Chiles Salpeter: Handel und Krieg

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Cóndor

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Über den Abbau von Salpeter und dessen Bedeutung in Chiles Geschichte sind eine ganze Reihe von Büchern erschienen, so zum Beispiel Salitre, harina de luna llena von der Journalistin Ana Victoria Durruty. In dem 332 Seiten starken Werk über das «Mehl des Vollmondes» aus dem Jahr 1993 geht die Autorin auf die Gründung der ersten Unternehmen zum Abbau von Salpeter ein, die Verstaatlichung und spätere Reprivatisierung. Der bekannte chilenische Schriftsteller Volodia Teitelboim beschreibt in dem Buch Hijo de salitre das Leben des sozialistischen Führers Elías Lafertte und den Arbeiteraufstand von Santa María de Iquique im Jahr 1907. Alejandro Soto Cárdenas wiederum analysiert in Influencia británica en el salitre den Einfluss britischer Unternehmen im chilenischen Salpetergeschäft. Der Fotoband Fotografía del salitre von Guillermo Burgos Cuthbert (Text) und Humberto Ojeda Ruminot (Fotos) rekonstruiert anschaulich den Salpeterboom in Antofagasta und Tocopilla. Allein schon diese Buchtitel belegen, dass es sich bei Salpeter mehr als nur ein Rohstoff aus der Natur handelt. Sein Abbau hat in Chile soziale, politische und kulturelle Umwälzungen bewirkt. Um das wundersame Mineral wurde der sogenannte Pazifikkrieg geführt, das «weiße Gold» avancierte im 19. Jahrhundert zum wichtigsten Devisenbringer des Landes und bestimmte mehrere Jahrzehnte lang Wirtschaft und Fortschritt. Auf die Abhängigkeit von dieser Ressource folgte das Ende des Booms durch die Entdeckung der Formel des synthetischen Salpeters im Jahr 1909.

13 Nr. 3896 : Jahrgang 73 : 25. Juni 2010

Bicentenario: Der Salpeterhandel (Teil I)

Ein wundersamer Stoff mitten in der Wüste Fotos: Privat

ie schon bei unserer Serie über die Ureinwohner Chiles soll in den folgenden Ausgaben auf einen weiteren bedeutenden Aspekt in der Geschichte des Landes eingegangen werden: der Salpeterhandel. Anlässlich der 200-Jahrfeier, dem Bicentenario, geht der Blick zurück auf den Salpeterkrieg, die florierende Segelschifffahrt zwischen Chile und Europa zum Transport des «weißen Goldes» sowie die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, die der Boom dieses Rohstoffes für das Land mit sich brachte.

Geschichte

Die Atacama-Wüste in Nordchile ist eine der größten natürlichen Lagervorkommen von Nitraten.

Natriumnitrat Beim Wort Salpeter handelt es sich um einen Trivialnamen, der sich aus dem Lateinischen von sal petrae, also Felsensalz, ableitet und ein Sammelbegriff von mehreren Nitraten ist. Diese können in der Natur auf unterschiedlichen Wegen entstehen, so zum Beispiel in trockenen, heißen und vegetationslosen Gebieten bei biochemischer Zersetzung organischer Stoffe wie Guano und Exkrementen von Tieren sowie Algen und Stickstoffbakterien. In früheren Zeiten wurde Salpeter daher aus dem Erdboden von Ställen und Wohnhäusern gewonnen, weil er sich dort aus dem im Boden vorhandenen Kalk und den Nitrat haltigen Exkrementen und Urin der Tiere sowie Menschen bildete. Das wichtigste natürlich vorkommende Nitrat stellt das Natriumnitrat dar. Große Fundorte gibt es in Ägypten, in der Türkei, Kalifornien und Kolumbien. Doch das bedeutendste Lagervorkommen ist Chile, so dass daher auch der Trivialname Chilesalpeter entstand. Das Natriumsalz der Salpetersäure liegt in reinem Zustand als weiße Substanz oder als farblose Kristalle vor und wird unter anderem als Düngemittel verwendet.

Das Natriumsalz der Salpetersäure liegt als weiße Substanz vor.

Ungeahntes Pflanzenwachstum Die Inkas und Aymaras scheinen die ersten gewesen zu sein, die Salpeter zu diesem Zweck verarbeiteten. Wo sich heute die I. und II. Region in Nordchile erstreckt, holten sie in 40 Zentimeter bis zwei Meter Tiefe Ablagerungen hervor, die in Chile und Peru als caliche bezeichnet werden und unter dem normalerweise ein Gemisch aus Kalziumkarbonat mit Sand, Lehm und Kies verstanden wird. Bezogen auf die Atacama-Wüste sind damit aber die Nitrat-Depots mit Gips und Salzen gemeint. Der Legende nach entfachten zwei Indianer in der weiten und einsamen Landschaft ein Lagerfeuer und entdeckten dabei, dass der Boden darunter zu glühen anfing. Sie brachten ein paar dieser merkwürdigen Steine mit zu ihrem Dorf, wo sie allerdings im Gestrüpp liegen gelassen wurden. Zu ihrer Verwunderung stellten sie später fest, dass im näheren Umfeld der abgelegten Steine mehrere Pflanzen kräftig gewachsen waren. Das neue Düngemittel fand rasch im Inkareich Verwendung, und auch die Spanier brachten das Mineral für ihre Landwirtschaft nach Europa. Es war unter anderem Kaiser Joseph II., der 1789 der spanischen Regierung empfahl, den deutschböhmischen Universalgelehrten Thaddäus Haenke als begleitenden Naturwissenschaftler auf einer Pazifik-Expedition und den Küstenregionen mitzunehmen. Bei einer Reise durch die Atacama-Wüste zeigte sich Haenke verblüfft: «Im Gebiet von Tarapacá findet man Gold- und Silberminen, Kupfer, Blei, Eisen, Schwefel, Mangan, Salpeter (Nitro) und Salze. Die Zahl der Adern, die hier streichen, ist groß, erstens wegen der von Salzen bedeckten Oberfläche und zweitens, weil es keinen Regen gibt, der sie befruchtet.» Haenke entdeckte 1809 als erster das Verfahren zur Umwandlung von Chilesalpeter und Kaliumchlorid zu Kalisalpeter, indem er ihn mit Asche von Kakteen und Tang auslaugte. Nur ein Jahr später

entstanden in Peru die ersten Salpeter-oficinas. Mit der Entdeckung der großen Naturvorkommen von Salpeter in Chile verlor der Salpetersiederberuf auf dem alten Kontinent seine strategische Bedeutung. Die europäischen Mächte waren an der Ausbeutung der riesigen Lagerstätten aus zwei Gründen interessiert. Der Chilesalpeter konnte zum einen als Sauerstoffspender im Sprengsalpeter, eher bekannt als Schwarzpulver, verwendet werden. Das Schießpulver blieb bis zur Erfindung der modernen Sprengstoffe der einzige militärische und zivile Explosivstoff

keit dieses Gebietes war seit den Unabhängigkeitserklärungen in Südamerika und den neu gebildeten Staaten Chile, Peru und Bolivien umstritten. In einem Vertrag von 1866 kamen Chile und Bolivien überein, einen Streifen zwischen dem 23. und 25. Breitengrad gemeinsam zur Ausbeutung zu nutzen. Bolivien verfügte aber nicht über die erforderlichen Mittel, um Minen anzulegen und sie zu betreiben. Das Land erhob 1874 Einspruch gegen das Abkommen, woraufhin Chile sich bereit erklärte, den 24. Breitengrad – etwas unterhalb von Antofagasta – als Grenzverlauf festzulegen. Eine Bedingung war aber dabei, dass Bolivien von den in seinem Territorium ansässigen chilenischen Firmen 25 Jahre lang keine Steuern und Zölle erheben dürfte. Im Jahre 1877 richtete ein Seebeben schwere Zerstörungen in der Küstenregion an. Zur Finanzierung des Wiederaufbaus beschloss die bolivianische Regierung 1878 entgegen dem Vertrag eine Sondersteuer. Firmen wie das damals größte Salpeterunternehmen, die Compañía de Salitre y Ferrocarril, die mehrheitlich in britischchilenischem Eigentum stand, sollten somit zehn Centavos auf jeden abgebauten Zentner Salpeter zahlen. Chile sah hierin einen Verstoß gegen die Abmachung von 1874 und legte Protest ein. Bolivien verzichtete daraufhin zunächst auf die Erhebung der Steuer, nahm das Gesetz aber nicht zurück. Im Februar 1878 beschloss Bolivien angesichts einer Finanznot nach einem Dürrejahr und der nur langsamen

Der deutsch-böhmische Gelehrte Thaddäus Haenke

und Treibmittel für Artillerieund Handfeuerwaffen. Zum anderen hielt in Europa die landwirtschaftliche Produktion der steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln aufgrund des Bevölkerungswachstums nicht stand. Die Böden waren ausgelaugt, und somit wurde Salpeter als Düngemittel zum Exportschlager für das industrialisierte Europa. Zankapfel Salpeter Da die Salpeter-Lagerstätten in der Atacama-Region zu jener Zeit die einzige Quelle für größere Mengen dieser reichhaltigen Stickstoffverbindungen war, ergaben sich zwangsläufig Konflikte um den begehrten Rohstoff. Denn die Zugehörig-

Beseitigung der Erdbebenschäden, die Steuer doch von der profitablen Salpeterindustrie einzutreiben, und zwar rückwirkend ab 1874. Im Januar 1879 enteignete Bolivien die chilenischen Salpeterunternehmen, nachdem diese sich mit Verweis auf den Vertrag geweigert hatten, die Steuer zu bezahlen, und bot sie zum Verkauf an den Meistbietenden an. Chile erachtete dies als offenen Bruch des Vertrages von 1874, gleichbedeutend mit der Annullierung. Diplomatische Verhandlungen scheiterten, und Chile war nicht bereit still zu halten. Arne Dettmann

Fortsetzung folgt


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