand aber einem Haushalt mit sieben Kindern vor.

Auf Nebenverdienste geht das Journal intime immer wieder ein. So wie heute in den mediterranen Ländern viele Lehrer oder Beamte einen Zweitjob innehaben, brauchten auch manche Bekannte Amiels eine zusätzliche Einnahmequelle. Er selbst unterrichtete zweimal wöchentlich, wie gesehen, die jungen Frauen des Töchterinstituts Maunoir in französischer Literatur.

Ein Kollege namens Bertrand, Privatdozent für Mathematik an der Académie, gab in der freibleibenden Zeit Privatstunden, in den Semesterferien bis zu zehn Lektionen täglich, dies zu 3.50 Francs die Stunde. Als die Erziehungsdirektion einen Lehrauftrag an der Ecole supérieure des Demoiselles ausschrieb, war das Amiel einen längeren Eintrag wert. Der Posten hätte ihm sehr zugesagt, denn er trug im Jahr 800 bis 900 Franken ein. Als Anwärter war er freilich nicht allein, offenbar rissen sich viele Kollegen geradezu um den Auftrag: tout le monde a fait feu à ce gibier. Amiel musste zurücktreten; ärgerlicherweise gehörte er statt zu den Anwärtern der Wahlkommission an.

Aber was heisst «standesgemässes Leben», was sind «Abstriche bei der Lebensführung»? Ein Blick in die Rechnungsbücher der Berner Patrizierfamilie von Tillier zeigt den Standard der happy few: Die Tilliers gaben in den 1860ern jährlich 20–25’000 Franken für den Haushalt aus. Der Posten Ernährung beanspruchte davon etwa einen Fünftel – so viel wie das ganze

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Budget des Berner Medizinprofessors Valentin. Vier- bis fünfhundert Franken gingen allein für den Weinkeller der Tilliers drauf, noch etwas mehr für die Equipage: Pferde, Wagen und Kutscherlohn. Die Familie beschäftigte fünf Bedienstete. Eine Köchin, ein Kindermädchen plus Diener, Stubenmagd und Kutscher galten in diesen Kreisen als unverzichtbar.

Amiel selbst hat diese Ambiance im Herbst 1860 auf einer Ferienreise in Neuhausen am Rhein kennengelernt, als Gast der Industriellenfamilie Moser. Bekannt war man auf Umwegen: Uhrenfabrikant Heinrich Moser hatte seine hübsche Tochter Sophie einst ins Töchterinstitut Maunoir nach Genf geschickt, wo Amiel Literaturkunde erteilte. Sein Empfehlungsbrief führte ihn bei Mosers Schwiegersöhnen Richard und Neher ein, die den Professor aus Genf mit allen Ehren empfingen. Die Herren führten den Gast durch die Waggonfabrik Neuhausen, die ebenfalls zum Moser-Imperium gehörte, luden ihn anschliessend zum Nachtessen ein. Offenbar entschuldigten sie sich im vornherein für die angeblich improvisierte Einrichtung im Sommerhaus am Rhein. Amiels Tagebucheintrag spricht eine andere Sprache: «Alle diese Leute gaben sich sehr zuvorkommend und gastfreundlich, aber was sie ungezwungen nennen, ist schlicht prachtvoll.

So kam am Abend auf drei Gäste ein Lakai in weissen Handschuhen, dazu Silbergedeck, herrliche samtbezogene Polster!»

Zusammengefasst: Zum «standesgemässen» Haushalt gehörte eine geräumige Stadtwohnung oder ein Stadthaus mit mindestens zwei Dienstboten. Unternehmer oder Magistraten auf dem Land bewohnten in den allermeisten Fällen ihre eigene Villa. Viele gutsituierte Genfer begnügten sich mit einer Stadtwohnung und zogen dafür im Sommer, am Wochenende und für ausgedehnte Ferien auf ihre campagne – ein Landgut in einer der umliegenden Gemeinden. Das konnte ein stattliches Pächtergut samt Herrenhaus sein oder ein umgenutztes Bauernhaus, allenfalls auch ein kleines Winzerhaus. In diesem Fall sprach man von einer campagnette; selbst Griechischdozent André Cherbuliez, der Gelehrte mit den fadenscheinigen Anzügen, unterhielt in Aïre den Sommersitz Hauterive. Meist gehörten zur campagne eine gekieste Aussichtsterrasse mit Topfpflanzen, ein Obstgarten und ein Rebberg. Viele Besitzer waren stolz darauf, ihren eigenen Wein zu trinken: meist ein petit blanc, ein leichter Weisswein für den Alltag. Typisch für all dies ist der Sommersitz von Franki und Fanny Guillermet in Cartigny, der Les Ombrages hiess und jeweils Anfang Mai bezogen wurde.

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Er lieferte Wein, Gemüse und Obst für die Küche an der Cour Saint-Pierre, war übrigens seit 1858 und der Eröffnung der Bahnlinie von Genf nach Lyon deutlich im Wert gestiegen. Wie denn überhaupt der Haushalt von Schwester Fanny und Schwager Franki als Musterbeispiel für die gutbürgerlich-standesgemässe Lebensweise gelten kann: geräumige Stadtwohnung auf zwei Etagen, zwei bonnes, der Landsitz. Auf Les Ombrages war auch der zumindest teilzeitlich angestellte Hausknecht Jean stationiert, zusammen mit einem einspännigen Cabriolet und dem alten Familiengaul Gentil, für die sich an der Cour Saint-Pierre keine Remise fand.

Dieser Standard liess sich bei einem Jahreseinkommen unter 8000 Francs nicht halten; wie vorher gezeigt setzte Schwager Franki die Limite sogar bei 10’000 an. So gesehen hatte sich Amiel bei seinen Berechnungen rund um Mitgift, Rente und Kosten eines ehelichen Heims eher bescheiden zurückgehalten.

Die behandschuhten Lakaien mit ihren Silbertabletts und die samtbezogenen Sitze stehen für das eine Ende der Skala. Aber wie sah es am anderen Ende aus? Sieben Jahre nach Amiels Besuch am Rhein erschien eine zweibändige Abhandlung des ETH-Professors Victor Böhmert, der die Lebensund Arbeitsbedingungen des Industrieproletariats untersucht hatte. Erstmals wird hier der Alltag der Arbeiterfamilie in Zahlen gefasst. Böhmert nennt ein Beispiel aus Genf: Ein Industriearbeiter und Familienvater verdient bei 4000 Jahresstunden 1060 Franken – ein Stundenlohn von knapp 25 Rappen! Seine Jahresarbeitszeit ergibt sich aus dem gebräuchlichen 13-Stundentag, sechs Tage die Woche, keinerlei Ferien und neben den Sonntagen nur einige wenige Feiertage. Von diesem Verdienst verschlingen die Posten Wohnen und Essen mit 700 Franken den Hauptanteil. Es bleiben die Ausgaben für Möbel, Kleider, Krankenkasse und Steuern; ohne Mitverdienst der Frau ist hier das Defizit vorprogrammiert. Böhmert rechnet ein entsprechendes Budget durch, am Beispiel einer Industriearbeiterfamilie im Kanton Zürich. Hier bringen es beide Elternteile zusammen auf einen Jahresverdienst von 1670 Franken; diesem stehen feste Ausgaben von 2000 Franken gegenüber. Also ein Defizit, «welches nur durch Überarbeiten, durch Abzug an Kost und Logis wieder ins Gleichgewicht gebracht werden kann». Das sind die vorher genannten «Abstriche bei der Lebensführung», aber am unteren Ende des Spektrums. Krankheits-, Ge-

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burts- und Sterbefälle, Bücher und Schulgeld berücksichtigt diese Jahresrechnung nicht.

Bemerkenswerterweise unterschied sich das Jahresbudget des Kleinbürgertums kaum von jenem des Proletariats. Für die 1860er-Jahre führt Tanner das Beispiel des Zürcher kaufmännischen Angestellten Lukas Spörry an. Die Familie mit fünf Kindern musste mit einem Jahresgehalt von 1500 Franken auskommen, zu dem die Mutter durch Heimarbeit einige Franken beitrug. Die Lebenshaltung wurde hier ebenfalls durch «Abstriche» bestimmt: Die Kinder schliefen auf Laubsäcken, die Kleidung für die Buben liess man vom Störschneider aus den abgelegten Anzügen des Vaters abändern, während die Mutter die Röcke für sich und die Mädchen selber schneiderte. «Man entbehrte», heisst es in den Erinnerungen des Sohnes Hans Spörry, «man sparte, kümmerte für den immer wiederkehrenden Hauszins und die wachsenden Ausgaben für Kleider, Schuhe, Schulgelder und Lehrmittel aller Art.» Gerade die Schuhe, so abgetragen auch immer, wurden zu einer Art Abgrenzungssymbol gegenüber der Arbeiterschaft.

Während Fabriklerkinder ungeniert barfuss in den Strassen und Hinterhöfen spielten, hielten die Eltern Spörry darauf, dass ihre Kinder Schuhe trugen.

Abstriche zeigten sich vor allem in der Ernährung. In den genannten mittelständischen Familien Valentin und Corrodi beanspruchte sie knapp 40 Prozent des Budgets, also rund 1500 Franken oder so viel wie das gesamte Einkommen der Spörrys. In Arbeiter- und Kleinbürgerfamilien wurde dementsprechend sehr viel einfacher und eintöniger gegessen. Die Hauptrolle spielten Kartoffeln, Kohl, Kaffee und Teigwaren. Das Abendessen der Spörrys beispielsweise bestand «die ganze Woche hindurch unabänderlich in Kaffee mit gerösteten Erdäpfeln oder auch nur mit Brot». Weder beim Brot noch beim Kaffee darf man sich die uns heute vertrauten Qualitäten vorstellen. Kaffee wurde hauptsächlich mit getrockneten und gemahlenen Zichorienwurzeln aufgebrüht, denen ein paar Kaffeebohnen das entsprechende Aroma verliehen. Brot kam immer altbacken auf den Tisch, mindestens zwei bis drei Tage alt. Aber auch so beanspruchte die Ernährung durchschnittlich 50 Prozent des Unterschichtsbudgets.

Eine spezielle Stellung nehmen die Volksschullehrer ein – auf den ersten Blick noch unter dem Fabrikarbeiter oder dem Bürolisten eingestuft.

Für 1865 nennt Tanner 800 Franken als Jahreslohn für Primarlehrer im

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Bernbiet. Im selben Jahr diskutiert man im Kanton Luzern über die Lehrerbesoldung, die auf der untersten Stufe bei 580 bis 600 Franken liegt.

Hinzu kämen aber, so rechnet ein Zeitungsartikler vor, freie Wohnung und allerlei Naturaleinkünfte wie Brennholz; auch liessen die grosszügig bemessenen Ferien reichlich Raum für einen Nebenerwerb ...

Connaître le prix des choses. Natürlich lassen sich die angeführten Einkommen erst werten, wenn wir die entsprechenden Zahlen auf der Ausgabenseite kennen. Was kostete das Pfund Kaffee, das Paar Schuhe, das Kilo Kartoffeln? Dass hier das Tagebuch Amiels kaum Informationen hergibt, erstaunt nicht. Schon der eingangs zitierte Eintrag über die unverschämt hohen Touristenpreise zeigt es: Um die alltäglichen Kosten kümmerte sich der Herr Professor nur gerade, wenn er auf Reisen war. Zuhause an der Cour Saint-Pierre lieferte er einen jährlichen Betrag an die Haushaltkasse der Guillermets ab. Er nennt ihn «sehr angemessen», fort raisonnable, ohne weitere Angaben. Aus verschiedenen Aufstellungen geht aber hervor, dass er in der Grössenordnung von 1000 Francs lag: der Pensionspreis für zwei Mansardenzimmer, Kost, Wäsche und Reinigung durch die bonnes. Ausgaben für Kleider, Bücher oder Geschenke beziffert das Tagebuch leider nie. Ein einziges Mal wird der Preis einer Anschaffung fassbar: Amiel hat bei einem Schreiner eine Vitrine für zwei Porzellanbüsten bestellt. Es trifft eine Rechnung über 40 Francs ein, obwohl der Voranschlag auf 15 Francs lautete. Die Diskrepanz stürzt ihn in die grösste Verwirrung: «Zwei Personen, die ich anfragte, haben mir versichert, mehr sei die Sache nicht wert.

Ich habe schliesslich 22 Francs geschickt, aber hin- und hergerissen zwischen der Angst, ihm unrecht zu tun, und der Gewissheit, übers Ohr gehauen zu werden. Ich leide.»

Halten wir uns vorerst ans Journal de Genève, in dem gelegentlich Amiels Konzertkritiken erscheinen, vor allem aber eine Vielzahl täglicher Annoncen. Ein Inserat (von Ende Januar 1860) bietet ein städtisches Miethaus mit zwei Wohnungen zum Kauf an, zum Preis von 40’000 Francs. Für ein Pferde-Doppelgespann werden 1000 Francs verlangt, für 250/Jahr ist eine kleine Stadtwohnung zu haben. Ein eben erschienenes Buch, ein schön ausgestatteter Bildband, kostet 4 Francs, ein Gedichtband 1.50 Francs. Viele Kleininserate werben für Modeartikel, beispielsweise für Paletots (Herrenmäntel, 12–15 Francs) oder Herrenstiefel (10 Francs). Ein Pfund Suchard-

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Schokolade kostet 1.50 (Qualität mi-fin) bis 3.00 Francs (Qualität extra-fin), 5 Francs die Eintrittskarte zum Kammermusikkonzert in der Salle du Casino mit Streichkonzerten von Beethoven, Mozart und Mendelssohn. Auffallend gut vertreten sind Anzeigen für medizinisch-kosmetische Präparate, zum Beispiel für vinaigre anglais oder Englischen Essig, ein Allerweltsmittel gegen Körpergeruch, aber auch gegen ungesunde Dünste. Die Flüssigkeit dieses Deodorants (1.50 Francs pro Fläschchen) wird auf die Haut oder auf die Kleider gesprüht. Zahlreiche Spirituosenhändler bieten Cognac an (3 Francs/Flasche) oder erstklassigen Beaujolais oder Bordeaux: 15 Francs für den Zwölferharass, die Einzelflasche 1.50 Francs. Die Zeitung selbst kostet 15 Centimes im Einzelverkauf, 3 Francs das Monats- und 25 Francs das Jahresabonnement. Wer die Zeitung persönlich an einer der Ausgabestellen abholt, erhält eine zehnprozentige Reduktion aufs Abonnement.

Gerade beim Wein zeigt sich aber der weit gespannte Preisfächer für Alltagsartikel. Einzelflaschen mit Markenweinen gönnte man sich vorab für festliche Anlässe, aber die meisten Haushalte hatten ein Fass mit Wein oder zwei im Keller stehen. Ein 200-Literfass mit Tischwein erhielt man ab 28 Francs; die gehobenere Sorte kostete etwa das Doppelte. Beim Brot hingegen waren die Preise staatlich kontrolliert, beispielsweise die 40 Centimes für den Kilolaib Weissbrot. Das war ausgesprochen viel, vergleicht man damit die Kilopreise für Kartoffeln (7–9 Centimes) und Äpfel (20 Centimes, genau wie Birnen) oder Käse (1.30–1.50 Francs). Milch kostete 10–12 Centimes pro Liter, ein Dutzend Eier 60 Centimes. Für ein paar Rappen erhielt man Innereien vom Rind oder Schaf oder zähes altes Kuhfleisch zum Sieden – nicht immer eine unbedenkliche Sache! Manger de la vache enragée war ein weitverbreiteter abschätziger Ausdruck für besonders ärmliche Verhältnisse: Wer finanziell aus dem letzten Loch pfiff, ass das allerbilligste Fleisch, womöglich eben Fleisch von tollwütigen Rindern.

Im Herbst 1865 unterhält sich Amiel mit zwei Kollegen über die stetig steigenden Anforderungen ans Haushaltbudget; die drei sind sich einig, dass die Teuerung ihren Realverdienst von Jahr zu Jahr schmälere. Ein subjektiver Eindruck, denn zumindest im Bereich Lebensmittel kannten die 1860er-Jahre keinerlei Inflation. Der Index für Nahrungsmittel pendelte während dieses Jahrzehnts um 125 Punkte herum, stieg erst nach dem Preussisch-Französischen Krieg von 1870/71 steil an auf 170 und fiel dann ebenso drastisch wieder, bis auf 120 Punkte in Amiels Todesjahr 1881. Die

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Hundertermarke fällt ins Stichjahr 1890: Die wachsenden und schnelleren Bahnverbindungen hatten die Nahrungsmittel noch einmal verbilligt. Im selben Zeitraum sanken auch die Preise vieler neuerdings industriell hergestellter Bedarfsmittel. Dazu gehörte die Taschenuhr, die lange Zeit nur für Gutgestellte erschwinglich war. Ab 1867 aber gab es die vom Unternehmer Roskopf in La Chaux-de-Fonds lancierte Volksuhr zu kaufen. Der robuste und aufs Äusserste vereinfachte Zeitmesser – zum Nachstellen drehte man beispielsweise am Uhrzeiger – kostete 20 Francs: der Wochenlohn eines Fabriklers. Viele andere Preise fielen im gleichen Zeitraum ebenso drastisch, etwa jene für Kleider, Schuhe oder Möbel, ebenso die Transportkosten.

Jean-Elie David, in dessen elterliche Pension Amiel später einziehen sollte, zeichnet in seinen Lebenserinnerungen eine hübsche Szene aus den 1860ern, die eben diesen Vorgang illustriert. Bleistifte gab es jetzt schachtelweise zu kaufen, die Sechser- oder Zwölferschachtel zu einem halben oder ganzen Franc. David aber schwärmt vom grossen Mangin, dem Bleistifthändler, der jährlich durch die Strassen Genfs zog, in einer Kutsche gross wie ein Omnibus. Während ein Gehilfe in die Trompete stiess, schwenkte der fantastisch gekleidete Mangin hoch auf dem Kutschbock seine Bleistifte: herrlich schwarz lackierte Prachtstücke mit einem vergoldeten Ring am Ende und entsprechend bis zu einem Franc teuer. Vor den Augen der Menge, die sich um den Wagen drängelte, spitzte der Maestro die Stifte mit einem grossen Küchenmesser zu, und dies «mit erstaunlicher Geschicklichkeit. Ich habe ihn dann nur noch dreimal gesehen; die Umwälzungen im Handelswesen durch die Eisenbahn haben diese malerischen Schausteller von einst verdrängt.»

Die Eisenbahn brachte billige Bleistifte aus Massenfabrikation, aber Bahnfahren selbst war in den Anfangsjahren eine ausgesprochen teure Sache.

Für den Herbst 1860 hält das Tagebuch eine Bahnreise Amiels von Zürich nach Glarus fest. Auch wenn der Eintrag über die Fahrtkosten schweigt, wird Amiel die Stirn gerunzelt haben: 6.50 Franken für das Einwegbillett in der Ersten Klasse – so viel, wie der Professor im Tag verdient! Auf der etwas später neu eröffneten Linie Zürich – Zug (40 Kilometer) kostete die Rückfahrkarte in der Ersten Klasse 6.60 Franken, in der billigsten Dritten Klasse die Hälfte: der Taglohn eines Stationsvorstandes an dieser Strecke!

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Die Eisenbahn brachte keineswegs den «volkstümlichen und billigen Transport», den die Unternehmer der ersten Stunde versprochen hatten; Bahnfahren blieb bis über die Jahrhundertwende hinaus eine exklusive Angelegenheit. Ein bezeichnendes Detail halten die Erinnerungen der Arbeitertochter Verena Conzett aus der Zeit um 1870 fest: Frühmorgens um sechs Uhr treffen in den Fabriken rund um den Zürcher Hauptbahnhof die Arbeiterinnen aus Vororten wie Oerlikon und Schwamendingen ein, im dichten Schneegestöber. Sie sind seit einer Stunde und länger zu Fuss unterwegs und entsprechend durchfroren. Zwar existiert eine Bahnverbindung von Oerlikon nach Zürich, aber die Einfachfahrt in der billigsten Klasse kostet 25 Rappen – ein Stundenlohn oder mehr! Ganz zu schweigen von den Preisen der in ebendiesen Jahren eröffneten Zahnradbahn auf die Rigi: Für die Hin- und Rückfahrt Vitznau – Rigi Kulm zahlte ein Erwachsener gut 10 Franken. Doppelt so viel kostete das Bahnbillett Genf – Basel (Zweite Klasse, Einfachstrecke). Das war mehr als der Wochenlohn des Fabrikarbeiters – heute der Gegenwert eines Flugtickets hors saison nach New York oder Chicago.

Auf Sinn und Unsinn des Unterfangens, damalige Beträge in heutige umzurechnen, geht dieser Text später ein. Hier interessieren neben den Fahrtkosten auch die Preise in einem Erwerbszweig, der in den gleichen Jahren rasant an Bedeutung gewann – der Hotellerie. Amiel selbst gibt hier wieder einmal einige Anhaltspunkte. Nach einer vierwöchigen Kur in Allevard-les-Bains begleicht er die Rechnung für Hotel und medizinische Betreuung: 410 Francs. Dass er zumindest zeitweise ähnliche Rechnungen anstellt, wie wir sie in diesem Kapitel vornehmen, beweist die abschliessende stirnrunzelnde Bemerkung: «Für 26 Tage ist das wohl in Ordnung.

Es ist annähernd das Dreifache meiner Besoldung als Professor für den gleichen Zeitraum.» Wie man mit ein paar Kniffs die Reisekosten reduziert, verrät ein weiterer Eintrag von einer Fahrt nach Lausanne: «Ein Versehen bei meinem Gepäck beschert mir Umtriebe und unnötige Kosten. Diese Sporteln für Gepäck, Omnibus, Träger und Trinkgelder plündern den Reisenden aus, und es lohnt den Aufwand, die Kunst zu studieren, täglich zwei oder drei Francs einzusparen. Am besten führt man nur einen Koffer mit und deponiert am Bahnhof eine handliche Nachttasche (sac de nuit), die man für die Übernachtung selbst mitträgt.»

Hier war Amiel wohl unterwegs nach der von ihm bevorzugten Ferienregion rund um Montreux. Seine Lieblingspension Rosen in Ollon findet

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sich zu unserer Freude im dickleibigen Fremdenführer «Heilquellen und Kurorte der Schweiz», den der Zürcher Arzt Conrad Meyer-Ahrens um 1860 herausgab: eine Fundgrube zum einstigen Wellness-Angebot des Landes!

Für die Angebote von Clarens und Vernex gibt Meyer-Ahrens mehrere Preisbeispiele; so kostet die Vollpension in der Pension Sanssouci 6–7 Francs/Tag. Etwas günstiger kommt die Pension Haute-Rive zu stehen (5–6 Francs), und für selber haushaltende Familien ist eine Vierzimmerwohnung für 150/Monat zu haben («Bett- und Tischwäsche wird besorgt»).

Auch über den Preis einer weiteren Art von Unterkunft belehrt uns das Journal intime. So sehr nämlich liegt Amiel die Gegend hier am Herzen, dass er sich auf dem Friedhof von Clarens seine letzte Ruhestätte wünscht.

Zweimal erkundigt er sich nach den Bedingungen. «Die Gräber werden für 40 Jahre vergeben», notiert er nach der ersten Kontaktnahme, «und kosten bloss 5 Francs pro Quadratfuss; das ergibt 7!3!5 = 105 Francs für einen Grabplatz.» Ein Jahr später unterhält er sich eingehend mit dem Totengräber von Clarens und muss seinen Voranschlag revidieren. Zwar werde der Stein auf Kosten der Gemeinde errichtet, auch seien die 40 Jahre garantiert, mit Option auf Erneuerung (renouvellement possible), aber die Kirchgemeinde verlange nicht 105, sondern 250 Francs. Ist denn selbst der Ewige Schlaf teurer geworden?

Auf dem Friedhof von Clarens und anderswo gelten die gleichen Masse für den Reichen wie den Armen: sieben mal drei Fuss. Zudem gehört den Armen die erdrückende Überzahl, in diesem wie im anderen Leben. Für die Zeit um 1870 sind hier Erhebungen für einige Städte des Landes greifbar.

In Bern beispielsweise geben 85 Prozent aller Steuerpflichtigen ein Jahreseinkommen bis zu 2000 Franken an; die Verhältnisse in Genf unterscheiden sich davon nicht erheblich. Ähnlich einseitig ist das Verhältnis beim Vermögen: Zu eben dieser Zeit zählt die Stadt Zürich 38 steuerpflichtige Haushalte, deren Vermögen eine halbe Million übersteigt: etwa ein halbes Prozent aller Steuerzahler. Die Vermögensklasse 100–250’000 (192 Steuerpflichtige) macht drei Prozent des Totals aus. Hier finden sich zehn Angehörige der bourgeoisie des talents, nämlich Pfarrer und Professoren wie Franki und Henri-Frédéric.

Nach allem Vorangegangenen erstaunt es denn doch, dass Amiel – wenn auch nur knapp – nach Einkommen und Vermögen dieser Oberschicht an-

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gehört, die nicht einmal vier Prozent der Bevölkerung einschliesst. Anhand des Tagebuchs lassen sich seine Besitzverhältnisse über die Jahrzehnte hinweg in Zahlen festhalten: eine Art Ökobiografie, ein finanzieller Lebenslauf, der dieses Kapitel beschliessen soll. Er beginnt mit dem Tod von Vater Henri Amiel im Jahre 1834. Dadurch werden die Geschwister Fanny, Laure und Henri-Frédéric zu Vollwaisen, denn zwei Jahre zuvor ist ihre Mutter an Tuberkulose gestorben. Mit Erreichen der Volljährigkeit erhalten sie ein Erbe in der Grössenordnung von je 50’000 Francs, darin inbegriffen ein Drittelanteil am elterlichen Wohnhaus an der Rue des Cendriers. Es ist anzunehmen, dass Amiels ausgedehnten Studienjahre in Deutschland aus den Erträgen dieser Erbschaft finanziert werden; erst ab 1848 und seinem Stellenantritt an der Académie beginnt das Vermögen wieder zu wachsen.

Die 1863 säuberlich aufgestellten Ertragsposten lassen auf ein Vermögen von rund 90’000 Francs schliessen. Zwei Jahre später meldet er mit einiger Zufriedenheit die runde Zahl von 100’000 – «ererbt von meinem Vater, aber durch meine Sparsamkeit und meinen Fleiss in zwanzig Jahren verdoppelt». Der gleiche Eintrag zeigt, dass der Betrag je hälftig in Immobilien und öffentlichen Anleihen angelegt ist. Innerhalb des zweiten Postens wagt Amiel gelegentlich eine kleine Spekulation: «Wohlverstanden tätige ich diese Anlagen nicht selbst, sondern ein Freund, der im Metier tätig ist.»

Zum ersten Mal lesen wir: «Ich bin also unabhängig, ich bin wohlversorgt», Amiel schliesst gar mit einem in Deutsch gehaltenen «Gott sey Lob!». Aber im Jahr 187o stellt er ernüchtert fest, dass sich sein Kapital nicht vermehrt hat, obwohl er jährlich ein paar tausend Francs auf die Seite legt: «Irgendwo gibt es ein Leck, einen stetigen Abfluss, den ich nicht erkenne. Und so ziehen die Jahre vorbei, ohne dass ich lerne, mein Scherflein zu verteidigen.»

Ins Jahr 1875 fällt der letzte konkrete Eintrag des 54-Jährigen: «Ich komme jetzt auf ein Kapital von 150’000. Damit habe ich doch zu leben, auch ohne mein Professorat.»

Eine besondere Rolle besetzt bei diesen Berechnungen das Elternhaus an der Rue des Cendriers. Zwar wirft es in guten Zeiten jährlich 1800 Francs an Mietzinsen ab. Aber im Januar 1860 brennt es in einer Gewitternacht nieder; dabei stellt sich heraus, dass die Versicherung nie angepasst wurde und bloss den Verkehrswert von 1840 abdeckt. Trotzdem zeigt sich Amiel merkwürdig gelassen, denkt während der Löscharbeiten an seine Übersetzung von Schillers «Glocke» und die darin geschilderte Feuersbrunst, hält

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am nächsten Morgen seine Vorlesung, als sei nichts geschehen. Im September 1873 brennt das Haus erneut ab, zum zweiten Mal in dreizehn Jahren; die Nachricht erreicht Amiel während eines Urlaubs in Baugy. «Schönes Geburtstagsgeschenk!», notiert er. «Welche Hartnäckigkeit des Schicksals!

Das Gebäude ist versichert, aber auch wenn nicht alles verloren ist, so ergibt sich doch eine Einbusse.» Auch hier bleibt er merkwürdig ungerührt, macht keinerlei Anstalten, nach Genf zurückzukehren, spielt nach dem Souper eine Partie Schach. «Meinen Schadenfall vollständig vergessen. Aber das Unglück spürt uns doch immer auf und triumphiert schliesslich über unsere oberflächliche Sorglosigkeit.»

Billets d’amour: Zwei Kurzbriefe Amiels an Marie Favre (1860). «Gardarsi degli indiscreti» (rechts) fordert die Freundin zur Verschwiegenheit auf: Ihre Liaison darf nicht öffentlich bekannt werden.

Billet de banque: Zehnfrankennote der Genfer Caisse d’Escompte. Die ersten Banknoten der Stadt erschienen um 1850. Sie hatten anfänglich den Charakter eines Schecks und wurden nur in den Filialen der jeweiligen Bank eingelöst.

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Kapitel 6

Les reflets de l’or: Psychologie des Geldes

Il y a une impression singulière dans le maniement direct de 500 à 600 napoléons. Les valeurs métalliques sont plus parlantes que les chiffres ou les chiffons.

Es ist ein eindrückliches Gefühl, so direkt mit 500 oder 600 Napoleons zu hantieren. Diese Werte in Edelmetall drücken viel mehr aus als Zahlen auf einem Fetzen Papier.

Les reflets de l’or: Psychologie des Geldes

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Woher stammt der Widerwille, ja die Abscheu Amiels, sich um seine

Finanzen zu kümmern, seinen «Haushalt» im weiteren Sinn des Worts? Ist es der Hochmut des Denkers, der die Ansteckung durch den gemeinen Handelssinn scheut, wie er das nennt? Oder ist es die Demut des Christen, der lieber Schätze der Seele anhäuft statt seelenlos klirrendes Gold und Silber? Einmal hat ihn ein Traum gemahnt, dass nur der Schatz aus guten Gedanken und guten Taten zählt: Il faut donc se faire un trésor de bonnes pensées et de bonnes œuvres. Oder spielt das warnende Beispiel des Vaters eine Rolle? Denn Henri Amiel liess sich nach der Heirat mit Caroline Brandt, der Dorfschönen aus Auvernier, in einen endlosen Prozess um die Erbschaft Carolines ein. In den 1820er-Jahren verstrickte la hoirie Brandt die Familie «in ein undurchdringliches Gewirr von Klage und Gegenklage, von Finten und Betrug, von Unordnung in Rechnungen, Inventaren, Titeln, Anleihen, Wechseln und Verschreibungen». Zwar kämpfte Henri Amiel, ein Kaufmann, erfolgreich um sein Recht. Aber der Sieg rächte sich auf grausamste Weise: Gattin Caroline starb, kaum dreissigjährig, an Tuberkulose; zwei Jahre darauf stürzte sich der Witwer in die Rhone.

Wie stark diese unruhige Jugend, überschattet von gerichtlichen Terminen, Vorladungen und Verleumdungen, den Halbwüchsigen prägte, zeigt sich eindrücklich in den Träumen des Erwachsenen. Wie erwähnt geht Amiel im Tagebuch häufig auf seine Träume ein – und dies über Jahrzehnte hinweg, so dass sich aus dem nächtlichen Geschehen geradezu eine Zweitbiografie ergibt, eine Art paralleler Lebenslauf des Unbewussten. Immer wieder kreisen die Träume um Gericht und Urteil: Der Träumer wird vorgeladen, wird bestraft, muss Untaten gestehen, die er nie begangen hat.

Einmal, im September 1850, macht Amiel im Traum den letzten Tag eines zum Tod Verurteilten durch. Angeblich hat er einen Totschlag begangen.

«Nichts wurde ausgelassen: Gerichtsverhandlung, Richter, Urteil (auf meine Brust geschrieben), letzte Besuche im Gefängnis, fromme Lektüre.» Gut zwanzig Jahre später droht ihm nachts erneut die Todesstrafe: «Ich sollte in zwei Tagen hingerichtet werden. Es schien, dass ich das Urteil verdient

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Kapitel 6

hatte, denn ich empfand nicht die geringste Entrüstung. Das Seltsame ist, dass ich mich an keinerlei Verbrechen erinnerte, dass mein Gewissen vollkommen ruhig war und dass ich den Tod überhaupt nicht fürchtete.»

Mitunter scheint es, als gebe ihm das Unbewusste die Protokolle dieses düsteren Tribunals in die Hand, in «bedrückenden und doppelbödigen Träumen», in denen er ein «riesiges Dossier von einem grässlichen Prozess» herumschleppt. Aber nicht immer sitzen unheimliche Instanzen über ihn zu Gericht, sondern durchaus vertraute Gesichter. Einmal stellt sich ihm im Traum die eigene Schwester auf einer düsteren Strasse in den Weg und will ihn zu einem Eingeständnis zwingen. Eine seltsam veränderte, gebieterische Laure fordert eine Unterschrift unter eine Urkunde: «Ohne mir irgendetwas zu erklären, verlangte sie meine Signatur unter ein langes Dokument, und zwar im Beisein eines Polizeibeamten; ihre eigene Unterschrift riss sie davon weg. Ich weigerte mich heftig.» Dann wiederum wird der Träumer an einem vornehmen Bankett, an dem lauter Adlige tafeln, von zwei Tischnachbarn aufs Gröbste beschimpft und zum Duell herausgefordert. Es stellt sich heraus, dass er gegen beide zugleich kämpfen muss, aber wenigstens die Waffe wählen darf, «worauf ich ihnen mein Kärtchen übergab zwecks Duell mit Hammerschlägen, in welcher Disziplin wir alle gleich ungeübt wären».

Vielen dieser Traumprotokolle hängt Amiel eine Interpretation an, so auch hier. Das Unbewusste gibt ihm zu verstehen, meint er, dass er sich gegen die Welt und ihre Böswilligkeit wehren muss, wenn nötig durch Gewalt oder durch List (die Wahl der unvertrauten Waffe) oder durch beides.

Und weshalb nimmt er sein nächtliches Todesurteil ohne Empörung hin, mit so merkwürdiger Gelassenheit? Der Traum, meint Amiel, hat einen doppelten Boden: Dem Träumer wird erlaubt, das schreckliche Geschehen als Illusion zu durchschauen. «Noch während ich mich ernsthaft verloren wähnen musste, fühlte ich mich doch sicher wie jemand, der weiss, dass alles nur Erfindung ist. Ich spielte mir selber eine Komödie vor, führte meine Einbildung hinters Licht, ohne doch mein Gewissen täuschen zu können.»

Gerade so häufig handeln die Träume von Besitz und Prestige – oder besser: von mangelndem Prestige. Bezeichnenderweise sind es zwei erfolgreiche einstige Freunde, die ihm immer wieder nächtliche Besuche abstatten;

Les reflets de l’or: Psychologie des Geldes

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beide haben sie sich in Paris eine Stellung als Kritiker und Romancier geschaffen. Edmond Scherer wird (im Traum) von Napoleon III. persönlich zum Kaiserlichen Rat ernannt, Kollege Victor Cherbuliez liest (im Traum) einen Text vor, vom Trottoir aus, in aller Öffentlichkeit, umringt von Neugierigen – einen Text «aus einem Meisterwerk, das die Menge erregte und die Spötter zu Tränen rührte, und dies in der erbärmlichsten Strasse der Stadt». Mahnen ihn die Erfolgreichen daran, was er selbst, Amiel, mit seinen Talenten eigentlich erreichen müsste? Amiel: «Wenn ich die Zeit totschlage, meine Tage vertrödle, wird mir das Gegenteil in Form eines Traums vor Augen geführt. Die Vision von jemandem, der seine Zeit nutzt, auf sein Ziel lossteuert – mit einem Wort: jemand, der tut, was ich hätte tun sollen, erhebt sich in meinem Traum wie ein Vorwurf ...» Und läuft es nicht auf eben diese Mahnung hinaus, wenn ihn die nächtliche Einbildungskraft über alle anderen erhebt, ihn auszeichnet? Einmal darf er mit Aristoteles eine ganze Stunde am Hof von Mazedonien verbringen, mit dem grossen Philosophen plaudern. Dann wieder beruft ihn der mächtige James Fazy in den Genfer Staatsrat, «und zwar, wie ich glaube, ins Erziehungsdepartement». Kurios: «In wachem Zustand habe ich nie an diese Möglichkeit gedacht, geschweige denn sie herbeigesehnt.» Und was soll er mit dem Traum beginnen, der ihn in der Bundeshauptstadt Bern zum Drahtzieher, zur Grauen Eminenz und schliesslich zum Ersten Schweizer macht? «Ich hatte verschiedene verschwiegene Treffen in Salons, machte Ausflüge in die Berge, hörte Vorlesungen, war Präsident des Bundesrats und hielt eine prächtige, versöhnliche und heftig beklatschte Antrittsrede.»

Handelt der Traum ganz direkt von Geld und Finanzen, so ist Schluss mit tröstlichen Visionen; Geld assoziiert sein Unbewusstes durchwegs mit Gefahr, Bedrohung und Betrug. Im Januar 1867, als in Genf eben die Banque Générale von Fazy mit Getöse in Konkurs geht, träumt Amiel von Abenteuern in der Provence. Jemand verleitet ihn zu umfangreichen finanziellen Spekulationen, im Verlauf einer wirren Geschichte «voller Unfälle und Abgründe». Wenig später wird er im Traum um sein Geld erleichtert, auf die denkbar gemeinste Weise. Er ist auf der Strasse unterwegs, wie an einem Umzugstag, beide Arme voll beladen mit Schreibmappen, Überziehern und Schals. Ärgerlicherweise muss er sich dauernd nach Dingen bücken, die ihm entglitten sind, und setzt sich schliesslich schweissgebadet auf eine Bank der Terrasse de la Corraterie. «Eine Frau, die ich nur flüchtig

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kannte, kam hinzu und bat mich, sie zu küssen, bemächtigte sich aber gleichzeitig meiner Brieftasche mit allen darin befindlichen Wertsachen. Sie hatte realisiert, wie entkräftet ich war, gab vor, sich für mich zu interessieren und plünderte mich auf offener Strasse aus! Vor lauter Entrüstung erwachte ich.»

Wie soll er nun diese Geschichte auslegen? Offenbar – so Amiel – gibt ihm der Traum zu verstehen, dass es ihm schwerfällt, alle seine Gedanken zusammenzuhalten und daraus die richtigen Schlüsse für das praktische Leben zu ziehen, also beispielsweise auf sein Geld zu achten. «Wehe den Feinfühligen!», lautet sein Fazit. «Abscheulichkeiten jeder erdenklichen Art lassen sie tausend Übel erleiden!»

Wenn hier das Tagebuch ausführlich zu Wort kommt, so wegen Amiels erstaunlicher Einsichten in das Wesen des Traums. Jahrzehnte vor dem Erscheinen von Freuds «Traumdeutung» (1900) oder Jungs «Wandlungen und Symbole der Libido» (1912) beschrieb das Journal zahlreiche Mechanismen des Unbewussten – etwa die Tendenz des Traums zur Kompensation der täglichen Niederlagen oder zum Relativieren vermeintlicher Triumphe.

Weiter bezieht der Traum Tagesreste ins nächtliche Geschehen ein, und er operiert mit wechselnden Standpunkten (der Verurteilte fürchtet die Hinrichtung nicht, weil ein zweites Traum-Ich das Geschehen als Fiktion erkennt). Mehrmals weist das Tagebuch auf diese Doppelbödigkeit des Traums hin; einmal hält es sogar mit einem gewissen Schmunzeln einen Traum in dritter Potenz fest, samt imaginiertem Erwachen, auf das erst das richtige Erwachen folgt. Es finden sich wunderschöne Definitionen, etwa so: Der Traum spielt Verstecken mit dem Ich des Tages (jouant à cache-cache avec le Moi du jour). Der Traum schleicht sich «auf den Jahrmarkt der Erinnerungen» und spielt mit allem, was er vorfindet. Der Traum ist eine Strassenkreuzung des inneren Lebens (carrefour de l’intérieur), auf der all die Vorkommnisse des Tages lustvoll aufeinanderprallen ...

In den 1860er-Jahren legt Amiel sogar ein Traumdossier an, mit persönlichen Beispielen und Zitaten aus Literatur und Geschichte. Es dient als Grundlage für einen öffentlichen Vortrag, den er im Februar 1868 im Athenäum hält. Das Thema findet Anklang, jedenfalls stellt sich die «Elite des Genfer Publikums» ein. Es kommen Professoren, Künstler, sogar der greise Guillaume-Henri Dufour, einst Oberbefehlshaber der Schweizer Streitkräfte

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und Genfer Kantonsbaumeister. Aber die Reaktion bleibt lau, vor allem wegen Amiels Nervosität und dem leidigen Zwang zum freien Sprechen.

Er darf einmal mehr seine Notizen nicht konsultieren und bringt nur die Hälfte dessen unter, was er ausbreiten wollte. Entsprechend bleibt auch das Dossier liegen. «Was nützen mir meine Forschungen über die Träume?», klagt er Jahre später. «Ich habe darüber eine ganze Schreibmappe mit Material, aber nichts davon publiziert.»

Wenn der Traum als Sprache des Unbewussten gelten darf, so ist das Geld die Sprache der Ware. Georg Simmel, dessen «Philosophie des Geldes» im gleichen Jahr erscheint wie Freuds «Traumdeutung», sieht es so: Der Preis wiedergibt in messbarer Form den Wert der Ware, also der zum Verkauf kommenden Güter. Deshalb fungiert Geld nicht nur als Zeichen des Wertes, sondern wird selbst zum Wert. Geld nimmt dadurch den Charakter der Sprache an, «insofern man unter Sprache ein durch Regeln geleitetes System der Verwendung von Zeichen versteht». Zur Sprache gehören ein Sprecher und ein Hörer, die sich auf die gleichen Zeichen geeinigt haben.

Bei Kauf und Verkauf legen sich die (Ver-)Handelnden auf den gleichen Wertmassstab fest: das Geld.

Das alles klingt fast unnötig umständlich, verglichen etwa mit der saloppen Formel, auf die ein New Yorker Makler den gleichen Sachverhalt bringen würde: Money talks and bullshit walks – wo das Geld spricht, bleibt kein Platz für Firlefanz. Offensichtlich hat Amiels schwieriger Umgang mit den Finanzen zu tun mit seiner Weigerung, die Sprache des Geldes zu erlernen, geschweige denn sie zu sprechen. Er selbst hegt den Verdacht, dass hier das Unbewusste mitmischt, fasst ihn auch mehrmals in Worte: «Mein Abscheu vor der Geldschefflerei ist vielleicht auch eine (unbewusste) Finte meines Stolzes. Zählen heisst eine Grenze ziehen, sie anerkennen, sich vor der Notwendigkeit beugen.» Lieber als sich beugen, als klein beizugeben, stellt er sich ausserhalb der Gesellschaft. Soll sie doch mit den härtesten Schikanen drohen, wie dies die Träume andeuten: ihn vor Gericht stellen, mit Hammerschlägen dreinfahren, ihn auf offener Strasse ausrauben ... Der Preis, den er zahlt, ist hoch genug: «Um frei zu bleiben, habe ich mir angewöhnt, meine Grenzen zu ignorieren. Aber die Ungewissheit darüber, wie weit ich gehen kann, raubt mir letzten Endes doch wieder meine ganze Freiheit.»

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Mit Genugtuung vermerkt das Tagebuch, dass sich in seiner nächsten Umgebung ähnlich stolze Naturen finden. Da ist etwa die langjährige Freundin Marie Favre, die mit dem Zwiespalt freilich erfolgreicher umgeht als er. Für Marie spricht Geld die Sprache der Barmherzigkeit; sie spendet jeden Monat grössere Summen an mehrere Institutionen, unterstützt Bauernfamilien in den Waadtländer Bergen und Bedürftige in Paris. Wie sie das macht? «Meine tapfere kleine Freundin hat im vergangenen Jahr 1200 Francs für gute Werke und 16 Francs für ihre Toilette ausgegeben. Sie hat sich weder Kleider, Schuhe noch Schmuck geleistet und sich mit ihrer alten Ausstattung begnügt. (...) Ich bewundere sie mehr, als ich ihr zu gestehen wage.» Mit Genügsamkeit und Opfermut, das zeigt Maries Beispiel, lässt sich die Grammatik des Geldes erfolgreich überwinden.

Wenn es dazu denn so etwas wie einen Gegenpol gibt, so findet ihn Amiel verkörpert in den Bankiers und Financiers, die er in den Urlaubsorten am Léman antrifft. Bei ihnen stülpt sich die Geldhaftigkeit ihrer Beziehungen über die ganze Person; es bleibt gleichsam kein Rest übrig. So stösst beim Kuraufenthalt in Clarens der Bankier Simon Grosjean-Bérard zur Tafelrunde, ein bekannter Genfer Financier. Gewiss ein ehrenhafter Mann, der sich an die Gesetze hält, aber ... «Was für eine eigenartige Existenz – ganz dem Gewinnstreben geweiht! Bis zum letzten Atemzug Geld verdienen, das ist seine Sorge, sein Stolz, sein Glück, seine Marotte. Der gebückte, zitternde Greis kennt keine andere Leidenschaft als jene, die sein Alter mit Kraft erfüllt.» Kurioserweise wendet sich der Krösus an ihn, ausgerechnet an ihn, um ihm von einem seiner Projekte vorzuschwärmen.

«Der Finanzmann Grosjean zieht mich in eine Ecke, um mir die Pläne zu zeigen, mit deren Hilfe er den Wert seiner Liegenschaft in Clarens verfünfoder versechsfachen will. Ich fühle tiefes Mitleid mit dieser Art von Greisen, diesen kinderlosen ein- oder zweifachen Millionären, die mit einem Fuss im Grab stehen und immer noch jeden Tag damit zubringen, Geld zu scheffeln, Vergleiche zu kalkulieren, Gewinne herauszuschinden – kurz: die ihr ganzes Denken und Trachten auf das Geld wenden.»

Le moyen lui cache le but, fasst Amiel in diesem Fall zusammen. Das Mittel verdeckt den Zweck, das Anhäufen von Geld hat sich selbständig gemacht. Der Geldgierige – so wie auch der Geizige – sind gleichsam auf einer mittleren Stufe der Zweckreihe stehengeblieben, die sich aus Erwerben, Besitzen und Verwenden von Geld ergibt. Für Grosjean-Bérard und

Les reflets de l’or: Psychologie des Geldes

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seinesgleichen ist Geld zur abstrakten Form von Genüssen geworden, die sie nicht geniessen. Drückt sich im Geldscheffeln, so fragt sich Amiel, etwas anderes aus? Tritt es an die Stelle geheimer Wünsche und Sehnsüchte, die sie sich selber nicht eingestehen? Finden sich Übereinstimmungen zwischen der Sprache des Geldes und der Sprache des Traumes?

In seiner eigenen kleinen Welt gibt es Augenblicke, in denen er der Faszination des Geldes erliegt. Anders als Krösus Grosjean-Bérard lässt er sich aber nicht von Zahlen verlocken, vom Vervielfachen bereits erworbener Summen. Was Amiel in Bann schlägt, ist die greifbare Summe, das Goldstück selbst in seinem matten Glanz, die so unerwartet gewichtige einzelne Münze. Einmal, zur Zeit des Konflikts zwischen Preussen und Österreich, kursieren beunruhigende Gerüchte. Amiel lässt sich im Juni 1866 in der Bank eine grössere Einlage bar auszahlen, um sie anderwärts zu deponieren. Es sind 12’000 Francs, die ihm der Kassier in Gold aushändigt, als 20-Francs-Stücke mit dem Bildnis Napoleons III., den er als widerwärtigen Windbeutel verachtet, aber ... «Es ist ein eindrückliches Gefühl, so direkt mit fünf- oder sechshundert Napoleons zu hantieren. Diese Werte in Edelmetall drücken viel mehr aus als Zahlen auf einem Fetzen Papier. Als mir bewusst wurde, dass mir hier das Salär von vier oder fünf Jahren durch die Finger glitt, wusste ich diese Beigen runder gelber Scheiben besser zu würdigen. Das Schimmern des Goldes beschwört vieles herauf: die Leidenschaft des Juden, die Trunkenheit des Spiels und alle diese fruchtlosen Verzückungen des Reichtums und des Geizes.»

Amiel ist beeindruckt. Fünf Jahre auf dem Katheder stehen, Fakultätssitzungen, Prüfungspapiere korrigieren ... und dafür dieses Häufchen? Übrigens entscheidet schon im Juli die Schlacht von Königsgrätz den Krieg.

Die Preussen haben gesiegt; Amiel trägt das Häufchen Wochen später auf die Bank zurück.

Ein andermal sitzt er am Schreibpult und begleicht – verspätet wie immer – seine Schulden, ausstehende Rechnungen vom Buchhändler und vom Steueramt. «Eine Tausendernote ging dabei weg, in zwei Stunden.»

So wie immer verrechnet er auch die Beträge, die sich in der Schublade angesammelt haben: Honorare für Privatlektionen und Zeitungsartikel, sein Anteil an den Semestergebühren der Studenten, die der Weibel jeweils gesondert überbringt, 150 oder 200 Francs, acht oder zehn Goldstücke.

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Kapitel 6

«Man kann sich nicht verhehlen», fällt ihm dabei auf, «dass man diese zerknitterten und abgegriffenen Billets viel leichter aus der Tasche lässt als das Gold. Nur das Gold gibt einem das Gefühl von Überfluss und Reichtum, und man sieht es nicht ohne ein gewisses Bedauern entschwinden.»

Gold ist die Chiffre für Besitz, und noch der Mastercard-Kunde von heute zückt seine goldfarbene Kreditkarte mit einem gewissen Nachdruck. Aber gibt es weitere Parallelen zum Geldwesen in Amiels Epoche? Seit wann kursiert dieses abgegriffene und zerknitterte Notengeld, von dem wir hören? Und wie müssen wir uns den Zahlungsverkehr im Genf der 1860erJahre vorstellen? Es wird Zeit, dass wir uns dem Alltag des Geldes zuwenden – in Genf und anderswo.

Den Schweizer Franken der ersten Stunde (1850) schmückt eine bekränzte Helvetia.

Die allegorische Landesmutter schützt und ernährt ihre Kinder; davon zeugen Schild, Pflug und Kornähren. Der Berggipfel, in dessen Richtung ihre Hand weist, verkörpert eine hoffnungsvolle Zukunft.

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Kapitel 7

Der Schweizer Franken: Patenkind des ElysĂŠes

Encore huit ans de production analogue à celle de 1853 et 1854, et ces dix années auront fourni autant d’or que les 350 années qui ont suivi la découverte de l’Amérique.

Noch einmal acht Jahre mit einer Produktion entsprechend den Jahren 1853 und 1854, und man wird in diesen zehn Jahren ebenso viel Gold gefördert haben wie in den 350 Jahren seit der Entdeckung Amerikas.

Der Schweizer Franken: Patenkind des Elysées

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Amiel wuchs auf inmitten eines Währungssystems, das sich an Kom-

pliziertheit nicht überbieten liess. Während seiner Zeit als Gymnasiast unterschied man im Kanton Genf zwischen zwei Rechnungsarten – nach monnaie courante oder nach petite monnaie. Im ersteren Fall galt das Pfund (livre) als Leiteinheit. So wie seit Jahrhunderten gebräuchlich, unterteilte man es in 20 Schilling (sous oder sols) zu 12 Pfennig (deniers). Im anderen Fall rechnete man nach Gulden oder florins, denen 12 sous oder 144 deniers zugrunde lagen. Im Louisdor «trafen» sich die beiden Rechnungsarten; die Leit-Goldmünze war je nachdem gut 50 florins oder 49 livres wert. Zusammen mit dem jungen Amiel und den geplagten Mitbürgern atmeten wohl auch Händler wie Bankiers auf, als Genf 1839 zur «französischen» Währung mit Franc und Centime überging. Diese folgte dem Dezimalschema, wie es die Französische Revolution auch für Längenmass oder Gewicht gebracht hatte. Genf gab nun seine eigenen Francs in verschiedenen Denominationen heraus. Allerdings enthielten die Münzen weniger Gold beziehungsweise Silber als ihr französisches Vorbild, stellten also unterwertige Kreditmünzen dar, mussten also für eine Reise nach Frankreich dann doch wieder umgetauscht werden ...

Der halsbrecherischen Genfer Rechnerei entsprach der Münzwirrwarr in der gesamten Eidgenossenschaft. Bis zur Gründung des Bundesstaates von 1848 lag die Münzhoheit bei den Kantonen; die meisten von ihnen prägten ihr eigenes Geld. Auch wenn sich einige von ihnen zu Konkordaten zusammenschlossen, traf der Reisende des Biedermeier auf kleinstem Raum Dutzende unterschiedliche Gepräge an. Der Kanton Bern beispielsweise übernahm französische Feder-, Laub- oder Neutaler aus dem 18. Jahrhundert. Das waren grosse Silbermünzen, die mit einem Bernerwappen gegengestempelt wurden und je nach Gewicht 39 oder 40 Batzen galten.

Diese Taler oder écus verschwanden aber zusehends aus dem Umlauf: Die Uhrenfabrikanten im Jura kauften sie ein und schmolzen sie als Rohmaterial für ihre Produktion ein. In Zürich vermischten sich das Franken- und das Guldensystem mit ihren Batzen, Kreuzern, Hallern, Angstern und Rap-

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pen; drei Haller machten einen Rappen aus, anderthalb Kreuzer einen Schilling, zehn Schilling wiederum entsprachen vier Batzen. Die Dublone hiess auch Louisdor und entsprach elf Gulden oder 660 Kreuzern – ein heilloses Durcheinander, das beim Umrechnen in die Währung benachbarter Kantone zusätzliches Kopfzerbrechen brachte. Graubünden führte den sonst nirgends bekannten Blutzger, der einem Sechstelbatzen entsprach, in Fribourg gab es 21/2-Rappenstücke, in Genf ein Anderthalb-Schilling-Stück zu 18 Pfennig. In St. Gallen fanden sich zwei verschiedene Münzen für den gleichen Betrag, nämlich Zwei-Pfennig-Stücke und Halbkreuzer, die beide so viel wie ein Achtelbatzen galten. In Zürich hiess das Zweirappenstück nicht etwa «Zweier», sondern «Sechser», da es sechs Heller oder Haller wert war ...

Den Numismatiker von heute, der die Vielfalt liebt, bringt dieser Tummelplatz der Währungen ins Schwärmen. Für einen Kaufmann wie Vater Henri Amiel war er ein Graus. Mit ihrem Münzsystem erstickte die föderalistische Eidgenossenschaft der postnapoleonischen Zeit jeden Impuls, Geschäfte über die Kantonsgrenzen hinaus zu betreiben – genauso wie die Zollschranken, die sich an jedem dieser Übergänge fanden. Bezeichnenderweise waren es denn auch die handelstreibenden Kantone, die als eifrigste Befürworter eines zentralistisch orientierten Bundesstaates auftraten, eines Staates mit einheitlicher Währung und ohne interne Zollabgaben von Kanton zu Kanton. Diese moderne Schweiz wurde 1848 Wirklichkeit. Voraus ging ein wenige Wochen dauernder Bürgerkrieg, bei dem der Genfer General Guillaume-Henri Dufour die Truppen der Unionswilligen zum Sieg über die Sonderbundskantone führte.

Zur Zeit von Amiels Rückkehr aus Berlin und der Übernahme des Lehrstuhls an der Académie wogte in Bern der Streit um die neu zu schaffende Schweizer Währung. Im Nordosten des Landes plädierte man für den Anschluss an das süddeutsch/österreichische Guldensystem, das mit Multiplikatoren wie 12 und 20 arbeitete; die Romandie trat für die Angleichung an die französisch/belgische Frankenwährung ein. Ihre Vertreter schwangen obenauf: Mit Gesetz vom 7. Mai 1850 einigte sich das Parlament auf das Dezimalsystem. Als Massstab galten «fünf Gramm Silber von 900/1000 Feinheit, die unter dem Namen Franken die schweizerische Währungseinheit bilden». Die Einlösung der alten kantonalen Münzen ging in erstaunlich kurzer Zeit über die Bühne. Obwohl es nicht weniger als 319 verschie-

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dene Geldsorten umzurechnen und einzutauschen galt, kursierte ab August 1852 im ganzen Land der Franken. Die Feuerprobe war bestanden, die Schaffung eines einheitlichen Münzsystems galt als erstes nationales Werk des jungen Bundesstaates. Die Vorderseite der neuen Silbermünzen zeigte eine sitzende junge Frau, die mit der linken Hand einen Schild mit Schweizerkreuz stützte. Der rechte, ausgestreckte Arm schien in die schwindelerregenden Höhen einer verheissungsvollen Zukunft zu weisen, verkörpert durch die Silhouette des Jungfraumassivs. Hinter dem Schild ragten ein Ährenbündel und die Handgriffe eines Pflugs hervor: Helvetia würde die junge Nation führen, schützen und ernähren.

Allerdings hafteten dem «harten» Franken, dieser Musterwährung von heute, einige arg entstellende Geburtsfehler an. Die Silbermünzen, welche die Regierung in aller Eile in den Münzstätten von Strassburg und Paris prägen liess, reichten für die Einlöseaktion bei weitem nicht aus. Das Gesetz von 1850 hatte dieser Schwierigkeit Rechnung getragen und gleichwertige ausländische Münzen – gleicher Silbergehalt, gleiches Gewicht – zur Zirkulation freigegeben. Silberkurantmünzen aus Belgien, Sardinien und Frankreich sollten die Lücke füllen helfen. Was zurückhaltend als «gemischter Münzumlauf» bezeichnet wurde, war in Wirklichkeit die erdrückende Dominanz ausländischen Geldes: fast 90 Prozent der umlaufenden Münzen stammten aus dem Ausland! Beim Bäcker und Krämer, am Postschalter und am Wirtshaustisch bezahlten Herr und Frau Schweizer mit Zwei- und Einfränklern oder Fünfzigräpplern, die das Profil eines fremden Monarchen trugen: Vittorio Emmanuele, Leopold II. von Belgien, vor allem aber Napoleon der Dritte ... Vom écu, dem für grössere Zahlungen unentbehrlichen Fünffrankenstück, wiesen gerade einmal zwei Prozent aller Münzen das Bildnis der Helvetia auf; der Rest stammte zum Grossteil aus Frankreich. Die Schweiz war zur Geldprovinz des Elysées geworden, profitierte als Parasit von französischen Prägestätten.

Kam hinzu, dass sich das Parlament auf eine Einheitswährung mit Silberstandard festgelegt hatte. Die anderen genannten Staaten bauten auf ein Bimetall-System mit Goldmünzen für die grossen Nominationen. Das führte schon kurz nach der Geburt des Schweizer Franken zu erheblichen Schwierigkeiten. Neu entdeckte Goldvorkommen in Kalifornien und Australien liessen den Goldpreis sinken. Entsprechend stieg der Silberpreis, wurden Silbermünzen gehortet und so dem Geldumlauf entzogen. Grös-

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sere Beträge beglich man mit ausländischen Goldmünzen. Selbst Amiel, der sich sonst kaum mit dem internationalen Geldwesen beschäftigte, gab diese Entwicklung zu denken.

«Ein Artikel von Michel Chevalier lässt mich wegen seiner Zahlen staunen», hielt er im Mai 1855 nach der Zeitungslektüre fest: «1854 wurden in Frankreich 584 Millionen in Gold geprägt – genauso viel wie während der ganzen Regierungszeit von Napoleon dem Ersten. Die jährliche Goldförderung liegt heute in der Höhe von einer Milliarde Francs; der jährliche Anstieg der Produktion seit 1847 liegt heute beim Silber bei 10 bis 11 Prozent, beim Gold zwischen 10 und 130 Prozent. Noch einmal acht Jahre mit einer Produktion entsprechend den Jahren 1853 und 1854, und man wird in diesen zehn Jahren ebenso viel Gold gefördert haben wie in den 350 Jahren seit der Entdeckung Amerikas. Die neuen Goldproduktionsländer sind Kalifornien (für jährlich 300 Millionen Francs), Australien (für 400) und das russische Sibirien (für 100 Millionen).»

Hatte die Eidgenossenschaft mit ihrem Entscheid für eine Silberwährung auf das falsche Pferd gesetzt? Der Edelmetallwert der Francstücke lag jetzt zeitweise über dem Nominalwert – mit den entsprechenden Folgen: Sie verschwanden in den Sparstrümpfen oder wurden in der Industrie verarbeitet. Die ausländischen Goldmünzen, welche die Lücke füllten, waren, wenn nicht anerkannt, so doch geduldet. Selbst die Académie – und damit die Sérénissime République – zahlte Amiels Gehalt in 20-Francs-Napoleons aus. Fünf Jahre nach dem Tagebucheintrag mit der Goldstatistik musste der Bundesrat das unbehagliche Währungskonkubinat legalisieren: Ausländisches Goldgeld aus dem Franc-Bereich galt jetzt als gesetzlich anerkanntes Zahlungsmittel.

Wenn mit dem Bundesratserlass von 1860 eine Art Wilde Ehe abgesegnet wurde, so stellte die Pariser Konferenz vom November 1865 eine Familiengründung dar. Napoleon III. hatte die hohen Finanzbeamten von Belgien, dem Königreich Italien und der Schweiz zusammengerufen. Es schwebte ihm nichts Geringeres als eine Weltwährung vor – unter Führung Frankreichs! Ausgehen sollte sie vom Herzen Europas, wo der Franc (Lira in Italien) bereits als austauschbare Währung kursierte. Auch wenn es einige Schwierigkeiten zu überwinden galt – der Gehalt der Silberscheidemünzen musste in allen Ländern auf 835 Promille angepasst werden –, lief das Pro-

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jekt verheissungsvoll an. Die Lateinische Münzunion oder Union monétaire latine brachte vier Staaten mit zusammen 70 Millionen Einwohnern eine einheitliche Münzwährung. Die Delegierten einigten sich auf ein fixes Wertverhältnis zwischen den Edelmetallen; fortan wog ein Kilo Gold 15 Kilo Silber auf. Das Gewicht der Hundertfrancs-Münze in Gold wurde, bei einer Reinheit von 900/1000, auf 32,2 Gramm festgelegt; entsprechend wog der weitaus gebräuchlichste «Napoleon», das Zwanzigfrancs-Stück, 6,4 Gramm. Mit der gleichen Reinheit kursierte der écu, das silberne Fünffrankentalerstück im Gewicht von 25 Gramm, während die Billonmünzen mit den kleinsten Denominationen Sache jedes einzelnen Landes blieben.

Gut 135 Jahre vor der Einführung des Euro hatte das Second Empire eine zukunftsträchtige Entwicklung in Gang gebracht – und dies unter Mitwirkung der Schweiz, die gerade eben ihrem mittelalterlich anmutenden Geldwesen entwachsen war! In der Präambel des Ende 1865 unterzeichneten Vertrags erscheint die Schweizerische Eidgenossenschaft sogar an erster Stelle, gefolgt von den drei gekrönten Häuptern der Partnerstaaten, die sich auf eine alphabetische Reihenfolge geeinigt hatten. Die Vorteile eines einheitlichen Münzsystems in einem grossen und zusammenhängenden Länderkomplex wirkten sich in Handel und Verkehr unmittelbar aus. In den Finanzministerien der Nachbarländer horchte man auf. So gross war das Interesse, dass sich ihre Verantwortlichen schon bei der Pariser Weltausstellung von 1867 zu einer Konferenz einfanden. Delegierte aus 19 europäischen Staaten und den USA diskutierten über die Möglichkeit einer erweiterten Münzunion, ja eines einheitlichen Münzfusses «für alle Kulturvölker der Erde» (so die Selbstdefinition der westlichen Staaten). Einige Wochen lang schien die Vision einer Weltwährung in greifbare Nähe zu rücken. Aber die Folgekonferenz, die man für den Februar des nächsten Jahres angesetzt hatte, kam wegen zahlreicher Absagen nicht zustande.

Einzig Griechenland trat kurz darauf der Münzunion bei; ab 1869 kursierten in der Schweiz nun auch Drachmen- und 50-Leptamünzen mit dem Profil König Georgs des Ersten.

Das britische Pfund und später der US-Dollar sollten die Rolle einer Weltwährung übernehmen. Der stolze Franc der Lateinischen Münzunion lebt allein noch weiter im Schweizer Franken von heute, bald bespöttelt als «Schwyzer Fränkli», bald respektiert als knochenharter Swiss franc. Der

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Edelmetallbezug der Währungen, der für die Pariser Verhandlungen und das weitere Schicksal der Union eine so bestimmende Rolle spielte, ist heute auf eine theoretische Ebene entrückt – als Golddeckung oder Goldreserve, von der sich nur Fachleute eine genauere Vorstellung machen.

Aber was bedeutete Geld in Edelmetallform für Amiel und seine Zeitgenossen? Wirkte es sich irgendwie aus, dass sie mit Münzen hantierten, die aus weitgehend reinem Silber oder Gold bestanden statt aus einer undefinierbaren Legierung? Dass ein handfester Gegenwert über den Ladentisch ging, wenn sie mit klingender Münze bezahlten? Silber liess sich einschmelzen und zu Kerzenstöcken oder Dessertlöffeln verarbeiten. Aus Gold bestanden Zahnfüllungen ebenso wie der Firnis des Gemälderahmens, Eheringe ebenso wie die Uhrschalen der Genfer horlogers. Gold wie Silber liessen sich einbetten in den handfesten Alltag der Ware, so wie die traditionellen Währungen, von denen jetzt die Forschungsreisenden aus dem Inneren Afrikas oder aus der Südsee berichteten. Dort bezahlten die «Eingeborenen» mit Salzbarren, die sich direkt in der Küche weiterverwerten liessen, oder mit Eisenreifen, die man beim Schmied zu Messern oder Ketten verarbeiten liess.

Und was bedeutete es, wenn ein Salär nicht einfach als Eintrag auf einem Kontoauszug erschien, sondern ausgehändigt wurde in Form einer Geldrolle? Zwanzig Goldstücke, als Rolle gewickelt in festes Papier und versiegelt mit Wachs, oder ein Leinensäckchen mit fünfzig écus, mehr als ein Kilogramm Silber – mit welchen Gefühlen trug man sie nachhause, brachte man sie an einem sicheren Ort unter?

Einen Begriff davon gibt die bereits zitierte Episode, bei der Amiel einen ansehnlichen Betrag in bar vom Bankkassier ausgezahlt bekam und die schimmernden Goldmünzen durch die Finger gleiten liess. Anders als die Banknote, der Scheck oder die Aktie lösten Münzen aus Gold oder Silber Gefühle und Fantasien aus, weckten sie Vorstellungen von Schätzen, Reichtum und Überfluss. Vieles davon kristallisierte sich im grossen Silbertaler, dem écu zu fünf Francs oder hundert sous. Bei Amiel wird er zum Synonym für den allesbeherrschenden Gott Mammon, dies in Wendungen wie la tyrannie de l’écu, le despotisme de l’écu. Vergleichen lässt sich dem écu nur noch der Dollar, dem er im Übrigen gleichwertig ist. Auch ihn zitiert das Tagebuch oft in symbolischer Überhöhung: le Dieu Dollar, l’idolâtrie du Dollar.

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Aber kaum jemand klaubte einen écu aus dem Geldbeutel, wenn er am Kiosk eine Zeitung für 15 Centimes bezahlte oder in der Kneipe die Zeche für ein paar Bierchen (10 Centimes der Becher) beglich. Der Silbertaler wechselte die Hand beim Kauf einer Konzertkarte (5 Francs) oder eines Paars Stiefel (10 Francs). So gesehen entspricht er der Hundertfrankennote von heute: das Zahlungsmittel für mittelgrosse Ausgaben. Um 1860 spielte Papiergeld indes eine völlig untergeordnete Rolle. Zwar zirkulierten schweizerische Banknoten seit der Jahrhundertmitte in Denominationen von 1000, 500, 100 und 50 Franken, aber sie wurden herausgegeben von kantonalen und privaten Banken. In Genf waren das die Banque du Commerce de Genève (ab 1846) oder die Banque de Genève (ab 1848). Als wollten sie der Faszination des Edelmetalls ihren eigenen Zauber entgegenhalten, liessen die Notenaussteller schmucke Motive auf festes, knisterndes Papier drucken: Landschaften, Handwerker bei der Arbeit, oft auch das eigene Bankgebäude, das mit seinen Säulen und Architraven an einen Tempel oder Palast erinnerte. Der Bankdirektor oder sein Prokurist unterzeichneten jede einzelne Note von Hand, selbst die Seriennummer wurde mit Tinte und Feder eingetragen.

Aber die Banknote hatte einen zähen Start. Die Vielzahl der Notenbankinstitute – bis 1880 wurden es gegen 40 – verwirrte die Bevölkerung. Jede Bank wählte andere Motive; manche Noten waren einseitig, andere zweiseitig bedruckt; das Normalmass von 22 auf 11 cm passte in kein Portefeuille. Aufschriften wie «Die Appenzell-Ausserrhodische Kantonalbank bezahlt dem Überbringer ...» oder «Il sera payé à vue au porteur ...» schienen noch zu unterstreichen, dass es sich um kein vollwertiges Zahlungsmittel handle. Eigentliches Geld bestand aus Silber oder Gold, so die populäre Meinung; hinter der Hundertfrankennote steckte ein Pfund Silber oder eine Goldmünze von 32 Gramm (beide: neun Zehntel Feinheit).

Kam hinzu, dass die Banknote in den ersten Jahrzehnten bloss in den Filialen des Ausstellers ihren vollen Wert hatte. Andere Banken verrechneten Einlösungsgebühren bis zu 0,5 Prozent oder verweigerten sogar die Annahme – vor allem, wenn das Wertpapier aus einem anderen Kanton stammte. Ganz zu schweigen vom Händler an der Ecke oder vom Droschkenkutscher, die klingende Münzen sehen wollten. Amiel erlebte in den 1870er-Jahren indes noch mit, wie der Bund die Ausgabetätigkeit regelte.

Ab 1875 mussten sich Ausstellerbanken über eine 40-prozentige Deckung

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Kapitel 7

der Papierwerte ausweisen. Umgekehrt waren nun öffentliche Ämter des Post- und Zollwesens verpflichtet, Noten der Lizenzbanken ohne Abzug einzulösen; Giro und Zahlungsanweisung erleichterten den Geldverkehr.

Von all dem liess Amiels Geldalltag wenig spüren. Wurde im Haus an der Rue des Cendriers der Mietzins fällig, entsandten Franki und er einen Einzieher, der mit dem Bargeld zurückkam. Nach wie vor lieferte der Weibel die Semestergelder der Académie eigenhändig an der Cour Saint-Pierre ab, nach wie vor stellten sich die Dozenten zu Jahresende beim Kassier an und liessen sich ihre Rollen mit Goldstücken aushändigen. Geld war physisch präsent, Geld lag schwer in der Tasche und auf der Hand. Geld wog schwer – in jedem Sinn des Wortes.

Wer bestimmt, wie spät es ist? In Genf kann man sich in dieser Frage lange nicht entscheiden.

Es gibt eine Lokalzeit, eine Pariser und eine Berner Zeit. Um 1880 weist der Turm auf der Genfer Rhoneinsel Zifferblätter für alle Konkurrenzzeiten auf. Für die Genfer (mittleres Zifferblatt) ist es 10.13 Uhr, in Bern fünf Minuten später, während die Uhren der französischen Bahnen (links) eine Viertelstunde hinterherhinken.

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Kapitel 8

Das Geld und die Zeit

Notre vie civile est tellement entrelacée avec le réseau inflexible des heures, que la perte d'une montre équivaut à une déraison momentanée. On est dépaysée, dérouté, on extravague pour ainsi dire, par le seul fait qu'on ne retrouve plus les cases du casier universel.

Unser ziviles Leben ist derart verwoben mit dem unveränderlichen Netz der Stunden, dass der Verlust einer Uhr einem zeitweisen Irresein gleichkommt.

Man ist heimatlos, man hat sich verirrt, man taumelt gleichsam umher – und dies bloss, weil man die Fächer des universellen Aktenschranks nicht mehr findet.

Das Geld und die Zeit

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Wenn der Franc der Münzunion in halb Europa anerkannt wird, so

gibt es daneben eine Währung mit universeller Gültigkeit: die Zeit. Anders als Gold und Silber wird sie nirgends gefördert oder gehortet, sondern steht in scheinbar unerschöpflichen Mengen zur Verfügung. Dabei ist sie ein messbares Medium – als Arbeits- oder Produktionszeit, als Laufzeit für Anleihen oder als Akkumulationszeit für Zinsen. Die Zeit hat ihre eigenen Gesetze und ihre eigene Sprache. Aber diese überlagern sich in manchen Bereichen mit jenen des Mediums «Geld», und gerade diese Schnittflächen gewinnen in Amiels Epoche enorm an Bedeutung. «Sparen», «Ersparnis» wird zum Begriff, der sich genauso auf die Geld- wie auf die Zeitebene anwenden lässt. Der mit der Fabrikarbeit aufkommende Begriff «Stundenlohn» verknüpft die beiden Wertwelten auf ganz pragmatische Weise: Wer soundso lange arbeitet, trägt soundso viel Lohn nachhause. Und wenn Amiel wieder einmal sein auf unerklärliche Weise schwindendes oder allzu langsam wachsendes Kapital überschlägt, ist der Begriff der Lebenszeit nie allzu fern: Für wie viele Lebensjahre reicht das Vermögen noch aus? Wie lange kann er noch auf standesgemässe Weise leben, sollte das ohnehin magere Salär durch Krankheit oder einen politischen Umschwung wegfallen? Soll er eine Lebensversicherung abschliessen, vielleicht auf zehn Jahre?

«Aber wer weiss, ob ich diese Zeitspanne erlebe? Die Zukunft, die so unerbittlich auf uns zukommt und zum Greifen nahe ist, erscheint mir immer noch riesig und unergründlich.»

Vor allem fällt in Amiels Epoche, also in die ersten Jahrzehnte nach der Jahrhundertmitte, der fast schon körperlich spürbare soziale Zwang zur Zeitnutzung. Gerade der Stadtbewohner bewegt sich zunehmend «in einem dichter und regelmässiger werdenden Netzwerk von menschlichen Tätigkeiten», wie eine Untersuchung von Jakob Messerli ausführt. Die Beschleunigungsphase beginnt, wenn es denn ein Datum braucht, mit den ersten Langstreckenverbindungen des Telegrafen: 1852. Der elektrische Draht verbindet jetzt die Stadt mit den anderen Städten des Landes und den Metropolen des Kontinents. Die Morgenausgabe des Journal de Genève meldet

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die Regierungsbeschlüsse, die am Vorabend in Paris oder Wien getroffen wurden; die Börsenmakler, die bis anhin dreimal wöchentlich einen handgeschriebenen Zettel mit den neuen Notierungen kursieren liessen, geben nun täglich um ein Uhr den neuen Stand der Kurse an. Ein Kollege wie Marc Monnier, so notiert Amiel erstaunt, passt sich diesem Tempo ohne weiteres an, übersetzt in Windeseile die telegrafisch eintreffenden Nachrichten aus Italien und leitet sie nach London weiter. Kein Wunder, schafft sich dieser Mann locker einen monatlichen Nebenverdienst von tausend Francs!

Und dann die neuen Verkehrsmittel! In einer seiner ersten Semesterferien ist Amiel noch per Kutsche nach Zürich gereist: 26 Stunden auf dem harten Polster der Eilpost, über Lausanne, Bern und Burgdorf, mit nächtlicher Durchfahrt durch Mellingen, wo sich die Reisenden auf dem Hochsitz beim Stadttor bücken mussten, um sich nicht den Schädel wundzuschlagen. Jetzt, seit 1859, durchqueren Eisenbahnschienen das ganze Mittelland, kann ein Genfer Unternehmer am Morgen den Zug nach Bern besteigen, dort seine Geschäfte abwickeln und am Abend bequem wieder zuhause eintreffen. Zeit, Geld und Distanz gehen gleichsam ineinander auf und schaffen neue Einheiten.

Wie stark sich der neue Zwang zur Zeitnutzung auf den Alltag auswirkt, realisiert Amiel, wenn seine Taschenuhr ausfällt. «Unser ziviles Leben», notiert er einmal, als das silberne Erbstück gerade zur Reparatur beim Uhrmacher liegt, «ist derart verwoben mit dem unveränderlichen Netz der Stunden, dass der Verlust einer Uhr einem zeitweisen Irresein gleichkommt.

Man ist heimatlos, man hat sich verirrt, man taumelt gleichsam umher – und dies bloss, weil man die Fächer des universellen Aktenschranks (casier) nicht mehr findet.» Natürlich kann er sich mit der Pendüle auf seinem Kaminsims behelfen, und der Glockenschlag der nahen Kathedrale ist immer präsent. Aber es fehlt die persönliche Feinabstimmung, die stete Tuchfühlung mit der Minutenzeit. Verkörpert wird sie durch die Uhrenkette zwischen Knopfloch und Westentasche, wo der bürgerliche Mann der Epoche seine Taschenuhr mitträgt. Die Uhrenkette ist einerseits praktisches Behelfsmittel und modisches Accessoire, anderseits symbolisiert sie die Bändigung der Zeit. Der Uhrenträger, der an ihr zupft, den Deckel der Taschenuhr aufklappt, stirnrunzelnd den Zeigerstand abliest, gibt sich zu erkennen als verantwortungbewussten Verwalter seiner Stunden und Minuten.

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Ohnehin ist Genf der richtige Ausgangspunkt, wenn es um das Verwalten und Messen der Zeit geht. Die Genfer Uhrenindustrie gilt als bedeutendste des Landes. Um 1860 arbeiten in Stadt und Kanton gut 3600 Spezialisten und Hilfskräfte in über 80 Betrieben. Sie stellen Einzelteile wie Gangwerke, Zifferblätter, Zeiger oder Uhrenschalen her, bauen sie zusammen, liefern sie aus in alle Teile der Welt. Wer «Genf» sagt, assoziiert Begriffe wie Pünktlichkeit und Genauigkeit, aber auch Fleiss und Sparsamkeit.

Mehrere Generationen von Uhrmachern haben eine Mentalität geprägt, die auch auf alle Aussenstehenden abfärbt: Hier wird die Zeit auf Minuten und Sekunden geprüft, hier wird sie verwaltet und genutzt ...

Das gilt im weiteren Sinn für einen grossen Teil der Westschweiz. Schon im vergangenen Jahrhundert haben kleine und kleinste Werkstätten in den Juradörfern Bestandteile für die Genfer fabrique gefertigt. Aber seit 1850 machen sich Zentren wie Le Locle und La Chaux-de-Fonds mit eigenen Marken selbständig. Der Fabrikant Roskopf läutet, wie gesehen, mit der fabrikmässigen Herstellung seiner Volksuhr eine neue Epoche ein. Für 20 Franken – rund ein Wochenlohn – kann sich nun auch der Fabrikarbeiter seine «Proletarieruhr» leisten. Noch weniger kostet ein einfacher Wecker oder eine Küchenuhr. Die Uhrzeit ist omnipräsent geworden: Ladeninhaber montieren eine Uhr über den Eingang zum Geschäftslokal, ganz zu schweigen von der Fabrikuhr über dem Tor zum Fabrikgelände und der Bahnhofsuhr, die wie die Rosette einer Kathedrale in der Hauptachse der Fassade prangt. Innerhalb eines Vierteljahrhunderts, im Zeitraum von 1850 bis 1875, hat die «zivile» öffentliche Uhr der Kirchenuhr und dem Stundenschlag der Glocken den Rang abgelaufen. Als neuer Zeitgeber fungieren selbst die Bahnen, die mit den Signalen ihrer Dampfpfeifen ein akustisches Netz über das Land legen. «Das Kommen und Gehen der Züge bildet jetzt die Einschnitte im Leben des Dorfes», heisst es im Bericht eines Zeitgenossen. Die Pfiffe der Dampflok würden so weit gehört, dass jetzt die Bauern ihre Uhren danach richteten, statt wie früher nach dem Elfuhr- oder Vesperläuten der Dorfkirche. «So regelt eine gut betriebene Institution ein ganzes Land.»

Aber wer bestimmte überhaupt, wie spät es war? In der Postkutschen-Ära galt in allen Teilen des Landes die «wahre» oder «natürliche» Zeit, die sich am Höchststand der Sonne am Mittag orientierte. Massgebend war die

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Anzeige der Sonnenuhr, nach der sich wiederum die Kirchenuhr richtete.

Natürlich hing diese lokale Zeit von der geografischen Lage der Ortschaft ab. Zwischen dem Münstertal im östlichsten Zipfel des Landes und Genf im Westen ergab das immerhin eine Differenz von 18 Minuten; zwischen Zürich und Bern betrug der Unterschied rund fünf Minuten. Das fiel kaum ins Gewicht für einen Post-Eilwagen, der während 13 Stunden auf dieser Strecke unterwegs war. Vielleicht richteten ein paar gewissenhafte Passagiere nach der Ankunft ihre Taschenuhr nach der neuen Lokalzeit, so wie heute die Ankommenden nach einem Transatlantikflug. Aber im praktischen Alltag schien das Problem so unerheblich, dass sich keinerlei Massnahmen aufdrängten. Als die Bundesversammlung im Herbst 1848 Masse, Gewichte und Währung vereinheitlichte, fanden die Anhänger einer Zentral- oder Einheitszeit kein Gehör. Das änderte sich, wie gesehen, mit dem Aufkommen des Telegrafen. Auf seine Einführung hatten vor allem die Vertreter der grossen Handelshäuser gedrängt. Der «electromagnetische Telegraph» verschaffe der Wirtschaft der fortschrittlichen Nachbarländer derart grosse Vorteile, dass sie selbst unweigerlich den Kürzeren zögen.

Denn die ausländische Konkurrenz sei dank des Drahts früher von gewissen «Conjuncturen» unterrichtet, so dass «der Uneingeweihte dem Eingeweihten tributär werde».

Im Dezember 1851 erliess der Bund ein entsprechendes Telegrafengesetz. Schon ein halbes Jahr später verband der Morsedraht die wichtigsten Städte des Mittellandes. 1860 mass das Gesamtnetz bereits beachtliche 3000 Kilometer; noch die abgelegensten Kurhäuser im erwähnten WellnessBaedeker des Dr. Meyer-Ahrens erscheinen mit einer Telegrafenadresse.

Telegramme, die in Sekundenschnelle die entferntesten Landesteile erreichten, brauchten einen einheitlichen Zeitcode: 1853 erklärte die Landesregierung die gemittelte Berner Lokalzeit zur «Bundeszeit»; diese war verbindlich für die Post- und Telegrafenstellen des ganzen Landes.

Der Unterschied zwischen gemittelter und natürlicher Zeit soll hier noch zur Sprache kommen. Tatsache ist, dass die neue Standardzeit keinen Augenblick zu früh eingeführt wurde. Im Vorjahr hatten private Gesellschaften in allen Landesteilen mit dem Bau von Bahnstrecken begonnen.

Sobald die ersten Anschlüsse standen, hätte das Festhalten an Lokalzeiten ein unbeschreibliches Durcheinander bewirkt. Für einen funktionierenden Bahnbetrieb stellte die verbindliche Einheitszeit ein absolutes Muss dar;

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sämtliche Bahnbetreiber übernahmen diskussionslos die neue Regelung.

Scharf formulierte Vorschriften hielten jetzt die Bahnhofs- und Stationsvorstände an, ihre Uhren sekundengenau auf die Bernerzeit auszurichten; die Toleranzgrenze lag bei 30 Sekunden. Sie liess sich umso leichter einhalten, als eine Telegrafenleitung jede neu errichtete Bahnstrecke begleitete.

So einleuchtend dies alles klingt – für Amiels Genf brachte die Neuregelung zusätzliche Verwirrung. 1858, im Jahr der Streckeneröffnungen nach Lyon und Lausanne, begann die Stadt auf drei unterschiedlichen Zeitebenen zu rechnen. Die Linie nach Frankreich, betrieben von der Gesellschaft Paris-Lyon-Méditerannée, richtete ihre Fahrpläne auf die Pariser Zeit aus.

Diese lag 15 Minuten «hinter» der Genfer Zeit. Für die im gleichen Jahr eröffnete Strecke nach Lausanne, gebaut von der Suisse occidentale, galt die Berner Zeit – gültig im ganzen Rest des Landes, gültig auch für die Dampfschiffe des Léman. Genf selbst hielt hartnäckig an seinem eigenen Zeitstandard fest, der dem Berner Standard um sechs Minuten hinterherhinkte.

Genfer Bürgerinnen und Bürger hüpften also von einer Eisenbahnzeit zur anderen und zurück zur lokal gültigen Zeit. Drei nebeneinander platzierte Zifferblätter an der Tour de l’île hielten das Dilemma fest. Das mittlere und grösste zeigte die Genfer Zeit und schien den Passanten zu versichern: So spät ist es in Wirklichkeit, alles andere beruht auf der Willkür von Beamten, die sich der Vorrangstellung der alten Uhrenmetropole nicht beugen mochten! Genfer Zeitungsfeuilletons machten sich lustig über das kapriziöse Zeitdiktat; eine Kurzgeschichte zeigte einen glücklosen Helden, der wegen des Zeitwirrwarrs eine Zugsabfahrt versäumt und damit das Herz seiner Angebeteten verliert.

Kein Schleck für einen zerstreuten und wenig praktisch veranlagten Zeitgenossen wie Amiel! Dass die Verwirrung auch ihm zusetzte, zeigt sich in mehreren Episoden. Einmal, im September 1860, trifft er sich zu einem umsichtig geplanten Rendezvous mit Louise Wyder im Lémanstädtchen Rolle. Der Nachmittag soll ein knappes, freundschaftliches Gespräch bringen; Amiel will die schwärmerische Frau auf eine baldige Trennung vorbereiten. Aber der Zug, der ihn zurück nach Genf bringen soll, dampft vor seiner Nase weg – für diese Bahn gelten die Berner Uhren! Amiel sieht sich gezwungen, bis zum nächsten Kurszug zwei weitere, nicht eingeplante Stunden mit der allzu anhänglichen Hauslehrerin zu verbringen. Der ganze

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Effekt des so sorgfältig vorbereiteten Treffens ist verpufft! Ein anderes Mal trifft Amiel erneut verspätet auf dem Bahnhof ein, hört bereits die Lokomotive pfeifen und sucht nach dem Billettschalter. «Ich kann keine Fahrkarte bekommen, ich verlange einen Fahrplan, den gibt es nicht mehr, ich schaue auf der grossen Anzeigetafel nach, sie ist jenseits der Reichweite meiner Augen»; der Zug fährt ohne ihn ab.

Wenn es so etwas wie eine Genfer Zeitquelle gab, dann ganz in der Nähe von Amiels Wohnort. Wichtigste Vermittlungsinstanz war die Kathedrale Saint-Pierre – genauer: eine Sonnenuhr an ihrer Südfassade. Schon im vergangenen Jahrhundert hatten hier die hervorragendsten Fachleute den Sonnenstand auf die Sekunde geeicht: ein wichtiges Angebot in dieser Stadt der Uhrmacher! Hier konnten die Meister den Gang ihrer Räderuhren überprüfen; Amiel sah sie an sonnigen Tagen kurz vor Mittag oft auf dem Kathedralenvorplatz stehen, den Chronometer in der Hand. Mit den gemütlichen alten Sonnenuhren an ländlichen Kirchtürmen hatte die stockwerkhohe Einrichtung nur wenig gemein. Statt eines Zifferblatts wies sie eine senkrechte Achse in Form eines Eisenstabs auf, zeigte also nur die Mittagszeit an, dies dafür auf Sekunden genau. Das geschah mit Hilfe einer über der Achse vorstehend angebrachten Lochscheibe. Beim höchsten Sonnenstand, am «wahren» Mittag, kreuzte das durch das Loch einfallende Licht die Achse. Eine zweite, geschweifte Linie, links und rechts der Achse verlaufend, gab den «gemittelten» Mittag an, jenen einer präzis gehenden Uhr. Denn wegen der ungleichförmigen Erdumlaufbahn hielt – und hält – sich der Sonnenhöchststand nicht an die mechanisch gemessene Zeit, sondern differiert bis zu einer Viertelstunde davon. 12 Uhr Mittag massen die Meister erst, wenn der Lichtpunkt die geschweifte Linie erreichte. So wie sie wartete auch der Glöckner auf dem Nordturm auf den «gemittelten» Mittagspunkt. Dank eines komplizierten Spiegelsystems konnte er den vor rückenden Lichtpunkt verfolgen und schlug dann, Hammer in der Hand, die Mittagsglocke an, nach der sich auch die anderen Genfer Kirchen zu richten hatten.

Eine umständliche Lösung – aber die Genfer horlogers hatten sie sich in jahrzehntelangen Kämpfen verdient. Unter dem Motto Le soleil a tort wiesen die Meister zu Recht darauf hin, es gehe nicht an, die zahlreichen Fremden zu enttäuschen, die sich bei ihrem Genfer Besuch eine der angeblich so

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präzisen Taschenuhren kauften. Die Auswärtigen zeigten sich nämlich verunsichert, wenn die Zeitangabe ihrer teuren neuen Uhr von jener der Kirchenuhren abwich. Die einzige Lösung: Die ganze Stadt müsse die unzuverlässige Sonnenzeit aufgeben und sich nach der gemittelten Zeit richten, mit Saint-Pierre als akustischem und optischem Referenzpunkt. 1821 wurde die Neuregelung in einer Verordnung verankert. Und jetzt, 30 Jahre später, sollte Genf seine so mühsam erkämpfte Zeitdefinition wegen des Diktats aus Bern preisgeben? Nein, Genf hielt an seinen sechs Minuten Verspätung fest, nahm nochmals 30 Jahre lang, bis 1884, die Verwirrung am Gare de Cornavin und an den Anlegestellen der Dampfer in Kauf.

Was war schon die Ausnahmestellung eines einzelnen Kantons, dazu am Rande der Eidgenossenschaft gelegen, wenn man mit den Verhältnissen im Ausland verglich? So mochten sich die Verfechter des Genfer Sonderstatus sagen und dabei hinweisen auf das Zeitchaos, das beispielsweise am Bodensee herrschte. Hier hatte selbst die deutsche Einigung von 1871 keine Übereinstimmung gebracht. Verunsicherte Reisende kreuzten auf einer Fahrt entlang dem Nordufer nicht weniger als fünf Zeitzonen: Konstanz rechnete mit der Karlsruher, Friedrichshafen mit der um drei Minuten davon differierenden Stuttgarter Zeit. Das bayrische Lindau folgte den Uhren Münchens, Bregenz hielt sich an die Prager Zeit, die sich von jener des angrenzenden Rorschach (Berner Zeit) um volle 32 Minuten unterschied. Es gab zwar Uhrmacher, die Taschenuhren mit Zeiger für drei der fünf Zonen anboten ... aber was sollte das?

Ein unnötiger Exkurs? Immerhin bestätigt das Beispiel der Genfer Uhrmacher einen Ausspruch, der das Handelsbürgertum des 19. Jahrhunderts prägte wie kein anderer: «Zeit ist Geld.» Er stammte aus einem 1748 veröffentlichten Text des vielseitigen Politikers, Wissenschafters und Erfinders Benjamin Franklin mit dem Titel Advice to a Young Tradesman und hiess im Wortlaut: «Bedenke, dass Zeit Geld ist.» Diesen und ähnliche Ratschläge variierte Franklin während Jahrzehnten im von ihm herausgegebenen Poor Richard’s Almanack, einem Kalender mit Merksprüchen und Lebensregeln.

Sie alle propagierten den systematischen Gebrauch der zur Verfügung stehenden Zeit. Franklin selbst ging mit gutem Beispiel voran und entwarf einen Stundenplan für die Verwendung der 24 Stunden eines Tages. Darin hatten nur nützliche Tätigkeiten wie Arbeit oder Weiterbildung Platz. Weder

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Spiel noch Zerstreuung waren geduldet, denn: «Wer mit seinen Stunden verschwenderisch umgeht, verschwendet in Wirklichkeit Geld.» Dem Autor selbst hatten diese Devisen grossen Erfolg gebracht. Geboren als Sohn eines armen Seifensieders in Philadelphia, arbeitete er sich mit seiner eigenen Druckerei hoch und setzte sich als 42-Jähriger mit einem ansehnlichen Vermögen zur Ruhe. Franklin lebte fortan nur noch seiner Wissenschaft, machte verschiedene Erfindungen, propagierte den von ihm konstruierten Blitzableiter, wurde zeitweise US-Gesandter in Paris und gab weiterhin Schriften heraus, die man heute der Kategorie «Lebenshilfe» zurechnen würde.

Gerade in der Schweiz des 19. Jahrhunderts fanden die Lehren des selfmade man viel Widerhall. Die Texte seiner Almanache erschienen in Auswahl als «Weg zum Wohlstand» in elf verschiedenen Ausgaben, dies in allen Landessprachen; auch in den populären regionalen Kalendern war Franklin einer der meistzitierten Autoren. Das Handelsbürgertum nahm das neue Zeitverständnis begierig auf. Die einschlägigen Anleitungsschriften für Kaufleute stellten die effiziente Zeitnutzung allen anderen Kriterien voran. Zum neuen Leitbild wurde der Fabrikant oder Kaufmann, der für sich in Anspruch nehmen konnte, er sei «morgens der Erste und abends der Letzte im Kontor».

Klang all dies nicht verdächtig nach krudem Materialismus, nach moralisch verbrämter Gewinnsucht? Amiels entsprechender Tagebucheintrag tönt skeptisch: «Die Produktionsindustrie mit ihren Fabriken und Werkstätten predigt beredt über dieses Thema, welches das Alpha und Omega ihrer Weisheit darstellt: Spare, mache von allem Gebrauch, konzentriere deine Leistung, verschwende keine Lektüre, keine Stunde, keinen Schritt, keinen Pfennig.» Immerhin musste er eingestehen, dass das calvinistische Credo seiner Stadt ähnlich rigorose Ansprüche stellte. Wer gottgefällig lebte, plante im Voraus, legte eine Tagesstruktur fest für die Stunden zwischen Aufstehen und Zubettgehen. Er setzte sich ein Jahresziel, ja er entwarf einen Lebensplan, den er im Geiste Gott zur Prüfung vorlegte. Wenn er damit auch äusserlichen Erfolg einheimste, Reichtümer anhäufte – nun ja, so war dies die Bestätigung des Herrn, er habe sein Leben auf das Seelenheil ausgerichtet. Denn wie anders hätte er die geforderten guten Werke ausrichten sollen, wenn nicht als vermögender Mann?

Ganz wichtig in diesem weltlich-geistlichen Businessplan: die regelmässige Kontrolle, die «allgemeine und umständliche Prüfung des Erreich-

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ten oder Versäumten», welche die Pietisten forderten. Einer ihrer Vordenker, der Pietist August Hermann Francke, hatte als probates Mittel das Führen eines Tagebuchs empfohlen. Mit regelmässigen, gewissenhaften Einträgen könne so der gottgefällig Lebende «die genaue und planmässige Gestaltung eines jeden Tages» im Nachhinein kontrollieren und seinen Alltag entsprechend anpassen.

Das Tagebuch, le journal intime. Ganz im Sinne von Francke beschäftigen sich die täglichen Aufzeichnungen Amiels immer wieder mit der sinnvollen Verwendung des Tages – oder eben der eigenen Unfähigkeit, dem Alltag eine Struktur zu geben, Nutzen für sich und andere daraus zu ziehen. Gleich einer der ersten Einträge schlägt diesen Ton an, der während der folgenden Jahrzehnte unter wechselnden Vorzeichen erklingen wird: nichts geleistet, nichts vollbracht, die Zeit vertändelt. «Ich spüre, wie mein Leben zerrinnt, ohne Früchte zu tragen», klagt Amiel im März 1840 – als Neunzehnjähriger! Da muss Abhilfe geschaffen werden; während Wochen studiert er den Essai sur l’emploi du temps eines gewissen Marc-Anton Jullien. Dieser wandelt drei geläufige Methoden der Zeiteinteilung zu einer vierten ab: ein religiöser, ein militärischer und ein kommerzieller Stundenplan werden kombiniert. Dank Jullien besitzt der Student Amiel jetzt eine griffige Formel für nutzbringendes Arbeiten. Er teilt den Tag in Einheiten zu 30 Minuten ein. «Von sieben Uhr früh bis halb eins ergeben sich elf Halbstunden, von denen zwei für Mahlzeiten wegfallen.» Der Rest gehört den Fächern Lektüre, Griechisch, Italienisch, Physik und so weiter; nachmittags Spaziergang, abends von fünf bis sieben Besuche. Auch diese gelten nicht einfach der Zerstreuung, sondern dem nützlichen und instruktiven Gespräch, denn: «Das Leben besteht aus Zeit; wer seine Zeit nicht einzuteilen versteht, vertändelt sein Leben.»

La vie est faite de temps; ne savoir disposer de son temps, c’est gaspiller sa vie. Interessanterweise zieht Amiel 14 Jahre später, als etablierter Professor, erneut die Anleitung Julliens hervor. Diesmal gelangt er allerdings zu einem grosszügigeren Tagesregime. Er hält es fest in einem seiner Schemata, die schon jetzt den Schrecken seiner Studenten bilden und bis ins Alter zu einer Art Tabellensucht führen werden:

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Morgen Nachdenken und Schaffen (pensée et production) Mittag Aneignen und Nutzen (assimilation et jouissance) Abend Plauderei und Zuneigung (causerie et affection) So als realisiere er selbst, dass sich kein Mensch auf Dauer am Abend zur Herzlichkeit und am Morgen zum Nachdenken zwingen kann, greift Amiel zwei Monate später doch wieder auf den detaillierten Stundenplan zurück.

Dabei muss er feststellen, dass das Ausarbeiten einer sinnvollen Einteilung selbst wieder produktive Zeit schluckt: «Das Zusammenstellen eines Stundenplans für die Nutzung meiner Zeit im Winter hat mich fast acht Stunden Mühe und Arbeit gekostet (...) Bis jetzt gelang es mir nie, mich auch nur eine Woche lang an eines dieser so sorgfältig ausgearbeiteten Programme zu halten.» Als der nächste Winter beginnt, muss er sich resigniert eingestehen: Es hat auch diesmal nicht geklappt. Der alte Trott hat sich wieder eingestellt und lässt sich offenbar nicht mehr wegbringen – so wie eine Fehlhaltung, die jemand allzu lange hat einreissen lassen. Zerknirscht sieht er ein, dass sechs Stunden Arbeit im Tag offenbar die Obergrenze darstellen: «Arbeit von 8–11, dann Diner, Spaziergang, Zeitungen bis 4, bis 7 wieder Arbeit.» Zuweilen ist er so zerknirscht, dass er im Tagebuch nur das Nötigste festhält, «da es nichts Gutes einzutragen gibt».

Wir sprechen hier von den Mittfünfzigerjahren, also von einem 35-jährigen Professor, dessen Kollegen wohl alle ihre jeweilige Arbeitsroutine entwickelt haben und neben der Vorlesungstätigkeit Zeit finden, die eine und andere wissenschaftliche Abhandlung zu veröffentlichen. Bei Amiel hingegen wachsen mit vorrückendem Alter die Unsicherheit und der Zweifel.

Im November 1857 erstellt er erneut eine Übersicht. Diesmal kommt er auf 22 fruchtbare Stunden pro Woche, die drei Halbtage mit Vorlesungen nicht mit eingerechnet. Ist das viel? Ist das wenig? Vielleicht, so sagt er sich, sollte er überhaupt auf jede langfristige Planung verzichten, immer nur die anstehende Woche im Auge behalten, denn: «Die Zukunft besteht für mich aus der folgenden Woche.»

Mit Neid und einer Spur Wehmut begegnet er Zeitgenossen wie Marc Monnier oder dem überall erfolgreichen Victor Cherbuliez, denen alles zu gelingen scheint. Liegt es daran, dass sie schneller reagieren, der Zeit ein Schnippchen schlagen? «Um im Leben pünktlich zu sein, muss man der Zeit voraus sein. Man nehme einen Menschen, der es schafft, den anderen

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immer um fünf Minuten voraus zu sein – dieser Mensch zieht den anderen den Teppich unter den Füssen weg.» Er selbst gehört nicht zu diesen Glückskindern, décidément pas. «Ich weiss nicht, wie mir die Zeit verstreicht», heisst es so oder ähnlich immer wieder, «aber jetzt schlägt es zehn Uhr, und es scheint mir, ich habe heute nichts geleistet. Es stimmt, dass mich am Morgen ungebetene Gäste störten und dass der Spaziergang, ein Haufen Zeitungen und vier Briefe den Rest des Tages auffrassen. Aber wie ist es möglich, dass ich seit 14 Stunden auf den Beinen bin und nicht dazu gekommen bin, ein Buch zu öffnen?» Oder dann, nach einem Tag, der ihm in den Fingern zerbröselt ist: «Wenn ich die Stunden abziehe, die mir die Mahlzeiten stehlen, die Plaudereien, die Zeitungen, die Toilette und die Körperpflege, der Unterhalt meines Feuers, die Korrespondenz, das Blättern in den Wörterbüchern (...), sehe ich nicht, was für die eigentliche Arbeit noch bleibt. Oder dann wird angeklopft, jemand bittet mich um Rat, oder es ist am Schreibpult nicht hell genug oder nicht genügend warm ...»

Bemerkenswerterweise lässt gerade dieser Eintrag einen wichtigen Zeitfaktor aus: das Führen des Tagebuchs selbst. An diesem 9. Januar, an dem Amiel über seine vielen Zeitfresser klagt, die chronophages des Alltags, setzt er sich gleich vier Mal mit seinem Journal intime ans Schreibpult: um elf Uhr zu einem kurzen Eintrag, nach dem Mittagessen zu einer langen Erörterung, die in der gedruckten Ausgabe des Tagebuchs drei Buchseiten einnimmt, dann zu einem kurzen Nachtrag um sieben Uhr abends und um elf Uhr nachts erneut zu einer längeren Abhandlung (zwei Druckseiten).

Indem Amiel wortreich die Zerfahrenheit seines Alltags beklagt und nach Mitteln zur besseren Zeitnutzung sucht, trägt er zu eben diesem leidigen Zeitmangel bei ...

Es wird von diesem Paradox noch zu sprechen sein. Aber lässt sich denn das so oft beschworene «Nutzen» der Zeit nur immer über die bienenfleissige Arbeit am Schreibtisch definieren, das Wälzen von Büchern, das Schreiben gelehrter Artikel? Gelegentlich versucht er es mit einem neuen Zugang – beispielsweise nach einem längeren Urlaub in der Innerschweiz, den er sich im Sommer vor seinem 50. Geburtstag gönnt. Was er in diesen Wochen «geleistet» hat, listet er wiederum mit Hilfe einer seiner vielen Tabellen auf:

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° 1 Gesundheit befördert (zweifelhaft, nur mit viel Umsicht zu bewahren) ° 2 im Einklang mit der Natur gelebt (vier Seen, ganz verschiedene Aussichten) ° 3 einige Freundschaften vertieft, einige Illusionen verloren ° 4 einige Verse geschrieben und 200 Tagebuchseiten, viele Briefe ° 5 mein Talent zum Vorlesen wieder entdeckt ° 6 dank Konversation einige Dinge hinzugelernt ° 7 viele ästhetische Eindrücke gehabt «Man kann also nicht von verlorener Zeit sprechen», rundet er das Fazit ab, «aber trotzdem ist es nicht sehr viel. Und für die Zukunft?»

Er kann es drehen und wenden, wie er will: Für ihn, den stillen Gelehrten, nimmt die sinnvoll genutzte Zeit doch immer nur eine Form an – die eines handfesten wissenschaftlichen oder philosophischen Werks, mit dem er sich einen Namen macht, mit dem er sich den grossen Pariser Gazetten empfiehlt. Dort veröffentlichen seine Genfer Freunde umfangreiche Beiträge, schaffen sie sich das Sprungbrett für die Karriere in der grossen Hauptstadt: Redaktor, Publizist, französische Staatsbürgerschaft, Wahl zum Senator, Aufnahme in die Ehrenlegion, die Académie Française ... Ein Buch muss her, ein handfester Band, keines dieser Gedichtbändchen, die nur erscheinen, weil er den grössten Teil der Auflage selbst übernimmt. Ein geistesgeschichtliches Werk, ein philosophisch-psychologisches Traktat, ein kulturgeschichtlich-ethnologischer Abriss, eine Psychologie der Völker ... und was steht diesem Plan entgegen? Wo liegt das Problem?

«Ist ein Buch einmal unterwegs, schriebe man bloss sechs Seiten am Tag und dies 25 Tage im Monat, so hätte man 450 Seiten zu Ende des Quartals, also einen Band, und zwei Bände nach einem Semester. Gut, auch wenn man neun Monate für die Vorbereitung und drei Monate für die Redaktion erlaubt, so hätte man doch alle Jahre seinen Band abgeliefert, hätte nach zehn Jahren ein gewisses Gewicht, hätte gesagt, was man zu sagen hat, hätte der Welt seine Visitenkarte hinterlassen, bevor man sich verabschiedet.»

Ein gigantischer Werkplan, der mit der Wirklichkeit wissenschaftlichen Arbeitens nicht das Geringste zu tun hatte! Vergleichbare zeitgenössische Werke, die Amiel bewunderte und die ihm als Vorbild vorschwebten, hatten Jahre der Forschung und Formulierungsarbeit gekostet. Friedrich Theo-

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dor Vischer, Dozent der Ästhetik in Zürich und somit Amiels Gegenpart in der Deutschschweiz, hatte während zwölf Jahren die Bausteine zu seinem Standardwerk «Ästhetik» zusammengetragen, das 1858 im Druck erschien; noch länger hatte Gottlieb Semper, auch er ein Zürcher Dozent, an «Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten» gearbeitet (1863 abgeschlossen). Was Amiels weltfremder Zeit- und Arbeitsplan umreisst, erinnert auf fast schon aufdringliche Art an seine eigene stille Liebhaberei, an die selbstvergessenen Stunden über den Heften des Journal intime: Hier füllten sich tatsächlich sechs Seiten im Tag und 450 Seiten im Quartal; hier sagte der Autor, was er zu sagen hatte ...

Bezeichnenderweise sind es häufig die Monate im Vorfeld eines runden Geburtstags, in denen Amiel über das Wesen der Zeit sinniert und über die Spuren grübelt, die sein eigenes Leben hinterlassen wird. Dann sitzt er in seinem Studierzimmer, lauscht dem Schlagen der Pendüle auf dem Kaminsims und dem Ticken der silbernen Taschenuhr, hört sein Herz pochen.

«Sie allein messen das Verrinnen der Zeit. (...) Ja, schlaf nur, wache, verdaue, spaziere, weine oder lache, alles einerlei! Die Zeit reisst dich mit in gleichbleibender Geschwindigkeit; die Sanduhr leert sich, die Minuten deines Lebens ticken weg, die Stunden stürzen eine nach der anderen in den tiefen Abgrund und warten darauf, dass du ihnen folgst.» Aus dieser Perspektive verliert alles Materielle an Wichtigkeit, auch das Geld: kein Wort mehr über schwankende Finanzen, über das magere Salär an der Académie!

Im August 1871 rückt der 50. Geburtstag unausweichlich näher; er sieht sich vor einer unüberwindbaren Klippe. «Der drohende 27. September baut sich vor mir mit machtvoller Gebärde auf. Unglücklicher, du vergisst die Zeit, aber sie vergisst dich nicht. ‹Sei einmal ein Mann, bevor du stirbst›, wie Rousseau sagt.» Ähnliche Gedanken drängen sich auf am Jahresende, selbst in der Jahresmitte. Ende Juni oder Anfang Juli stellt Amiel jeweils erschrocken fest, dass bereits sechs Monate eines Jahres verstrichen sind, dessen Datum auf dem Brief- oder Zeitungskopf ihm immer noch völlig unvertraut scheint.

So wie der heutige Zeitgenosse, dem Bank oder Versicherung die Taschenagenda fürs neue Jahr zusenden, bevor noch das aktuelle so richtig in Fahrt gekommen ist, erschrickt er. «Man dreht sich um, es ist Mittag. Man dreht sich zurück, es ist Abend. Und so ziehen unsere Tage mit Adlerschwingen davon.»

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On se retourne, il est midi; on se détourne, il est soir. Ist es dieses stets gegenwärtige Gefühl der Vergänglichkeit, das ihn daran hindert, ein grösseres Werk anzupacken, ja gar eine Familie zu gründen? «Das Leben ist mir immer so kurz vorgekommen, dass es nicht die Mühe lohnte, sich auf etwas einzulassen. Mit einem Termin von zwei Jahren ab heute zu rechnen, kam mir bereits unsinnig vor.» Oder hat er insgeheim immer darauf gehofft, ein Erlebnis, eine Begegnung, eine Einsicht würden seinem Leben eine bestimmte Richtung weisen, alles werde sich mit einem Schlag in eine zwingende Ordnung fügen? Ebenfalls kurz vor dem drohenden 50. Geburtstag erinnert er sich an einen Siegelring, den er in seiner Jugend geschenkt erhielt, ein cachet à devise mit Inschrift und Symbol. Hat ihn dieses geheimnisvolle Symbol zu einem Leben der Vorläufigkeit verdammt?

«Das Siegel zeigte einen Schmetterling über einer Rosenknospe und die Inschrift J’attends. Dieses Sinnbild war zeitlebens dein Zauberspruch und dein Fluch. Du bliebst ein Schmetterling und du hast immer gewartet. Gewartet worauf? Den Anlass zu leben, zu handeln, hervorzubringen und zu lieben, den Augenblick des Seins. Du hast im Zustand des Versprechens verharrt, des Vorspiels, der Larve. Und der Grund? Du hast nie mit der Zeit gerechnet und du wolltest dich der Welt nicht aufdrängen.»

J’attends, ich warte. Die anderen haben eine Familie gegründet, ein Unternehmen auf die Beine gestellt, haben alles riskiert und gewonnen, alles gewagt und verloren. Aber er? «Ich bin nicht so tief wie die anderen in die Zeit eingetaucht, indem ich nie den Ernst und die Sorgen des Lebens akzeptiert habe, von keinem Fluss mitgerissen wurde oder getragen.» Trifft er diese anderen nach Jahren an, «sehe ich meine Kameraden mit weissen Häuptern, meine Studenten verheiratet, meine früheren Herzensbekanntschaften verwelkt oder als behäbige Matronen, stimmt mich das nachdenklich, und mein Spiegel macht das Mass voll. Und trotzdem verfliegt die Überraschung nicht. Dem, der nur betrachtet, kommt es eigenartig vor, dass der Strom auch ihn mitgeschwemmt hat. (...) Die Vernunft sagt dir: So ist es! Aber der Instinkt antwortet: Es ist unmöglich!» Und hat ihn nicht auch die stete Zuneigung, das Verwöhntwerden durch die Frauen über sein eigenes Altern hinweggetäuscht? Immer gab es da eine schwärmerische Seele, eine bewundernde Anhängerin, die ihn bestärkte im Gefühl seiner Immunität, des zeitlosen Daseins, der a-chronie intérieure. «Indem ich die Jahre vergass, schien mir unwillkürlich, sie würden es ebenso halten.»

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«Man wird mich aus der Liste der Lebenden streichen, bevor ich noch meine Feder zugeschnitten oder meine Gitarre gestimmt habe», heisst es an anderer Stelle. Tatsächlich hinterlässt das Tagebuch bisweilen den Eindruck, als setze sich Amiels Alltag aus tausend fruchtlosen Tätigkeiten zusammen, als bleibe es für immer beim Federschneiden, beim Saitenstimmen. Er entwickelt ein eigentliches Vokabular der Ablenkungen: affaires ridicules, niaiseries, bagatelles, distractions, und diese lächerlichen Angelegenheiten, Dummheiten, Kleinigkeiten und Ablenkungen lassen ihn denken «an Gulliver, den die Zwerge von Lilliput mit tausend dünnen Fäden ketten». Wird er sich noch je aus diesem Netz befreien können?

«Mit meinen ausführlichen Waschungen, meiner minutiösen Körperpflege für Bart, Haare, Zähne und so weiter plus Frühstück ist eine Stunde schnell weg. Von elf Uhr nachts an gerechnet ergibt das zehn Stunden allein für die Wiederherstellung des Körpers. Zehn Stunden von vierundzwanzig, zu denen man noch die Zeit für die Mahlzeiten hinzuschlagen muss, die Plaudereien, die Abstecher zu meinem legalen Wohnort [wo er seine Bibliothek hat]. Was bleibt da um Himmels willen noch für die Arbeit? Was für ein Gebrösel, was für ein Vertrödeln!»

Der anspruchsvollste Zeitheischer neben der Toilette, diesen «Reparaturarbeiten für die angeschlagene Maschine», ist der Schlaf. Was beneidet er Menschen wie Napoleon oder Humboldt, die mit vier oder fünf Stunden Schlaf täglich auskamen! «Ihr Jahr enthält 14 Monate, mit 60 haben sie bereits 70 Jahre gelebt.» Als er gelegentlich liest, dass Descartes zehn Stunden Schlaf brauchte, fühlt er sich erleichtert: «Man muss die Zeit messen nach den Früchten, die sie bringt.»

Ebenso erleichtert fühlt sich der Leser des Journal intime, wenn sich der Autor selbst gegen seine verquere Zeitbuchhaltung auflehnt. So wie sich Amiels Stolz bisweilen gegen die Allmacht des Geldes aufbäumt und er seine Bilanzen, seine Budgets und die ganze Mitgiftsrechnerei zum Teufel wünscht, sagt er der Herrschaft der Zeit plötzlich unverblümt den Kampf an. Jawohl, das ist es, heisst es in guten Momenten in der Du-Form, mit der sich Amiel gerne selbst Mut macht: «Du sprichst den Monaten und Jahren das Recht ab, dich zum Marschieren zu drängen, dich altern zu lassen, dir deine Kräfte zu rauben (...) und vor allem: dich zum Gehorsam zu zwingen.» Muss denn alles und jedes daran gemessen werden, ob es die

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menschliche Erkenntnis fördert und weiterbringt? «Ein Tag, den man sich mit Vergnügen in Erinnerung ruft, ist ein voller Tag, ein Tag voller Leben, das reicht. Hüte dich vor dieser eingeengten Betrachtungsweise der Arbeitssklaven, die ihre Tage an den Ellen Tuch messen, die sie gewoben haben.

Mache dich nicht zum Sklaven deiner Werke!» Er wirft – zumindest in Gedanken – den leidigen Jullien samt seinem Essai sur l’emploi du temps aus dem Fenster. Was soll das alles? «Das Eingezwängtsein in einen festgelegten Stundenplan verschreckt dich und stösst dich ab. Die Sklaverei, sogar die selbstauferlegte, schmeckt dir nicht und reizt dich zur Revolte. (...)

Wenn du den Tagesablauf eines Geschäftsmanns oder eines Regierungsbeamten betrachtest, verspürst du geheimes Mitleid.»

Aber was nützen Stolz und Trotz, wenn das Alter immer wieder mit Etappensiegen aufwartet? Zwar entscheiden sie noch nichts, aber sie demütigen und verletzen, machen es schwer, die Jahre mit Würde zu tragen. Als Mittvierziger muss sich Amiel eingestehen, dass sich die tief eingebuchteten Geheimratsecken über den Schläfen mit der lichten Stelle auf dem Hinterkopf verbunden haben – kahle Stellen, «die durch keinerlei Künsteleien des Frisierens mehr zu verdecken sind». Noch schwerwiegender: Auch die Zahnreihen lichten sich. «Der Zahnarzt hat drei Schneidezähne aufgegeben; sie werden absterben, ohne eigentlich krank zu sein. Und mein Haar fällt jeden Morgen büschelweise aus. Zahnlos und kahl! Das jagt mir einen gewissen Schauer ein, denn es ist die Pranke des Totengräbers, die da fühlbar wird (...), der Tod der Liebe, der Tod der Kraft, der Tod der Freude. Es braucht einige Seelenfestigkeit, um dem Ungeheuer ins Gesicht zu schauen – dem Ungeheuer, das uns Stück für Stück verschlingt.» Offenbar entwickelt der Zahnarzt dann doch eine Rettungsstrategie, aber mit 48 meldet Amiel: «Die vier Zähne, die sich nun verabschiedet haben, haben mir das Leben während über zwei Jahren vergiftet.» Wenn das so weitergeht, wenn beispielsweise jedes Jahr seinen Zahn fordert, «dann habe ich den ganzen Rest meines Lebens zu leiden». Dem Zahnarzt bleibt schliesslich als Lösung nur eine Brücke. Er passt sie in mehreren Sitzungen an, aber Amiel fühlt sich fortan in der Aussprache behindert, hört die Zischlaute zischen und die Explosiva knallen: «Adieu Rezitieren und Vorlesen, adieu Anmut der Sprache, adieu meine Laufbahn als Professor, im Öffentlichen, im Privaten!»

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Bref, der Körper zwickt wie ein schlecht geschnittener Anzug, der immer irgendwo kneift. Sieht sich Amiel im Spiegel, hält er verdutzt inne: Handelt es sich wirklich um ihn? «Ich kann nicht glauben, dass ich fünfzig bin. Bin das wirklich ich, dem da die Haare und die Zähne ausfallen? Dieses undankbare und merkwürdige Schauspiel – geht es mich an? Ist es nur eine Warnung oder die Wirklichkeit?»

Ebenso unwirklich erscheinen ihm jeweils Zeitgenossen, die er schon eine Weile nicht mehr gesehen hat. Natürlich, bei den Gleichaltrigen forscht er heimlich nach den Spuren der Jahre, stellt er manchmal mit verschämtem Triumph fest, dies und das sei ihm bisher doch erspart geblieben: noch keine weissen Haare, noch keine Vollglatze, der Gang noch fest statt wacklig und unsicher. Aber ungleich stärker erschüttert ihn, wenn aus den Knirpsen von einst Riesen geworden sind. Einmal erhält er Besuch vom jungen Henri Lecoultre, dem Sohn seines guten Freundes. Der junge Mann steht kurz vor dem Theologenexamen, will mit dem Herrn Professor noch die eine und andere Frage klären. «Was wächst diese Jugend doch rasend schnell! Hier dieser bärtige Koloss – und gestern noch, scheint mir, ein Büblein, dem ich auf der Strasse nach Salève die Verben abfragte.»

Die Zukunft, der dieser bärtige Jungtheologe entgegengeht, erscheint ihm nachgerade als eine Art Sperrgebiet, als feindliches Terrain. «Hinter der Mauer / hört man die Zukunft / freudig singen», dichtet er einmal. Für ihn selbst ist dort kein Platz mehr; jedenfalls wagt er sich nur noch im Rückwärtsgehen dorthin vor, in kleinen Schritten, den Blick auf die Vergangenheit gerichtet: «L’avenir me paraît toujours tout contre moi, et il n’y a d’espace que du côté du passé. Je m’avance donc à reculons.»

Wenn es denn einen weiteren Bereich gab, wo sich die Domänen des Geldes und der Zeit überschnitten, so war es die Mode, vor allem die weibliche Kleidermode der Jahrhundertmitte. Einem aufmerksamen Zeitgenossen wie Amiel konnte unmöglich verborgen bleiben, wie sie – oder vielmehr ihre Schöpfer – den Bedürfnissen der Industrie auf geradezu kniefällige Weise entgegenkam. Denn die Textilverarbeitung der Epoche profitierte jetzt von zwei wichtigen Neuerungen: Nähmaschine und mechanischer Webstuhl. Der Tuchausstoss der Textilfabriken hatte sich innert weniger Jahre vervielfacht; vor allem feine Seiden- und Baumwollstoffe wie Gaze,

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Satin, Musselin oder Crêpe wurden nun ballen- statt wie früher ellenweise verkauft. Die neu entwickelten Nähmaschinen bündelten, rafften und plissierten die Textilfluten und machten sie einer modischen Neuheit dienstbar: der Krinoline. Für Amiel war diese Modetorheit wie geschaffen dafür, das Mehrangebot an Stoffen zu absorbieren. Dass sich Wäscherinnen wie Bürgersfrauen in diesen wippenden, glockenförmigen Röcken zur Schau stellten, schien ihm ein weiterer Beweis für die Perfidie der Mode: «Sie löst das egalitäre Problem durch Nivellierung der Hässlichkeit und das wirtschaftliche Problem mit dem fortwährenden Verdrängen und Ersetzen der industriellen Produkte durch immerfort neu geschaffene und angepriesene Waren.»

Oh ja, die Mode war schlau! Denn die mit Stoff bespannten Draht reifen, die crinoline selbst, bildeten nur eine Art Grundgerüst. Darunter trug die Frau mehrere Unterröcke: ein dicht gepacktes Gekräusel aus geschürztem, gerafftem und gefächertem Krepp, aus Gaze und Musselin.

Hinzu kam ein vom Drahtkäfig gestützter Rock aus Flanell, und darüber – erst jetzt! – das eigentliche Kleid. Oberhalb der Taille, unterstützt noch durch das Korsett, zwängte es den Oberkörper bis unter den Busen in eine Art Stengelform.

«Unter all den neueren und neusten Ungeheuerlichkeiten der Mode» stach, so Amiel, dieser Käfigrock am grellsten hervor. Der weibliche Körper verlangte eigentlich nach fliessenden Formen, nach flüchtigen Linien und wallenden Falten. Stattdessen verunstaltete nun ein fass- oder glockenförmiges Unding den Unterleib, lenkte vor allem die männliche Fantasie auf die von Käfig und Stoffmassen verborgenen Hüften und Beine. Die Krinoline entkleidete, statt zu bekleiden; «die Frau, ihres Mysteriums beraubt, verliert ihre Poesie.»

Aber wen konnte das alles wundern – so Amiel weiter –, wenn man die Herkunft dieser Modeströmung betrachtete? Entstanden war dieses ganze Unterwäsche-Froufrou, was nur allzu leicht vergessen ging, in den ersten paar Jahren des Second Empire, und zwar in den Boudoirs der Pariser Edelprostituierten. Die poule de luxe war ein Wesen, das sich eingehüllt in eine Wolke aus Tüll und Spitzen in der offenen Viktoria durch die Strassen kutschieren liess, das sein eigenes Bettzeug praktisch auf Schritt und Tritt mittrug. Und dieses Ideal propagierten Schneider und Schneiderinnen, Modehäuser und Textilfabrikanten, einzig und allein auf Gewinn bedacht! «Der

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Jockeyclub und die Halbwelt, halbseidene Gören, der stumpfsinnige Sport, das dreiste Laster – sind nicht sie es, die heutzutage entscheiden, was comme il faut ist und was nicht? Und die Grenzen zwischen passend und unpassend, zwischen anmutig und schockierend, zwischen hübsch und lächerlich: werden sie nicht verwischt durch Begriffe wie chic, rassig und dergleichen gerade gängige Schlagworte für den Stil?» Gewinnsüchtige Theaterdirektoren, wie nicht anders zu erwarten, halfen fleissig mit bei der Propaganda für das Leitbild «Kokotte». Freudenmädchen beherrschten die Bühne, regierten als Carminette, Marion Delorme, Camilla oder Kameliendame, dies in Werken mit Titeln wie Les filles de marbre oder La traviata – alles Huren, alles femmes de plaisir, auch wenn sie im letzten Akt meist eine Spur unerwarteten Edelmuts zeigten: «Carminette schwingt das Zepter auf der Strasse, im Wagen, im Theater und selbst im Salon; die Herrschaft von Traviata dauert nun fast schon dreissig Jahre. (...) Die Frau regiert, aber in einer ihrer weniger prächtigen Inkarnationen – in jener des Freudenmädchens.»

So Amiel, und sein Zorn ist nach dieser Tirade keineswegs gestillt. Natürlich beteiligten sich auch die kleinen Händler, die Krämer der biederen Genfer Boutiques, am schamlosen Spiel! Allein um des Umsatzes willen wühlten sie noch in der Schlacke der Pariser Demimonde, importierten selbst die halbseidensten und verfänglichsten Accessoires! Oh ja, «die aktuelle Mode erlegt den anständigen Frauen einiges auf und gefällt sich darin, ihre Macht zu zeigen, indem sie alle Rollen durcheinanderbringt. So tragen die jungen Mädchen im Haar oder rund um den Hals sogenannte Suivezmoi, jeune homme (flatternde Bänder) oder an ihren Mänteln Couchezvous sur moi (festgesteckte Bänder) – mit anderen Worten: vorgespiegelte Unanständigkeiten. Die Mode hat ihnen gesagt: Du sollst die schamlose Frau nachahmen, das Freudenmädchen, die entehrte Tochter, das amüsiert mich und das bereitet mir Vergnügen. Nicht eine Frau, die sich auflehnt!»

Zweifelhafter Ursprung hin oder her – die Krinolinenmode birgt sogar tödliche Gefahren. Das Stoffgekräusel unterhalb des Käfigs fängt leicht Feuer; in den Gazetten kursiert die Geschichte eines jungen Mädchens, das verbotenerweise eine Zigarette raucht und vom Hinzukommen einer Respektsperson überrascht wird. Voller Panik verbirgt es die glimmende Zigarette in den Tüllfalten, diese gehen in Flammen auf; die junge Frau erleidet

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entsetzliche Verbrennungen. Kein Ammenmärchen, oh nein; Amiel selbst hat im November 1859 eine unglaubliche Szene miterlebt, an einem Ball in Lancy. Gleich nach der ersten Tanzrunde entsteht ein fürchterlicher Tumult, Flammen lodern in einer Ecke des Tanzsaals, spitze Schreie erfüllen den Raum. Der Rock einer jungen Frau steht in hellen Flammen, «diese steckt eine zweite in Brand, diese wiederum eine dritte, jene eine vierte; die leichten Stoffe entflammten so schnell wie Weingeist oder Phosphor, und der Todesschrecken der Opfer machte aus ihnen wahre Brandsätze für die hilfreichen Gefährtinnen. Endlich liess sich die Katastrophe auf vier von ihnen beschränken; indem einige Herren die Stoffschichten wegrissen und die am Boden liegenden Unglücklichen mit den erstbesten Lumpen bedeckten, erstickten sie schliesslich das Feuer.» Wie sich herausstellt, hat das erste Opfer beim Tanzen mit der Unterseite des Rocks ein Stück glühende Kohle aus dem offenen Kaminfeuer gefegt. Dieses hat sich in den Falten des Unterrocks verfangen; der Luftzug beim Tanzen hat für den Rest gesorgt; die Tüllmassen gehen in Flammen auf. Glück im Unglück: Der Hausherr ist Arzt und trifft bei den bedauernswerten jungen Frauen sofort die ersten Massnahmen. Leben sind nicht gefährdet, aber er muss ausgedehnte Verbrennungen feststellen. Einige Opfer bleiben für ihr Leben gezeichnet.

Neben solch fatalen Szenen tritt in den Hintergrund, wie unglaublich hinderlich diese Kleidermode dem praktischen Leben werden kann. Zwei bis drei modisch gekleidete Frauen füllen bereits eine Stube, die sonst für ein ganzes Kaffeekränzchen Platz bot; das Einsteigen in den Omnibus oder den Eisenbahnwaggon lässt sich nur mit viel Umsicht bewerkstelligen; Mütter schaffen es nur mit Mühe, ihre Kleinen an der Hand zu führen, geschweige denn auf dem Fussboden mit ihnen zu spielen; ein Gang auf die Toilette erfordert umständliche Vorbereitungen ...

Ist es nicht geradezu so, sinniert Amiel, dass sich die Mode gezwungen sieht, zwischendurch hässliche oder absurde Formen zu propagieren, wenn sie den Umsatz hochhalten will? Statt einen allgemein gefälligen Stil zu entwickeln und zu bewahren, der allenfalls von Saison zu Saison leicht modifiziert werden kann, schafft sie völlig unpassende Schnitte, die man später wieder korrigieren kann. Und dies selbst für die Männerwelt, die sich weniger leicht beeinflussbar wähnt. Ja, wenn dem bloss so wäre! Aber: «Mein Patensohn trägt jetzt einen Levitrock, ein entstellendes Kleidungsstück, dessen unmässig nach unten verlängerte Taille ihn mit achtzehn wie einen

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Familienpapa aussehen lässt. Heutzutage besteht der Triumph der Schneider darin, alles zu verunstalten, was sie anfassen, das Alter grotesk aussehen zu lassen und die Jugend schwerfällig. Die Mode tut genau das Gegenteil von dem, was sie sollte; sie lehrt den schlechten Geschmack und verwischt alle zarten Geschmacksnuancen, die sie doch eigentlich erkennen und hervorheben sollte. Wenn man im Jahr 1867 sagt, ein Ding, ein Schnitt, eine Form oder eine Farbe seien modisch, bedeutet das praktisch, sie seien hässlich vom ästhetischen oder künstlerischen Standpunkt aus.»

Unter den Augen eines Insiders warten Makler und Agenten auf dem Gehsteig der Rue Petitot auf die Öffnung der Börse. Aus bescheidenen Anfängen entstanden, wird die Genfer Börse um 1870 zu einer der wichtigsten auf dem Kontinent.

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Kapitel 9

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La passion de gagner vite sévit par toute l’Europe, et le grand jeu de la fortune est l’universelle tentation. C’est comme l’assaut d’une redoute, on y laisse sa vie ou l’on en remporte la croix.

Seulement – à la guerre on risque sa propre personne, à la Bourse on risque essentiellement l’argent des autres.

Das Jagdfieber nach dem schnellen Gewinn grassiert in ganz Europa; alles erliegt den Verlockungen des grossen Glücksspiels.

Es gleicht dem Erstürmen einer Festung – man büsst dabei das Leben ein oder man trägt den Sieg davon. Nur riskiert man im Krieg den eigenen Kopf und Kragen, während man an der Börse das Geld der anderen aufs Spiel setzt.

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Man schreibt den 11. November 1866, und Amiel setzt sich am späten

Morgen zu einem Eintrag im Journal hin. Elfter Elfter um elf Uhr, richtig, aber nichts bringt ihn zu einem Schmunzeln über das Schnapsdatum; die gute Laune ist weg. Amiel hat eben ein Rundschreiben gelesen, eine Aktionärseingabe, und er ringt nach Worten. Entsprechend knapp ist sein Eintrag formuliert: «Eben das Mémoire der Aktionäre der Banque Générale Suisse gegen ihre freibeuterische Geschäftsleitung beendet. Die 40 Millionen Gesellschaftskapital sind durch deren schamloses Geschäftsgebaren um drei Viertel geschrumpft ... die Einzelheiten sind unglaublich.» Er selbst, so scheint es, ist nicht zu Schaden gekommen. Aber die allgemeine Verunsicherung, die Einbusse an Würde und Ansehen für die stolze Stadt! Wie konnte es so weit kommen?

Die «freibeuterische Geschäftsleitung» – das sind der einst allgewaltige James Fazy, seit zwei Jahren als Staatsrat entthront, dann ein Frankfurter Financier, von dem hier noch die Rede sein wird. Tatsächlich kommt es kurz danach, um den Jahreswechsel 1866/67, zum Kollaps der Banque Générale Suisse de Crédit International, Mobilier et Foncier, dem Stolz von Genf. Er schliesst ein Kapitel in der Geschichte der Stadt ab, das bisher von Dynamik, ja geradezu von Glamour sprühte. Seit der Machtübernahme der Radikalen vor 20 Jahren hat sich nicht nur das Gesicht verändert, das Genf der Welt zeigt. Die Schanzenschleifung, wie gesehen, hat die Stadt zum See hin geöffnet und Millionen in die Staatskasse gespült – durch Grundstückverkäufe, indirekt durch die Beschäftigung Tausender von Arbeitern und Handwerkern. «Eine der erfolgreichsten Finanzoperationen, die sich nur denken lässt», hat James Fazy selbst das Programm genannt. Der umtriebige Vordenker der Radikalen hat sich aber ein weiteres Ziel gesetzt: Genf soll zur modernen Finanzmetropole werden. Aufbauend auf ihrem Ruf als Sitz diskreter, aber mächtiger Privatbanken mit Namen wie Pictet oder Lombard-Odier soll sie neu mit einer ganzen Phalanx dynamischer Kreditanstalten aufwarten.

Und diese Neugründungen – sie sollen Genf an das inter nationale Finanzwesen angliedern und den industriellen Aufbau des Kantons vorantreiben.

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Kapitel 9

Zeitgleich mit dem modernen Bundesstaat entsteht 1848 die Banque de Genève BdG. Sie kann als eine Art Kantonalbank gelten, denn ihr Grundkapital stammt zu einem grossen Teil aus dem Fundus der Commission des Biens de l’ancien Genevois; entsprechend erhält die BdG von Bern das Privileg der Notenausgabe. Im gleichen Jahr treiben die Radikalen die Gründung der Caisse hypothécaire voran. Sie baut auf dem Vermögen der einstigen Ökonomischen Gesellschaft auf: Altes Bürgergeld wird aus den Truhen geholt, wird frisch poliert und in den Dienst der modernen Finanzmetropole gestellt! Es folgt noch die Caisse d’Escompte oder Diskontbank; mit diesen drei Finanzhäusern haben die Radikalen in wenigen Jahren die Monopolstellung der alten und mächtigen Privatbanken gebrochen.

In den stattlichen, kühlen Bürgerhäusern, wo in getäferten Kontoren Millionengeschäfte getätigt werden, beunruhigt die neue Konstellation nicht übermässig. Die mächtige Quadriga der Privatbankiers Pictet, Hentsch, Lombard-Odier und Candolle-Mallet schliesst sich mit weiteren kleinen, aber feinen Häusern zur association financière zusammen. Mit ausgesuchten Beteiligungen an den Silberminen von Rio Tinto, beim Bau des Kanals von Korinth holen die Privaten für ihre Kunden Jahresrenditen von bis zu 25 Prozent heraus. Bloss ... verallgemeinern lässt sich dieser Geschäftsstil nicht; allzusehr hängt er ab von den Beziehungen, vom Riecher eines jeweils Einzelnen.

Was in Genf schlicht fehlte, war ein Institut im Stil einer grossen, international tätigen Handelsbank, das als Bindeglied zwischen den regionalen Banken am Léman und den grossen europäischen Bankhäusern wirken würde.

Was Fazy vorschwebte, war ein Unternehmen, das mittel- und langfristiges Kapital vermittelte – für den Eisenbahnbau im eigenen Land, für zukunftsträchtige Industrien, für gewaltige Vorhaben wie den Suezkanal, über den jetzt alle sprachen. Sein Vorbild fand Fazy im Crédit mobilier der Gebrüder Pereire in Paris. Diese wagemutigste und dynamischste aller Grossbanken der Zeit machte sich die Kommunikationsmöglichkeiten des Telegrafen von Beginn weg zunutze, beteiligte sich an den Eisenbahnen Russlands ebenso wie am Ausbau des französischen Bahnnetzes, unterhielt grosse Latifundien in Portugal und gründete Gaswerke in Italien, finanzierte die Österreichischen Staatsbahnen ebenso wie das Pariser Warenhaus Louvre oder eine internationale Kette von Grandhotels, legte den Grundstein zur ersten

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türkischen Grossbank ... Anders als etwa das Haus Rothschild sahen die Pereires ihr Unternehmen als Bürgerbank, ja als Volksbank. Auch Leute ohne grosses Vermögen sollten Aktien und Anteilscheine zeichnen können, sollten die Schwellenangst vor den imposanten Marmorpalästen der Hochfinanz verlieren.

1853 gründete der Zirkel rund um James Fazy die Banque Générale Suisse BGS, Geschäftssitz Genf. Mit einem Kapital von 60 Millionen, von denen 25 Millionen in einer ersten Tranche gezeichnet wurden, stellte sie grössenmässig alle anderen Banken des Landes in den Schatten. Geplant war die BGS als Diskont- und Leihbank, die aber auch im Sektor Bodenkredit und Industrie tätig werden würde. Von Beginn weg sassen angesehene Vertreter aus Paris und London im Verwaltungsrat, denn die BGS steckte ihre Ziele bis weit ausserhalb der Landesgrenzen. Sie beteiligte sich an Gaswerken in französischen und spanischen Städten und finanzierte Vorarbeiten zum Bau eines Kanals durch Panama. Sie sicherte sich in Tunis ein Grundstück für den Bau einer Filiale; von hier aus würde man den nordafrikanischen Markt erschliessen. In Genf stieg man bei der Verwertung der Grundstücke ein, die sich bei der Schleifung der alten Bollwerke ergaben. Fazy selbst erwarb eine Parzelle an erstklassiger Lage des eben erbauten MontblancQuai und liess als Numéro 1 der neuen Adresse ein schmuckes Stadthaus errichten. Ein Genfer Variététheater, ebenfalls mit BGS-Geldern finanziert, kränkelte allerdings schon nach einer Saison: Noch war Genf nicht reif für die Sirenenklänge der Pariser Boulevards.

Dazu passte, dass sich die Genfer auch bei den in rascher Folge aufgelegten Staatsanleihen missmutig zurückhielten. Je höher die Staatsschulden stiegen, desto schwerer tat man sich bei der regierungsnahen BGS und ihren Partnerbanken, diese Papiere an den Mann zu bringen. Stellvertretend für den Unmut und das Misstrauen der Genfer steht Amiels Tagebucheintrag vom November 1864. Bravo, so applaudiert er ironisch, die Regierung hat es geschafft, die Staatsschulden im Verlauf der letzten zehn Jahre zu verzwanzigfachen! «Sie bringt es fertig, uns mit einem jährlichen Defizit von zehn Franken pro Kopf zu belasten, was auf neue Steuern schliessen lässt.

Perge puer ...» Nur weiter so, Knabe!

Zwei Jahre später war das Scheitern des Variététheaters offensichtlich; es entpuppte sich als Vorspiel zu einer unaufhaltsamen Reihe von Debakeln.

Die BGS verlor nicht nur mit ihren Panama-Plänen grosse Beträge; auch

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die Beteiligungen bei den schweizerischen Chemins de fer de l’Ouest und der Zweiglinie nach Orbe brachten herbe Verluste. Fazy, der die Direktion übernommen hatte, räumte zwar ein, er lasse sich allzu leicht von neuen Ideen verführen, schrieb die immer bedrohlichere geschäftliche Schieflage aber den Machenschaften eines deutschen Financiers namens Reinach zu.

Dieser war als Vertreter einer Gruppe von Berliner Aktionären bei der BGS untergekommen und hier zum administrativen Direktor aufgestiegen. Fazy sah in ihm eine Art zerstörerischen bösen Geist, nannte ihn seinen ganz persönlichen «Finanz-Mephisto» und wurde nicht müde, die «israelitische» Herkunft Reinachs und seiner Auftraggeber zu betonen: Angeblich war den jüdischen Finanzimperien in Berlin und Paris der Erfolg einer kleinen christlichen Bank ein Dorn im Auge.

Tatsächlich brachte Reinach die Bank an sich, musste sich aber als Erstes den heftigen Vorwürfen der Aktionäre stellen, von denen der Auftakt dieses Kapitels berichtet. Anfang 1867 verfügte die Aktionärsversammlung die Liquidation; die stolzen Anleger von einst erhielten noch 40 Prozent ihrer Einlage zurück. Nicht einmal 14 Jahre hatte das ambitiöse Projekt überstanden, für das Fazy mit seinem persönlichen Vermögen gebürgt hatte. Während seine Liegenschaften unter den Hammer gerieten und zu Spottpreisen weggingen, drang von Paris das Splittern, Knirschen und Krachen eines gewaltigen Zusammenbruchs herüber. Im November 1867, nur Monate nach dem Ruin der BGS, erklärte auch die Crédit mobilier ihre Zahlungsunfähigkeit. Das von Fazy so bewunderte Imperium der portugiesischen Brüder Pereire hatte bei einer Liegenschaftsspekulation in Marseille fast die Hälfte seines Kapitals aufs Spiel gesetzt und eingebüsst. Einige Wochen lang hofften konsternierte Anleger noch auf Stützungskäufe durch andere Grossbanken. Nur dass hier tatsächlich das Bankhaus Rothschild eingriff und die CM-Aktien an der Börse ins Bodenlose sinken liess. Anders als in Fazys Fantasie ging es allerdings weder um eine Verschwörung noch um jüdische Weltmachtgelüste: Für Baron James de Rothschild waren Jacob und Isaac Pereira ganz einfach unverantwortliche Abenteurer, denen man am besten einen Riegel schob ...

Im Frühsommer 1867 hatte sich der Staub noch nicht gelegt, als eine ganze Reihe von Genfer Handelshäusern ein ähnliches Debakel wie die Banque Générale erlitten. «Hier folgt ein aufsehenerregender Konkurs auf den an-

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deren», notierte Amiel im Mai. «Wir haben gleich vier hässliche Affären miteinander vor der Haustür (Vieux, Beaumont etc.). Mit der alten Genfer Zuverlässigkeit und Solidität ist es vorbei; sie wird zur Legende.» Was trieb anständige und fleissige Geschäftsleute, wie er sie noch in seinem Vater verkörpert gefunden hatte, zum Eingehen von Risiken, die ihre ganze Existenz aufs Spiel setzten? Was verlockte das würdige Genf, la Sérénissime République, zur Ausschreibung immer neuer Anleihen, mit denen eine wütende und scheinbar ziellose Bautätigkeit einherging? Offenbar war hier ein Virus mit im Spiel, der keine Landesgrenzen kannte oder achtete. «Das Jagdfieber nach dem schnellen Gewinn grassiert in ganz Europa; alles erliegt den Verlockungen des grossen Glücksspiels. Es gleicht dem Erstürmen einer Festung – man büsst dabei das Leben ein oder man trägt den Sieg davon. Nur riskiert man im Krieg den eigenen Kopf und Kragen, während man an der Börse das Geld der anderen aufs Spiel setzt.»

«Les affaires?», hatte ein Witzbold gefragt, dessen Bonmot die Runde machte: «Très simple: les affaires c’est l’argent des autres.» Geschäfte treiben hiess das Geld anderer Leute riskieren, und ganz offensichtlich schreckten davor auch Leute nicht zurück, die man in Genf bisher als Ehrenmänner betrachtet hatte. Gaben sie ihre eigenen moralischen Überzeugungen preis, weil nicht ihr eigenes Kapital auf dem Spiel stand, fragte sich Amiel nach dem besonders aufsehenerregenden Selbstmord eines hiesigen Bankiers namens Dufour. Der Mann hatte mit unglaublicher Perfidie und Berechnung ein Lügengebäude errichtet und sich nach dessen Einsturz das Leben genommen. «Was unfassbar scheint, ist das riesige Ausmass der Fehler und Betrügereien. (...) Trotzdem, da gibt es ein unlösbares psychologisches Rätsel. Wie kommt es, dass ein Mann, der kein Verschwender war und der als guter Sohn, Ehemann und Bürger mitten im Leben stand, sich so ungeheuerlich verhält – seine Verwandten, seine Freunde und seine Anleger bestiehlt und die ganze Umwelt in einer Art von feiger Wut ruiniert?»

Machte das Banken- und Börsenwesen vielleicht einem Menschentyp die vordersten Reihen frei, den bisher niemand gross beachtet hatte? «Wechsler, Wucherer, Krämer, Pfennigfuchser, Hebräer, Lombarden – diese ganze historische Ahnenlinie der Tänzer vom Goldenen Kalb gehört nicht zu den edlen Geschlechtern der Menschheit. Die Plutolatrie ist ein Kult, der beschmutzt – aber heute hat er von allen die grösste Jüngerschaft.» Seit die Niederländische Kreditbank und der Crédit Lyonnais um 1865 ihre Filialen

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in Genf eröffnet hatten, schien dieser Menschentyp plötzlich auf allen Gehsteigen präsent; seit die Börse ihr Lokal an der Place Bel-Air bezogen hatte, traf Amiel um die Mittagszeit ganze Trauben von Maklern auf dem Trottoir davor: finstere Bestattungsbeamte in ihren Gehröcken und Zylindern. Was hatten diese Männer hier zu suchen? «Welch vulgäres Dasein, dieses Wettrennen nach dem Gold, mit der Gier als Antrieb und der Zahlenklauberei als Motor! ‹Krämertum› nannten die Griechen voller Verachtung alle diese Metiers des Wanstes, die weder den Stolz noch die Kraft fördern, die den freien, überlegenen Menschen ausmachen.»

La Ploutolâtrie est un culte avilissant. Es gab eine Institution, die für Amiel wie nichts anderes diesen Tanz ums Goldene Kalb verkörperte. Die Genfer Börse, die erste des Landes überhaupt, hatte sich um die Jahrhundertmitte etabliert, völlig unauffällig: als regelmässiges Treffen von zwei Dutzend Maklern oder agents de change. Heutige Vorstellungen von brüllenden Männern, die sich, in einem Ring stehend und fuchtelnd, zu übertönen suchen, sind fehl am Platz. Im Lokal an der Rue Centrale, wo man sich zur Mittagszeit traf, «wurden die Geschäfte mit gedämpfter Stimme abgewickelt», wie es in einem Rückblick heisst. Die Herren tauschten Notierungen und Marktberichte aus, hielten den Gold- und Silberstandard und die Wechselkurse der wichtigsten Währungen fest. Dreimal pro Woche wurde ein handgeschriebener Kurszettel lithografiert, gedruckt und am folgenden Morgen versandt. 1852 schlossen sich die diskreten Herren zur Société des agents de change zusammen. Es war ein kompakter, geschlossener Verein, dem für einmal auch der allgewaltige James Fazy nicht beikam. Verschiedene Vorstösse der Radikalen, die Lizenzierung der Agenten unter Kontrolle zu bekommen, scheiterten; ein von der Regierung zur offiziellen Börse erklärtes Lokal wurde vom Verein schlicht boykottiert. Makler und Agenten gestanden schliesslich gnädig die Anwesenheit von Regierungskommissären beim mittäglichen Treff zu. 1857, als die Säle im zweiten Stockwerk der Briefpost an der Place Bel-Air bezogen wurden, war der Verein zum System à la criée übergegangen: in der Mitte des Saales die corbeille, also der Ring mit den lizenzierten Maklern, und erst in gebührendem Abstand davon die Vertreter von Banken und Staat. Immerhin durfte der Regierungskommissär am Ende der Sitzung mit lauter Stimme die Schlusskurse verlesen.

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Eigentlich hätte für Amiel jede Institution, die dem von ihm gehassten Fazy-Regime derart dreist die Stirne bot, Dank und Anerkennung verdient.

Mehrere Einträge im Journal bezeugen denn auch, dass Börse und Börsenwesen im Genf der frühen 1850er-Jahre leidenschaftlich diskutiert wurden.

Man war sich der Vorreiterrolle bewusst, die man im eigenen Land spielte; gleichzeitig näherte man sich mit der eigenen Börse dem geliebt-gehassten Vorbild Paris ein Stück weiter an. Selbst Amiel liess sich ein Exemplar des Manuel de la Bourse kommen, das ein gewisser Lamst schon 1828 verfasst hatte, legte diesen guide pour capitalistes aber angewidert weg. «Banco, Agio, Börse, Kurse – was für ein stumpfsinniges und unterwürfiges Metier!

Das Sinnen und Trachten des Menschen darauf gerichtet, die Krümel vom Geld einzusammeln, die Goldstücke schwitzen zu lassen, vorne dranzubleiben im Spiel von Kauf und Verkauf, Hausse und Baisse, Terminhandel und freiem Handel – puuuh! All dies widert mich gleichermassen an. Es ist nur allzu augenscheinlich, was aus der Moral einer Generation wird, die sich von dieser Leidenschaft beherrschen lässt.»

Offensichtlich fand die Genfer Börse schon nach wenigen Jahren regen Zuspruch. Das zeigt sich an der Zahl der gehandelten Titel. Mit sechs hatte man begonnen, 1852 waren es bereits deren 35, davon 19 Obligationen und 16 Aktien. Genfer Financiers investierten in Bahn- und Kanalgesellschaften ganz Europas, in Minen und Gaswerke, in die lokale Uhrenindustrie. Zehn Jahre später handelte man im Ring an der Place Bel-Air rund 200 Titel. Als einzige Börse des Kontinents bot Genf trotz des Sezessionskriegs amerikanische Aktien und Bonds an – und dies mit grossem Erfolg! Selbst Amiel stieg, wie sich noch zeigen wird, hier und dort mit ein. Ein Gespräch mit seinem Treuhänder Lenoir und Onkel Amiel-Roux hatte ihn dem Börsenwesen gegenüber milder gestimmt. War es möglich, dass sich hier ein ansonsten unterdrückter Wesenszug des Mannes auslebte?

«Hypotheken, öffentliche Anleihen, Chancen ... Habe den Anreiz dieses Kampfs gegen die Wahrscheinlichkeiten begriffen, dieses Fechtens mit dem Schicksal: Es ist die Kriegskunst, vom Schlachtfeld auf die Börse verlagert, mit ihrer Spannung, ihren Niederlagen und allem Unvorhersehbaren. Berechnung, Augenmass, Entschlusskraft und Kühnheit sind die Recken und Walküren dieses Kampfs. Der kühle Kopf, die Kaltblütigkeit, die Energie bescheren dem Mann seinen Triumph, hier wie dort.»

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War es wirklich nur Zufall, dass der erste Aufschwung der Börse genau mit den Jahren zusammenfiel, in denen Genf den Befestigungsgürtel sprengte, neue Strassenzüge und Häuserfronten schuf? Wer den richtigen Riecher hatte, ersteigerte das richtige Grundstück, verkaufte es mit Gewinn, investierte weiter, aber in grösserem Massstab. Le calcul, le coup d’œil, la résolution, l’intrépidité – sie galten hier wie dort, forderten den ganzen Mann. Und hing mit all dem nicht auch zusammen, dass James Fazy in seinem prächtigen Haus am Quai-Montblanc Nummer eins eine Spielbank eingerichtet hatte, den Cercle des Etrangers? Ein Casino als Auftakt zum neuen Stadtteil – sagte das nicht alles? Zwar betonte der Hausherr, es kämen nur erlaubte Spiele mit erlaubten Einsätzen zum Austrag, alles verlaufe innerhalb legaler Grenzen. Aber das Genfer Publikum wusste es anders und besser. In der Nummer eins wurden enorme Summen gewonnen und verspielt; sie war dem einen Paradies und dem anderen Hölle der Verdammnis, antre de perdition.

Und was wurde aus der alten bürgerlichen Tradition, wonach der tugendhafte Mann vorausplante, sich abmühte, sparte und für alles, was er auf die Seite legte, durch das Vorwärtskommen seiner Kinder belohnt wurde – was wurde aus ihr? Wenn jemand mit «Riecher», jemand mit dem richtigen Tipp, jemand mit sicherer Hand praktisch über Nacht ein Vermögen machte? Ohne Disziplin, ohne lange Planung?

Für den Einsturz eines Bankhauses oder eines ganzen Systems hatte das Französische einen deutschen Ausdruck übernommen: le krach. Das mochte damit zusammenhängen, dass Ereignisse in Deutschland und Österreich das bisher dramatischste Finanzjahr Europas bestimmten. Der preussischösterreichische Krieg vom Sommer 1866 brachte den Zusammenbruch der italienischen Titel und eine allgemeine Panik (Amiel, wir erinnern uns, liess sich im Juni Ersparnisse in der Höhe von fünf Jahresgehältern in Gold auszahlen). Aber schon vorher hatte le krach zwei englische Grossunternehmen zum Einsturz gebracht. Der Bürgerkrieg in den USA hatte den Export von Rohbaumwolle nach England praktisch versiegen lassen. Die Leitindustrie des Königsreichs litt stark; während der sogenannten cotton famine verlor fast die Hälfte der Fabrikbelegschaften die Arbeit. Erst meldete die mächtige Bahngesellschaft Watson & Overend die Pleite an, dann ein Londoner Finanzinstitut, das kurioserweise – obwohl nicht verbunden – einen

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verwandten Namen trug. Die Bank Overend Guerney & Co. kollabierte im Mai unter einer Schuldenlast von fünf Millionen Pfund Sterling; der dadurch ausgelöste Londoner Börsencrash vom 11. Mai bekam erstmals den Beinamen «Schwarzer Freitag».

Es gab, so realisierte Amiel, kein Ereignis auf dieser Welt, das nicht irgendwo an einem anderen Ort seine Auswirkungen zeitigte. Selbst diejenigen, die ihr Vermögen zuhause im Sparstrumpf aufbewahrten, waren nicht gefeit: Wer konnte garantieren, dass nicht plötzlich die Entdeckung einer riesigen Silbermine den Wert der alten Taler halbierte? Was ihm die Börse anlässlich des preussisch-österreichischen Konflikts vor Augen führte: Wie hilflos der einzelne Anleger war und welch sonderbare Bruderschaften das gemeinsame Bangen um die Kurse schmiedete. «Panik, Einbruch, Rette-sich-wer-kann an der Pariser Börse!», heisst es am 14. April 1866, als Gerüchte um bevorstehende Truppenaufmärsche die Runde machen. «Die Kurse meiner armen restlichen Papiere sinken, sinken, sinken!

Diese Solidarität der Kurszahlen ist das Gegenstück zum allgemeinen Erkalten der Herzenswärme. In unserer Epoche des Jeder-für-sich-und-Gottfür-alle stellen diese Schwankungen der Kurse das Zucken des kollektiven Herzens dar: eine Art erzwungener Zusammengehörigkeit, die ein wenig an den Patriotismus der Zwangssteuer denken lässt.»

Bei aller Abneigung, die Amiel gegenüber den Wechslern, Wucherern und Krämern des Rings empfand – es liess sich nicht leugnen, dass es sich um pfiffige, schlaue, auf ihre Art intelligente Menschen handelte. Wie hielten sie es bloss aus, Tag für Tag von den dumpfsten und niedrigsten Triebkräften abhängig zu sein, welche die Politik steuerten? «Man wird gezwungen, sich mit den Dummheiten der Preussen oder der Amerikaner zu beschäftigen», heisst es am gleichen Ort, «man setzt sich wohl oder übel auseinander mit dieser fürchterlichen Maschine, deren Räder uns jeden Augenblick zermalmen können. Das Kreditwesen gebiert eine Gesellschaft voller Unruhe; sein schwankendes Fundament und künstlicher Aufbau bedrohen sie fortwährend in ihrer Sicherheit. Die Gesellschaft vergisst immer wieder, dass sie auf einem Vulkan tanzt, aber das leiseste Kriegsgerücht ruft es ihr erbarmungslos wieder in Erinnerung. Kartenhäuser stürzen leicht zusammen.»

Wenn sich Spekulanten wie James Fazy in der Illusion wiegten, sie könnten die schwankenden Verhältnisse für sich fruchtbar machen, so war

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das ihre Sache, aber: «Diese stete Sorge ist unerträglich für arme Rentner wie mich, die nie nach Reichtum strebten, aber wenigstens in Frieden ihrer bescheidenen Arbeit nachgehen möchten. Aber nein; die Welt erhebt ihre Stimme wie ein echter Tyrann: Frieden, Frieden, es gibt keinen Frieden, ich will, dass ihr mit mir leidet, mit mir lacht und tanzt! Und zu denken, dass die allgemeine Sicherheit und Ruhe in den Händen von fünf, sechs gekrönten oder auch nur mit Tressen geschmückten Wegelagerern liegt ...»

Davon abgesehen, welche Beredsamkeit das Tagebuch selbst in solch hingeworfenen Passagen entwickelt – es ist offensichtlich, dass auch Amiel bei aller Abneigung hie und da an der Börse spekuliert. Seine «armen Papiere sinken und sinken» während der Pariser Panik, und als zehn Jahre später ein Krieg zwischen Russland und der Türkei ausbricht, überlegt er eingehend, auf welchen Sieger er setzen, wo er seine Einsätze platzieren soll: «Oh ja, in Kriegszeiten muss das Kapital genutzt werden, trotz meiner gründlichen Abscheu. Aber dieses Kapital ist meine Zukunft, meine Freiheit, meine Musse. Es lohnt die Mühe, es zu verteidigen!» Es folgt die Anmerkung, diese Sätze seien mit einer Adlerfeder geschrieben, so als wolle ihnen der Autor zusätzlichen Nachdruck verleihen.

Sollen wir uns vorstellen, dass sich Amiel auf dem Nachhauseweg von der Académie unter die schwarzberockten Gestalten an der Place Bel-Air mischt, vielleicht sogar hospitiert an der session, die jetzt täglich von elf bis zwölf Uhr über die Bühne geht? Eine Zutrittsgenehmigung für den äusseren Zirkel wäre leicht zu erhalten, dafür hat er seinen Bankier Goetz, hat er Lenoir, den Fürsprech. Wie bereits gesehen steckt fast die Hälfte seines Vermögens in öffentlichen Anleihen. Aber einen Bruchteil dieser Vermögenswerte hält er frei für spontane Investitionen, Wagnisse vom Typus inand-out. «Wohlverstanden nehme ich diese Einsätze nicht selbst vor, sondern ein Freund, der in der Branche arbeitet.»

Un ami qui est du métier. Aber wozu rät ihm dieser Freund, wovon lässt sich Amiel selbst verlocken? Ein Eintrag vom Juli 1865 verrät, dass er sich für Aktien der Bahngesellschaft Ligne d’Italie entschieden hat – ein Fehlentscheid, das Unternehmen geht noch im selben Jahr in Konkurs. Besonders verlockend ist offenbar das Angebot der Kohlenmine Chapelle-sous Dhun, einer Aktiengesellschaft im burgundischen Charolles. Ende der 1860er-Jahre steigt er hier mit 10’000 Francs ein, bei einer Rendite von fünf

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Prozent, die angeblich in den nächsten Jahren massgeblich wachsen wird.

Aber schon bald beginnt der Motor zu stottern; im Frühling 1870 erfährt Amiel an einer Aktionärsversammlung in Genf: «Der Direktor hat sich abgesetzt und uns einen Fehlbetrag von mindestens 260’000 Francs hinterlassen. Alle Erklärungen durch den Vorsitzenden des Verwaltungsrats haben mich innerlich empört. Es scheint mir, hier wie überall sei der Aktionär der Trottel, der erbarmungslos gefilzt und bestohlen wird (friponné et ladronné). Schlimmer noch, der Aktionär kann über seine Einlage hinaus behaftet werden und muss für die Betrügereien eines Direktors geradestehen, den er niemals sieht oder kennenlernt. Noch schlimmer ist, dass der Inhaber einer einzigen Aktie für die gleiche Summe belangt werden kann wie jener, der 100 oder 1000 Aktien gezeichnet hat. Und dieser Halsabschneiderei vertrauen sich die armen kleinen Rentner und ehrlichen Leute gutgläubig an!»

Im Sommer 1872 ruft man die Aktionäre erneut zusammen. «Heute Nachmittag gleich zwei aufeinanderfolgende Aktionärssitzungen wegen der abscheulichen Affäre bei den Mines de Chapelle-sous-Dhun. Ein Uhr nachmittags bis fünf Uhr abends! Es sieht nach einem Fass ohne Boden aus.» Offenbar sollen die Aktionäre einer Kapitalerhöhung zustimmen, was nicht klappt. Zwei Wochen darauf meldet das Tagebuch knapp: «Konkurs der Mines de Chapelle.» Wie hoch sich Amiels Verluste belaufen, stellt sich bei einem späteren Eintrag heraus: «Liquidation der Mine von Chapelle, das bedeutet zehntausend Franken Lehrgeld für mich. Was für Halsabschneider, diese Aktiengesellschaften auf französischem Boden! Diese Mine, die in den vergangenen Jahren 50’000 Francs pro Jahr abwarf, ist nach all den Prozessen, falschen Ausschüttungen und vor lauter Versäumnissen eingeschrumpft und zahlte schliesslich ihren Aktionären noch einen Sou auf zehn Franken, raubte ihnen also 199/200 von ihrem Guthaben.

Sehr verbunden!»

Bien obligé, tatsächlich! Leider kam es nicht besser heraus, wenn Amiel sich im privaten Umkreis als Financier betätigte, beispielsweise als Darlehensgeber für die Buchhandlung Kessmann. Ein paar Freunde und er hatten dem Geschäftsinhaber mit einem grösseren Betrag ausgeholfen, mit der Liegenschaft samt Laden und Lager als Sicherheit. Bald stellte sich heraus, dass Kessmann bereits mit anderen Schuldenzahlungen im Rückstand lag. Aufs Geld pochen und ihn zum Verkauf zwingen? Amiel und die

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Freunde fanden eine Alternative: Sie wurden zähneknirschend Partner und Teilhaber an der Buchhandlung Kessmann; fortan (ab 1860) traf man sich sogar gelegentlich in Amiels Mansardenräumen zu geselligen Betriebssitzungen.

Oder da war das Ehepaar Pitschner – ein Naturkundler und seine liebenswürdige Frau, die gerade in Schwierigkeiten steckten. Amiel lieh den beiden ein paar Mal kleinere Beträge aus; gleich zwei Mal traf aber am vereinbarten Rückzahlungstermin die Bitte um eine Aufstockung des Darlehens ein. War dieser Pitschner von allen guten Geistern verlassen? «Ich frage mich, was er mit dem Anteil gesunden Menschenverstands angestellt hat, auf den doch jedermann ein Anrecht hat.» Als Amiel etwas energischer mahnte, kam es zu groben Worten. Welch merkwürdige Umkehrung, notierte das Tagebuch. «Der Geldgeber wird zum Feind, und aus der Wohltat wird ein Grund zum Streit. (...) Ich habe alle Mittel versucht, diese zerstreuten, vergesslichen und leichtsinnigen Leute, die selbst mit den Zinsen ein Dreivierteljahr im Verzug sind, rechtzeitig zu warnen – und meine Höflichkeit zieht mir nur Beschimpfungen zu.» Als die Pitschners nach Frankreich abreisten, stellte sich heraus, dass Amiel mitnichten der einzige Gläubiger war: Zwei weitere Kollegen waren angegangen worden. Bei einem Besuch in der verlassenen Wohnung fand man ein Fernrohr vor, das der Naturkundler als «Sicherheit» zurückgelassen hatte. Machte sich dieser Mann über ihre mangelnde Weitsicht lustig? «Ein Teleskop, mit dem wir nichts anzufangen wissen.» Über so viel Negativbeispielen sollte nicht vergessen gehen, dass sich der Bankenplatz Genf zu Ende der 1860er-Jahre fest etabliert hatte. Die Stadt zählte drei grössere Banken mit dem Recht zur Notenemission, eine Hypothekar- und eine Sparkasse sowie eine Genossenschaftsbank. Hinzu kam die robuste Phalanx der Privatbanken, die Association financière. Genf war bereit, seine Rolle als eines der Finanzzentren Europas zu übernehmen.

Keinen Augenblick zu spät, denn der Krieg zwischen Preussen und Frankreich gab Genfs Bankiers alle Hände voll zu tun. So wie Ende 1870 die auf neutrales Terrain geflüchteten Lokomotiven der Compagnie ParisLyon-Méditerranée jeden nicht benötigten Meter Rangiergleis besetzten, retteten französische Financiers und Unternehmer ihre Kapitalien in die sichere Grenzstadt. Das Handelsvolumen mit öffentlichen Anleihen und

Banken und Börsen

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Aktien wuchs auf das Dreifache. Zu Ende des Jahrzehnts führte die Börse rund 300 Titel. In Genf sprach man vom Goldenen Zeitalter der Banken – ohne Rücksicht darauf, dass an seinem Anfang ein blutiger Krieg gestanden hatte.

Gleichsam als Strafe für diese Frivolität machte Genf, zusammen mit der gesamten Finanzwelt Europas, im Januar 1882 eine Bank- und Börsenkrise von nie erlebtem Ausmass durch. Anlass gab der Konkurs der wenige Jahre zuvor in Lyon gegründeten Union Générale UG, geleitet vom cleveren und ideenreichen Bankier Eugène Bontoux. Beteiligungen an Minen- und Kanalbaugesellschaften im Mittleren Osten liessen märchenhafte Gewinne erwarten; die UG-Aktie stieg in schwindelerregende Höhen, offenbar auch beflügelt durch versteckte Spekulationskäufe von Seiten Bontoux’. Die Blase platzte im Januar 1882, einmal mehr unter kräftiger Mithilfe des Hauses Rothschild, das für diese Aktion mit der Eisenbahnbank von Jules Mirès zusammengespannt hatte. Die UG-Aktie sank in wenigen Stunden ins Bodenlose; an allen Börsen Europas registrierte man Millionenverluste; an der Genfer Börse wurden in rascher Folge 35 Sondersitzungen einberufen.

Le krach de 1882 führte erstmals ganz Europa die verheerende Macht einer unkontrollierbaren Spekulationsblase vor Augen. Als erste Generalkrise, die weder politische noch allgemein wirtschaftliche Ursachen hatte, liess sie das Vertrauen in die Institution «Börse» rapide schwinden. Oder, wie es der Chronist der Genfer Börse formuliert: «Diese Krise (...) setzte der glanzvollsten Periode unserer Geschichte ein Ende.» Wenn eine Börse denn je eine Unschuld zu verlieren hatte – hier war es geschehen!

Gartenidyll mit wohlhabender Familie. Seit der Jahrhundertmitte bestimmt eine rasch wachsende bürgerliche Schicht von Fabrikanten, Unternehmern und Kaufleuten die Politik und Wirtschaft der Schweiz. Trotz aller Vorbehalte gehört ihr auch Amiel an – als Mitglied einer bourgeoisie des talents (Wissenschafter, Ärzte, Pfarrer).

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Le conservatisme pur est la religion de la propriété et de l’argent; c’est la philosophie de l’intérêt poltron et la théorie de l’égoisme, né dans un siècle décrépit et dans des âmes de vieillard.

Der Konservativismus ist die Religion des Eigentums und des Geldes; er ist die Philosophie des feigen Eigennutzes und die Theorie des Egoismus, geboren in einem altersschwachen Jahrhundert und in den Seelen von Greisen.

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Am 10. und 11. September 1867 sitzt ein aufmerksamer, wenn auch

skeptisch dreinblickender Mittvierziger im Hauptsaal des Palais électoral an der Place Neuve. So wie viele andere Genfer will sich Henri-Frédéric Amiel ein Bild machen von den Veranstaltern dieses ersten Weltkongresses für den Frieden. Natürlich kennen alle Giuseppe Garibaldi, einen der Hauptredner, und viele haben hierhergefunden, um den berühmten italienischen Volkshelden einmal aus der Nähe zu sehen und zu hören. Aber auch Mikail Bakunin wird sprechen, der berüchtigte Anarchist, und eine Zeitlang war die Rede davon, Karl Marx würde aus London hierherfinden. Denn gerade so wichtig wie das Friedenstreffen ist der im Vorfeld angesetzte Zweite Kongress der Internationalen Arbeiter-Association IAA. Diesen weltweiten Kampfbund des Proletariats haben Friedrich Engels und Marx vor drei Jahren begründet. Und schon beim allerersten IAA-Treffen im Vorjahr hat Genf als Gastgeber geamtet.

Als Gastgeber wider Willen? Folgt man Amiels Urteil, so ist Genf eher unfreiwillig zum Treffpunkt der jungen internationalen Arbeiterschaft geworden. Natürlich haben dabei die Genfer Radikalen die Finger im Spiel, oder wenigstens deren ausgefranster linker Rand. Aber dieser sogenannte Friedenskongress, so scheint ihm, fördert eher den Kampf als den Frieden: «Ich war davon überaus enttäuscht. Das ist ein Kongress für den Krieg, für die rote Republik und für den Sozialismus. Nur unsere Schweizer Vertreter haben sich gemässigt und zurückhaltend gezeigt. Selbst die Anführer unserer Radikalen sind weise Häupter, jedenfalls verglichen mit den Hitzköpfen aus Frankreich.» Natürlich gab es hier und dort Ausnahmen, auch unter den deutschen und italienischen Vertretern; besonders zugesagt haben Amiel die Ausführungen eines Maître Lemonnier. Aber sonst ... «In der Bevölkerung machten sich langsam Unruhe und Entrüstung breit. Die letzte Sitzung von heute Morgen war äusserst lärmig und endete in der grössten Verwirrung. Der allgemeine Eindruck ist der, dass man aus uns ein Pulverfass machen wollte und dass das eigentliche Ziel des Kongresses vollkommen verfehlt wurde.»

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Pulverfass? Ziel verfehlt? Aus heutiger Sicht erscheinen die Beschlüsse dieser frühen Genfer Treffen der Arbeiterschaft im Gegenteil geradezu visionär. Die Kongresse von 1866 und 1867 brachten die Forderung nach einer beschränkten Arbeitszeit für die in der Industrie Beschäftigten, zudem wurden striktere Bestimmungen zum Schutz der Belegschaft gefordert.

Beides sollte schliesslich Eingang finden in das Eidgenössische Fabrikgesetz von 1877. Zwar hatte die IAA den Achtstundentag gefordert, während die Schweiz die wöchentliche Höchstarbeitszeit bei 65 Stunden begrenzte.

Aber mit 14 Jahren wurde ein Mindesteinstellungsalter für Jugendliche festgelegt, so wie dies die IAA gefordert hatte. Und was die angebliche Kriegshetze betraf: Der Friedenskongress regte erstmals die Schöpfung einer übernationalen Instanz an, eines Gerichtshofs der Völker, dem sämtliche Staaten beitreten müssten und der zwischen ihnen auftauchende Zwistigkeiten auf gewaltlose Weise regeln würde.

Eine Illusion? In Genf und nirgendwo anders sollte schon fünf Jahre später ein solcher Gerichtshof zusammentreten. 1872 – wir erinnern uns – half eine Schlichtungskonferenz mit Genf als Gastgeber den Streitfall rund um das Kriegsschiff Alabama beizulegen; eine blutige Eskalation zwischen England und den USA wurde verhindert.

Was das «Pulverfass» angeht, so kommt es in diesen Jahren zu mehreren Streiks unter den Genfer Arbeitnehmern. So legen im Januar 1868 die der IAA angeschlossenen Bauarbeiter die Arbeit nieder; sie verlangen eine Lohnerhöhung von 20 Prozent und den Achtstundentag. Die Unternehmer verweigern jeglichen Dialog, auch als sich im März die Schlosser und Mechaniker anschliessen. Im Gegenteil: Die Baustellen werden stillgelegt, die Streikenden ausgesperrt. Erst im April kommt es zu einer Einigung, mit minimen Zugeständnissen der Arbeitgeber. Noch verfügt die Arbeiterschaft nicht über landesweite Gewerkschaften, und bis zur Gründung der SP Schweiz oder des Gewerkschaftsbundes werden noch gut zwanzig Jahre verstreichen. Wenn Amiel also von «Pulverfass» und congrès de la guerre schreibt, kann nichts anderes gemeint sein als der Klassenkampf, die Ausrufung der «roten Republik». Wie steht es damit? Wie steht Amiel ganz allgemein zu den Forderungen der Arbeiterschaft nach sozialem Ausgleich, nach einer Umverteilung der Güter?

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Wie nicht anders zu erwarten, unterscheiden sich seine Kriterien von allen gängigen Kategorien. An Stelle zweier sozialer Klassen sieht Amiel zwei classes d’esprit, den Ausbeuter und den Hersteller. Anders als beim Gegensatz Kapitalist – Proletarier ist das unterscheidende Merkmal nicht der Besitz, sondern die Geisteshaltung: Es gibt den Ausbeutertyp auch unter den Fabrikarbeitern, und der Ausgebeutete ist womöglich Erfinder oder wohlwollender Patron. Originalton Amiel: «Es ist für mich immer wieder ein erstaunlicher Anblick, wenn die zwei Geistesklassen aufeinanderprallen: hier die Ausbeuter der Menschen, dort die Arbeiter und Hervorbringer. Letztere schaffen die Materie und die Energie, jene schnappen sich die Kastanien und leiten den Profit in ihre Kassen und die ihrer Freunde.

Sie sitzen immer am Steuer und an den Hebeln der Maschine, kurz auf der gewinnbringenden Seite; den andern bleiben die Mühe, der Schweiss, die Arbeit ...»

Natürlich muss auch Amiel eingestehen, dass sich die Ausgebeuteten in den allermeisten Fällen unter den Arbeitnehmenden finden, und hier wiederum unter den Unqualifizierten und Hilfskräften. Es ist die Klasse Menschen, die er ungeniert als blousiers bezeichnet, als erübrige sich jede weitere Unterscheidung. Wer die blaue Baumwolljacke des Fuhrknechts oder des Fabriklers trägt, gehört einer Parallelwelt an, über die Amiel nichts weiss und offensichtlich auch nichts wissen will. Auf den Abertausend Seiten täglicher Reflexionen findet sich nicht der geringste Hinweis auf Lebensbedingungen oder Mentalität der Unterschicht!

Die verdienstvolle Edition des Journal intime beschliesst jeden Band mit einer ausführlichen Übersicht der am häufigsten genannten Personen: ein wertvoller Schlüssel zum sozialen Umfeld des Autors. Unter den männlichen Kontaktpersonen finden sich auffallend häufig Theologen und Philologen, in zweiter Linie Wissenschafter aus anderen Sparten, aber kaum Unternehmer und – für Genf völlig aussergewöhnlich! – keine Juristen, weiter natürlich Maler und Musiker, ein Konservatoriumsleiter, ein Bildhauer. Zu dieser bourgeoisie des talents gesellt sich die weitläufige Verwandtschaft Amiels. Sie verkörpert den oberen Mittelstand der Stadt: Kaufleute, zwei Pensionatsinhaberinnen, Lehrerinnen. Am weitesten weicht von dieser bürgerlichen Achse die langjährige Gefährtin Marie Favre ab. Sie ist eine geschiedene und verwitwete Frau, unehelich geboren, und arbeitet zum

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mindesten teilzeitig in einer Firma. Zwar liefert das Journal dazu keine genaueren Angaben, aber es muss sich um einen Betrieb der Baubranche handeln; Favre kann jedenfalls beim Wiederaufbau des niedergebrannten Elternhauses mit präzisen und wertvollen Angaben zu Materialien und Preisen aushelfen. Sie wird diese Fähigkeiten auch zu ihrem eigenen Nutzen einsetzen, und dies auf erstaunliche Weise. 1887, bei ihrem Tod, wird die völlig mittellos geborene Tochter einer Plätterin ihrem Sohn zwei Wohnhäuser im Zentrum der Stadt hinterlassen; der Gesamtwert der Liegenschaften an der Rue Grenus und an der Rue de Rive wird auf 80’000 Francs geschätzt!

Wenn sich Amiel weitgehend in solid-bürgerlichen Kreisen mit landeskirchlich-akademischem Einschlag bewegte, bedeutet das keineswegs, er habe Werte und Mentalität seiner Umgebung grundlegend geteilt oder wenigstens im Prinzip akzeptiert. Natürlich fand auch Schwager Franki Guillermet, der Pfarrer, dies und das an seiner bourgeoisen Umgebung auszusetzen; besonders erscheint Amiels zweiter Schwager, der Arzt JeanBaptiste Stroehlin und Ehemann von Laure, als ewig maulender Gatte und Familienvater. Aber Franki wie der Doktor sehen sich selbst als Stützen der Gesellschaft, die gerade durch ihre tragende und verankernde Funktion das Recht auf Kritik ernten. Aber Amiel? Nach einem Familientreffen, von dem sich die anderen höchst zufrieden auf den Heimweg machen, ist ihm manchmal speiübel – vor Langeweile, vor dem dutzendmal Wiedergekäuten der Banalitäten: «Das bürgerliche Philistertum ist sicher sehr achtenswert, aber leider auch so langweilig wie alle seine Gemeinplätze (...) Es ist entmutigend wie eine unheilbare Krankheit. Was macht das Bürgertum den Künstlern so unerträglich? Seine chronische Plattheit, seine strahlende Mittelmässigkeit. Der Bauer und der Handwerker haben oft viel mehr Pfiff (ragoût), weil sie mehr Originalität und Unvorhersehbares zeigen.»

Oft kommt er sich vor wie Gulliver im Land der Lilliputaner, die Glieder niedergehalten von spinnwebendünnen Fesseln, Augen und Ohren verbunden. «In unserem gewöhnlichen bürgerlichen Leben halten tausend Lilliputanerfesseln die Seele nieder. Man ernährt sich durch seine kümmerlichen Wurzeln, und gezwungenermassen beschäftigt man sich mit zahllosen Kleinigkeiten. Was ich unserem Alltagsleben vorwerfe, ist die Trivialität, die Banalität, diese Unterwerfung unter die Zeit, das Detail, die Kleinigkeit, die Berechnung ...»

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Und wenn er dieser Beschränkung auf das Fassbare und auf das Nächstliegende auf den Grund geht, so stösst er immer wieder auf eins: das Geld.

So sehr, scheint Amiel, sind dem Bourgeois Besitz und Eigentum zum lustvollen Selbstzweck geworden, dass er auch im Geistigen jede Art von Einsatz als unnötiges Risiko scheut und sich mit dem sicheren Wert der redite connue begnügt, dem Gemeinplatz. Ohne sich dessen bewusst zu sein, ist der Bürger innerhalb der Zweckreihe «Erwerben, Besitzen und Verwenden des Geldes» auf der Mittelstufe steckengeblieben. In Amiels Worten: «In der Sorge darum, sich durch Besitz die Unabhängigkeit zu erwerben und zu bewahren, vergisst man nur allzu leicht, dass das Vermögen nur ein Mittel zum Zweck ist und das eigentlich Wichtige die Seele mit ihren Freuden und Schicksalen. Durch Sparsamkeit hochgekommen, versteinert die Bourgeoisie durch den Geiz, wenn sie sich nicht vorsieht. Die bürgerliche Gesellschaft, die sich auf das Geld gründet, geht durch das Geld unter, wenn das Symbol an die Stelle der Sache tritt.»

Amiel hat diese Sätze als Dreissigjähriger niedergeschrieben, kurze Zeit nach seiner Rückkehr aus Berlin. Immer noch schwankend zwischen den Welten und erschreckt darüber, wie gleichgültig seine Heimatstadt der ungeheuren Chance des Neuaufbruchs von 1848 gegenübersteht, kommt er zu Erkenntnissen, die in ihrer Hellsichtigkeit erstmals den Diamantschliff der späteren Epigramme und Aphorismen zeigen. «Der Reichtum zeugt fatalerweise genau die Mängel, die seinen Vorzügen entsprechen.

Der alte und aristokratische Reichtum hat die seinen: Müssiggang, Stolz und oft Unfähigkeit. Jene des bürgerlichen Reichtums, die der Ordnung und dem nüchternen Rechnen entspringen, sind nur allzuoft die schäbige Knausrigkeit oder zum mindesten die Vulgarität. Von daher stammt auch der Unterton von Verachtung, der dem Ausdruck ‹bürgerlich› als Kennzeichnung oft anhaftet.»

Die bürgerliche Fixierung auf Prestige und Besitz ist das eine, das trotzige Aussenseitertum des Künstlers in seiner Mansarde das andere. Amiels Dachkammerdasein an der Nummer 99 wies zwar einen gewissen Anstrich von Boheme auf. Dieser vertrug allerdings keine genaue Prüfung und verflog vollends beim gemeinsamen Diner mit Pfarrer Guillermet und der ewig aufgeregten, unaufhörlich redenden Pfarrersfrau. Täglich konfrontiert mit einer Klasse, die keinen Nutzen aus ihren Vorteilen zog, die ihren

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Besitz (Bildung, Vermögen) in seiner unausgegebenen Form wertschätzte, statt ihn zu geniessen – was hielt ihn selbst zurück, die Fesseln der Lilliputaner zu sprengen? Sich für eine der anmutigen, gescheiten Töchter der Umgebung zu entscheiden? Beispielsweise für Sara Cherbuliez mit den meergrünen Augen? Einen Hausstand zu gründen ohne Rücksicht auf «standesgemässe» Formen, auf ein jährliches Polster von 7000 Francs?

Oder sich mit Marie Favre zusammenzutun, der Frau, die ihn in die körperliche Liebe eingeweiht hatte? Mit ihr nach Italien zu ziehen, wenn es denn sein musste, wenn man Genfs Lästerzungen und ihrem Gerede über den Herrn Professor und die Tochter einer Näherin entfliehen wollte?

Anderseits: Wer auf Kennzeichen wie «standesgemäss» verzichtete, verzichtete womöglich auf die Sache selbst, auf die Unterscheidung der Bevölkerung nach Ständen. Und wo führte das hin? Abschreckendes Beispiel für Amiel waren die Vereinigten Staaten. Jetzt, nach Beilegung des verheerenden Bürgerkriegs, schickte man sich dort daran, die durchgreifende Gleichberechtigung aller Bürger zu verwirklichen. Ja, es gab selbst Stimmen, welche die Gleichstellung der Frauen und der schwarzen Bevölkerung forderten. «Sie haben bereits jegliche Ungleichheit des Alters und des Verdienstes beseitigt», fasst Amiel mit einiger Übertreibung zusammen, «jeglichen Unterschied zwischen Beschützern und Beschützten, zwischen Eltern und Kindern. Nichts ist ihnen unmöglich.»

Aber wer die althergebrachten Unterschiede aufhob, die jede zivilisierte Gesellschaft kennzeichneten, ging ein grosses Risiko ein. «Wenn es einmal nur noch gleichberechtigte Einzelwesen geben wird, ohne Unterschied zwischen jung und alt, zwischen Mann und Frau, Empfängern und Wohltätern, wird der gesellschaftliche Unterschied allein vom Geld ausgehen.

Die gesamte Hierarchie wird auf dem Dollar beruhen, und die Frucht der ungezügelten Gleichmacherei wird sich als die brutalste, hässlichste, unmenschlichste Ungleichheit zeigen. Nettes Resultat! Die Plutolatrie, der Kult des Reichtums und des Goldes, werden es übernehmen, ein nicht durchdachtes Prinzip und seine Anhänger zu züchtigen.»

In seiner Lieblingspension Rosen in Ollon hatte Amiel mit einer Amerikanerin über Gleichberechtigung und sozialen Ausgleich diskutiert und sich in seiner Meinung hundertmal bestärkt gefühlt. Eine Demokratie der Parvenus mit dem naiven Glauben, der Weg zum Reichtum stünde jedem

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offen – wohin führte das? Zur Aristokratie des Geldes, und die war noch schlimmer als jene der Geburt. Noch nie hatte es in der Geschichte ein Volk oder eine Gesellschaft gegeben, in der jeder Mensch gleich eingestuft wurde. «Der angeborene Instinkt richtet sich gegen die Gleichmacherei, denn jedermann wendet dieses Prinzip bloss auf jene an, die ihn übertreffen und beherrschen.» Aber wer teilte schon seine Privilegien mit jenen, die unter ihm standen? Nein, «die ideale Republik kann nicht auf der Gleichberechtigung beruhen, die den Gesetzen der Gesellschaft widerspricht.

Aber die sozialen Unterschiede können durch christliche Nächstenliebe und philosophische Humanität ausgeglichen werden.»

Verkörpert und tatkräftig gelebt fand Amiel dieses Credo in einer Organisation, die seit der Jahrhundertmitte auch in der westlichen Schweiz eine wachsende Zahl von Anhängern fand. Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft SGG oder Société suisse d’utilité publique bestand seit der Zeit der Napoleonischen Feldzüge und sah sich als eine Art Thinktank des sozialen Ausgleichs und der privaten Fürsorge. Jährlich trafen sich ihre Mitglieder – Pfarrherren, Lehrer, Ärzte – in einem Kantonshauptort, um Fragen der öffentlichen Wohlfahrt zu diskutieren und ihre Erkenntnisse in Broschüren mit hoher Auflagezahl zu verbreiten: Wie bewahrte man entlassene Sträflinge vor der Rückfälligkeit, wie weit halfen Ersparniskassen dem Arbeiter bei der Bildung eines eigenen Kapitals? Wie sollte er sich ernähren, und wie brachte man seiner Frau das Kochen bei? Die SGG half mit bei der Gründung von Heimen für gefährdete Jugendliche und bei der Ausbildung der dort tätigen Betreuer; sie kämpfte mit Vorträgen und Schriften wie «Wider die Branntweinpest» gegen die Trunksucht der männlichen Bevölkerung. Im jungen Bundesstaat, der seine öffentliche Sozialhilfe erst auszubauen begann, setzte sich die SGG für die «Hebung der unteren Volksschichten» ein – und dies jenseits allen Parteiendenkens, auch wenn man sich selbst als ideelles «Bollwerk gegen den alles überwuchernden Staats-Socialismus» sah. In einer ihrer spektakulärsten Aktionen (1859) rettete die Gesellschaft die Rütliwiese vor der Überbauung durch einen Hotelunternehmer. Der landesweite Aufruf brachte nicht nur eine Spendenflut, deren Überschüsse den Hilfsfonds beträchtlich aufstockten, sondern befestigte auch den Mythos dieser einsamen Uferwiese als «Wiege der Heimat», als Ort, an dem Vertreter der drei «Urkantone» einen «Ewigen Bund» beschworen hatten ...

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Dies alles trug massgeblich zur Popularität der SGG in der Westschweiz bei, wo der in Zürich gegründete Bund lange als Verein wohlwollender Landpfarrer gegolten hatte. Zu den interessierten Intellektuellen der Romandie gehörte auch Amiel, der sich «aus Höflichkeit» als Mitglied gemeldet hatte – wohl um seinem älteren Kollegen Georges-André Cherbuliez einen Gefallen zu tun. Seine Höflichkeitsgeste stellt sich als Glücksfall für diese Untersuchung heraus, denn Amiel nahm im September 1860 an einem besonderen Jahrestreffen der SGG teil: Sie beging ihr 50-jähriges Bestehen mit einem Kongress in der Kantonshauptstadt Glarus. Hauptthema war der Einfluss der Fabrikarbeit auf die Gesundheit der Belegschaften; nach einer Arbeitstagung mit Vortrag und Diskussion sollte ein Festessen dem Rückblick auf das bisher Erreichte gelten.

«Durch zehn Dörfer gefahren», heisst es in Amiels Tagebucheintrag zum 19. September; «nur in einem einzigen fand sich keine Fabrik. Die ganze Bevölkerung stand Spalier. Die Hässlichkeit in allen Spielarten festgestellt: Hässlichkeit des Körpers, des Alters, des Gesichts, der Kleidung. Allgemeiner Eindruck: Diese Bevölkerung führt ein schweres Leben und kämpft mutig, aber ohne Verschnaufpause gegen das Elend. Die Fabriken sind Brutstätten der Bedürftigkeit und der Rachitis. Dabei gibt es keine andere Wahl. Es fehlt an Platz für die Landwirtschaft, es gibt kein Land zum Bestellen.»

Die erwähnte Fahrt bildete den Auftakt zum Festakt. Rund 150 Teilnehmer, verteilt auf vierzig Droschken und Kutschen, rollten über die Landstrasse vom Kantonshauptort Glarus nach Stachelberg-Bad bei Linthal.

Der Morgen hatte einen Rundgang durch die Kattunfabrik Brunner gebracht; Amiel machte sich Notizen über die einzelnen Abteilungen: Färberei, Stempelschnitzerei, Druckerei, Wäscherei und Trockenturm, Kalandersaal, Schneiderei, Versand. Es folgte die Fahrt durch das obere Tal der Linth, anschliessend das Festmahl im uralten Badhotel, «gewürzt mit allen nur wünschbaren Trinksprüchen: poetischen, patriotischen, humoristischen, brüderlichen ...» Die Verbrüderung galt vor allem dem Tisch, an dem Amiel selbst sass: der welschen Delegation, die mit guten alten Genfer Namen wie Pictet de Sergy, Lecointe-Soret oder Cherbuliez vertreten war. Entsprechend wurde Genf zum nächsten Tagungsort bestimmt, mit Joël Cherbuliez als Vorsitzendem. Amiel selbst hospitierte hier und dort an

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einem Nachbartisch, traf mehrere Bekannte aus seiner Zeit im Vorstand der Studentenverbindung Zofingia. Nach dem Eindunkeln traten die vierzig Kutschen die Rückfahrt an. Ein fantastischer Anblick, und dies aus beiden Blickwinkeln: hier die Kutschenkarawane auf der einsamen Landstrasse, dort die langgestreckten, vielfenstrigen Kattunfabriken, wo bis spät in die Nacht gearbeitet wurde. «Sämtliche Fabriken leuchteten durch das enge Tal ... der einzige lebendige Ort in jeder Ortschaft.»

Natürlich sind moderne Vorstellungen von tätiger Fürsorge fehl am Platz: der Sozialarbeiter, der im Jugendcamp die Hacke schwingt, die umsichtige Haushalthilfe, die der geplagten Bergbäuerin beim Schoppengeben und Töpfeleeren beispringt. Trotzdem erstaunt heute die Vorstellung von 150 Herren im Gehrock, die vom Kutschenpolster aus ein elendes Fabriklerdorf inspizieren. Um 1860, so scheint es, wurde aufgeklärte Menschenliebe aus einer bestimmten Distanz geübt. Die Schweizerischen Gemeinnützigen verstanden sich als «reflectierendes Forum»; man blieb unter sich und streute das Ergebnis der Debatten in Form von Broschüren und Rundschreiben bei den zuständigen Ämtern und Behörden. Amiel selbst macht in seiner Haltung keine Ausnahme: Die hässlich gekleideten Glarner Fabrikler mit ihren unförmigen Körpern und verwüsteten Gesichtern gehörten einer fremden Zweitwelt an, so wie die blousiers zuhause, deren Dialekt er nur mit Mühe verstand.

Es lohnt sich, die weitere Geschichte der Gesellschaft kurz zu verfolgen, auch wenn die Eindrücke von der Glarner Jubiläumsfeier leider Amiels einziger ausführlicher Bericht bleiben. Für die folgenden Jahrzehnte entsteht der Eindruck, die SGG sei von ihrer Haltung als Wohlfahrtsakademie abgerückt und habe eine pragmatischere Linie eingeschlagen, dies vor allem mit der Gründung und dem Betrieb von Jugendheimen. Wo es um Probleme der Industriearbeiter geht, fällt häufig der Name von Fridolin Schuler. Bei der Jubiläumstagung von 1860 war der damals 27-jährige Arzt noch im Hintergrund geblieben. In der Folge setzte er sich aber als Glarner Fabrikinspektor unentwegt für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats ein – verhasst bei den Fabrikanten und misstrauisch beäugt von den Fabriklern selbst, die von seinen sanitarischen und hygienischen Forderungen oft eine Schmälerung ihres ohnehin kargen Lohns befürchteten.

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1882, also 22 Jahre nach Amiels Reise ins Glarnerland, hielt Schuler beim SGG-Treffen in Zürich das Hauptreferat; es ging um die Ernährungsgewohnheiten der Arbeiterschaft. Die Fakten, die der Arzt hier auftischte, waren erschreckend. So schmal war das Budget einer mehrköpfigen Fabriklerfamilie, dass für das Essen pro Kopf und Tag gerade einmal 35–40 Rappen zur Verfügung standen. Das reichte knapp für ein Kilo Brot oder zwei Liter Milch – kein Wunder, dass sich der Durchschnittsarbeiter mit dünnem Kaffee und den täglich aufgetischten Kartoffeln begnügte und den Hunger oft mit Hochprozentigem betäubte: 50 Rappen bloss kostete die überall erhältliche Flasche Kartoffelschnaps! Zu einer einigermassen ausgewogenen Diät, so Schulers Vortrag, fehlte vor allem das tägliche Eiweiss, das «ordentliche Stück Fleisch». Für den Arbeiter blieb es schlicht unerschwinglich.

Die Folgen dieser Mangeldiät zeigten sich beispielsweise an den jährlichen Rekrutenaushebungen. Mehr als ein Drittel der jungen männlichen Proletarier musste regelmässig zurückgestellt werden – wegen Gebrechen, Kleinwuchs, ganz allgemein wegen «mangelhafter Körperentwicklung».

Das war anderthalbmal so viel wie bei den Stellungspflichtigen aus nichtindustriellen Regionen. Und ebenso drastisch lauteten die von Schuler zitierten statistischen Zahlen der Krankenkassen: Fabriklerinnen und Fabrikler starben viermal häufiger an Tuberkulose als die bäuerliche Bevölkerung; von hundert Säuglingen erlebten deren 17 ihren ersten Geburtstag nicht.

Aber Schuler war bei seinen Forschungen auf eine Nahrungsmittelgruppe «von hervorragendem Werthe» gestossen. Hülsenfrüchte wie Bohnen, Erbsen oder Linsen wiesen einen hohen Proteingehalt auf. Zwar waren sie im Verlauf des Jahrhunderts von den Kartoffeln verdrängt worden, zwar waren ihre nährenden Substanzen von Fasern eingehüllt, was die Verdauung erschwerte und zu Blähungen führte. Aber wenn es gelang, durch Rösten und Mahlen eine Verarbeitungsform zu finden, die den Nährwert erschloss und die Kochzeit drastisch senkte, hatte man eine billige, eiweissreiche Volksnahrung gefunden: das Leguminosenmehl!

Es war wohl das erste Mal, dass sich Kommissionsmitglieder der «Gemeinnützigen» mit einem Ernährungsspezialisten und einem Müller zu einer Art Testmahlzeit trafen. Am 19. November 1884 wurden in der Zürcher «Schmidstube» Schulers Vorstellungen in konkreter Form auf den Tisch

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gebracht. Als Gastgeber und Moderator amtete «in liebenswürdiger und gewinnender Weise» ein Müllereiunternehmer aus dem zwischen Zürich und Winterthur gelegenen Kemptthal. Julius Maggi, Sohn eines italienischen Einwanderers, hatte in Zusammenarbeit mit Schuler in kaum anderthalb Jahren spezielle Röstöfen konstruiert, mit verschiedenen Leguminosenmischungen und Feinheitsgraden beim Mahlen experimentiert und schliesslich ein Spezialmehl entwickelt. Daraus liess sich in einer knappen Viertelstunde eine Suppe oder ein Brei kochen. Ein einziger Teller davon enthielt 30 Gramm Eiweiss, ein Viertel des Tagesbedarfs. Kostenpunkt bloss drei Rappen; die «billige und bekömmliche Volksnahrung» war gefunden! Zwar hatte es Maggis Spezialmehl, das unter dem garstigen Namen «Extra-Fettleguminose» vertrieben wurde, in der Folge sehr schwer, sich in den Arbeiterküchen durchzusetzen, und dies trotz kräftiger propagandistischer Unterstützung durch die «Gemeinnützigen». Die Fertigsuppen aus Kemptthal hatten erst Erfolg, als Maggi ein neuartiges Konzentrat entwickelte, das ebenfalls auf pflanzlichem Eiweiss aufbaute und penetrant nach Liebstöckel roch. Maggi entwarf eigenhändig den dazu passenden Dispenser, ein kantiges Fläschchen mit kaminartigem Aufsatz.

Die Maggiwürze brachte auf Anhieb hohe Verkaufszahlen; parallel stiegen jene der Suppenmehle und -tabletten an. Der Siegeszug der Trockensuppe begann – im weiteren Sinn der Siegeszug der Fertignahrung!

Auch wenn uns Schulers Leguminose und Maggis Aufstieg zum Weltkonzern in die Randgebiete unseres Themas geführt haben, so bringt uns Amiels Besuch in Glarus eine Lieblingsvorstellung des 19. Jahrhunderts näher. Soziales Gefälle, disparate Besitzverhältnisse gehörten zum Wesen jeder Gesellschaft. Aber sie liessen sich ausebnen durch organisierte Wohltätigkeit und christliches Engagement. Als Träger dieser Bestrebungen kam niemand anders in Frage als das Bürgertum. Wer diesen Pfeiler untergrub, gefährdete das ganze Gebäude, ebnete den Weg für den alles verschlingenden Staatssozialismus oder – noch schlimmer – für die roten Kohorten der Anarchie und des Kommunismus. Amiel hatte ihre Stimmführer am Friedenskongress im Palais électoral erlebt. Wenn dies der Weg in die Zukunft war, so würde diese Zukunft von kurzer Dauer sein ...

Die Rückzugsdomäne eines dämmrigen Parks entspricht Amiels Befindlichkeit am besten. Als geborener Einzelgänger spielt er weder in der Genfer Politik noch im Kulturleben eine Rolle. Dafür hinterlässt er in seinem Tagebuch eine Fülle von Einsichten zu Individuum und Gesellschaft, zu Erwerb und Besitz.

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Epilog

Ein Liebhaber des Halbschattens

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Epilog

Wir erinnern uns an ein Diner vom September 1860, an die weiss be-

handschuhten Lakaien, an die Silbertabletts und samtgepolsterten Stühle im Salon der Neuhausener Fabrikantenfamilie Moser. So ganz zufällig hatte sich Amiels Einladung in die Villa nicht ergeben. Er war in Neuhausen mit einem Empfehlungsbrief der Mesdemoiselles Maunoir aufgekreuzt – der beiden Genfer Schwestern, in deren Töchterinstitut er französische Literatur lehrte. In eben diesem Institut hing das Porträt von Sophie Moser, der Tochter des mächtigen Industriellen. Amiel war der einstigen Pensionärin nicht mehr persönlich begegnet, zeigte sich aber sehr angetan von den einnehmenden Gesichtszügen auf dem Gemälde. Der Besuch am Rheinfall galt vor allem der reizenden jungen Frau und der Erfüllung eines lange gehätschelten Tagtraums: Er, Amiel, würde in Sophie Moser die Frau seines Lebens finden, ihre Liebe gewinnen und durch eine Heirat eine neue Existenz begründen ...

Wie nicht anders zu erwarten, schlug der Plan fehl. Zwar hiess die Familie den Professor aus Genf äusserst höflich willkommen, aber es zeigte sich, dass die junge Frau gerade zusammen mit ihrem Vater auf Auslandsreise weilte. Doch im Januar 1861 erhielt Amiel eine zweite Chance, gleichsam serviert auf dem Silbertablett: Mademoiselle Moser verbrachte mehrere Winterwochen in Genf, als Gast ihrer einstigen Pensionatsleiterinnen.

Mehr noch: Sie wohnte jedem einzelnen Abend von Amiels Vortragsreihe im Hôtel de Ville bei (das trockene Thema, wie gesehen, hiess Le langage et la langue maternelle). Die Schwestern Maunoir luden ihren Dozenten zudem mehrere Male zum Tee an die Place Jargonnant ein; Amiel konnte das einnehmende Porträt vergleichen mit dem offenbar ebenso reizenden Vorbild. Es folgte eine Soirée bei Physikprofessor Elie Wartmann; hier waren Sophie und Henri-Frédéric als einzige unverheiratete Gäste geladen.

Hatte die Millionenerbin einen entsprechenden Wink erteilt? Der Beginn einer Herzensgeschichte? Jedenfalls zeigte sich Sophie ihrem Tischpartner gegenüber von der reizendsten Seite, liebenswürdig und anteilnehmend. Amiel dagegen blieb wortkarg, geradezu abweisend, und als es

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darum ging, die junge Frau zurück an die Place Jargonnant zu begleiten, drückte er sich unter einem Vorwand. Amiel dazu: «Sobald es in meinem eigenen Interesse ist, auf eine bestimmte Art zu handeln, verspüre ich den heftigen Drang, genau das Gegenteil zu tun.»

Vertrug sich der Tagtraum nicht mit der Wirklichkeit? Sträubte sich eine unkontrollierbare Instanz seines Wesens immer wieder dagegen, das Naheliegende zu tun: bei der Suche nach einer Partnerin, beim Optimieren seiner Finanzen, beim Verwerten der Vorlesungsnotizen zu einem Artikel oder Buch? Die Einheirat in die Familie Moser hätte die ersehnte finanzielle Unabhängigkeit gebracht, zugleich aber auch den Druck, sich nun mit einem anspruchsvollen Werk als Autor zu beweisen. War dies der Knoten, der sich nicht lösen liess?

Im Herbst 1864 zog Amiel erneut mit der ganzen Familie Guillermet in eine grössere Wohnung um. Fünf Jahre später liess er sich, zum ersten Mal seit seiner Rückkehr aus Berlin, selbständig nieder. Aber der ersehnte eigene Salon, dieser so wichtige «Raum für die Beziehungspflege in der undurchlässigen Welt der Bourgeoisie», blieb eine unwirtliche Stube; Amiel sah sich vollkommen überfordert vom Führen eines eigenen Haushalts.

Kurze Zeit später zog er in die erste einer Reihe rasch wechselnder Pensionen um, behielt daneben ein eigenes Studio mit der Bibliothek und den unzähligen Dossiers seiner akademischen Recherchen. Je länger, je ausgeprägter sah er sich selbst in der Rolle des Beobachters, der von der Seitenlinie aus die Wechselfälle des Lebens und der Politik registrierte.

Seine Kommentare zur Zeitgeschichte blieben so hellsichtig wie eh und je. Das Wettrennen der europäischen Mächte nach überseeischen Kolonien verfolgte er mit Abscheu, ebenso die Mischung aus Erpressung, Gewalt und Hinterlist, mit denen die westlichen Mächte die Länder des Fernen Ostens für den Handel öffneten. «Alle Gewinne, die auf Täuschung beruhen, sind in meinen Augen illegal. (...) Deshalb verabscheue ich die Machenschaften, mit denen sich die Europäer in Japan festgesetzt haben. Der Diebstahl durch den Handel ist sogar noch unwürdiger als der eigentliche Diebstahl, denn er geschieht unter dem Schutz der Gewehre. Der kleine Gauner verletzt meinen Sinn für Moral viel weniger als der Ausbeuter.»

Als eifriger Leser von Zeitschriften wie Le monde de la science hielt er sich auf dem Laufenden über neue technische Errungenschaften und

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Epilog

staunte, wenn er sie auf den Strassen seiner Stadt umgesetzt sah. Ende der 1870er-Jahre führte Genf die dampfbetriebene Strassenbahn ein, und so stark nahm der Fahrradverkehr zu, dass die Behörden 1876 dieses Gefährt im Stadtinnern verboten. Im Jahr zuvor hatte Amiel erstaunt dem Bericht des Neffen Eugène gelauscht, der mit dem Veloziped nach Evian und zurück geradelt war: «Ein Ausflug von 26 Meilen – oh Yankees!»

Denn die meisten dieser Errungenschaften schienen ihm von den «Yankees» auszugehen, diesem «bedenkenlosen Volk» jenseits des Atlantiks – beispielsweise die Zähmung der Elektrizität durch die Bogenlampe und durch Edisons Glühbirne, auch sie von den Genfern schon früh umgesetzt.

«Die elektrische Beleuchtung der Place Neuve gesehen», notiert das Tagebuch im Juni 1879. «Damit wird die Gasbeleuchtung ad acta gelegt.» Aus Amerika stammten weitere «Wunder der heutigen Technik: das in Flaschen abgefüllte Wort (der Phonograph von Edison), die Voraussage von Gewittern (das New Yorker Observatorium). Das Echo wird festgehalten; was man hört, kann man wiederholen (...); das ist besser als die Magie von einst. Die Allgegenwart des Geistes, der seinen Planeten überwacht, ist ebenfalls ein wahrgewordener Traum.» Mit erstaunlicher Hellsicht sah Amiel die Stauseen und Kraftwerke voraus, mit denen sich der Mensch eine unerschöpfliche Energiequelle schaffen würde. Vorbei die Ära der mit Kohle betriebenen Maschine; was am Horizont aufzog, war das Zeitalter der Elektrizität. «Man kann den Moment absehen, da die Dampfmaschine zum alten Eisen gehört; die Wasserfälle werden in der Form von komprimierter Luft oder Strom die ganze Antriebskraft liefern, welcher die Menschheit bedarf.»

Freilich, für ihn gehörte diese Zukunft der nächsten Generation. «Man ist trotzdem glücklich, wenn man sich im Halbschatten der Bastions und des Bourg-de-Four wiederfindet», hatte er seiner Betrachtung über die strahlend helle Place Neuve angefügt. «Das Auge liebt ebenso die Nacht, und wenn wir sie künstlich unterdrücken könnten, würde es gegen diese Unterdrückung Einspruch erheben. Wer in einer hell erleuchteten Welt die Nacht erfände, gälte als Wohltäter – so wie einer, der in der Sahara Oasen des Grüns und der Frische schafft.» Was ihn betraf, so war seine Domäne der Halbschatten, je länger, je mehr: Spaziergänge unter den Platanen und Linden der Promenade de la Treille, die kühlen Wandelgänge der Académie, das Dämmerlicht der Museen und Bibliotheken. Irgendwann freilich

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würde man ans grelle Licht treten müssen und blinzelnd feststellen, dass die Zeit unerbittlich weitergerauscht ist.

Un jour l’enfant se réveille / avec des cheveux blancs hiess ein Vers aus einem eigenen Gedicht, den das Tagebuch öfters zitiert. Das Kind wird vor den Spiegel treten und einen alten Mann mit weissem Haar erblicken.

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Anhang Bibliografie Ackermann, Ernst u.a.: Le système monétaire de la Suisse. Etude Documentaire.

Lausanne 1925 (= Publications du Bureau de Statistique de la Banque nationale Suisse, 4/1925) Amiel, Henri-Frédéric: Fragments d’un Journal intime. Hrsg. Edmond Scherer, 2 Bände.

Genf 1885 (4. Auflage) Ders.: Fragments d’un Journal intime. Hrsg.

Bernard Bouvier, 3 Bände. Genf/Paris o. J. (1922) Ders.: Journal intime. Hrsg. Bernard Gagnebin und Philippe M. Monnier, 12 Bände. Lausanne 1976–1994 Ders.: Tag für Tag. Textauswahl und Vorwort von Leo Tolstoi. Hrsg. Felix Philipp Ingold.

Zürich o. J. Bausinger, Hermann: Bürgerliches Massenreisen um die Jahrhundertwende. In: Soll und Haben. Alltag und Lebensformen bürgerlicher Kultur. Hrsg. Ueli Gyr. Zürich 1995; S. 131ff.

Boehn von, Max: Die Mode. Band VII, 1843– 1878. München 1963 Bopp, Léon (Hrsg.): Amiel – Le Journal intime de l’année 1866. Genf 1959 Bordier, Ami: Notice sur la Société des Agents de change de Genève. Genf 1913 Böhmert, Victor: Arbeiterverhältnisse und Fabrikeinrichtungen in der Schweiz. 2 Bände.

Zürich 1873 Broillet, Philippe (Hrsg.): La Genève sur l’eau.

Les monuments d’art et d’histoire du canton de Genève. Bd. 1. Basel 1997 (= Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 89) Brown, Frederick: Zola – A Life. New York 1995 Conzett, Verena: Erlebtes und Erstrebtes.

Zürich 1929 David, Jean-Elie: Notes au Crayon. Souvenirs d’un arpenteur genevois, 1855–1898.

Lausanne 2004 (= Ethno-Poche 33) Egérie: Henri-Frédéric Amiel – Louise Wyder: Correspondance 1853–1868. Hrsg. Louis Vannieuwenborgh und André Leroy.

Lausanne 2004 Encyclopédie de Genève, Band III: La vie des affaires. Genf 1984 Fazy, Henri: James Fazy; sa vie et son œuvre.

Genf 1887 Geschichte der Schweiz und der Schweizer, Band 3. Basel/Frankfurt a/M 1983

Graf, J. H.: Die Einführung der Mitteleuropäischen Zeit. Bern 1894 Gruner, Erich: Die Arbeiter in der Schweiz im 19. Jahrhundert (= Helvetica Politica Serie A, Vol III). Bern 1968 Hauser, Albert: Schweizerische Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Zürich/Stuttgart 1961.

Heller, Geneviève: Propre – en ordre. Habitation et vie domestique 1850–1930, l’exemple vaudois. Lausanne 1979 Histoire de Genève, Band II: De 1798 à 1931.

Hrsg. Société d’histoire et d’archéologie de Genève. Genf 1956 Hunziker, Otto: Geschichte der Schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft, 1810–1910.

Zürich 1910 INSA Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850–1920. Band 4. Bern 1982 Lebenshaltung schweizerischer Arbeiter und Angestellter vor dem Kriege, Die. Hrsg.

Schweizerisches Arbeitersekretariat. Olten 1922 Lescaze, Bernard: Histoire de la place financière et de la Bourse de Genève. In: Bourse de Genève, Hrsg. Georges-André Cuendet, Genf 1986 Le Wita, Beatrix: Der Rekurs auf die Tradition im französischen Bürgertum. In: Soll und Haben. Alltag und Lebensformen bürgerlicher Kultur. Hrsg. Ueli Gyr. Zürich 1995 Messerli, Jakob: Gleichmässig – pünktlich – schnell. Zeiteinteilung und Zeitgebrauch in der Schweiz im 19. Jahrhundert. Zürich 1995 Meyer-Ahrens, Conrad: Die Heilquellen und Kurorte der Schweiz. Zürich 1867 Reichesberg, Naúm: Handwörterbuch der Schweizerischen Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. 4 Bände. Bern 1905ff.

Richter, Jürg / Kunzmann, Ruedi: Die Banknoten der Schweiz. Regenstauf 2003 Rickenbach, Walter: Geschichte der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, 1810– 1960. Zürich 1960 Rittmann, Herbert: Schweizer Münzen und Banknoten. Zürich 1980 Ritzmann-Blickenstorfer, Heiner (Hrsg.): Historische Statistik der Schweiz. Zürich 1996

Bibliografie / Bildnachweise Schneider, Hans: Geschichte des schweizerischen Bundesstaates, 1848–1918. Band 1.

Zürich 1931.

Schuler, Fridolin: Die Glarner Baumwollindustrie und ihr Einfluss auf die Gesundheit der Arbeiter. In: Zeitschrift für schweizerische Statistik 8, Heft 4. Bern 1872 Seitz, Jean: Histoire de la banque à Genève.

Genf 1931 Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Hrsg.

David Frisby. Gesamtausgabe Georg Simmel, Hrsg. Otthein Rammstedt Band 6. Frankfurt a/M 1989 Tanner, Albert: Arbeitsame Patrioten – wohlanständige Damen. Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz 1830–1914. Zürich 1995 Thibaudet, Albert: Amiel ou La Part du rêve.

Paris 1929 Traum, Logik, Geld. Freud, Husserl und Simmel zum Denken der Moderne. Hrsg. Ulrike Kadi u.a. Tübingen 2001 Treichler, Hans Peter: Herzschrittmacher der Nation. Vor 200 Jahren gründeten besorgte Bürger die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft. In: NZZ Folio (Zürich), Februar 2010

159 Ders.: Amiel oder Das gespiegelte Leben. Das Journal intime, die Frauen, die Stadt. Zürich 2006 (NZZ Libro) Ders.: Das erste halbe Jahrhundert. In: Der Kluge reist im Zuge. Hundert Jahre SBB. Hrsg. Heinz von Arx. Zürich 2001 Ders.: Gründung der Gegenwart. Portäts aus der Schweiz der Jahre 1850–1880. Zürich 1985 Volkart, Anna und Heinrich: Koch-, Haushaltungs- und Gesundheitsbüchlein. Leitfaden für Koch-, Haushaltungs- und Töchterfortbildungsschulen sowie für jede Hausfrau.

2. Auflage. Zürich 1902.

Wendorff, Rudolf: Zeit und Kultur. Geschichte des Zeitbewusstseins in Europa. Wiesbaden 1980 Winterstein, Christian: Rund um das Schweizer Geld. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit.

Hrsg. Schweizerischer Bankverein. Basel 1983

Bildnachweise Umschlagbild: Rue Montblanc und Montblanc- Seite 74: Oben: Zwei Briefe Henri-Frédéric Brücke. Holzstich René Hébert 1883. GraAmiels an Marie Favre vom 23.5.1860 und phische Sammlung Zentralbibliothek Zürich.

5.7.1860. Handschriftensammlung der Bibliothèque publique et universitaire de Genève.

Seite 8: Porträt Henri-Frédéric Amiel, Zeich(Ms. fr. 3003ff.) nung von Joseph Hornung, 1852. Graphische Unten: Zehn-Francs-Banknote der Genfer Sammlung Bibliothèque publique et univerCaisse d’Escompte, um 1850. Sammlung sitaire Genf.

MoneyMuseum.

Seite 20: Quai Montblanc mit Ile Rousseau.

Seite 86: Schweizer Franken 1850. Sammlung Kolorierte Kreidelithografie, um 1860.

MoneyMuseum.

Graphische Sammlung Zentralbibliothek Seite 98: Tour de l’île, Foto um 1880. Collection Zürich.

Iconographique du Vieux-Genève.

Seite 28: Strassenverkäufer. Postkarte der Serie Seite 122: Genfer Börse an der Rue Petitot 11.

Types de Genève, um 1890. Graphische Foto um 1880 von Frédéric Boissonnas.

Sammlung Zentralbibliothek Zürich.

Collection Iconographique du VieuxSeite 42: Le thé de cinq heures, Gemälde von Genève.

Louise-Cathérine Breslau (1856–1927), 1883. Seite 138: Familie im Garten, Foto um 1880.

Kunstmuseum Bern.

Archiv Hans Peter Treichler, Richterswil.

Seite 58: Markt an der Place du Molard. PostSeite 152: Der Genfer Park La Treille. karte der Serie Types de Genève, um 1890.

Kreidelithografie von Antonio Fontanesi Graphische Sammlung Zentralbibliothek (1818–1862), 1865. Graphische Sammlung Zürich.

Zentralbibliothek Zürich.

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Textnachweise Die Stellen aus Amiels Tagebuch werden nach der 12-bändigen Ausgabe von Gagnebin/Monnier zitiert, dies mit Bandnummer (römische Ziffer), Seitenzahl und Datum. In wenigen Fällen wird auf frühere Ausgaben zurückgegriffen. Die Nachweise aus der darstellenden Literatur sind mit dem Namen des Verfassers und Seitenzahl gekennzeichnet (siehe Bibliografie), wo nötig wird das Publikationsjahr des Werks hinzugefügt. Alle Übersetzungen aus dem Französischen stammen vom Verfasser.

Kapitel 1: Ein Leben im Rückwärtsgehen 10 «Combien un peu d’or ...»: VII 858, 30.6.69 11 Amiels Jugend: I, 9f. (Einführung) «gutes altes Felsgestein»: XII 667, 27.9.80 Genfer Umsturz 1846, Dozenten entlassen: I, 11f.

12 Bekanntschaft Sara Cherbuliez: I 494, 23.7.49 Bekanntschaft Henriette Vaucher: III 525f., 3.7.58; III 536, 30.7.58 «praktisch unverheiratbar»: III 487, 1.4.58 13 «Ersatz für das Leben»: III 1045, 13.7.60 «Leben im Rückwärtsgehen»: V 876, 13.3.65 500-seitige Auswahl: X 807, 16.7.76 Erfolg der Fragments: Amiel, Tag für Tag, 83ff.

Urteil von Tolstoi: ebda. 10 «Das Schicksal hat zwei ...»: XII 939, 14.4.81 «Der Mensch, der alles ...»: Amiel, Scherer I 108 14 «Ein Irrtum ist umso ...»: Amiel, Scherer I 63 «Jede Landschaft ...»: II 295, 31.10.52 «Nichts ist so erfolgreich ...»: VII 45, 19.3.68 Tagebuch im Druck erschienen: siehe Bibliografie «allen Purzelbäumen ... zu folgen»: X 838, 28.7.76 «anhand eines komplizierten ...»: III 1045, 13.7.60 Amiel und die Träume: Treichler 2006, 150–155 15 «Die bürgerliche Gesellschaft ...»: I 1000, 25.1.51 «Was für ein stumpfsinniges ...»: II 592, 14.6.53 Genfer Börse; Konkurs der Banque Générale Suisse: Encyclopédie III, 88–92 «La ruine est facile ...»: VI 335, 14.4.66 16 «Plutolatrie», «Wenn es einmal nur ...»: VII 1366, 1.4.70 «Diese ganzen Budgetangelegenheiten ...»: VIII 1147, 26.12.71 «Ich weiss nicht ...»: IX 511, 19.10.72 «Instinkt für das Eigentum»: IX 1228, 30.5.74 Kampf Henri Amiels um Erbschaft: III 482f., 27.3.58 17 Redner muss ohne Script sprechen: III 1202, 7.12.60 «Dreissig Ideen genügen ...»: III 947, 11.5.60 Amiel brilliert als Vorleser: III 1092f., 28.8.60 18 «Zehn Jahre haben den Vorrat ...»: III 1119, 20.9.60 Freundinnen heissen «amiélines»:Thibaudet 24 Letzter Eintrag, «von Freunden ...»: XII 948, 29.4.81

Kapitel 2: Genf – die magischen Jahre 22 «Genève devient de plus ...»: X 86, 2.9.74 23 Kanonen in Schuppen: David 38 Entfestigung Genfs, Neuanlagen, Bau Eisenbahn: INSA 251–261 Putsch Genfer Radikaldemokraten: David 24 24 Radikale sind Partei mit Konzept, «génie révolutionnaire»: III 178, 11.9.56 «Bei unseren Radikalen ...»: Thibaudet 97 «fazylâtres», «unter dem Deckmantel der Demokratie ...»: IV 418, 23.11.61 Einwohnerzahlen Genfs: INSA 261 25 «Die Frösche wichen ...»: David 85 25f. Savoyerhandel: Geschichte der Schweiz 24ff.

26 Amiel über Ausnahmezustand: III 909, 4.4.60 «abscheuliche Eskapade» Perriers: III 907, 1.4.60 27 «das Buch des Fortschritts ...»: X 86, 2.9.74 Kapitel 3: Der Literat und das Geld oder La tyrannie de l’écu 30 «Je constate ...»: VIII 30, 8.5.70 31 Amiel ist «lettré», «homme de lettres»: VI 1134, 17.11.67 Zitat Gedicht: III 1221 (Anhang) 32 «Mon casuel académique ...»: VI 666, 11.12.66 Dozentenlohn ist «Schande»: ebda. «un nid à chagrins ...»: ebda.

«Jedes Glas Wein ...»: VI 743, 20.2.67 «ehrenhafteste Beschäftigung ...», «Der kleinste Kommis ...»: VI 1164, 16.12.67 «Gimpel», «Was wird man ...»: VII 1195, 8.1.70 33 «la préoccupation du centime»: VI 256, 3.3.66 «Die Freiheit wird ...», Diskussion mit Julie Brandt: VI 256, 3.3.66 «Die Bedürftigkeit ist letztlich ...»: VI 1134, 17.11.67 34 «Geld zählen heisst ...»: XI 230, 2.9.77 «aisance modeste», «Wenn man ...»: V 222, 25.11.63 Beispiele Scott, Balzac, «même le génie ...»: V 222, 25.11.63 34f. Beispiel André Cherbuliez: I 745, 4.7.50 35 Beispiel Albert Heim: V 367, 21.3.64 «la puissance révoltante ...»: V 367, 21.3.64 «Die Begehrlichkeit ...»: I 873, 24.1.51 Beispiel Marc Monnier: VI 428, 16.6.66

Textnachweise

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36 Übersetzung «Glocke», Lob: III 812, 26.11.59 50 «Ist denn keine ...»: VIII 1232, 29.1.72

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40f.

«Hymne de Genève»: III 706, 8.6.59 Abrechnung mit Cherbuliez, «Halsabschneiderei»: VII 869, 9.7.69 Ausleihe durch Hornung und Herminjard: VII 869, 9.7.69 mit Schreiben Geld verdienen: V 136, 24.8.63 «oreiller de paresse»: V 136, 24.8.63 Wanderung Mont Salève: III 1139, 5.10.60 mögliche Themen für Vortragsserie: III 1220 (Anhang) Misserfolg Vorträge, Erfolg für Cherbuliez: Treichler 2006, 282 Vorbild haushälterische Schwester Fanny: VII 179, 14.6.68 desolate Jahresrechnung 1854: II 953, 30.12.54 Geldverdienen ist «schäbige Sache»: III 165, 6.9.56 «Ich stelle meine wachsende ...»: VIII 30, 8.5.70 «Tyrannei des Mammons ...», «Es ist unwürdig ...»: VII 858, 30.6.6 «seines Knechtes Knecht»: Simmel 319 Gehaltserhöhung 1873: IX 817, 22.6.73; IX 1078, 30.12.73

Kapitel 4: Liebe und Mitgift 44 «Cette jeune fille ...»: I 621, 4.1.50 45 «Der letzte, den man ...»: Treichler 2006, 204 «Ich sollte öfter ...»: III 1153, 23.10.60 «Mein hässliches Logis ...», «eher empfangen ...»: III 1119, 20.9.60 «Obwohl ich versuche ...»: ebda.

46 mittleres männliches Heiratsalter: Tanner 185, 207 «Jedermann findet Jedefrau»: III 900, 15.3.60 «La chose pressante ...»: III 1113, 15.9.60 «Ich sehe immer deutlicher ...» III 1122, 23.9.60 47 Liste für Kandidatinnen: Thibaudet 132ff. «vor allem über die Mitgift ...»: Tanner 177 Amiel über Ehevertrag: VII 187, 19.6.68 48 «Ich trinke und ich rauche ...»: I 491, 29.3.53 «Wenn einer meiner Söhne ...»: VI 1106, 2.11.67 Beispiel Joseph Hornung: IV 951, 29.10.62 «Dunque, Madame meine Gattin ...»: IV 1097, 4.3.63 48f. «Die Frage nach dem ...»: IV 1097, 4.3.63 49 Aufstellung Jahreseinkommen: IV 1179, 2.5.63 «Ein Engel mit ...»: IV 1179, 2.5.63 «partie oeconomique», «mariage de raison»: Tanner 176 Festlegen Mitgift zwischen Eltern, Rolle der Braut: Tanner 192

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55 55f.

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Schicksal Wirtefamilie, Mitgift als Götze: VII 94, 14.4.68 Dilemma mit Louise Wyder, generell: Treichler 2006, 229ff., 272ff.

Treffen mit Familie am Ball: III 1060f., 5.8.60 «Ihre Mutter will ...»: III 1127, 27.9.60 Brief an Tante Fanchette: III 1044, 13.7.60 Antwort Tante: Egérie 276, 12.10.60 «Ich will dem Hindernis ...»: Egérie 277, 19–23.10.60 «Ich bedaure sehr ...»: Egérie 277, 19–23.10.60 «Sie können doch nicht ...»: Egérie 278, 28.10.60 Unterredung mit Paul Privat: III 1157, 28.10.60 «Vor einigen Monaten ...»: Egérie 279, 28.10.60 anklagendes Schreiben Dezember 1860: Egérie 296ff., 20.10.60 «Gold gegen Falschgeld getauscht»: Egérie 239, 7.12.59

Kapitel 5: Standesgemäss leben 60 «Le résultat c’est que ...»: V 1132, 20.9.65 61 Geldpanik unterwegs: IX 874, 9.8.73 «Trotz allen Widerstrebens ...», Beispiel Pestalozzi: VIII 20, 4.5.70 61f. Ausgaben für Ausstattung Braut: I 27 (Einleitung) 62 Louise Wyder wünscht genauen Aufschluss: Egérie 277, 19–23.10.60 62f. Beispiele Haushalte Valentin und Corrodi: Tanner 294–296 63 Beispiel Bundesrat Schenk, «gewisse Abstriche»: Tanner 293 Kollege Bertrand gibt Nachhilfestunden: IX 1137f., 26.2.74 Lehrauftrag an Ecole supérieure: IV 1001, 25.10.73 63f. Beispiel Haushalt von Tillier: Tanner 289–291 64 Einladung bei Familie Moser: III 1110–1112, 12.–14.9.60 Genfer Familien haben «campagne»: David19f.

Landgut Cherbuliez: I 1274 (Personenverzeichnis) 65 Cabriolet und Pferd: III 1145, 14.10.60 Franki setzt Limite bei 10’000 an: VI 1106, 2.11.67 65f. Arbeiterbudgets Genf, Zürich, «welches nur durch Überarbeiten ...»: Böhmert I, 350 66 Budget und Lebensumstände Spörry: Tanner 297f.

Anteil Nahrungsmittel Valentin-Corrodi: Tanner 294–296 66f. Lehrerlöhne: Tanner 189; Der Eidgenosse (Tageszeitung, Luzern) 29.8.65

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Textnachweise

67 Amiels Beitrag an Haushalt Guillermet: III 67f.

68

68f.

69 69f.

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823, 5.12.59 Anschaffung Vitrine: I 618, 4.1.50 Preisbeispiele Journal de Genève: Journal de Genève 31.1.60 Preise Schokolade, Konzertkarte: Journal de Genève 8.1.65 Weinpreise (Tischwein): David 69f.

Weitere Lebensmittelpreise: Ritzmann 480 «manger de la vache enragée»: V 1132, 20.9.65 Amiel und Kollegen über Teuerung: V 1132, 20.9.65 Indexzahlen Lebensmittel: Ritzmann 502 Volksuhr von Roskopf: Messerli 150 Bleistiftverkäufer Mangin: David 88 Preise Bahnfahrten, Rigibahn: Treichler 2001, 28, 50, 55 Arbeiterinnen gehen zu Fuss: Conzett 62f.

Bahnfahrt von Oerlikon: Treichler 2001, 28 Bahnfahrt Genf – Basel: Journal de Genève 20.8.65 Hotelrechnung in Allevard: IX 371, 17.8.72 Pensionspreise in Clarens-Vernex: MeyerAhrens 109 Preise Grabstätte in Clarens: IX 453, 25.9.72; IX 957, 29.9.73 Anteil Steuerklasse -2000 in Bern: Tanner 74 Anteil hohe Vermögen in Zürich: Tanner 76 Amiels Vermögen 1863: IV 1179, 2.5.63 Amiels Vermögen 1865, «ererbt von meinem Vater ...»: VI 25f., 1.11.65 «Irgendwo gibt es ...»: VIII 20, 4.5.70 Amiels Vermögen 1875: X 323, 14.5.75 Brand Haus Rue des Cendriers 1860: III 867, 30.1.60 Brand 1873, Amiels Reaktion: X 955, 28.9.73

79f.

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80f.

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83 83f.

graue Eminenz und Bundesrat in Bern: I 827, 2.12.50 Traum von Spekulationen: VI 707, 28.1.67 wird im Traum bestohlen: VIII 16, 9.3.68 «Wehe den ...»: ebda.

Traum in dritter Potenz: VIII 1146, 26.12.71 Traum spielt Verstecken: VIII 401, 7.12.70 «Jahrmarkt der Erinnerungen»: I 827, 2.12.50 Traum ist Strassenkreuzung: XII 621, 3.9.80 Traum-Vortrag im Athenäum: VI 1250, 25.2.68 Simmel über Geld als Sprache: Traum, Logik ... 207ff.

«Mein Abscheu ...»: XI 230, 2.9.77 «Um frei zu bleiben ...»: IX 503, 15.10.72 «Meine tapfere kleine ...»: VII 34, 15.3.68 «Was für eine ...»: IX 458, 30.9.72 «Der Finanzmann Grosjean ...»: IX 685, 12.3.73 Zweckreihe, bei Mittelstufe stehenbleiben: Simmel 323 «Es ist ein eindrückliches ...»: VI 421, 11.6.66 bezahlt Rechnungen: XI 127, 3.7.77

Kapitel 7: Der Schweizer Franken: Patenkind des Elysées 88 «Encore huit ans ...»: II 1058, 2.5.1855 72 89 Genfer Währungen um 1830: Rittmann 89 Berner Taler: ebda. 20 89f. weitere Beispiele Schweizer Münzsystem: ebda. 70–139 90 Schaffung Schweizer Währung 1850ff.: Ackermann 3–7 Umtausch 319 Geldsorten, Goldmünzen: 73 Reichesberg III 1486–91 91 Prägung mit Helvetia und Jungfrau: Rittmann 141 Kapitel 6: Les reflets de l’or: Psychologie Prägung im Ausland, «gemischter» Münzdes Geldes umlauf: Rittmann 27 76 «Il y a une singulière ...»: VI 421, 11.6.66 Schweiz als «Geldprovinz» Frankreichs: Rei77 «Il faut donc se faire ...»: I 638, 31.1.1850 chesberg III 1484f.

92 Amiel über Goldförderung: II 1058, 2.5.1855 Vater Amiel in Prozesse verstrickt: 27.3.58 Schweiz anerkennt ausländische GoldmünTraum von Todesstrafe 1: I 780, 23.9.50 78 Traum von Todesstrafe 2: IX 572, 1.12.72 zen: Reichesberg III 1489 92f. Gründung Lateinische Münzunion: Acker«bedrückende Träume», «riesiges Dossier mann 3–7; Reichesberg II 896–901 von ...»: IX 686, 13.3.73 93 Schweiz an erster Stelle genannt: AckerLaure verlangt Unterschrift: I 469, 4.6.49 mann 6 Duell an Bankett; Interpretation: I 792, Konferenz von 1867: Reichesberg II 898 16.10.50 «Noch während ich mich ...»: IX 572, 1.12.72 94 Amiel über grossen Goldbetrag: VI 421, 79 Scherer zum Kaiserlichen Rat ernannt: VI 11.6.66 868, 11.5.67 «tyrannie de l’écu»: VII 858, 30.6.69 Cherbuliez liest Text: VII 1109, 21.11.69 «Dieu Dollar»: VII 94, 14.4.68 95f. erste Banknoten: Rittmann 41–45; Richter «Wenn ich die Zeit ...»: VII 793, 1.6.69 11–17 Amiel trifft Aristoteles: VIII 178, 24.7.70 Fazy beruft ihn in den Staatsrat: IV 490, 13.1.62

Textnachweise Kapitel 8: Das Geld und die Zeit 98 Drei verschiedene Genfer Zeiten: Messerli 79–81 100 «Notre vie civile ...»: VI 1262, 7.3.68 101 «Aber wer weiss ...»: IV 321, 20.9.61 101f. Zwang zur Zeitnutzung, «In einem dichter ...»: Messerli 112 102 Genfer Makler mit engerem Zeitplan: Lescaze 87f.

Marc Monnier übersetzt Telegramme: VI 428, 16.6.66 «Unser ziviles Leben ...»: VI 1262, 7.3.68 Uhrenkette als Symbol: Treichler 1985, 267 Genfer Uhrenindustrie 1860: Hauser 223 103 Roskopfuhr: Messerli 150 Bahnhofuhr wie Rosette einer Kathedrale: Wendorff 430 «Das Kommen und Gehen ...»; «so regelt ...»: Messerli 78 104 Zeitmessung mit Sonnenuhr, «natürliche» Zeit: ebda. 68f.

Handelshäuser beantragen Telegrafen: ebda.71–74 «Berner Zeit» oder «Bundeszeit» eingeführt: ebda. 74 105 Sonderstatus Genf bei Uhrzeit: ebda. 79–81 105f. Zeitverwirrung bei Rendezvous in Rolle: Egérie 263ff.

106 kurzsichtig auf Bahnhof: III 551, 16.9.58 massgebliche Sonnenuhr Saint-Pierre: Messerli 58ff.

107 Zeitverwirrung am Bodensee: Graf 10ff.

107f. Einfluss Franklin; Zeitnutzung Allgemeines: Messerli 158ff.

108 «Die Produktionsindustrie ...»: VI 1113, 5.11.67 109 Pietist Francke: Messerli 158 «Ich spüre, wie ...»: I 153, 21.3.40 studiert Julliens Zeiteinteilung: II 739–41, 29.1.54 Vormittag hat elf Halbstunden: I 159, 13.10.40 «Das Leben besteht ...»: I 231, 18.5.46 109f. grosszügigeres Tagesregime: III 150, 17.8.56 110 «Das Zusammenstellen ...»: III 196, 22.10.56 «Arbeit von 8–11 ...»: III 449, 31.10.57 «... da es nichts Gutes einzutragen gibt»: ebda.

22 fruchtbare Stunden: III 580, 10.11.57 «Die Zukunft besteht ...»: V 259, 18.12.63 110f. «Um im Leben ...»: VI 226, 16.2.76 111 «Ich weiss nicht, wie ...»: VII 446, 26.10.68 «Wenn ich die Stunden abziehe ...»: XI 830, 9.1.79 Vier Tagebucheinträge an einem Tag: ebda.

111f. Sommerübersicht 1871: VIII 1006f., 3.10.71 112 «Ist ein Buch einmal ...»: VII 978, 3.9.69

163 113 «Sie allein messen ...»: I 582, 1.12.49

drohender 50. Geburtstag: VIII 905, 18.8.71

113f. «Man dreht sich um ...»: III 1024, 30.6.60 114 «Das Leben ist mir immer ...»: IX 140,

115

115f.

116

117

118

118f.

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120f.

10.4.72 Siegelring mit Devise: VII 1430, 1.5.70 «Ich bin nicht so tief ...»: III 831, 11.12.59 «Kameraden mit weissen Häuptern ...»: ebda.

«Indem ich die Jahre vergass ...»: VII 653, 14.3.69 «Man wird mich aus der Liste ...»: IX 760, 29.4.73 Ablenkungen, Vergleich mit Gulliver: III 206, 31.10.56 «Mit meinen ausführlichen ...»: IX 523, 28.10.72 «Reparaturarbeiten»: X 970, 5.1.76 Beispiele Napoleon, Humboldt, Descartes: II 173, 31.5.52 «Du sprichst den Monaten ...»: VI 653, 28.11.66 «Ein Tag, den man sich mit Vergnügen ...»: II 59, 2.2.52 «Das Eingezwängtsein ...»: VI 1231, 3.2.68 kahle Stellen, «Künsteleien des Frisierens»: V 106, 9.8.63 «Der Zahnarzt hat ...»: VI 993, 26.7.67 «Die vier Zähne ...», Schwierigkeiten beim Sprechen: VII 611, 10.2.69 «Ich kann nicht glauben ...»: IX 526, 31.10.72 «Was wächst diese Jugend ...»: IX 1224, 26.5.74 «Hinter der Mauer ...»: X 19, 25.6.74 «L’avenir me paraît ...»: V 105, 7.4.63 Nähmaschine, Webstuhl verändern Mode: Boehn 66 «Sie löst das egalitäre Problem ...»: VI 873, 12.5.67 Stoffbedarf Krinoline: Boehn 57 «Unter all den neueren ...»: III 1000, 16.6.60 «Die Frau, ihres Mysteriums ...»: ebda.

«Der Jockeyclub ...»: VI 1108, 3.11.67 «Carminette schwingt ...»: VI 1108, 3.11.67 «Die aktuelle Mode erlegt ...»: VI 1176, 22.12.67 Krinoline geht wegen Zigarette in Flammen auf: Boehn 70ff. brennende Krinolinen an Ball in Lancy: III 817f., 30.11.59 alltägliche Schwierigkeiten durch Krinoline: Boehn 79 «Mein Patensohn trägt ...»: VI 1108, 3.11.67

164

Textnachweise

Kapitel 9: Banken und Börsen 124 La passion de ...»: VI 884, 14.5.67 125 «Eben das Mémoire der Aktionäre ...»: VI 621, 11.11.66 «Eine der erfolgreichsten ...»: Fazy 247 Bankengründungen 1848–50: Seitz 32ff.

125f. Privatbanken: ebda. 58ff.

126 Vorbild Crédit mobilier: Brown 64f.

127 Gründung BGS: Fazy 268f.

Krise BGS: Fazy 300f.

Amiel über Genfer Staatsschulden: V 697, 18.11.64 128 Konkurs BGS: Fazy 300ff.

Konkurs Crédit mobilier: Brown 170f.

129 «Hier folgt ...», «Wir haben gleich vier ...»: VI 884, 14.5.67 «Das Jagdfieber ...»: ebda.

Konkurs und Selbstmord Dufour: X 496, 6.11.75 Bankeneröffnungen um 1865: Encyclopédie 90 «Wechsler, Wucherer ...»: VI 884, 14.5.67 130 «Welch vulgäres Dasein ...»: ebda.

Gründung Genfer Börse: Lescaze 87ff., Seitz 36f.

Börse ab 1857: Lescaze 97ff.; Seitz 38f.

131 «Banco, Agio, Börse ...»: II 592, 14.6.53 Anzahl gehandelte Titel: Lescaze 105 Um 1860 einzige Börse mit US-Titeln: Seitz 47 «Hypotheken, öffentliche Anleihen ...»: II 747, 4.2.54 132 «Cercle» ist Spielhölle: Fazy 279, Lescaze 91 «krach» ins Französische übernommen: siehe z.B. Seitz 62 133 «Panik, Einbruch ...»: VI 335, 14.4.66 «Man wird gezwungen ...», «Diese stete Sorge ...»: ebda.

134 «Oh ja, in Kriegszeiten ...»: XI 44, 1.5.77 «Wohlverstanden nehme ich ...»: VI 25f., 1.11.65 134f. Kohlenminen Chapelle: VIII 89, 28.5.70; IX 285, 12.6.72; IX 320, 25.6.72; XI 1035, 7.5.79 136 Betrug durch Pitschner: IX 307, 20.6.72; IX 333, 5.7.72; X 326, 17.5.75 136f. Bankenplatz Genf um 1865: Seitz 43 137 Situation um 1870/71: ebda. 51ff. «krach» von Union Générale: ebda. 62ff.; Brown 617 «Diese Krise setzte ...»: Lescaze 109

Kapitel 10: Gefahr des Versteinerns: das Bürgertum 140 «Le conservatisme ...»: II 154, 14.5.52 141 Friedenskongress; «Ich war davon ...»: VI 1041, 12.9.67 142 Streiks in Genf: VII 1134 (Zeittabelle) 143 «Es ist für mich immer ...»: IV 873, 4.9.62 144 Marie Favre gibt Bau-Tipps: III 934, 29.4.60 Favre hinterlässt zwei Häuser: Bopp 23f.

«Das bürgerliche Philistertum ...»: V 262, 20.12.63 «In unserem gewöhnlichen ...»: I 816, 14.11.50 145 Zweckreihe Erwerben, Besitzen etc.: Simmel 323 «In der Sorge darum ...»: I 1000, 23.6.51 «Der Reichtum zeugt fatalerweise ...»: ebda.

146 «Sie haben bereits ...»: VII 1366, 1.4.70 «Wenn es einmal nur ...»: ebda.

147 Unterhaltung mit Amerikanerin, «Der angeborene ...»: IX 1173, 5.4.74 «Die ideale Republik ...»: ebda.

147f. Gemeinnützige Gesellschaft, Allgemeines: Treichler 2010, passim 148f. Alle Zitate SGG-Treffen in Glarus: III 1117ff., 17.–20.9.60 148f. Allgemeines zu SGG-Treffen Glarus: Hunziker 135 150f. Schuler und Ernährungsreform, MaggiMehl: Treichler 2010, passim Epilog: Ein Liebhaber des Halbschattens 154 Einladung bei Familie Moser: III 1110–1112, 12.–14.9.60 154f. Treffen mit Sophie Moser: IV 52–67, 30.1., 3.2., 7.2., 11.2., 15.2.61 155 «Sobald es in meinem eigenen ...»: IV 63, 11.2.61 Salon als «Raum für Beziehungspflege»: Le Wita 65 «Alle Gewinne, die ...»: VIII 30, 8.5.70 155f. Liest «Le monde de la science»: XII 231, 24.11.79 156 Fahrradverkehr, Ausflug Eugène: X 368, 27.6.75 «Die elektrische Beleuchtung ...»: XI 1094, 26.6.79 «Wunder der heutigen Technik»: XI 442, 25.3.78 «Man kann den Moment ...»: XII 231, 24.11.79 «Man ist trotzdem glücklich ...»: XI 1094, 26.6.79

165

Jahr für Jahr – Zeittabelle Jahr

Amiel, finanzielle Verhältnisse

Wirtschaft Genf/Schweiz

Wirtschaft / Politik allgemein

1846

Genfer Radikale unter James Fazy gelangen an die Macht

1847

Genf beginnt mit Schleifung der Schanzen

1848

Banque de Genève und Bundesstaat mit Caisse hypothécaire Regierungssitz und gegründet Parlament in Bern

1849

Preise/Löhne in Auswahl

Sonderbundskrieg endet mit Sieg der Unionstruppen

Dozentur an Académie, Schweiz schafft F 2000/Jahr Binnenzölle ab Bevölkerung Genf: CH-Frankenwährung 37’000; steiler Anstieg nach französischem bis 1870 (60’000) System eingeführt

1850

1851

Weltausstellung in London, Besuch Amiels

1852

CH baut Netz für Louis Napoléon als Telegraf; Genfer Börse Napoléon III. zum (erste der Schweiz) Kaiser gekrönt

1853

Gründung der Banque Générale Suisse GE, Berner Zeit wird «Bundeszeit»

1 Normtelegramm 0.80

1854 1855 Creditanstalt in Zürich gegründet

1856 1857

Grosser Publikumserfolg mit Lied Roulez, tambours!

Genf erhält Ringbörse

1858

1859

Amiel in Pension bei Schweiz akzeptiert Fanny: Kost und Logis Goldgeld aus dem F 1000/Jahr Franc-Bereich Bahnlinie Bodensee – Genfersee komplett

Neuenburger Krise, Preussen droht mit Intervention

Bahn Retourbillet Genf – Basel 2. Kl. 40, Vitznau – Rigi 10.50

Bahnlinien von Genf nach Lyon und Bern eröffnet

Zürich – Zug 3. Kl. 3.30 Oerlikon – Zürich 3. Kl. 0.50

Krieg in Norditalien; Österreich verliert Besitzungen

Preise Wohnen städt. 2-Fam.-Haus 40’000 Jahresmiete städt.

2-Z-Wg 300

166

Jahr für Jahr – Zeittabelle

Jahr

Amiel, finanzielle Verhältnisse

Wirtschaft Genf/Schweiz

Wirtschaft / Politik allgemein

Preise/Löhne in Auswahl

1860

Legt Einkommen für Gründung Haushalt mit mind. 7000 F fest; Trennung von Louise Wyder: keine Mitgift; Brand und Neubau Haus Rue Cendriers

«Savoyerkrise»; Bern entsendet Truppen nach Genf Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft: Jubiläum 50 Jahre in Glarus

Frankreich annektiert Savoyen

Jahreslöhne Dienstmädchen 600 Volksschullehrer 800 Fabrikarbeiter 1000 Beamter 1200–1600 Dozent an Hochschule 2000–4000 Pfarrer 3000–4000 Bundesrat 8400

1861

Mieterträge von Haus Rue Cendriers sind neu F 1800

Genfer Uhrenindustrie USA: Sezessionskrieg auf Höhepunkt, beschäftigt 3600 Personen, 80 Betriebe

Preise Lebensmittel 1 kg Weissbrot 0.40 1 L Milch 0.15 1 kg Kartoffeln 0.08 1 kg Äpfel/Birnen 0.20 1 kg Käse 1.40

Genf: MontblancBrücke eingeweiht, Pferdetram

1

1862

/2 kg Schokolade 1.50 1 kg Kirschen 0.50 1 kg Siedfleisch 0.10

1863

Ertrag Vermögen und Liegenschaften 4700 Dozentensalär 2400 Erwartete Mitgift 3000

1864

Steuern auf Einkommen und Vermögen: F 600

Genfer Konvention (Rotes Kreuz)

1865

Vermögen: F 100’000 Ertrag: 5700

Genfer Filialen von Crédit Lyonnais und Niederl. Kreditbank

1866

Legt Depot von F 12’000 in Gold an

Konkurs der Genfer Transatlantisches Kabel Banque Générale Suisse für Telegraf; Krieg Genfer Tagung der Preussen – Österreich Intern. ArbeiterAssoziation (IAA)

1867

0,7 L Cognac 3.50 1 L Qualitätswein 1.50 1 L Tischwein 0.15 Menü Restaurant 2–5

Konkurs mehrerer Genfer Handelshäuser Genf: 2. IAA-Kongress/Congrès de la paix

1 Dutzend Eier 0.60 1 L Bier 0.18 0,5 L Schnaps 0.50 Lateinische Münzunion Preise varia Pferdegespann 1000 mit CH, F, BE, I Herrenmantel 12–15 Eintritt Konzert 4.50 Tageszeitung 0.15 Gedichtband 1.50 Herrenstiefel 10–12 Briefmarke Ort 0.025 Haarfärbemittel 4.50

Billiguhr Roskopf 20 Konkurs der Crédit mobilier in Paris; Welt- 6 Bleistifte 0.50 Deodorant Flasche 1.50 ausstellung in Paris Vollpension/Tag in Hotel/Pension 5–7

1868 1869

GR tritt der Münzunion bei

1870

Preussisch-französischer Krieg

1871

1872

Bourbakitruppen inter- Niederlage Frankreichs, niert; Genfer Börse Pariser Kommune floriert Verliert F 10’000 bei Genf: «Alabama»Liquidation der Mines Schiedsgericht zwide Chapelle-sous-Dhun schen E und USA

20 Zigaretten 0.20 Omnibus Innenstadt 0.10 Kleiner Esstisch 20 Regenschirm 5

Jahr für Jahr – Zeittabelle Jahr

Amiel, finanzielle Verhältnisse

1873

Zum 2. Mal brennt Elternhaus Rue Cendriers ab Jahreslohn Académie beträgt neu F 3000

167 Wirtschaft Genf/Schweiz

Wirtschaft / Politik allgemein

Preise/Löhne in Auswahl

1874 1875

Total Vermögen 150’000

1876

Genf: Verkehrsverbot für Fahrräder in Stadt

1877

Eidg. Fabrikgesetz: 11-Stundentag

1878 1879

Genfer Place Neuve elektrisch beleuchtet

1880 1881

Tod Amiels (19.4.); hinterlässt Vermögen von ca. 180’000

1882

1883

«krach», Konkurs der Union générale in Lyon führt zu europaweiter Börsenkrise 35 Krisensitzungen an Genfer Börse Genf hat Telefonnetz

In Paris erscheint Auswahl aus Journal intime; Grosserfolg

Ortsgespräch 3 Min. 0.20

168

Register Alabama-Schiedsgericht 26, 142 Amiel, Fanchette (Tante) 52f.

Amiel, Henri-Frédéric Aphorismen 13f., 145; über Börse und Spekulation 125, 129–135; über Bürgertum 143–147; Dozent an Akademie 17, 31; Heiratspläne 45–56, 61f.; Jugend und Studium 11f.; Rolle Tagebuch 13f., 80f., 111; über technische Errungenschaften 155ff.; Träume rund um Geld 77ff.; Verhältnis zur Kleidermode 117–121; Verhältnis zur Zeit 102f., 108–117; Vermögensverhältnisse 72f.

Amiel, Henri (Vater) 16, 77, 90 Bakunin, Mikail 141 Balzac, Honoré de 34 Banknoten, frühe 95f.

Banque Générale Suisse 15, 79, 125–128 Böhmert, Victor 65f.

Bontoux, Eugène 137 Brandt, Caroline (Mutter) 77 Brandt, Julie (Tante) 33 Cherbuliez, André 34f., 64, 148 Cherbuliez, Sara 12, 146 Cherbuliez, Victor 37f., 110 Conzett, Verena 70 Corrodi, August 63 cotton famine (Baumwollkrise) 132f.

David, Jean-Elie 23, 69 Droin, Anna (Verlobte) 18 Dufour, Guillaume-Henri 24, 80, 90 Escher, Alfred 23 Favre, Marie (Freundin) 46, 82, 143f., 146 Fazy, James 11, 15, 23f., 79, 125–133 Francke, Hermann 109 Franklin, Benjamin 107 Freud, Sigmund 14, 80f.

Garibaldi, Giuseppe 141 Gemeinnützige Gesellschaft, Schweizerische 147–151 Genf Ausbau nach Entfestigung 23–27, 125f.; Bankenwesen 125–130, 136f.; Börse 15, 25, 123–137; Sozialistenkongresse 141f.; Uhrmacherstadt 103–107; Vororte mit campagnes 64f.; Währungssystem 89 Gide, André 13 Glocke, Die (Schiller) 36, 72 Grast, Franz (Komponist) 36 Grosjean-Bérard, Simon (Financier) 82f.

Guillermet, Franki (Schwager) 12, 17, 31, 45, 48, 64, 144

Heim, Albert 35 Herminjard, Aimé 36f.

Hofmannsthal, Hugo von 13 Hornung, Joseph 36f., 48 Hotellerie, Schweizer 70ff.

Hymne à Genève (Amiel) 36, 38 Ivanhoe (Scott) 34 Journal de Genève 24, 35f., 67, 101 Jullien, Marc-Anton 109, 116 Jung, Carl Gustav 80 Lateinische Münzunion 92ff.

Lebenskosten 62–71 London, Weltausstellung 1851 17 Maggi, Julius 151 Mercier, Fanny 18 Messerli, Jakob 101 Meyer-Ahrens, Conrad 71, 104 Mode und Geld 117–121 Monnier, Marc 35, 102, 110 Moser, Heinrich (Schaffhauser Industrieller) 64, 154 Moser, Sophie 64, 154f.

Napoleon III. (Louis Napoleon), französischer Kaiser 26, 83, 92f.

Nietzsche, Friedrich 13 Pereire, Jacob und Isaac 126, 128 Perrier, John 26 Preise und Löhne 62–71 Roskopf-Uhr 69, 103 Rothschild, James de 128 Roulez, tambours! (Lied Amiels) 12 Savoyerkrise 25f.

Schenk, Carl (Bundesrat) 63 Scherer, Edmond 13, 37 Schuler, Fridolin 149f.

Scott, Walter, Ivanhoe 34 Semper, Gottlieb 113 Simmel, Georg 81 Stroehlin, Jean-Baptiste (Schwager) 144 Tanner, Albert 49f., 63, 66f.

Thibaudet, Albert (Biograf Amiels) 47 Tolstoi, Leo 13 Vadier, Berthe (Freundin) 18 Valentin, Gustav 62, 64, 66 Vaucher, Henriette 12 Vischer, Friedrich Theodor 112f.

Wyder, Louise (Freundin) 46, 51–55, 62, 105 Zeit und Geld 101f.

Zeitmessung 103–107 Zeitnutzung 101f., 107–109