Vortrags- und Diskussionszyklus «Überschuldete Staaten: Was folgt auf den Pumpkapitalismus?»
Der Euro ist tot. Es lebe der Euro! Schlussbericht zu Albrecht Ritschls Vortrag vom 8. November 2012
Über kein Thema ist in den letzten vier Jahren so oft spekuliert worden wie über das Ende des Euro. Indes: Es gibt ihn immer noch, wie der profilierte Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl von der London School of Economics ausführte – jedoch bereits in einer dritten Version. Vom Stabilitätsgaranten über den «Goldstandard» zur «Massenware» bleibt ihm aber nur der Weg zurück: zu einem stabilitätsorientierten System und angepassten Institutionen. «Totgesagte leben länger» – mit diesen Worten eröffnet Albrecht Ritschl seine Ausführungen. Gleich zu Beginn räumt er mit dem Mythos auf, der Euro sei das Ergebnis der deutschen Wiedervereinigung oder gar eines mehr oder weniger dunklen deutsch-französischen Kuhhandels, denn die wichtigen politischen Weichenstellungen stammen aus dem Frühling und Sommer von 1989. Die Gründungsakten der Währungsunion sahen zwei Modelle vor: zum einen eine starke EZB auch als zentrale, europaweite Bankenaufsicht, zum andern eine strenge Fiskalpolitik samt NoBailout-Klausel. Vom ersten Modell wurde nur die Hälfte umgesetzt; sie wird nun, mit der Idee der Bankenunion, gleichsam zu Ende geführt. Das zweite Modell, die Fiskalpolitik, basierte auf den Maastricht-Kriterien – der Begrenzung der Defizit- bzw. Staatsschuldenquoten auf 3 bzw. 60 Prozent einerseits und der No-Bailout-Klausel andererseits. Letztere hätte zu Beginn deutlicher nicht sein können: Kein Staat sollte für Schulden eines anderen Staates haftbar gemacht werden können. Der Vertrag von Maastricht vertraute auf Exante-Wohlverhalten und darauf, dass Kapitalmärkte bezüglich der Staatsschulden die richtigen Signale setzen und Ausfallrisiken rechtzeitig ankündigen würden. Diese Einschätzung erscheint nicht nur mit Blick auf die Erfahrungen der letzten Jahre blauäugig; auch aus wirtschafts- und finanzhistorischer Sicht
Wenn es eine Regelmässigkeit bei Schuldenkrisen gebe, so sei es das Unvermögen von Kapitalmärkten, die Ausfallrisiken richtig einzupreisen, lautete eine der Schlussfolgerungen von Albrecht Ritschl.
ist dies kaum nachvollziehbar: «Wenn es eine Regelmässigkeit bei Schuldenkrisen gibt, so ist es das Unvermögen von Kapitalmärkten, die Ausfallrisiken richtig einzupreisen», so Ritschl. «Gute Schuldner sind oft genug bereit, hohe Zinsen zu zahlen, weil sie hochproduktive Projekte haben. Aber schlechte Schuldner sind auch bereit, hohe Zinsen zu zahlen, weil sie im Zweifelsfall ihre Zahlungen einstellen.» Schliesslich mangelt es an Sanktionen: «Weil man heutzutage den säumigen Schuldner nicht mehr in den Schuldturm wirft und auch die Kanonenbootpolitik des 19. Jahrhunderts gegenüber säumigen Schuldnerländern aus der Mode gekommen ist, kann ein schlechter Schuldner mit seiner Zahlungseinstellung sogar einigermassen ungestraft davonkommen.» Schuldenmachen ist in Zeiten des Pumpkapitalismus kein Vergehen mehr. In einer idealen Welt hätte dieser Euro funktioniert: Die Staaten hätten moderate Schulden gehabt, wären durch
Kapitalmärkte gewarnt bzw. mit Zinsaufschlägen bestraft worden, und Brüssel hätte interveniert. «Doch», zitiert der Referent Bertolt Brecht: «die Verhältnisse, die sind nicht so.» Zumindest bedarf es zur glaubhaften Durchsetzung einer No-Bailout-Klausel klarer Exempel. Ein Beispiel dafür findet Ritschl in der Walliser Gemeinde Leukerbad, die 1998 illiquid geworden war und dann keine Stützungsmassnahmen erhielt; sie wird erst im Jahr 2021 wieder schuldenfrei sein. Im Euroraum fehlt bisher ein solches Exempel. Man kann, so Ritschl, «das allgemeine Absinken der Zinsen auf südeuropäische Staatsanleihen in den 2000er-Jahren auf Sätze nahe an denen Deutschlands kaum anders erklären als durch die Unglaubwürdigkeit der No-Bailout-Klausel» – womit die niedrigen Zinssätze im Nachhinein auch für wirtschaftsschwache Eurostaaten als rational erscheinen. Der Sündenfall in der Währungsunion ist jedoch nicht in Griechenland oder