Wika-Report Band 2

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ifa-Edition Kultur und AuĂ&#x;enpolitik

Kulturelle Faktoren der Geopolitik WIKA-Report (Band 2)


WIKA-Report (Band 2) Kulturelle Faktoren von Geopolitik Herausgegeben von Gerd Ulrich Bauer und Bernd Thum in Kooperation mit dem ifa (Institut f端r Auslandsbeziehungen), Stuttgart und Berlin


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Impressum

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Der WIKA-Report ist gefördert durch das

Wissenschaftlicher Initiativkreis Kultur und

ifa (Institut für Auslandsbeziehungen).

Außenpolitik (WIKA) http://www.ifa.de/wika

Herausgeber Gerd Ulrich Bauer und Bernd Thum

Vorsitzende:

in Kooperation mit dem

Prof. Dr. Caroline Robertson-von Trotha

ifa (Institut für Auslandsbeziehungen),

Karlsruher Institut für Technologie – KIT,

Stuttgart und Berlin

ZAK | Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale, Rüppurrer Str. 1a,

Redaktion und Lektorat

Haus B, D–76137 Karlsruhe

Gerd Ulrich Bauer

caroline.robertson@kit.edu

Gudrun Czekalla Dorothea Grassmann

Geschäftsführung: ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)

Satz und Gestaltung

Gudrun Czekalla

Gerd Ulrich Bauer

Charlottenplatz 17, D-70173 Stuttgart wika@ifa.de

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Charlottenplatz 17

Texte stammen von den Herausgebern Bernd

D–70173 Stuttgart

Thum [BT] und Gerd Ulrich Bauer [GUB].

Postfach 10 24 63 D–70020 Stuttgart info@ifa.de www.ifa.de © ifa 2014 ISBN 978-3-921970-73-7


3

INHALTSVERZEICHNIS Grußwort von Dr. Heinrich Kreft, Botschafter und Beauftragter für Außenwissenschaftspolitik, Bildung und den Dialog

zwischen den Kulturen im Auswärtigen Amt

7

Vorwort von Ronald Grätz, Generalsekretär

des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) 10

A. Schwerpunktthema Kulturelle Faktoren von Geopolitik

– Dokumentation des WIKA-Workshops 2013, 18./19. Juli 2013, Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft (ZAK) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) Kulturelle Faktoren von Geopolitik:

WIKA-Workshop 2013 13 von Caroline Robertson-von Trotha (Karlsruhe) und Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg) Eine Geopolitik funktionaler Räume

Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

17

Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte

36

von Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)

von Sarhan Dhouib (Kassel)

Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und

Möglichkeiten einer deutschen Auswärtigen Kultur- und

Bildungspolitik aus historischer Sicht von Kurt Düwell (Düsseldorf)

Politische Handlungsräume durch Medienkommunikation?

Public Diplomacy unter der Obama-Administration von Henrike Viehrig (Bonn)

46

60


4

Chinas Geopolitik und ihre kulturelle Unterstützung von Falk Hartig (Frankfurt am Main)

64

Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit

und die Rolle der Luftfahrt 70 von Kurt Möser (Karlsruhe)

Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum: Raumwahrnehmungen

deutscher Reisender in Sizilien im 18. und 19. Jahrhundert

81

Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise

87

von Rubina Zern (Heidelberg)

von François de Bernard (Toulouse/Paris)

Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus.

Eine wissensgeschichtliche Perspektive 94 von Christine Isabel Schröder (Bochum)

Geopolitik und Kultur: Von der Dominanz westlicher Kultur zu einem kulturellen Multizentrismus und einem globalen Wettbewerb um Soft Power von Heinrich Kreft (Berlin)

100

B. Berichte aus dem WIKA Ein neuer Vorstand für den WIKA. Mitgliederversammlung

und Vorstandswahlen vom 29. November 2013

106

C. Forum – Eigenständige Beiträge Außenpolitik auf Graswurzelebene. Auswärtige Kultur- und Informationspolitik als Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft von Reinhild Kreis (Mannheim)

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch:

108

das Beispiel Myanmar 112 von Anna Kaitinnis (Hannover)


5

D. Dokumentation MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen. Geschichte und Zukunft einer transnationalen Initiative von Gottfried Wagner (Wien)

120

Diskussion: „Vom Raum des Wissens zum Raum des Handelns“.

Anmerkungen zu Bernd Thum: „Ein Euro-Mediterraner Wissens-

und Handlungsraum als strategisches Ziel“ (WIKA-Report Band 1) von Armin Triebel (Berlin)

127

Karl Lamprechts Rede „Über auswärtige Kulturpolitik“ (1912). Eine Würdigung anlässlich der hundertsten Wiederkehr

ihres Jahrestags 131 von Gerd Ulrich Bauer (Bayreuth/Bad Vilbel)

Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)

137

Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union.

Bericht der Konferenz „Culture in EU External Relations“

in Brüssel, 7./8. April 2014, und kurzer Kommentar

146

Rezensionen

156

von Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)

Auswahlbibliografie 168 zusammengestellt von Gudrun Czekalla

Der WIKA stellt sich vor

179


6

GRUSSWORT


7

GRUSSWORT Die Welt befindet sich im Umbruch. Die Globalisie-

Respekt vor der Kultur des Anderen, erreichen wir

rung lässt bisherige Gewissheiten rapide schwin-

Menschen unmittelbar und gewinnen sie für unser

den. Gewohnte Koordinatensysteme verlieren an

Land, unsere Werte und unsere Ideen. Dazu gehö-

Aussagekraft, die Suche nach Orientierung in der

ren auch Fragen der Religionsfreiheit und der Tole-

neuen Unübersichtlichkeit hat zugenommen. Wir

ranz.

sehen, wie sich neue Kraft- und Machtzentren etab-

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist ein

lieren. Wir erleben eine geradezu inflationäre Häu-

wesentliches Element der Außenpolitik und unter-

fung sogenannter Jahrhundertereignisse und eine

stützt deren zentrale Ziele:

ungekannte Beschleunigung vieler Entwicklun-

Europa stärken,

gen, angetrieben vor allem durch eine global ver-

Frieden sichern,

netzte Kommunikation, die Reaktionszeiten aller

t raditionelle Beziehungen pflegen und neue

Akteure herabsetzt. Globale Gewichte verschieben

aufbauen.

sich. Wirtschaftlich erstarkte Mächte beanspru-

Die AKBP leistet ihren Beitrag zur Umsetzung die-

chen mehr politische Mitsprache. In den großen

ser Ziele, indem sie:

Kraftzentren entstehen Mittelschichten, deren

Dialog, Austausch und die Zusammenarbeit

Verhalten das Geschehen der nächsten Jahrzehnte

zwischen Menschen und Kulturen fördert,

wesentlich prägen wird. Wir sind Zeugen revolu-

Partner und Freunde in anderen Ländern

tionärer Umbrüche und einer historischen Zäsur

gewinnt, Netzwerke von Menschen bildet und

in den arabischen Ländern. In der globalisierten

stärkt, die an Deutschland, seinen Ideen und

Welt von heute wird die weltweite kommunika-

Werten interessiert und in Politik, Wirtschaft,

tive Vernetzung immer dichter. Gleichzeitig ver-

Wissenschaft, Kunst oder in den Medien ihrer

ringert sich Deutschlands ‚natürliches‘ Gewicht in der Welt. Während wir noch 1950 nach der Bevöl-

Länder unsere langfristigen Partner sind, •

ein positives und wirklichkeitsgetreues

kerungszahl der weltweit siebtgrößte Staat waren,

Deutschlandbild im Ausland vermittelt,

liegt unser Land heute auf Platz 15 und wird bis

für den Wirtschafts-, Wissenschafts- und

zum Jahr 2050 auf Rang 26 zurückfallen. Die Ein-

Innovationsstandort Deutschland wirbt,

wohnerzahl Deutschlands wird sich in den nächs-

Beiträge zur Lösung regionaler und lokaler

ten Jahrzehnten um mindestens 10 Millionen Men-

Konflikte leistet, insbesondere dort, wo sie

schen verringern, der Anteil der über 65-Jährigen

auf kulturelle, religiöse oder weltanschau-

auf über 30 Prozent steigen. Seriösen Prognosen zufolge könnte Deutschland als Wirtschaftsmacht seinen angestammten führenden Platz bis 2050

liche Gegensätze zurückzuführen sind, •

Menschen nach Deutschland bringt, die temporär oder dauerhaft hier bleiben wollen.

verlieren und nicht nur von China, sondern auch

Mit den drei Pfeilern der AKBP, den 1.780 Schulen

von Indien, Brasilien, Russland und weiteren Staa-

im Partnerschulnetzwerk, den 159 Goethe-Institu-

ten überholt werden.

ten (GI) und den jährlich über 40.000 geförderten

Es geht für Deutschland darum, Einfluss in der

ausländischen Studierenden und Akademikern

Welt zu sichern und die Globalisierung verantwort-

des Deutschen Akademischen Austauschdienstes

lich mitzugestalten. Die Auswärtige Kultur- und

(DAAD) und der Alexander von Humboldt-Stiftung

Bildungspolitik (AKBP) kann als Cultural Diplomacy

(AvH) erreichen wir Hunderttausende überwiegend

mehr denn je einen substanziellen Beitrag dazu

junge Menschen in aller Welt.

leisten. Mit den Instrumenten der Bildung, des

In den Transformationspartnerschaften, die

Austauschs und des Dialogs sowie mit dem part-

Deutschland 2011 den Ländern des arabischen Auf-

nerschaftlichen Ansatz, geprägt vom gegenseitigen

bruchs angeboten hat, setzen wir vor allem auf die


8

Instrumente der AKBP. Die Förderung von Kultur, Medien und vor allem Bildung ist essenziell, um den Boden zu bereiten und Freiräume zu schaffen für die dauerhafte Verankerung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in dieser wichtigen Nachbarregion Europas. Will Deutschland seinen Einfluss in der Welt behaupten und die Globalisierung verantwortlich mitgestalten, müssen wir die Kräfte bündeln und noch stärker auf eine Außenpolitik setzen, die Kultur einbindet.

Dr. Heinrich Kreft

Botschafter und Beauftragter für Außenwissen­

schaftspolitik, Bildung und den Dialog zwischen den Kulturen im Auswärtigen Amt, Berlin


9

VORWORT


10

VORWORT Seit es Menschen auf dieser Erde gibt, handeln sie

Wir leben nicht mehr im Zeitalter langfristige

geopolitisch, das heißt in überspitzter Deutlichkeit,

Veränderungen bringender Eroberungskriege. Die

der Stärkere verfolgt die Strategie, Territorien zu

Geschichte hat uns die Erkenntnis vermittelt, dass

erobern, und das Ziel, so die eigene Macht durch

wir gemeinsame Sicherheit nur durch gemeinsame

Herrschaft über materielle und menschliche Res-

Abhängigkeiten herstellen können (das beste Bei-

sourcen zu vermehren. Geopolitik im traditionellen

spiel hierfür ist die EU). Dies verschafft der Kultur

Sinne versucht die geografische Lage von Regionen

als Element und Faktor der Konfliktbearbeitung

und Kontinenten politisch zu deuten. Es geht um die

wie auch der konstruktiven Verbindung der politi-

Logik der Machtausdehnung, die naturgegeben eine

schen Akteure eine hervorragende Bedeutung.

Vereinheitlichung nach sich zieht und dazu neigt,

Das Verhältnis von Kultur und Geopolitik erfor-

die verschiedenen geografischen, historischen und

dert angesichts des Misserfolgs militärischer Ope-

kulturellen Räume auf wenige Orientierungslinien

rationen ein neues Denken geopolitischer Katego-

zu reduzieren. Geopolitik, so verstanden, ist oft der

rien. Sicherlich war die totale Überwachung durch

Kern internationaler Beziehungen.

die NSA (und anderer) eine neue Art der Geopolitik

Bei gewalttägigen Auseinandersetzungen fühlen

– die nächsten (hoffentlich nie eintretenden) Kriege

sich oft gerade geopolitische Strategen bestätigt, statt

werden eher mit Software und von Hackern als mit

zu sehen, dass sie mitunter die Hauptursache der

militärischen Waffen gewonnen. Information und

Konflikte sind. Die dadurch bewirkte Dynamik ist so

ihre Steuerung ist nach dem Alphabet die zweite

komplex geworden, dass wir nicht mehr nur von klas-

Welle, die bis in die kulturellen, ökonomischen

sischen strategischen Interessen ausgehen dürfen,

und politischen Fundamente der Gesellschaft

sondern nach der Bedeutung von Kultur als Macht-

reicht, und zwar durch Speicherung.

faktor (Soft Power) von Geopolitik fragen müssen.

Aus Kultursicht wird man Daten anders zusam-

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler

menfügen: zu einem Konflikten rechtzeitig entge-

Samuel P. Huntington – er muss in diesem Zusam­

gensteuernden, ein Bewusstsein von Gemeinsam-

menhang erwähnt werden – thematisierte in sei-

keit fördernden Kulturwissen. Dabei sollte man,

nem Buch „The Clash of Civilizations and the Remaking

Bernd Thum folgend, von „funktionalen Räumen

of World Order“ (1998) die Bedeutung von Kulturen

verdichteter Kommunikation, Interrelation und

als geopolitische Akteure, wobei religiöse, geografi-

Interaktion ausgehen, von Fragen des gemeinsa-

sche, politische Kategorien, Identitäts- und Sprach-

men geschichtlichen Erbes, des aufeinander bezo-

kategorien auf sträfliche Art und Weise vermischt

genen Handelns, des gemeinsamen Wissens, der

und zu einem allzu simplen Schema reduziert wur-

gemeinsamen Geschichte“, um auf diese Weise

den. Aber wir sollten kritisch darüber nachdenken,

„zumindest zu anderen Motiven und Ursachen geo-

ob kulturelles Denken und eine Analyse von Geo-

politischen Handelns zu kommen, vielleicht sogar

politik aus kultureller Sicht der Diskussion nicht

zu Alternativen hierzu“.1

etwas Entscheidendes beisteuern kann und in Zei-

Nach diesen Alternativen fragt die vorliegende

ten der Globalisierung über die variable Geomet-

Publikation, und so wie wir uns in der Europä-

rie von Allianzen hinaus die herkömmliche, stets

ischen Union in der Diskussion um das Ende des

konfliktträchtige Geopolitik verändern könnte. In

Nationalstaats und um seine Alternativen befin-

einem so veränderten Konzept von Geopolitik käme

den und wir als Kulturmittler eine andere Land-

dem Kulturdialog eine wesentliche Rolle zu, weil er

karte, die eines Europas der Kulturen zeichnen,

verweisen könnte auf die friedensstiftende und ver-

so ist auch global insbesondere das gemeinsame

bindende Macht der Verständigung und des gegenseitigen Verständnisses.

1  Mündliche Stellungnahme von Bernd Thum auf dem WIKA-Workshop 2013 in Karlsruhe.


11

WIKA-Report (Band 2)

Kulturwissen von Regionen vielleicht die Basis

Kulturarbeit ist Friedensarbeit und der kultu-

und der Boden, auf dem ein neues Sozialkapital,

relle Dialog die beste Alternative zu herkömmli-

ein neuer Modus der Bearbeitung von Missver-

cher Geopolitik, denn er setzt auf Verständigung

ständnissen und der Erlangung von Verständnis,

und Verstehen, auf Akzeptanz von Unterschieden

eine gemeinsame Referenz und somit veränderte

und der Entdeckung des Gemeinsamen, er setzt auf

Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung von Welt

Kooperation und Anerkennung.

erreicht werden kann. Wenn traditionelle kulturelle Zuweisungen bisher stets vor dem Raster des Staates und von seinen

Dies ist der Auftrag und das Ziel, das sich das ifa setzt, und deshalb ist dieses Thema eines der zentralen Handlungsfelder des ifa.

machtpolitischen und ökonomischen Interessen her

Dass der WIKA auf seinem Workshop 2013 die

gesehen wurden, mitunter auch im Zusammenhang

Relevanz der kulturellen Faktoren von Geopoli-

mit Hegemoniebestrebungen von Religionen, so

tik deutlich gemacht hat, freut mich daher beson-

kann das Bewusstsein eines gemeinsamen Kultur-

ders. Ich wünsche der vorliegenden Publikation

wissens vielleicht eine starke globale kulturelle Iden-

eine große Leserschaft und bin mir sicher, dass

tität herstellen, die sich vor allen Dingen als Kom-

das Thema Geopolitik auch weiterhin Forscher

munikation mit der Welt versteht und sich nicht

und Praktiker auf dem Feld der internationalen

ständig aufgefordert sieht, sich gegen andere durch-

Kulturbeziehungen beschäftigen wird. Prof. Dr.

zusetzen. Dies könnte dazu führen, dass Geopolitik

Bernd Thum und Dr. Gerd Ulrich Bauer danke ich

im herkömmlichen Sinn nicht mehr gewollt wird.

für die umsichtige Herausgabe und Redaktion des

Wenn Kultur die Basis von Geopolitik wird,

vorliegenden WIKA-Reports. Mein Dank gilt auch

dann muss auch Politik in ihrem Handeln, das sich

der WIKA-Vorsitzenden, Prof. Dr. Caroline Robert-

bisher auf die Herstellung von Macht konzen­t rierte,

son-von Trotha, die gemeinsam mit Prof. Dr. Bernd

auf Herstellung einer nachhaltigen Ordnung sozia-

Thum den Workshop konzipiert und ausgerichtet

len und menschlichen Zusammenlebens zielen. So

hat. Den Referenten und Teilnehmern danke ich

kann man zugleich auch Kultur verstehen.

für ihre klugen Beiträge und die anregenden Dis-

Kulturwissen als Grundlage politischen Han-

kussionen.

delns wäre eine radikale Neuorientierung. Das ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) als Kompetenzzentrum zu Fragen des Verhältnisses zwischen Kultur und Außenpolitik analysiert kulturelle Aspekte politischen Handelns ebenso wie politische Aspekte kulturellen Handelns und sieht die Wechselbeziehungen zwischen Politik und Kultur, und hier konkret zwischen Auswärtiger Kulturpolitik und Macht, als Schlüssel zur Möglichkeit eines friedlicheren Zusammenlebens und einer fruchtbareren Bearbeitung von Konflikten. Nicht erst der erweiterte Kulturbegriff führte uns dazu, Kultur als Summe aller Ausdrucksformen gesellschaftlichen Zusammenlebens zu verstehen, sondern auch die engen Beziehungen zwischen Kultur und Konflikt, Kultur und Entwicklung, Kultur und Menschenrechten, Kultur und Ökologie und nicht zuletzt zwischen Kultur und Geopolitik zu sehen.

Ronald Grätz

Generalsekretär des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)


12

A. SCHWER足PUNKT足 THEMA Kulturelle Faktoren von Geopolitik Dokumentation des WIKA-Workshops 2013, Karlsruher Institut f端r Technologie (KIT)


13

Diese werden als Soft Power genutzt, um durch

Kulturelle Faktoren von Geopolitik: WIKA-Workshop 2013

kulturelle Attraktivität, möglichst überzeugende Diskurse und ein gutes Informationsmanagement Einfluss auszuüben. Das Militärische tritt im Ganzen eher in den Hintergrund oder wird verschleiert. Kulturelle Faktoren werden genau bedacht und mehr oder weniger machtvoll ins Spiel gebracht. Kooperative Kultur-, Bildungs-, Wissen-

von Caroline Robertson-von Trotha (Karlsruhe) und Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)

schafts- und Austauschprogramme sind subtilere Instrumente von Soft Power. Einige Staaten setzen mit Medienbeeinflussung, Kommunikationsüber­ wachung und Kommunikationsanalyse im ‚Ziel-

Der Wissenschaftliche Initiativkreis Kultur und

land‘ auch gröbere Mittel ein. Wie kann man alle

Außenpolitik (WIKA) ist eine Einrichtung des ifa

diese In­strumente nutzen, wie werden sie genutzt,

(Institut für Auslandsbeziehungen), Stuttgart und

um politisch-gesellschaftliche Räume verstärkter

Berlin. Seine Aufgabe ist es, Auswärtige Kultur-

Einflussmacht zu schaffen und zu sichern? Die Bei-

und Bildungspolitik in Deutschland und Europa,

träge im Themenschwerpunkt dieses Bandes versu-

aber auch im größeren, globalen Maßstab wissen-

chen Antworten zu geben.

schaftlich zu begleiten: durch praxisrelevante For-

Geopolitik ist eine Form von Politik. Was ist

schung, aber auch durch Klärung der theoretischen

Politik? Das Wort ‚Politik‘ ist abgeleitet vom Begriff

Grundlagen von Außenkulturpolitik. Zum Selbst-

der ‚Polis‘, dem Bürgerverband des alten Griechen-

verständnis des WIKA gehört ebenso die Erarbei-

lands, der sich durch Freiheit und Gleichheit sei-

tung von Konzepten und, wie es in seiner Selbst-

ner Mitglieder auszeichnete und sich selbst eine

darstellung heißt, von „innovativen Modellen einer

Ordnung für deren Zusammenleben schuf. Dieser

künftigen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik

Semantik entsprechend war für den WIKA-Work-

im internationalen Vergleich“.

shop 2013 grundlegend ein Verständnis von Politik

Jedes Jahr veranstaltet der WIKA einen Wissen-

als der Gesamtheit von Konzepten, Interaktionen,

schaftlichen Workshop, 2013 im Torbogengebäude

Prozessen und Institutionen, mit denen in einer

des Karlsruher Schlossgartens. Partner des WIKA

Gesellschaft beziehungsweise einem Land oder

war das Zentrum für Angewandte Kulturwissen-

zwischen Gesellschaften beziehungsweise Län-

schaft (ZAK) des Karlsruher Instituts für Technolo-

dern Ordnungen des Zusammenlebens gefunden,

gie. Thema des Workshops war die Rolle kultureller

begründet und gesichert werden können. Politik in

Faktoren im geopolitischen Denken und Handeln –

diesem Sinne zielt nicht auf kurzfristige, sondern

weltweit, in den USA, in China und in Europa. Geo-

auf dauerhafte Ordnungen. Sollen die Ordnungen

politik ist seit etwa 1990 auch in Deutschland, in

dauerhaft sein, müssen sie gerecht (‚fair‘) sein.

mehreren Phasen, wieder ins Zentrum politischer

Gilt dies auch für Geopolitik? Folgt man dem dar-

Diskurse gerückt. Heute ist Geopolitik durch die

gelegten Verständnis von Politik, käme es auch bei

Auseinandersetzungen im Mittelmeerraum und in

Geopolitik darauf an, für Räume, die das Territorium

Osteuropa Thema einer breiteren Öffentlichkeit,

eines Staates überschreiten, eine dauerhafte, gerechte

genug Anlass, um das Interesse des ifa am Thema

Ordnung des Zusammenlebens von Menschen, Grup-

Geopolitik tiefer greifend zu begründen, wie dies

pen, Gesellschaften, Ländern zu finden. Die Wirklich-

ifa-Generalsekretär Ronald Grätz in seinem Vor-

keit sieht meist anders aus. Ist ein anderes Verständ-

wort zu diesem Band unternimmt.

nis von Geopolitik möglich und vielleicht sogar in die

Geopolitik stützt sich heute neben wirtschaftlichen wesentlich auch auf kulturelle Faktoren.

politische Praxis umsetzbar? Darüber nachzudenken, war auch eines der Themen des Workshops.


14 Kulturelle Faktoren von Geopolitik: WIKA-Workshop 2013

Der Begriff (nicht das Wort) Geopolitik wird

klassischen Geopolitik schon angedeutet. Sie zielt

meist mit Friedrich Ratzels Werk „Politische Geo­

auf staatlich organisierte Macht und deren Aus-

graphie“ (1897) in Verbindung gebracht. Der bedeu-

weitung auf andere Territorien, sie zielt auf geo-

tende Geograph Ratzel (1844–1904) wollte Politik

grafische Linien, auch Verbindungslinien, über die

auf vereinfachte oder gar fiktive Naturgesetze

diese Ausweitung, meist über wie immer geartete

zurückführen, wie zum Beispiel das „Gesetz der

Stützpunkte, erfolgen soll. Und sie zielt auf hege-

wachsenden Räume“ oder die Abhängigkeit auch

moniale Herrschaft, und in letzter Instanz auf den

des Menschen von möglichst ausgedehnten ‚Lebens-

Einsatz von Gewalt. Dies muss nicht militärische

räumen‘. In Deutschland ging das Konzept Geopoli-

Gewalt sein, es kann auch wirtschaftlich und/

tik schließlich am Scheitern der Politik des ‚Lebens-

oder techno­logisch begründete Gewalt sein. Zur

raums‘ zugrunde, für die neben anderen insbeson-

klassischen Geopolitik gehört auch Soft Power, die

dere Karl Haushofer und sein 1922 in München

kulturelle Kontroll- und Überzeugungsmacht mit

gegründetes Institut für Geopolitik stand.

ihren kommunikationstechnischen, medialen, bil-

Kein Wunder, dass zumindest in Deutschland nach den an verschiedenen Fronten geführten

dungspolitischen und im engeren Sinn kulturellen In­strumenten.

Vernichtungskriegen des 20. Jahrhunderts nicht

Die Gefahren, die vom Konzept der klassischen

nur ‚Geopolitik‘ zum Unwort wurde, sondern eine

Geopolitik ausgehen, haben eine andere Geopoli-

Weile lang sogar der Begriff des Raums, wenn die-

tik hervorgebracht, die kritische Geopolitik. Sie

ser politisch-gesellschaftlich verstanden werden

ist notwendig, weil sie geopolitisches Denken und

sollte. Das Raum-Tabu ist inzwischen insbeson-

Handeln mit scharfem Blick analysiert und zu ver-

dere durch die wissenschaftlichen Leistungen der

stehen versucht, welche wirtschaftlichen und poli-

Sozial­geographie gefallen, in Deutschland wurde

tischen, aber auch kulturellen und ideologischen

das Geopolitik-Paradigma kritisch aufgearbeitet,

Interessen ihre Grundlage bilden. Gegenstand kri-

heute werden Wort und Begriff vergleichsweise

tischer Analyse sind auch die Verfahren, mit denen

unbefangen wieder zur Deutung politischer Vor-

diese Interessen durchgesetzt werden sollen. Ver-

gänge herangezogen. So scheint es jetzt möglich,

bunden mit der kritischen Geopolitik ist oft ein

ja geboten, sich mit Geopolitik, trotz noch beste-

neues Verständnis vom Raum, das von einem geo-

hender Vorbehalte, nicht nur als Gegenstand von

grafischen Determinismus und von der Vorstel-

Analyse, sondern auch konzeptioneller Entwick-

lung eines abstrakten ‚absoluten Raums‘ absieht,

lung zu befassen.

Räume vielmehr als Konstrukte auffasst, die durch

Im Exposé des WIKA, das mit den Einladungen zum Workshop verschickt wurde, unterschieden

Diskurse, also durch kommunikativen Austausch entstehen.

die Organisatoren – weniger im Sinne einer Ana-

Damit gelangt man aber zur Vorstellung einer

lyse als mit der Absicht erkenntnisleitende Begriffe

‚anderen‘ Geopolitik. Öffnet sich damit der Weg zu

vorzuschlagen – zwischen jeweils klassischer, kri-

der multilateralen, „partnerschaftlichen und nicht-

tischer und einer ‚anderen‘ multilateralen Geopoli-

objektivistischen“ Geopolitik, von der im Exposé

tik, die sich als „partnerschaftlich und nicht-objek-

die Rede war? Kritische Geopolitik ist an Analyse

tivistisch“ versteht.1

interessiert, weniger am politischen Handeln. Bie-

Zur klassischen Geopolitik: Ratzels Buch

tet die ‚andere‘ Geopolitik der ‚großen‘ Politik, der

heißt mit vollem Titel „Politische Geographie:

Wirtschaftspolitik, der Kulturpolitik oder sogar

oder, die Geographie der Staaten, des Verkehres

der Sicherheitspolitik Orientierungen? Zum Bei-

und des Krieges“. Damit sind die Grundlinien der

spiel multilaterale Kooperation statt Hegemonie? Partnerschaft statt Gewalt? Kommunikation statt

1  Die Unterscheidung in eine klassische, kritische und eine ‚andere‘ Geopolitik folgt Artikeln von Jan Helmig (2007) und Rainer Rilling (2013).

Reduktion des Anderen zum Objekt eigener Interessen – mit welchem geopolitischen Modell, mit


15

WIKA-Report (Band 2)

welchem geopolitischen Handeln ließe sich dies

Energie sie dies unternimmt, um jetzt und in

am ehesten verwirklichen?

Zukunft Geopolitik zu betreiben, vermittelt der

In diesem Band des WIKA-Reports liegen nun

Aufsatz von Falk Hartig (Frankfurt am Main).

die Beiträge zum Workshop 2013 in Druckfassung

Der gegenwärtigen Rolle des Vereinigten

vor. Hinzu kommt ein Beitrag von Dr. Heinrich

Königreichs angemessen, macht Kurt Möser (Karls-

Kreft, dem Beauftragten für Außenwissenschafts-

ruhe) bei seiner Darstellung britischer Geopolitik

politik, Bildung und den Dialog zwischen den Kul-

einen Schritt zurück in die Geschichte. Er unter-

turen im Auswärtigen Amt. Dieser Beitrag war

sucht, wie für die Briten nach dem Ersten Welt-

schon vor dem Workshop zugesagt worden, wofür

krieg und mit dem allmählichen Niedergang impe-

die Organisatoren sehr danken. Weitere Autorin-

rialer Macht die Beherrschung des Luftraums geo-

nen und Autoren, die nicht am Workshop teilneh-

politische Bedeutung erlangte – ein geopolitisches

men konnten, sind von der Redaktion später zu Bei-

Instrument, das für die atlantischen (angelsächsi-

trägen eingeladen worden.

schen) Mächte bis heute eine wichtige Rolle spielt.

Das Schwerpunktthema des Bandes wird mit

Überhaupt sind Schritte zurück in die Geschichte

einem programmatischen Beitrag von Bernd Thum

für eine differenzierte Sicht auf geopolitisches

(Karlsruhe/Heidelberg) zur „Geopolitik funktiona-

Denken und Handeln wichtig, weil sie die Wahr-

ler Räume“ eröffnet. Dieser Beitrag versucht eine

nehmung von Möglichkeiten und lange wirkenden

Antwort auf die oben gestellte Frage nach einer

Dispositionen befördern, die sonst vielleicht ver-

‚anderen‘, multilateralen, partnerschaftlichen

borgen blieben. Dies gilt für den Beitrag von Kurt

und nicht-objektivistischen Geopolitik sowie die

Düwell (Düsseldorf), der für die Zeit vor und auch

Bedeutung kultureller Faktoren für eine solche

noch nach dem Ersten Weltkrieg ein Zurückblei-

Politik. Der Autor wählt als Beispiel den ‚erwei-

ben Deutschlands auf dem Feld globalen geostrate-

terten Mittelmeerraum‘, den Euro-Mediterranen

gischen Denkens feststellt. Dort hatten die atlanti-

Raum, einen dynamischen, funktionalen Raum

schen Mächte bereits weit reichende Konzepte ent-

‚verdichteter‘ Beziehungen. Zur Verdichtung wech-

wickelt. Diesem Manko gegenüber standen nach

selseitiger Beziehungen gehört allerdings auch die

Düwell bedeutende kulturelle Leistungen auf den

Kommunikation über strittige Fragen, zum Beispiel

Gebieten Bildung, Wissenschaft und Technik als

über die Frage nach Universalität oder kulturspe-

„Werkzeug(e) einer Entwicklungspolitik avant la

zifischer Unterschiedlichkeit der Menschenrechte.

lettre“. Der Beitrag von Rubina Zern (Heidelberg)

Diese Frage wird in dem Beitrag von Sahran Dhouib

vermittelt ebenfalls eine geschichtliche Sicht. Die

(Kassel) gestellt, einem aus Tunesien stammenden

Autorin untersucht politisch-räumliche Vorstel-

Autor. Auch eine solche Kommunikation, die von

lungen deutscher Sizilien-Reisender im 18. und 19.

schlimmen Kollektiverfahrungen ausgehen kann,

Jahrhundert. Sie beruhen auf Wahrnehmungen

ist raumbildend, überbrückt das Mittelmeer und

von Süditalien, die bis heute die mentale Land-

schafft einen transkulturellen Raum geteilter Kon-

karte sowie das Reden in der deutschen Öffentlich-

flikte und spannungsvoller Diskurse. Henrike Vieh-

keit beeinflussen und damit auch einen kulturellen

rig (Bonn) untersucht ebenfalls eine immaterielle

Faktor für eine Geopolitik des Mittelmeerraums

Raumbildung, allerdings im Kontext klassischer

darstellen. Dies trifft auch für das lexikalische

Geopolitik. Ihr Beitrag analysiert eine besondere

Wissen zu, das in Enzyklopädien vermittelt wird.

Form von Soft Power: die mit neuesten technolo-

Christine Isabel Schröder (Bochum) untersucht in

gischen Mitteln und psychologischem Know-how

ihrem Beitrag das zeitgebundene Wissen über den

betriebene strategische Medienkommunikation

Mittelmeerraum, wie es in der Ära des Nationalso-

der USA (Cyber Diplomacy, Celebrity Diplomacy). Wel-

zialismus von den großen Lexika wie dem Brock-

che kulturelle Faktoren China, die andere große

haus oder dem Meyer vermittelt wurde. Sie sieht

Macht, ins Spiel bringt, wie und mit welch hoher

die „Aufklärung von Nicht-Wissen, das Beseitigen


16 Kulturelle Faktoren von Geopolitik: WIKA-Workshop 2013

der Ignoranz“ zu Recht als „Basis für ein politisches

Literatur

und zivilgesellschaftliches Miteinander auf Augenhöhe, für eine versöhnte Zukunft des euromediterranen Projektes“. Die globale Sicht auf Geopolitik und ihre kul-

Helmig, Jan (2007): Geopolitik – Annäherung an ein schwieriges Konzept. In: Aus Politik und

turellen Faktoren wird in dem kritischen Beitrag

Zeitgeschichte (APuZ), 20/21, S. 31–37. Online:

von François de Bernard (Toulouse/Paris) wieder-

http://www.bpb.de/apuz/30477/geopolitik-

gewonnen. Er zeigt auf, wie die großen, weltweit

annaeherung-an-ein-schwieriges-konzept?p=all

gültigen Kulturabkommen der UNESCO, die so

(zuletzt aufgerufen am 30.09.2014)

etwas wie eine Kultur-Weltpolitik (cosmopolitique culturelle) ausmachten, seit 2007/2008, dem Beginn

Ratzel, Friedrich (1897): Politische Geographie.

der so genannten Finanz- und Staatsschuldenkrise

München/Leipzig: Oldenbourg. [2., umgearbeitete

an Wirkkraft und Bedeutung verloren haben. Der

Auflage 1903 u. d. T.: Politische Geographie oder

Aufsatz von Heinrich Kreft (Berlin) schließt den

Geographie der Staaten, des Verkehrs und des

thematischen Teil ab. Er zeichnet ein multizent-

Krieges. München/Berlin: Oldenbourg]

risches Bild der kulturell-politischen Weltkarte, geprägt durch den Aufstieg neuer Akteure, ins-

Rilling, Rainer (2013): Was ist Geopolitik? Ein

besondere der BRICS-Länder, durch eine weltweit

Streifzug. In: WuF. Wissenschaft und Frieden,

veränderte Medienlandschaft sowie durch neue

H. 1, Themenheft „Geopolitik“, S. 6–10. Online:

Felder politisch-kultureller Zusammenarbeit, zum

http://www.wissenschaft-und-frieden.de/

Beispiel das Feld kultureller Aktivitäten der Zivil­

seite.php?artikelID=1835 (zuletzt aufgerufen

gesellschaften oder der Kreativwirtschaft.

am 30.09.2014)

Danksagungen Die Organisatoren des WIKA-Workshops 2013 danken dem Generalsekretär des ifa, Ronald Grätz, für die engagierte Unterstützung der Themenwahl, dem Beauftragten des Auswärtigen Amts für Außenwissenschafts- und Bildungspolitik und den Dialog zwischen den Kulturen, Botschafter Dr. Heinrich Kreft, für sein substanzielles Grußwort sowie der Geschäftsführerin des WIKA, Gudrun Czekalla, Leiterin der ifa-Bibliothek, für Rat und Unterstützung bei Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung wie bei der Drucklegung der Beiträge.


17

• k ritischer Geopolitik

Eine Geopolitik funktionaler Räume

und einer anderen, neuen, multilateralen, partnerschaftlichen Geopolitik.

Klassische Geopolitik ist ein politisches Konzept und ist politische Wirklichkeit: Sie ist unilateral, zielt auf die Durchsetzung ausschließlich eigener

Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

Interessen, ist objektivistisch, begreift andere Länder, Gesellschaften und Kulturen als Objekte für das eigene interessengeleitete Handeln; und sie fördert das Streben nach Hegemonie. Kulturelle Sze-

von Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)

narien und Verfahren wie Soft Power dienen den übergeordneten Zielen. Kritische Geopolitik ist zunächst nur eine wis-

„Die Mittelmeeridentität kann man nicht

senschaftliche Analyseform, eine wissenschaftli-

erben, man erwirbt sie.“ (Predag Matvejević)1

che Herangehensweise an die reale Geopolitik der Mächte. Ins politische Handeln übersetzt, ist kri-

Brauchen wir heute noch – im Zeitalter der Globa-

tische Geopolitik aber im Grunde die Ablehnung

lisierung – ein politisches Denken in Räumen, ein

aller geopolitischen Überlegungen und Aktionen.

‚geopolitisches‘ Denken? Dies ist eine rhetorische

Die andere, neue Geopolitik, um die es in die-

Frage, denn das muss so sein,

sem Beitrag geht, ist multilateral, partnerschaft-

weil wir ein geopolitisch gesteuertes Handeln

lich, nicht-objektivistisch und beachtet bestehende

der Mächte allenthalben beobachten können

funktionale Strukturen.

und wir seine Motive und Hintergründe ken­•

Konzeptionelle Ansätze dazu findet man hier

nen sollten;

und da, auch in der aktuellen Politik, zum Beispiel

weil Globalisierung gerade nicht zu einem

bei Pascal Lamy, dem früheren Generaldirektor der

amorphen Universalismus geführt hat,

World Trade Organization (WTO). In einem Anfang

zu einer Welt ohne Relief, sondern ganz

2013 in Delhi gehaltenen Vortrag stellt er fest:

unterschiedliche machtvolle Akteure und

„Geopolitics is back“, fordert er ein „multi-lateral rule

vitale Räume erst recht sichtbar gemacht

making“ und die Berücksichtigung von Interessen

hat. Die Situation erfordert eine unter-

aller bei der Sicherung einer „functional international

schiedliche Intensität der Zuwendung,

order“ (Lamy 2013). Konzeptionell wichtiger freilich

nicht zuletzt bei begrenzten Ressourcen;

als einzelne Stellungnahmen ist die wissenschaftli-

weil geopolitisches Denken verlangt, neben

che Diskussion über Räume und Raumkonstrukte,

der Dimension Raum die Dimension Zeit zu

die im vorliegenden Beitrag in einigen wesentli-

bedenken. Geopolitik zwingt, das Handeln

chen Aspekten erschlossen und in Verbindung mit

auf eine Zeitachse zu setzen, erzwingt die

dem ‚Erweiterten Mittelmeerraum‘ gebracht wird.

Sorge um Nachhaltigkeit.

Die andere, neue Geopolitik erkennt und erfasst

In dem vorbereitenden Exposé zum WIKA-Work-

kulturelle Faktoren als integralen Teil der funk­

shop 20132 wird unterschieden zwischen

tionalen Ordnung. Sie betrachtet sie aber nicht als

ausschließliche Grundlage der Raumbildung. Wie

k lassischer Geopolitik,

kulturelle Leistungen den Erweiterten Mittelmeer1  Dieses Zitat aus dem „Mediteranski Brevijar“ des kroatischen Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers Matvejević (1987 [1993]) ist dem umsichtigen Artikel von Thierry Fabre (1996) über geokulturelle Aspekte des Mittelmeerraums entnommen. 2  Siehe hierzu die Einleitung zu diesem Thementeil.

raum, der in diesem Beitrag Euro-Mediterraner Raum genannt wird, mit-konstituiert haben und weiterentwickeln können, habe ich an anderer Stelle bereits darzulegen versucht (Thum 2012b).


18 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

Der Mittelmeerraum als Objekt klassischer und vielleicht ‚postklassischer‘ Geopolitik

hinausreicht, und zwar nach Norden, nach Skandinavien, nach Westen, zu den atlantischen Staaten Europas, nach Osten, in die Staaten der Levante, und nach Süden, in die saharischen Gebiete. Dies ist der Euro-Mediterrane Raum. Als Erweiterter

Dieser Raum ist Objekt, ein schwer leidendes

Mittelmeerraum ist er durch viele gesellschaftli-

Objekt, klassischer Geopolitik. Die auf den Mittel-

che, wirtschaftliche, kulturelle und Sicherheits-

meerraum politisch, militärisch, ökonomisch, kul-

fragen, durch Probleme, die gelöst werden müssen,

turell und ideologisch einwirkenden Mächte, ihre

sowie durch Chancen, die genutzt werden sollten,

Aktionen und Instrumente, teilweise auch ihre

mit dem klassischen Mittelmeerraum verbunden.

Ziele sind bekannt. Eine Aufzählung der potenten,

Darüber hinaus ist er in wesentlichen Elementen

ehrgeizigen Akteure beleuchtet die Dramatik der

historisch geprägt durch mittelmeerische Kul-

Situation: USA, Russland, Israel, China, Saudi Ara-

turimpulse. Zu denen gehören nicht nur das jüdi-

bien, Qatar, Türkei, England, Frankreich…3

sche, das griechische, das oströmische (byzantini-

Gibt es auch andere Formen als den unilate-

sche) und das klassische arabische Erbe, sondern

ralen objektivistischen Zugriff? Es gibt die Union

auch das kulturelle Erbe und die gegenwärtige

für den Mittelmeerraum (UfM), einen Zusammen-

Praxis der monotheistischen Religionen Juden-

schluss von 43 Staaten der Europäischen Union

tum, Christentum und Islam mit ihren jeweiligen

und der ‚Arabischen Welt‘ plus Türkei und Israel.

intellektuellen, emotionalen und zivilisatorischen

Dieser Zusammenschluss eröffnet zumindest die

Ausformungen. Einen wichtigen Teil seiner Dyna-

Chance multilateraler, partnerschaftlicher Politik,

mik empfängt der Erweiterte Mittelmeerraum

selbst wenn diese Chance, auch von Ländern südlich

damit nach wie vor aus dem ‚klassischen Mittel-

und östlich des Mittelmeers, kaum wahrgenom-

meerraum‘ der Anrainer. Der klassische Mittel-

men wird. Die UfM wurde 2008 in Paris gegrün-

meerraum ist eine kulturelle, politische, demo-

det. Sie ist das Resultat geopolitischer Orientierun-

grafische und wirtschaftliche Gemengezone mit

gen Frankreichs, eines Kompromisses mit anderen

hohem Konflikt-, aber auch Entwicklungspotenzial,

EU-Staaten, namentlich Deutschland, sowie den

mit der man sich im größeren Euro-Mediterranen

unterschiedlichen Interessen südlicher und östli-

Raum auseinandersetzen muss.5 In meinem Beitrag

cher Mittelmeer-Anrainer an einer Verbindung mit

möchte ich also nicht am „Mythos einer Einheit des

Europa (Hrbek/Marhold (Hg.) 2009).

Mittelmeerraums“ weiterschreiben, „der größer ist

Wie auch immer Status und Praxis der Union

als alle Entwicklungsgegensätze“ (Mohsen-Finan/

im Augenblick eingeschätzt werden mögen – es

Schäfer 2014: 16). Ich möchte vielmehr den Euro-

gibt mit Blick auf Potenziale und mögliche Funk-

Mediterranen Raum als einen differenzierten funk-

tionen auch freundliche Stimmen und konstruk-

tionalen Raum beschreiben, in dem und für den

tive Vorschläge4 –, ihre Gründung öffnet den Blick

eine multilaterale, partnerschaftliche und nicht-

für ein Raumgefüge, das über den Mittelmeer-

objektivistische Geopolitik zu entwickeln wäre.

raum im klassischen Sinne, den Raum des Mittel-

Es ist leider irreführend, die UfM, wie das manch­

meers und seiner Küstenländer und -landschaften

mal geschieht, vereinfachend ‚Mittelmeer­­union‘ zu

3  Vgl. Hadhri (2012) als ein Beitrag aus der ‚Arabischen Welt‘. 4  In erster Linie heute das Buch von Claus Leggewie (2012), aber auch weitere Stimmen wie Ratka (2011). Zu Leggewie s. meine Rezension in diesem Band auf S. 165ff. Anregend und motivierend sind die Gedanken von Fathallah Sijilmassi, dem UfM-Generalsekretär, zu einer neuen ‚Regionalisierung‘, die dieser im November 2013 auf einer Tagung der Stiftung Gens­ hagen vorgetragen hat (Thum 2014).

5  Es ist daher zu bedauern, dass sich David Abulafia in seinem Buch über das Mittelmeer (2013 [2011]) in Abgrenzung zu Fernand Braudels Raumstruktur der Grande Méditerranée auf den allerengsten Mittelmeerraum beschränkt: „Mein Mittelmeer beschränkt sich eindeutig auf das Meer selbst, samt seinen Küsten und Inseln und vor allem den Hafenstädten (…)“ (ebd.: 11). Nicht einmal die durch die großen Flüsse geschaffenen Verbindungen in den größeren Euro-Mediterranen Raum will er behandeln (ebd.: 12).


19

WIKA-Report (Band 2)

nennen. Denn die UfM ist noch ein geo­poli­t ischer

UfM erschließt den Euro-Mediterranen Raum aber

Versuch. Zwar ist man versucht, diese Struktur

nur unvollkommen, weil Teile dieses Raums, von

bereits der Sphäre jener anderen multilateralen,

denen bedeutende Energien ausgehen, nicht dabei

nicht-objektivistischen Geopolitik funktionaler

sind. Ich denke dabei an das saharische und an

Räume zuzuordnen, um die es in diesem Beitrag

Sahel-Afrika, das dem klassischen Mittelmeerraum

geht. Es gibt jedoch Anlass zum Zweifel. Die UfM

und Europa durch Geschichte, Sprache, Kultur,

steht in der Tradition des Barcelona-Prozesses, der

Bildung, Energiepotenzial, Migration und Sicher-

Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) und

heitsfragen eng verbunden ist (s. Thum 2012b: 90;

der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EUROMED).

Sambe 2012; Austen 2010).

Hegemoniale Strukturen sind, obwohl kaum the-

Der Mangel der UfM, nämlich dass sie nicht,

matisiert, trotz nord-südlicher Co-Präsidentschaft

beziehungsweise nur teilweise dem realen funktio­

erkennbar, ja auf Grund des wirtschaftlichen

nalen Raumgefüge des Euro-Mediterranen Raums

Ungleichgewichts auf längere Zeit unvermeidbar.

entspricht, hat Auswirkungen auf ihr Potenzial als

Das wirtschaftliche Ungleichgewicht verstärkt

Beispiel für eine andere, neue Geopolitik der funk-

andere Ungleichgewichte, bei der staatlichen Orga-

tionalen Räume. Der Fehler besteht darin, dass die

nisation, bei der Bildung, bei der sozialen Siche-

Union der Zeitdimension, die zu einem nachhalti-

rung. Nicht zuletzt deswegen, aber auch wegen

gen geopolitischen Denken und Handeln gehört,

bestimmter Strukturfehler der Union, fehlt es dazu

vorläufig nicht wirklich entsprechen kann. Die

noch an einem entschiedenen Mitmachen der Län-

Zeitdimension der Geopolitik betrifft den Zusam-

der des Südens, von denen erst allmählich eigene

menhang zwischen der geschichtlichen Disposition

Initiativen kommen.6

eines Raums, seiner auch die Gegenwart prägenden

Bewegen wir uns mit der UfM in einem geo-

historischen ‚Programmierung‘, den aktuellen, zu

grafisch-politischen Gebilde, das nur durch Staats-

einem Teil daraus entstehenden Dynamiken und

grenzen definiert ist? Der durch die UfM erweiterte

der Gestaltung seiner Zukunft. Weil sie die Bindun-

und in Teilen politisch gegliederte Mittelmeerraum

gen des Mittelmeerraums an das saharische (auch

von Dublin bis Damaskus, von der saharischen Süd-

subsaharische) Afrika und die daraus resultierende

grenze Algeriens bis zum Nordkap, ist nicht nur

Dynamik nicht berücksichtigt bzw. einbezieht,

das, was eine oberflächliche Sicht auf die Union

beherrscht die UfM, wie sie gegenwärtig besteht,

und ein flaches Verständnis von Politik suggerie-

die geopolitisch bedeutende Zeitdimension des

ren. Er ist nämlich nicht nur ein im engeren Wort-

Euro-Mediterranen Raums nicht und bleibt auch

sinn politischer Raum, sondern auch ein Raum, der

aus diesem Grunde labil. Aus dem saharischen und

geprägt ist durch hohe wechselseitige, wenn auch

subsaharischen Afrika kommen unter oft drama-

asymmetrische Abhängigkeit, hohe Mobilität und

tischen Bedingungen die meisten Migranten, und

Migration sowie dichte Kommunikation (auch über

auch darüber hinaus sind existenziell wichtige

kulturelle Orientierungen und Werte) und ein in

Fragen zu klären: Bildung und Ausbildung, Arbeit,

wesentlichen Aspekten gemeinsames, wenn auch

Sicherheit, Energie, Ressourcen.

kulturell spezifisch orientiertes Wissen. Dieser

Klassisch ist der geopolitische Status der UfM

Raum ist ein, wenn auch konfliktträchtiger, Raum

nicht mehr zu nennen. Es finden sich Elemente einer

gemeinsamer gesellschaftlicher, politischer, wirt-

multilateralen Struktur, eines partnerschaftlichen

schaftlicher und vor allem kultureller Themen. Die

Denkens und, zumindest in der Rhetorik der Gründungsakte, auch Ansätze zur Berücksichtigung funk-

6  Etwa im Rahmen des so genannten „5+5-Dialogs“ mit jährlichen Konferenzen von Staaten des westlichen Mittelmeerraums – Frankreich, Italien, Malta, Portugal, Spanien und Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien (vgl. zu den Strukturschwächen der UfM, die ein bloßes Weitermachen nicht zulassen, Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 8).

tionaler Strukturen. Aber die neue Geopolitik funktionaler Räume ist in der UfM noch nicht verwirklicht. Vielleicht sollte man bei der Union von einem Beispiel für ‚post-klassische‘ Geopolitik sprechen.


20 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

Europa ist in den Euro-Mediterranen Raum,

Sicherung und Weiterentwicklung einer dauer-

wenn man von vorwiegend wirtschaftlichen oder

haften, nachhaltigen Ordnung des menschlichen

macht- beziehungsweise sicherheitspolitischen

Zusammenlebens zielt.

Beziehungen absieht, deutlich intensiver einge-

Strategisch geht es also darum, im und für den

bunden als in Beziehungsgeflechte mit anderen

Erweiterten Mittelmeerraum, dem Euro-Mediter-

Großregionen wie Lateinamerika, Ostasien, wohl

ranen Raum, in seinem umrissenen Umfang, eine

auch mit der Atlantischen Welt. In der Verbindung

gerechte, dauerhafte und nachhaltige Ordnung des

zu diesen Regionen gibt es weder die hohe Mobi-

menschlichen und gesellschaftlichen Zusammen-

lität noch die kommunikative Verdichtung, noch

lebens zu finden und realisieren. Das ist oder wäre

den gemeinsamen Bedarf an Problemlösungen. Es

die zentrale Aufgabe einer europäischen Politik

ist auch falsch, großräumliche Gliederungen im

für diesen Raum, sie wird aber gegenwärtig leider

Zeitalter der Globalisierung und der neuen Infor-

eher konfliktbedingt, ad hoc und im Ganzen lust-

mations- und Kommunikationstechnologien über-

los wahrgenommen.8

haupt als obsolet zu betrachten:

Das hier angesprochene Vorhaben mag heute

„Neue Formen der Vernetzung und inten-

angesichts des nicht zuletzt vom ‚Westen‘ angerich-

sive Austauschbeziehungen (…) sind die

teten Chaos in Nordafrika und im Nahen Osten, der

ausschlaggebenden Momente, die sich in

blutigen Aggressivität, die dazu gehört, der kalten

Regionen unterschiedlichen Maßstabs arti-

Gewalt bestimmter Staaten, der aus dem zivilisa-

kulieren und sie umstrukturieren.“ (Oßen-

torischen Regelwerk ausgebrochenen urtümlichen

brügge 2004: 4)

Gewalttätigkeit kulturell regredierender Grup-

Europa und Deutschland müssen sich jetzt fragen,

pen vermessen scheinen. Es geht hier aber nicht

was, über die klassischen Unterstützungs-Aktivi-

um kurzatmig reaktive Politik mit den klassischen

täten hinaus, der gemeinsame Erweiterte Mittel-

In­strumenten Diplomatie, Waffenstillstand, Mili-

meerraum von Dublin bis Damaskus, vom Niger bis

tär, Hilfskonvois und Rettungsaktionen. Es geht

zum Nordkap7 strategisch, geopolitisch eigentlich

nicht um Taktik, sondern um strategische Über-

bedeutet. Strategisch heißt nicht (nur) militärisch,

legungen, es geht um Geopolitik und damit um

sondern kulturell, wirtschaftlich, demografisch…,

einen weiten Zeithorizont.

also in einem weiteren, höheren Sinn ‚politisch‘.

Mächtige Akteure, die über Instrumente klas-

Die Frage, die wir uns immer wieder stellen

sischer Geopolitik einschließlich der Überzeu-

sollten, lautet: Was heißt Politik? Politik soll hier

gungsmacht von Soft Power verfügen, sind dabei,

nicht als Tagespolitik verstanden werden, auch

Raumstrukturen zu schaffen, die mit dem Euro-

nicht als Verfahren zur Durchsetzung spezifischer

Mediterranen Raum kritisch interferieren. Es han-

Eigeninteressen und Machtstrukturen. So, wie das

delt sich dabei (1.) um die durch die ostarabischen

Wort Politik hier in diesem Text verwendet wird,

Golfstaaten geprägte islamistisch inspirierte Raum-

orientiert es sich an der Herkunft von Wort und

struktur. Am welthistorischen Horizont erscheint

Begriff, nämlich an der ‚Polis‘, dem Bürgerver-

inzwischen aber (2.) auch China: Einerseits mit sei-

band des alten Griechenlands. Aufgabe der Polis

ner bis an den Rhein reichenden Geopolitik der

war die Regelung des öffentlichen Lebens durch

Neuen Seidenstraße, einem Projekt, bei dem übri-

eine Gemeinde von Freien und Gleichen, mit eige-

gens die Annäherung an eine Geopolitik funktio-

nen Gesetzen und Institutionen. Politik soll in die-

naler Räume deutlich sichtbar wird:

sem Beitrag sinngemäß als ein Denken und Han-

„Das anvisierte Seidenstraßen-System

deln verstanden werden, das auf die Herstellung,

erinnert in wenigen Umrissen, die es zurzeit hat, weniger an die bisherigen

7  Diese Formel stammt von der Stiftung Wissensraum Eu­ro­pa–Mittelmeer (WEM) e. V., deren räumliches Arbeitsfeld sie umreißt (Thum 2012c).

8  Dazu Mohsen-Finan/Schäfer (2014: 7, 8, 10); vgl. auch die radikale Kritik von de Bernard (2012).


21

WIKA-Report (Band 2)

nationalstaatlichen Macht- und Wertgemeinschaftsblöcke als an das verzweigte Netz unterschiedlich dichter Beziehungen, das das alte China um sich herum gesponnen hatte“ (Siemons 2014; vgl. auch Ackeret

Das Konzept des funktionalen Raums und seine Bedeutung für eine andere multilaterale, partnerschaftliche und nicht-objektivistische Geopolitik

2014). Andererseits nutzt China geopolitisch auch den so

Ein geografisch definierter Raum ist nicht unbe-

genannten Globalen Süden, der sich um die BRICS-

dingt identisch mit einem funktionalen Raum.

Staaten herum bildet.9 Chinas Expansion erfolgt

Nicht physische Merkmale wie Meere und Gebirge,

nicht durchgehend im Sinne klassischer Geopo-

nicht biologische wie die Verbreitung des Oli-

litik mit offen hegemonialem Anspruch, sondern

venbaums, nicht klimatische Gemeinsamkeiten,

mit den Mitteln eines funktionalen ökonomischen

auch nicht politische Grenzziehungen bestimmen

Austauschs, der – Chinas Überlegenheit einmal

Umfang und Charakter des funktionalen Raums,

beiseitegelassen – im Prinzip multilateral organi-

sondern die Verdichtung von Kommunikation,

siert ist. In Afrika, insbesondere im subsaharischen

Interaktion und Interrelation durch Austausch

Afrika stößt diese Geopolitik für das geopolitisch

materieller und ideeller Güter, durch Kooperation

wenig organisierte Europa schmerzhaft auf eigene

und Kollaboration, durch eine zumindest partiell

europäische Interessen und zunehmend auch auf

gemeinsame Wahrnehmung des Raums und sei-

die Interessen der südlichen Mittelmeerländer. Kul-

ner Geschichte.11 Auch Konflikte können ein Hin-

turelle Faktoren spielen bei der Geopolitik funktio-

weis auf das Bestehen funktionaler Räume sein.

naler Räume eine wichtige Rolle. Das Ansehen der

Ein funktionaler Raum definiert sich durch Hand-

Akteure hängt davon ab und mit ihm ihre Attrak-

lungsqualität (Hannah Arendt) und daher durch

tivität, mit der sie Zentrum der dynamischen Vor-

denkende, handelnde und kommunizierende Men-

gänge bleiben oder werden können, ob sie sich

schen. Seine Grenzen sind nicht abstrakte Linien,

nun auf der Idee von der globalen Führungsrolle

sie entwickeln und verändern sich mit der Inten-

des Islam aufbaut wie bei den Golfstaaten oder auf

sität wechselseitiger Beziehungen der Akteure in

der Aura von guten Geschäften und Bildung wie bei

Kultur (auch im Kulturkonflikt) und Wirtschaft, in

China (Kolonko 2014).

persönlicher Begegnung (Migration, Mobilität) und

Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich auch

nachhaltigem wechselseitigen Interesse. Die Gren-

(3.) der nordatlantische Großraum, dessen Interfe-

zen sind offen, weil funktionale Räume mit ande-

renz mit dem Euro-Mediterranen Raum dazu füh-

ren Räumen dieser Art interferieren. Auch gibt es

ren kann, dass dieser über ein umfassendes Trans-

funktionale Teilstrukturen, die selbst Räume bil-

atlantisches Freihandelsabkommen10 in einen

den, wie Sahel-Afrika oder auch Europa selbst, und

nördlichen, mit den atlantischen Mächten direkt

doch Teil des Euro-Mediterranen Raums sind. Isabel

verbundenen, und einen südlichen Teil aufgespal-

Schäfer spricht direkt von einem „Mediterranean sys-

ten wird.

tem“, das aus verschiedenen ‚Subsystemen‘ besteht; „it is a group of different spheres that work together, a complex web of life“, wobei sie nicht nur Regionen im Sinn hat. Aber eben auch diese: Das „Arab regional

9  Zum Globalen Süden als postkolonialem, anti-‚west­lichem‘ geopolitischen Entwurf, s. Comaroff/Comaroff (2012). Zu be­achten wäre in diesem Zusammenhang auch die Weltsystem-Theorie Immanuel Wallersteins (1974–2011) mit ihrer Betonung des Gegensatzes von Zentrum und Peripherie als entscheidendem Faktor von Weltgeschichte und globaler Politik. 10  Die Bedeutung von Freihandelssystemen für Hegemo­ nialmächte hat Wallerstein (1974–2011) herausgearbeitet.

system“ versteht sie „as one Mediterranean sub-system next to others (a North African sub-system including Berber and 11  Eine solche Auffassung von Räumen entspricht den elementaren Orientierungen und Erkenntnissen des spatial turn, der Topologischen Wende.


22 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

other identities, a Middle Eastern sub-system

gerichteten amerikanischen Monroe-Doktrin von

including Israel for instance), with a constant inter-

1823, formiert sich in Abwehr, ja Aggression gegen

connection and overlapping with other systems”

andere Mächte und gipfelt notwendigerweise in

(Schäfer 2014: 67 und 69).

hegemonialen, ja imperialen Zielsetzungen. Eine

Funktionale Räume sind nicht zuletzt Teil indi-

Geopolitik funktionaler Räume hat auch nichts mit

vidueller Überzeugungen, kollektiver Erfahrung

Samuel P. Huntingtons Mixtur von klassischer und

und öffentlicher Diskurse. Das Konzept des funk-

kulturalistischer Geopolitik zu tun. Funktionale

tionalen Raums enthält also durchaus auch sozi-

Räume sind etwas anderes als Kulturräume. Über-

alräumliche Aspekte, bei denen gesellschaftli-

dies: Kulturen sind nicht starr und per se aggres-

ches, wirtschaftliches, aber auch kulturelles und

siv, sind keine Kästen mit allerlei ‚Schätzen‘, Nip-

symbolisches ‚Kapital‘ im Sinne Bourdieus eine

pes und Gelumpe darin. Vielmehr handelt es sich

wesentliche Rolle spielt (Bourdieu 1982; Oßen-

bei Kulturen um dynamische Gebilde, um Prozesse

brügge 2004: Kap. 2.1). Aber, um speziell hier einem

zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft, die

Missverständnis vorzubeugen: Es geht um mehr als

von der intellektuellen, moralischen und emotio-

die „individuelle symbolische Aneignung von Räu-

nalen Kraft und von der Dialogfähigkeit der sich

men“ (Kremer 2012: 141) – auch wenn dies speziell

ihnen zuordnenden Menschen leben.12

für den Euro-Mediterranen Raum über soziale, öko-

Von Carl Schmitt und Huntington ist die Geo-

nomische, politische und historische Fakten hin-

politik funktionaler Räume also weit entfernt. In

aus wünschenswert wäre. Vielmehr geht es um die

Respekt verbunden bleiben sollte sie allerdings

Analyse realer Beziehungsgeflechte, die Analyse

dem großen Historiker des Erweiterten Mittelmeer-

der Felder, auf denen sie sich entwickeln, ihrer

raums Fernand Braudel, der Umriss und Charakter

Dichte, die von innen nach außen abnimmt.

der Grande Méditerranée aus seiner Untersuchung

Funktionale Räume sollten nicht mit Kulturare-

des dichten und auch geografisch weitreichenden

alen, Kulturerdteilen oder Kulturräumen verwech-

Netzwerks wirtschaftlicher, kultureller und politi-

selt werden. Nicht ‚Kulturen‘ definieren sie, auch

scher Beziehungen vom Atlantik bis zum Indischen

wenn sich natürlich auch im funktionalen Raum

Ozean, vom saharischen Afrika bis zu den Hanse-

im Lauf der Geschichte auf Grund der verdichteten

städten abgeleitet hat (Braudel 1949ff.). Näher als

Kommunikation und Interaktion bestimmte kul-

Schmitt und Huntington ist die Geopolitik funk-

turelle Muster und Wissensinhalte herausgebildet

tionaler Räume, zumindest in manchen Aspekten,

haben und weiter herausbilden. Der Euro-Mediter-

an dem politikwissenschaftlichen Konzept des so

rane Raum als funktionaler Raum überwölbt mit

genannten Interdependenztheoretischen Ansatzes,

seinem Beziehungsgefüge die einzelnen Kultur­

insbesondere an den Lehren von Joseph Nye und

areale. Die Kulturareale Nordwesteuropa, Mitteleu-

Karl Deutsch. Bei Nye geht es nicht um die Kon-

ropa, Osteuropa, Südosteuropa, Südeuropa, Nord-

stitution großregionaler Räume, sondern um die

afrika, Sahara-Afrika sind Teile des funktionalen

Beziehungen von Staaten im Zeitalter der Globali-

Großraums Euro-Mediterraner Raum.

sierung. Diese Beziehungen sieht er aber ebenfalls

Diese Klarstellungen geben Gelegenheit, die

als komplexes Netzwerk von Interaktionen einer

Unterschiede des Modells ‚Funktionaler Raum‘

Vielfalt von (auch nichtstaatlichen) Akteuren. Die

gegenüber anderen geopolitischen Konzepten her-

so entstehenden Strukturen sind für ihn keine sta-

auszuarbeiten. Wenn in diesem Beitrag gelegent-

tischen Gebilde, sondern Prozesse (Keohane/Nye

lich von ‚Großräumen‘ die Rede ist, ist dies nicht

1977). Karl W. Deutsch hat das Konzept der supra-

im Sinne von Carl Schmitt (1941) gemeint. Im

nationalen „Sicherheitsgemeinschaften“ (security

Gegenteil, dessen Lehre von den Großräumen eignet sich gut als Kontrastfolie. Der ‚Großraum‘ im Sinne Schmitts, abgeleitet von der gegen Europa

12  Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Beitrag von Christine Isabel Schröder über die Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus in diesem Band.


23

WIKA-Report (Band 2)

communities) entwickelt, zu der sich ‚postmoderne‘

Erasmus-Programm.14

Staaten mit unterschiedlicher Intensität vernetzen

Inzwischen hat Europa gelernt, dass die Ver-

können, wenn sie wesentliche Werte teilen, gut

dichtung von Beziehungen, Interaktionen, Kom-

miteinander kommunizieren, wechselseitig kalku-

munikation weit über die geografischen Grenzen

lierbar sind, Mobilität fördern, eine ausreichende

Europas hinausreicht, auch und insbesondere in

gemeinsame Verwaltungsstruktur aufbauen sowie

Richtung südliches Mittelmeer, Afrika und Naher

Verantwortung und Sensibilität für einander ent-

Osten. Diese Verdichtung begründet einen größeren

wickeln (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 176–179).

funktionalen Raum, den Euro-Mediterranen Raum,

Sollen sich funktionale Räume politisch organisie-

auch wenn der Kern des Euro-Mediterranen Raums

ren, sollten sie dies nach diesen Kriterien tun. Als

immer noch im engeren klassischen Mittelmeer­

solche sind funktionale Räume aber vor-staatlich,

gebiet liegt. Der engere Mittelmeerraum der Anrai-

ja vor-politisch, auch wenn ihr politisches Poten-

nerstaaten ist nicht unbedingt das Kraftzentrum,

zial bedeutend ist.

aber doch immer noch das hochgradig sensible

13

Europa als Teil des Euro-Mediterranen Raums

Nervenzentrum des gesamten Euro-Mediterranen

ist ein gutes Beispiel für einen funktionalen Raum.

Raums in Europa, Afrika und der Levante, in dem

Es hat keine klaren geografischen Grenzen, wird

Fragen von epochaler Bedeutung wie Migration, Bil-

aber trotzdem erkennbar: als Raum, wo Beziehun-

dung, demografische Entwicklung, Arbeit, Religion

gen, wo Interaktionen sich verdichten, wo sich

und Staat, wirtschaftliches Ungleichgewicht und

Kommunikation intensiviert, wo sich über den

anderes auf eine Antwort warten.

materiellen Austausch und den Abgleich von Interessen hinaus gemeinsame Themen bilden, über die auch immer wieder heftig gestritten wird. Solche Themen betreffen nicht nur die Gesellschaft,

Wie lässt sich der Euro-Mediterrane Raum als ein funktionaler Raum erkennen?

sondern oft auch die einzelnen Menschen: Normen und Strukturen, Wirtschaft und Arbeit, poli-

Der Euro-Mediterrane Raum als funktionaler Raum

tisches Denken und Handeln, kulturelle Dispositi-

entsteht und reproduziert sich durch die enge poli-

onen, Lebensformen. Bei Ausbildung, Stabilisierung

tische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kul-

und Weiterentwicklung Europas als funktionalem

turelle Interaktion von Europa, Nordafrika, Sahara-

Raum spielen politisch-rechtliche Institutionen wie

und Sahel-Afrika und dem westlichen Teil des

die Europäische Union eine bedeutende, aber kei-

Nahen Ostens, also der Levante. Er schafft sich sein

nesfalls ausschlaggebende Rolle. Sie brauchen auch

Territorium von innen, Grenzen werden nicht von

nicht in anderen funktionalen Räumen, die sich

außen gesetzt.

politisch organisieren wollen, kopiert zu werden.

Wir schauen zunächst auf die gesellschaftli-

Wirkungsvoll arbeiten diese Institutionen ohnehin

chen, wirtschaftlichen und im engeren Wortsinn

nur dort, wo sie die wechselseitigen Beziehungen

politischen Faktoren der euro-mediterranen Raum-

und die Kommunikation betreffen und fördern:

bildung, müssen aber dann auch – entsprechend

gegenwärtig in der Wirtschaft durch den Ausbau

dem Gefüge eines funktionalen Raums verdichte-

eines gemeinsamen Wirtschaftsraums, und in

ter Beziehungen – die kulturellen Faktoren in den

Wissenschaft und Bildung durch Projekte wie zum

Blick nehmen.

Beispiel die großen Rahmenprogramme und das

Als gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren sind zu nennen, nur als Beispiele und stich-

13  Mit dem „ ‚Rätsel‘ der Entstehung von Institutionen und damit verbunden die Verstetigung von Kooperation zwischen Staaten“, allerdings auch mit „transnationalen Arrangements zwischen Gesellschaften“ befasst sich die so genannte Regime­forschung (Morisse-Schilbach/Halfmann 2012: 33).

wortartig: 14  Zum Erfolg dieses und anderer EU-Programme vgl. den im Übrigen äußerst kritischen Beitrag von François de Bernard in diesem Band.


24 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

1. die Präsenz einer großen Diaspora von Men­

keit, Migration, die seit Jahren leider immer

schen aus dem Süden in den nördlichen Län­

dramatischere Formen ange­nom­men hat, oft

dern des Raums. Sie hat über das Mittel­meer

mit tödlichem Ausgang. Angesichts der sin­

hinweg Familienstrukturen und damit die

kenden Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung

Netzwerke entstehen lassen, die in beide Rich­

im Norden ergeben sich Chancen für eine

tungen zu einem intensiven Transfer von

Lösung. Diese kann durch eine Intensivierung

Personen, Wissen, materiellen Gütern und

des kulturellen Faktors Bildung und Ausbildung

Geld geführt haben;

wesentlich leichter werden. Für französische

2. die Energieversorgung, das heißt, die Abhän­ gigkeit des Nordens vom Süden im Bereich der fossilen Energien sowie der Energiebedarf des Südens in der Zukunft. Durch die politischen

Unternehmen arbeiteten 2010 tatsächlich 110.000 Afrikaner, die in Frankreich studiert hatten (Schubert 2013); 5. Fragen der Sicherheit aufgrund gesell­schaft­

Spannungen in Osteuropa erhöht sich das

licher Instabilität. Sie zwingen Nord und

Interesse an Öl und Gas aus dem Süden. Mit

Süd nicht nur zu kollaborativen, besser:

den Gasleitungen von Algerien nach Spanien

gemeinsam gestalteten Sicherheitsstrukturen

und mit den Aufbereitungsanlagen für alge­

klassischer Art, sondern auch zur gemein­

risches Flüssiggas an der spanischen Küste

samen Arbeit an Fragen der Arbeitslosigkeit,

(Wieland 2014) wird dieses Interesse konkret

der Korruptionsbekämpfung, des Staats­

wahrnehmbar, leider derzeit deutlicher als

verständnisses und der sozio-kul­t urellen

in dem großen, aber labilen Projekt Desertec.

Bedeutung von Religion einschließlich des

Hier verbindet sich der Faktor Energie mit den Faktoren Umwelt und Klima; 3. die wechselseitigen wirtschaftlichen Interessen.

kämpferischen Säkularismus im Norden. Nun komme ich zu einigen kulturellen Faktoren, die den funktionalen Euro-Mediterranen Raum

Sie haben sich in Europa aufgrund der Wachs-

be­g ründen:

­­tumsraten im Süden verstärkt.15 Umge­kehrt

1. Die Regionen des Euro-Mediterranen Raums

profitiert der Süden vom Mittelmeertourismus,

haben eine in weiten Bereichen gemeinsame

der sich trotz aller Krisen immer wieder er­holt.

Geschichte. Man muss dabei nicht gleich welt-

Probleme des Südens durch europäische Land-

historisch denken wie Ian Morris, der auch die

wirtschafts- und Industriepolitik (verstärkt

arabisch-islamische Welt zum ‚Westen‘ zählt

durch asia­tische Billiglöhne und -produktion)

und die Reiche der Araber mit denen der Römer

warten auf eine Lösung. Algerien, wo eine

und Briten in eine Reihe stellt (Morris 2010).

junge Generation gut ausgebildeter Kräfte

2. Der Euro-Mediterrane Raum war im 19. und

auch in wirtschaftliche Führungspositionen

20. Jahrhundert ein von europäischen Mächten

einrückt, könnte beim Aufbau einer euro-

geprägter Kolonialraum. Die Länder des Raums

medi­terranen Wirtschaftszone eine Schlüsselrolle

haben dadurch ein partiell gemeinsames Erbe

übernehmen;

an Kulturwissen der Moderne. Im Maghreb,

4. die Bevölkerungsentwicklung, die vielen Jungen im Süden und die Folgen: Jugendarbeits­losig15  Folgende Wachstumszahlen beziehen sich auf das Jahr 2013: Deutschland 0,4 %, Marokko 4,4 % , Tunesien 2,8 %, Senegal 4,0 % , Tschad 3,6 %. Das Wachstum, ins­be­son­dere im sub­saharischen Afrika (Nigeria 7,3 %), ist also weit höher als im Norden (Fact fish 2014). Noch ist es freilich so, dass die USA 20 % ihrer Direkt­i nvestitionen in ihrem Süden, das heißt, in Mexiko und Lateinamerika tätigen, Europa in ‚seinem‘ Süden aber nur zwei Prozent (Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 12).

im saharischen und Teilen des subsaharischen Afrika nimmt Französisch eine zentrale Rolle als Zweitsprache ein. Die wirtschaftlichen und intellektuellen Eliten kommunizieren meist auf Französisch. 85 % der französischsprachigen Weltbevölkerung werden im Jahr 2050 Afri­kaner sein (Schubert 2013). 3. Der dynamische Euro-Mediterrane Raum hat sein Epizentrum im engeren Mittelmeergebiet,


25

WIKA-Report (Band 2)

mit seinen historischen Hochkulturen,

ständig bekämpft werden, um Herrschaftsdiskurse

seinen monotheistischen Religionen

im Sinne Foucaults und die damit verbundene Aus-

und seinen kul­t urellen Begegnungen

schließung von Menschen und Ideen zu vermeiden.

zwischen Nord und Süd, West und Ost. Die

Institutionen braucht allerdings auch der funkti-

davon aus­gehenden Energien strahlen als

onale Raum. Auch eine Geopolitik funktionaler

kulturelle Wirkfaktoren immer noch aus

Räume sollte sie anstreben, sie dürfen aber nicht

auf alle Gebiete des euro-mediterranen

Teil starrer Dispositive der Macht werden. Eine

Großraums, die in engerem kulturellen

Verselbständigung solcher Institutionen wäre im

Austausch mit der Kernzone des klassischen

funktionalen Raum besonders gefährlich, weil die-

Mittelmeerraums standen und stehen.

ser sich durch die Dynamik vielfach verknüpfter

4. Auch kulturelle Konflikte konstituieren einen funktionalen Raum. Der Islam ist

Institutionen konstituiert. Ein Blick auf die bisherige europäische Politik

tatsächlich ein ‚Teil‘ Europas. Umgekehrt

für den Mittelmeerraum sowie die deutsche Mittel-

sind Aufklärung und andere Diskurse des

meerpolitik vor 2012 zeigt auch in der Vielfalt ihrer

Nordens (wie Säkularismus, Identitarismus,

Instrumente wie der Europäischen Nachbarschafts-

Rationalismus, Technizismus, Hedonismus…)

politik (ENP) oder der Union für den Mittelmeer-

‚Teil‘ der arabischen und afrikanischen

raum (UfM) folgende drei Merkmale auf,16 die freilich

Welt. Dort begegnen sie dem Europäer

nicht als unwandelbar betrachtet werden sollten:17

oft sogar mit überscharfen Konturen.

(1.) Das zugrundeliegende Raumkonzept stützt

5. Es gibt dazu eine starke, emotional ge­prägte

sich auf eine Akkumulation von Vertrags-Staaten

wechselseitige Anziehungskraft. Im Norden

und entspricht (noch) nicht dem tatsächlichen

gibt es den Traum vom Süden, der auch die Welt

Umfang des Euro-Mediterranen Raums, verstan-

südlich und östlich des Mittelmeers umfasst

den als funktionaler Raum. Hier scheint sich aller-

(Richter 2009; Schäfer 2014: 72f.) sowie eine

dings etwas zu ändern. Afrika wird auf der geopoli-

ziemlich unverwüst­l iche orientalistische

tischen Landkarte sichtbar, gelegentlich auch unter

Roman­t ik, wie sie sich, um nur ein Beispiel zu

funktionalen Aspekten.18

nennen, im Hausbesitz Tausender von Europäern in der Medina von Marrakesch zeigt (Escher/ Petermann 2009). Im Süden gibt es, trotz aller Kritik, eine Faszination, die sich vor allem auf die freieren europäischen Lebensformen und die Offenheit der Räume bezieht. Welche (Geo-)Politik für den Euro-Mediterranen Raum von Dublin bis Damaskus, vom Niger bis zum Nordkap wäre nun vorzuschlagen? Eine Geopolitik funktionaler Räume erfordert die beständige Anstrengung, das funktionale Zusammen- und Ineinanderwirken von Aktionen und Akteuren zu identifizieren und zur Grundlage politischen Denkens und Handelns zu machen, und zwar im Sinne der ‚Polis‘, ihres Bürgerverbands der Freien und Gleichen sowie ihrer nachhaltigen, also gerechten Ordnung des Zusammenlebens. Tendenzen zur Verdinglichung, Normierung des Raumbildes Euro-Mediterraner Raum sollten erkannt und

16  Vgl. Hrbek/Marhold (2009), Mohsen-Finan/Schäfer (2014: 7, 8, 10). Eine eingehende Untersuchung der deutschen Politik und ihrer Diskurse gegenüber den Maghrebländern von 2001 bis 2011 im Kontext der europäische Maghreb-Politik bietet eine vom Verf. betreute Karlsruher Dissertation von Marcel Ernst, die in Kürze im Transcript-Verlag erscheinen wird. 17  Eine Forschungsmatrix für Mittelmeerstudien hat Isabel Schäfer entwickelt (Schäfer 2014: 72–81). Zugleich bietet ihre Darstellung zahlreiche Informationen über Entwicklungen auf den wesentlichen Feldern europäischer Politik. 18  Die Autoren des Projekt-Papers „European Global Strategy (EGS)“ (2013) schlagen vor, „den Mittelmeerraum als ein Gebiet zu betrachten, das die Golfstaaten und insbesondere [sic!, Anm. d. Verf.] das südlich der Sahara gelegene Afrika mit einbezieht“ (Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 11). Bei den Genshagener Gesprächen 2013 sprach sich auch der UfMGeneralsekretär, Fathallah Sijilmassi, für eine Intensivierung der Beziehungen mit Ost- und Südosteuropa, v. a. aber mit Afrika aus (Thum 2014). Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Brüssel (2014), an dem über 60 Regierungschefs beider Kontinente teilnahmen, wurde eine „Erklärung über Migration und Mobilität“ unterzeichnet, die eine gemeinsame Politik zur Förderung legaler Migration und solider Ausbildung in Afrika vorsieht.


26 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

(2.) Die europäische Politik hat sich trotz der

beteiligt (Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 17). Das hat

wohl beabsichtigten und formal bestätigten Bereit-

es noch nie gegeben. Diese Aktivitäten sollte man

schaft zu Dialog, Partnerschaft und Zusammen­

zur Kenntnis nehmen. Man sieht, auf welchen

arbeit in Wirklichkeit noch nicht ganz von einem

Wegen die Geopolitik des funktionalen Raums im

objektivistischen Zugang gelöst. Dies mag zum Teil

Euro-Mediterranen Raum in Gang kommt. Sie sollte

auch am Mangel an Initiativen bei den Partnern

auch andere Länder in Europa und im Süden ins-

liegen.19 Die europäische Mittelmeerpolitik ist aus

pirieren. Ein vollständiges Bild ergibt sich, wenn

dem so genannten Barcelona-Prozess hervorgegan-

man berücksichtigt, dass viele Maßnahmen des

gen und enthält – ohne besondere Rücksicht auf

Konzepts Transformationspartnerschaften auf die

regionale Tradition – nach wie vor normative Ele-

Stärkung der Bürgergesellschaft, auf Bildung und

mente (Demokratie, Menschenrechte, Zivilgesell-

Wissenschaft, Ausbildung und Kultur zielen, also

schaft, Freihandel), die tendenziell im Sinne west-

nicht nur staatliche Institutionen betreffen. Der

licher Muster umgesetzt werden sollen. Dies ist die

Eindruck von Ratlosigkeit, Vergeblichkeit, Desin-

so genannte Konditionalität zum Beispiel der Euro-

teresse, Lustlosigkeit, die Khadija Mohsen-Finan

päischen Nachbarschaftspolitik (ENP). Inwieweit die

und Isabel Schäfer beklagen (2014: 7, 9 und öfter),

derzeitigen Dialoge zum Beispiel mit den so genann-

ist also vermutlich gar nicht der Politik anzulasten,

ten gemäßigten Islamisten tragen, wird sich zeigen.

zumindest nicht der deutschen Diplomatie, sondern

(3.) Die bisherige europäische Politik ist trotz

ist vielleicht eher Resultat bestimmter Dispositive

einer anders orientierten Rhetorik vor allem durch

und entsprechender Diskurse bei den Medien.

Technik und wirtschaftliche Erwägungen geprägt.

Können wir sagen, dass sich die europäische

Dies zeigt besonders der Vertrag über die UfM. Die-

Politik, mehr aber noch die deutsche Politik in

ser enthält viel kulturpolitische Rhetorik, die kul-

einer Zwischenzone zwischen klassischer Geopo-

turelle Dimension ist im Euro-Mediterranen Raum

litik und einer neuen multilateralen, effektiv part-

ja auch nicht zu vernachlässigen. Aber er besteht

nerschaftlich orientierten Politik bewegt? Wel-

im Wesentlichen aus technischen Großprojekten.

cher Schritt muss getan werden, damit daraus die

Bei der deutschen Mittelmeerpolitik haben sich

andere, neue Geopolitik Europas wird, die zugleich

seit 2012 demgegenüber wesentliche Veränderun-

eine Geopolitik der nicht-europäischen Partner im

gen ergeben. Diese Veränderungen betreffen eine

Euro-Mediterranen Raum vis-à-vis Europa sein

bilateral organisierte neue Politik gegenüber und

muss? Ich mache es mir erst einmal einfach, indem

in Kooperation mit Tunesien. Neben die ‚Transfor-

ich hier ein Konzept vortrage, das bereits 2005 von

mationspartnerschaften‘ mit Ägypten und Tune-

der Euro-Mediterranean Study Commission (Euro-

sien, unter Einbeziehung von Marokko und Jorda-

MeSCo), einem Netzwerk euro-mediterraner Think-

nien, Libyen und dem Jemen sind zwei besondere

tanks, vorgeschlagen worden ist. Andreu Bassols,

Partnerschaften getreten: eine ‚Sicherheitspartner-

der Generalsekretär des IEMed (Institut Europeu

schaft‘ und eine ‚Energiepartnerschaft‘. Im Sep-

de la Mediterrània), des katalanischen Mittelmeer-

tember 2012 fanden die ersten deutsch-tunesischen

Instituts in Barcelona, hat es in dem vom Verfasser

Regierungskonsultationen auf der Ebene der Staats-

im Auftrag des ifa (Institut für Auslandsbeziehun-

sekretäre statt, weitere sollen in halbjährlichen

gen) herausgegebenen Band „An der Zeitenwende:

Rhythmus folgen. Neun Ministerien waren daran

Europa, das Mittelmeer und die arabische Welt“

19  Diese müssten dann die Rolle von „Ko-Financiers, Ideen­ produzenten oder Entwickler[n] von Gegen-Projekten“ übernehmen (Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 11). Erst jetzt, im Rahmen des „5+5-Dialogs“ wird ein solches Engagement in Konturen erkennbar (a.a.O.: 19). Siehe z. B. das marokkanische Projekt der neuen Euro-Mediterranen Universität in Fes (Université Euro-Méditerranéenne de Fès/UEMF) unter dem Signum der UfM (Anm. d. Verf.).

erläutert (Bassols 2012). Angst ist nicht am Platz, das Konzept beinhaltet nicht die Aufnahme aller Staaten des mittelmeerisch-afrikanischen Südens und der Levante in die EU. Vielmehr geht es von einer variablen Geometrie des Euro-Mediterranen Raums aus und zielt


27

WIKA-Report (Band 2)

auf die Schaffung eines „gemeinsamen Rahmen[s],

Netzwerk funktionaler Beziehungen geht Bassols

eine[r] gemeinsamen Arbeits- und Kooperations-

nicht ein. Dies ist aber für eine neue Geopolitik im

plattform“, die allen Ländern der Region, auch

und für den Euro-Mediterranen Raum von hoher

Europa, einen „politischen Horizont“ gibt. Bassols

Bedeutung. Geopolitik der funktionalen Räume

spricht darüber hinausgehend von einer „Gemein-

beruht auf der Erkenntnis bestehender Strukturen

schaft demokratischer Saaten“ (ebd.: 18). Wichtig

verdichteter Interaktion und Kommunikation. Sie

ist ihm der „multilaterale Charakter“ des Gebildes.

zielt darauf ab, diese Strukturen so zu modellieren,

Als „Schlüsselkonzepte“ nennt er „Zugang, Teil-

dass sie eine gerechte, dauerhafte und nachhaltige

habe und Solidarität“:

Ordnung des Zusammenlebens der Menschen in

„Die dreifache Dimension des Zugangs zum

einem bestimmten Raum, hier dem Euro-Mediter-

europäischen Raum, der Teilnahme an

ranen Raum ermöglichen. Um dies zu erreichen,

bestimmten politischen Handlungsfeldern

schlage ich, wie auch Isabel Schäfer (2014: 67 und

und Institutionen, aber auch die Dimension

69), vor, diese Strukturen als ‚System‘ zu begreifen

der Solidarität, zusammen mit konkretem

und zur Grundlage von Aktionen, Deutungs- und

und substanziellem politischen Handeln

Kommunikationsmustern sowie Institutionen zu

sollte das elementare Gefüge einer engen

machen. Als System verstehe ich ein funktionales

Beziehung mit denjenigen Ländern im süd-

Gebilde aus Teilen, die so miteinander verbunden

lichen Mittelmeerraum bilden, die die Prin-

sind und interagieren, dass Veränderungen eines

zipien der Demokratie und der Marktwirt-

Teils auch zu Veränderungen anderer Teile sowie

schaft respektieren“ (ebd.: 18 f.).

des ganzen Gebildes führen. Ein System kann als

Keine Frage, indem er auf Demokratie und Markt-

eine Funktionseinheit verstanden werden, die sich

wirtschaft beharrt, bleibt das Konzept auf der

von anderen Einheiten abgrenzen und ihr Weiter-

Linie von Barcelona-Prozess und UfM. Aber es ist

funktionieren prinzipiell selbst organisieren kann.

richtig, darauf zu beharren, vorausgesetzt, die Kri-

Begreift man den Euro-Mediterranen Raum, einen

terien werden zum Gegenstrand eines interpre-

funktionalen Raum, als System, mag man sich heu-

tierenden Dialogs, der die Substanz festhält, aber

ristisch, um Erkenntnisse zu gewinnen, auf ein

regionalen Unterschieden Raum lässt. Daher sollte

Schema einlassen, das in den Sozialwissenschaften

man die „Gemeinschaft demokratischer Staaten“

entwickelt wurde und trotz der heftigen wissen-

etwas genauer formulieren, zunächst vielleicht als

schaftstheoretischen Debatten, die darüber geführt

‚Gemeinschaft von Staaten, die unter Berücksich-

worden sind, sehr wirkkräftig war und in seiner

tigung ihrer kulturellen Traditionen bestimmte

direkten und indirekten Rezeption wohl auch noch

Standards an Demokratie, Gewaltenteilung und

ist. Entwickelt wurde dieses Schema von einem der

Rechtsstaatlichkeit erfüllen und sich den Men-

großen Persönlichkeiten der Sozialwissenschaf-

schenrechten, auch in ihrer transkulturellen

ten, Talcott Parsons. Nach diesem Schema muss ein

Auslegung,20 verpflichtet fühlen‘.

erfolgreiches System folgende Funktionen erbringen: Es muss sich ständig an veränderte Bedingun-

Kulturelle Faktoren einer Geopolitik funktionaler Räume: Der Euro-Mediterrane Raum und seine Organisation

gen anpassen können (Anpassungsfähigkeit), es muss fähig sein, Ziele zu bestimmen, daran arbeiten und diese zu erreichen versuchen (Zielverfolgung), es muss imstande sein, neue Elemente aufzunehmen, zu integrieren und das System dennoch

Auf eine gemeinsame Kulturpolitik im und für

zusammenzuhalten (Zusammenhalt und Integra-

den Euro-Mediterranen Raum und sein dichtes

tion) und es muss schließlich eine belastbare Legitimationsbasis durch geteilte Werte schaffen können

20  Vgl. den in seinen Aussagen dazu sehr entschiedenen Beitrag von Sarhan Dhouib im vorliegenden Band.


28 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

(Strukturerhaltung).21 Diese Funktionen des gesell-

der islamisch geprägten Mittelmeerwelt, im saha-

schaftlichen, auch politischen, kulturellen und

rischen und subsaharischen Afrika, ja und auch in

wirtschaftlichen Systems überschneiden sich. Sie

Europa. Kern aller Entwicklung, so der britische

werden verbunden durch die zentrale Systemfunk-

Soziologe Morris Ginsberg, ist die „Überprüfung

tion der Kommunikation, und zwar, wie im Euro-

und Neuordnung“ des Wissens aufgrund neuer

Mediterranen Raum, einer verdichteten, aber nach

Erfahrungen. Dies bedarf und führt auch zu einer

außen prinzipiell offenen Kommunikation durch

neuen Sprache, einem neuen Denken und einem

Sprache, Medien und Symbole.22

neuen Handeln (Thum 2012b: 91). Wesentlich sind

Bleibt man bei diesem hier erkenntnisleitend

bei diesem Vorgang ein wechselseitiges Vertrauen,

(heuristisch) verwendeten Gerüst, müsste eine

das eine Verständigung jenseits des Mainstreams

multilaterale, partnerschaftliche, nicht-objektivis-

zulässt, sowie geteilte Erkenntnis.23 Informelle freund­

tische Geopolitik für den Erweiterten Mittelmeer-

schaftliche Beziehungen, in den Wissenschaften, in

raum als funktionalen Raum, den Euro-Mediterra-

Kultur und Kunst, aber, soweit möglich, auch in den

nen Raum, für folgende Leistungen sorgen:

Medien und in der Politik, sind dabei sehr wichtig.

1. Adaptationsfähigkeit

hohe Adaptationsleistung erbracht werden kann,

Freilich bedarf es, damit die ständige und einer institutionellen Sicherung, die gleichzeitig

Eine solche Geopolitik müsste dafür sorgen, dass

fördert und inspiriert. Dies könnten institutiona-

Gesellschaften und Individuen im Euro-Mediterra-

lisierte und auf Dauer gestellte euro-mediterrane

nen Raum in der Lage sind oder in die Lage versetzt

Netzwerke der Zivilgesellschaft sein, in denen

werden, sich in kreativer Weise mit neuen Bedin-

über wechselseitiges Lernen schöpferische Anpas-

gungen auseinanderzusetzen und sich diesen anzu-

sungsleistungen erfolgen, insbesondere in den

passen.

Bereichen Wissenschaft und Bildung (Universitä-

Dafür bietet die Struktur gerade dieses Raums

ten mit spezieller Orientierung in Forschung und

als Begegnungs-, Kommunikations- und Konflikt­

Lehre, konkrete kollaborative Projekte im Rah-

raum eine gute Grundlage. Die ständig erforder-

men von Studierendenaustausch, Partnerschulen,

liche Auseinandersetzung mit materiellen und

Wissenschaftsstiftungen), Wirtschaft (Organisa-

gesellschaftlichen Problemen auf den Feldern

tion dezentralisierter Produktion, Förderung von

Mobilität, Migration, Wirtschaft, Energie, Staat-

Mobilität 24 und Innovation, Umweltschutz, regu-

lichkeit, Sicherheit sowie mit anderen kulturellen,

lierter Freihandel, eine auf Ausgleich und Förde-

zum Teil religiös verstärkten Mustern erzwingt

rung bedachte Finanzpolitik), Kultur (interkultu-

Veränderung, Wandel, ja auch Entwicklung – in

reller und interreligiöser Dialog, Kulturstiftungen als Plattform euro-mediterraner Diskurse, Einrich-

21  Talcott Parsons nennt diese Funktionen im Rahmen seiner Theorie des Struktur- bzw. Systemfunktionalismus. Er fasst sie in dem so genannten AGIL-Schema zusammen: Adaption, Goal-Attainment, Integration und Latency (Parsons 1951). Parsons bezieht dieses Vier-Funktionen-Schema auf alle Arten von gesellschaftlichen Systemen, auch von politischen, unabhängig vom geografischen und historischen Ort. Leider streift man mit einem Rückgriff auf die Systemtheorie Parsons‘ das Feld methodologischer und wissenschaftstheoretischer Diskussionen in den Sozialwissenschaften. Im vorliegenden Beitrag geht es aber um etwas Anderes: um ein (geo-) politisches Konzept im und für den Euro-Mediterranen Raum, das erkenntnisleitende Begriffe, eine Heuristik braucht. 22  Die Bedeutung von Kommunikation für die Entstehung und Beständigkeit von Systemen ist Kern des systemtheoretischen Konzepts von Niklas Luhmann (1987).

tung eines euro-mediterranen Kulturrats), Kulturwirtschaft (Öffnung der Märkte, gemeinsame Ausbildungen und Produktionen) sowie Medien (länder­übergreifender Vertrieb von Medienprodukten wie Filmen, Büchern, IT-Produktionen und 23  In der Wissenschaftssoziologie spricht man von Epistemischen Gemeinschaften, transnationalen Netzwerken von Experten mit hohem Einfluss auf politische Entscheidungen. Der Begriff wurde von Peter M. Haas (1989) am Beispiel einer ökologischen Politik für das Mittelmeer entwickelt. 24  Mohsen-Finan/Schäfer schlagen ein euro-mediterranes „Unterstützungsprogramm zur Gründung (privater) Arbeitsvermittlungen“ vor (2014: 23).


29

WIKA-Report (Band 2)

anderem). Im Bereich der politischen Organisation

Großraums muss aber auch das Gewebe der ver-

im engeren Sinn wäre eine Institution, die Anpas-

schiedenen Funktionen politisch sichtbar bleiben.

sungen koordiniert, die oben von Euro-MeSCo vor-

Das heißt, dass Pfade gefunden werden müssen,

geschlagene Plattform von Staaten.

die oben unter (1.) genannten institutionalisier-

2. Zielverfolgung Eine neue multilaterale, partnerschaftliche und

ten Netzwerke der Zivilgesellschaft an der Bestimmung und Umsetzung von Zielen zu beteiligen.

3. Zusammenhalt und Integration

nicht-objektivistische Geopolitik im und für das System Euro-Mediterraner Raum erfordert auch,

Eine neue multilaterale, partnerschaftliche und

gemeinsam Ziele zu definieren und zu verfolgen.

nicht-objektivistische Geopolitik im und für den

Dazu bedarf es wiederum geeigneter Insti-

Euro-Mediterranen Raum müsste auch dafür sorgen,

tutionen. Beginnen könnte man mit einer Ein-

dass Gesellschaften und Individuen dieses Raums in

richtung in der Art der oben genannten Arbeits-

der Lage bleiben oder in die Lage versetzt werden,

und Kooperationsplattform von Ländern, die

am Zusammenhalt des großräumlichen Gefüges

gemäß der vor­geschlagenen Formulierung ‚unter

‚Euro-Mediterraner Raum‘ Anteil zu nehmen und

Berücksichtigung ihrer kulturellen Traditionen

mitzuwirken. Zugleich sollen Gesellschaften und

bestimmte Standards an Demokratie, Gewalten-

Individuen dazu beitragen, dass in das Gefüge auch

teilung und Rechtsstaatlichkeit erfüllen und sich

neue Elemente eingefügt werden können.

den Menschen­rechten, auch in ihrer transkultu-

Wichtig wäre hier, dass die funktionalen

rellen Auslegung, verpflichtet fühlen‘. Aus dieser

Gebilde des Euro-Mediterranen Raums, das heißt

Gruppe von Ländern könnten wesentliche Impulse

seine Akteure und seine Institutionen, Vertrauen

für die UfM, oder später auch eine neu und bes-

schaffen: durch Verlässlichkeit, Voraussagbarkeit

ser gegründete Union hervorgehen, die man dann

der nächsten Handlungen, nachhaltig realisierte

auch zu Recht Mittelmeerunion nennen könnte.

Verabredungen, zuverlässige Zu- und Absagen, Ver-

Anfangs darf sie keinesfalls alle Staaten des Raums

tragstreue, Rechtssicherheit, wechselseitigen Res-

umfassen. Der „ 5+5-Dialog “ im westlichen Mit-

pekt, und nicht zuletzt durch konsequente Verfol-

telmeerraum zeigt, auch wenn er die genannten

gung von Unterschleif und Vetternwirtschaft.27

Kriterien nur unvollkommen erfüllt, dass man

Voraussetzung dafür ist langfristig, dass die

im Euro-Mediterranen Raum mit einer variablen

vorhandenen Ressourcen (Wissen, Energie, Land,

Geometrie vorankommt. Allerdings müsste dieser

Bodenschätze, Arbeit, Know-how, Mobilität) ver-

Dialog unbedingt auch zu einer Plattform für Län-

nünftig eingesetzt werden, um eine wenigstens

der werden, die wie Deutschland keine Küstenlän-

im Prinzip vergleichbare soziale Sicherung zu

der sind.25 Eine Einrichtung in der Art der derzeit

erreichen. Auch dies ist ein kultureller Faktor, der

bestehenden Parlamentarischen Versammlung der

von einer Geopolitik funktionaler Räume berück-

Union für den Mittelmeerraum (UfM-PV) könnte

sichtigt werden muss. Gerade in einem funktio-

mutatis mutandis, mit weitergehenden Rechten

nalen Raum erwarten die Menschen wirtschaftli-

ausgestattet, neu konstituiert werden. 26 Wegen

chen Gewinn. Wenn es keinen gibt oder wenn er

des besonderen Charakters eines funktionalen

sich auch nur mindert, machen sie die Institutionen solcher Räume verantwortlich. Die EU bietet

25  Dies fordert auch Sijilmassi (Thum 2014). Zum „5+5-Dialog“ s. Anm. 6.

dafür ein Beispiel. Von den scheinbar dramatischen

26  Eine Darstellung dieser Versammlung findet sich auf einer Website des Deutschen Bundestags: https://www.bundestag.de/bundestag/europa_internationales/international/ PV-UfM/aufgaben_und_arbeit/246168 (zuletzt aufgerufen am 23.08.2014).

27  Tunesien, Marokko und Algerien rangieren im weltweiten Ranking des Korruptionswahrnehmungsindexes von Transparency International Deutschland (2013) auf mittleren Plätzen, Tunesien, das seit dem Ranking von 2010 deutlich abgestürzt ist, hinter Italien, aber noch vor Griechenland.


30 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

Unterschieden beim Bruttoinlandsprodukt (BIP)zwi-

eine afrikanische Wissenschaftlerin auf einer Kon-

schen Nord und Süd sollte man sich nicht von vorn-

ferenz in Bamako vorträgt, muss genauso ernst

herein entmutigen lassen. Das erlaubt man sich ja

genommen und bedacht werden wie die Stimmen

auch nicht im Verhältnis zu Osteuropa. Kaufkraft-

im jeweils eigenen kulturellen Milieu.

bereinigt liegt das BIP pro Kopf von Tunesien unge-

Zur Forderung nach Integrativität des Systems

fähr auf einer Ebene mit dem Mazedoniens, Alba-

Euro-Mediterraner Raum, seiner erwünschten

niens und Bosnien-Herzegowinas, also Ländern,

Fähigkeit zur Kohäsion gehört auch, wie bereits

die aussichtsreich in die EU streben. Algerien steht

dargelegt, dieses Gebilde offen zu halten und neue

besser da als die Ukraine, und Marokko sowie Jor-

Elemente (Menschen, Gruppen, Gesellschaften,

danien lassen sich immerhin mit Georgien ver-

Volkswirtschaften, Staaten, Ideen) zu integrieren.

gleichen.28 Im Human Development Index (HDI 2013)

Dies ist allerdings nicht unbegrenzt möglich. Ein

schaffen es Tunesien und Algerien noch knapp in

wichtiges Kriterium für eine ‚Grenz‘-Ziehung, bes-

die Kategorie „Hohe menschliche Entwicklung“,

ser: den Verzicht auf Inklusion und Integration, ist

Marokko und Jordanien in die Kategorie „Mittlere

die abnehmende Dichte der Interrelation, der Inter-

menschliche Entwicklung“. Der Zugang zu den

aktionen, der Kommunikation, des ideellen und

europäischen Märkten bleibt freilich entscheidend

materiellen Austauschs, also der Faktoren, die den

für die ökonomische Seite der Integration.

funktionalen Raum begründen. Auch ist davon aus-

Zuletzt, aber nicht weniger dringlich, sei noch

zugehen, dass potenzielle Partner selbst eine Inte-

auf die integrative Kraft der Sprache hingewie-

gration in das ‚System‘ Euro-Mediterraner Raum

sen und die damit verbundene Integration durch

ablehnen. Dies ist möglich und wahrscheinlich,

gemeinsame Themen und Diskurse. Der bereits

wenn diese potenziellen Partner sich einem ande-

zitierte britische Soziologe Ginsberg hat darauf

ren funktionalen System zuordnen wie gegenwär-

hingewiesen, dass jede Entwicklung auch eine

tig die arabischen Golf-Staaten, die selbst zu trei-

Neuformulierung von Begriffen mit sich bringt, ja

benden Akteuren einer anderen großräumlichen

voraussetzt. Dies muss in den Hochschulen, in den

Struktur geworden sind.

Medien und im literarischen Schaffen des Euro-

An dieser Stelle, im Kontext von Zusammen-

Mediterranen Raums kollaborativ und praktisch

halt und Integration, ist auch an das mehrfach

erfolgen. Vielleicht könnte der von Mohsen-Finan

genannte Thema Sicherheit zu erinnern. Eine

und Schäfer (2014: 23) vorgeschlagene euro-medi-

Sicherheitspolitik für den Euro-Mediterranen

terrane Fernsehsender in der Art der deutsch-fran-

Raum muss gemeinsam gestaltet und verwirklicht

zösischen Gründung ARTE dazu beitragen.

werden. Sie muss auch Fragen der Rechtssicherheit,

Was diese neue Sprache auszeichnen muss,

der Arbeit, der wirtschaftlichen Fairness, der Bil-

ist freilich nicht nur eine andere Beschreibung

dung und Ausbildung, auch des Verhältnisses von

der Welt. Auch die Haltung der Sprecher und ein

Staat und Religion, überhaupt eines menschenwür-

respektvoller Umgang der Sprecher miteinander

digen Lebens betreffen. Es gilt, was man im Januar

muss diese Sprache auszeichnen. Dies schließt

2014 vor dem EU-Außenministertreffen zum Enga-

Konflikte nicht aus, steuert sie aber im Sinne zivi-

gement in Afrika, im Kontext des ‚Bürgerkriegs‘ in

lisatorischer Regeln, die gerade in einem funkti-

der Zentralafrikanischen Republik, in der Presse

onal bestimmten, also in ständiger prozesshafter

lesen konnte: „Es muss ein politisches Konzept

Bewegung befindlichen Raum von hoher Bedeu-

für die Region für die Zeit nach dem Militärein-

tung sind. Was ein Arbeitskollege am Polarkreis

satz geben. Auch das gehört zur Verantwortung.“

in einen projektorientierten Dialog einbringt, was

(Sturm 2014)

28  Quelle: Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für 2013, 23.08.2014 (http://de.wikipedia.org/wiki/ Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Bruttoinlandsprodukt_pro_ Kopf)

Die Konkurrenz mit anderen raumpolitischen Konzepten bietet allerdings eine Chance. Die Funktionen Zielverfolgung und Zusammenhalt können


31

WIKA-Report (Band 2)

auch durch Konflikte gefördert werden. Diese sind

Wissensinhalten zu einem bewusst und profiliert

da, man braucht sie nicht zu provozieren. Funktio-

euro-mediterranen Wissensgefüge gewagt? Dies

nale Räume überlappen sich an den Rändern, dort

hat sich inzwischen die in Gründung befindliche

wo die Intensität von Relation und Kommunikation

(zweite) Euro-Mediterrane Universität im marok-

und damit die Anziehungskraft der Zentren weni-

kanischen Fes (Université Euro-Méditerranéenne

ger stark ist. Durch Konflikte mit anderen Raum-

de Fès/UEMF) zum Ziel gesetzt. Sie wird ebenfalls

konstrukten werden die Ränder aufgewertet und

von der UfM unterstützt, ihre Diplome werden ein

erhalten mehr Energie. Diese kann sich in Abgren-

Gütesiegel der Union erhalten. Tausende von Stu-

zung, besser aber in eine Vertiefung von inner-

dierenden aus dem ganzen Euro-Mediterranen

räumlichen Beziehungen umwandeln lassen.

Raum sollen davon profitieren. Ein interdiszipli-

4. Strukturerhaltung

näres Forschungszentrum soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ebenfalls aus dem ganzen Euro-Mediterranen Raum und darüber hinaus,

Eine neue multilaterale, partnerschaftliche und

zusammenführen. Ergänzt werden sollte diese Lei­

nicht-objektivistische Geopolitik im und für den

stung, so ein Vorschlag, den der Verfasser an die-

Euro-Mediterranen Raum müsste auch darauf abzie-

ser Stelle einbringen möchte, durch die Gründung

len, dem dynamischen Gebilde Dauer zu geben.

eines Netzwerks von Abteilungen für Euro-Medi-

Von hoher Bedeutung ist hier eine gemeinsame

terrane Studien an ausgewählten Hochschulen des

euro-mediterrane Bildung. In die bestehenden natio­

gesamten erweiterten Mittelmeerraums. Die För-

nalen Bildungssysteme müssen Elemente einer sol-

derung dieses Netzwerks durch die UfM, die EU

chen Bildung eingeführt werden. Dazu gehören

sowie interessierte Staaten und Stiftungen sollte

zum Beispiel Fragen zur Modernisierung in Europa,

über eine Ausschreibung erfolgen.

der arabischen Welt und dem saharischen sowie

Wichtig für den Zusammenhalt des Systems

subsaharischen Afrika, Innovation im interkultu-

Euro-Mediterraner Raum sind auch Symbole oder

rellen Vergleich, Ordnungen des Zusammenlebens,

nach Pierre Bourdieu: das symbolische Kapital. Die

euro-mediterrane Geschichtsbilder und Geschichts-

semantischen Potenziale des Euro-Mediterranen

politik, IT in den Kulturen des Euro-Mediterranen

Raums sollten erkannt und verbreitet werden. Dazu

Raums, der Euro-Mediterrane Raum als funktiona-

gehört nicht nur das klassische Kulturerbe Europas

ler Raum, Fragen kulturspezifischer Sozialisation

(Antike, Aufklärung, säkulare, christliche und jüdi-

und Bildung29 und anderes.

sche Denker des Humanismus bis ins 20. Jahrhun-

Von der UfM kann man mehr erwarten als

dert), sondern auch das der arabisch-afrikanisch-

die Gründung der kleinen Euro-Mediterranean

islamischen Welt (das philosophisch-wissenschaft-

University im slowenischen Portorož. Mit ihren

liche Erbe der Umayyaden- und Abbasidenzeit, das

Symposien, mit ihrer Vermittlung von Koopera-

maurische Spanien Al-Andalus, die arabischen und

tionen, ihren Master- und Doktorandenprogram-

saharischen Denker der islamischen Erneuerung

men im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich

im 19. und 20. Jahrhundert). Dieses Erbe, das traditi-

leistet sie bestimmt gute Arbeit. Es fehlt ihr aber

onell unterschiedlichen Kulturen zugeordnet wird,

eine der Bedeutung angemessene Strahlkraft, die

ist in dem sich entwickelnden Euro-Mediterranen

‚Leuchtturm‘-Qualität. Hat sie den entschiedenen

Wissensraum bereits verankert. Darüber hinaus

Schritt von globalen oder kumulierten nationalen

könnte und müsste man es in einer gemeinsamen

29  Die Stiftung Wissensraum Europa–Mittelmeer (WEM) hat im Juni 2012 in Stuttgart, in Kooperation mit der Abteilung Allgemeine Pädagogik des KIT, eine internationale Konferenz zum Thema „Sozialisation und Bildung im Euro-Mediterranen Raum“ durchgeführt. Die Teilnehmer kamen aus Europa, dem Maghreb sowie Sahel-Afrika.


32 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel

‚Erzählung‘ zusammenführen. 30 Der so geschaf-

Wichtig ist, dass diese Leistungen ‚geteilt‘ werden,

fene Mythos müsste und könnte differenziert und

dass ihre Ergebnisse öffentliche Güter, kulturelle

erweitert werden durch Geschichten, in denen von

Gemeinschaftsgüter (commons) werden.

Austausch und Konflikten erzählt wird: von den

Die neue Geopolitik der funktionalen Räume

Kreuzzügen, von Seehandel und Seekrieg, von den

verlangt fähige Akteure. Man findet sie in der Poli-

saharischen Reichen und ihrer Verbindung zum

tik und in den Hochschulen, bei den Kulturschaf-

Mittelmeer, vom Osmanischen Reich, von Napo-

fenden und in den staatlichen Verwaltungen, bei

leons Zug nach Ägypten, vom Kolonialismus und

Organisationen der Zivilgesellschaft und in der

seiner Abwehr, von Reform und Erneuerung in der

Wirtschaft, in Schulen und bei den Medien. Auch

‚Arabischen Welt‘. Man kann dieses Ineinander des

Europa, wie es sich in der Europäischen Union ent-

unterschiedlichen Kulturerbes auch für alle sicht-

wickelt hat, wurde zunächst von solchen Akteuren

bar machen am Beispiel von euro-mediterranen

und ihren Netzwerken aufgebaut. Mag man das geo-

Erinnerungsorten. Diese muss man erkennen und

politische Projekt Euro-Mediterraner Raum ruhig

im Sinne des kulturellen Amalgams deuten. Dazu

elitär nennen. Der zugrunde liegende ‚Text‘ von

gehören nicht nur Córdoba, Palermo und Amalfi,

Erfahrungen, Vorstellungen, Konzepten wird lang-

sondern auch Weimar (Goethe/Hafis), Coburg und

sam auch andere gesellschaftliche Gruppen oder

Schweinfurt (Rückert/Koranübersetzung).31

Schichten erreichen und in einem geeigneten histo-

Die Erörterung der vier Funktionen, die ein

rischen Moment die für bedeutende politische Ent-

Raumgebilde wie der Euro-Mediterrane Raum erfül-

scheidungen nötige Dynamik gewinnen. Den Euro-

len muss, hat immer wieder die Bedeutung kultu-

Mediterranen Raum als funktionales Gebilde gibt

reller Faktoren für eine Geopolitik funktionaler

es bereits, seine Umsetzung in eine multilaterale

Räume ins Licht gerückt. Es geht dabei ja um eine

geopolitische Struktur ist anzustreben und in klei-

Politik, die Anpassung und damit Wandel ermög-

neren oder größeren Schritten zu verwirklichen.

licht. Dies geht nicht ohne inter- und transkulturel-

„Derzeit wird Geschichte geschrieben, auch

len Dialog, nicht ohne die „Überprüfung und Neu-

für die folgenden Generationen.“ Mit einem Appell

ordnung des Wissens“ (Ginsberg), nicht ohne die

von Fathallah Sijilmassi, dem UfM-Generalsekretär,

Herausbildung einer neuen gemeinsamen ‚Sprache‘,

gerichtet an eine deutsch-französische Hörerschaft

neuer Begriffe, nicht ohne wesentliche gemeinsame

im November 2013 (Thum 2014), sei dieser Beitrag

Werte. Nicht weniger wichtig ist die Entwicklung

beschlossen: Zehn Jahre gibt Sijilmassi den Län-

von Freundschaft und Vertrauen. Auch dies ist eine

dern des Euro-Mediterranen Raums als gute Frist

kulturelle Leistung. Sie allein ist aber nicht aus-

für die Konsolidierung und Neupositionierung

reichend. Der Euro-Mediterrane Raum muss sich

einer Mittelmeerunion.

auch als symbolischer Raum konstituieren. Alle diese Leistungen können im Norden wie im Süden von Wissenschaft, Bildung und Kultur, am besten

Literatur

in Verbindung mit den Medien, erbracht werden. 30  Die Hochschulen nördlich und südlich des Mittelmeers müssen damit anfangen: Eine von Professoren und Studie­ renden der Universitäten Karlsruhe (heute KIT) und La Manou­ba (Tunis) veranstaltete Seminarreihe versuchte, über Porträts ‚großer Denker‘ (grands penseurs) eine ‚europäisch-arabische Ideengeschichte‘ in nuce zu entwerfen (Thum 2009: 89f.). 31  Die Stiftung Wissensraum Europa-Mittelmeer (WEM) e. V. arbeitet, gefördert von der Allianz-Kulturstiftung, an einer virtuellen Landkarte euro-mediterraner Erinnerungsorte. Die Internet-Veröffentlichung des Prototypen ist unter dem Titel „EuroMed MemoriaCarte“ für Ende 2014 vorgesehen.

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Prof. Dr. Bernd Thum, Studium der Germanistik,

Romanistik und Geschichte. Promotion 1968 an der Universität Heidelberg. Universitätsprofessor am

Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Literaturwissenschaft (Mediävistik). Arbeitsgebiete:

Germanistische Mediävistik, Interkulturelle Germa­ nistik, Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im

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tik. Bernd Thum ist Gründungspräsident der 2010 ins Leben gerufenen Stiftung Wissensraum Europa–Mit­ telmeer (WEM) e. V. – Kontakt: bernd.thum@kit.edu


36

zukommen sollen: Dabei handelt es sich nicht um

Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte

eine Sachverhalts-Definition, sondern um eine normative Forderung (vgl. Sandkühler 2010: 1531). Mit Blick auf die Entstehung der Menschenrechte und mit Blick auf die Entwicklungen ihrer Umsetzung innerhalb der einzelnen Kulturkreise sind jedoch erhebliche Differenzen zu verzeichnen, wovon der für die Menschenrechtsdebatte fundamen-

von Sarhan Dhouib (Kassel)

tale Begriff des Menschen nicht ausgenommen ist. Diese Differenzen sind zunächst einmal zu konstatieren und dürfen nicht außer Acht gelassen wer-

„Die Erklärung von 1789 passt mir [als Kolo-

den (vgl. Mohr 2009). Sie verlangen ebenso nach

nialisierte] vollkommen; sie verschärft

einer Differenzierung des Begriffs des Menschen

meine Revolte mit ihrer glänzenden Rhe-

im normativen Diskurs, wie nach Universalisie-

torik. […] Die Französische Revolution

rungsstrategien innerhalb der historischen Ent-

gehört uns durch einen Übertragungsakt,

würfe.

der zwar noch nicht klar war, aber das

Normen und Fakten einander gegenüberstel-

Herz des Antikolonialisten bewegte. Wir

lend stellt sich die Frage, welcher Begriff des Men-

waren die späten Schüler unserer Feinde.

schen einer normativen Forderung zu Grunde

Denn von welchem Menschen ist bei den

gelegt werden kann. Welche Rechte sollen welchen

Menschenrechten die Rede, wenn nicht

Menschen in welchem Umfang zukommen? Und

von uns? Denn der Mensch in uns darf auf

auf welcher Ebene soll das Menschsein verhandelt

keinen Fall wegen seiner Zugehörigkeit zu

werden: Geht es um den einzelnen Menschen als

einer Rasse, einer Nation, einer Religion

Individuum oder um den Menschen als Rechtssub-

missachtet werden. Die Erklärung war

jekt?

unsere Geburtsurkunde.“ (Béji 2008: 28f.)1

In meinem Beitrag geht es nicht darum, die Universalität der Menschenrechte in Frage zu

„‚Der Weg zur Würde‘ wurde uns von

stellen, sondern das Problem ihrer Universalität

Frauen und Männern, die Opfer von Aus-

im interkulturellen Diskurs zu untersuchen und

grenzung, von Folter und polizeilich diffa-

unter dem Aspekt der Transkulturalität neu zu

mierender Propaganda waren, aufgezeigt,

stellen. Dabei spielt die kritische Reflexion über

von marginalisierten, aber immer aufrecht

die Erfahrung von Unrecht zum Beispiel innerhalb

gebliebenen Parteien, von unabhängigen

despotischer Machtstrukturen in arabischen Staa-

Persönlichkeiten, die der Tyrannei wider-

ten in meiner Argumentation eine zentrale Rolle.

standen“ (Ben Achour 2011: 1).

Sie rückt die kritische Funktion des normativen Anspruchs der Menschenrechte wieder in den Vor-

Einführung

dergrund, zugleich befreit sie uns meines Erachtens von der unfruchtbaren Gegenüberstellung Islam/Westen. 2 Dabei wird sich zeigen, dass der

Menschenrechte sind Rechte, die einem jeden

Fokus weniger auf der normativen Setzung als auf

Menschen ungeachtet aller seiner sonstigen Eigen-

dem Prozess liegt, und dies bedeutet: weniger auf

schaften und allein Kraft seines Menschseins 1  Anm. der Herausgeber: Dieses Zitat wie auch weitere Auszüge aus französischen Texten wurden vom Verfasser ins Deutsche übersetzt.

2  Der Verfasser legt Wert auf die Feststellung, dass es sich hierbei um problematische Kategorisierungen handelt. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag dennoch auf die in gewissen Diskursen üblichen, Distanz anzeigenden Anführungszeichen verzichtet (Anm. der Hrsg.).


37

WIKA-Report (Band 2)

dem Begriff der Universalität als auf dem der Uni-

der Geschichte eines linearen Fortschritts der Men-

versalisierung.

schenrechtsideen eine Absage. Über Menschen-

Im ersten Teil meines Beitrags wende ich mich

rechte zu reflektieren heißt vor allem, die Zer-

der Unrechtserfahrung zu, wie sie in der „ Allge-

brechlichkeit der menschlichen Existenz ernst zu

meinen Erklärung der Menschenrechte“ (1948)

nehmen.3 Denn die Erfahrung der Ohnmacht prägt

und im „Tunis-Pakt für Freiheiten und Rechte“

uns – Menschen – zutiefst und führt uns an unsere

(2012) argumentativ eingebunden ist. Dabei geht

Grenzen. Können Unrechtserfahrungen eine „epi­

es mir nicht um eine historische Beweisführung

stemische Grundlage“ (epistemic foundation)4 für das

etwa der Art: Die Forderung nach Menschenrech-

Verstehen der Menschenrechte bilden (vgl. Morsink

ten ist immer mit Unrechtserfahrung verbunden.

1999: 36ff. und Morsink 1993)? Inwiefern können

Und schon gar nicht um den irrwitzigen Umkehr-

die Unrechtserfahrungen in normative Bindungen,

schluss, dass die Erfahrung von Unrecht notwendi-

und zwar solche universalistischer Art, transfor-

gerweise zur Entstehung oder Verwirklichung der

miert werden (vgl. Joas 2011: Kap. 3, 108–146)?

Menschenrechte führte. Der Blick auf die beiden

Den Hintergrund dieser Fragen bildet nicht

Deklarationen der Menschenrechte dient zunächst

nur die Debatte um eine „affirmative Genealogie“

einmal als Indikator und macht deutlich, dass die

(vgl. ebd.: Kap. 4, 147–203 und Kap. 6, 251–281) der

Entstehung und Formulierung von Menschenrech-

„Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“,

ten häufig in einem Zusammenhang mit Unrechts-

wie sie zum Beispiel in den USA bei Johannes Mor-

erfahrungen stehen.

sink (2009) oder in Deutschland bei Hans Joas (2011)

Im zweiten Teil meines Beitrags widme ich

vorkommt, sondern auch die aktuelle Menschen-

mich einer Differenzierung des Universalitätsbe-

rechtsdebatte im Kontext des demokratischen Pro-

griffs. Es geht mir dabei vor allem um die transkul-

zesses in einigen arabischen Ländern wie Tunesien

turelle Universalität, in der der aus Unrechtserfah-

und Ägypten. Dabei spielt die Diskussion über die

rung erwachsenen Kritik eine entscheidende Rolle

Erfahrung des Unrechts in autoritären Staaten eine

zukommt. Es geht um die Frage, ob und wie sich aus den Unrechtserfahrungen eine kritische Funktion der Menschenrechte gewinnen lässt, die uns zur Transkulturalität der Menschenrechte führt.

Sind Unrechtserfahrungen paradigma­ tisch für die normative Begründung der Menschenrechte? Menschenrechte sind berechtigte Ansprüche der Menschen (bloß als solche oder als Rechtssubjekte innerhalb einer demokratischen Staatsordnung) an die öffentliche, politische Ordnung (Menke/ Pollmann 2008: 42). Sie sind ebenfalls Rechte, die erkämpft werden müssen. Sie bieten eine Möglichkeit, gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen sowie über Erfahrungen mit Staatsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu reflektieren. Die ständigen, täglichen Menschenrechtsverletzungen in der Welt erteilen dem Optimismus

3  In diesem Zusammenhang hebt Heiner Bielefeldt hervor, wie konstitutiv die Unrechtserfahrung für die Entstehung und Entwicklung der Menschenrechte ist: „Menschenrechte sind eine Antwort auf erfahrenes Unrecht. In jeder Unrechtserfahrung steckt ein Leiden und die Interpretation, dass Menschen dieses Leiden erzeugen und zulassen. Menschenrechte haben somit eine Dimension von Erfahrung, aber auch von Aufklärung. Es muss einen Artikulationsraum geben, in dem Unrechtserfahrungen bearbeitet werden können, dieser ist aber nicht an eine bestimmte Kultur gebunden. Zwar haben sich Menschenrechte zunächst weitgehend in Europa entwickelt, deshalb dürfen sie dennoch nicht eurozentrisch interpretiert werden. Vielmehr handelt es sich um Prozesse der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Traditionen und Denkstrukturen. Die Unrechtserfahrung ist für mich die elementare Form menschenrechtlicher Aufklärung.“ (Bielefeldt 2009: 4) 4  Die Barbarei des Zweiten Weltkrieges bildet für Morsink einen wichtigen Grund für die Entstehung der „Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte“: „The motif running through­ out [the delegations'] adoptions and rejections is that the war and the ideology of National Socialism as practiced by Hitler were in them­ selves enough to convince them of the truth of the rights of the Declaration. They did not need a philosophical argument in addition to the experience of the Holocaust. […] For each of the rights proclaimed, they went back to the experience of the war as the epistemic foundation of the particular right in question.“ (Morsink 1993: 358)


38 Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte

zunehmend wichtige Rolle, wie beispielsweise die

Im Folgenden möchte ich den Blick auf ein

aktuelle Debatte um den „Tunis-Pakt für Rechte

aktuelles Beispiel werfen. Der „Tunis-Pakt für

und Freiheiten“ zeigt.

Rechte und Freiheiten“ wurde auf Initiative des

Der Blick auf unterschiedliche Deklarationen

Arabischen Instituts für Menschenrechte und

der Menschenrechte dient zunächst einmal als

anderer tunesischer zivilgesellschaftlicher Orga-

Indikator und macht deutlich, dass die Entstehung

nisationen konzipiert und gilt unter anderem als

und Formulierung von Menschenrechten häufig in

Vorschlag für einen Baustein für die tunesische

einem Zusammenhang mit Unrechtserfahrungen

Verfassung. Er wurde am 25. Juli 2012 in Tunis

stehen. In einem weiteren Schritt wird es um die

deklariert.5 Er besteht aus einer Präambel und 9

Frage gehen, ob und wie sich aus den Unrechtser-

Artikeln, die in unterschiedliche Punkte unter-

fahrungen eine kritische Funktion der Menschen-

teilt sind, wobei es im neunten und letzten Arti-

rechte gewinnen lässt. Diese enge Verbindung von

kel nicht um Rechte geht, sondern um sogenannte

Menschenrechtsverletzungen und Menschenrechts-

Schutzmaßnahmen für die Menschenrechte. Die

erklärungen ist allen hinsichtlich der „Allgemei-

ersten acht Artikel umfassen die folgenden Rechte:

nen Erklärung für Menschenrechte“ der Vereinten

Artikel 1: Recht auf würdiges Leben; Artikel 2:

Nationen von 1948 gegenwärtig. Die Notwendigkeit

Recht auf Schutz und Sicherheit; Artikel 3: Recht

der Menschenrechte wird geradezu aus der Barba-

auf freie Wahl; Artikel 4: Recht auf Gleichberechti-

rei des Nationalsozialismus begründet.

gung/Gleichheit und Diskriminierungsverbot; Arti-

In der „Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte“ wird in der Präambel betont, wie

kel 5: Recht auf Bürgerschaft (citoyenneté) und Partizipation; Artikel 6: Recht auf Entwicklung; Artikel

„[die] Verkennung und Missachtung der

7: Geistige, kulturelle und schöpferische Rechte;

Menschenrechte zu Akten der Barbarei

Artikel 8: Recht auf nachhaltig gesunde Umwelt.

führten, die das Gewissen der Menschheit

In diesem Pakt nimmt die Unrechtserfahrung

tief verletzt haben […]“ (Vereinte Nationen

ebenfalls eine zentrale Rolle ein. Dabei ist wichtig

1948 [1983]: 8).

zu bemerken, dass ein Hauptmotiv für die Normie-

Die massiven Menschenrechtsverletzungen im

rung der Rechte darin liegt, dass

Zweiten Weltkrieg und unter totalitären Regimen

„[die] Revolution des tunesischen Volkes

bilden den Hintergrund für diese Erklärung.

[eine Revolution] gegen ein despotisches

Die Menschenrechte besitzen durch die „Herrschaft des Rechtes“ eine Schutzfunktion, „damit

System ist, das die Würde, die dem Menschen inhärent ist, verletzt hat.“6

der Mensch nicht zum Aufstand gegen Tyrannei

Neben dem despotischen Machtmissbrauch kom-

und Unterdrückung als letztem Mittel gezwungen

men zwei andere Formen der Unrechtserfahrung

wird“. Die historische Erfahrung „der Tyrannei

kurz zur Sprache: die Sklaverei und der Kolonia-

und Unterdrückung“ (ebd.) bildet das Hauptmotiv

lismus. Weiterhin wird betont, wie wichtig es sei,

für die Entstehung und Wahrnehmung der Men-

einen Bruch mit den schmerzhaften Menschen-

schenrechte.

rechtsverletzungen unter dem diktatorischen

Die aus geschichtlicher Unrechtserfahrung ent-

Regime zu vollziehen:

standenen, in Aufständen und Revolutionen einge-

„Die Würde, die Gleichberechtigung, die

klagten und im 20. Jahrhundert vor allem unter

Freiheit und die Gerechtigkeit, die ja die

dem Eindruck der Verbrechen des Nationalsozia-

Basis der Revolution bilden, sollten diesel-

lismus, Faschismus, Militarismus und Stalinismus

ben Prinzipien sein, auf denen die demo-

formulierten Menschenrechtsansprüche beziehen

kratischen Prozesse gründen, Prozesse, die

sich auf die Menschenwürde, Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit aller Menschen (vgl. Sandkühler 2010: 1531).

5  Vgl. http://www.calameo.com/read/ 00158535200d7b99bad30 (letzter Abruf: 15.01.2014) 6  Wie Anm. 5 (Übersetzung des Autors)


39

WIKA-Report (Band 2)

in der Lage sein sollten, die Bürgerschaft,

„Universalisierung“ meint, laut Bielefeldt,

die Freiheiten, den Pluralismus und die

„ein hypothetisches Verfahren zur Prü-

demokratische Partizipation zu fördern

fung moralischer bzw. rechtlicher Norm-

und einen Bruch mit der vergangenen Despotie

vorschläge daraufhin, ob sie sich sinnvoll

zu vollziehen.“7

als universal geltende Normen vorstellen

Es scheint mir jedoch, dass die Erfahrung des

– d. h., entweder überhaupt denken oder

Unrechts nicht nur zentral ist, sondern paradoxer-

jedenfalls ernsthaft intendieren – lassen.“

weise geradezu eine konstitutive und paradigma-

(Bielefeldt 2010: 2831)

tische Rolle für die Debatte über die Universalität

Was bedeutet dies nun vor dem Hintergrund der

bzw. Universalisierung der Menschenrechte ein-

Debatte um die Transkulturalität der Menschen-

nimmt. Die aus einer schmerzhaften Erfahrung

rechte?

der Negation des Menschen und Verletzung seiner Rechte entstehende Forderung nach Menschenrechten weist einen starken normativen Impuls auf. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese ver-

Universalität und Transkulturalität der Menschenrechte

letzten Rechte bereits formuliert oder ratifiziert waren; die Rechte melden sich vielmehr, dies ist

Um dies zu erläutern, möchte ich im Folgenden die

meine These, in ihrer schmerzhaften Verletzung

Idee der Universalität der Menschenrechte fokus-

an. In diesem Sich-Melden der Rechte in ihrer Ver-

sieren und dabei vier Ebenen dieser Universalität

letzung besteht die konstitutive und paradigma-

unterscheiden, die oft miteinander vermengt wer-

tische Funktion der Unrechtserfahrung. Die nor-

den.8 Dabei kommt es mir insbesondere auf die

mative Kraft der Menschenrechte geht aus der

letzte Ebene an, die ich als transkulturelle Univer-

Unrechtserfahrung hervor. Weil dem Menschen

salität der Menschenrechte bezeichne und in der

seine Rechte abgesprochen wurden, wird er seines

die kritische Funktion des normativen Anspruchs

Menschseins gewahr.

eine wichtige Rolle einnimmt.

Interessant ist ferner, dass im Tunis-Pakt die Forderung nach einem „Bruch mit der vergangenen Despotie“ deutlich zum Ausdruck kommt.

Die Idee des menschenrechtlichen Universalismus

Was bedeutet diese Forderung in Bezug auf die Menschenrechtsdebatte? Bedeutet Bruch mit dem

Der normative Anspruch, dass die Menschenrechte

despotischen System bzw. Unrechtssystem, dass

universelle Geltung haben, ist der Idee der Men-

wir quasi alle Parameter noch einmal auf Null set-

schenrechte selbst inhärent. Mit dieser Idee ist

zen und von vorne anfangen sollen? Würden wir

vor allem gemeint, dass die Universalität der Men-

tatsächlich von Null anfangen wollen (was kultur-

schenrechte jene grundlegenden Rechte repräsen-

historisch nicht möglich ist)? Wären wir dann wie-

tiert, die dem Menschen allein aufgrund seines

der an jenem Punkt einer abstrakten normativen

Menschseins zukommen. Es handelt sich dabei um

Forderung angelangt? Und ginge auch jene kons-

den normativen Anspruch der in der Menschen-

titutive Schmerzerfahrung verloren, die als Weg-

würde begründeten Geltung gleicher grundlegen-

weiser im Prozess einer Universalisierung der Men-

der Rechte für jeden Menschen. In diesem Zusam-

schenrechte auftreten kann? Ich plädiere daher

menhang hebt Heiner Bielefeldt hervor:

nicht für einen Bruch, sondern – im Gegenteil – für eine Hervorhebung der kritischen Auseinandersetzung mit den Machtstrukturen einer Despotie als Motor im Prozess der Universalisierung der Rechte. 7  Wie Anm. 5 (Hervorh. des Autors)

8  In einem Aufsatz unterscheidet Bielefeldt (2008) vier Aspekte der Universalität der Menschenrechte. Jüngst hat Bielefeldt nur noch drei Aspekte der Universalität der Menschenrechte unterschieden und den letzten Aspekt weggelassen (vgl. Bielefeldt 2012).


40 Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte

„Die Universalität der Menschenrechte

Ein weiteres Beispiel sind die verschiedenen

bezeichnet in diesem Sprachgebrauch die

islamischen und arabischen regionalen Erklärun-

innere Qualität einer Kategorie grundlegender

gen über Menschenrechte. Die „Kairoer Erklärung

Rechte, die mit dem Menschsein des Menschen

über Menschenrechte im Islam“ von 1990 und die

gegeben sind und deshalb jedem Menschen

„Arabische Charta der Menschenrechte“ von 1994

gleichermaßen zustehen.“ (Bielefeldt 2008:

sowie deren Aktualisierung von 2004 betonen

99; Hervorh. des Autors)

in unterschiedlicher Weise das Primat der Scha-

Der Gegenbegriff zur ‚Universalität‘ wäre in diesem

ria und ordnen die unterschiedlichen menschen-

Zusammenhang ‚Partikularität‘. Die Menschen-

rechtlichen Gehalte dem Primat der islamischen

rechte unterscheiden sich von bestimmten Rechts-

Rechtstradition unter, ohne dies einer kritischen

positionen, die an partikulare Merkmale, zum Bei-

Prüfung zu unterziehen.

spiel erworbene Statuspositionen, gesellschaftliche Rollen und Funktionen, Mitgliedschaften in

Der faktische Stand der Ratifizierung

Verbänden und Berufsgruppen, eine bestimmte Staatsangehörigkeit usw. anknüpfen. Daher sind

Der Universalismus der Menschenrechte wird gele-

die Menschenrechte nicht als Ergebnis einer Leis-

gentlich am Ratifizierungsverhalten der Staaten

tung oder als Verdienst anzusehen; sie stehen

der internationalen Menschenrechtskonventio-

jedem Menschen zu, allein schon deshalb, weil er

nen und der Anerkennung ihrer transnationalen

ein Mensch ist.

Geltung bemessen. Heiner Bielefeldt bemerkt zu

Die globale Institutionalisierung der Menschenrechte

Recht: „Von einem solchen ausschließlich positivistischen Verständnis menschenrechtlicher Universalität her müsste man dann zum

Universalität steht in diesem Zusammenhang für

Ergebnis kommen, dass derzeit streng

das Projekt der globalen Normierung und Imple-

genommen keine einzige Menschenrechts-

mentierung grundlegender Rechte auf der Ebene

konvention wirklich universal gilt.“ (Biele-

der Vereinten Nationen. Diese zweite Bedeutung

feldt 2008: 102; Hervorh. im Original)

von Universalität der Menschenrechte ist vor allem

Diejenigen, die eine solche Vorstellung von der Uni-

in der völkerrechtlichen Literatur über Menschen-

versalität der Menschenrechte vertreten, machen

rechte anzutreffen. Somit werden häufig die uni-

die Universalität von einem faktischen Verfahren

versalen Menschenrechte von den regionalen Men-

der Ratifikation abhängig. Sie verfehlen somit die

schenrechten abgegrenzt.

normative Bedeutung der Universalität, da diese

Der Gegenbegriff zur ‚Universalität‘ wäre hier

von der Zustimmung autoritärer Staaten und dem

‚Regionalität‘. Ein Beispiel für regionale Vorstellun-

wirtschaftlichen und politischen Interesse ver-

gen über die Menschenrechte bildet in den 1990er

schiedener (auch demokratischer) Staaten abhän-

Jahren die Debatte um die ‚asiatischen Werte‘. Dar-

gig gemacht wird.

unter werden Tugendkonzepte oder moralische Normen verstanden, die von ‚westlichen Werten‘ so abgegrenzt werden, dass sie die Idee der Uni-

Transkulturelle Universalität der Menschen­rechte

versalität der Menschenrechte infrage stellen. Sie bieten ein Gegenprogramm bzw. eine „Erklärung

Vor dem Hintergrund der großen Spannung zwi-

der Menschenpflichten“ gegen den Anspruch uni-

schen den universellen Ansprüchen der Menschen-

versaler Menschenrechte, die mit einem Western

rechte und dem Kulturpluralismus wird in der

Way of Life in Zusammenhang gebracht wurden

interkulturellen Philosophie erneut die Frage aufge-

(vgl. Paul 2012).

worfen, wie die Universalität der Menschenrechte


41

WIKA-Report (Band 2)

zu verstehen sei (Morsink 1999). Angesichts der globalen Debatte um die Universalität der Men-

Kulturen und Religionen sich treffen können.“ (Kuschel 1993: 211f.)

schenrechte und den Pluralismus der Kulturen

Es bleibt jedoch fragwürdig, ob die deskriptiv fest-

lassen sich in der interkulturellen Diskussion zu

stellbaren Gemeinsamkeiten für die Begründung

den Menschenrechten mindestens drei methodi-

des Universalismus der Menschenrechte genügen

sche Ansätze zu Begründungsansprüchen skizzie-

und ob der interreligiöse Dialog in der Lage ist,

ren (vgl. z. B. Triki 2011: 194 und Lohmann 2012).

eine nicht-religiöse Begründung zu akzeptieren

Das Hauptanliegen dieser methodischen Ansätze

(vgl. Lohmann 2012: 211f.).

ist, dem Pluralismus der Kulturen gerecht zu wer-

Ein weiterer Versuch stellt das Unternehmen

den, ohne jedoch die Universalität der Menschen-

von Otfried Höffe dar, die Menschenrechte kultur-

rechte in Frage zu stellen. Im Folgenden möchte ich

neutral, das heißt, anthropologisch-transzendental

ausgehend von Lohmanns Unterscheidungsmodell

zu begründen. Höffe verfolgt in seinem Buch „Ver-

jeweils die neutralen, interkulturellen und trans-

nunft und Recht. Bausteine zu einem interkulturel-

kulturellen Ansätze kurz thematisieren, wobei ich

len Rechtsdiskurs“ das folgende Ziel:

auf die kritische Funktion der Menschenrechte in

„Weil es auf Bedingungen der Möglich-

den jeweiligen Ansätzen eingehen werde.

keit ankommt, kann man einen seit Kant

Neutrale Begründungsansätze

einschlägigen Ausdruck verwenden und von – relativ – transzendentalen Interessen sprechen. Mit ihrer Hilfe, also durch

Die neutrale Begründung „hebt auf in allen Kultu-

die Verbindung von Anthropologie mit

ren auffindbare Gemeinsamkeiten ab und begrün-

Transzendentalphilosophie, sollte sich das

det von dieser gemeinsamen neutralen Basis aus die

Misstrauen gegen das Moment des Immer-

Menschenrechte“ (Lohmann 2012: 211, Hervorh. im

gleichen in der Anthropologie zerstreuen

Original). Hans Küngs Projekt „Weltethos“ verfolgt

lassen. Außerdem erhält die Legitimation

ein ähnliches Ziel und versucht die Gemeinsamkei-

der Menschenrechte ein weiteres Mal eine

ten zwischen den Kulturen deskriptiv herauszuar-

praktische Bedeutung. Zur Aufgabe des

beiten (Küng 2008 und Küng 2006: 663–667). Eine

interkulturellen Rechtsdiskurses tritt ein

Zwischenbilanz seines umfangreichen Projekts

Votum zur Debatte um das Projekt der

„Weltethos“ fasst Karl-Josef Kuschel folgendermaßen zusammen:

Moderne hinzu.“ (Höffe 1996: 67) Höffe erfasst die kulturellen Gemeinsamkeiten als

„Es wird auch in Zukunft keine konflikt-

kulturneutrale und anthropologisch allgemeine

freie Ethik geben; Spannungen unter-

Voraussetzungen. Sie liegen für ihn als transzen-

schiedlicher Ethik werden auch in Zukunft

dentale Interessen allen konkreten kulturellen

die Menschheit bestimmen. Darin drückt

Ausgestaltungen zugrunde und sollen vertrags-

sich nicht zuletzt die Achtung vor der

theoretisch in der Form eines transzendentalen

kulturellen Pluralität und religiösen Viel-

Tausches die Universalität der Menschenrechte

falt in der Geschichte der Menschheit aus.

begründen können.

Nicht unrealistisch dagegen ist die Suche

Diese neutrale Begründungsstrategie sucht

nach einem ethischen Minimalkonsens

jedoch meines Erachtens nur nach dem kleinsten

zwischen den verschiedenen Religionen,

gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Kul-

einem Kernbestand verschiedener ethi-

turen und bietet nur ein minimalistisches Ver-

scher Überzeugungen. Durchaus wün-

ständnis oder einen ethischen Minimalkonsens

schenswert ist die Suche nach Überschnei-

der Menschenrechte. Sie fragt vor allem nach den

dungsbereichen und Überlappungen, wo

Bedingungen der Möglichkeit der Universalität

ethische Überzeugungen unterschiedlicher

der Menschenrechte vor dem Hintergrund ihrer


42

Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte

kulturrelativistischen Kritik. Dabei wird die kri-

ist allerdings nur partiell kritisch und nur ansatz-

tische Funktion der Menschenrechte gegen die

weise zutreffend (vgl. Lohmann 2012: 212).

eigene und die anderen Kulturen entweder ignoriert oder stark reduziert.

Transkulturelle Begründungsansätze

Interkulturelle Begründungsansätze

Die transkulturelle Begründung „will die Unterschiedlichkeit der Kulturen

Der interkulturelle Begründungsansatz will, so

hinsichtlich der Begründung belassen und

Lohmann,

erreicht so plurale Begründungen des uni-

„ausgehend von den unterschiedlichen Eigenheiten der verschiedenen Kulturen

versellen Anspruchs der Menschenrechte“ (ebd.: 211).

etwas Gemeinsames zwischen den Kultu-

Dadurch wird eine plurale Begründung der Men-

ren konstruieren [und] löst seinen Begrün-

schenrechte ermöglicht, die vom Pluralismus der

dungsanspruch erst durch Dialog, Vergleich

Kulturen ausgeht. Die transkulturelle Begründung

oder wechselseitige Vereinbarung ein und

geht meines Erachtens über die neutrale und inter-

verfährt in diesem Sinne interkulturell“ (Loh-

kulturelle Begründung hinaus.9 Transkulturalität

mann 2012: 211, Hervorh. im Original).

bietet Individuen oder Gruppen die Möglichkeit,

Interkulturelle Ansätze suchen,

kritisch miteinander umzugehen. Sie besteht aus

„ausgehend von jeweils unterschiedlichen

einer horizontalen Bewegung, die dazu führen

kulturellen Prämissen, nach einem norma-

sollte, gemeinsame Werte und Normen zwischen

tiv zu verstehenden overlapping consensus

den Kulturen zu suchen, und einer vertikalen

zwischen den Kulturen. Dafür wird gegen

Bewegung, die darauf zielt, Begriffe auszubilden,

eine westliche, kulturimperialistische Ver-

die über die empirische Vielfalt der Kulturen hin-

einnahmung und Bevormundung ebenso

ausgehen. Daher nimmt

gekämpft wie für einen gleichberechtigten

„ ‚Transkulturalität‘ nun […] den kritischen

Dialog der unterschiedlichen Kulturen.“

Aspekt aller Kulturen wieder auf, um das,

(Ebd.: 212, Hervorh. im Original)

was universell sein kann, auf transversale

Exemplarisch für diese Position steht der Ansatz

und transzendente Weise zu bestimmen

von Heiner Bielefeldt in seinem Buch „Philosophie

und hierdurch einen kritischen und stets

der Menschenrechte. Grundlagen eines weltwei-

erneuerbaren Korpus von Werten zu kon­-

ten Freiheitsethos“ (1998). Ausgehend von einem

struieren, die der ganzen Menschheit ge-

bei Kant abgesicherten „politisch-rechtlichen Frei-

mein sind“ (Triki 2011: 194).

heitsethos“ der westlichen Moderne, versucht Bie-

An dieser Stelle kommt der kritischen Funktion

lefeldt die Menschenrechte „als Kern eines inter-

der Menschenrechte eine zentrale Rolle zu, denn

kulturellen ‚overlapping consensus‘ “ mit anderen

die transkulturelle Begründung der Menschen-

Kulturen nachzuweisen. Er macht klar, dass es bei

rechte basiert auf einer ‚doppelten Kritik‘. Der

diesem auf die Menschenrechte beschränkten Dis-

Ausdruck doppelte Kritik wurde zunächst von

kurs nicht um die interkulturelle Gewinnung einer

dem marokkanischen Intellektuellen Abdelkebir

gemeinsamen und umfassenden Heilslehre, son-

Khatibi im literarischen und soziologischen Kon-

dern um die Begründbarkeit einer eigenständigen,

text entwickelt. Damit ist vor allem jene Kritik

säkularen Rechtsordnung geht. Er knüpft zum Bei-

gemeint, die in der Lage sei, eine Transformation in

spiel an kritische rationale theologische Stimmen

unseren Wahrnehmungs- und Wissensstrukturen

innerhalb der arabisch-islamischen Kultur an und versucht somit einen interkulturellen Konsens zu gewinnen. Der interkulturelle Begründungsansatz

9  Zu einer möglichen Bedeutung des Begriffs der Transkulturalität vgl. Welsch (2010).


43

WIKA-Report (Band 2)

zu leisten.10 Sie setzt sich kritisch mit der eigenen

Menschenrechte zu begründen und zu

kulturellen Tradition sowie mit der Tradition der

überprüfen.“ (Lohmann 2012: 213)

Anderen – hier die Kolonialgeschichte der Europäer – auseinander. Im Folgenden möchte ich diesen Begriff

Ausblick

in einem philosophischen Kontext verwenden und für die kritische Konzeption der Menschen-

Worin liegt der Unterschied des transkulturellen

rechte fruchtbar machen. Die doppelte Kritik

Ansatzes insbesondere im Vergleich zu den inter-

ist im transkulturellen Diskurs über Menschen-

kulturellen Begründungsansätzen? Die Verbindung

rechte zuerst im Sinne einer Selbstkritik zu ver-

– das ‚trans‘ – besteht nicht in einem gemeinsamen

stehen, die sich mit den eigenen autoritären

Nenner – einem ‚inter‘ – sondern in einem gemein-

gesellschaftlichen, politischen und kulturellen

samen Diskurs. Hier wird nicht mehr über die

Strukturen auseinandersetzt und hierdurch die

Anderen gesprochen, sondern mit den Anderen an

„Universalisierbarkeit“11 der Menschenrechte

einer universalen Begründung der Menschenrechte

ermöglichen kann. Daher ist sie im allgemeinen

gearbeitet. Dabei impliziert das ‚Recht auf Recht-

Sinne als Kultur- und Rechtskritik zu verorten;

fertigung‘ – um einen Ausdruck von Rainer Forst

sie ist des Weiteren als eine Kritik der Anderen

(2007) zu verwenden – auch einen Pluralismus der

zu erfassen, da ihre Kritik sich gegen die Missach-

Begründung der Menschenrechte selbst. Dies ist als

tung und Instrumentalisierung der Menschen-

ein offener Prozess zu verstehen, der sich immer

rechte unterschiedlicher (auch westlicher) Staa-

wieder von neuem der Kritik zu unterziehen hat

ten und Organisationen richtet. Hier findet die

und keine Patentlösungen anbieten kann. In die-

aus Unrechtserfahrung erwachsene Kritik ihren

ser immer neu zu formulierenden Kritik spielt die

wichtigen Platz. Lohmann fasst diese Idee wie folgt

Unrechtserfahrung eine konstitutive Rolle. Norma-

zusammen:

tiv betrachtet ist die Unrechtserfahrung ein Auslö-

„Ziel des ‚transkulturellen‘ Ansatzes ist es

ser für die Debatte über die transkulturelle Begrün-

somit, aus der kritischen Vergewisserung

dung der Menschenrechte.

der eigenen kulturell verankerten philo-

Kann die transkulturelle Universalität der Men-

sophischen Tradition durch interkultu-

schenrechte vor dem Hintergrund der Erfahrung

relle Vermittlung den Universalismus der

des Unrechts begründet werden? Meine Antwort lautet: Ja. Die beiden Aspekte, die der paradigmatischen (bzw. epistemischen) Rolle der Erfahrung des

10  In seinem Sammelband „Maghreb pluriel“ schreibt Khatibi: „Engagieren wir uns auf der Stelle für das, was bereits vor uns realisiert wurde, und versuchen wir es in der Logik einer doppelten Kritik zu transformieren, einer Kritik des abendländischen Erbes einerseits und einer Kritik unseres eigenen Erbes andererseits – ein Erbe, das so theologisch, charismatisch und patriarchalisch ist. Doppelte Kritik: Wir glauben nur an die Offenbarung des Sichtbaren – Ende der himmlischen Theologie und jeglicher kränkenden Nostalgie.“ (Khatibi 1983: 12, Hervorh. des Autors). „Jedes Lesen oder Wiederlesen unseres kulturellen Erbes (tourath) und jeder Blick auf diesen Ruhm der Vergangenheit sind für uns nur von entscheidendem Gewicht, insofern sie als Hebel einer doppelten Kritik dienen.“ (Ebd.: 20, Hervorh. des Autors) 11  „Unter ‚Universalisierbarkeit‘ wird die Annahme verstanden, dass Normen mit universeller Geltung aufgrund von (rechtlicher) Aushandlung unter unterschiedlichen sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen implementiert werden können.“ (Bielefeldt 2010: 2832)

Unrechts sowie die der Universalisierung der Menschenrechte hängen meines Erachtens zusammen. Die historische Erfahrung der Menschenrechtsverletzungen trägt zur Verstärkung der normativen Seite der Menschenrechte bei. Während kulturrelativistische Ansätze die Differenzen als unüberwindbar deklarieren, geht es in transkultureller Perspektive darum, die kulturellen Differenzen immer wieder von neuem fruchtbar zu machen.


44 Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte

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Dr. Sarhan Dhouib, Studium der Philosophie an den

Universitäten Sfax (Tunesien) und Paris 1 – Sorbonne.

Promotion im Jahre 2008 an der Universität Bremen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philo­ sophie der Universität Kassel. Arbeitsgebiete: Kant und der Deutsche Idealismus (insbesondere Schellings

Philosophie), Menschenrechts- und Gerechtigkeitsdis­ kurse, Arabisch-islamische Philosophie, Interkulturelle

Philosophie, Ideengeschichte des arabisch-islamischeuropäischen Kulturtransfers. – Kontakt: dhouib@unikassel.de


46

geführt (Brechtken 2006: 361ff.). Das gelte selbst

Raumpolitik und ‚Area Studies‘ in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik aus historischer Sicht

für die Landstrategien. Als besonders einflussreiches Beispiel nannte Brechtken den britischen Geografen Sir Halford Mackinder (1861–1947), dessen neue Heartland-Theorie von 1904 über die eurasische Kernzone als ‚Drehpunkt‘ (pivot) der europäischen und der Weltgeschichte 25 Jahre später auch den deutschen Geopolitiker Karl Haushofer (1869– 1946) und den Nationalsozialismus erreicht und beeinflusst habe. Die Heartland-These Mackinders lautet etwas verkürzt: Wer die Kernzone um den Osten der Mittelrussischen Schwelle beherrsche, kommandiere auch Europa und die Welt (Mackinder 1904: passim; vgl. Dodds (Hg.) 2004). Den Nazis kam diese These Mackinders später gerade recht, denn sie wollten besonders die Räume Osteuropas

von Kurt Düwell (Düsseldorf)

erobern und beherrschen. Dieser Ansatz der Geografie als Geopolitik, wie sie dann der schwedische Geograf Rudolf Kjellén nannte (vgl. Agnew/Corbridge 1995: 1), die aber

In seiner geschichtswissenschaftlichen Münchener

weniger, wie es zuweilen geschieht, auf die „Poli-

Habilitationsschrift „Scharnierzeit 1895–1907“ hat

tische Geografie“ Friedrich Ratzels (1897) zurück-

vor einigen Jahren Magnus Brechtken (2006) für

geführt werden sollte, orientierte sich primär an

das Dreieck der deutsch-britisch-amerikanischen

Faktoren der so genannten Hard Power, das heißt

Beziehungen vor und nach 1900 bis etwa 1907 eine

an militärischer und wirtschaftlicher Macht (vgl.

interessante These aufgestellt. Die These nämlich,

Nye 2004: 8ff.1). Wie steht es aber im Rahmen und

dass sich nach 1895 in Deutschland eine deutlich

außerhalb dieser geografischen und raumpoliti-

weniger raumbezogene politische Perspektive,

schen Machtfaktoren um die so genannten wei-

eine „weniger planetarische Orientierung“ in der

chen politischen Elemente und Instrumente aus-

Außenpolitik entwickelt habe als bei den beiden

wärtiger Beziehungen? Wie kann Kulturpolitik als

angelsächsischen Flottenmächten. Diese seien

Soft Power mit „leisen und stillen Allüren“ (Riezler

schon durch die seestrategischen Untersuchungen

1914: 84f.) auch auf harte Machtfaktoren wirken?

in Seeleys Buch „The Expansion of England“ (1883) und

Welche Chancen haben kulturelle Module als Fak-

Mahans Arbeit „The Influence of Sea Power upon His-

tor X – das heißt, als „unbekannte Bekannte“ im

tory“ (1890) zu einer ausgreifenden maritim-geo-

ironischen Sinne von Interkulturalität nach Csaba

grafischen Strategieauffassung gelangt, die große

Földes (2009) – im Rahmen eines gegebenen geopo-

Beachtung gefunden habe. Und die mental maps,

litischen Machtgefüges und vielleicht sogar darü-

die als Folge dieses angelsächsischen spatial turn,

ber hinaus?

einer Hinwendung zu stärkerer geografisch-stra-

Ich möchte diese Fragen, die auch durch

tegischer Betrachtung, in den Diplomatenschulen

die Arbeiten von Joseph Nye in den letzten Jah-

Britanniens und der Vereinigten Staaten einerseits

ren wieder aktuell geworden sind, im Folgenden

und Deutschlands andererseits entstanden waren,

kurz an Hand einiger historischer Konstellatio-

hätten – so Brechtken – zu sehr unterschiedlichen,

nen im Verhältnis von geografischen Kenntnissen,

in Deutschland sozusagen zu weniger geografischweltkundigen außenpolitischen Vorstellungen

1  An anderer Stelle spricht Joseph Nye auch von smart power, vgl. Nye (2011).


47

WIKA-Report (Band 2)

geopolitischen und kulturellen Faktoren zwischen

Form am Ende des 19. Jahrhunderts vom Staat

Völkern und Staaten skizzieren und darf hier als

auch als Kulturpropaganda betrieben, aber

Impuls aus historischer Sicht einige funktionale

unter dem Nationalsozialismus auch mit

Module aus dem Baukasten und aus den Zielprojektionen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspoli-

neuen Propagemen überstrapaziert wurde; •

das Exempel des säkularen Realienschul-

tik (AKBP) nennen, die sich im Rahmen eines gege-

und Hochschulwesens um die Wende zum

benen politischen Systems oder auch am Rande

20. Jahrhundert als ‚Exportartikel‘ unter

dieses Systems und seiner geopolitischen Faktoren

dem vermeintlichen Schutz deutscher

als brauchbar oder auch weniger brauchbar gezeigt

Flottenpolitik im Zeitalter des Imperia-

haben. Es geht um den Einfluss auf politische Bezie-

lismus der europäischen Mächte vor dem

hungen zwischen Gesellschaften und zwischen Regierungen. Als solche Bausteine oder Module

Ersten Weltkrieg, vor allem in China; •

im Kontext technologischer und kulturel-

haben sich zum Beispiel seit der Frühen Neuzeit

ler Beziehungen Deutschlands, wie sie sich

schon die christlichen Missionen, ihre Missions-

seit 1888 und 1898 zur Türkei im Gefolge

schulen, Waisen- und Krankenhäuser in Übersee

des Baues der Anatolischen und der Bagdad­

erwiesen, später auch deutsche allgemeinbildende

bahn, zum Teil auch der Hedschasbahn

Primar-, Sekundar- und Hochschulen der verschiedensten Art im Ausland, auch Auslandsinstitute,

nach Mekka und Medina, entwickelten; •

am Beispiel des deutschen allgemeinbilden-

Auslandsvereine, ebenso internationaler Wissen-

den Auslandsschulwesens, wie es im Zusam-

schaftsaustausch und Zusammenarbeit, Mittleror-

menhang mit auswärtigen Handelsnieder-

ganisationen sowie in der neueren Zeit vor allem

lassungen etwa seit der Mitte des 17. Jahr-

die Medien. Diese Module, die zum Teil auch schon

hunderts in Nord- und Osteuropa und durch

früh als Werkzeug einer Entwicklungspolitik avant

die verstärkte Auswanderung aus Deutsch-

la lettre gesehen werden können, sind nicht zuletzt

land seit 1849 besonders in Lateinamerika in

auch als Instrumente von Bemühungen zu verste-

wachsender Zahl entstand; zum Beispiel gab

hen, die auf eine Bewahrung und Wiederherstel-

es allein in Brasilien bis 1912 schon 585, oft

lung großer Werte wie Gerechtigkeit, Frieden, Kriegsverhütung und Erhaltung der natürlichen

auch kleinere deutschsprachige Schulen; •

an Hand der so genannten Mittlerorganisati-

Lebensräume gerichtet sind. Als historische Bei-

onen gegen Ende des Ersten Weltkriegs und

spiele solcher Module können hier in Verbindung

danach, wie zum Beispiel das Deutsche Aus-

mit funktionalen Räumen und Regionen einige

land-Institut (DAI) (1917) beziehungsweise das

wichtigere aufgezeigt werden, und zwar

daraus hervorgegangene Institut für Auslands-

a m Beispiel der christlichen Missionen von

beziehungen (ifa) und die Deutsche Akade-

Deutschland nach Übersee vom Ende des 16.

mie in München beziehungsweise das daraus

bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, zum

entstandene Goethe-Institut (1932). Andere

Beispiel in China, zeitweise auch in Japan,

Mittlerorganisationen, zum Teil autonom und

vor allem aber in Indien und in der Levante,

detachiert vom Staat, kamen bald hinzu. Das

also den östlich von Italien gelegenen Mit-

DAI übrigens, wie noch zu zeigen ist, auch

telmeerländern. Diese missionarischen Aktivitäten vollzogen sich unter anderem im

als Pionier des neuen Mediums Rundfunk; •

schließlich als letztes hier hervorzuheben-

Schutzraum von Herrschaftsgefügen wie

des Modul das besonders nach dem Ersten

dem chinesischen Kaisertum, der britischen

Weltkrieg entwickelte Instrument bilate-

Herrschaft in Indien und dem Osmanischen

raler staatlicher Kulturabkommen, das auf

Reich. Sie waren nicht zuletzt auf Glaubens-

dem modernen Prinzip der Gegenseitig-

propaganda gerichtet, deren säkularisiertere

keit beruhte und im Laufe der Jahrzehnte,


48

Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP

eingeschränkt nur durch die einseitige expan-

oder holländische Kaufleute nach Nagasaki einge-

sive nationalsozialistische Politik, zu einer

lassen werden, und die Mission fand für lange Zeit

immer wichtigeren Grundlage für den Kul-

ein Ende, weil das Christentum als das schlechthin

turaustausch und zu einem Werkzeug geo-

Fremde in Japan politisch sehr verdächtigt wurde.

strategischer Überlegungen wurde. In deren

Also eine Abwehr gegen das Fremde oder Xenopho-

Gefolge kam es auch zur Einführung von

bie. Folge einer vielleicht zu expansiven Glaubens­

Kulturattachés, die zu einer wesentlichen

propaganda der Christen? Dies war aber nur die

Vertiefung der Kulturpolitik beitrugen.

eine Seite der Sache, sofern sie die Offenheit oder die Ablehnung auf Seiten der Rezipienten betraf. Es

Missionen in Indien, China, Orient: Glaubenslehre und Naturwissen als ‚Export‘

gab auch – und das ist der andere Aspekt – zuweilen selbst auf Seiten der den christlichen Glauben exportierenden Missionskräfte und ihrer Leiter eine Grenze der Offenheit und ein Ende der gelassenen Begegnung mit dem Fernen und Fremden.

Zum ersten dieser Module, zur christlichen Mis-

Als zum Beispiel im Jahre 1706 die erste protestan-

sion seit dem Ende des 16. Jahrhunderts: Blickt

tische Mission, die Dänisch-Hallesche im indischen

man auf die Beispiele deutscher christlicher Mis-

Tranquebar (dem heutigen Tharangambadi im Bun-

sion im Fernen Osten, die seit der Mitte des 16.

desstaat Tamil Nadu an der Südostküste Indiens),

Jahrhunderts deutlicher hervortreten, so ist diese

südlich von Chennai (dem ebenfalls an der Koro-

Mission überwiegend ein geistiger und geistlicher

mandelküste gelegenen ehemaligen Madras), mit

Export gewesen, sei es eine Ausfuhr von christli-

ihrer Arbeit begann und der Stiftungs- und Mis-

chen Glaubenslehren in die Ferne oder auch von

sionsdirektor August Hermann Francke in Halle

Naturwissen oder von beidem, wie das Auftreten

nach einigen Jahren erfuhr, dass sein Missionar

der Jesuiten Johann Adam Schall von Bell aus Köln

Barthold Ziegenbalg nicht nur die Tamil-Sprachen

(1592–1666) und das Beispiel des aus Flandern stam-

zu erforschen begann, sondern auch – außeror-

menden Ferdinand Verbiest (1623–1688) zeigen: Sie

dentlich modern und seiner Zeit voraus – ganz

arbeiteten gewissermaßen als Pionier-Missionare

unbefangen daran ging, das alte „malabarische

und zugleich als besondere Experten, nämlich als

Heidentum“ im Tamilenland und dessen Eigenart

leitende Astronomen und feinmechanische Instru-

zu beschreiben (Thierfelder 2003), hielt Francke

mentenbauer am kaiserlichen Hof in Beijing (vgl.

diese Manuskripte zurück und legte sie der europä-

Bernard 1942 und van den Maele 1955). Dabei war

ischen Öffentlichkeit nicht vor. Er zog eine Art Zen-

vor allem Ferdinand Verbiest schließlich bereit und

surbremse, was bedeutete, dass dieser alte und zu

in der Lage, seine astronomischen Werke auch auf

überwindende heidnische Glaube nicht erforscht

Chinesisch zu schreiben. Diese deutschen Astrono-

und erst recht nichts über ihn publiziert werden

men und ihre Nachfolger wurden sogar als Zeichen

sollte, da das nicht Bartholomäus Ziegenbalgs Auf-

ihrer Anerkennung einige Male in den Rang von

gabe als Missionar sein könne (Jürgens 2006: 126).

kaiserlichen Mandarinen erhoben. Es herrschte

Die Scheu vor dem fernen Fremden und Heidni-

also damals am Pekinger Hof eine relativ offene

schen wurde hier an einer sensiblen Stelle der Mis-

Haltung gegenüber dem Fremden.

sionsleitung sichtbar: Zwar ging die Hallesche Mis-

Dagegen kam es in Japan gegen die Jesuiten

sion sehr rational vor und exportierte ebenso wich-

und andere katholische Missionare schon seit der

tige Arzneimittel ihres berühmten Pharmazeuten

Tokugawa-Zeit nach 1600 zu einer entschiedenen

Johann Ernst Gründler (1677–1720) aus der Stif-

Abwehr und seit 1638 schließlich zu einer strik-

tungsapotheke zu Halle in alle Welt, sie versorgte

ten Abschließung des Landes nach außen. Damals

ihre Missionare auch mit eigener missionswissen-

durften überhaupt nur noch wenige chinesische

schaftlicher Literatur, die sie in ihrer Offizin an


49

WIKA-Report (Band 2)

der Saale oder auch in einer Druckerei im fernen

den militärischen Niederlagen des türkischen Staa-

Tranquebar selbst druckte (Liebau 2006: 106f.). Sie

tes durch den Sultan konzediert werden mussten.

stattete die Sendboten sogar zur besseren geografi-

Durch das Reformedikt des Sultans Abdul-Med-

schen Kenntnis und als Vorbereitung auf das Ferne

schids I. von 1856 (Hatt-Humayun) wurde im türki-

und Fremde mit informativen Erdgloben und geo-

schen Reich erstmals Religionsfreiheit gewährt,

grafischen Karten und Lehrmitteln aus, die sie in

so dass Christen, allerdings zunächst nur die grie-

einer eigenen Werkstatt in Halle in größerer Zahl

chisch-orthodoxen, gleichberechtigt wurden. Das

herstellte und ständig verbesserte (Sames 2006: 34

Osmanische Reich öffnete sich damit stärker den

u.a.). Sie lieferte also auch geografisches Orientie-

westlichen Einflüssen, die dann auf dem Berliner

rungswissen gleich mit. Aber den indigenen Paga-

Kongress von 1878 von Sultan Abdul-Hamid II. auch

nismus des alten Tamilenlandes mochte Francke

international anerkannt wurden. Deutsche, Eng-

nicht auch noch erforschen und Arbeiten über ihn

länder und Franzosen nutzten das für den Beginn

veröffentlichen lassen. Das heißt, die Erforschung

beziehungsweise für den Ausbau ihrer Kulturbezie-

der Tamilsprache wurde zwar genehmigt, aber

hungen nach Konstantinopel (Istanbul).

damit sollte dann die Zweibahnstraße des kulturellen Austauschs auch ihr Bewenden haben: Keine weitere Beschreibung des alten ‚malabarischen Heidentums‘, bitte! So könnte man die entschiedene

Südosteuropa – Levante – China: Schulen, Bahnen, Rivalitäten

Meinung Franckes vielleicht zusammenfassen. Durch die neue protestantische Missionsarbeit

Alle diese Einrichtungen, hervorgegangen aus dem

in Übersee entwickelte sich dann wie in Tranque-

christlichen Missions- und Bildungsgedanken, ent-

bar auch ein typisches Waisenhaus- und Mädchen-

wickelten im Laufe der Jahrzehnte Bildungs- und

schulwesen, wie es später im 19. Jahrhundert auch

Ausbildungsangebote weltweit, die mit gesell-

am Beginn des Auslandsschulwesens der missiona-

schaftlicher und staatlicher deutscher Förderung

rischen Diakonie-Einrichtungen Theodor Fliedners

bis zum säkularen Hochschultyp Technion für die

von Kaiserswerth und seinem Rheinisch-Westfäli-

jüdische Siedlung in Haifa zu einer Art Ausfuhr­

schen Diakonissenverein im Nahen Osten entstan-

artikel des Deutschen Reiches wurden. Es handelte

den ist, beginnend 1851 in Jerusalem (Waisenhaus,

sich um Bildungsofferten, die durch ein verbesser-

Höhere Mädchenschule, später die heutige Talitha

tes Verhältnis zum Osmanischen Reich, das diese

Kumi bei Bethlehem), dann in Smyrna 1853, und

Räume kontrollierte, möglich geworden waren

auch in Beirut (1860 das Waisenhaus, 1862 Höhere

beziehungsweise die zum Teil auch selbst als Soft

Mädchenschule). Danach folgten die katholischen

Power erst dazu beigetragen haben, dass die Bezie-

Borromäerinnen mit ähnlichen Einrichtungen

hungen zum Sultan und später zur jungtürkischen

in Haifa (1896) und Jerusalem (1906). So wurden

Regierung in Istanbul verbessert werden konnten.

zugleich auch diese neu zur Bedeutung gelang-

Dort gab es schon seit 1867 eine deutsche säkulare

ten Regionen im Nahen Osten teilweise sogar mit

Schule mit staatlicher deutscher Genehmigung, die

staatlicher Unterstützung erschlossen,2 wobei dann

1911 zur Oberschule ausgebaut werden konnte, und

außerdem auch noch Krankenhäuser gegründet

in Yedikule bei Konstantinopel seit 1875 eine deut-

wurden.

sche Schule, die von einem Schulverein getragen

Die Bedingung dafür, dass diese neuen christ-

wurde, der der protestantischen Kirche nahestand.

lichen Einrichtungen im Nahen Osten geschaffen

Nur so viel hier zur Bedeutung der christlichen

werden konnten, waren wichtige Reformen des

Mission, die zum Teil als Vorläufer und Wegbereiter

Osmanischen Reichs in den 1850er Jahren, die nach

der späteren staatlichen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gesehen werden kann.

2  Auf das Mädchenschulwesen in den Kolonien kann hier leider nicht eingegangen werden; vgl. hierzu Kleinau (2000).


50

Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP

Das oben genannte zweite Beispiel eines Funk-

Lehrbetrieb gerade 1912 begonnen, als kurz dar-

tionsmoduls waren die im Zuge des deutschen Flot-

auf der Erste Weltkrieg die erfolgversprechenden

tenbaues um 1900 in China, der zweiten Interes-

Arbeiten unterbrach und zu einer Besetzung durch

senregion Deutschlands3, errichteten deutschen

japanische Truppen führte. Das deutsche Flotten-

Hochschulen (vor allem in Schanghai und Tsing-

geschwader in Tsingtau musste sich zurückziehen.

tau: Medizin- und Ingenieurschulen), verbunden

Damit entfiel auch die machtpolitische Grundlage

mit einer Reihe von neu gegründeten deutschen

für eine deutsche kulturelle Präsenz. Was blieb,

Elementar- und Mittelschulen (sechsklassige Real-

war allenfalls als kulturelles Zeugnis die in Tsing-

schulen) als Zulieferern für diese Fachhochschul-

tau hinterlassene neue deutsche koloniale Jugend-

institute. Sie dienten einerseits der Rekrutierung

stilarchitektur und die Schandongbahn, die von

von chinesischen Führungskräften zur Unterstüt-

deutschen Ingenieuren zu den Kohlenvorkommen

zung der deutschen Hafen- und Handelsorgani-

im Hinterland (Kiautschou) gebaut worden war, um

sation in Tsingtau, boten andererseits aber auch

den wichtigen Flottenstützpunkt mit Kohle zu ver-

chinesischen Medizin- und Ingenieursaspiranten

sorgen.

Examens- und professionelle Möglichkeiten, die

Ähnlich wie mit China, das heißt, sehr stark

der schwache chinesische Staat um 1900 für eine

auf den Export eines deutschen technischen Schul-,

verbesserte Entwicklung dringend brauchte. Die

Fachschul- und Hochschulwesens bezogen, verhielt

Tung-Chi-Hochschule in Schanghai (heute Tongji-

es sich auch mit dem dritten Modul in unserem

Universität) wurde 1907 mit einer Medizinabtei-

Überblick, der Schaffung eines deutschen techni-

lung gegründet und 1912 durch eine Ingenieur-

schen Schulwesens in der Türkei, wo nach 1880

fachschule ergänzt. Die Medizinschule stand in

unter deutscher Führung mit dem Bau der Anato-

Verbindung zu dem 1900 in Hamburg gegründe-

lischen und dann zehn Jahre später auch mit dem

ten Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten,

der Bagdadbahn begonnen wurde (Pohl 1999; vgl.

dessen Hygiene- und Tropenmediziner Peter Müh-

Fuhrmann 2011). Diese Projekte erhöhten den stra-

lens einige Jahre nach dem Ende des Kriegs 1932

tegischen Wert dieser Weltregion enorm, freilich

mit dem chinesischen Gesundheitsminister Heng-

angesichts der Rivalitäten der europäischen Indus-

Liu ein Programm über Zusammenarbeit und Aus-

triestaaten auch das Risiko. Zu den Eisenbahnschu-

tausch vereinbarte (vgl. Wulf 1994: 79f.). Wieweit

len, die zunächst für die Ausbildung der einfachen

dabei deutscherseits auch die traditionelle chine-

Eisenbahnbeamten in drei Einrichtungen in Kara­

sische Medizin der Tropenkrankheiten erforscht

agatsch im Vilayet Edirne (Adrianopel), in Hai-

wurde, kann leider zur Zeit noch nicht beantwortet

darpascha und in Eskischehir (asiatische Türkei)

werden. Ein Teil dieser Aktivitäten war nach dem

gegründet wurden, zu denen aber noch 17 weitere

Ersten Weltkrieg auch in die multilateralen Koope-

Schulen dieser Art geplant waren (vgl. Schult 2014),

rationen des Völkerbunds eingebunden, die damit

sollte als krönender Abschluss noch eine akademi-

für Deutschland wie für viele andere Staaten eine

sche deutsche TH für die Ingenieur­ausbildung in

neue Dimension der internationalen Zusammen­

Adana in der Südtürkei geschaffen werden. Doch

arbeit darstellten.

kam es in Folge des Weltkriegs nicht mehr dazu.

Zu den erwähnten medizinischen Institutio-

Andere geografische Räume, die seit den 1880er

nen kam noch als weitere Ebene der technologi-

Jahren für Deutschland interessant wurden, waren

sche Kontakt zu China in Form der Technischen

Südosteuropa, auch der Raum der Donauschifffahrt

Hochschule (TH) in Tsingtau, die insbesondere für

und das dadurch erreichbare östliche Mittelmeer.

Schiffstechnik errichtet wurde. Sie hatte mit ihrem

Sie waren durch den 1869 eröffneten Suezkanal und den Bau der kleinasiatischen Eisenbahnen

3  Im Folgenden werden die zeitgenössischen, heute jedoch nicht mehr gebräuchlichen deutschen Schreibweisen verwendet (Anm. d. Hrsg.).

zu einem dynamischen Spannungsfeld geworden, mit dem Bismarck noch in den 1880er Jahren, was


51

WIKA-Report (Band 2)

die Türkei, Bulgarien und Griechenland betraf,

sowohl über das allgemeinbildende als auch über

kaum gerechnet hatte.4 Der fast schon abgelegte

das schon erwähnte Spezialschulwesen. Mit dieser

geografische Begriff ‚Levante‘ hatte wieder aktu-

Denkschrift – sie betrifft vor allem unser viertes

elle Bedeutung bekommen, woran übrigens auch

Modul: das allgemeinbildende Auslandsschulwe-

Österreich-Ungarn durch seinen Hafen Triest und

sen – waren u. a. die kulturpolitischen Ausbau­

den Österreichischen Lloyd als größte Schifffahrts-

pläne für die Levante und für Südosteuropa deut-

gesellschaft des Mittelmeers mit entsprechenden

lich artikuliert und vom AA beim Reichstag zusätz-

nautischen Ausbildungseinrichtungen auch für

liche Mittel für diese Zwecke gefordert worden.

Deutschland als Kooperationspartner einen bedeu-

Dieses Memorandum wurde aber schließlich nach

tenden Anteil hatte.

der Sitzung des Hauptausschusses des Reichstags

Die Orientreise Wilhelms II. 1898 unterstrich

1914, aus nicht ganz ersichtlichen Gründen, für

das deutsche Interesse an der nahöstlichen Region

geheim erklärt und wieder eingezogen.5 Warum?

oder am ‚Morgenland‘, wie es auch hieß, sehr deut-

Man kann darüber nur Vermutungen anstellen. In

lich, aber es war auch klar geworden, dass das

dieser geheimen Denkschrift wurde zum Beispiel

Reich damit zum Teil in Interessensphären Groß-

deutlich, und das waren vielleicht Gründe für die

britanniens und Frankreichs eingetreten war, die

Wiedereinziehung des umfangreichen Papiers,

beide für den Fall einer schwächelnden Türkei

dass man im Amt schon 1912/13 erstens mit Plä-

ebenfalls als Anwärter bereit standen. Denn nach

nen befasst war, die Kulturpolitik erheblich stär-

der Eröffnung des Suezkanals 1869 und mit dem

ker zu fördern als bisher, wobei aber beim Ausbau

Baubeginn der großen Eisenbahnen im Osmani-

des Auslandsschulwesens auf die ‚einheimischen‘

schen Reich hatte die strategische und wirtschaft-

Regierungen in den verschiedenen Ländern vor-

liche Bedeutung des östlichen Mittelmeers, aber

sichtig Rücksicht zu nehmen war. Das führte zwei-

auch die des südosteuropäischen Raums durch die

tens zu Vorstellungen, im AA die Regionen der Erde

Anbindung der Donauschifffahrt an den neuen

in diesem Sinne später nach ersten Länderrefera-

Seeverkehr durch den Suezkanal über die Donau-

ten zu differenzieren und ihnen drittens besondere

Umschlaghäfen Braila und Galatz (Galaţi) erheb-

Zwecke, je nach Region, zuzuweisen. Die Denk-

lich zugenommen. Galatz wurde 1856 zum Sitz der

schrift enthielt auch viertens eine vorzügliche

internationalen Europäischen Donaukommission.

Statistik des deutschen Auslandsschulwesens mit

Viele deutsche Kaufleute hatten in diesen Räumen

insgesamt 878 schon bestehenden deutschsprachi-

bis ins südliche Russland hinein ihre Kontore eröff-

gen Auslandschulen der verschiedensten Art in fast

net, sich mit ihren Familien angesiedelt und die

allen Teilen der Welt, vielfach von privaten deut-

Gründung deutscher Schuleinrichtungen unter-

schen Schulvereinen getragen.

stützt. Auch hier boten sich Möglichkeiten für eine deutsche Auswärtige Kulturpolitik.

Aber angesichts des noch bestehenden großen Übergewichts der französischen Schulen in

Angesichts des wachsenden politischen

der Türkei und der wirtschaftlichen Interessen

Gewichts dieser Regionen hatte das Auswärtige

Frankreichs und Großbritanniens in dieser Region

Amt (AA) zuletzt noch seit 1912 für den Hauptaus-

(besonders wegen der neu entdeckten Ölressourcen

schuss des Reichstags eine fast 400 Seiten lange

um Mossul) war man sich im Auswärtigen Amt der

Denkschrift über das gesamte deutsche Auslands-

Brisanz der deutschen Pläne bewusst und rechnete

schulwesen zu erstellen begonnen, und zwar

mit noch nicht ganz überschaubaren Schwierigkeiten. Das spätere geheime britisch-französische

4  Noch 1880 und 1885 scheint Bismarck gegenüber französischen Diplomaten sehr deutlich und lebhaft sein Desinteresse an türkischen, bulgarischen und griechischen Angelegenheiten zum Ausdruck gebracht zu haben. Vgl. „Documents Diplomatiques Français (1871–1914)“, 1. Serie, Bd. III, S. 164 und Bd. VI, S. 103.

Sykes-Picot-Abkommen von 1916 über eine Aufteilung der Interessensphären beider westlichen 5  Abgedruckt bei Düwell (1976: 316–370). Hier zum Nahen Osten S. 323 und S. 326–329.


52 Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP

Mächte hat diese Bedenken des Auswärtigen Amts,

passim). Das erforderte jedoch im AA eine Auftei-

die zur Rücknahme der Denkschrift führten, dann

lung nach mindestens sechs regionalen Abteilun-

nachträglich noch bestätigt.

gen, die aber schon nach anderthalb Jahren finan-

Die Kulturpolitik war in dieser Region und zu

ziell nicht aufrecht erhalten werden konnte. Die

diesem Zeitpunkt – anders als heute oft angenom-

neue Kulturabteilung als Sachgebiet blieb jedoch

men wird – nicht unbedingt ein Instrument des

bestehen. Sie war, so könnte man sagen, wenn

Friedens, sondern auch ein Feld nationaler Riva-

nicht das Modell, so doch ein Vorläufer der späte-

litäten, das den Frieden nicht wirksam sichern

ren Abteilung 600 im Bonner Auswärtigen Amt, die

konnte. Dennoch blieb die neue Schulpolitik

viel stärker mit ihren Länderreferaten dem regio-

bestimmend. Für alle Auslandsschulen war 1906

nal-kulturgeografischen Gliederungsprinzip ent-

im AA ein Schulreferat gebildet worden. Die neuen

sprach.

Pläne bauten darauf auf. Vielleicht sollte die Denkschrift, die seit 1912 angelegt worden war, aus all diesen Gründen geheim blieben. Das Memorandum war ein interessanter Beleg für die Intentionen

Mitteleuropa: Das Deutsche AuslandInstitut und andere Mittlerorganisationen

der deutschen „friedlichen Imperialisten“ (Ernst Jäckh, Paul Rohrbach, Friedrich Naumann, Hans

Was fünftens den in der Weimarer Republik oder

Delbrück), deren Ziel es war, dass Deutschland in

kurz zuvor noch begründeten neuen Typ der Mitt-

der Welt „moralische Eroberungen“ machen sollte.

lerorganisationen angeht, so sei davon hier nur

Hieraus hat sich dann erst nach dem Ersten Welt-

noch stichwortartig ein kurzer Abriss gegeben: Die

krieg 1919/20 der Schritt zur Schaffung einer eige-

Gründung des Deutschen Ausland-Instituts (DAI) in

nen Kulturabteilung im Auswärtigen Amt und der

Stuttgart am 10. Januar 1917, mitten im Krieg und

Plan für eine Regionalisierung des Außenministe-

noch unter der Kanzlerschaft Bethmann Hollwegs,

riums nach geografisch gegliederten Länderabtei-

war in mancher Hinsicht ebenfalls neu und bemer-

lungen mit je spezifischen Aufgaben ergeben, wie

kenswert; denn es handelte sich um eine teils pri-

sie dann vor allem Ministerialdirektor Edmund

vate Gründung des wohlhabenden Stuttgarter

Schüler vorschlagen und im Amt schließlich auch

Kaufmanns, Generalkonsuls und Ersten Vorsitzen-

durchsetzen konnte (Schülersche Reform; vgl.

den Theodor Wanner, war aber zum anderen Teil

Doß 1977: 10f.). Diese Pläne gingen zum Teil noch

vom Reichsamt des Innern durch den deutschnati-

zurück auf die 1916/17 von dem Orientalisten C. H.

onalen Staatssekretär Karl Helfferich bezuschusst.

Becker verfasste „Denkschrift über den künftigen

Eine Besonderheit war auch, dass neben dem feder-

Ausbau der Auslandsstudien an den preußischen

führenden Reichsamt des Innern selbst das Aus-

Universitäten“. Auslandsstudien sollten in der

wärtige Amt, das Land Württemberg und die Stadt

Zukunft die Defizite an Welt- und Länderkenntnis

Stuttgart zunächst nur in geringem Maße finan-

der Universitätsabsolventen und jungen Bewerber

ziell am DAI beteiligt waren. Eine weitere Eigen-

für den diplomatischen und konsularischen Dienst

art des DAI lag anfangs auch darin, dass dieses

ausgleichen, um durch ein besseres Wissen über

Institut zugleich auch Museum beziehungsweise

das Ausland künftig Konflikte und Kriege eher zu

Sammlung sein sollte und zuerst die etwas baro-

vermeiden (Trommler 2013: 96f.). Das wirkte auf

cke Bezeichnung „Museum und Institut zur Kunde

Schüler weiter.

des Auslandsdeutschtums und zur Förderung deut-

Schüler scheint dabei eine Gliederung nach

scher Interessen im Ausland“ trug.

Kulturkreisen angestrebt zu haben, zum Teil ähn-

Dass dieses DAI sich dann bald nach der Grün-

lich wie Oswald Spengler sie zwei Jahre zuvor in

dung besonders mit dem Auslandsdeutschtum

seiner „Morphologie der Weltgeschichte“ vom

in Ost- und Südosteuropa befasste, war auch auf

Dezember 1917 vorgelegt hatte (Spengler 1917:

die wirkungsstarke, von Friedrich Naumann 1915


53

WIKA-Report (Band 2)

veröffentlichte Schrift „Mitteleuropa“ zurückzu-

Deutschland vor allem in seiner Fokussierung auf

führen. Dieses Buch wurde in dem seit 1910 eben-

den Donauraum als pars pro toto eines künftigen

falls von Theodor Wanner geleiteten Württem-

Mitteleuropa ein neuartiger Ansatz, der aber erst

bergischen Verein für Handelsgeografie schon

nach Kriegsende, dann allerdings unter schlechte-

1915/16 diskutiert. Doch die Arbeit Naumanns

ren Bedingungen und mangels anderer Möglich-

kam eigentlich zu spät, denn das Mitteleuropa-

keiten von einem 1931 von der deutschen Industrie

Konzept litt darunter, dass durch den Krieg die

gegründeten, aber ab 1935 zunehmend schwieri-

zuvor enorm gestiegene Bedeutung des österreichi-

ger werdenden „Mitteleuropäischen Wirtschafts-

schen Hafens Triest inzwischen in Folge der alli-

tag“ (vgl. Mommsen 1995 und Sohn-Rethel 1992)

ierten See­blockade und der Flottenüberlegenheit

nur teilweise umgesetzt werden konnte. Im Bereich

der Alliierten erheblich geschwunden war. Ob es

der Kulturpolitik hatte dieser Ansatz allenfalls nur

auch Naumanns Mittel­europa-Buch von 1915 war,

indirekte Wirkungen (Sachse (Hg.) 2010).

das den jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig

Es gab ja nicht nur die einheimischen deutsch-

und den Dichter Hugo von Hofmannsthal in ihren

sprachigen Schulen zum Beispiel in den deutschen

Kriegsbriefen und Reden nach 1914 zu kulturpoli-

Siedlungen in Siebenbürgen und im Banat, son-

tischen Betrachtungen über diesen Begriff ange-

dern in großer Zahl auch die meist von deutschen

regt hat, wäre noch genauer zu prüfen. Dazu lie-

Schulvereinen oder Kirchengemeinden getragenen

ßen sich auch die gerade erschienenen Arbeiten

Bildungseinrichtungen im Südosten. Sie bestan-

von Wolfgang D. Herzfeld über Rosenzweig und die

den mit stattlichen Schülerzahlen unter anderem

vieldiskutierte, aber nur teilweise überlieferte Ber-

in Städten wie Triest, Ljubljana (Laibach, Herzog-

ner Rede von Hofmannsthals von 1918 heranziehen

tum Krain), Zagreb (Agram, Kroatien), in Bratislava

(vgl. Herzfeld 2013 und Herzfeld (Hg.) 2013).

(Preßburg) und als reichsdeutsche Schule in Buda-

Der geografisch etwas unscharfe Begriff Mit-

pest (seit 1908), in Pécs (Fünfkirchen), in Belgrad

teleuropa, der ursprünglich aus der österreichisch-

(seit 1854), in Bukarest (seit 1844 mit 1912 insge-

ungarischen Tradition um 1850 stammte, aber in

samt elf Schulen und zusammen 4.739 Schülern),

den Jahrzehnten danach von preußischer Regie-

ferner in Braila und Galatz (Galaţi), den Hafen-

rungsseite bei Zolleinigungsvorschlägen Wiens

städten in der Donaumündung, sowie in Sofia (seit

zunächst immer wieder abgelehnt worden war,

1887), Rustschuk (seit 1897) und Plowdiw (Philipp­

wurde dann von Naumann 1914/15 sehr geschickt

opel) (seit 1901), auch in Bessarabien und in der

auf Möglichkeiten eines deutsch-österreichisch-

Dobrudscha. Die Gründung des Allgemeinen Deut-

ungarischen Wirtschafts- und Zollkondominiums

schen Schulvereins schon 1881 in Berlin (seit 1908

beider Reiche bezogen. War dies von Naumann in

Verein für das Deutschtum im Ausland) hatte zu

seinem Buch zunächst vor allem strategisch, und

einer Organisation geführt, mit der insbesondere

zwar besonders handels- und zollpolitisch gemeint,

das DAI nach 1918 als Mittlerorganisation analog

so lieferte das Stuttgarter DAI unter Theodor

zu den Grundgedanken des Mitteleuropa-Konzepts

Wanner und Dr. Fritz Wertheimer, dem General­

Naumanns nun auch kulturpolitisch zusammen­

sekretär, nun die Expertise und den praktischen

arbeiten konnte.

Nachweis, dass unter anderem auch ein bildungs-

Eine technische Innovation war dabei übri-

politischer Brückenschlag Deutschlands und Öster-

gens, dass das DAI unter Generalkonsul Wanners

reich-Ungarns und die Aktivierung der deutschen

und Dr. Fritz Wertheimers Leitung auch als eine

Printmedien sowie der Sprach- und Schulgemein-

der ersten Kulturinstitutionen das neue Medium

schaften in Südosteuropa, wie schon die geheime

Rundfunk im Reich einsetzte. Theodor Wanner,

Denkschrift des AA von 1913/14 nahegelegt hatte,

selbst Mitgründer des Süddeutschen Rundfunks in

eine Möglichkeit zu politischem deutsch-österrei-

Stuttgart im Jahre 1924, dem er bis 1933 vorstand,

chischen Zusammenwirken boten. Das war für

war auch stellvertretender Vorsitzender der 1925 in


54

Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP

Berlin gegründeten Reichs-Rundfunk-Gesellschaft.

wurde und in stärkerem Maße als bisher besonders

Aus dem Stuttgarter Haus des DAI, in dem 1924 ein

die Wechselseitigkeit der Kulturbeziehungen geför-

Rundfunkstudio eingerichtet wurde, hat insbeson-

dert hat. Nachdem Frankreich schon seit 1922 mit

dere Generalsekretär Wertheimer viele Informati-

dem Abschluss bilateraler Kulturabkommen begon-

onssendungen und Kommentare über die Lage der

nen hatte, kam es auf deutscher Seite erst ab 1927

Auslandsdeutschen und ihr kulturelles Leben nach

zu konkreteren Überlegungen. Praktisch wurde

dem Ersten Weltkrieg gesprochen (Düwell 2004).

damit eine Zweibahnstraße angesteuert, die zwar

Die Sendungen erfreuten sich eines relativ gro-

durch den Nationalsozialismus noch einmal stark

ßen öffentlichen Interesses. Zwar mussten sowohl

eingeengt und durch propagandistisch-expansiven

Wanner als auch Wertheimer, der Jude war, 1933

Druck fast beseitigt worden wäre, an die aber nach

auf nationalsozialistischen Druck aus dem DAI

dem Zweiten Weltkrieg die junge Bundesrepublik

ausscheiden und der massiven NS-Propaganda wei-

Deutschland wieder nach dem Prinzip der Gegen-

chen, aber die von ihnen geleisteten sachlichen

seitigkeit der Abkommen und diesmal unter Betei-

Grundlagenarbeiten und Erfahrungen befähigten

ligung der Bundesländer anknüpfen konnte (erstes

selbst noch das spätere ifa (Institut für Auslandsbe-

Abkommen mit den USA 1953). Eine ähnliche Ver-

ziehungen) während und nach der Wende in Osteu-

zögerung trat übrigens in der Weimarer Republik

ropa 1989/90, den Aufbau demokratischer Medien

auch bei der Schaffung des neuen Instruments Kul-

im ehemaligen Ostblock gemeinsam mit dem SDR

turattaché ein, das während der Zeit der Finanz-

technisch und publizistisch zu unterstützen.

not der Republik nur in ersten Ansätzen realisiert

Mit dem DAI war 1917 eine der ersten deut-

werden konnte.

schen kulturpolitischen Mittlerorganisationen geschaffen, ein neues Instrument der AKBP, das primär vom Gesamtstaat finanziert wurde und in ähnlicher Weise dann auch beim Goethe-Institut

Soft Power: Vom strategischen ‚X‘ zu Area Studies und Dialog

von 1932 (hervorgegangen aus der Deutschen Akademie in München) als Vorbild gewirkt hat. Beide

Wie stellte sich insgesamt nach dem Ersten Welt-

Institute waren kulturpolitische Errungenschaften

krieg das Verhältnis von Hard und Soft Power dar?

der Weimarer Republik, die auch nach dem Zwei-

1919 nannte der Generalquartiermeister des Heeres

ten Weltkrieg seit den 1950er Jahren noch den Neu-

Wilhelm Groener als Voraussetzung einer Macht-

ansatz einer AKBP der Bundesrepublik Deutschland

politik „Heer, Flotte und Geld“. Die waren nicht

nachhaltig beeinflusst haben. Doch war inzwi-

mehr da. Aber daneben hatte sich als Lehre aus der

schen generell das AA der zuständige Träger gewor-

Geschichte ein zusätzliches geistig-strategisches

den, wobei aber nun die Mittler in ihrer Sacharbeit

‚X‘ als notwendig erwiesen, das man als kulturelle

nach dem Ende der nationalsozialistischen Agita-

Ausstrahlung und gleichzeitig als geistige Aufnah-

tions- und Propagandamethoden eine weitaus stär-

mebereitschaft für ausländische Kultureinflüsse

kere Autonomie erhielten.

bezeichnen könnte. Wie dringend notwendig die-

Schließlich ist in diesem Überblick noch ein

ses zusätzliche ‚X‘ neben den harten Machtfaktoren

sechstes und letztes Modul der deutschen AKBP

selbst war, zeigte sich erst, als die drei von Groe-

schon für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu

ner genannten Vektoren in den Jahren nach 1918

nennen: das neue Instrument Kulturabkommen

fehlten und erst langsam wieder erworben werden

des AA, zu dem es schon 1875 einmal einen Vorläu-

mussten und sie auch dann noch, allein und für

fer in einem deutsch-griechischen Abkommen über

sich genommen, als nicht mehr hinreichend gelten

gemeinsame archäologische Grabungen in Olympia

konnten. Denn wenn unter dem Nationalsozialis-

gegeben hat, eine Vereinbarung, die aber als Typus

mus die finanziellen Mittel für die Auswärtige Kul-

erst in der Weimarer Republik fortentwickelt

turpolitik auch erheblich erhöht wurden, wirkten


55

WIKA-Report (Band 2)

sie sich nicht in demselben Maß positiv aus, weil

alten Geopolitik sah das dortige neue Konzept aus-

sie nach außen zu propagandistisch und agita-

wärtiger Beziehungen, aus dem sich nach weni-

torisch und im Inneren unter Verhängung einer

gen Jahren die so genannten Area Studies als neue

ideologischen Gleichschaltung eingesetzt wurden.

Disziplin entwickelten, vor allem eine intensivere

Das zeigen unter anderen die Arbeiten von Katja

Berücksichtigung und Erforschung sprachlicher,

Gesche (2006), Klaus Junker (1997), Eckard Michels

kultureller und auch religiöser Faktoren in einzel-

(1993) und Steffen R. Kathe (2005, als Übergang zur

nen Weltregionen vor. In Ergänzung der ursprüng-

Nachkriegsgeschichte).

lich in Washington (D.C.) und Baltimore angesiedel-

Die daraus nach dem Zweiten Weltkrieg gezo-

ten ‚Auslandsinstitute im Inland‘ wurden für die

gene Lehre war, dass Kulturexport allein nicht

Ausbildung des diplomatischen Nachwuchses nun

genügte, dass vielmehr in den Kulturbeziehungen

auch auswärtige Foreign Study Centers in Rangoon

nicht nur der Erwerb kulturgeografischer und eth-

(Birma), in Bologna und neuerdings auch in den

nographischer Kenntnisse, sondern auch echter

Arabischen Emiraten eröffnet. Sie und die damals

Austausch und Dialogbereitschaft, Begegnung und

schon entwickelten ersten speziellen Programme

Offenheit gelernt und eingeübt werden und dass

in den Area Studies wurden schon in den 1950er Jah-

auch Länderabteilungen im Auswärtigen Amt zu

ren durch die amerikanische Regierung und durch

dieser offenen Orientierung beitragen mussten.

Stiftungen wie das McCollum-Pratt- und andere Ins-

Das hat nach einer Besinnungspause, einer kriti-

titute gefördert sowie durch weitere Einrichtungen

schen Evaluation und Neugestaltung des Auswär-

ergänzt. Sie wurden neben anderen an den Univer-

tigen Amts erst Ministerialdirektor Dieter Sattler

sitäten Harvard, Berkeley, Chicago, Duke, Pennsyl-

in der Kulturabteilung des Amts seit 1951 auf den

vania und Philadelphia geschaffen. Diese ersten so

Weg gebracht. Er war der große Inspirator und Ver-

genannten Area Desks arbeiteten cross cultural und

mittler neuer Gedanken (vgl. Stoll 2005). Dabei hat

interdisziplinär und lieferten dem State Depart-

sich die junge Bundesrepublik Deutschland, die

ment und dessen regionalen Abteilungen Exper-

nach ihrer Gründung 1949 zunächst noch keinen

tisen. In der Anfangszeit personell unter anderem

auswärtigen Dienst besaß, ab 1951 am außenkul-

auch von deutsch-amerikanischen Exilanten und

turpolitischen Vorbild der westlichen Siegermächte

Vertretern der neuen Politikwissenschaft mitgetra-

orientiert. Es gab vor allem im amerikanischen

gen, die zuvor während des Kriegs im Office of Stra-

State Department für die Ausbildung des diploma-

tegic Studies (OSS) oder an anderer Stelle im Auf-

tischen Nachwuchses eine 1950 gegründete School

trag der amerikanischen Regierung mitgearbeitet

of Advanced International Studies in Washington

hatten und die besonders die europäischen politi-

(D.C.), die Modellcharakter gewann. Sie führte zu

schen und kulturellen Verhältnisse gut kannten

einer stärkeren Berücksichtigung kultureller und

(wie Ernst Fraenkel, Felix Gilbert, Hajo Holborn,

regionaler Faktoren in den internationalen Bezie-

Richard Löwenthal, Otto Kirchheimer, Franz Neu-

hungen. Schon 1943 hatten sich in der amerikani-

mann), bedeuteten die International and Area Studies

schen Hauptstadt durch die Gründung einer For-

eine Modernisierung. Sie hatten bald auch auf die

eign Service Educational Foundation die ersten

praktische Politik einen bedeutenden Einfluss.

Grundlagen der neuen International Studies ent-

Vor allem die regelmäßig stattfindenden

wickelt, die mit der älteren Tradition geopoliti-

Tagungen der International Studies Association

scher Studien kaum noch zu vergleichen waren.

in den USA waren bis in die 1980er Jahre ein

Grundlegend und richtungsbildend waren dabei

Forum, auf dem mehr und mehr auch die kul-

einige amerikanische Universitäten, zum Beispiel

turpolitischen Aspekte der auswärtigen Bezie-

die Johns Hopkins University in Baltimore, wo die

hungen behandelt wurden, zum Teil auch in

School of Advanced International Studies 1950 der Universität attachiert wurde. Im Unterschied zur


56 Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP

deutsch-britisch-amerikanischer Zusammenarbeit.6

auch die Bundesrepublik im Rahmen internati-

Die Area Studies wurden seit den 1960er Jahren par-

onaler Zusammenarbeit beteiligte (zum Beispiel

tiell auch zu einem Synonym für die Erforschung

„Mensch und Biosphäre“ und die jahrzehntelan-

der Beziehungen zu den Entwicklungsländern. Ent-

gen Forschungen über den Indischen Ozean) stär-

wicklungspolitik war daher zugleich den globalen

ker berücksichtigt. Die Entwicklung dieser geostra-

Großregionen und damit der unterschiedlichen

tegischen Aspekte und Instrumente der AKBP zeigt

geografischen und anthropograpischen Lage ein-

daher in historischer Sicht eine allmähliche Ver-

zelner Länder zugewandt. Vor allem für die Zusam-

feinerung der Mittel, was aber nicht ausschließt,

menarbeit mit den neuen afrikanischen Staaten

dass in bestimmten Regionen und Zeitläuften auch

erwiesen sich dabei zunächst bilaterale Kulturab-

Katastrophen und Rückschläge bei den Beziehun-

kommen als nützlich, später (seit den 1990er Jah-

gen zwischen Staaten und Kulturen auftreten kön-

ren) auch multilaterale Vereinbarungen im Rah-

nen. Diese Gefahren, die auch aus Unkenntnis der

men der Vereinten Nationen und der OECD, neu-

geostrategischen Gegebenheiten entstehen kön-

erdings auch der EU, die längst nicht mehr nur ein

nen, gilt es einzudämmen.

wirtschaftlicher Zusammenschluss ist. Hier tun sich zum Teil auch regionale Möglichkeiten einer Kriegsprävention und Friedenserhaltung auf, die

Literatur

schon vor einigen Jahren Kurt-Jürgen Maaß betont hat (2009: 28f.). Abgesehen von allen Gefahren, die Kriege ohnehin mit sich bringen, ist speziell der

Abrams, Irwin/Düwell, Kurt (1982): Lessons of the

Friede zwischen Entwicklungs- und Schwellenlän-

First American-German Exchange Professorships

dern eine wichtige Voraussetzung für deren wirt-

(1905–1914). Paper presented at the joint meeting

schaftliches Gedeihen und den Aufbau zivilgesell-

of the International Studies Association (ISA) and

schaftlicher Strukturen.

International Society for Educational, Cultural,

Seit den 1950er und 1960er Jahren haben sich die amerikanischen Area Studies in der Politikwis-

and Scientific Interchanges, 23rd Annual Conven­ tion, Cincinnati, OH, March 24–27, 1982.

senschaft und in der Diplomatie insofern durchgesetzt, als sie die deutschen Neuanfänge in den

Agnew, John A./Corbridge, Stuart (1995): Mastering

Universitäten und im Auswärtigen Amt nach dem

Space: Hegemony, Territory and International

Zweiten Weltkrieg bestimmt haben. Das wirkte

Political Economy. London: Routledge.

sich auch auf eine neue kulturpolitische Geostrategie aus. Zum Beispiel wurden neben den im Amt

Bernard, Henri (Hg.) (1942): Lettres et mémoires

gebildeten Länderabteilungen im Ausland groß­

d‘Adam Schall: Relation historique. Tientsin:

regionale Botschafterkonferenzen eingeführt und

Hautes Études.

die Attaché-Ausbildung unter anderem stärker auf Länderkunde, auf historische und kulturpoliti-

Brechtken, Magnus (2006): Scharnierzeit 1895–

sche Faktoren ausgerichtet. Es wurden aber auch

1907. Persönlichkeitsnetze und inter­natio­nale

die weltweiten naturwissenschaftlichen Groß-

Politik in den deutsch-britisch-amerikanischen

forschungsprojekte der UNESCO, an denen sich

Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg. Mainz: P. von Zabern.

6  Die zunehmende regionale und kulturpolitische Differenzierung der Area Studies spiegelte sich zum Beispiel in den Jahrestagungen der International Studies Association (gegründet 1959), die aus amerikanisch-kanadischen Zusammenschlüssen von Politikwissenschaftlern und Zeithistorikern hervorgegangen war und die auch der Verfasser einige Male erleben konnte. Vgl. Abrams/Düwell 1982: 63f., und Düwell 1989: 6f.

Dodds, Klaus (Hg.): Halford Mackinder and the ‚Geographical Pivot of History‘. (The Geographical Journal, 170, 4, special issue). Oxford: Blackwell.


57

WIKA-Report (Band 2)

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Die Schülersche Reform. Düsseldorf: Droste.

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Düwell, Kurt (1976): Deutschlands Auswärtige Kulturpolitik 1918–1932. Grundlinien und

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Düwell, Kurt (1981): The historical and political frame-work of international education and

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Die unbekannte Bekannte (nicht nur) für Deutsch

– Ostindische Welt, a.a.O., S. 105–120.

als Fremd-/Zweitsprache. Rückblick, Kontexte und Ausblick. In: Wirkendes Wort 59, 3, S. 503–525.

Liebau, Heike (Hg.) (2006): Geliebtes Europa – Ostindische Welt. 300 Jahre interkultureller

Fuhrmann, Malte (2011): Germany‘s adventures in

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ders. (Hg.): Kultur und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis. 2., vollst. überarb. und

Riezler, Kurt [u. d. Pseudonym J. J. Ruedorffer]

erw. Aufl., Baden-Baden: Nomos, S. 25–32.

(1914): Grundzüge der Weltpolitik in der Gegen­wart. (Das Weltbild der Gegenwart;

Mackinder, Halford John (1904): The geographical

2). Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt.

pivot of history. In: The Geographical Journal, 23, 4 (April 1904), S. 421–437.

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Michels, Eckard (1993): Das Deutsche Institut in

Sames, Arno (2006): Beziehungen zwischen Halle,

Paris 1940–1944: Ein Beitrag zu den deutsch-

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S. 28–34.

Stuttgart: Steiner. Schult, Volker (2014): „Im Interesse der deutschen Mommsen, Wolfgang J. (1995): Die Mitteleuropa­

Weltgeltung“ – Deutsche Bildungspolitik im

idee und die Mitteleuropaplanungen im Deut­

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Sultanisi (Istanbul Lisesi). In: Archiv für Kultur-

kriegs. In: Plaschka, Richard G./Hasel­steiner,

geschichte 96, 1, S. 81–106.

Horst u.a. (Hg.): Mitteleuropa-Konzep­t ionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wien:

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nalsozialismus. Aufzeichnungen aus dem ‚Mittel­-

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europäischen Wirtschaftstag‘. Hgg. und eingel. von Carl Freytag. Berlin: Wagenbach.

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Nye, Joseph (2011): The Future of Power. New York:

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59

WIKA-Report (Band 2)

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Prof. em. Dr. Kurt Düwell, Studium der Geschichte, Philosophie und Germanistik an den Universitäten Bonn und Köln. Promotion 1966 in Köln, Wissen­ schaftlicher Assistent am Historischen Seminar der RWTH Aachen, 1974 Habilitation an der Universität

Köln, 1977 ordentlicher Professor an der Universität Trier, 1995 an der Universität Düsseldorf. Gastpro­ fessor an den Universitäen Clark (Worcester, MA),

Miami (OH) und Wuhan (VR China). Arbeitsgebiete:

Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Geschichte der Auswärtigen Kultur- und Bildungspo­ litik, Landesgeschichte. 1984 bis 1994 Vorsitzender der

Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft Trier und des

Sozialwissenschaftlichen Studienkreises für Internati­ onale Probleme. – Kontakt: kurt.duewell@t-online.de


60

Die Cable Leaks zeichnen ein eindringliches

Politische Handlungsräume durch Medien­ kommunikation? Public Diplomacy unter der Obama-Administration

Bild davon, wie die USA klassische Public Diplomacy betreiben. Darunter versteht man kommunikative Maßnahmen, die eine Regierung gegenüber der Öffentlichkeit eines Zielstaates anwendet. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die öffentliche Meinung in anderen Ländern so zu beeinflussen, dass deren Regierungen ihre Außenpolitik im Interesse des Absenderstaates ausüben. Letztlich soll damit der eigene außenpolitische Handlungsspielraum gegenüber dem Zielstaat erweitert werden. Public Diplo-

von Henrike Viehrig (Bonn)

macy beschreibt also die Beziehung zwischen einer Regierung und einer ausländischen Öffentlichkeit. Damit grenzt sie sich von traditioneller Diplomatie

Cable Leaks und Public Diplomacy

ab, die zwischen Regierungen bzw. deren Repräsentanten stattfindet. Die USA verfügen über etablierte Public Diplo-

Die unter Verschluss gehaltenen Geheimdienst-

macy-Strukturen, die vor allem im Außenministe-

dokumente, die durch Wikileaks-Betreiber Julian

rium angesiedelt sind. Hier ist ein eigener Staatsse-

Assange an die Öffentlichkeit gebracht wurden und

kretär für Public Diplomacy vorgesehen (der Under

als Cable Leaks bezeichnet werden, haben einige der

Secretary of State for Public Diplomacy and Public

Techniken bekannt gemacht, mit denen amerika-

Affairs). Zum anderen ist es der Präsident selbst,

nische Behörden andere Bevölkerungen außen-

der als oberster Public Diplomat weltweite Sichtbar-

politisch beeinflussen wollten. In Bezug auf den

keit genießt (Hayden 2011: 790f.). Drittens betreibt

Afghanistankrieg entwickelte beispielsweise die

das Broadcasting Board of Governors (BBG) – eine

CIA Ideen, wie die USA proaktiv politische Bot-

unabhängige Bundesbehörde – Auslandsrundfunk­

schaften in deutschen und französischen Medien

anstalten wie Voice of America, Radio Free Afgha-

platzieren könnten, um die kriegsmüde Bevölke-

nistan, Radio Free Iraq, Radio Free Asia sowie

rung in diesen Ländern wieder für den Afghanis-

Radio Farda (Iran) und Radio and TV Martí (Kuba).

taneinsatz zu begeistern (CIA Red Cell 2010). Kon-

Die Aktivitäten des Außenministeriums sowie des

kret empfahl die CIA, dass Präsident Obama die

BBG unterliegen zudem der Kontrolle des amerika-

französische und deutsche Bevölkerung daran

nischen Kongresses (Höse 2008: 90 f.). Ein weiterer

erinnern solle, dass er – und nicht sein Vorgänger

Baustein moderner Public Diplomacy fußt auf der

Bush – nunmehr die Geschicke Afghanistans in die

Cyber Diplomacy oder Public Diplomacy 2.0, die auf die

Hand nehme. Außerdem schlug die CIA vor, afgha-

neuen digitalen Kommunikationsstrukturen setzt,

nische Frauen als Kommunikatorinnen der Afgha-

um die entsprechenden Zielgruppen online zu

nistanmission einzusetzen, da der deutsche und

erreichen. Dabei steht die Reziprozität der Kommu-

französische Zuspruch zur ISAF-Mission unter der

nikation im Vordergrund, d. h., man sendet nicht

weiblichen Bevölkerung besonders gering ist. Doch

nur, sondern empfängt auch und führt so einen

die Hoffnung auf einen Solidarisierungseffekt und

beständigen Dialog. Idealerweise führt dies zu

auf steigende Zustimmungsraten bei den europäi-

einer dichteren, informellen und leichter zugäng-

schen Verbündeten hat sich nicht erfüllt. Die Bünd-

lichen Kommunikation, die auch politische Räume

nispartner ziehen sich sukzessive aus Afghanistan

erschließt, indem sich beide Seiten ihrer gemein-

zurück, ohne die anfangs verfolgten Ziele erreicht

samen Werte bewusst werden (Graffy 2009). Wenn

zu haben.

man bedenkt, dass in den arabischen Ländern 24


61

WIKA-Report (Band 2)

bis 31 Prozent der erwachsenen Bevölkerung unter

Diplomacy. Seit dem Amtsantritt von Barack Obama

24 Jahre alt ist (Apt 2011: 3), ist der Bedeutungszu-

wird das Konzept nun auch auf hauptamtliche Poli-

wachs der digitalen Kommunikation für diese Ziel-

tiker angewendet. Voraussetzung ist wiederum,

gruppe gar nicht hoch genug zu bewerten.

dass die Person als solche eine Berühmtheit dar-

Ungeachtet des Mediums jedoch ist es für die

stellt und dass diese Berühmtheit von der Rolle als

USA als Absender der Botschaften unabdingbar,

Präsident abgekoppelt werden kann. Nur so ist es

dass ihnen Vertrauen entgegengebracht wird. Nur

möglich, persönliche Berühmtheit bzw. die damit

wenn eine grundsätzliche Offenheit und Nähe zwi-

einhergehende Medienaufmerksamkeit für politi-

schen den Kommunikationsteilnehmern herrscht,

sche Zwecke einzusetzen (Kellner 2010).

hat Public Diplomacy Aussicht auf Erfolg. Das Ver-

Unter der Voraussetzung, dass Präsident Barack

trauen, die Akzeptanz, das Interesse und die

Obama auch global als prominent (im angelsäch-

Attraktivität hängen wiederum von der Soft Power

sischen Sprachgebrauch also als celebrity) wahrge-

der USA ab. Je mehr der Rest der Welt bereit ist,

nommen wird, erscheint die These von Celebrity

amerikanische Werte und Ziele zu akzeptieren

Diplomacy schlüssig. Sie zielt auf Obamas Bekannt-

und für erstrebenswert zu erachten, desto wirk-

heit – vor allem im Ausland – und auf das ausge-

samer ist die Public Diplomacy. Der zentrale Unter-

prägte Interesse an seinen persönlichen Lebens-

schied zwischen Soft Power und Public Diplomacy

umständen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger

ist also, dass Soft Power eine Ressource ist, die ein

George W. Bush wurde Obama bei seiner Amtsein-

Staat durch die Unterstützung und Anerkennung

führung wie ein Rockstar gefeiert (Kellner 2010).

in anderen Staaten gewinnt. Es ist ein passives Gut.

Seine ungewöhnliche Rhetorik sowie die Tatsache,

Public Diplomacy hingegen ist eine aktive Form von

dass Obama der erste afroamerikanische Präsident

Außenpolitik, die zum Ziel hat, die Soft Power eines

der USA ist, brachte ihm und den Vereinigten Staa-

Landes zu erhöhen, die aber gleichzeitig ein gewis-

ten weltweit enorme Aufmerksamkeit und Res-

ses Maß an Soft Power voraussetzt (Höse 2008: 82).

pekt entgegen (Hayden 2011: 794). Dadurch haben

Die Frage ist daher, wie es den Vereinigten Staa-

die USA immense Soft Power gewonnen – sowohl

ten unter der Obama-Präsidentschaft gelungen ist,

das politisches System, welches beeindruckende

Public Diplomacy zu betreiben – mit besonderem

Karrieren ermöglicht, als auch Obama selbst, der

Augenmerk auf Public Diplomacy 2.0 und Celebrity

v. a. unter Jugendlichen weltweit großes Ansehen

Diplomacy.

genoss. Diese Soft Power war die Grundlage für seine Rede an der Universität Kairo am 4. Juni 2009. Oba-

Celebrity Diplomacy

mas Berühmtheit wurde gezielt für diese Ansprache an die islamische Welt genutzt und vor allem mit Blick auf die jüngere arabische Bevölkerung

Der Begriff Celebrity Diplomacy beschreibt die Bemü-

gleichzeitig digital flankiert. Dass die Ansprache

hungen einzelner berühmter Persönlichkeiten,

jedoch die Bevölkerung im Zielstaat messbar beein-

sich für die Lösung bestimmter globaler Probleme

flusste, ließ sich nicht feststellen, wie eine Analyse

einzusetzen (Cooper 2007). Voraussetzung für Cele-

der Public Diplomacy 2.0 zeigt.

brity Diplomacy ist, dass die mediale Aufmerksamkeit, die den Berühmtheiten zuteil wird, für spezifische Zwecke umgelenkt wird – etwa um auf glo-

Public Diplomacy 2.0

bale Missstände aufmerksam zu machen oder um Geld für ein bestimmtes Projekt zu sammeln. Prin-

Bereits unter George W. Bush begannen die USA,

zessin Dianas Einsatz für die Ächtung von Landmi-

die digitalen Medien stärker in die Public Diplomacy

nen oder der Kampf des Musikers Bob Geldof gegen

zu integrieren. Karen Hughes, die damalige Staats-

globale Armut sind zwei Beispiele von Celebrity

sekretärin für Public Diplomacy und Public Affairs,


62 Politische Handlungsräume durch Medienkommunikation?

stellte ein Digital Outreach Team (DOT) zusammen, welches auf Arabisch, Farsi und Urdu in den ein-

Zusammenfassung

schlägigen Weblogs kommunizierte mit dem Ziel, Falschinformationen über amerikanische Aktivi-

Aufgrund Obamas ungewöhnlicher persönlicher

täten entgegenzutreten. Die Zielgruppe des DOT

Popularität hatten die USA zunächst sehr gute

sind internetaffine und politisch Interessierte, die

Chancen, außenpolitische Botschaften glaubwür-

in den genannten Sprachen kommunizieren. Dabei

dig zu vermitteln. Doch abseits von hohen inter-

schalten sich die Mitglieder des DOT in Diskussio-

nationalen Zustimmungswerten für Obama und

nen auf politischen, im arabischen Raum basierten

seinem rhetorischen Geschick hat sich Public Dip-

Internetforen ein, geben sich als Mit­a rbeiter des

lomacy nicht als vorrangiges Mittel amerikanischer

amerikanischen Außenministeriums zu erken-

Außenpolitik etablieren können. Die Rede in Kairo

nen (teilweise mit Klarnamen) und regen zum wei-

und sein erstes TV-Interview – das nicht einer hei-

teren Gedankenaustausch mit arabischen Usern

mischen Medienanstalt, sondern dem in den Ver-

an. Später wurden die vorhandenen Strukturen

einigten Arabischen Emiraten ansässigen Nach-

mit Google, MTV, Howcast.com und Facebook ver-

richtensender al-Arabiya gegeben wurde – waren

knüpft, um extremistischen Strömungen entgegen-

hoffnungsvolle Startsignale. Jedoch konnten sie

zuwirken (Graffy 2009).

auf lange Sicht nicht in politisches Kapital umge-

Eine Studie zur Wirksamkeit des DOT, welche

münzt werden (Hayden 2011: 786), wie auch die

den Onlinediskurs in den Wochen nach Obamas

Analyse der Digital Outreach Teams zeigt. Immerhin

Rede in Kairo untersucht, kommt zu dem Schluss,

konnte eine Art negative Soft Power verhindert wer-

dass diese schwierig zu beurteilen ist (Khatib/Dut-

den: Amerikas Unpopularität konnte in den ersten

ton/Thelwall 2012). Da die Blogger des DOT offen

Obama-Jahren zumindest nicht als Motivation für

als zivile Mitarbeiter des US-Außenministeriums

eventuelle Angriffe dienen (Hayden 2011: 788).

auftreten, lösen sie zunächst eine Flut von nega-

Grundsätzlich ist anzumerken, dass gezielte

tiven Kommentaren aus. Objektiv messbar ist also

Kommunikation nur sehr begrenzt politische

ein negativer Effekt. Eine implizite Wirkung auf

Handlungsräume schaffen kann. Die kommuni-

passive Beobachter der Blogs (lurkers) kann hinge-

kativen Zusammenhänge sind zu vielschichtig

gen nur angenommen, aber nicht verifiziert wer-

und unterliegen zahlreichen Einflüssen anderer

den. Zumindest werden extreme Ansichten durch

Akteure, sodass es nur unter idealen Umständen

amerikanische frames kontrastiert und somit ein

möglich ist, diesen Prozess im jeweils eigenen Inte-

Diskussionsangebot offengehalten. Gleichzeitig

resse zu steuern. Insgesamt ist Kommunikation

werden die Inhalte der Blogs von den DOT-Mitarbei-

ein schwieriges Geschäft, vor allem wenn die Ver-

tern wahrgenommen und sie liefern ein Bild von

trauensbasis gefährdet ist. Räume lassen sich nicht

den Themen und Blickwinkeln, die in einschlägi-

schaffen, sondern ergeben sich allenfalls punktuell

gen Foren diskutiert werden. Hauptsächlich rüh-

und sind abhängig vom sonstigen wahrgenomme-

ren die kommunikativen Probleme im Cyberspace

nen Verhalten des Absenders. Dies hängt weniger

daher, dass es sich um fragmentierte und polari-

vom kommunikativen Input als von der Akzeptanz

sierte Publika handelt. Blogs und Internetforen

ab (die sich wiederum aus vielen Quellen speist).

sind eben keine Massenmedien, sondern bringen

Daher gilt, dass sich politisches Fehlverhalten nicht

relativ homogene Benutzer zusammen. Dabei steht

wegkommunizieren lässt.

oft nicht die Suche nach neuen Ansichten im Vor-

Entscheidend ist nun, ob die Vereinigten Staa-

dergrund, sondern eine Bestätigung für den vor-

ten die Möglichkeiten der Public Diplomacy 2.0 aus-

handenen Blick auf die Welt. Diese „Biotopöffent-

schöpfen werden. Potenziell sind die digitalen

lichkeiten“ sind nur schwer durch direkte Interven-

Strukturen dazu geeignet, einen globalen Dis-

tionen aufzubrechen (Henze 2008).

kurs zu gestalten, der zu einem essenziellen Teil


63

WIKA-Report (Band 2)

der amerikanischen Außenpolitik werden könnte.

Henze, Arnd (2008): Medienmacht und Biotop-

Allerdings speist sich so ein Diskurs auch aus dem

Diskurse. Das Gemeinwohl als Herausforderung

beobachtbaren und wahrgenommenen Verhalten

in einer globalisierten Öffentlichkeit. In: Jäger,

des Hegemons. Dass diese Wahrnehmung einer

Thomas/Viehrig, Henrike (Hg.): Die amerikanische

erfolgreichen Public Diplomacy eher entgegensteht,

Regierung gegen die Weltöffentlichkeit? Theo­

zeigt sich in Obamas Popularität, welche späte­

retische und empirische Analysen der Public

stens während seiner zweiten Amtszeit gelitten

Diplomacy zum Irakkrieg. Wiesbaden: VS –

hat. Transatlantische Abhörskandale, harsche Stra-

Verlag für Sozialwissenschaften, S. 39–52.

fen gegen Whistleblower, die Ausweitung des Drohnenkriegs und nicht zuletzt seine innenpolitischen

Höse, Alexander (2008): Selling America. Die

Schwierigkeiten zeigen, dass auch ein Charismati-

Public Diplomacy der USA vor dem Irakkrieg

ker wie Obama nur so viel Macht ausüben kann,

2003. In: Jäger, Thomas/Viehrig, Henrike (Hg.):

wie ihm das politische System zugesteht. Damit lei-

Die amerikanische Regierung gegen die Welt­-

det auch die Soft Power Amerikas.

öffentlichkeit? Theoretische und empirische Analysen der Public Diplomacy zum Irakkrieg.

Literatur

Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften, S. 79–107. Kellner, Douglas (2010): Celebrity diplomacy,

Apt, Wenke (2011): Aufstand der Jugend. Demo­

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not be enough. http://wlstorage.net/file/ciaafghanistan.pdf (letzter Abruf: 30.01.2014). Dr. Henrike Viehrig, Studium der Regionalwissen­ Cooper, Andrew F. (2007): Celebrity Diplomacy and the G8: Bono and Bob as legitimate inter­ national actors. Waterloo, ON (Kanada): CIGI – The Centre for International Governance Innovation (CIGI Working Paper No. 29).

schaften Lateinamerika an der Universität zu Köln.

Promotion im Jahre 2009 in Politikwissenschaft. Aka­

demische Rätin am Nordamerikastudienprogramm der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Arbeitsgebiete: Internationale Beziehungen, Medien

und öffentliche Meinung in der Außen- und Sicher­ Graffy, Colleen (2009): The Rise of Public Diplom­acy 2.0. In: The Journal of International Security Affairs 17 (Fall), S. 47–53. Hayden, Craig (2011): Beyond the „Obama Effect“. Refining the instruments of engagement through U.S. Public Diplomacy. In: American Behavioral Scientist 55, 6, S. 784–802.

heitspolitik, Framing von militärischen Auslandsein­ sätzen. – Kontakt: viehrig@uni-bonn.de


64

dieser Kommunikation mit ausländischen Öffent-

Chinas Geopolitik und ihre kulturelle Unterstützung von Falk Hartig (Frankfurt am Main)

lichkeiten, bei der es prinzipiell darum geht, Sprache oder Kultur eines Staates bzw. seiner Gesellschaft zu vermitteln, um damit außenpolitische Ziele zu realisieren.

Chinas Außendarstellung und Kultur­ diplomatie – Hintergründe und Ursachen Seit einigen Jahren ist die Volksrepublik (VR) China überaus aktiv, wenn es darum geht, mit ausländi-

Dieser Beitrag beschäftigt sich damit, warum und

schen Öffentlichkeiten zu kommunizieren. Peking

wie die Volksrepublik China Kultur als ein Mittel

hat seit 2009 sieben bis neun Milliarden US-Dollar

ihrer Außendarstellung nutzt. Im Folgenden wird

in seine großen Staatsmedien wie die Nachrich-

skizziert, weshalb sich China verstärkt nach außen

tenagentur Xinhua, den Fernsehsender CCTV, die

darstellt, welche Rolle Kultur dabei spielt und wel-

Radiostationen von China Radio International oder

ches die wichtigsten chinesischen Akteure in die-

auch die englischsprachige Tageszeitung China

sem Bereich sind. Obwohl es im vorliegenden Bei-

Daily investiert (Wang 2012). Während Peking für

trag nicht in erster Linie um theoretische und kon-

seine Medienoffensive tief in die Tasche greifen

zeptionelle Darstellungen gehen soll, erscheint es

muss, verdient es mit einem anderen Instrument

dennoch notwendig, zumindest skizzenhaft zu

seiner Außendarstellung sogar Geld: Seit einigen

erläutern, was hier unter Außendarstellung und

Jahren setzt China wieder verstärkt auf seine so

Kulturdiplomatie verstanden wird.

genannte Panda-Diplomatie. Während Große Pan-

Unter Außendarstellung verstehe ich hier im

das (lat. Ailuropoda melanoleuca), eine nur in China

weitesten Sinne das, was in der englischsprachi-

vorkommende Bärenart, lange Zeit an ausgewählte

gen Literatur mit dem Begriff der Public Diplomacy

Länder verschenkt wurden, werden sie heute unter

beschrieben wird. Während sich eine zunehmende

strengen Auflagen im Rahmen von wissenschaftli-

Anzahl von Veröffentlichungen damit beschäftigt,

chen Kooperationen an zahlungskräftige Zoos aus-

was Public Diplomacy eigentlich ist (einen guten

geliehen. Rund eine Million Dollar pro Jahr muss

Überblick bietet Fitzpatrick 2010), folge ich hier

ein Zoo für ein Pandapaar zahlen, das für zehn

der Definition von Wang Jian, nach welcher Public

Jahre ausgeliehen wird. Offiziell geht es zwar um

Diplomacy weitgefasst als „a country’s engagement and

tiermedizinische Kooperationen und die Erhaltung

communication with foreign publics“ verstanden wer-

der vom Aussterben bedrohten Art durch Nach-

den kann (Wang 2011: 3). Kulturdiplomatie (oder im

wuchsgewinnung, aber die enorm positive Image-

deutschen Verständnis eher Auswärtige Kulturpo-

wirkung ist dabei durchaus einkalkuliert (Hartig

litik 1) wiederum verstehe ich als einen Teilbereich

2013).

1  Es lassen sich terminologische Unschärfen bemängeln, wenn Begriffe wie Public Diplomacy oder Cultural Diplomacy ins Deutsche übertragen werden, jedoch sind konzeptionelle Ähnlichkeiten erkennbar. So beschreibt Kurt-Jürgen Maaß Public Diplomacy als „internationale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ (Maaß 2009: 18), womit der hier gewählte Begriff der Außendarstellung vertretbar erscheint. Weiterhin weist Rolf Hoffmann im Kontext der USA darauf hin, dass Auswärtige Kulturpolitik „am ehesten mit Cultural Diplomacy zu übersetzen“ ist (2009: 361).

sive ist Peng Liyuan, die Ehefrau von Partei- und

Der neueste Akteur in Chinas CharmeoffenStaatschef Xi Jinping. Peng begleitete ihren Mann im März 2013 das erste Mal öffentlichkeitswirksam auf einer Auslandsreise und war seither in verschiedenen Ländern an der Seite ihres Mannes zu sehen. Chinesische und internationale Medien waren begeistert, verglichen Peng wahlweise mit


65

WIKA-Report (Band 2)

Michelle Obama oder beschrieben sie als die „Carla

demzufolge Public Diplomacy es China erlauben

Bruni of the East“ (Phillips 2013). Nicht nur die chine-

sollte „to talk back“, auf dass die Welt das echte

sische (Internet-)Öffentlichkeit erkannte das Poten-

China sehen und verstehen könne (Zhao 2010).

zial der bekannten Sängerin der Volksbefreiungsar-

Zusammenfassend kann festgehalten werden,

mee, sondern auch Wissenschaftler im Bereich Pub-

dass China mit diesen Maßnahmen einerseits ide-

lic Diplomacy sind der Ansicht, dass die erste Frau

alistische Ziele verfolgt, wenn es sich für die För-

im Staate unter dem Stichwort der „First Lady Diplo-

derung der internationalen Verständigung durch

macy“ stärker in Chinas Außendarstellung einbezo-

Kulturaustausch einsetzt, um damit schließlich zu

gen werden sollte (Li 2013).2 Das bekannteste, aber

einer friedlichen globalen Entwicklung beizutra-

wohl auch umstrittenste Instrument der chinesi-

gen. Andererseits allerdings verfolgt China ganz

schen Kulturdiplomatie sind allerdings die nach

klar auch funktionale Ziele mit seiner Kulturdiplo-

dem chinesischen Philosophen Konfuzius benann-

matie und Außendarstellung, was hier keinesfalls

ten Kulturinstitute, die seit 2004 beinahe überall

als negativ verstanden wird. Es möchte damit seine

auf der Welt entstanden sind.

Rechte und Interessen im Ausland vertreten und

Diese verstärkte Betonung von Außenkommu-

insbesondere eine internationale Umgebung schaf-

nikation und Kulturdiplomatie, zu der auch Groß-

fen, die für die (wirtschaftliche) Entwicklung im

veranstaltungen wie das Deutsch-Chinesische Kul-

Land förderlich ist.

turjahr 2012 zählen, wirft die Frage auf, warum China verstärkt versucht, sich der Welt in einem positiven Licht zu präsentieren. Im Jahr 2003 stellte das Kulturministerium fest, China solle den Kultur-

Kultur spielt eine entscheidende Rolle für Chinas auswärtige Beziehungen

austausch mit der Welt intensivieren und es solle der Welt „excellent Chinese culture“ vorstellen und

Kultur spielt, anders als in anderen Ländern, für

„promote our reform and opening-up policy and achie-

das offizielle China sowohl im nationalen als auch

vements of socialist construction to the world to set up

im internationalen Kontext eine überaus wich-

a world image of socialist China“ (Ministry of Culture

tige Rolle. Im inländischen Kontext stellte der aus

2003). 2008 erklärte der damalige Außenminister

dem Amt scheidende Generalsekretär Hu Jintao

Yang Jiechi, China solle mittels Public Diplomacy und

2012 auf dem 18. Parteitag der Kommunistischen

Kulturdiplomatie „the understanding and friendship

Partei Chinas (KPCh) fest, „culture is the lifeblood of

of foreign publics“ verstärken, und beide Maßnah-

the nation and the spiritual home of the people“ (Hartig

men sollten dazu beitragen, ein Image von China

2012b). Diese entscheidende Bedeutung von Kultur

als friedliches, demokratisches, zivilisiertes und

wurde bereits 2011 in einer Resolution des Zentral-

fortschrittliches Land zu zeigen (Yang 2008). Ein

komitees (ZK) der KPCh über die „Vertiefung der

Jahr später erklärte auch der damalige Partei- und

Reform des kulturellen Systems“ deutlich. Diese

Staatschef Hu Jintao, China solle seine Public und

seit 15 Jahren erste Resolution zum Thema Kultur

Cultural Diplomacy stärken, um den Kulturaustausch

beschreibt und versteht die sozialistische Kultur als

zu fördern und zu entfalten und darüber hinaus

eine wichtige Quelle für den Zusammenhalt und die

die exzellente chinesische Kultur energisch zu ver-

Kreativität des Landes. Im internationalen Kontext

breiten (Qian 2009). Die deutlich­sten Worte in der

wird Kultur als ein wichtiges Element im Konzept

Hinsicht fand Zhao Qinzheng, ehemals Direktor

der „Umfassenden Nationalen Stärke“ (zonghe guoli)

des Presseamts des Staatsrats und somit wichtigs-

verstanden, und ein Ziel laut dieser Resolution ist

ter Sprecher der chinesischen Zentralregierung,

die Stärkung der kulturellen Soft Power Chinas und

2  Seit 2014 wird nicht mehr nur die erste Frau im Staat, Peng Liyuan, sondern auch Cheng Hong, die Ehefrau von Ministerpräsident Li Keqiang, in Chinas Außendarstellung einbezogen.


66 Chinas Geopolitik und ihre kulturelle Unterstützung

seiner internationalen Diskurs-Macht.3 Interessant

nehmen und seine Kultur mittels Kulturdiplomatie

erscheint dabei die Tatsache, dass im internationa-

verbreiten. Diese wird als eine Form der Diplomatie

len Kontext tendenziell weniger deutlich die sozia-

verstanden, bei der eine Regierung Kunst, Kultur

listische Kultur im Zentrum steht. Sondern für das

und Bildung nutzt, um ihre politischen Vorstellun-

internationale Publikum wird – wie es sich zum

gen zu verbreiten, um so Beziehungen zu anderen

Beispiel im Zusammenhang mit den Konfuzius-

Staaten zu pflegen und die eigenen nationalen Inte-

Instituten zeigt – eher auf die chinesische traditi-

ressen zu vertreten. Dabei kann Kulturdiplomatie

onelle Kultur Bezug genommen, die immer auch

zur kulturellen Vielfalt und Verständigung beitra-

im Zusammenhang mit der proklamierten fünftau-

gen, und sie hilft dem internationalen Status und

sendjährigen chinesischen Geschichte (qu qian nian

Einfluss des Landes. Trotz dieser Potenziale erken-

de lishi) steht.

nen chinesische Wissenschaftler an, dass Chinas

In der wissenschaftlichen Debatte wird diese

Kulturdiplomatie durchaus ihre Schwächen hat.

Indienstnahme von Kultur teilweise noch deutli-

Zunächst ist der politische Einfluss teils zu deut-

cher artikuliert. Zur Frage, was mit Kultur an sich

lich erkennbar; weiterhin wird bemängelt, dass zu

gemeint ist, gibt es in China ähnlich viele und viel-

viele Akteure unkoordiniert und ohne klare Aufga-

fältige Definitionen wie anderswo auch. So gibt

benteilung agieren; es gibt keine kohärente Strate-

es auch in China Debatten über einen engen und

gie, und es fehlen politische Richtlinien; außerdem

weiten Kulturbegriff (Wu 2012), man unterschei-

müssten Finanzmittel erhöht und die Kooperation

det zwischen eher materialistischen oder ideo-

mit NGOs und internationalen Partnerorganisatio-

logischen Komponenten von Kultur, oder Kultur

nen verstärkt werden (Zhang 2012).

wird in Anlehnung an Traditionen der chinesischen Geistesgeschichte als humanistische Kultivierung verstanden. Von Akademikern im Bereich der Außenpolitikanalyse wird anerkannt, dass Kul-

Chinas Akteure und Instrumente der Kulturdiplomatie und Außen­darstellung

tur eine strategische Bedeutung hat, sie wird – wie oben erwähnt – als Komponente der „Umfassenden

Wie viele andere Staaten auch nutzt China Infor-

Nationalen Stärke“ verstanden und gilt schlussend-

mations- und Kulturprogramme, wobei rund ein

lich als Mittel zur Verteidigung nationaler Interes-

Dutzend Akteure – Ministerien und staatliche

sen (Jia 2012; Li 2005). Westlichen Ländern, allen

Organisationen – involviert sind. Die Instrumente

voran den USA, wird aufgrund ihrer politischen,

und Programme sind meist staatlich kontrolliert,

ökonomischen und kulturellen Stärke eine Domi-

und es werden seit einiger Zeit auch zunehmend

nanz zugestanden, aber man sieht auch die Gefahr

NGOs und internationale Organisationen einbezo-

eines westlichen Kulturimperialismus (wenhua

gen.

diguo zhuyi) (Bian 2009).

Wichtige Akteure im Bereich der Kulturver­

An diesem internationalen kulturellen Wett-

mittlung sind vor allem das Erziehungsmini­ste­

bewerb, so die Argumentation, muss China teil-

rium und das Kulturministerium. Das Kultur­m ini­

3  Beim Konzept der „Umfassenden Nationalen Stärke“ handelt es sich um ein in der VR China entwickeltes Verfahren, um die Macht von Staaten zu beschreiben und zu quantifizieren. Die „Nationale Stärke“ eines Landes wird dabei durch Kombination zahlreicher quantitativer Indices berechnet. Neben geografischen Faktoren wie der Größe des Landes gehören dazu auch militärische Faktoren (oft beschrieben als Hard Power), Wirtschaftsdaten sowie kulturelle Faktoren (Soft Power). In der VR China herrscht die Ansicht vor, dass derzeit die USA über die größte „Umfassende Nationale Stärke“ verfügen und dass China weit abgeschlagen hinter Deutschland, Großbritannien oder Russland liegt.

sterium, welches in der informellen Reihen­folge deutlich weniger wichtig als das Erziehungsministerium ist, betreibt beispielsweise weltweit neun Chinesische Kulturzentren im Ausland (u.a. in Berlin) und zeichnet für die Durchführung der Chinesischen Kulturjahre im Ausland (z.B. in Deutschland 2012) verantwortlich. Das wichtigere Erziehungsministerium verfügt über verschiedene Unterorganisationen, die wiederum verschiedene


67

WIKA-Report (Band 2)

Programme oder Projekte verwalten. So gibt es

im Endeffekt der nationalen Entwicklung des Lan-

zum Beispiel den China Scholarship Council, der es

des und somit auch dem Machterhalt der Kommu-

einerseits chinesischen Studenten ermöglicht, im

nistischen Partei Chinas dienen. Insgesamt kann

Ausland zu studieren, aber seit einiger Zeit auch

man argumentieren, dass China einen eher kom-

zunehmend dafür zuständig ist, internationale Stu-

petitiven Ansatz im Bereich der Kulturdiplomatie

dierende nach China zu holen. Und es gibt Hanban,

verfolgt, auch wenn dies in der offiziellen Rheto-

das Nationale Leitungsgremium für Chinesisch als

rik nicht ganz so deutlich wird. Denn China geht

Fremdsprache. Hanban ist vor allem zuständig für

es, wie anderen Staaten auch, schlussendlich um

Chinas wohl prominentestes kulturdiplomatisches

internationalen Einfluss, besonders in bestimmten

Instrument, die Konfuzius-Institute (und Konfu-

Weltregionen wie Afrika.

zius-Klassenzimmer), die der interessierten inter-

Allerdings, und das ist der entscheidende

nationalen Öffentlichkeit die chinesische Sprache

Knackpunkt, können solche Kommunikations-

und Kultur vermitteln sollen. Im Frühjahr 2014

maßnahmen nach außen immer noch ergänzend

existierten offiziell weltweit 446 Konfuzius-Insti-

wirken. Im Falle Chinas besteht das Grundproblem

tute, die meist in Kooperation mit Universitäten

darin, dass es relativ egal ist, wie viele Konfuzius-

entstehen, und 665 Konfuzius-Klassenzimmer, die

Institute die Volksrepublik weltweit eröffnet und

mit Schulen kooperieren (Zhang 2014).

wie viele Auslandsbüros die Medien unterhalten –

Das Besondere an den Instituten ist ihre Struk-

so lange in China Medien zensiert und Journalisten

tur als Joint Ventures zwischen chinesischen und

eingesperrt werden oder Künstler in ihrer Arbeit

internationalen Partnern. Dabei stellt die inter-

behindert werden, schadet dies dem Image Chinas

nationale Seite Räumlichkeiten und örtliche Mit-

sehr viel mehr als all die nach außen gerichteten

arbeiter, China schickt Sprachlehrer, meist einen

Maßnahmen zusammen erreichen können.

Vize-Direktor, Lehrmaterialien und zahlt einen Teil des Budgets. So erhalten die Institute in den ersten Jahren durchschnittlich 100.000 US-Dollar, außer-

Literatur

dem können sie zusätzliche Projektgelder beantragen. Allerdings müssen die internationalen Partner auch investieren: zunächst in die Räumlichkeiten

Bian, Yehong (2009): Wenhua waijiao zai guoji

und lokalen Kräfte, und auch bei den Projektmit-

waijiao zhanlüe zhongde shuangchong xiaoying

teln werden die Kosten zwischen chinesischen und

ji qishi [Der duale Effekt von Kulturdiplomatie in

internationalen Partnern geteilt (Hartig 2012a).

der internationalen diplomatischen Strategie und dessen Implikationen]. In: Lilun Qianyan

Bewertung

[Theory Front] 13/2009, S. 30–31. Fitzpatrick, Kathy R. (2010): Future of U.S. Public

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass

Diplomacy: An Uncertain Fate. Leiden: Martinus

China sehr darum bemüht ist, sein Ansehen und

Nijhoff.

sein Image in der Welt aktiv zu gestalten, und dass hierbei besonders Kultur eine wichtige Rolle spielt.

Hartig, Falk (2012a): Confucius Institutes and the

China geht es in diesem Bereich einerseits um die

rise of China. In: Journal of Chinese Political

Stärkung vorhandener funktionaler Strukturen

Science 17, 1, S. 53–76.

und um das Schaffen von so genannten Win-winSituationen (shuang ying jumian). Andererseits sind Kultur und Kulturdiplomatie für China strategische Instrumente außenpolitischen Handelns, die


68

Chinas Geopolitik und ihre kulturelle Unterstützung

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69

WIKA-Report (Band 2)

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Dr. Falk Hartig, Studium der Sinologie und Journalistik

an der Universität Leipzig und der Fremdsprachenuni­

versität Sichuan, Chonqging, VR China. Promotion im Jahr 2013. Postdoktorand am Frankfurter Inter-Zen­

tren Programm AFRASO – Afrikas Asiatische Optio­

nen. Arbeitsgebiete: Chinas Außenkommunikation und Kulturdiplomatie mit Fokus auf Afrika, Chinas

Außenpolitik, Internationalisierungsstrategien chi­ nesischer Medien. – Kontakt: hartig@em.uni-frank­ furt.de


70

Diese Krise äußerte sich in vielfacher Weise. In

Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt

den Kolonien und Dominions entstanden zunehmend selbstbewusstere indigene Bewegungen; so etwa in Indien, „the Jewel in the Crown“, wo der Congress von einer Oberschichtinitiative sich zu einer Volksbewegung entwickelte und Swaraj, Selbstherrschaft, zum Programm wurde. Das Irlandproblem entwickelte sich nach den misslungenen Initiativen zur Home Rule zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und zu einem tatsächlichen Krieg. Es gab im Entscheidungsdreieck zwischen den Lon-

von Kurt Möser (Karlsruhe)

doner Ministerien, den kolonialen Verwaltungsund Regierungsbeamten und den zivilen und militärischen „men on the spot“ selten eine konsistente

Das britische Empire schien aus der „Urkatastrophe

Linie. Typisch dafür ist das Massaker von Amritsar,

des 20. Jahrhunderts“ (Kennan 1979) gestärkt her-

bei dem 1919 eine Demonstration in einem Park,

vorgegangen zu sein. Nach den Pariser Vorortver-

dem Jallianwalla Bagh, durch einen lokalen Militär-

trägen, die dem Vereinigten Königreich koloniale

befehlshaber, General Dyer, ohne Rückendeckung

Gebiete der Verlierermächte übertrugen, war es so

von oben blutig, mit Hunderten von Toten, aufge-

groß wie nie zuvor. Aber nur scheinbar waren am

löst wurde (vgl. Abb. 1).

Beginn der 1920er Jahre imperiale Träume, die vor dem Krieg die Vertreter eines Greater Britain hegten, erfüllt. Krisensymptome häuften sich und „Imperial Entropy“ (Brendon 2002) machte sich bemerkbar. Schon zuvor, um 1900, wurden Befürchtungen immer stärker artikuliert, dass Großbritannien ein „Overstretched Empire“ besaß. Diskutiert wurde etwa Rudyard Kiplings Gedicht „Recessional“, das als Gegenposition zu den glanzvollen Feiern zum Regierungsjubiläum von Königin und Kaiserin Victoria formuliert worden war. Die Neudistribution der britischen Flotte, die die bisher starken über-

Abb. 1: Massaker im Jallianwalla Bagh, Amritsar, 1919

seeischen Stationen entblößte, um durch eine Stärkung der Home Fleet die deutsche marine Heraus-

Die inkonsistente britische Indienpolitik ist

forderung zu kontern, wurde als „calling the Legions

„best summarised in a tripartite formula: repression,

back“ interpretiert. Nun bekam Edward Gibbons

concession, procession“ (Brendon 2010: 244). Globalpo-

„Decline and Fall of the Roman Empire“ (1776–1789)

litische Verwirrungssymptome und Widersprüche

eine neue Aktualität; eine Krise des britischen

unkoordiniert Handelnder zeigten sich etwa auch

imperialen Bewusstseins war spätestens um 1920

in Palästina. Dort versprachen diese Handelnden

nicht mehr zu übersehen. Typisch dafür sind die

den jüdischen Immigranten, den indigenen lokalen

Titel von aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten,

Herrschern, den gestärkt aus dem Krieg hervorge-

die über die Zwischenkriegszeit entstanden: „The

henden arabischen Politikern und der kollegialen

Twilight Years“ (Overy 2010), „Farewell the Trumpets“

Kolonialmacht Frankreich ganz unterschiedliche

(Morris 1978), „The Dark Valley“ (Brendon 2001) oder

und nicht miteinander vereinbare Lösungen.

„Borrowed Time“ (Hattersley 2007).


71

WIKA-Report (Band 2)

Hinzu kamen zunehmende finanzielle Re-

die Auswahlmechanismen der Kandidaten für den

striktionen. Das Mutterland hatte nach dem Krieg

verwaltenden Indian Civil Service (ICS) verfeinert

Schwierigkeiten, die Kosten des Empire sowie des-

und die Verwaltung professionalisiert (Morris 1978:

sen Kontrolle und Beherrschung zu tragen. Dabei

308). Das waren schon Versuche, nach der Anam-

ging der Support der selbstbewusster werdenden

nese und Diagnose der ‚imperialen Entropie‘ und

Dominions weitgehend verloren. So wurde etwa

eines überdehnten Empires nun therapeutische

die Intervention in der Türkei von Kanada und Aus-

Konsequenzen zu ziehen. Im Folgenden sollen kurz

tralien nicht unterstützt und war auch deswegen

die konventionellen Versuche des Gegensteuerns

nicht durchsetzbar. Skeptisch betrachtet wurde

skizziert werden, bevor ein innovatives Feld der

auch die Intervention in der jungen Sowjetunion.

britischen Imperialpolitik betrachtet wird.

Zunehmend weniger Unterstützung bekamen der

Zu den Ansätzen, die vielfältigen Probleme

imperiale Gedanke und die imperiale Praxis auch

eines empiremüden und finanziell restringierten

im Mutterland selbst. Geprägt war es durch Unsi-

Landes zu lösen, gehörten Sparen, Übergabe von

cherheit und Depressionen, durch Resignation und

Teilen der politischen Verwaltung an indigene

durch Trauer um die Toten. Der anscheinende Lost

Eliten und der Abbau konventioneller militäri-

Peace wurde zu einer negativen „Kultur des Sieges“,

scher Präsenz. Kaum gespart wurde an Repräsen-

als Spiegelbild der Kulturen der Niederlage, wie

tationsformen in den Kolonien selbst; dort wurde

sie der Historiker Wolfgang Schivelbusch (2001)

Machtsymbolik zwischen Routine und Skepsis

analysiert. Die kulturelle Demobilisierung gelang

praktiziert. Die imperiale und zugleich indigen

ebenso wenig wie die praktische: Großbritannien

eingekreuzte Architektur von Lutyens' New Delhi

erlebte Unruhen, auch hervorgerufen durch das

gehören ebenso dazu wie die Art Deco-Gebäude

„Gespenst des Bolschewismus“, eine Streikbewe-

von Bombays Back Bay. Dazu gehörte auch eine

gung und industrielles Chaos. Näher als imperiale

nicht unkomplexe kulturelle Mobilisierung im

Probleme schienen also die domestikalen. Die bri-

Inland: „Imperial propaganda grew as Britain declined“

tische Politik wurde verstärkt Innenpolitik, und

(Paul Greenhalgh, nach Brendon 2000: 245).

das hieß: Sozialpolitik. David Lloyd George wollte

Ein Höhepunkt dieser Mobilisierungskam-

aus Großbritannien „a land fit for heroes“ machen.

pagne, intendiert für die Massen, war die „British

Dass die Kolonien ihren Eros verloren, bemerkte

Empire Exhibition“, die 1924 in Wembley stattfand

sogar ein Imperialist wie Winston Churchill: „I see

(s. Abb. 2). Die Basis der populären Empire-Pro-

little glory in an empire which can rule the waves and is

paganda hingegen war eine extensive materielle

unable to flush its sewers“ (nach Brendon 2010: 226).

Kultur von Zigarettenalben, Schokoladedosen,

Zu den Konsequenzen gehörte eine Kultur des Selbstzweifels der Imperialisten, wie sie etwa von George Orwell, der als Kolonialpolizist in Burma tätig war, in der autobiographisch geprägten Kurzgeschichte „Shooting an Elephant“ 1936 artikuliert wurde. In ähnlicher Weise zeigte der Richter, der Gandhi nach dem Salzmarsch verurteilte, Verständnis und sogar Sympathie für die Rebellion. Die Rekrutierung derjenigen, die bereit waren, „the dirty work of the Empire at close quarters“ zu leisten, musste einerseits auf nicht unbedingt geeignete Personengruppen zurückgreifen, wie etwa die „black and tans“ in Irland, die man als „dirty tools for a dirty job“ bezeichnete. Andererseits wurden

Abb. 2: Plakat für die „British Empire Exhibition“, 1924


72

Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt

Stereobildern oder Kolonialnippes, grundiert von

und populäre Begeisterung fungierten als Trans-

Paraden, Produktplatzierungen und nicht zuletzt

missionsriemen eines Aufbrechens des für die Zwi-

durch gesteigerte Empire-Propaganda in Schulen.

schenkriegszeit typischen Little Englander-Geistes

Doch die Schwierigkeiten einer gezielten Beeinflus-

und trug dazu bei, globalpolitische Aspekte ins

sung der öffentlichen Meinung wurden evident:

öffentliche Bewusstsein zu rücken. Nicht vergessen

„For it was not a tabula rasa or blank sheet on

sollte man die Anbindung der technisch-militäri-

which the imperial creed could be inscribed;

schen Eliten an ein sich neu aufstellendes Empire.

it was a palimpsest of differing opinions and a

Utopien einer „New Civilization“ (Wohl 2005), einer

‚phantasmagoria of conflicting values‘ … Bri-

technisch-rationalen Kultur, stellten vielfach das

tains drumbeat sounded louder as its empire

Bild des Piloten ins Zentrum.

grew more hollow“ (Brendon 2000: 331).

Mit Luftbegeisterung als Problemlöser schien

Zur Fülle der kolonialenthusiastischen Literatur,

eine müde gewordene Gesellschaft, geprägt durch

etwa für (männliche) Jugendliche, wie etwa Edgar

Diskussionen um eine Lost Generation, sich in die

Wallaces „Sanders of the River“ und „Bones“-Romane

Vorderfront der Modernisierung einzuschieben

gab es eine kulturell kaum weniger wirksame

und die verschiedenen Ebenen der Krise zu lösen.

empire­skeptische Literatur, wozu etwa E.M. Fors-

Großbritannien schwamm nach 1919 auf der brei-

ters „Passage to India“ gehört.

ten transnationalen Welle der Luftbegeisterung

Die meisten Ansätze zur Lösung der dreifa-

mit und entwickelte eine eigene nationale Codie-

chen fundamentalen Probleme, die das britische

rung der besonderen britischen Luft-Affinität, die

Empire zwischen den Kriegen hatte – soziale und

sich von den nationalen politischen Codierungen

kulturelle Unsicherheit und Depression; pragma-

der Airmindedness, wie sie die Sowjetunion, das

tische Probleme der Finanzierung, Verwaltung

faschistische Italien oder der Nationalsozialismus

und Kommunikation; militärische Kontrolle eines

ausbildeten, unterscheiden wollte und auch unter-

Overstretched Empire – erwiesen sich als wenig wirk-

schied. Pionierflüge zu den entfernten Gebieten

sam. Nun aber entwickelte Großbritannien – im

des Empire erlebten eine außerordentliche Publizi-

übrigen parallel zu anderen kolonialen Mächten,

tät. Für die Helden und Heldinnen der First Flights,

die nach 1918 mit ähnlich gelagerten Problemen

wie etwa die Brüder Ross und Keith Smith, die mit

kämpfen mussten – ein Mittel, das versprach, diese

einer „Vickers Vimy“ 1919 von London nach Aus-

widerstreitenden, unter politischen und kulturel-

tralien flogen, wurde das geografische Netz des

len Restriktionen stehenden Politiken und kultu-

Empire ein Aktions- und Spielfeld. Die Kolonien

rellen Konflikte kombiniert auf moderne Weise zu

selbst waren oft pragmatischer orientiert und an

lösen: die Luftfahrt. Sie bot Auswege aus manchen

der Entwicklung einer Anbindung interessiert.

der Dilemmata eines resignierenden Spätimperia-

Typischerweise wurde dieser Flug aufgrund eines

lismus – oder versprach dies.

Preises von 10.000 Pfund unternommen, den die

Die Luftfahrt besaß nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, der das technische System ent-

Regierung des Commonwealth von Australien ausgelobt hatte.

scheidend weiterentwickelt hatte, Attraktivität

In der Wahrnehmung der britischen Öffent-

auf verschiedensten Feldern: Man konnte dyna-

lichkeit waren die spektakulären Erschließungs-

mische Helden einer emphatisch modern-techni-

flüge des Empires durch wagemutige Piloten und

schen Kriegführung verehren; diese Helden führ-

Pilotinnen mit den Produkten der britischen Luft-

ten wagemutige Entdeckungs- und Pionierflüge

fahrtindustrie eng verbunden. Flugzeugtypen und

aus und bereiteten die konkrete Netzbildung von

Flugmotoren wurden stets prominent genannt und

Fracht- und Passagierlinien vor. Luftfahrt – oder

ihre Leistungsfähigkeit herausgestellt.

genereller: der Sinn für die Luft, Airmindedness –

Insofern passte die Konstruktion eines Komplexes

war dazu emphatisch modern. Luftenthusiasmus

imperial-nationaler Fliegerei in den politischen und


73

WIKA-Report (Band 2)

wurde eine neue Raumpolitik des Empire durch Luftlinien möglich. Dabei verfolgten die britischen Luftbehörden eine dreifache technische Strategie: man setzte auf Luftschiffe, Landflugzeuge und Flugboote (s. Abb. 3). Die prestigeträchtige und fliegerisch ausgesprochen herausfordernde IndienVerbindung wurde lange ‚multimodal‘ bedient. Landflugzeuge und auch Luxuszüge brachten die Passagiere von London ans Mittelmeer. Von dort aus flog man in sieben Tagesetappen via Irak und arabische Wüste nach Karachi, Bombay und New Abb. 3: Werbeplakat von Short Bros., Belfast

Delhi. Um diese Linie ranken sich bis heute Legenden und Mythen, die von dem Reiseautor Alexander Frater in seinem Buch „Beyond the Blue Horizon“

wirtschaftlichen Abschottungstrend der Zwischen-

(1986) beschrieben worden sind (vgl. Abb. 8).

kriegszeit. Dem Wandel von der britischen Freihandels-

Spektakulärer war das vorausgehende Konzept

politik zum Aufbau eines sich isolierenden, de-interna-

eines neuen empireweiten Transportnetzes mit

tionalisierenden Sterling-Wirtschaftsraums des British

Luftschiffen. Zum Beginn der 1920er Jahre traute

Commonwealth, das 1931 gegründet wurde, entsprach

man Flugzeugen noch keinen sicheren, wetterun-

der Aufbau der inter-imperialen Zivilluftfahrt als

abhängigen und wirtschaftlichen Passagierluft-

infrastruktureller Reflex des Wirtschaftsraumes.

verkehr über lange Strecken zu. Nur Luftschiffe

Die konkrete Entwicklung erfolgte rasch.

schienen möglich. Das Vorbild waren die deut-

Schon ab etwa 1925 kam es zu einer Transforma-

schen Zeppeline, deren Leistung sowohl durch die

tion von abenteuerlichen und gefährlichen Pionier-

Bombenangriffe auf England als auch durch die

und Erkundungsflügen zu sicherheitsorientierten,

Weltfahrten und den Beginn des Linienverkehrs

ansatzweise effizienten und schnelleren Verbin-

bewiesen schienen. Das seit 1923 diskutierte und

dungen zu den Kolonien (Möser 2009). Dadurch

geplante „Imperial Airship Scheme“ (s. Abb. 4) baute

Abb. 4: Karte des „Imperial Airship Scheme“, 1930–1935


74 Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt

denen Passagiere und Maschinen bei Zwischenlandungen untergebracht und geschützt wurden, über Versorgungs- und Reparaturnetze, Luftschiffhallen (wie die in Karachi, s. Abb. 5), Landemasten und Navigationshilfen wie die berühmte Hunderte Kilometer lange Furche, die in die arabische Wüste gepflügt wurde. Diese Rekombination von Trägern der Airmindedness, modernen Pilotenhelden, Flugzeugen, Motoren und der Geografie des Empire und der Dominions zu einem Komplex der luftfahrtbezogenen Britishness war nicht unbedingt eine Spezifik Großbritanniens; ähnliche Konstruktionen nationaler und politisch expansiver Luftfahrtkultur und -politik gab es in der Zwischenkriegszeit in den autoritären und totalitären Staaten UdSSR und Italien ebenso wie in den Demokratien USA und Frankreich. Auch in der Weimarer Republik wurde Luftfahrt als symbol- wie auch als realpolitisches Abb. 5: Luftschiffmast in Karachi, 1931

Mittel funktional eingesetzt, bevor die Nationalsozialisten Luftmacht und Flugbegeisterung in unge-

auf die Leistungsfähigkeit von Luftschiffen auf langen Strecken.

ahnter Weise beförderten. Wie dort allerdings geht der kulturelle Kom-

Ein typisch britischer Ansatz war eine kon-

plex Luftfahrt nicht in diesen politischen Funkti-

kurrenzorientierte Herangehensweise: Zwei Groß-

onen auf. Im Fall einer verunsicherten britischen

luftschiffe wurden in Auftrag gegeben, eines, das

Imperialpolitik eignete sich die Fliegerei aber in

‚kapitalistische‘, „R 100“ (für rigid) bei der Privat-

besonderer Weise für eine Vereinnahmung, weil

firma Vickers, „R 101“, das ‚sozialistische‘ bei den

hierdurch die Kohärenz der ausgedehnten Terri-

staatlichen Royal Airship Works. 1930 stürzte das

torien sinnfällig gemacht werden konnte. Durch

unausgereifte Luftschiff mit prominenten Protago-

Rekordflüge, die immer wieder das Zusammen-

nisten des „Imperial Airship Scheme“, darunter dem

rücken der über den Erdball verstreuten Gebiete

Luftfahrtminister Lord Thomson, ab, das zur „Impe-

betonten, konnte die geografische Ausdehnung

rial Conference“ nach Indien fahren sollte. Nach dem

einerseits hervorgehoben und ins kollektive

Absturz des „R 101“ wurde die weitere Luftschiff-

Gedächtnis eingebracht, andererseits die Nähe der

planung zurückgefahren und das „Imperial Airship

Gebiete zum Mother Country sinnfällig gemacht wer-

Scheme“ nicht verwirklicht.

den. Überdies kamen – wie schon die Kriegspilo-

Für die aeronautische Anbindung der Kolo-

ten des Royal Flying Corps während des Weltkrie-

nien und Dominions an das Mutterland waren,

ges – viele Piloten aus den Dominions und Kolo-

kaum anders als für die vorher gehenden Schiff­

nien oder hatten Verbindungen dorthin. Dies, die

fahrtslinien, extensive Infrastrukturinvestitionen

gemeinsame ‚Arbeit‘ der Modernisierer via Luft,

erforderlich. Und wie beim Netz von Stützpunk-

war noch ein weiterer Faktor, der die Kohärenz des

ten, Trockendocks, Versorgungs- und Schutz­infra-

Empire konkret demonstrieren und symbolisch

strukturen, die für die britischen Handels- und

verdeutlichen konnte. Imperial aufgeladen waren

Kriegsschiffe gebaut und erhalten werden mussten,

typischerweise auch die Namen der Flugzeugkon-

entstanden für die Luftnetze ebenfalls aufwändige

struktionen, etwa der berühmten Firma Short

Infrastrukturen, von Compounds in der Wüste, in

Bros. in Belfast (s. Abb. 3 und 6). Sie hießen etwa


75

WIKA-Report (Band 2)

beherrschen. Luftstrategie und Seestrategie wurden zu einem geopolitischen Instrument amalgamiert. Im Grunde war das Muster also nicht neu. Auch die Schiffslinien, die das Empire vernetzten, erlebten eine außerordentliche kulturelle Rezeption. Kipling beispielsweise schrieb über die Liners der Kult-Linie P&O (Peninsular and Oriental SteamAbb. 6: Werbung von Short Bros., Belfast, um 1936

ship Co.), die auf den Routen East of Suez für die

„Singapore“, „Calcutta“ oder „Rangoon“, schließ-

Die imperialen Fluglinien waren eine Ergänzung

lich auch „Empire“. Insbesondere die „Calcuttas“

und eine emphatisch modernere Version der P&O.

waren typische Maschinen für die frühen Langstre-

In der Kultur des Reisens folgte man dem Muster

cken-Linienflüge zwischen den imperialen Außen-

der Seefahrt, von den Uniformen und den Gestal-

posten. Sie flogen etwa auf dem Streckenteil zwi-

tungen der Passagierkabinen bis zu den Union

schen dem Mittelmeer und Karachi.

Jacks, mit denen die Standard-Landmaschinen, die

Anbindung des Empires ans Mutterland sorgten.

Der Aufbau der Luftlinien im Empire und spä-

„Handley Page 42“, nach den Landungen Flagge

ter im Commonwealth war also Teil einer impe-

zeigten (s. Abb. 7). Wie bei den imperialen Schiffs-

rialen Luftpolitik, deren Stellenwert sich etwa in

linien entstand bei der Luftfahrt der Zwischen-

einem eigenen Luftfahrtministerium, das für die

kriegszeit eine Symbiose von Transportfunktionali-

Kolonien zuständig war, niederschlug. Auch die

tät und kultureller Valorität. Piloten und Passagiere

Höhe der staatlichen Subventionen, ohne die in

partizipierten, wie auch die britische Öffentlich-

der Zwischenkriegszeit keine Luftlinie dauerhaft

keit, an einer technischen Unternehmung, die ihre

wirtschaftlich betrieben werden konnte, sprach

Imagination beschäftigte. Das System der Luftfahrt

für den Stellenwert, den alle britischen Regierun-

im Dienst des krisenhaften Spätkolonialismus war

gen der neuen interimperialen Luftfahrt zumaßen.

symbolisch wie funktional wirksam.

Flugzeuge wurden eben auch als Modernisierungs-

Die in den 1920er Jahren verfolgten Ideen

agenten gesehen, die einen schwer beherrschba-

einer imperialen britischen Luftpolitik haben eine

ren Raum handhabbar machten und vernetzten,

längere Ahnherrschaft. Rudyard Kipling veröf-

wodurch neue Formen von Geopolitik ermöglicht

fentlichte 1912 eine Erzählung „As Easy as A.B.C.“

wurden. Das virtuelle Netz der Luftlinien, das in

in einer Phase, in der nach dem spektakulären

Karten immer wieder medial präsent gemacht

Kanalflug Louis Blériots 1909 eine Luftinvasion

wurde, folgte dabei dem Muster der Handelsschifffahrtslinien. Ihre wirtschaftliche Bedeutung für Großbritannien und ihr immenses Prestige war dabei eine Form der Traditionsbildung. Eine andere Form des Anknüpfens der Luftfahrt an die Seefahrt war natürlich Machtprojektion. Die Royal Air Force (RAF) und die Zivilluftfahrt waren die Ergänzung, vielleicht sogar, wie manche Theoretiker der Luftherrschaft meinten, der Ersatz der Kriegs- und Handelsmarinen (Edgerton 2013): So, wie Großbritannien „ruled the waves“, sollte es unter den veränderten, krisenhaften Bedingungen des 20. Jahrhunderts auch und insbesondere das ‚Luftmeer‘

Abb. 7: Eine „Handley Page 42“ beim Auftanken in der Wüste, um 1933


76

Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt

Beim neuen Typ des ‚Polizierens‘ des Empire und der Kriegführung gegen asymmetrische Bedrohungen durch Guerillas und Aufständische sollten technische Kampfmittel Bodentruppen ersetzen. Dieses Konzept passte zu den militärischen Erfordernissen einer Gesellschaft, die einen verheerenden Krieg sozial und kollektivpsychisch noch nicht überwunden hatte, und tote Soldaten, begraben „in a corner of a foreign field“, nicht ertragen wollte. Die traumatisierte und tendenziell pazifistische britische Kultur der Zwischenkriegszeit fand mit Air Control eine Möglichkeit, koloniale Konflikte Abb. 8: Werbeanzeige der Imperial Airways, um 1930

und Aufstände mit reduzierten Kosten führbar

Großbritanniens plausibel schien und in der phan-

her blutzollgefährdete Infanterieeinsätze waren,

tastische literarische Texte und alarmistische jour-

mußte nun ein modernes, technisches, Verluste

nalistische Artikel sich mit einem künftigen Luft-

sparendes Waffensystem treten – hatte natürlich

krieg gegen Großbritannien beschäftigten. In seiner

Ahnen, symbolisiert in der zunächst paradigma-

technikphantastischen Zukunftserzählung, die 2065

tisch kolonialen Waffe des Maschinengewehrs.

spielt, hat sich aus einer internationalen Luftfahrt-

Aber seitdem ist vor allem die Konzeption und

Regulierungsbehörde Aerial Board of Control (A.B.C.)

Praxis der militärischen Kontrolle durch Luftwaf-

eine Weltregierung entwickelt – anscheinend unter

feneinsätze in pazifizierten, Verluste fürchtenden

britischer Vorherrschaft. Kiplings Utopie einer rati-

westlichen Demokratien rezipiert und aktualisiert

onalen, technokratischen und durchaus undemo-

worden. Hochtechnologie statt Intervention am

kratischen Herrschaftsform stellt die Luftfahrt als

Boden wurde als Lösung auch von den USA reflek-

transnationalen, imperialen Modernisierungsagen-

tiert und natürlich praktiziert. Das neue Verfah-

ten dar und antizipiert dabei eine imperiale Rolle

ren, genannt Air Control (Omissi 1990, Powers 1976,

einer autoritären Luftpolitik (Stoddard 2011).

Towle 1989, Corum 2000, Möser 2009), wurde zum

zu machen. Dieses Konzept – an die Stelle, wo bis-

Aber der zivile imperialpolitische Aspekt der

neuen militärischen Mittel des kostengünstigen,

Luftfahrt blieb nicht allein. Die Kultur der Airmin-

an technisch-militärische Experten delegierten

dedness ist die Basis einer doppelten Praxis des poli-

Imperial Policing.

tischen Einsatzes der Luftfahrt für geopolitische

Dies wurde zur Hauptaufgabe der Royal Air

Zwecke: Neben zivilen Funktionen bot sie auch

Force der Zwischenkriegszeit, weit wichtiger als der

spektakuläre militärische. Der militärische Ein-

Aufbau des Potenzials für den strategischen Bom-

satz des Flugzeuges im Inneren des britischen Herr-

benkrieg. Ein Nebenziel war es, der Royal Air Force,

schaftsbereichs – im Gegensatz zu den kursieren-

deren Selbständigkeit gleich nach ihrer Gründung

den Konzepten eines ‚totalen Krieges‘ aus der Luft,

1918 in Gefahr war, eine neue Aufgabe zu geben.

wie sie in den USA Mitchell, in Großbritannien

Ein anderes Ziel war es, die Kosten des Policing des

Trenchard und in Italien Giulio Douhet propagier-

Empire entscheidend zu reduzieren, finanziell wie

ten – bot wiederum Lösungen, nämlich für einige

in Truppenstärken. Auch deswegen unterstützten

der oben skizzierten Schwierigkeiten. Das Policing

Politiker wie Winston Churchill, der 1921/22 Kolo-

des Empire und die Reaktion auf Aufstände und

nialminister und ab 1924 Finanzminister war und

gewaltsame Konflikte war durch das emphatisch

damit für die Begrenzung der Kolonialkosten ange-

moderne Waffensystem der Fliegerei einfacher und

sichts der prekären britischen Haushaltslage zustän-

kostengünstiger möglich geworden.

dig war, diesen Kriegführungstyp (Corum 2000).


77

WIKA-Report (Band 2)

Kontrolle aus der Luft wurde oft ergänzt durch Panzerautomobile. Wie in den Luftstreitkräften waren dort Experten des mechanisierten Kleinkriegs im Einsatz. Air Control war eine euphemistische Formulierung eines Konzepts für die Führung von Semi-Kriegen, Insurrektionen und kriegerischen Konflikten im Mittleren Osten, im Irak, in Afghanistan und Palästina der 1920er Jahre mit Mobilitätsmaschinen (Möser 2009, Hallion 1989). Panzerautomobile wie ‚Polizeiflugzeuge‘ wurden von der britischen Kolonialmacht regelmäßig als Disziplinierungsinstrumente in parakriegerischen Konfliktsituationen eingesetzt, mitunter aber auch als Mittel zum Steuereintreiben.

Abb. 10: Luftaufnahme eines Bombentreffers, Irak 1924 gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen werden,

Die militärischen Argumente für einen Aus­bau

die die Insurrektionen mittrug oder tolerierte, und

der mechanisierten Mobilitäts­k riegs­­f ührung,

nicht vorrangig gegen Kombattanten. Callwell pro-

wozu Air Control zählte, waren: schnelles Eingrei-

pagierte „crushing of populace in arms and the stamping

fen; Vereinfachung der Logistik; Reduzierung der

out of widespread disaffection“. Man müsse „burn his

Verluste; außerordentliche Reduzierung der Trup-

villages, even if sensitive individuals might find this objec-

pengrößen; symbolische Abschreckung ‚unzivili-

tionable“ (Callwell 1906: 22, 26). Der Analyst der Kul-

sierter‘ Aufständischer; und auch (potenziell) gerin-

turgeschichte des Bombardierens, Sven Lind­qvist,

gere Gewalthaltigkeit. Dazu entwickelte die RAF

hat betont, dass das Konzept des programmati-

eigene Organisationsformen, eine Doktrin, eigene

schen Terrorbombens gegen Zivilisten eine Auswei-

Maschinen, wie beispielweise die tropentaugliche

tung dieser Kolonialkriegskonzeption auf den Krieg

„Westland Wapiti“, und erwarb sich extensive Ein-

der Industriestaaten untereinander war (Lindqvist

satzerfahrungen.

2001: 20), dann aber im veränderten Kontext euro-

Doktrin und Praxis der kolonialen Para-Luft-

päischer Auseinandersetzungen anders wahrge-

kriege Großbritanniens identifizierten als Ziel-

nommen wurde. Die Propagandisten der Air Control

gruppe der kolonialen Mobilitätskriegführung vor-

sahen, konträr dazu, ihre Art der Kriegführung als

rangig Zivilisten. Entsprechend der alten Konzep-

human an, da die Stämme und Dörfer vor einem

tion des britischen Offiziers C. E. Callwell von 1906

Luftbombardement in der Regel gewarnt werden

zur Führung ‚kleiner Kriege‘ sollte systematisch

sollten (Corum 2000: 71). Längst bevor die Bombardierung von Guernica im Spanischen Bürgerkrieg zu einem Symbol der Barbarei wurde, hatten aber die Maschinen der Air Control systematisch Dörfer in Nordafrika und im Mittleren Osten zerstört, ohne dass die Öffentlichkeit in den westlichen Staaten dies kommentierte (Lindqvist 2001: 72f.; Towle 1989). Damit fügte sich der koloniale Bomber in ein Muster der Entgrenzung des Krieges ein: als Ausweitung der Verwendung von ursprünglich vor allem gegen ‚Eingeborene‘ vorgesehenen Waffen, wie dem Maschinenge-

Abb. 9: „De Havilland 9“ über dem Irak, 1920

wehr, auf den ‚großen Krieg‘ der Industriestaaten untereinander.


78

Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt

Unter den Bedingungen der Abrüstung, der

der kolonialen Expansion in der zweiten Hälfte des

Kriegsunwilligkeit und der finanziellen Knappheit

19. Jahrhunderts, bei denen Technik ‚menschenspa-

bei gleichzeitiger Zunahme kolonialer ‚Unruhe‘

rend‘ erfolgreich zur Machtprojektion eingesetzt

wurden technisch basierte, hochmobile unsym-

werden konnte. Nun führten die Erfahrungen des

metrische Kriegführungsformen neu reflektiert.

Weltkrieges zu einem abermaligen Lernprozess.

Nach 1918 hieß dies: Motorisierung und eine Erwei-

Die Verzahnung zwischen dem außereuropä-

terung in die dritte Dimension. Wenige Staffeln der

ischen und dem späteren strategischen Bomben-

Royal Air Force ersetzten, so schätzte die Führung

krieg in Europa war auch eine personelle: Arthur

optimistisch, ab 1920 im Irak 51 Bataillone Infan-

„Bomber“ Harris war als Geschwaderführer einer

terie (Lindqvist 2001: 43). „Kontrolle ohne Beset-

der Protagonisten der Doktrin der Air Control im

zung“ und ein Krieg ohne Infanteristen schienen

Mittleren Osten. Seine Denkschrift „Notes on the

nun möglich (s. Abb. 9 und 10).

Method of Employment of the Air Arm in Iraq“ vom März

Damit war ein Muster der konkreten wie

1924 berichtete über Angriffsmethoden, mit denen

demonstrativen Ausübung staatlicher Gewalt ent-

Dörfer nach einem Angriff von nur vier oder fünf

standen, das auf Mobilitätsmaschinen beruhte statt

Maschinen „can be practically wiped out and a third of

auf massenhaftem, infanteristisch geprägten Poli-

its inhabitants killed or injured“ (Lindqvist 2001: 43; s.

zeieinsatz. Diese Form der Mobilitätskriegführung

Abb. 10). Als Harris ab 1942 die Bombenoffensive

schien ein effektives Durchsetzungsinstrument des

gegen Deutschland plante und kommandierte,

kolonialherrschaftlichen Gewaltmonopols zu sein,

kannte er seine Untergebenen aus der irakischen

das längst schon auf Maschinisierung und Techni-

Kampagne, und sein direkter Vorgesetzter hatte im

sierung gesetzt hatte statt auf Truppenmassen. Die

Rahmen der Luftkriegsmaßnahmen Aden zerstört.

Tradition einer hochtechnisierten Kriegführung

Das alte Konzept der britischen Air Control ist

gegen außereuropäische Völker ging weit zurück.

seit den 1980er Jahren durch eine Reihe von Mili-

Selbstladegewehre und Maschinenwaffen gehör-

tärpublizisten, die dem Pentagon oder dem briti-

ten zu den taktisch-technischen Voraussetzungen

schen Defense Ministry nahe stehen, re-interpretiert und optimistisch beurteilt worden. Diese billig, effektiv und human auftretende und dazu scheinbar ohne teure, verwund- und attackierbare Bodentruppen auskommende Konzeption eines Flugzeugeinsatzes für niedrig intensive Kriegsformen schien ein mögliches Vorbild und erlebte seitdem ein Revival (Corum 2000, Belote 2006, Read 2005). Wenn man die britischen Verfahren der Mobilitäts- und Machtprojektion durch Verkehrsund Militärfliegerei betrachtet, wie sie in der Zwischenkriegszeit geostrategisch funktional und symbolisch entwickelt und eingesetzt wurden, so ergibt sich durchaus ein „shape of things to come“ (s. Abb. 11).

Abb. 11: Werbeanzeige für Imperial Airways, 1936


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Libertarian Futurist Society 29, 4 (Summer 2011), online: http://lfs.org/newsletter/029/04/ Kipling.shtml

Kurt Möser, apl. Prof., Dr. phil., geboren 1955 in Mem­ mingen/Allgäu, studierte Literaturwissenschaft

Towle, Philip (1989): Pilots and Rebels: The Use of Aircraft in Unconventional Warfare, 1918–1988. London: Brassey.

und Geschichte an der Universität Konstanz. Er war DAAD-Lektor an den Universitäten Oxford und New

Delhi und hatte Lehraufträge an den Universitäten Erlangen, St. Gallen und Mannheim. Seit 1987 war

Wende, Peter (2008): Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs. München: Beck.

er Konservator am Landesmuseum für Technik und

Arbeit (jetzt Technoseum) in Mannheim für die Berei­ che Straßenverkehr, Schifffahrt und Luftfahrt. Am

Wohl, Robert (2005): The Spectacle of Flight. Aviation and the Western Imagination, 1920– 1950. New Haven/London: Yale University Press.

Institut für Geschichte der Universität Karlsruhe (jetzt

KIT) habilitierte er sich zu „Fahren und Fliegen in Frie­

den und Krieg – Kulturen individueller Mobilitätsma­ schinen 1880 bis 1930“. Er ist apl. Professor am Institut

Abbildungsnachweise

für Geschichte des KIT. Interessensgebiete: Kulturge­

schichte der Technik, Mobilitätsgeschichte, Körperge­ Abb. 1: http://www.sikh-history.com/ sikhhist/events/jbagh.html

schichte, Literatur und Geschichte, Militärgeschichte. – Kontakt: kurt.moeser@kit.edu


81

der Raumdefinition nicht außer Acht gelassen wer-

Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum

den. Ausgehend von der Vorstellung eines Begegnungs- und Interaktionsraumes, dem ‚fremden Raum‘, in dem die Reisenden auf die andere Kultur trafen, bietet es sich an, diesen Raum als „Kontaktzone“ oder „Kontaktarena“ (Osterhammel 2011:

Raumwahrnehmungen deutscher Reisender in Sizilien im 18. und 19. Jahrhundert

157), verbunden durch eine Geschichte von Interaktionen, eingehender zu betrachten. Doch auch der traditionellen Definition Siziliens als Raum der Nicht-Zivilisation, der per se ‚das Andere‘ symbolisiert, begegnet man in den Reisebeschreibungen

von Rubina Zern (Heidelberg)

des öftereren. Rein geografisch betrachtet, wird das Mittelmeer durch die Meerenge von Sizilien in einen

Raumkonzepte des Mittelmeers und Siziliens

östlichen und einen westlichen Bereich geteilt, und Sizilien thront inmitten wie die „Königin der Inseln“ (Gregorovius 1938). Sizilien galt seit jeher als Schmelztiegel und Brücke, aber auch als

„J’ai passionnément aimé la Méditerranée, sans doute

Grenze zwischen den Kulturen der mediterranen

parce que venu du Nord […]“, hat Fernand Braudel,

Welt; dies manifestiert sich bereits in den räum-

der große französische Biograf des Mittelmeeres,

lichen Gegebenheiten der Insel. In seiner etwa

im Vorwort seines ersten Bandes von „La Méditer-

zweitausendjährigen Geschichte war Sizilien nicht

ranée“ bekannt (Braudel 1949: ix). Damit führte er

selten Mittelpunkt des politischen Geschehens

als (West-)Mitteleuropäer nicht nur den einst insbe-

im mediterranen Raum. Von Griechen, Kartha-

sondere in Frankreich begründeten Mythos Mittel-

gern, Römern, Byzantinern, Arabern und Spaniern

meer fort, sondern richtete seinen Blick gleichzei-

erobert und doch nicht bezähmt, ist der Insel stets

tig auch auf den Raum. Raumwahrnehmung und

eine Art Sonderrolle eigen gewesen. Die Brücken-

Raumbilder sind abhängig von Imagination und

funktion hat sie bis heute nicht verloren, und die

Diskurs. Dies gilt auch für die Raumpolitik, insbe-

Rolle Siziliens ist angesichts erhöhter Flucht und

sondere im und für den Mittelmeerraum, wo sich

Migration über das Mittelmeer mehr denn je defi-

topografische und kulturelle Räume so komplex

niert als Europas südlicher Außenposten.

überlagern. Es geht hier um Stereotyp und Beob-

Doch die Topologie Siziliens präfigurierte die

achtung, Zugehörigkeit und Distanz, Neigung und

Insel auch als schwer zugängliche terra alta, und

Abwehr, Fremdes und Eigenes. Dies ist zu beachten,

damit als peripheren Ort im Gegensatz zum con-

wenn von den vielfältigen Verbindungen gespro-

tinente, dem italienischen Festland. Die Wahrneh-

chen wird, die den Mittelmeerraum konstituieren.

mung Siziliens als Peripherie lag zum einen daran,

Ob das Mittelmeer tatsächlich als Einheit begriffen

dass Sizilien die längste Zeit nur auf dem Seeweg

werden könne oder ob vielmehr das Trennende, die

zu erreichen war, zum anderen auch an der Kon­

Grenzen innerhalb des Mittelmeers identitätsstif-

struktion Siziliens als Gegenbild zu Zivilisation,

tend seien, darüber ist innerhalb und außerhalb

Kultur und schließlich Moderne.

der Mediterranistik leidenschaftlich debattiert worden.

Siziliens Lage zwischen verschiedenen geografischen und kulturellen Räumen kam auch in den

Will man sich der deutschen Bereisungs­

jeweiligen zeitgenössischen Diskursen zum Tragen.

geschichte Siziliens im 18. Jahrhundert über die

Die Vorstellungen von Reisenden manifestierten

Kategorie des Raumes nähern, darf dieser Punkt

sich häufig in Stereotypisierungen und zogen sich


82 Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum: Raumwahrnehmungen deutscher Sizilien-Reisender

in verschiedenen Ausprägungen durch die Zeiten:

Sizilien eine große Anziehungskraft auf Reisende

So wurde etwa Sizilien erst zu Großgriechenland,

aus und befremdete sie – im wahrsten Sinne des

dann zum Ort des christlich-romantischen Mittel-

Wortes – zugleich. Die Reisenden fanden gleich-

alters und schließlich als ‚Orient’ zum Gegenbild

sam in Abgrenzung zur fremden Kultur, oft mit-

auf einer kognitiven Karte, die ein spezifisches

hilfe von Stereotypen, zu einem Selbst-Bewusstsein

Überlegenheitsgefühl des Europäers gegenüber

über die eigene Identität.

dem ‚Morgenland‘ ausdrückte. Auch als Afrika oder

Goethe, der bereits Ende des 18. Jahrhunderts

als Italien in sozusagen reinster Form wurde die

nach Sizilien gereist war, befand in seiner zwi-

Insel betrachtet – hierzu ist allerdings anzumer-

schen 1813 und 1817 verfassten „Italienischen

ken, dass zwar Vorstellungen und Raumkonzepte

Reise“: „Hat man sich nicht ringsum vom Meere

über den Süden an sich existierten, jedoch waren

umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von

diese weitaus diffuser als andere Bilder; auch da­­

Welt und von seinem Verhältnis zur Welt“ (Goethe

raus mag sich die so changierende Betrachtungs-

1992 [1813–1817]: 287). Genau über dieses Verhältnis

weise Siziliens erklären.

von Sizilien zur Welt und darüber, welcher Region

Doch nicht nur in diesen Diskursen ist der

der Welt die Insel zuzurechnen sei, ist allerdings

Raum eine wichtige Variable, auch in anderen

immer wieder trefflich gestritten worden – und in

Zusammenhängen, die Einfluss auf die Gestal-

jeder Epoche, so scheint es, fiel die Antwort anders

tung der Reise nach Sizilien gehabt haben, muss

aus. Erfreuten sich die ersten deutschen Sizilienrei-

er Berücksichtigung finden: Dies beginnt bei der

senden noch am antiken Griechenland in Sizilien,

Feststellung, dass die aufgeklärte Haltung der frü-

so befanden sich die Nachfolger im ersten Drit-

hen Sizilienreisenden ohne die Kopernikanische

tel des 19. Jahrhunderts beim Anblick staufischer

Wende, die den Beginn einer veränderten Raum-

Architektur gedanklich bereits im christlichen

wahrnehmung darstellte, nicht möglich gewe-

Mittelalter.

sen wäre, und endet mit der Imagination illusori-

Doch damit nicht genug: Um 1878 befand der

scher Räume Siziliens und dem Erleben der Bloch-

Reisende Arnold von Lasaulx: „Wer Sicilien betrach-

schen „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, dem

tet, muss gleichzeitig den Blick nach Afrika und

Nebeneinander von traditionellen und modernen

nach Europa wenden, um es zu verstehen“ (Lasaulx

Elementen, durch den Pauschaltouristen.

1879: 6). Gehörte Sizilien als Kontaktzone des Mittelmeers also noch zu Europa oder bereits zu

Ansichten über Sizilien: Wo liegt der ‚fremde‘ Raum?

Afrika? So wurde auch in Frankreich und anderen Ländern des Nordens gefragt. Glaubte man dem Baron Creuzé de Lesser, so lag die Insel auch mental fernab des europäischen Kontinents, wie er in

Die Konstituierung Siziliens als anderer Raum

seinem Reisebericht schrieb: „L’Europe finit a Naples

kann im Hinblick auf die deutsche Bereisungs­

et même elle y finit assez mal. La Calabre, la Sicile, tout le

geschichte der Insel als Ergebnis eines fortwähren-

reste est de l’Afrique“ (Creuzé de Lesser 1806: 96). Oder

den Aushandlungs- und Abgrenzungsprozesses zwi-

war Sizilien ganz einfach als Inbegriff wilder Süd-

schen dem Reisenden und der wahrgenommenen

lichkeit zu deuten?

Fremde betrachtet werden. Denn Sizilien und seine

Die meisten Reisenden, auch jene Ende des 18.

Bewohner polarisierten fortwährend das deutsche

Jahrhunderts, hatten bereits eine Vorstellung von

Gemüt: Ob sich Reisende über die Trägheit ‚des

Europa und bezogen den Begriff durchaus in ihre

Sizilianers‘ empörten oder ihm ein Temperament

Reise nach Sizilien mit ein. Seit dem späten 17. Jahr-

von „feuriger Empfindung“ (Stolberg 1877: 467)

hundert hatte sich ein genuines Europabewusst-

attestierten – ganz gleich, welche Beobachtung die

sein unter den europäischen Fürsten und Politi-

Gemüter erregte, seit jeher übte das fremde, andere

kern ausgebildet, die „[…] in der Kategorie eines


83

WIKA-Report (Band 2)

europäischen Staatensystems [agierten]“ (Duch-

Einfahrt in die mondbeglänzte Stadt an

hardt 2003: 34). Überall dort, wo eine Region in

Tausendundeine Nacht denken, wo Kauf-

‚transkulturelle Interaktionen‘ eingebunden war,

leute oder verkleidete Prinzen ihren nächt-

konnten die Menschen sich bereits ein Bild von die-

lichen Einzug halten in eine unbekannte

sem Kontinent machen:

Märchenstadt mit schimmernden Kuppeln

„Europa war für viele, auch wenn sie sich noch nicht als ‚Europäer‘ bezeichneten,

am schimmernden Meere.“ (Schneegans 1905 [1887]: 409)

eine Realität und eine praktizierende

Andererseits glaubte der Sizilienreisende Alexan-

Erfahrung – oder zumindest doch eine

der Rumpelt noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Imagination – die ersten anthropologi-

in den Sizilianern eine besondere Leidensfähigkeit

schen Ansätze, die darauf zielten, im Kon-

zu erkennen, die „orientalische Ergebung in das

text einer zunehmenden Negativierung der

Schicksal, ein echtes Stück übrig gebliebenen Ara-

anderen (vier) ‚Rassen‘ einen spezifischen,

bertums“ (Rumpelt 1902: 137).

den Bewohnern anderer Erdteile überlege-

Im Unterschied zur Wahrnehmung Siziliens als

nen (scharfsinnigen, sanguinischen und

Griechenland oder als Inbegriff des christlich-deut-

erfinderischen) homo europaeus zu kons-

schen Mittelalters erlebten die Reisenden den sizili-

truieren, datieren erst aus dem mittleren

anischen Orient als Gegenwart. Dieser nahm einen

und ausgehenden 18. Jahrhundert.“ (Duch-

besonderen Stellenwert in der Wahrnehmung ein:

hardt 2003: 35)

Denn einerseits grenzten die Reisenden sich zur

Für die deutschen Sizilienreisenden Ende des 18.

gegenwärtigen ‚Fremde‘ ab, andererseits romanti-

Jahrhunderts definierte sich Europa, so scheint es,

sierten sie diese aber auch über die Maßen; die Ver-

insbesondere in Abgrenzung zum anderen Raum,

sinnbildung von Abgrenzung und Anziehung wird

zu dem man nicht gehörte: zu Afrika, zum Süden,

an den obigen Beispielen deutlich.

zu Italien. So bildeten die Reisenden ihre kulturelle Identität und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer spezifischen Gruppe – den Deutschen – erst auf diese Weise aus.

Sizilianische Gesellschaft und deutsche Reisende

Doch auch dem Orient wurde Sizilien des Öfteren zugerechnet. Fernand Braudel hat Italien als

Bereits bei den ersten deutschen Sizilienreisen-

Inbegriff der „römischen Welt definiert, die den

den, die sich Ende des 18. Jahrhunderts auf den

Katholizismus umfasst“, während er weiter südlich

Weg machten, existierte das Bild des Sizilianers

den Islam verortete, einen „Gegen-Okzident, mit-

als ‚edler Wilder’, also einem von der Zivilisation

samt den Zweideutigkeiten, die jeder tiefe Gegen-

unverdorbenen, aber naiven Naturmenschen, der

satz in sich birgt […].“ (Braudel 1987: 96f.) Wenn Ita-

zunächst in Gestalt des ‚edlen‘ Griechen daher

lien den „mythischen Wesenskern des Okzidents“

kam und eindeutig von Winckelmanns Griechen-

(Brilli 1989: 16) symbolisierte, so markierte Sizilien

landbild beeinflusst war. Auch dieses Bild zog sich

also den mentalen Übergang zwischen Orient und

durch die Jahrhunderte, während als Kontrastfolie

Okzident.

der ‚Barbar‘ für das Bild des zeitgenössischen und

Carl August Schneegans, der ab 1880 deutscher

verkommenen bzw. später auch muslimisch wahr-

Konsul in Messina war, schrieb hingerissen in sei-

genommenen Sizilianers stand. Im 19. Jahrhundert

nen Memoiren über Palermo:

fokussierte man sich bei der Betrachtung der in

„Ja, überall kehrt hier das Gefühl und

Armut lebenden Bevölkerung einerseits auf die sitt-

die Stimmung des Orients wieder und

lich-moralischen Defizite, die als Hemmnis einer

klopft an unser Herz und unsere Sinne,

gesamtgesellschaftlichen Modernisierung gesehen

und unwillkürlich mußte ich bei meiner

wurden, andererseits aber ebenso auf die von den


84

Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum: Raumwahrnehmungen deutscher Sizilien-Reisender

deutschen Reisenden wahrgenommene glückliche, einfache Lebensweise.

beobachtete Bartels, sei „die Regierung einzig in den Händen des

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Adels […]. Geburt bestimmt sein Recht;

enthielten solche Betrachtungen zunehmend ras-

Talente und Geschicklichkeiten werden

sistisch gefärbte Untertöne. Flankiert wurde die-

nur für Nebendinge angesehen. Unausbleib-

ses Bild stets von dem Diktum „Ein Paradies, von

licher Ruin ist Folge eines jeden Staats bei

Teufeln bewohnt“ – wie etwa der frühe Sizilien-

solchen Maximen“ (Bartels 1789 Bd. 2: 430).

reisende und spätere Hamburger Bürgermeister Johann Heinrich Bartels bemerkte. Bartels, ein typischer von der Spätaufklärung beeinflusster Reisender, verurteilte den Ausspruch und hielt ihn für

Wahrnehmung von Politik in Sizilien – am Beispiel von Johann Heinrich Bartels

die Quelle vieler falscher Urteile über die Insel und ihre Bewohner (Bartels 1792: 475ff.). Ursprünglich

„Wenn eine gute Regierung die Ordnung, Gerech-

war das Diktum auf Neapel bezogen worden; einige

tigkeit und Gleichheit hier herstellte, würde dieses

Historiker wollen es gar bis zum Römer Petronius

der glücklichste Winkel der Erde seyn“, notierte

zurückverfolgt haben, andere nennen wiederum

der im Auftrag Winckelmanns durch Sizilien rei-

Benedetto Croce als Ursprung, der das Diktum

sende Baron von Riedesel in seinen Briefen (Rie-

wiederum in die Florentiner Frührenaissance ein-

desel 1771: 58). Dieser Wunsch wurde über mehrere

ordnet. Es bezeichnete Ende des 18. Jahrhunderts

Jahrzehnte immer wieder neu formuliert und blieb

bereits eine Konstante deutscher Sizilienwahrneh-

einer der wichtigsten Kritikpunkte deutscher Rei-

mung, doch suchte man die Schuld für das Elend

sender auf Sizilien. Die Regierung, so lautete einer

des Volkes bei der Regierung. Zudem waren die Rei-

der Vorwürfe, werde von keiner einzigen Institu-

senden jener Zeit aufgrund eigener Differenzerfah-

tion beschränkt und könne demnach ganz nach

rungen noch in der Lage, Änderungen an bestehen-

eigenem Gusto handeln, wie es ihr beliebe. Die Fol-

den stereotypen Sizilienbildern zuzulassen. Diese

gen sahen die aufgeklärten Reisenden, sobald sie

Eigenschaft kam den Sizilienreisenden des 19. Jahr-

sich von den großen Zentren Palermos und Cata-

hunderts mehr und mehr abhanden.

nias entfernten. Bartels schien regelrecht scho-

Auch Kritik am Adel war ein beliebtes Thema der aufgeklärten Reisenden. So stellte der deutsch-

ckiert von dem zu sein, was er in der palermitanischen Peripherie zu sehen bekam:

dänische Reisende Friedrich Münter fest, dass sich

„Man kann es kaum glauben, daß man

viele Adelige zwar nach außen hin mit Luxusgü-

noch in demselben Lande wäre, wo durch-

tern umgaben, zuhause aber recht ärmlich lebten

aus der Zustand der Nation näher an den

(Münter 1790: 207). Diese Diskrepanz stieß größ-

Stand der Barbarei, als den der Kultur gren-

tenteils auf Unverständnis, wie auch bei Bartels

zet […]. Wie ist es möglich, daß so nahe bei

deutlich wurde: Selbst der niederste Adel, so Bar-

der feinsten Kultur […] die größte Rohheit

tels, umgebe sich mit Pomp und Prunk und fahre

und Unkultur wohnen kann?“ (Bartels 1792:

in den auffälligsten Kutschen, etwa ein Landedelmann, obwohl

475) Der Zusammenhang von Politik und Raum offen-

„er in seinem Leben weiter nichts getan

barte sich Bartels an diesem Beispiel besonders ein-

hatte, als vom Landgute in die Hauptstadt

drücklich. Somit konnte er auch den Anblick Paler-

zu reisen, seinen Untertanen das Geld

mos nicht mehr recht genießen, da

durch Bedrückung abzunehmen“ (Bartels

„das Wachstum Palermos auf Kosten der

1792: 602).

ganzen Insel fortgetrieben würde. […] Was

Wie die Reisenden beobachteten, hatte das Volk

aber kann anders Folge davon sein, als der

dabei das Nachsehen. In allen Städten Siziliens, so

Ruin der ganzen Insel?“ (Bartels 1792: 551)


85

WIKA-Report (Band 2)

Und dieser Ruin wirkte sich nach Bartels vor

Getreideanbaus, sondern in der gesamten Land-

allem auf die Menschen aus. Die Regierung habe

wirtschaft steuere Sizilien auf eine Katastrophe

mit ihrem egoistischen Handeln das sizilianische

zu: die fruchtbaren Felder, so Bartels, lägen brach

Volk verzogen: Der Sizilianer, befand Bartels, habe

(Bartels 1789 Bd. 2: 171).

eigentlich einen fähigen Geist, der aber nicht

Dieser Blick auf die sozialen Verhältnisse Sizili-

gepflegt werde – hier kam dem Staat seiner Mei-

ens war unmissverständlich und auch prototypisch

nung nach die Hauptschuld zu – die moralische

für viele deutsche Sizilienreisende des 18. Jahrhun-

und geistige Erziehung sei völlig vernachlässigt

derts, die den Anspruch hatten, möglichst wahr-

worden und, „durch dogmatischen Unsinn von

heitsgetreue und vollständige Informationen über

allen soliden Kenntnissen hinweggezogen“, sodass

Sizilien in ihren Reiseberichten abzubilden.

es dem Sizilianer am wichtigsten sei, „noch nach dem Tode zu glänzen.“ (Bartels 1792: 627f.)

Letztendlich, so betonte Bartels, könne nur derjenige wahrheitsgetreu über die Insel berichten,

Auch beim Handel sah er diese Problemlage

„der in Sizilien ganz Sizilianer ist“ (Bartels 1789

in Sizilien gegeben: Zunehmend, stellte er fest,

Bd. 2: Xii). Trotz aller Kritik durchlebte er die glei-

dominierten ausländische Investoren den Handel;

che Faszination eines Reisenden aus dem Norden

allerdings brachte er dies mit dem mangelnden

in Sizilien wie viele Jahre später Fernand Braudel.

Fleiß der Bewohner in Verbindung, indem er dar-

Die Berichte deutscher Sizilienreisender zeigen,

auf hinwies, dass die Sizilianer fast nichts an Stof-

wie massiv identitäre Diskurse, die Konstruktion

fen im eigenen Land produzierten: Man verlasse

des ‚Eigenen‘ und des ‚Fremden‘ auch die politisch-

sich „ganz auf den Fleiß andrer Nationen“ (Bartels

gesellschaftliche Wahrnehmung von Räumen prä-

1789 Bd. 2: 94). Damit waren vor allem Genua und

gen. So (ist und) war die Wahrnehmung des Raums

Frankreich gemeint, denn der sizilianische Handel

und seiner Geschichte letztendlich immer stark

im Mittelmeer wurde noch bis 1800 zumeist über

davon bestimmt, welche Anschlussfähigkeiten oder

genuesische oder südfranzösische Häfen abgewi-

Abgrenzungsmechanismen die jeweiligen Betrach-

ckelt. Für die Wirtschaft Siziliens war dies sowohl

ter ihnen zuschrieben.

für den Export als auch Import von großem Nachteil. Die sizilianische Regierung wurde von den

Literatur

meisten Reisenden Ende des 18. Jahrhunderts scharf kritisiert: Bartels und sein Zeitgenosse, der aufgeklärte Düsseldorfer Staatsrat Jacobi waren

Bartels, Johann Heinrich (1787–1792): Briefe über

der Überzeugung, dass sich die Regierung auf

Kalabrien und Sizilien. 3 Bde., Göttingen: J. C.

„Druck, Trug und Gewalt“ (Jacobi 1797: 145) stütze,

Dieterich.

um ihre Ziele zu erreichen und die armen Schichten noch mehr ausbluten zu lassen. Da die Regie-

Braudel, Fernand (1949): La Mediterranée et le

rung bestimme, wann exportiert werden dürfe,

monde méditerranéen à l’époque de Philippe II.

bemerkte Bartels, kaufe dem Bauern zunächst nie-

Paris: Armand Colin.

mand sein Korn ab, da der Absatz ungewiss sei. Schließlich würden dann Getreidemakler die Ver-

Braudel, Fernand (1987): Die Welt des Mittel-

handlungen übernehmen und das Korn nun zum

meeres. Zur Geschichte und Geographie kul-

niedrigsten Preis aufkaufen. Sie erhielten von der

tu­reller Lebensformen. Frankfurt am Main:

Regierung die Genehmigung zum Export. Die Fol-

Fischer.

gen seien vorhersehbar: Pauperisierte Landschichten stünden einer immer reicher werdenden Oberschicht gegenüber. Doch nicht nur im Falle des


86 Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum: Raumwahrnehmungen deutscher Sizilien-Reisender

Brilli, Attilio (1989): Reisen in Italien. Die Kultur­

Schneegans, Carl August (1905 [1887]): Sicilien.

geschichte der klassischen Italienreise vom 16.

Bilder aus Natur, Geschichte und Leben. Leipzig:

bis 19. Jahrhundert. Köln: DuMont Reiseverlag.

F. A. Brockhaus.

Creuzé de Lesser, Augustin-François Baron de

Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu (1877 [1794–

(1806): Voyage en Italie et en Sicile. Paris: Didot.

1797]): Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien. Mainz: Kirchheim.

Duchhardt, Heinz (2003): Europa am Vorabend der Moderne: 1650–1800. (Handbuch der Geschichte Europas; 6). Stuttgart: Ulmer.

Rubina Zern M.A., Studium der Neueren und Neu­ esten Geschichte und Soziologie an der Universität

Goethe, Johann Wolfgang von (1992 [1813–1817]): Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe, Bd. 15: Italienische Reise, hrsg. v. Andreas Beyer und Norbert Miller. München: Hanser.

Karlsruhe. Aufenthalt in Rom, Promotion an der Uni­ versität Würzburg im Jahre 2013. Koordinatorin des

Arbeitsbereichs Minderheitengeschichte und Bür­ gerrechte in Europa, Lehrstuhl für Zeitgeschichte,

Universität Heidelberg. – Arbeitsgebiete: deutschGregorovius, Ferdinand (1938): Sizilien – „Königin der Inseln“. Dresden: Jess.

italienische Wahrnehmungsgeschichte, Ideen- und Mentalitätsgeschichte des Mittelmeers, historische

Stereotypenforschung. – Kontakt: rubina.zern@zegk. Jacobi, Georg Arnold (1797): Briefe aus der Schweiz und Italien in das väterliche Haus nach Düsseldorf geschrieben, Bd. 2. Lübeck/Leipzig: Bohn. Lasaulx, Arnold von (1879): Sicilien. Ein geo­g raphisches Charakterbild. Vortrag gehalten am 15. December 1878 in dem Musiksaale der Universität zu Breslau von A. von Lasaulx. Bonn: E. Strauss. Münter, Friedrich (1790): Nachrichten von Neapel und Sicilien, auf einer Reise in den Jahren 1785 und 1786 gesammlet [sic!]. Kopenhagen: C. G. Proft. Osterhammel, Jürgen (2011): Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München: C. H. Beck. Riedesel, Johann Hermann Baron von (1771): Reise durch Sicilien und Großgriechenland. Zürich: Orell, Gessner, Füesslin und Comp. Rumpelt, Alexander (1902): Sicilien und die Sicilianer. Berlin: Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur.

uni-heidelberg.de


87

für sie doch keineswegs prioritär. Sie setzen sie

Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise

auf den zweiten, wenn gar den letzten Rang und sichern nicht einmal mehr die nötige (insbesondere budgetäre) Kontinuität mittel- und langfristiger Projekte, für die sich ihre Vorgänger in den 1980er und 1990er Jahren engagiert haben. Die Ambition einer starken Kulturpolitik, sei es auf nationaler, europäischer oder internationaler Ebene, scheint

von François de Bernard (Toulouse/Paris)

an Aktualität verloren zu haben, scheint unpassend, ja unbequem geworden zu sein. Vor einem Jahrzehnt hatte dieses Ziel noch einen bedeuten-

Auf dem Feld des Denkens und Handelns, das

den Platz in der Politik mehrerer großer Nationen

man mit dem Begriffspaar Geopolitik und Kul-

wie auch der Europäischen Union selbst.1

tur umschreiben kann, haben wir es mit schwer

In dem vorliegenden Beitrag geht es also

erträglichen Widersprüchen zu tun, aktuell und

darum,

nicht nur in the long run. Tatsächlich sind sich die

1. im Aktionsfeld Geopolitik und Kultur

meisten Akteure (Politiker, Ökonomen, Kulturar-

einige aktuelle Widersprüche und

beiter) und Analytiker (Professoren, Berater) im

Schwachstellen sichtbar zu machen;

Prinzip darin einig, die kritische Funktion der

2. kontrapunktisch zugleich an einige

Kultur und kulturell geprägter Verbindungen

der bedeutendsten, auch geopolitisch

zwischen Nationen, zwischen Regionen und zwi-

relevanten Erfolge auf kulturpolitischem

schen Kommunen anzuerkennen, wenn es um die

Gebiet zu erinnern, die sich während der

Lösung von Konflikten, die Herstellung gerechterer Verhältnisse zwischen den Nationen und auch für

letzten Jahrzehnte eingestellt haben; 3. genauer zu beschreiben, was im Zeithorizont

den Auf bau großregionaler Gemeinschaften wie

2020 die Herausforderungen und was

der EU, Mercosur, ASEAN und anderer geopolitisch

die Ziele einer echten Kultur-Weltpolitik

relevanter Strukturen geht. Allerdings muss man

(cosmopolitique culturelle) sein könnten.

feststellen, dass es heute, sowohl was die Finanzals auch was die Symbolpolitik betrifft, bei den politischen und ökonomischen Entscheidern einen kräftigen Rückzug aus großen wie auch kleineren

Die Widersprüche zwischen Geo­politik und Kultur werden tiefer

Kulturprojekten gibt. Dies dauert bereits seit Ende 2007, seit dem Beginn der Großen Krise, an, die

Was das geschichtlich komplexe Verhältnis zwi-

sich uns unter vielen Formen zeigt und aus der wir

schen Geopolitik und Kultur anbelangt, so sind

noch keineswegs wieder aufgetaucht sind.

wir seit der zweiten Hälfte des Jahres 2007 in eine

Leider erleben wir dabei wieder die klassische, ja chronische Schizophrenie in der Geschichte der Nationen wie auch in der der Ideen: Die Ent-

Phase der Unsicherheit und einer keineswegs abgeschlossenen Umstrukturierung eingetreten. Was heißt das?

scheidungsträger machen nicht mehr das, was sie

Wir erleben heute, dass das Szenario, das wäh-

doch vorgeblich als wünschenswert für die Kultur

rend der historischen Zäsur der Jahre 1989 bis 1991

bezeichnen, und noch weniger machen sie das, was für die von ihnen beschworene kulturelle Vielfalt oder den interkulturellen Dialog wünschenswert wäre. Schlimmer noch, während sie die ‚Bedeutung‘ kultureller Themen hervorheben, sind diese

1  Kulturpolitik führt Menschen, Gesellschaften, sogar Staaten zusammen. Sie war und ist daher raumbildend. Sie schafft und sichert Räume, auch als Strategie und Geopolitik. Geopolitisch interessant ist ihr jeweiliger Bezugsraum, von der lokalen Gemeinde über Großregionen wie die Europäische Union bis hin zur globalen Dimension (Anm. d. Hrsg.).


88

Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise

geschrieben und später in überzeugender Weise

Endlich schien sich eine Alternative aufzutun, die

weitergeschrieben wurde, rigoros infrage gestellt

dem Konzept globaler Gouvernanz, das heißt, eines

wird. Dieses Szenario war markiert durch Abkom-

Systems global wirksamer Regeln entsprach. Dieses

men und Initiativen wie die den Sonderfall Kultur

Konzept war schon lange als eine Art kategorischer

betreffenden Zusatzklauseln zum Vertragswerk von

Imperativ ins Feld geführt worden, war aber im

Marrakesch 19942, den „Perez de Cuellar-Bericht“

politischen Handeln schwach ausgeprägt, ja inexi­-

von 1996 („Unsere kreative Vielfalt“, World Com-

stent geblieben. Diese vorher noch nie dagewe-

mission on Culture and Development 1996), 3 die

sene, gemeinsam errichtete Konstruktion hat nun

Dynamik der „Erklärung über eine Kultur des Frie-

freilich, als Folge einer unter vielen Formen auf-

dens“, für die sich Federico Mayor und die UNESCO

tretenden Krise großen Ausmaßes,7 unaufhörlich

ab 1998 engagiert hatten,4 die „Allgemeine Dekla-

Schläge erdulden müssen. Deren Auswirkungen

ration zur kulturellen Vielfalt“ vom 2. November

auf alle Fortschritte, die seit Ende der 1980er Jahre

2001 (Deutsche UNESCO-Kommission 2002), die

geduldig auf den Weg gebracht worden waren, sind

„Konvention zum Schutz und zur Förderung der

verheerend.

Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ vom Okto-

So findet man sich 2014 in einer wenig benei-

ber 2005 (Deutsche UNESCO-Kommission 2005), die

denswerten Lage wieder. Leider muss man heute

im Frühjahr 2007 dann ratifiziert wurde, schließ-

eine dramatische Rückentwicklung feststellen.

lich als krönender Abschluss die „Mitteilung der

Oder schroffer ausgedrückt: einen großen Schritt,

Kommission über eine europäische Kulturagenda

der uns um zwei Jahrzehnte zurückwirft. Dieser

im Zeichen der Globalisierung“, veröffentlicht im

Schritt zurück betrifft:

Mai 2007. 5 Leider war von Anfang an die Unum-

1. d ie Dynamik von Kultur als Ausnahmefall

kehrbarkeit dieses Szenarios nicht gewährleistet.

auf kommerziellem und rechtlichem Feld

Auch deshalb musste ständig weitergeschrieben

(exception culturelle), aber, allgemeiner,

werden.

auch das Konzept der kulturellen Vielfalt

Die damit gegebene multipolare Konstruktion internationaler Abkommen war geprägt von

sowie den interkulturellen Dialog, 2. die Rolle und den Kredit, die man der

einem entschlossen kosmopolitischen Geist, der

Kulturpolitik und ihren verschiedenen

lange auf der internationalen Bühne gefehlt hatte.6

Formen bei der Förderung von Demokratie

2  Das Marrakesch-Abkommen besteht aus mehreren Abkommen zum Schluss der Uruguay-Runde, insbesondere dem Abkommen zur Gründung der Welthandelsorganisation (WTO), ebenso dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) sowie weiteren Abkommen. 3  Vgl. den Hinweis der Deutschen UNESCO-Kommission (1996). 4  „Der Begriff ‚Kultur des Friedens‘ gewinnt seine Symbolik durch die Tatsache, dass ein nachhaltiger Friede nicht nur Abwesenheit von Krieg bedeutet, sondern einen dynamischen, auf den Prinzipien der Demokratie aufbauenden Prozess“ (Federico Mayor, UNESCO, 12. Mai 1998). Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (1999) und Vermeren (2001). 5  Siehe Mitteilung der Kommission […] (2007). Dies ist ein wesentlicher Text, der leider, vermutlich weil es sich um eine Agenda handelt, nicht die Aufmerksamkeit und den Erfolg erreicht hat, den er verdient. 6  Dies war auch Kultur-Weltpolitik (cosmopolitique culturelle im Sinne des Autors), es war Geopolitik im globalen Maßstab, und es war europäische Kulturpolitik, die sich als Teil globaler Politik verstand. (Anm. d. Hrsg.)

und bei der Sicherung des Friedens sowie für die solidarische und nachhaltige Entwicklung einräumt, und schließlich 3. den Platz, den man der Kultur in den Ange­ legenheiten der Welt überhaupt zumisst. Es sieht tatsächlich so aus, als ob es dem Trauma des 11. Septembers, den Kriegen in Afghanistan und im Irak, dem so genannten Krieg gegen den Terrorismus, dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers, den Schandtaten des internationalen Bankensystems, der allgemein verbreiteten Schräglage der öffentlichen Haushalte, der Unwirksamkeit der Austeritätspolitik und des Kampfs gegen die Arbeitslosigkeit, als ob es all diesen schlechten 7  An der Oberfläche betrifft diese seit 2007 alles unter­ minierende Krise Wirtschaft und Finanzen, in ihrer Tiefen­ dimension auch Politik, Moral und Kultur.


89

WIKA-Report (Band 2)

Nachrichten in ihrer Kombination gelungen ist,

Parlament in enger Absprache mit Akteuren in Bil-

die Art von Kulturpolitik zu verdrängen, die auf

dung und Kultur sowie mit der Zivilgesellschaft

verschiedenen Ebenen seit fast einem halben Jahr-

eingeführt worden sind, in entscheidender Weise

hundert mit Erfolg realisiert worden ist. Es sieht

dazu beigetragen haben, erstens das „Projekt

so aus, als ob all diese negativen Signale, die aus-

Europa“ trotz aller Hindernisse voranzubringen,

schließlich unter finanziellem Aspekt verstanden

zweitens Europa und seine Ideale9 besser zu verste-

werden, es erlauben würden, die bisherige Perspek-

hen und zu schätzen.

tive radikal zu verändern. Und als ob diese Kultur-

Zu diesen sehr erfolgreichen, geopolitisch rele-

politik und ihre verschiedenen Formen eher eine

vanten Instrumenten gehören zwei besonders sym-

Behinderung, ein Hemmnis für ‚seriöse‘ Politik,

bolträchtige, bei denen sowohl die Art der Realisie-

zum Beispiel Arbeitsmarkt-, Gesundheits- oder In­-

rung wie die Ergebnisse auch mittel- und langfris-

frastrukturpolitik, darstellen würden, ja sogar als

tig erhalten bleiben.

Luxus verstanden werden könnten. Stattdessen sollte man Kulturpolitik und ihre Varianten ver-

Das Erasmus-Programm

stehen, sie entwickeln, sie fördern als das, als was sie sich, bezogen auf Staat und Gesellschaft, erwie-

Das erste dieser Instrumente ist das 1987 einge-

sen haben: als wichtige Instrumente zur Sicherung

führte Erasmus-Programm, dessen Popularität

und Weiterentwicklung der Beziehungen auch zwi-

trotz eines anfangs sehr bescheidenen Budgets10

schen Individuen, Gemeinschaften und Nationen,

alle Erwartungen übertroffen hat.

auch sehr verschiedenen.

Das Erasmus-Programm, in seiner ersten, aus-

Trotz der beunruhigenden, seit 2007 einsetzen-

schließlich jungen Europäern vorbehaltenen Form

den Rückentwicklung der früheren, erfolgreichen

wie auch in seiner zweiten, auch auf junge Leute

Kulturpolitik gibt es doch auch noch Grund zur

aus dem ‚Rest der Welt‘11 erweiterten Version, för-

Hoffnung in der heute verödeten Welt-Landschaft

dert nicht nur die Mobilität 12 junger Bürger im

der Kultur. Für deren Verwüstung sind die ‚große‘

Hochschulstudium, und zwar in einem bislang

Politik und ihre strategischen, ökonomischen und

unvergleichlichen Maß. Zugleich hat das Erasmus-

finanziellen Obsessionen verantwortlich.8 Die Hoff-

Programm die Idee, Europa zu schaffen, deren

nung, von der im Folgenden zu reden sein wird, gibt es in Europa wie auch in anderen Teilen der Welt.

Über einige bemerkenswerte Erfolge von Kulturpolitik in Europa und in der Welt Wenn auch die nationalen Führungen in Europa hic et nunc nicht mehr bereit zu sein scheinen, Kulturpolitik als prioritäre Ambition und Aktion auf ihre Agenda zu setzen, wird man doch nicht übersehen können, dass einige Instrumente, die einst von der EU-Kommission und vom Europäischen 8  Es handelt sich dabei um Obsessionen mit normativem Charakter. Sie produzieren Ausschließungsmechanismen, die alles betreffen, was sich nicht auf die ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen reduzieren lässt, d.h. Kultur, ökologische Imperative, Wahrung des kulturellen Menschheitserbes etc.

9  Wie sie zum Beispiel die Devise „In Vielfalt vereint“ zum Ausdruck bringt, die man einer nun leider nicht beschlossenen Europäischen Verfassung hätte voranstellen müssen. 10  85 Millionen Ecus für die drei ersten Jahre. In nun fast 26 Jahren hat es das Erasmus-Programm etwa drei Millionen europäischen Studierenden ermöglicht, in den Partnerländern zu studieren. 11  Ein schrecklicher, aber zählebiger Ausdruck… Erasmus Mundus wurde zum Studienjahr 2004/05, also siebzehn Jahre nach dem Erasmus-Programm eingeführt. 12  ‚Mobilität‘, ein wesentliches Auswahlkriterium in den meisten Programmen und Projekten der EU, ist seit zehn Jahren zu einem politischen und geopolitischen Lieblingsthema geworden. Vgl. zum Beispiel die „Schlussfolgerungen des Rats (…) vom 21. November 2008 zur Mobilität junger Menschen“: „Die Mobilität junger Menschen ist wichtig, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa zu fördern, die gesellschaftliche und berufliche Eingliederung zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft sicherzustellen. Ungeachtet des Erfolgs des Erasmus-Programms ist die Mobilität junger Menschen jedoch nicht sehr ausgeprägt“ (Europäische Union 2008).


90 Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise

Sinn, deren Dynamik, das in ihr angelegte Ange-

gegründet und setzt sich seit damals dafür ein,

bot der Teilhabe für eine große Zahl junger Euro-

die Verbreitung europäischer Filmproduktionen

päer konkret werden lassen und sie überzeugt.

(und damit die europäische Filmproduktion selbst)

Eine Maßnahme wie das Erasmus-Programm hat

in allen europäischen Ländern zu unterstützen.

vielleicht mehr für Europa geleistet als die gemein-

Damit sollte und soll dem dampfwalzenartig vor-

same Währung, von der sich herausgestellt hat,

dringenden Vertrieb von Filmen aus den USA, aus

dass sie keineswegs allen gemeinsam ist.

Indien und auch aus den so genannten Schwellen-

Erasmus, das sind beeindruckende Zahlen, die

ländern eigene Aktivität entgegengesetzt werden.

europhile Politiker wie auch die zuständigen Büro-

Das Netzwerk war 2012 in 554 Städten 33 europä-

kratien für sich in Anspruch nehmen können. Aber

ischer (und Europa zugewandter) Länder mit 923

der wahre Erfolg des Programms wird sicher nicht

Kinos und 2.210 Leinwänden präsent.14 Zu den

durch quantitative Argumente13 belegt. Der wahre

Ergebnissen des Projekts wurde für 2012 berich-

Erfolg von Erasmus ist anthropologischer und kul-

tet, mit 63 % Vorführungen ländergebundener

tureller Art. Das Programm hat es Millionen junger

europäischer Filme und annähernd 40 % Vorfüh-

Europäer ermöglicht, mit anderen Europäern, die

rungen europäischer Filme, die nicht länderge-

ihnen vorher gänzlich unbekannt waren, zusam-

bunden waren, seien 62,9 Millionen Kinobesuche

men zu leben, mit Europäern, die in anderen Regi-

erreicht worden. Dies ist eine Leistung, die selbst-

onen leben, mit anderen Sprachen, Speisen, Woh-

verständlich niemals gelungen wäre, wenn nicht

nungen und Ritualen. Es hat ihnen ermöglicht,

vor zwanzig Jahren die damit befassten politischen

mit anderen jungen Europäern nicht nur akademi-

und administrativen Autoritäten beschlossen hät-

sche Lehre zu teilen, sondern auch Aktivitäten auf

ten, die Programmplanung in unabhängigen Qua-

sportlichem, künstlerischem, kulturellem, gesell-

litätskinos, die Herstellung von Kopien sowie von

schaftlichem und politischem Feld.

Untertiteln wie auch die Synchronisation europä-

Der Erfolg des Erasmus-Programms hängt, wie

ischer Filme zu fördern. Diese Förderung wurde

angedeutet, nicht von Statistiken ab, sondern vom

dann auch, allerdings mit nur bescheidenen Mit-

gelungenen Zusammenleben junger Europäer. Die-

teln, nachhaltig und nachdrücklich verwirklicht.

ses Zusammenleben, bei dem weiter Förderungsbe-

Übrigens ist Europa Cinema dem Vorbild des

darf besteht, hat das Programm unterstützt, beglei-

Erasmus-Programms, das ja durch das Programm

tet und in seinem Charakter erneuert.

Erasmus Mundus global erweitert wurde, gefolgt

Europa Cinemas

und hat sich mit EUROPA CINEMAS MUNDUS ein zweites Netzwerk zugelegt. Dieses Netzwerk trägt die Tätigkeit von Europa Cinemas in etwa 30 Län-

Eine andere kulturpolitische Maßnahme der EU,

der in Asien, in Lateinamerika, im Maghreb, im

die sehr erfolgreich ist, ist das Projekt Europa Cine-

Maschrek 15 und in Afrika hinaus.

mas. Dieses Projekt ist einzigartig und zeigt wie das Erasmus-Programm außergewöhnliche Ergebnisse. Europa Cinemas wurde 1992 im Rahmen des EU-Programms MEDIA mit Unterstützung des Centre National du cinéma et de l’image animé 13  Mehr als 3 Millionen Erasmus-Studenten seit 1987, mehr als 250.000 allein für das Studienjahr 2011/12 in den 33 Ländern, die am Programm teilnehmen (die Mitgliedstaaten der EU, Island, Norwegen, die Schweiz, Liechtenstein und die Türkei). Spanien, Frankreich und Deutschland waren 2011/12 die beliebtesten Destinationen.

14  Das Netzwerk umfasst 2014 bereits 1.170 Kinos (3.197 Leinwände) in 673 Städten, verteilt auf 68 Länder (Eintragung Deutsche Wikipedia am 31. Mai 2014). Siehe auch die kartografische Darstellung des Netzwerks http://www.europa-cinemas.org/Le-reseau/Europa-Cinemas-Map (Anm. d. Hrsg.) 15  Der Regionalbegriff umfasst Länder mit arabischsprachiger Mehrheit nördlich von Saudi-Arabien und östlich von Libyen. Der derart umrissene Raum bildet somit eine Art Gegenstück zu dem sich im Westen anschließenden Maghreb (Anm. d. Hrsg.).


91

WIKA-Report (Band 2)

Deklarationen und Konventionen der UNESCO

3. die wesentliche Bedeutung einer Friedens­ perspektive, und zwar mit Blick auf einen

Welche Vorbehalte man auch gegenüber den nor-

dauerhaften, nachhaltigen Frieden als

mativen Instrumenten haben kann, die internati-

Ultima Ratio sowohl beim Herangehen

onale rechtliche Absprachen mit sich bringen, auf

an entsprechende Herausforderungen

der globalen Ebene ist die historische Bedeutung

als auch beim Umgang mit diesen.16

der „Allgemeinen Erklärung der UNESCO zur kulturellen Vielfalt“ vom 2. November 2001 (Deutsche UNESCO-Kommission 2002) kaum zu überschätzen. Das Gleiche gilt für das wichtige, in der Folge der

Herausforderungen und Ziele einer Kultur-Weltpolitik

„Erklärung“ beschlossene „Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kulturel-

Was auch immer die politischen Räume sind, wo

ler Ausdrucksformen“ vom 20. Oktober 2005 (Deut-

sich eine authentische Kultur-Weltpolitik entfal-

sche UNESCO-Kommission 2005). Ebenso wenig

ten müsste – also in überstaatlichen Organisati-

darf die Relevanz des 2006 in Kraft getretenen

onen wie der EU, ASEAN, Mercosur, im Rahmen

„Übereinkommens zur Erhaltung des immateriel-

von Partnerschaften zwischen Regionen, zwi-

len Kulturerbes“ vom 17. Oktober 2003 (Deutsche

schen Städten und zwischen Körperschaften oder

UNESCO-Kommission 2003) übersehen werden.

in Netzwerken von NGOs oder anderen Akteuren

Man muss die Bedeutung dieser drei grundlegen-

der Zivilgesellschaft – eine solche Politik müsste

den Texte erkennen: Jeder einzelne war zum Zeit-

ihre Ambitionen mindestens auf die folgenden sie-

punkt seiner Umsetzung in die internationale Pra-

ben Ziele richten, und sie müsste den durch diese

xis ein Meilenstein bei der Zukunftsaufgabe, eine

Zielsetzungen vermittelten Orientierungen folgen.

authentische Kultur-Weltpolitik zu erarbeiten.

Diese lauten:

Auch dies ist, diesmal in globalem Maßstab, Geo-

1. Die Kultur ins Zentrum der Politik setzen

politik. Tatsächlich markieren diese drei zugleich poli-

und Kulturpolitik als ordnenden und regulierenden Faktor auch der allgemeinen

tischen, rechtlichen und philosophischen Texte,

Politik von Regierungen, Exekutivbehörden,

trotz noch begrenzter konkreter Ergebnisse, ent-

Verwaltungsdirektionen und Unternehmen

scheidende Fortschritte auf dem Weg zu einer kollektiven Bewusstwerdung der Notwendigkeit welt-

betrachten; 2. das Zusammenleben von Menschen und

weit wirksamer kulturpolitischer Entscheidun-

Gesellschaften unterschiedlicher Kulturen an

gen sowohl auf der Ebene der wissenschaftlichen

die Spitze der politischen Prioritäten stellen;

und administrativen Communitys als auch auf der

gemeint ist ein nicht nur ökonomisch, mone-

Ebene der Staaten und Zivilgesellschaften. Diese

tär, juristisch und/oder administrativ gesteu­-

Bewusstwerdung muss sich beziehen auf

ertes Zusammenleben,17 sondern auch ein

1. die Bedeutung eines gemeinsamen, einheit­

Zusammenleben in den Bereichen der

lichen Normen folgenden Handelns zum

Bildung, des Sozialen, des Kulturellen

Schutz und zur Förderung des kulturellen Erbes und kultureller Ausdrucksformen in ihrer ganzen umfassenden Vielfalt, 2. die Einbringung dieser Themen ins Zentrum der politischen und diplomatischen Beziehun­ gen von Staaten und überstaatlichen Orga­nisationen; und schließlich

16  Nur zwei Beispiele: 1.) die überhaupt nicht einzuschätzenden Folgen, die entstehen, wenn in Süd- und Mittelamerika, in Afrika, in Asien und in Ozeanien jährlich Dutzende von Sprachen verschwinden; 2.) die Folgen der Zerstörung, Vermarktung und Verschleppung von Millionen Werken zeitgenössischer Kunst in Kriegsgebieten, insbesondere in den so genannten Less Developed Countries (LDC). 17  Dies entspräche den Verfahren, mit denen von 1957 bis 2000 Europa ‚gemacht‘ wurde.


92

Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise

und des Symbolischen;18

Art Anhang oder gar als Sahnehäubchen der Poli-

3. unterschiedliche kulturelle und künstlerische

tik. Sie muss (wieder?) als Chance und Hauptan-

Formen als gemeinsamen Besitz betrachten

triebskraft einer heute leider an vielen Fronten

und als privilegierte Medien eines nachhal­-

schwachen Politik begriffen werden, die – mit gera-

tigen Friedens und einer langfristigen soli-

dezu existenzieller Notwendigkeit – Kultur, Inter-

da­r ischen und ökologischen Entwicklung

kulturalität, interkulturellen Dialog, kulturelle

fördern;

Vielfalt, kulturelle Besonderheiten als verbindende

4. dafür zu sorgen, dass schon die Idee einer alles Denken und Handeln umfassenden

Elemente braucht. Die Kultur muss ins Zentrum, ins Herz des poli-

‚Leitkultur‘ als obsolet, ja sogar als unerträg­

tischen und geopolitischen Handelns zurückkeh-

lich wahrgenommen wird, so dass die Rede

ren, damit der elementare, aber undeutlich gewor-

von ‚der‘ Kultur niemals zu einer Vernich­

dene Sinn dieses Handelns wiedergefunden oder

tungs­waffe werden kann, die gern von

besser: wiederhergestellt werden kann. Kultur ist

Starken gegen Schwache eingesetzt wird;

das Palimpsest aller Politik und Geopolitik. Auch

5. Vorstellungen von ‚überlegener‘ Kultur und

wenn diese leider durch andere Einflüsse überprägt

mehr noch von ‚überlegener‘ Zivilisation

worden sind, scheint Kultur als Grundtext immer

wieder auf den Platz verweisen, der ihnen

wieder durch.

gebührt, nämlich den von Konzepten, die rein instrumental von denen verwendet

Aus dem Französischen übersetzt von Bernd Thum.

werden, die Begriffe wie Kultur oder Zivi­ lisation in Wahrheit missbrauchen; 6. aus Kultur das wichtigste Mittel der Politik

Literatur

machen; dies betrifft sowohl die Genese, die Entwicklung als auch den Endzweck von Politik; 7. umgekehrt auch Politik zu einem Mittel der Kultur machen, zu ihrem Alpha und Omega.

Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (1996): „Unsere kreative Vielfalt“. Bericht der Welt­ kommission „Kultur und Entwicklung“ (Pérez de Cuéllar-Bericht). Online: http://www.unesco.de/

Weil wir uns schon seit langem an eine andere

cuellar.html?&L=0

Konzeption gewöhnt haben, verstehen wir nicht, dass die Kultur nur ein Derivat ‚großer‘ oder auch

Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (1999):

‚kleiner‘ Politik sein soll, ein separates Biotop für

Erklärung über eine Kultur des Friedens und

Reiche, ein Jagdrevier für Mächtige, ein Sonderfall

Aktionsprogramm für eine Kultur des Friedens.

für Gelehrte und Oligarchen. Diesen und allen, die

Online: http://www.unesco.de/kultur_des_

dachten, klare Vorstellungen vom distinkten Status

friedens.html

der Kultur zu haben, zum Trotz, aber auch unserer Skepsis zum Trotz wird sich Kultur als Medium

Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2002):

und Speerspitze von Politik durchsetzen und auch

Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt.

eine neue Geopolitik der Zukunft prägen.

Online: http://www.unesco.de/443.html

Kultur kann nicht mehr als eine Randerscheinung verstanden und behandelt werden, als eine 18  Seit 2000, dem Beginn des Kampfs um die „Universelle Erklärung der UNESCO für die kulturelle Vielfalt“ und der Veröffentlichung der „Mitteilung der Kommission über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“ ist dies dringend geboten.

Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2003): Über­ einkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Online: http://www.unesco.de/ ike-konvention.html


93

WIKA-Report (Band 2)

Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2005): Über­ einkommen über den Schutz und die För­derung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Online: http://www.unesco.de/konvention_ kulturelle_vielfalt.html

Regierungen und Gebietskörperschaften. Er ist Ver­

fasser mehrerer Essais zu politisch-kulturellen und wirtschaftlichen Themen und hat auch Romane ver­ öffentlicht. Stellvertretend sind zu nennen: „La Cité

du chômage“ (1997), „L’Emblème démocratique“ (1998), „La Pauvreté durable“, fortgeführt mit dem

Europäische Union (2008): Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 21. November 2008 zur Mobilität junger Menschen. Online: http://europa.eu/legislation_summaries/ education_training_youth/youth/ef0008_de.htm

„Essai Gouvernement de la pauvreté“ (2003), „La Fabrique du terrorisme“ (2008). De Bernard ist auch

He­rausgeber von Gemeinschaftswerken wie dem „Dictionnaire critique des mondialisations“ (2002,

auch als weitergeführte Online-Publikation), „Décla-

ration universelle de l’Unesco sur la diversité culturelle – Commentaires et propositions“ (2003 und 2005)

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirt­ schafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 10. Mai 2007 über eine euro­päische Kulturagenda im Zeichen der Globali­ sierung. Online: http://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/ALL/;jsessionid=nh6xTGZL9D4fxV TNQknsBLw2GCQBBbBWywZPLvLsFvV2Jnyq psTf!1770240370?uri=CELEX:52007DC0242 Vermeren, Patrice (2001): Culture of peace. In: Groupe d’études et de recherches sur les mondialisations (GERM), Dictionnaire critique. Online: http://www.mondialisations. org/php/public/art.php?id=1927&lan=EN World Commission on Culture and Development, President: Javier Pérez de Cuéllar (1996): Our Creative Diversity. Report of the World Commission on Culture and Development. Paris: UNESCO. Online: http://unesdoc.unesco. org/images/0010/001055/105586e.pdf

François de Bernard ist Gründungspräsident des GERM (Groupe d’études et de recherches sur les mondi-

alisations – www.mondialisations.org), einer im Jahre 2000 gegründeten interdisziplinären Vereinigung. Er lehrt und forscht an der Abteilung Philosophie und

am Institut d’études européennes der Universität

Paris 8 – St. Denis. De Bernard berät auf den Gebieten Analyse und Planung internationale Organisationen,

und „Europe, diversité culturelle et mondialisations“ (2005). – Kontakt: fdb@mondialisations.org


94

Es ist ein Zugang, der die gesamtgesellschaftliche

Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus Eine wissensgeschichtliche Perspektive

Perspektive in den Fokus rückt und nach der Relevanz historischer Forschung für gegenwärtige Entwicklungen fragt. Zum Anderen liegt in der Aufklärung der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands in Bezug auf den Mittelmeerraum eine Basis für einen möglichen „Euro-Mediterranen Wissensraum“ (vgl. Thum 2012). Denn das Wissen um die eigene Geschichte und ein aktiver, verantwortungsvoller Umgang damit ist die Grundlage

von Christine Isabel Schröder (Bochum)

für ein nachhaltiges Engagement für eine euromediterrane Zukunft.

Warum das Thema „National­sozialismus und Mittelmeer“?

Wissen und Geopolitik im National­sozialismus

Wer heute die Begriffe Geopolitik und Raum ver-

Was wissen wir eigentlich vom Mittelmeer? Und

wendet, denkt nicht unbedingt an die historische

woher stammt dieses Wissen? Knapp formuliert,

Entwicklung und Konjunkturen dieser Konzepte,

meint Wissen „alle Arten von […] Bedeutungen, mit

schon gar nicht in Bezug auf das Mittelmeer. Dabei

denen jeweils historische Menschen die sie umge-

führt ihre historische Reflexion unweigerlich zu

bende Wirklichkeit deuten und gestalten“ (Jäger

den Wurzeln ihrer „Karriere“ (Köster 2002) im völ-

2001: 81). Wenn wir Wissen historisch erforschen,

kischen und nationalsozialistischen Diskurs. Dass

geht es jedoch auch um seine Herstellung und Wir-

die Begriffe wieder gängig geworden sind, ist viel-

kungsmacht. Fest steht: Das heutige Wissen, der

fach (wissenschaftlich) unter dem Stichwort der

heutige deutsche Diskurs um das Mittelmeer und

„Wiederkehr des Raumes“ (Osterhammel 1998; vgl.

seine Region ist nicht voraussetzungslos, und die

Köster 2002: 235–238) diskutiert worden. Lohnt

Zeit des Nationalsozialismus spielt eine zentrale

es sich, den Finger erneut in die Wunde dieser

Rolle für die Entstehung dieses Wissens. Im Zent-

deutschen (Begriffs-)Geschichte zu legen und nun

rum meiner Untersuchungen steht v. a. die Frage

gerade die nationalsozialistischen Verstrickungen

nach dem Wissen, das in der deutschen Gesell-

in die mediterrane Geschichte zu thematisieren?

schaft während des Nationalsozialismus über das

Tatsächlich zeigt sich, dass das Mittelmeer einen

Mittelmeer und seinen ‚Raum’ zirkulierte. Im Fol-

größeren Stellenwert sowohl in der nationalsozia-

genden werde ich diese historische Perspektive auf

listischen Geopolitik als auch im zeitgenössischen

das allgemeine bzw. populäre Wissen am Beispiel

öffentlichen Diskurs einnahm als zumeist ange-

des lexikalischen Wissens erläutern.

nommen. Neben dieser wissenschaftlichen Legiti-

Als allgemeines oder populäres Wissen ver-

mation, eine Wissenslücke zu schließen, erschei-

stehe ich hier all das, was im öffentlichen gesell-

nen zwei weitere Argumente für eine Historisie-

schaftlichen Diskurs als gültiges Wissen verhan-

rung deutscher mediterraner Geopolitik und des

delt und verbreitet wird (vgl. Daum 2002; Boden/

Begriffs des Mittelmeerraums zentral, die für die

Müller (Hg.) 2009; Samida (Hg.) 2011). Zwischen

Anliegen des WIKA relevant sein können: Zum

einem wissenschaftlichen und populären Wissen

Einen zeigt die wissensgeschichtliche Perspektive

– und gewissermaßen mit einer Scharnierfunktion

vor allem die Formung und Entwicklung, Brüche

– ist das lexikalische oder enzyklopädische Wis-

und Kontinuitäten gesellschaftlichen Wissens auf.

sen zu verorten. Als beispielhafte Quellen stehen


95

WIKA-Report (Band 2)

uns die allgemeinverständlichen Enzyklopädien und Konversationslexika zur Verfügung, die seit dem 18. Jahrhundert das allgemein gültige Wis-

Dis-/Kontinuitäten des allgemeinen Wissens vom Mittelmeer

sen bündelten und seit dem 19. Jahrhundert bei einer breiten Leserschaft beliebt waren (vgl. Spree

Nun könnte man meinen, das Mittelmeer habe

2000; Michel (Hg.) 2007; Prodöhl 2011). Es handelt

keine sonderliche geopolitische Bedeutung im Nati-

sich um ein Genre, dem der Wert des Essenziellen

onalsozialismus gehabt, Versuche, das Mittelmeer

beigemessen wird, das also das sozusagen wirklich

als strategisch-geopolitischen Raum zu entwerfen,

wichtige, d. h. elementare, Wissen präsentiert und

seien begrenzt geblieben (so Meiering 2000: 79).

daher eine bestimmte Qualität und Autorität für

Verglichen mit der Ideologie und Kriegführung

sich beansprucht. Zudem lassen sich besonders

der Ostexpansion stimmt dies zwar.1 Auf der Ebene

anhand der Konversationslexika die Entwicklung

politischer und geografischer Diskurse und der

von Begriffen und ihre Bedeutungszuweisung,

Produktion von Wissen zeigt sich jedoch ein ande-

Konjunkturen und Brüche spezifischer Wissens-

res Bild. Ab Mitte der 1930er Jahre lässt sich eine

bestände aufzeigen, wenn verschiedene Ausgaben

Zunahme von Publikationen zum Mittelmeerraum

über einen längeren Zeitraum in den Blick genom-

in verschiedenen Genres feststellen. Beispielhaft

men werden.

ist die 1936 bis 1942 im Leipziger Goldmann-Ver-

Geopolitik wird ab Mitte der 1930er Jahre das

lag erschienene Reihe „Weltgeschehen“. Im Format

zentrale Feld des Wissens vom Mittelmeer im

des politischen Sachbuchs für ein breites Publikum

deutschsprachigen Diskurs und nimmt eine pro-

stellen namhafte Publizisten die geopolitischen

minente Rolle auf dem Markt populären Wissens

Dimensionen verschiedener Länder und geografi-

bzw. populärwissenschaftlicher Veröffentlichun-

scher Regionen dar. Allein elf Titel widmeten sich

gen ein. Laut „Meyers Lexikon“ bezeichnet der

dem Mittelmeer bzw. seinen Anrainerstaaten. Die

Begriff die „Lehre von den geogr[afischen] Bedingt-

geopolitische Einordnung des Mittelmeers bringt

heiten politischer Vorgänge“ (Meyers Lexikon 1938:

der 1937 erschienene Titel des Publizisten Edmund

1265). Diese Lehre wurde im Anschluss an Rudolf

Schopen auf den Punkt: Es geht ihm um nichts

Kjellén und Friedrich Ratzel zu einem eigenständi-

weniger als die „Weltentscheidung im Mittelmeer“,

gen Wissenschaftszweig entwickelt, der den Staat

denn: „Die Mittelmeerfrage ist zugleich die Frage

als „geografischen Organismus“ bzw. den „Boden

Europas.“ (Schopen 1937: 7)

als organischen Bestandteil des Staates“ begreift

Um einen Eindruck von der Entwicklung des

und „dessen Aufgabe die Untersuchung der in der

allgemeinen Wissens vom Mittelmeer zu erhalten,

Gestaltung und Ausstattung der Erdräume begrün-

bietet sich ein Blick in die achte Auflage von „Mey-

deten Bedingtheit politischer Vorgänge ist“ (ebd.).

ers Lexikon“ an, dem einzigen Konversationslexi-

Der geopolitische Diskurs ist somit bereits eine

kon, das als Großlexikon vollständig unter einer

Verschränkung von Geografie, Geschichte und

nationalsozialistischen Redaktion entstand (vgl.

Politik und damit von Wissenschaft und Politik.

Prodöhl 2011: 67ff. und 102ff.; Keiderling 2013).

Es werden darüber hinaus auch Wissensbestände

Insgesamt lässt sich eine Steigerung des

von Wirtschaft und Anthropologie bzw. Ethno-

Umfangs der Lexikoneinträge zum Mittelmeer seit

logie mit hi­storischem und militärischem Wis-

Mitte des 19. Jahrhunderts feststellen, vor allem

sen zusammengeschlossen. Das zentrale Konzept

jedoch eine strukturelle und inhaltliche Ent-

der Geopolitik ist das des Raums, ein Begriff, der

wicklung: Erst seit 1939 heißt das Mittelmeer im

erst seit den späten 1920er Jahren geläufiger und

„Meyer“ „Mittelmeer“ – im Konkurrenzwerk, dem

schließlich zur Basiskategorie biopolitischen Denkens und Handelns des Nationalsozialismus’ wird (vgl. Köster 2002).

1  Zugleich darf nicht vergessen werden, dass sowohl der Zweite Weltkrieg als auch die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Gemeinschaften bis ans Mittelmeer reichten, vgl. Gaon/Serels (Hg.) 1995; Jacobs et al. (Hg.) 2008.


96

Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus

„Großen Brockhaus“, findet sich diese Bezeichnung

Konversations-Lexikon 1908: 919, Hervorh. d. Verf.).

seit 1932: zuvor hieß das Lemma dem gesellschaft-

Einen deutlichen Kontrast bildet aber vor allem

lichen Sprachgebrauch entsprechend stets „Mittel-

der oben genannte „Große Brockhaus“, der kurz

ländisches Meer“. Ebenfalls neu in der Meyerschen

vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft

Begriffsgeschichte des Mittelmeeres erscheint 1939

erschien. Dieser weist strukturell und thematisch

der Begriff Raum. Der Begriff des Raumes existiert

zwar durchaus Analogien zum „Meyer“ von 1939

im lexikalischen Wissen zuvor schlichtweg nicht

auf, unterscheidet sich aber auf den Ebenen des

– es ist stets von Region oder Gebiet die Rede.2 Die-

Inhalts und der Diktion signifikant. So führt der

ser Mittelmeerraum wird nun direkt als ein „so

„Brockhaus“ auch einen Absatz über die „[g]eopo-

umgrenzter Raum“ eingeführt, und er sei

litische Bedeutung“ des Mittelmeers, doch taucht

„nur durch sein einheitliches Klima […] und

der Begriff Raum hier nicht auf (vgl. Der Große

Pflanzenkleid eine geogr[afische] Einheit,

Brockhaus 1932: 629ff.). Im auffallenden Unter-

während die Bewohner rassisch, kulturell,

schied zum „Meyer“ und in Tradition zu den frü-

rel[igiös] und wirtschaftlich sehr ungleich-

heren Ausgaben beider Konversationslexika steht

artig sind.“ (Meyers Lexikon 1939: 1472)

im „Brockhaus“ die Einheit des Mittelmeers und

Das Mittelmeer als Raum zwischen (klimatogeo-

seine Funktion als Verbindung, ja als personifizier-

grafischer) Einheit und (rassisch-anthropologisch-

ter „Vermittler zwischen Orient und Okzident“ im

kultureller) Zersplitterung wird hier in seiner geo-

Vordergrund: Durch den regen Verkehr über das

politischen Dimension folgendermaßen charakte-

Mittelmeer habe dieses

risiert:

„durch ganze Zeitperioden hindurch die

„Das M.gebiet ist aber auch reich an poli-

umliegenden Länder trotz ethnischer und

tisch-geographischen Problemen und

religiöser Verschiedenheit zu einer kul-

Gegensätzen. Die weitgehende Zerstücke-

turellen oder sogar staatlichen Einheit

lung und die verwickelte Oberflächen-

zusammengefasst.“ (Ebd.: 631, Hervorh. d.

gestalt begünstigen die Entstehung vie-

Verf.)

ler kleinräumiger Staaten, die unter sich

Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Mittelmeer

wenig Zusammenhang hatten und nur

im lexikalischen Wissen zunächst als Einheit ent-

durch das Röm. Reich 400 Jahre hindurch

worfen und erst später durch die geopolitische

zu einer staatl. Einheit zusammengefaßt

Brille des Nationalsozialismus fragmentiert wird.3

werden konnten. Heute liegen um das M.

Die Perspektive des politisch zersplitterten,

und das Schwarze Meer 10 Staaten […], zwei

antagonistisch besetzten Mittelmeerraums beweist

Frankreich und England überwiesene Man-

eine bemerkenswerte Kontinuität über 1945 hin-

datsländer […] und mehrere Kolonialge-

aus. Der „Große Brockhaus“ von 1955, der als er­stes

biete […]“. (Ebd.: 1473)

größeres Nachschlagewerk der Nachkriegszeit zum

Mit dieser Betonung einer Zersplitterung des Mit-

Verkaufsschlager wurde (Keiderling 2013: 101),4

telmeeres bzw. des mediterranen ‚Raumes’ weicht

führt nun erstmals neben den Artikeln „Mittel-

der Eintrag in „Meyers Lexikon“ von 1939 deutlich

meer“ und „Mittelmeerländer“ den Eintrag „Mit-

vom Text der dritten Auflage 1877 bis zur sechsten

telmeerraum“ auf, der die historische Entwicklung

Auflage 1908 ab, wo es heißt, dass das „Mittelländische Meer schon im frühen Altertum in Bezug auf Kultur u. Verkehr zum vermittelnden Gliede der drei Weltteile“ geworden sei (Meyers Großes 2  Überhaupt ist der Begriff Mittelmeerraum vor den 1930er Jahren kaum geläufig, zumindest taucht er nur einmal 1909 (im Titel) in einer publizierten Monographie auf und erscheint dann erst wieder etwa ab 1936.

3  Dagegen erscheint der geopolitische Fachdiskurs der Zeit vielstimmiger. Gerade ein prominenter Sprecher mediterraner Geopolitik, Hans Hummel, beschwört die geografischpolitische Einheit des Mittelmeerraums, die dann Grundlage seiner Argumentation ist, warum gerade Italien das Recht auf Vorherrschaft im Mittelmeer habe (Hummel 1938: 11, 55f.; vgl. Schultz 2006: 177). 4  Meyers Lexikon erscheint erst wieder in den 1970er Jahren.


97

WIKA-Report (Band 2)

des Mittelmeerraums behandelt (Der Große Brock-

füllen, sondern vielmehr dem Nicht-Wissen um die

haus 1955: 69). Die hier erzählte Geschichte des

Ausmaße und Konsequenzen des deutschen Welt-

Mittelmeerraums beginnt mit dem Satz: „Die erste

machtstrebens entgegentreten. Wenn auch die

See- und Handelskolonialmacht im M. waren die

Begriffe Geopolitik und Raum kaum aus unserem

Phöniker.“ (Ebd.: 69) Im weiteren Textverlauf wird

heutigen und deutlich anders konnotierten Sprach-

die Expansion des Islams als Vorsturm auf Europa

gebrauch wegzudenken sind, so scheint mir doch

charakterisiert und der darauf folgende „Glaubens-

die Reflexion ihrer Begriffsgeschichte sowie ein

krieg“ geschildert. Der Mittelmeerraum wird von

sensibler Umgang mit diesen Konzepten konstruk-

Beginn an als kolonialer Raum und als Raum kolo-

tiv. Die Aufklärung von Nicht-Wissen, das Beseiti-

nialer Begehrlichkeiten und Machtverhältnisse ent-

gen der Ignoranz, ist die Basis für ein politisches

worfen. Interessanterweise liest sich dies im Kon-

und zivilgesellschaftliches Miteinander auf Augen-

text der vorhin vorgestellten Quellenbestände so,

höhe, für eine versöhnte Zukunft des euromedi-

als seien diese Inhalte geopolitischer und koloni-

terranen Projektes. Und vielleicht kann sogar das

aler Diskurse, die zuvor noch nicht so sprachlich

Bekenntnis zu einer negativen Geschichte, einer

explizit in die Lexika eingegangen waren, nach

leidvollen gemeinsamen Vergangenheit Teil eines

dem Ende des Nationalsozialismus die Paradigmen

gemeinsamen kulturellen Wissens (vgl. Thum 2012)

lexikalischen Wissens vom Mittelmeer geworden.

und somit eine mögliche Basis für eine gemein-

Dagegen bleiben Erster und Zweiter Weltkrieg

same Zukunft sein.

weitestgehend unerzählt – im lexikalischen Nachkriegs-Wissen des „Brockhaus“ um das Mittelmeer existieren diese Ereignisse nicht.

Quellen und Literatur

Ausblick: Nicht-/Wissen vom Mittelmeer

Boden, Petra/Müller, Dorit (Hg.) (2009): Popu­läres Wissen im medialen Wandel seit 1850.

Schon im „Großen Brockhaus“ von 1955 ist dem

Berlin: Kadmos.

kollektiven Gedächtnis, mehr noch: dem allgemeinen Wissensbestand der deutschen Nachkriegszeit

Daum, Andreas (2002): Wissenschafts­populari­­

eine Lücke, ein Wissensmangel, eingeschrieben,

sierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur,

der programmatisch für die deutsche Wissensge-

naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche

schichte des Mittelmeers im 20. Jahrhundert sein

Öffentlichkeit, 1848–1914. 2., erg. Aufl., München:

wird. Denn zu den Dingen, die bis heute im allge-

Oldenbourg.

meinen Wissen kaum verankert sind, gehören die Beteiligung der Wehrmacht am Spanischen Bür-

Der Große Brockhaus (1928–1935). 15. Auf­l., Leipzig:

gerkrieg auf der Seite der Franquisten, der Zweite

F. A. Brockhaus.

Weltkrieg am Mittelmeer, die Kriegsverbrechen und die Schoah, die die Deutschen und ihre Ver-

Der Große Brockhaus (1932): Art. „Mittelmeer“.

bündeten im mediterranen Gebiet begingen. Dies

In: Der Große Brockhaus, Bd. 12: Mai–Mud. 15.

ist umso frappierender, da die Mittelmeerländer

Auf­l., Leipzig: F. A. Brockhaus, S. 629–631.

nach wie vor zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen gehören und Bilder vom Mittelmeer als

Der Große Brockhaus (1952–1957). 16. Aufl., Wies-

Traum einer Dolce Vita im ‚Süden‘ in den Sehn-

baden: F. A. Brockhaus.

suchtserzählungen einen festen Platz einnehmen. Eine Wissensgeschichte des Mittelmeers im Nationalsozialismus will nicht nur eine Wissenslücke


98 Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus

Der Große Brockhaus (1955): Art. „Mittel­meer, -länder,

Meyers Großes Konversations-Lexikon (1902–1908).

-raum“. In: Der Große Brockhaus, Bd. 8: Mik–Par.

6. Aufl., Leipzig: Bibliographisches Institut.

16. Aufl., Wiesbaden: F. A. Brockhaus, S. 68–69. Meyers Großes Konversations-Lexikon (1908): Gaon, Solomon/Serels, M. Mitchell (Hg.) (1995): Del

Art. „Mittelländisches Meer“. In: Meyers Großes

fuego. Sephardim and the Holocaust. New York,

Konversations-Lexikon, Bd. 13: Lyrik bis Mitter-

NY: Sepher-Hermon Press.

wurzer. 6. Aufl., Leipzig: Bibliographisches Institut, S. 919.

Hummel, Hans (1938): Das Mittelmeer. Ein poli­ tischer Entscheidungsraum. Köln: Schaffstein.

Meyers Lexikon (1936–1942). 8. Aufl., Leipzig: Bibliographisches Institut.

Jacobs, Hans et al. (Hg.) (2008): Von Italien nach Auschwitz. Aspekte der deutschen Besatzung

Meyers Lexikon (1938): Artikel „Geopolitik“. In:

in Italien 1943–45. Eine Tagung im Staatsarchiv

Meyers Lexikon, Bd. 4: Fernsprecher – Gleichen.

Detmold und ihre Bedeutung für historisch-

8. Aufl., Leipzig: Biblio­graphisches Institut, Sp. 1265.

politische Aufklärungsarbeit in Schule und Weiterbildung. Lage: Lippe-Verlag.

Meyers Lexikon (1939): Art. „Mittelmeer“. In: Meyers Lexikon, Bd. 7: Kudowa – Muskeln. 8. Aufl.,

Jäger, Siegfried (2001): Diskurs und Wissen.

Leipzig: Biblio­g raphisches Institut, Sp. 1468–1473.

Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. In:

Michel, Paul et al. (Hg.) (2007): Allgemein­w issen

Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider,

und Gesellschaft. Akten des Inter­nationalen

Werner/Viehöver, Willy (Hg.): Handbuch Sozial-

Kongresses über Wissenstransfer und Enzyklo­

wissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. I:

pädische Ordnungssysteme. Aachen: Shaker.

Theorien und Methoden. Opladen: Leske + Budrich, S. 81–112.

Osterhammel, Jürgen (1998): Die Wiederkehr des Raumes. Geopolitik, Geohistorie und histo­r i-

Keiderling, Thomas (2013): Lexikonarbeit

sche Geographie. In: Neue Politische Literatur

im Nationalsozialismus. Eine vergleichende

43, 3, S. 374–397.

Untersuchung zu F. A. Brockhaus und dem Bibliographischen Institut. In: Saur, Klaus G.

Prodöhl, Ines (2011): Die Politik des Wissens.

(Hg.): Verlage im „Dritten Reich”. Frankfurt

Allgemeine deutsche Enzyklopädien zwischen

am Main: Klostermann, S. 79–108.

1928 und 1956. Berlin: Akademie-Verlag.

Köster, Werner (2002): Die Rede über den

Samida, Stefanie (Hg.) (2011): Inszenierte Wissen-

„Raum”. Zur semantischen Karriere eines

schaft. Zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahr-

deutschen Konzepts. Heidelberg: Synchron.

hundert. Bielefeld: Transcript.

Meiering, Gregor (2000): Genèse et mutations

Schopen, Edmund (1937): Weltentscheidung

d’une mémoire collective. La Méditerranée

im Mittelmeer. Leipzig: Goldmann.

allemande. In: Fabre, Thierry/Ilbert, Robert (Hg.): Les représentations de la Méditerranée, Bd. 10. Paris: Maisonneuve et Larose, S. 39–85.


99

WIKA-Report (Band 2)

Schultz, Hans-Dietrich (2006): Halbinseln, Inseln und ein „Mittelmeer“. Südeuropa und darüber hinaus in der klassischen deutschen Geographie. In: ders. (Hg.): Metropolitanes & Mediterranes. Beiträge aus der Humangeographie. Berlin: Geographisches Institut, S. 129–188. Spree, Ulrike (2000): Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutsch­land und Großbritannien im 19. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer. Thum, Bernd (2012): Ein Euro-Mediterraner Wissens- und Handlungsraum als strategisches Ziel. Kulturpolitische Überlegungen zu Kon­zep­ tion und Programm. In: Bauer, Gerd Ulrich/ ders. (Hg.): Internationale Bildungs­beziehungen. WIKA-Report Band 1. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik). Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, S. 87–97.

Christine Isabel Schröder, MA, Studium der Evange­ lischen Theologie, Geschichtswissenschaft und Reli­

gionswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Mit­

telmeerstudien (ZMS), Bochum. Als Doktorandin des ZMS organisiert sie jährliche Workshops für den wis­ senschaftlichen Nachwuchs der Mediterranistik sowie

kürzlich eine internationale Tagung zum Thema „The Mediterranean Other – The Other Mediterranean. Sub-

altern Perceptions, Interpretations and Representa-

tions“. Daneben wirkt sie unter der Leitung von Prof.

Dr. Mihran Dabag an der Konzeption und Redaktion eines geplanten Lexikons zu Migrationen, Minder­

heiten und Diasporagemeinschaften am Mittelmeer

mit. In ihrem Dissertationsvorhaben widmet sie sich der Produktion von Wissen über das Mittelmeer und

der diskursiven Konstruktion des Mittelmeerraums in Deutschland mit Schwerpunkt auf den Nationalsozia­ lismus. – Kontakt: christine.schroeder@rub.de


100

So wie sich die politischen und ökonomischen

Geopolitik und Kultur Von der Dominanz westlicher Kultur zu einem kulturellen Multizentrismus und einem globalem Wettbewerb um ‚Soft Power‘

Beziehungen aufgrund der sich vor unseren Augen vollziehenden Gewichtsverschiebungen verändern, so verändern sich auch die internationalen Kulturbeziehungen. Die kulturelle Dominanz des Westens – insbesondere der USA, aber auch Europas – schwindet und weicht einem kulturellen Multizentrismus.

von Heinrich Kreft (Berlin)

Die internationalen Kulturbeziehungen im Wandel

Wir leben in einer Zeit des beschleunigten Wan-

Kulturelle Beziehungen sind untrennbarer Teil der

dels, der alle Bereiche – Politik, Wirtschaft und

Menschheitsgeschichte. Seit ihrem Beginn haben

Kultur – umfasst. Die Globalisierung und der damit

Gruppen von Menschen, Familienclans, Völker und

einhergehende Aufstieg neuer Mächte bei gleich-

Nationen ihre Werte, ihr Wissen und Können sowie

zeitigem relativem Abstieg der USA, Europas und

Macht und Reichtum gegenüber anderen zum Bei-

Japans ist der Megatrend unserer Zeit. Dieser Trend

spiel durch Geschenke zur Schau gestellt. Sport-

ist auch in der Kultur nicht zu übersehen.

großereignisse und (Welt-)Ausstellungen sind noch

Das Gravitationszentrum von Weltwirtschaft

heute das Mittel der Wahl für kulturelle Aufsteiger,

und Weltpolitik verschiebt sich ohne Zweifel vom

um ihren Aufstieg für alle sichtbar zu dokumen-

nordatlantischen Raum nach Asien – vom Westen

tieren.

und Norden nach Osten und Süden. Neben den

Kulturbeziehungen beschränkten sich lange

beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt –

auf die Beziehungen zwischen Eliten. Mit dem

China und Indien – gehören mit Südkorea, Indonesien, den Philippinen, Pakistan, Bangladesch und Vietnam auch mehr als die Hälfte der Aufsteiger-

BRICS

„Next Eleven“

länder der zweiten Reihe („Next Eleven“, s. Tab. 1)

Brasilien*

Ägypten

zu Asien (vgl. u. a. Scowcroft 2012, Layne 2012 und

Russland*

Bangladesch

Indien*

Indonesien*

Khanna 2012). Dank seines Ressourcenreichtums, seiner politischen Stabilisierung unter Putin und seines nicht zuletzt in der Ukraine/Krim-Krise gezeigten Machtwillens ist auch der Einfluss Russ-

China*

Iran

Südafrika*

Mexiko*

lands zumindest kurzfristig wieder gewachsen. Mit

Nigeria

Südafrika, Ägypten und Nigeria steigen auch die

Pakistan

bevölkerungsreichsten Länder Afrikas zu Gestal-

Philippinen*

tungsmächten auf wie in Lateinamerika Brasilien und Mexiko und im Nahen Osten dank seines Ölreichtums Saudi Arabien, sowie in Zentralasien Kasachstan. Sie alle haben sich bereits zu Regionalmächten entwickelt und sind damit Teil des neuen Multizentrismus (vgl. Kreft 2013). Diese Entwicklung findet auch im Bereich der Kultur ihre Entsprechung.

Südkorea* Türkei* Vietnam Tab. 1: Neue Gestaltungsmächte. Die mit Asterisk gekennzeichneten Staaten gehören – zusammen mit Argentinien, Australien, Deutschland, EU, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Saudi Arabien und den USA – auch zu den G20.


101

WIKA-Report (Band 2)

Aufkommen von Rundfunk, Film und Fernsehen

Zur ersten gehören die von Staaten oder

geraten auch größere Bevölkerungsgruppen in den

privater Seite finanzierten Kulturaktivitäten.

Fokus elitengesteuerter Kulturbeziehungen. Auf-

Hierzu gehören die Klassiker der ‚Hochkultur‘

grund der Revolutionierung des Reisens – etwa durch Kostensenkungen und den Abbau von Reise-

wie Theater, Ballett und die bildende Kunst. •

beschränkungen – und vor allem durch das Internet hat sich die Zahl der Akteure in den internati-

Zur zweiten gehört die kommerzielle Kultur, allen voran die Film- und Musikbranche.

Die dritte und zugleich dynamischste Kate-

onalen Kulturbeziehungen exponentiell zu einem

gorie ist die ‚hausgemachte Kleinkunst‘, die

Massenphänomen entwickelt. Dieses schafft einer-

heute dank neuer Medien wie YouTube Zugang

seits die Voraussetzungen für mehr Verständnis

zu einem potenziell globalen Markt hat.

zwischen verschiedenen Kulturen und Gesellschaf-

Zum festen Bestandteil internationaler Kulturbe-

ten, sorgt andererseits aber zugleich auch für mehr

ziehungen gehören auch die Spracharbeit, Wissen-

Missverständnisse.

schaft und Bildung bis hin zum Sport, zur Religion

Die Geschwindigkeit und Häufigkeit globaler

und zur Esskultur.

Kommunikation wächst ebenfalls exponenziell, und der Inhalt dieses Austausches ist häufig kultureller Art. Dieses führt dazu, dass sich Kultur und Politik immer mehr verschränken und sich gegen-

Die neuen globalen Trends: Der kulturelle Aufstieg neuer und alter Kulturnationen

seitig beeinflussen. Hierfür steht exemplarisch die Rolle von Kulturschaffenden als Motor der Zivilge-

Mit dem politischen und wirtschaftlichen Aufstieg

sellschaft zu Beginn des arabischen Aufbruchs auf

der neuen Gestaltungsmächte nimmt auch ihr Ein-

Ägyptens Tahrir Square und Tunesiens Boulevard

fluss auf die internationalen Kulturbeziehungen

Bourguiba.

zu. Die neuen Gestaltungsmächte und insbeson-

Es lassen sich heute im Wesentlichen drei Kategorien von Kulturbeziehungen unterscheiden:

Auslandskulturinstitute

Insges.

dere auch die finanzstarken Länder der zweiten Reihe haben die Kultur entdeckt, um die eigene

Europa

weltweit

Nord­afrika

Asien &

Sub-Sahara Afrika

Amerika

& Nahost

Ozeanien

VRC: Konfuzius Institut

322

107

9

84

18

103

F: Institut Français

229

82

54

43

37

13

UK: British Council

196

67

33

53

26

17

D: Goethe-Institut

159

71

16

33

15

24

I: Italienisches Kulturinstitut

92

49

10

11

3

19

R: Russkiy Mir Stiftung

82

52

2

24

0

4

ES: Instituto Cervantes

78

39

15

9

1

14

P: Camões Institut

67

31

3

8

18

7

IN: Indisches Kulturinstitut

57

6

3

39

4

5

J: Japan Foundation

26

7

1

13

0

5

SK: Koreanisches Kulturzentrum

25

8

0

11

1

5

BR: Brasilianisches Kulturinstitut

24

5

0

0

2

17

Tab. 2: Anzahl und regionale Verteilung der zwölf größten Auslandskulturinstitute (2010), Quelle: British Council (2013, 24f.)


102

Geopolitik und Kultur

Gastgeberland

insgesamt

VRC

F

UK

D

I

R

ES

P

IN

J

SK

BR

USA

103

72

2

3

6

5

2

5

2

0

2

3

1

Deutschland

46

11

16

1

7

2

5

1

1

1

1

1

Frankreich

36

14

7

5

0

4

4

0

1

1

0

Italien

36

9

3

UK

35

13

2

Spanien

34

4

6

China

32

6

Russland

29

17

2

Indien

28

0

9

Japan

27

12

4

Südkorea

26

17

1

Brasilien

26

3

2

1 6

2

4

2

0

1

0

2

3

7 2

3

4

5

1

1

1

0

11

4

2

0

5

3

3

7

1

3

2

9

6

1

1

3

1

1

4

5

4

0

1

1

1

1

3

1

1

2

0

1

1

1

0

1

1

0

2

0

4

0

0

1

2

2

1

1

1

1

1

2

1

0

1

1

2

0

8

1

1

1

0 0

Tab. 3: Die attraktivsten Länder für Auslandskulturinstitute (2010), Quelle: British Council (2013, 36ff.)

Bedeutung in der Weltarena sichtbar zu machen.

meisten ausländischen Kulturinstitute wurden in

Die dynamischen Länder Asiens und Lateinameri-

den USA errichtet – gefolgt von Deutschland.

kas wie auch die finanzstarken arabischen Länder

Der kulturelle Aufstieg der BRICS und einiger

sowie Russland haben in den vergangenen Jahren

anderer Länder lässt sich auch daran ablesen, dass

ihre Budgets für die internationalen Kulturbezie-

mehrere von ihnen erhebliche Mittel in den Auf-

hungen kontinuierlich erhöht – während die ent-

bau von Auslandsrundfunk und -fernsehsendern

sprechenden Budgets in den großen westlichen

gesteckt haben. Während zum Beispiel das Budget

Ländern zurückgefahren wurden oder bestenfalls

der BBC in den letzten Jahren zusammengestrichen

(allerdings auf hohem Niveau) stagnieren.

wurde und die Haushalte der staatlichen amerika-

Am deutlichsten sichtbar ist dieses im Falle der

nischen Auslandssender und der Deutschen Welle

Volksrepublik China, die von 2004 bis 2010 welt-

stagnierten, sind die chinesische CCTV und Rus-

weit über 322 Konfuzius-Institute in 104 Ländern

sia Today, aber auch die regional fokussierten Al

errichtet hat und damit binnen sechs Jahren die

Jazeera, Al Arabya und andere mehr in den ver-

Platzhirsche – Institut Français, British Council

gangenen zehn Jahren zu festen Größen der glo-

und Goethe-Institut – zahlenmäßig überholt hat.

balen Medienlandschaft geworden. Bei der Zahl

Im Inland setzt China auf eine wachsende Bedeu-

der Fremdsprachenprogramme ist China dabei, zu

tung der Kreativwirtschaft. Im aktuellen 12. Fünf-

den USA aufzuschließen, während Russland inzwi-

jahresplan soll der Beitrag des Kultursektors zum

schen Großbritannien, Deutschland und Frank-

Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,5 % auf 5 % ver-

reich hinter sich gelassen hat.

doppelt werden. Im Ausland soll der Kultursektor

Die Austragungsrechte der Fußballweltmei­

gezielt dazu beitragen Chinas Soft Power zu erhö-

sterschaften für die Jahre 2010 bis 2022 gingen mit

hen und den Aufstieg Chinas absichern (vgl. Zhang

Südafrika, Brasilien, Russland und Katar an Ver-

2010).

treter dieser Ländergruppe. Brasilien richtet 2016

Auch Russland, Indien und Brasilien haben in

zudem die Olympischen Sommerspiele aus.

den vergangenen Jahren eine breite Präsenz eige-

Dieser wachsende kulturelle Pluralismus ist

ner Kulturinstitute im Ausland aufgebaut. Die

zu begrüßen. Der Austausch und das gegenseitige


103

WIKA-Report (Band 2)

Verstehen zwischen den (alten und neuen) Kultur-

Die Kulturbudgets westlicher Staaten dürften in

nationen ist eine Voraussetzung für die Lösung

den kommenden Jahren in Relation zu den Budgets

vieler globaler Probleme. Die internationalen Kul-

der Aufsteigerländer weiter zurückgehen. Allerdings

turbeziehungen werden zudem immer demokrati-

wird die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur

scher, da immer mehr Individuen direkt miteinan-

(Kreativwirtschaft) im Verhältnis zur Gesamtwirt-

der in Kontakt treten.

schaft weiter wachsen. Auch die Rolle von NGOs und Individuen in der Kultur wird weiter ansteigen. Die demokratische Verfasstheit westlicher

Die Neubegründung der Kultur­bezie­ hungen des Westens: Von der einfachen Imagepflege zum Dialog

Staaten ist hierfür von grundlegender Bedeutung. Der Staat kann und muss die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen florierenden Kulturaustausch schaffen, indem auch kommerzi-

Washington, London, Berlin und Paris stehen vor

elle und nicht-kommerzielle private Akteure und

einer doppelten Herausforderung. Zum einen ist

Individuen stärker in den internationalen Kultur-

dank des wachsenden kulturellen Engagements der

austausch eingebunden werden.

neuen Gestaltungsmächte der globale Wettbewerb

Ging es früher im Wesentlichen nur um die

um Soft Power härter geworden. Zum anderen ist

Verbreitung der eigenen Werte und eines möglichst

inzwischen erkannt worden, dass das allgemeine

positiven Bildes des eigenen Landes im Ausland,

Ziel der internationalen Kulturbeziehungen – wir

steht heute der Dialog im Vordergrund.

sprechen in Berlin von der AKBP, der Auswärtigen

Dazu gehören der Respekt gegenüber und das

Kultur- und Bildungspolitik –, im Ausland ein posi-

Eingehen auf die Besonderheiten anderer Kulturen.

tives Bild des eigenen Landes zu generieren mit

Dazu gehört aber auch die Schärfung des Sensori-

erhofften positiven Effekten für die eigene Außen-

ums der eigenen Bevölkerung gegenüber anderen

politik (zum Beispiel Unterstützung eigener Positio-

Kulturen. Der Kulturaustausch durch (weitgehend)

nen durch andere), für Export und Investitionen bis

unabhängige und autonome Akteure (Kultur-

hin zum Tourismus, nicht mehr mit den Methoden

mittler) hat sich dabei vielfach als zielführender

der Vergangenheit zu erreichen ist. Von daher ist

gezeigt, da staatlichen Aktivitäten häufig mit Miss-

ein neuer Ansatz nötig, der den Veränderungen der

trauen begegnet wird.

internationalen kulturellen Beziehungen und der Kommunikation Rechnung trägt.

Auch die Förderung langfristiger Beziehungen zwischen Institutionen und zwischen Individuen hat sich gegenüber kurzfristigen Aktionen als weit-

USA

aus effektiver erwiesen.

Voice of America, Radio Free Europe, Alhurra, u. a.

58

China

CCTV, China Radio International

48

Russland

Russia Today, Voice of Russia

32

Deutschland

Deutsche Welle

28

wird weiter wachsen. Die Zahl der deutschen Part-

UK

BBC World News, BBC World Service

27

nerschulen im Ausland konnte in den vergange-

France 24, Radio France International

12

Frankreich

Beim Ansatz eines dialogischen Kulturaustausches rückt automatisch der einzelne Mensch ins Zentrum der Kulturdiplomatie und damit auch der internationale Bildungsaustausch. Die Bedeutung der Auslandsschularbeit und der Außenwissenschaftsbeziehungen hat dadurch gewonnen und

nen Jahren auf 1.780 erhöht werden – darunter 140

Tab. 4: Zahl der Fremdsprachenprogramme von staatlich unterstützten Auslandssendern

deutsche Auslandsschulen. Mit über 250.000 ausländischen Studierenden zieht Deutschland nach den USA und Großbritannien die drittgrößte Zahl ausländischer Studierender an. Diese Zahl soll laut


104 Geopolitik und Kultur

Koalitionsvertrag bis zum Ende der Legislaturpe-

Länder sollten den Wettbewerb mit den Aufsteiger-

riode auf 350.000 Studierende gesteigert werden.

ländern auch im Bereich der Kultur annehmen, ins-

Zugleich soll die Zahl deutscher Studierender, die

besondere da einige der Aufsteigerländer bewusst

einen Teil ihres Studiums im Ausland absolvieren,

ihre Kulturarbeit gezielt gegen die mit der Kultur-

erhöht werden. Erreicht werden soll dieses unter

arbeit des Westens verbreiteten Werte einsetzen.

anderem durch eine stärkere Internationalisierung

China investiert heute mehr in seine Auslandskul-

der deutschen Hochschulen, durch eine intensivere

turarbeit als jedes andere Land (vgl. Young/Jong

Werbung für den Hochschul- und Bildungsstandort

2008).

Deutschland und die Verbesserung der Willkommenskultur, um die hohe Zahl der Abbrecher unter den ausländischen Studierenden zu reduzieren.

Den Dialog zwischen den Kulturen fördern und den Wettbewerb um ‚Soft Power‘ annehmen

Literatur

Khanna, Parag (2012): Surge of the ‚Second World‘. In: The National Interest [Center for the National Interest, Washington, D.C.], May/June 2012, S. 62–69.

Einer der wichtigsten Aspekte kulturellen Aus-

Kreft, Heinrich (2013): Deutschland, Europa und

tauschs ist die Tatsache, dass Kulturen sich selbst

die neuen Gestaltungsmächte. In: Aus Politik

durch Austausch gegenseitig befruchten und damit

und Zeitgeschichte, 63, 50–51/2013, S. 13–18.

weiterentwickeln. Kulturaustausch provoziert neues Denken und führt dadurch zu Innovationen. In dem Maße, wie transnationale und globale

Layne, Christopher (2012): The Global Power Shift from West to East. In: The National Interest

Probleme wachsen, benötigen wir neue Innovati-

[Center for the National Interest, Washington,

onen, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

D.C.], May/June 2012, S. 21–31.

Probleme aus dem Blickwinkel anderer Kulturen zu sehen und dadurch andere Fragen zu stellen,

Scowcroft, Brent (2012): A World in Trans­form-

kann solche Innovationen ermöglichen beziehungs-

ation. In: The National Interest, May/June 2012,

weise beschleunigen. Es ist wissenschaftlich erwie-

S. 7–9.

sen, dass interkulturelle Teams kreativer und innovativer sind als homogene. Kulturaustausch führt

Young, Nam Cho/Jong, Ho Jeong (2008): China's

zu größerer Pluralität, Diversität und Stimulation

Soft Power: Discussion, Resources and Prospects.

und damit zur Bereicherung aller Beteiligten.

In: Asian Survey, 48, 3, S. 453–472.

Auslandskulturarbeit ist kein Luxus, sondern eine strategische Investition in die eigene Soft Power

Zhang, Weihong (2010): China's cultural future:

und den immer wichtiger werdenden internatio-

from soft power to comprehensive national

nalen Kulturdialog. Der sich in der Weltwirtschaft

power. In: International Journal of Cultural

und in der internationalen Politik abzeichnende

Policy, 16, 4, S. 383–402.

relative Bedeutungsverlust des Westens würde sich noch beschleunigen, sollten die westlichen Gestaltungsmächte an dieser Stelle sparen und den Aufsteigerländern zunehmend das Feld überlassen. Das wachsende Engagement der Aufsteigerländer im Bereich der internationalen Kulturbeziehungen ist uneingeschränkt zu begrüßen. Die westlichen

Heinrich Kreft, Ministerialdirigent, Dr. phil., MA, BA (USA), geb. 1958, Botschafter und Beauftragter für

Außenwissenschaftspolitik und Bildung und den Dia­

log zwischen den Kulturen im Auswärtigen Amt, Ber­ lin. – Kontakt: heinrich.kreft@diplo.de


105

B. BERICHTE AUS DEM WIKA


106

2010 zusammen mit Prof. Thum organisiert, mit

Ein neuer Vorstand für den WIKA

dem er auch gemeinsam den WIKA-Report ins Leben gerufen hat. Geschäftsführung und WIKA-Mitglieder dankten Prof. Thum für sein großes Engagement und die vielfältigen Impulse, die er als Vorstand für

Mitgliederversammlung und Vorstandswahlen vom 29. November 2013

den WIKA gesetzt hat. Für den neuen Vorstand wie auch für den WIKA insgesamt kündigen sich viel versprechende Entwicklungen im Bereich der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspo-

Am 29. November 2013 fand in den Räumlichkei-

litik (AKBP) wie auch auf europäischer Ebene an.

ten der ifa-Bibliothek die jährliche Mitgliederver-

Nach langen Verhandlungen hat sich die Große

sammlung des WIKA statt. Da der amtierende

Koalition aus CDU/CSU und SPD zum Jahreswechsel

Vorsitzende Prof. Dr. Bernd Thum für eine wei-

auf ein Regierungsprogramm geeinigt, in dem die

tere Amtszeit nicht zur Verfügung stand, waren

AKBP hoffentlich wieder eine stärkere Gewichtung

Neuwahlen notwendig geworden. Zudem eröff-

im Rahmen der Außen- und Europapolitik erhal-

nete sich durch die im Januar 2013 in Kraft getre-

ten wird. Im Mai 2014 wurde das EU-Parlament

tene Satzung des WIKA erstmalig die Möglich-

neu gewählt. Es ist zu erwarten, dass in den kom-

keit, eine/n stellvertretende/n Vorsitzende/n zu

menden Monaten und Jahren sowohl auf nationa-

wählen. Bernd Thum, der den Vorsitz 2007 von

ler (deutscher), europäischer und internationaler

Prof. Dr. Volker Rittberger übernahm, hatte in

Ebene Impulse für die internationale Zusammen-

seiner knapp sechsjährigen Amtszeit wichtige

arbeit in Kultur, Bildung, Wissenschaft und For-

Impulse für die thematische Arbeit wie auch für

schung gesetzt werden.

die weitere In­stitutionalisierung des Initiativkrei-

Im Jahr 2014 wird der WIKA seine in den

ses gesetzt. Als Kandidatin für seine Nachfolge

zurückliegenden Jahren etablierten Aktivitäten

schlug der Generalsekretär des ifa, Ronald Grätz,

weiter entfalten. Mit der terminlichen Zusammen-

Frau Prof. Dr. Caroline Robertson-von Trotha vor,

legung von WIKA-Workshop (4./5.12.2014) und Mas-

die von den anwesenden Mitgliedern einstimmig

ter-/Doktorandenkolloquium (6.12.2014) begeht der

gewählt wurde. Die renommierte Kulturwissen-

WIKA im Herbst sein zehnjähriges Bestehen. Als

schaftlerin ist seit 2002 Direktorin des Zentrums

Veranstaltungsort wurde die Landesvertretung

für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium

Baden-Württemberg in Berlin bestimmt.

Generale (ZAK) des Karls­r uher Instituts für Tech-

Zum Jahreswechsel hat das ifa auch dem WIKA-

nologie (KIT) und engagiert sich vielfach in Fach-

Infobrief ein neues Gesicht gegeben. Der digitale

gremien kulturpolitischer Organisationen. So ist

Informationsbrief wird damit noch ansprechen-

sie seit 1995 Kuratoriumsmitglied des Instituts für

der, ohne dabei seine gewohnte Lesbarkeit und

Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft

den Fokus auf Information einzubüßen. Durch ein

e. V. (Bonn), seit 2009 Stellvertretende Vorsitzende

Relaunch des ifa-Webportals erhalten zudem die

im Fachausschuss Kultur der Deutschen UNESCO-

WIKA-Seiten eine neue Struktur, die weiter zur

Kommission (DUK) und seit 2012 Koordinatorin des

Sichtbarkeit des Initiativkreises beitragen wird.

Netzwerks für den Dialog zwischen den Kulturen der Anna Lindh-Stiftung. Die neue Funktion des Stellvertretenden Vorsitzenden wurde Dr. Gerd Ulrich Bauer durch Wahl übertragen, der dem WIKA seit seiner Gründung angehört. So hat Dr. Bauer den WIKA-Workshop


107

C. FORUM – EIGEN­STÄNDIGE BEITRÄGE


108

Hinweis darauf, wie erfolgreich dieses Mittel im

Außenpolitik auf Graswurzelebene

Fall Westdeutschlands gewesen sei, das, nicht zuletzt durch den Einsatz auswärtiger Kultur- und Informationspolitik, nach 1945 rasch vom Feind zum engen Partner der USA und des Westens geworden sei.

Auswärtige Kultur- und Informations­ politik als Forschungsfeld der Geschichts­wissenschaft

Die Geschichte auswärtiger Kultur- und Informationspolitik ist jedoch nicht nur Argument in aktuellen politischen Debatten, sondern auch ein Forschungsgegenstand, der in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen hat. Die Ergebnisse

von Reinhild Kreis (Mannheim)

dieser Studien sind weiterführend sowohl für die Fachdisziplin der (Politik)geschichte als auch für die Praktiker der auswärtigen Kultur- und Infor-

Ändert sich der Verlauf der Weltgeschichte, weil

mationspolitik. Drei Punkte sollen im Folgenden

Symphonieorchester im Rahmen staatlicher Kul-

besonders hervorgehoben werden: Erstens, aus-

turprogramme ins Ausland geschickt werden?

wärtige Kultur- und Informationspolitik als Inter-

Vergrößern sich außenpolitische Handlungsspiel-

aktion; zweitens, die Bedeutung von Emotionen in

räume, weil ein Land Kulturinstitute in aller Welt

der Politik(geschichte); und drittens die immer mit-

unterhält? Wachsen internationales Vertrauen und

schwingende Frage nach dem Erfolg oder Misser-

Verständnis durch Schüleraustauschprogramme?

folg dieser Politik. Dabei ist es erst einmal unerheb-

Staatliche auswärtige Kultur- und Informations-

lich, ob es sich um staatliche oder privat initiierte

politik oder Kulturdiplomatie war und ist stets

Programme handelt, wie sie etwa die Ford Found-

umstritten. Von den einen als unverzichtbares Mit-

ation durchgeführt hat, in welchem Verhältnis die

tel der Völkerverständigung und als „dritte Säule

jeweiligen Staaten zueinander standen und unter

der Außenpolitik“ neben Wirtschafts- und Sicher-

welchen politischen Rahmenbedingungen auswär-

heitspolitik gepriesen, gilt sie anderen als unlau-

tige Kultur- und Informationspolitik stattfand. In

tere Manipulation und Propaganda, während wie-

der Praxis waren diese Unterschiede von großer

der andere sie schlicht als Geldverschwendung

Bedeutung, doch auf der Ebene der Beobachtungen,

betrachten.

um die es hier geht, sind die Unterschiede graduel-

Je nach tagespolitischem Kontext flammen die Diskussionen über den Sinn und Unsinn der Kulturdiplomatie wieder auf. Das Beispiel USA zeigt dies wie kaum ein anderes: Nach dem Ende des

ler, nicht grundsätzlicher Natur.

Auswärtige Kultur- und Informations­ politik ist Interaktion, nicht (nur) Aktion

Ost-West-Konflikts löste die Regierung Clinton die United States Information Agency (USIA) auf, die

Kulturdiplomatie in einem Sender-Empfänger-

seit 1953 für die auswärtige Kulturdiplomatie des

Modell zu betrachten geht an der Sache vorbei.

Landes zuständig war. Nach dem ‚Sieg‘ des Wes-

Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Kul-

tens und dem Untergang der Sowjetunion schien

turzentren, die Staaten im Ausland unterhalten.

sie überflüssig geworden zu sein. Nur wenige Jahre

Sie sind dauerhaft an einem Ort präsent, teilweise

später, nach 9/11, beurteilten viele diesen Schritt

über Jahrzehnte, und schaffen so ein Stück Konti-

als Fehler und spekulierten, ob eine kluge Kul-

nuität. Als manifeste Gebäude und als Institutio-

tur- und Informationspolitik die Anschläge hätte

nen sind sie Teil einer Stadtgesellschaft. Als solche

verhindern oder zumindest bei der Verarbeitung

übernehmen Kulturzentren Funktionen, die weit

der Folgen helfen können. Selten fehlt dabei der

über den Versuch der Vermittlung bestimmter


109

WIKA-Report (Band 2)

Positionen und Inhalte hinausgehen. Sie stehen

als handlungsleitende Kategorien zurück in die

stellvertretend für das jeweilige Land in der gast-

Geschichte zu holen.

gebenden Stadt und sind Orte, an denen Symbolpo-

Kulturdiplomatie ist Vertrauenswerbung, also

litik betrieben und Deutungskonflikte ausgetragen

das Bemühen, Ängste und Misstrauen zu überwin-

werden.

den und Vertrauen zu schaffen. Diese Funktion

Das Amerikahaus Berlin während des Vietnam-

steht im Zentrum aller auswärtigen Kultur- und

kriegs zeigt dies eindrücklich. Während das ameri-

Informationspolitik. Vertrauenswerbung stand

kanische Kulturzentrum versuchte, die Politik der

hinter dem Bemühen der Weimarer Republik,

USA in Südostasien zu erklären, wählten die ‚68er‘

den Glauben der USA in Deutschland, seine Leis-

das Amerikahaus regelmäßig als Ort der Kritik, an

tungskraft, Zuverlässigkeit und Modernität wie-

dem sie gegen den Krieg protestierten. Doch auch

derherzustellen, ebenso wie hinter den sowjeti-

diejenigen Westberliner, die die amerikanische

schen Anstrengungen, nach dem Zweiten Welt-

Politik unterstützten und davon ausgingen, dass

krieg in den Staaten des Warschauer Paktes die

Berlin auch in Vietnam verteidigt werde, zogen

Freundschaft der sozialistischen Gesellschaften

vor das Amerikahaus, um dort ihre Sympathie mit

zu beschwören. Dahinter verbarg sich weit mehr

den USA und ihre Gegnerschaft zu den protestie-

als die omnipräsente Freundschafts- und Vertrau-

renden Studierenden auszudrücken. Als fest veran-

ensrhetorik. Kulturdiplomatie strebt an, Menschen

kerte Institutionen vor Ort waren die Amerikahäu-

und Kulturen miteinander vertraut zu machen

ser also nie nur Einrichtungen der amerikanischen

und somit den ersten Schritt zum Aufbau von Ver-

Kulturpolitik. Über die Jahre machten die deutsche

trauen zu leisten.

Bevölkerung und Politik die Häuser auch zu etwas

Das Konzept der Soft Power verweist auf diese

Eigenem. Sie betrieben Politik in, mit und über

zentrale Funktion: Es besagt, dass Staaten ihre Posi-

diese Häuser.

tion nicht allein über harte Machtmittel wie militä-

In ihrem Gastland haben Kulturzentren Besu-

rischen oder wirtschaftlichen Druck durchsetzen,

cher, Mitveranstalter, Beratungsausschüsse und

sondern auch über weiche Faktoren, insbesondere

Sponsoren. Als Orte der Interaktion offenbaren

die Anziehungskraft und Attraktivität ihrer Kultur,

sie einen ganzen Mikrokosmos an lokalen Bezie-

ihrer Werte, Ideen und Institutionen. Gehen Gesell-

hungsdynamiken, der unsichtbar bleibt, wenn sich

schaften davon aus, dass sie die gleichen Ziele, Ide-

politikgeschichtliche Forschung zu den internati-

ale und Werte vertreten wie ein anderer Staat, sind

onalen Beziehungen auf die Diplomatiegeschichte

sie eher bereit, mit diesem Staat zu kooperieren.

beschränkt. Die lokale Ebene spiegelt dabei nicht

Sie gehen davon aus, dass ihre Interessen in guten

einfach die ‚große Politik‘, sondern folgt vielfach

Händen sind.

eigenen Regeln, die durch eigene, lokale Erfahrungen und Erwartungen bestimmt werden.

Forschungen zur auswärtigen Kultur- und Informationspolitik holen die Emotionen zurück in die Politikgeschichte

Hier setzt auswärtige Kultur- und Informationspolitik an. Sie versucht, Übereinstimmung aktiv herzustellen, also gleiche oder ähnliche Perspektiven auf politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge zu etablieren. Ein gemeinsames Situationsverständnis soll dazu führen, gemeinsam zu handeln, im günstig­

In Studien zu internationalen Beziehungen ist

sten Fall im Sinne desjenigen Akteurs, von dem die

häufig von Angst, Vertrauen, Erleichterung oder

kulturdiplomatische Initiative ausgeht. Diese Auf-

Enttäuschung die Rede. Doch werden diese Emo-

gabe auswärtiger Kultur- und Informationspolitik

tionen meist nur konstatiert, selten systema-

ist nicht nur mit Blick auf die Bevölkerung verfein-

tisch analysiert. Auswärtige Kultur- und Infor-

deter Staaten bedeutsam, sondern auch innerhalb

mationspolitik ist bestens geeignet, Emotionen

von Bündnissen, denn hier ist es ebenfalls wichtig,


110

Außenpolitik auf Graswurzelebene

Übereinstimmung immer wieder herzustellen und

Interaktionen sichtbar, und sie zeigt Vermittlung

die Allianz nach innen zu stabilisieren.

zwischen Gesellschaften als Prozess – als einen

Der historische Blick auf auswärtige Kultur-

Prozess, der Vermittlungsinstanzen benötigt, wie

und Informationspolitik zeigt, dass Emotionen in

sie die auswärtige Kultur- und Informationspolitik

der Politik und Außenpolitik eine zentrale Rolle

bereitstellt.

spielen. Politische Handlungen – auch der Einsatz

Auswärtige Kultur- und Informationspolitik

von Kulturdiplomatie – sind nicht nur auf Interes-

ist nicht die kulturelle Begleitmusik der eigentli-

sen, sondern auch auf Gefühle zurückzuführen

chen Politik, sondern ein Bereich eigenen Rechts.

und zielen mitunter dezidiert darauf ab, bestimmte

Sie repräsentiert Staaten und Gesellschaften, deren

Emotionen zu erzeugen oder abzuschwächen, kurz:

Politik, Kultur sowie Lebensweise und stellt sie

Emotionen zu managen.

in einen Deutungszusammenhang. Staaten und

Und der Erfolg?

Gesellschaften nutzen sie, um gegenseitiges Verständnis zu fördern, aber auch zur Abgrenzung, und um Diskurse und Deutungen in ihrem Sinne

Ein guter Teil der Skepsis gegenüber auswärtiger

zu beeinflussen und so ihre Außenpolitik zu legi-

Kultur- und Informationspolitik rührt aus der

timieren.

Schwierigkeit, ihre Erfolge oder Misserfolge klar zu

Der geschichtswissenschaftliche Blick auf aus-

benennen. Hat auch sie dazu beigetragen, den Kal-

wärtige Kultur- und Informationspolitik führt

ten Krieg zu beenden und den Ostblock zu Fall zu

Bereiche zusammen, die in der Praxis häufig

bringen? Ist es auch ihr Misserfolg, dass viele Deut-

zusammenhängen, aber gerade in der Forschung

sche den Vietnamkrieg ablehnten? Wann und wie

längst nicht immer zusammen gedacht werden:

merkt man, ob sich auswärtige Kultur- und Infor-

Außenpolitik und lokale Ebene, Politik und Kul-

mationspolitik bezahlt macht?

tur, Staat und Gesellschaft. Das erweitert unser

Erfolg kann nicht nur daran gemessen wer-

Verständnis internationaler und transnationaler

den, ob das Zielpublikum seine Meinung in einer

Beziehungen und kann gleichzeitig Anhaltspunkte

konkreten Frage ändert oder außenpolitische

geben, worauf es bei der heutigen Kulturdiplomatie

Ziele erreicht werden. Kausale Zuordnungen sind

zu achten gilt.

jedoch kaum möglich. Der Blick auf Interaktionen und Netzwerke hilft hier, Konjunkturen zu ermitteln. Wen gewinnen Kulturzentren als Refe-

Literatur

renten oder Kooperationspartner? Wie verhalten sich Austauschteilnehmer nach der Rückkehr in ihr Heimatland? Sind sie weiterhin in Netzwerken

Behrends, Jan C. (2005): Die erfundene Freund­

aktiv, transferieren sie Werte oder Praktiken zwi-

schaft. Propaganda für die Sowjetunion in Polen

schen den Gesellschaften? Gibt es Proteste, wenn

und in der DDR (1944–1957). Köln: Böhlau.

bestimmte Programme eingestellt oder reduziert werden sollen? Wenn ja: wer protestiert? Der Direktor der United States Information Agency unter Kennedy, der bekannte Journalist

Caute, David (2003): The Dancer Defects: The Struggle for Cultural Supremacy during the Cold War. New York: Oxford University Press.

Edward Murrow, hat einmal gesagt: „No cash register rings when a man changes his mind“, und er hatte

Cull, Nicholas (2010): Public diplomacy: Seven

natürlich Recht damit. So schnell und eindeu-

lessons for its future from its past. In: Place

tig sind Erfolge in der Auswärtigen Kulturpolitik

Branding and Public Diplomacy 6, 1, S. 11–17.

nicht sichtbar. Hier lohnt die Langzeitperspektive der Historiker: Sie macht Verflechtungen und


111

WIKA-Report (Band 2)

Gienow-Hecht, Jessica C.E./Donfried, Mark (Hg.) (2010): Searching for a Cultural Diplomacy. Oxford/New York: Berghahn Books. Kreis, Reinhild (2012): Orte für Amerika. DeutschAmerikanische Institute und Amerikahäuser in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren. Stutt­gart: Steiner. Nye, Joseph S. (2008): Public Diplomacy and Soft Power. In: Cowan, Geoffrey (Hg.): Public Diplomacy in a Changing World. (Annals of the American Academy of Political and Social Science; 616, 1). Los Angeles, CA: Sage, S. 94–109. Scott-Smith, Giles (2008): Networks of Empire. The US State Department’s Foreign Leader Prog­ ram in the Netherlands, France, and Britain, 1950–70. Brüssel: Lang.

Dr. Reinhild Kreis, Studium der Geschichte und Ger­

manistik an der LMU München und am National Uni­ versity College of Ireland in Galway. Promotion im

Jahr 2009. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr­

stuhl für die Geschichte des europäisch-transatlanti­

schen Kulturraums an der Universität Augsburg. Aka­

demische Rätin a. Z. am Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim. Arbeitsgebiete: Trans­

atlantische Geschichte, Protestgeschichte, Konsum­ geschichte. – Kontakt: rkreis@mail.uni-mannheim.de


112

Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi 2011

Auswärtige Kulturund Bildungspolitik in Staaten im Umbruch: das Beispiel Myanmar

sowie die Durchführung freier und fairer Nachwahlen 2012 zu den Parlamentswahlen von 2010, welche die Oppositionspartei National League for Democracy (NLD) gewann. 3 In Folge pro-demokratischer Reformen (vgl. Croissant 2014; Bertelsmann Stiftung 2014) beschloss die Europäische Union (EU) 2012, ihre Sanktionen gegenüber der elektoralen Autokratie für ein Jahr auszusetzen. 2013 wurden die Sanktionen auch offiziell aufgehoben

von Anna Kaitinnis (Hannover)1

– das Waffenembargo ausgenommen (vgl. Human Rights Watch 22.04.2013; vgl. Council of the European Union 22.04.2013). Mit dem politischen Wan-

Politischer Wandel in Myanmar

del in Myanmar begann zugleich ein neues Kapitel der kulturellen Beziehungen zwischen Myanmar und der Bundesrepublik Deutschland: Ein Kultur-

„Deutschland wird den Reformprozess in

abkommen4 wurde im Juli 2013 abgeschlossen und

Myanmar durch den Ausbau der Beziehun-

das Goethe-Institut Yangon im Februar 2014 offizi-

gen im Bereich Bildung, Kultur und Zivil-

ell wiedereröffnet (vgl. Augustin 2014).

gesellschaft unterstützen. Kultur- und Bildungspolitik spielen beim Auf bau dieses Landes eine herausragende Rolle.“ (Pieper 03.04.2012)

Verknüpfung von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik mit Demokratieförderung

Der außenkulturpolitische Austausch war zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Myan-

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP)

mar2 in den vergangenen Jahrzehnten sehr gering.

ist eine „tragende Säule deutscher Außenpolitik“

Nach rund fünfzigjähriger Militärdiktatur und Jah-

(Deutscher Bundestag 19.12.2012: 2) und dient der

ren weitgehender politischer wie auch wirtschaft-

Unterstützung außenpolitischer Ziele. Eine Ver-

licher Isolation rückte Myanmar jedoch nach den

knüpfung von Demokratieförderung mit AKBP

Parlamentswahlen 2010 wieder in den Fokus der

erfolgte erstmals in der „Konzeption 2000“ (vgl.

internationalen Gemeinschaft. Ausschlaggebend

Auswärtiges Amt 2000: 1, 8, 11). In der „Konzeption

dafür waren die Beendigung des Hausarrests der

2011“ wird eindeutig der Anspruch, Demokratisie-

1  Dieser Beitrag basiert auf einer sechsmonatigen Studie zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch am Beispiel Myanmars, die im Rahmen des ifa-Forschungsprogramms „Kultur und Außenpolitik“ in Kooperation mit dem Bonn International Center for Conversion (BICC) durchgeführt wurde. Der vorliegende Artikel ist eine Zusammenfassung der Studie (vgl. Kaitinnis 2014). An dieser Stelle sei zudem darauf hingewiesen, dass alle verwendeten Personen- und Funktionsbezeichnungen in ihrer geschlechtsneutralen Bedeutung gemeint sind. 2  Im Jahr 1989 wurde die Union von Birma von der Militärregierung in Union von Myanmar umbenannt. Kurz darauf übernahmen die Vereinten Nationen diese Namensänderung (vgl. Geiger 2007: 8; Bünte im Erscheinen: 29; Revel 2007: 1). Im vorliegenden Beitrag wird die Bezeichnung Myanmar verwendet. Die Entscheidung hierfür ist jedoch keine politische Stellungnahme.

rungsprozesse durch AKBP zu fördern, formuliert: „Wir wollen die betroffenen Länder dabei unterstützen, eine tragfähige Demokratie in einer star-

3  Von den insgesamt 45 zur Wahl stehenden Parlamentssitzen entfielen 43 auf die NLD (vgl. Will 2012: 5). 4  Das Kulturabkommen bestimmt den rechtlichen Rahmen für die kulturelle und wissenschaftliche Kooperation zwischen Myanmar und Deutschland. „Es umfasst unter anderem den Kulturaustausch […] und Forschungsaufenthalte von Wissenschaftlern, Lehrern und Studenten.“ (Auswärtiges Amt 17.07.2013)


113

WIKA-Report (Band 2)

ken Zivilgesellschaft zu verankern.“ (Auswärtiges

50ff.). Laut Adam Przeworski setzt in autoritären

Amt 2011: 5)5

Ländern ein Demokratisierungsprozess als Folge

Ein demokratisches politisches System sollte

sozioökonomischer Modernisierung nach dem

Robert Alan Dahl zufolge bestimmte Minimal-

Erreichen einer sogenannten Transitzone von

kriterien erfüllen. Diese umfassen die Wahl von

1.000 – 6.000 US-Dollar Einkommen pro Kopf ein

Amtsinhabern, regelmäßige freie und faire Wah-

(vgl. Przeworski 28.01.2005: 3f.). Zwar gehört Myan-

len, ein sowohl passives als auch aktives Wahlrecht

mar zur Gruppe der weltweit am wenigsten entwi-

für möglichst alle Erwachsenen, Meinungsfreiheit,

ckelten Staaten (vgl. UNDP 2013: 3), jedoch stieg das

Informationsfreiheit sowie Organisations- und Koa-

Bruttoinlandsprodukt von 811 US-Dollar im Jahr

litionsfreiheit (vgl. Dahl 1989: 221). In welchem Aus-

2010 auf 914 US-Dollar im Oktober 2013 (vgl. Wirt-

maß die genannten Kriterien erfüllt werden, kann

schaftskammer Österreich 2013: 1). Wenn sich diese

aber von Land zu Land variieren. Daher lässt sich

Entwicklung weiter fortsetzt, sind die Demokrati-

festhalten: „Demokratie ist nicht gleich Demokra-

sierungschancen Myanmars Przeworski zufolge

tie“ (Schaller 2002: 1).

gut. Allerdings ist dieser Aspekt nicht das einzige Kriterium für die Demokratisierungsaussichten

Transformationstheorien und ihre Anwendung auf Myanmar

eines Landes.

Strukturalistische Transformationstheorien

In diesem Artikel soll gezeigt werden, wie AKBP

Dietrich Rueschemeyer, Evelyne Huber Stephens

einen Beitrag zur Demokratisierung Myanmars

und John Stephens vertreten die Auffassung, dass

leisten kann. Dabei wird auf Systemtheorien,

unter anderem das Machtverhältnis zwischen Staat

strukturalistische und kulturalistische Trans-

und Zivilgesellschaft entscheidenden Einfluss auf

formationstheorien sowie akteurstheoretische

die mögliche Etablierung und Konsolidierung eines

Ansätze zurückgegriffen. Die Theorien versuchen

demokratischen Systems hat. Die Wahrscheinlich-

anhand unterschiedlicher Ansätze, mögliche Ursa-

keit eines erfolgreichen Demokratisierungsprozes-

chen sowie Kriterien für den Erfolg und Misserfolg

ses steigt, wenn autonome zivilgesellschaftliche

von Demokratisierungsprozessen zu erklären (vgl.

Organisationen als Gegengewicht zum Staat agie-

Merkel 2010: 67).

ren (vgl. Rueschemeyer/Huber Stephens/Stephens

Systemtheorien

1992: 5). Bezogen auf die Rolle von Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Demokratisierungsprozess Myanmars wurde von Jasmin Lorch6 jedoch

Systemtheorien legen den Fokus auf die Wechsel-

empfohlen, ihre Funktion nicht zu überschätzen:

wirkung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.

„Wenn es mal so weit ist, dass die NGOs

Ein hoher sozioökonomischer Entwicklungsstand,

einen Menschenrechtsfokus haben und

ein gutes Bildungsniveau und geringe Klassenun-

beispielsweise Rechtshilfe anbieten, kön-

terschiede begünstigen nach Seymour Martin Lip-

nen sie natürlich eine Lobbyfunktion

set eine demokratische Kultur (vgl. Lipset 1960:

erfüllen, gerade in Bereichen wie Capa-

5  Bei einem Demokratisierungsprozess wird gemeinhin zwischen drei Phasen unterschieden: 1.) dem „Ende des autokratischen Systems“, 2.) der „Institutionalisierung der Demokratie“ und 3.) der „Konsolidierung der Demokratie“ (Merkel 2010: 95). Zumeist überschneiden sich jedoch die einzelnen Phasen, wobei auch Rückschritte möglich sind. Wird die Phase der Konsolidierung nicht abgeschlossen, kann sich eine defekte Demokratie herausbilden (vgl. Croissant/Thiery 2001: 23ff.).

city-Building oder Umweltschutz […]. Ich wäre aber vorsichtig, diese NGOs als einen Ersatz für politische Bewegungen […] zu sehen, da der Demokratisierungsprozess 6  Lorch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Asien-Studien des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.


114 Auswärtige Kultur und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch: das Beispiel Myanmar

ein gesellschaftlich breit getragener Pro-

„Die Wahrscheinlichkeit einer demokrati-

zess sein muss. In vielen […] Ländern sind

schen Staatsverfassung ist in ethnisch rela-

NGOs nicht unbedingt die Repräsentanten

tiv homogenen Staaten beträchtlich höher

der gesamten Gesellschaft, sondern von

als in ethnisch fragmentierten Gemeinwesen“

einer Bildungselite […].“ (Lorch 26.08.2013)

(Schmidt 2008: 421).

Eine breite Streuung der Machtressourcen in

Bezogen auf Myanmar ist diese Feststellung

Gesellschaft und Wirtschaft erhöht Tatu Vanha-

äußerst relevant. Das Land besteht aus sieben Divi-

nen zufolge den Demokratisierungsgrad eines

sionen, sieben ethnischen Teilstaaten sowie sechs

Landes (vgl. Vanhanen 2003: 28). Die Messung der

selbstverwalteten Zonen. Hinzu kommt die Stadt

Machtressourcen kann anhand des Index of Power

Nay Pyi Taw, die im Jahr 2005 neu gegründet und

Resources (IPR) erfolgen. Der Fokus liegt hierbei

mit der Verfassung von 2008 auch formell zur

unter anderem auf dem Urbanisierungsgrad sowie

Hauptstadt Myanmars erklärt wurde (vgl. Lidauer

der Verteilung der Wissens- und Bildungsressour-

2012: 90). Seit 1948 und der Unabhängigkeit des

cen, des Landbesitzes und anderer ökonomischer

Landes gibt es immer wieder bewaffnete Konflikte

Ressourcen. Weitere Kriterien bilden die Alphabeti-

zwischen Militärtruppen und Rebellengruppen

sierungsrate und die Studentenzahl im Hochschul-

ethnischer Minderheiten, die für mehr politische

bildungsbereich. Erstere liegt in Myanmar mit

Autonomie kämpfen (vgl. Lorch/Roepstorff 2013: 1).

95,8 % sehr hoch (Männer und Frauen zwischen 15

Bleiben die Konflikte ungelöst, ist der Demokrati-

bis 24 Jahren, Stand 2010) (vgl. index mundi o.J.[a]).

sierungsprozess stark gefährdet.

Letztere fällt mit 14,82 % vergleichsweise gering aus (Stand 2011) (vgl. index mundi o.J.[b]).

Akteurstheorien

Entscheidend für die Demokratisierungsaussichten eines Landes ist zudem das soziale Kapital einer Gesellschaft. Gemeint sind damit demokratiestützende Werte und Verhaltensweisen, die durch langfristiges zivilgesellschaftliches Engage-

Przeworski geht davon aus, dass die Entscheidung

ment erlernt, habitualisiert und als soziales Kapital

für oder gegen eine Demokratie maßgeblich von

gesammelt werden (vgl. Putnam 2000: 19). Je mehr

Präferenzen, Strategien und wahrgenommenen

soziales Kapital eine Gesellschaft vorweist, desto

Möglichkeiten der relevanten Akteure beeinflusst

unwahrscheinlicher wird den Annahmen nach das

wird und sich in Abhängigkeit der Demokrati-

Überleben eines autokratischen Systems. Myanmar

sierungsphase und der strategischen Situation

verfügt aufgrund seiner Kolonialgeschichte und

ändern kann (vgl. Przeworski 1991). Auch Bereiche

langen Diktatur über wenig Demokratieerfahrung.

der AKBP können von sich wandelnden Präferenzen und Strategien im Demokratisierungsprozess betroffen sein, wie in Myanmar bei der Kontroverse um die Erstellung eines Entwurfs für ein neues

Schlussfolgerungen für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik

Pressegesetz deutlich wird (siehe hierzu Harris 15.07.2013 und Aung 05.11.2013).

Kulturalistische Theorien

Ein hohes Bildungsniveau begünstigt systemtheoretischen Ansätzen zufolge die Einleitung von Demokratisierungsprozessen und wirkt zugleich stabilisierend: Bildung stellt eine Voraussetzung für die

Untersuchungsgegenstand kulturalistischer Theo-

Entwicklung mündiger Bürger und die Reduktion

rien bilden die sozialen Rahmenbedingungen, die

von Klassenunterschieden dar. Zudem leisten gut

gesellschaftliche Historie eines Landes, religiöse

ausgebildete Bürger einen entscheidenden Bei-

Aspekte und ethnische Faktoren:

trag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, die als weitere Bedingung für den Erhalt von


115

WIKA-Report (Band 2)

Demokratie betrachtet wird. Deswegen wurde der

ethnischen Minderheiten als Gefahr für die von

Bildungssektor als wichtigster AKBP-Bereich identi-

ihr angestrebte nationale Einheit betrachtet, ist

fiziert. In Myanmar sollten zunächst die Unterstüt-

ein besonders sensibler Umgang mit dem Thema

zung der Reformierung des Hochschulbereichs und

Multikulturalismus erforderlich. In diesem Kontext

Kooperationen in diesem Sektor Priorität haben.

üben NGOs, Medien- und Kulturschaffende sowie

Anschließend wird die Ausweitung des Engage-

Künstler als Multiplikatoren im Demokratisie-

ments auf den Primar- und Sekundarschulbereich

rungsprozess Myanmars eine entscheidende Rolle

empfohlen, um langfristig durch einen gleichbe-

aus. Sie können durch Austausch und Dialog einen

rechtigten Bildungszugang die Reduzierung von

Beitrag zum Friedensprozess und zur Konfliktprä-

Klassenunterschieden zu erreichen. Wichtig ist

vention leisten. Berücksichtigt werden müssen

daher ein Fokus auf staatliche und nicht auf pri-

auch Lehrer und Mönche, da sie in Myanmar oft

vate Schulen.

eine Vorbildfunktion einnehmen. Bei der Wahl von

Nach akteurstheoretischen Ansätzen können

Kooperationspartnern sollten sich die Akteure im

sich nutzenorientierte Präferenzen von Entschei-

Bereich der AKBP möglichst breit aufstellen, um so

dungsträgern während des Demokratisierungspro-

dem möglichen Vorwurf der Parteinahme für oder

zesses verändern und auf die Entscheidung für oder

gegen eine Gruppe zuvorzukommen.

gegen eine Demokratie auswirken. Unabhängige

AKBP kann zudem einen Beitrag zur Förde-

Medien fungieren in diesem Zusammenhang als

rung des sozialen Kapitals leisten, indem zivilge-

wichtige Informationsquelle, meinungsbildendes

sellschaftliches Engagement durch Kooperationen,

Medium und Kontrollinstanz. Diese Rolle können

Koproduktionen und Netzwerkaufbau unterstützt

zudem Künstler und Kulturschaffende einnehmen,

wird. Doch auch hier gilt: Die Partnerwahl muss

indem sie durch ihre Arbeit auf gesellschaftliche

mit Bedacht erfolgen. In Myanmar wird zum Bei-

oder politische Missstände hinweisen. Ihre Reich-

spiel einigen NGOs nachgesagt, dass sie der ehe-

weite ist in Myanmar aber noch vergleichsweise

maligen Militärregierung nahestehen. Eine Koope-

gering.

ration mit ihnen könnte folglich Ressentiments

Strukturalistischen Ansätzen entsprechend

gegenüber dem externen Akteur hervorrufen.

erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Demokratisierungsprozesses durch autonome zivilgesellschaftliche Organisationen als Gegen-

Ein kurzes Fazit

gewicht zum Staat. Sofern Mittlerorganisationen bereits während der Diktatur die Möglichkeit zur

Myanmar hat begonnen, den Weg Richtung Demo-

Kooperation mit autonomen zivilgesellschaftlichen

kratie zu beschreiten. Doch trotz der politischen

Organisationen haben, sollte diese genutzt werden.

Reformen muss bedacht werden, dass ein Demo-

Ein Fokus könnte zum Beispiel auf NGOs liegen,

kratisierungsprozess von verschiedenen internen

die sich auf die Bereiche Bildung, Kunst und Kultur

wie auch externen Faktoren beeinflusst wird und

oder Medien spezialisiert haben. Da der Einfluss

nicht immer in einer konsolidierten Demokratie

des Militärs auf Politik und Wirtschaft in Myanmar

endet. Auch wenn die aufgezeigten Möglichkeiten,

noch immer groß ist, sollten keine Kooperationen

durch Maßnahmen im Bereich der AKBP einen Bei-

oder Projekte durchgeführt werden, die sich gegen

trag zur Demokratisierung Myanmars zu leisten,

das Militär und die Regierung richten.

vielfältig sind, müssen sie im Gesamtkontext des

Die Wahrscheinlichkeit eines demokratischen Systems sinkt laut Schmidt in ethnisch heterogenen Staaten. Solange nicht über das politische Ordnungsprinzip in Myanmar entschieden wurde und die Regierung Autonomiebestrebungen der

Demokratisierungsprozesses als ein Mosaikstein unter vielen gesehen werden.


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Anna Kaitinnis, Studium der Kulturwissenschaf­

ten & ästhetischen Praxis an der Universität Hildes­

heim mit dem Schwerpunkt Auswärtige Kultur- und

Bildungspolitik in Transitionsländern. Diplomarbeit: „'Nische der Freiheit'? Das Goethe-Institut in Argenti­ nien während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983“.

Dissertation zur Rolle des Goethe-Instituts wäh­ rend der Demokratisierungsprozesse in Argentinien

(1982–1989) und Chile (1988–1994). Expertin des ifa-

Forschungsprogramms „Kultur und Außenpolitik“,

Studie zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch am Beispiel Myanmars. – Kon­ takt: kaitinnis@gmx.de


119

D. DOKUMEN足 TATION


120

der Niederlande und Deutschlands) war es der ECF

MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen Geschichte und Zukunft einer transnationalen Initiative

möglich, das Thema weiterzutragen und PublicPrivate-Partnership-Modelle praktisch zu testen, als Teil ihrer advocacy2. So war die EU-Präsidentschaftskonferenz in Slowenien (2008), mit tatkräftiger Unterstützung der ECF, von großer Bedeutung, ihr Ergebnis wurde in die Ratsdokumente der französischen Präsidentschaft (ebenso 2008) aufgenommen. Zu dieser Zeit war die ECF auch in engster Tuchfühlung mit der Europäischen Kommission, nicht nur bei Themen wie z. B. Mobilität oder Inter-

von Gottfried Wagner (Wien)

kulturellem Dialog, sondern auch beim Thema Kultur in den EU-Außenbeziehungen. Schließlich sah sich ein großer Teil der kulturellen Netzwerke

Vorbemerkung: Dieser Text ist nicht wissenschaft-

und der Zivilgesellschaft bestärkt in ihrer advo-

lich und auch deshalb nicht vollkommen objektiv;

cacy, als die Kommission die Europäische Kultur-

er drückt ausschließlich die Auffassungen des Ver-

Agenda 2007 erfolgreich lancierte3, deren „dritte

fassers aus, der an der Initiative als Berater mitge-

Säule“ nun tatsächlich „Kultur in den europäischen

wirkt hat.

Außenbeziehungen“4 war.

MORE EUROPE wird hier nicht so sehr im Nach-

Besonders wichtig war in diesem Kontext auch

vollzug der inhaltlichen Debatten analysiert, son-

die Aktion/Reaktion der Mitgliedstaaten der EU:

dern als organisationsdynamisch interessantes

2006 wurde das Netzwerk EUNIC gegründet, Euro-

europäisches Laboratorium für Politikentwicklung

pean National Institutes of Culture.5

1

auf neuen Feldern in neuen Allianzen.

Die Anfänge der Idee

Die Anfänge von MORE EUROPE Bei aller Dynamik dieser Entwicklung war die

Schon in den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts

Zeitspanne der Entstehung von operativen Ideen,

haben Stiftungen, das ifa (Institut für Auslandsbe-

ganz zu schweigen von institutionellen Kernen,

ziehungen), Universitäten (z. B. Hildesheim) und

von kleinen Schritten geprägt, wie so oft in neuen

andere über die Zukunft ‚europäischer‘ Kultur­

Politikfeldern. Die Gründe dafür lagen nicht nur

außenbeziehungen nachgedacht. Erinnert sei hier

im ungünstigen globalen sozioökonomischen

u. a. an Robert Peises Studie „Ein Kulturinstitut für

und politischen Umfeld, in dem sich die EU zu

Europa“ (2003) oder an die Studien der Europäi-

bewegen hatte, und nicht nur in der ‚mageren‘

schen Kulturstiftung (ECF), herausgegeben etwa von Kathinka Dittrich van Weringh und Ernst Schürmann (2004) oder Rod Fisher (2007). Zivilgesellschaftliche Organisationen, v. a. die ECF in Amsterdam und ihre Partner, haben zu diesem Thema Konferenzen und Workshops abgehalten, als gerade mal die innereuropäische Kulturstrategie (der EU) in Entwicklung war. In enger Zusammenarbeit

2  Vgl. die Broschüre „Europe as a Cultural and Political Project – ECF connects practice with policy and commits to bridging the gap between cultural action and policy­ making“, online unter http://static.squarespace.com/ static/526e5978e4b0b83086a1fede/t/52e640f7e4b05f271de72 54d/1390821623604/Advocacy%20brochure.pdf 3  Vgl. die „Europäische Kulturagenda“, online unter http:// ec.europa.eu/culture/our-policy-development/europeanagenda_de.htm

mit EU-Mitgliedstaaten (z. B. EU-Präsidentschaften

4  Vgl. http://ec.europa.eu/culture/our-policy-development/ culture-in-eu-external-relations_de.htm

1  Vgl. www.moreeurope.org

5  Vgl. http://www.eunic-online.eu/


121

WIKA-Report (Band 2)

Kompetenzlage der EU für Kultur – gar nicht zu

empfunden, die Berufung auf Komplexität als Seda-

reden von Außenkultur – bzw. der Komplexität der

tiv; vor allem aber war die Debatte auf der Ebene

Entstehung des Europäischen Auswärtigen Dien­

der staatlichen und halbstaatlichen Akteure zuneh-

stes (Ratsbeschluss 2010). Sondern sie lagen auch in

mend abstrakter geworden, d. h. auch abgekoppelt

der Ambivalenz der Mitgliedstaaten, zwischen Ein-

von der kulturellen Zivilgesellschaft.

sicht in die Notwendigkeit einer europäischen Soft

An dieser Schnittstelle trafen sich die Inter-

Power-Strategie und ihrer Unterstützung auf der

essen von ‚freien‘ Vertretern von Zivilgesellschaft

einen Seite und fast eifersüchtiger Betonung der

(Stiftungen und manche ihrer Netzwerkpartner

Kompetenzlage bzw. des Subsidiaritätsprinzips auf

im Feld) und von einigen Kulturinstituten. Unter

der anderen. Dazu kommt, dass die Mitgliedstaa-

günstigen Vorzeichen, die man nicht nur als zufäl-

ten sich in ihrer Außenkulturpolitik von einander

lig betrachten kann, wiewohl handelnde Perso-

unterscheiden, quantitativ und qualitativ, struktu-

nen und ihr ‚imaginativer Mut‘ wie immer eine

rell und ideologisch. Diese Heterogenität, die mit

wichtige Rolle spielten, wurde rasch und unbüro-

der gepriesenen Vielfalt einiges, aber nicht alles

kratisch eine Initiative aus der Taufe gehoben, die

gemeinsam hat, kann man auch in den Gremien

klein und zielgerichtet, flexibel und professionell,

und Netzen wiederfinden, die die Mitglieder der EU

mit beschränkter Lebensdauer, als Hebel für viel-

nutzten oder bauten, um gewisse Fortschritte bei

leicht Größeres und als Plattform für Debatten im

der Politikentwicklung auf diesem Feld zu ermög-

öffentlichen Raum zu dem Thema funktionieren

lichen bzw. Entwicklungen auch zu verhindern.

sollte.

Immerhin wurden unter ungarischer EU-Präsidentschaft (Pécs6) die Treffen der Generaldirektoren für Kultur der nationalen Außenministerien erweitert

MORE EUROPE Phase 1

um ihre Pendants in den Kulturministerien, eine bürokratisch-inhaltliche Tradition begründend, die

Zu den Gründern und Unterstützern im späteren

in Lublin, Kopenhagen und Vilnius mit mehr oder

Prozess zählten einige entschlossene Kulturinsti-

weniger Dynamik fortgesetzt wurde. Mindestens

tute7, die auch in EUNIC aktiv waren, sowie Stiftun-

ebenso wichtig war die Entwicklung von EUNIC,

gen8. Der Verfasser dieses Textes wurde als ‚Berater‘

das naturgemäß die Unterschiede im Wesen der

in das Steering Committee (SC) aufgenommen 9; als

nationalen Kulturinstitute bzw. Kulturabteilungen

Gastgeber der Initiative fungierte das Goethe-Ins-

der jeweiligen Ministerien reflektiert, was u. a. zu

titut Brüssel, das auch den organisatorischen Rah-

gewissen Problemen führte bezüglich der Nach-

men zur Verfügung stellte, und man einigte sich

haltigkeit von Governance von EUNIC und der Effek-

auf den etwas provokanten Namen trotz einiger

tivität seiner exekutiven Ebene in Brüssel. Auch

Bedenken vor allem derer, die daheim mit EU-Skep-

die derzeit 89 (!) Cluster in aller Welt spiegeln die

sis zu kämpfen haben. Das robuste operative Bud-

Vielheit und die Unterschiede, die Traditionen und

get wurde zunächst auf ein Jahr begrenzt, und ein

Ambitionen auf vielfältige Weise, produktiv oder

sehr kleines Team konnte unter der tatkräftigen

beharrend. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa 2011/ 2012, wuchs der Handlungsdruck aus einer kritischen Masse von unbeantworteten Fragen nach Strukturen, Ressourcen und vor allem Inhalten; das Tempo wurde von vielen als lähmend 6  Vgl. den Bericht vom Treffen europäischer Außen- und Kulturpolitiker im ungarischen Pécs vom 22. bis 24. Juni 2011, „Culture may also play a conciliatory role“, online unter www.eu2011.hu/news/culture-may-also-play-conciliatory-role

7  Dies sind das Goethe-Institut, British Council (BC), das Institut Français, das Dänische Kulturinstitut, ifa (Institut für Auslandsbeziehungen), später auch AC/E (Acción Cultural Española); vgl. diesen Beitrag, S. 124. 8  European Cultural Foundation (ECF), Fritt Ord (Norwegen), später dann auch als Unterstützer die Allianz-Kulturstiftung, Fundação Calouste Gulbenkian sowie Experten aus deren kulturellen Netzwerken. 9  Weil er zu dieser Zeit nicht mehr Direktor der ECF, sondern für das österreichische Kulturministerium (BMUKK) tätig war.


122

MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen

Führung von Sana Ouchtati unter dem Dach des

verlief reich an Selbstreflexion der Akteure, Kritik

Goethe-Instituts beginnen.

und Selbstkritik; der Vergleich der Konzepte von

Als die drei Kernaufgaben verstand man:

stärker zentralisierter und dezentraler Kulturarbeit

1. d ie öffentliche Debatte und Politikentwick-

(arm’s length principle) war wesentlich; der mittler-

lung unter aktiver Ein­beziehung des Feldes,

weile oft zitierte Paradigmenwechsel von klassi-

der Experten, Künstler, Kulturschaffenden,

scheren Konzepten der Kulturdiplomatie zu einer

Medienleute, Intellektuellen, zivilgesell­

mehr beziehungs- und kooperationsorientierten

schaftlicher Institutionen;

Kulturarbeit (wechselseitiges Lernen, Zuhören und

2. d ie advocacy, das kundige Werben für Fort­schritte auf diesem Sektor, vis-à-vis den euro­-

Verstehen etc.) wurde als neuer Standard von vielen begrüßt bzw. bestätigt.

päischen Institutionen, v. a. Parlament, Kom-

Insgesamt hat die Arbeit des ersten Jahres

mission und European External Action Service

(2012) zu den politischen ‚Verdichtungen‘ beigetra-

(EEAS), aber auch gegenüber dem Rat, den

gen, z. B. im Zusammenwirken zwischen Europäi-

Mitgliedstaaten;

schem Parlament und Kommission, wonach die Pre-

3. ‚Forschung‘ und Entwicklung, d. h. das Erfassen, Erarbeiten und Diskutieren von

paratory Action13 als Projekt ausgeschrieben wurde, die 2014 zum öffentlichen Abschluss kam.

inhaltlichen Positionen, die wiederum in 1. und 2. eingespeist werden sollten. Alle konkreten Informationen sind auf der Website

MORE EUROPE Phase 2

von MORE EUROPE zu finden, sowohl über die Konferenzen, die in Kooperation mit Partnern organi-

Inspiriert durch den relativen Erfolg dieser klei-

siert wurden10, die aktive Teilnahme an Veranstal-

nen Initiative sowie durch die Bewegung, die in

tungen von Partnern11, die Arbeitspapiere, z.­ B. das

die gesamte Szene gekommen war, hat das Stee-

in Kopenhagen vorgestellte Dossier von Damien

ring Committee beschlossen, die Arbeit von MORE

Helly,12 etc.

EUROPE fortzusetzen und finanziell weiter zu

Das Ergebnis dieser öffentlichen Konsultatio-

unterstützen. Im Jahr 2 seiner Existenz (2013) soll-

nen wurde in die advocacy eingespeist und mit den

ten die Debatten mit den Experten und Entschei-

Schlüsselpersonen in den Direktionen der Kommis-

dungsvorbereitern der Drittländer verstärkt aufge-

sion (Bildung und Kultur, Entwicklung, Forschung)

nommen werden, über alle horizontalen Themen

ebenso wie den Ausschüssen des Europäischen Par-

wie:

laments diskutiert, wobei einige der Kernvorstel-

lungen, wie etwa die strukturellen und personellen Voraussetzungen für bessere Koordination auf

„Kultur und …“ (z. B. „Kultur und Entwicklung“, „Kultur und Konfliktmanagement“ etc.),

EU-Ebene, sich schon recht früh herauskristallisier-

über Fragen der Kreativindustrie und des globalen Marktes,

ten (und 2013 realisierten). Die inhaltliche Debatte

über Fragen der neuen Medien und Kommu­-

10  So z. B. Brüssel (gemeinsam mit dem European Policy Centre), Paris, Kopenhagen, Amsterdam, Warschau (gemeinsam mit EUNIC und dem österreichischen Kulturforum), Berlin (gemeinsam mit der Allianz-Kulturstiftung), Lissabon 2012 und Marseille 2013.

über Fragen wie Kultur und EU-Nachbarschaft,

über Kultur und strategische Partner der EU,

über Werte und Instrumentalisierung,

über neue Instrumente und Methoden der

nikationstechnologien,

11  In Prag über „Public and Cultural Diplomacy“ in Koopera­t ion mit den tschechischen Ministerien für Kultur und Außenbeziehungen, sowie in Belgrad in Kooperation mit dem Culture Contact Point Serbia (CCP). 12  Vgl. http://www.moreeurope.org/?q=content/who-we-arewhat-we-do-together-and-how-avenues-european-externalcultural-relations

Kulturzusammenarbeit etc. Dabei sind große Veranstaltungen (Marseille 2013) und kleinere Beteiligungen (z. B. Arab-Balkan13  Vgl. http://ec.europa.eu/culture/news/20130109-preparatory-action_en.htm


123

WIKA-Report (Band 2)

Cooperation in Belgrad) den Facetten der Nachbar-

sowie mit dem Generalsekretariat des EEAS, dessen

schaftspolitik gewidmet worden (gegenüber der

Chef, der exekutive Generalsekretär, auch mehr-

östlichen Nachbarschaft bei der Warschauer Konfe-

fach bei MORE EUROPE-Veranstaltungen mit dis-

renz). Andere Gespräche (etwa mit der Türkei über

kutierte.

die spezifische neue Rolle des Landes, seine außenkulturpolitischen Erwartungen und die Verortung im Rahmen der Integrationsverhandlungen) oder

MORE EUROPEs ‚politische Chemie‘

mit den USA (im Rahmen der anlaufenden Verhandlungen zum Freihandelsabkommen) haben

Zu erwähnen ist einmal die führende Rolle des

nicht zu ähnlichen Großkonferenzen geführt.

Goethe-Instituts, das als besonders europäisches

Einmal wegen der politischen Lage in der Türkei,

Institut (siehe Satzung) und als besonders erfah-

zum anderen wohl wegen der höchsten Sensibili-

ren mit hoher kultureller Autonomie (im Rahmen

tätsstufe bezüglich Kultur und Freihandel, exemp-

der politischen Gesamtstrategie) sowie mit dem

lifiziert durch das französische Veto zur Einbezie-

finanziellen Rückhalt eines großen Instituts bereit

hung von Kultur. Andererseits wurden intensivste

und geeignet war, unorthodoxe guidance zu leisten

Kontakte gepflegt, die einige Mitglieder des Steering

und dabei einige Risiken einzugehen. Der Leiter

Committees individuell verstärkt in die Lage ver-

des Instituts in Brüssel hat sich dabei besonders

setzten, sich mit weiteren Partnern zu einem eige-

ausgezeichnet und konnte als Mitglied der Strate-

nen Konsortium zusammenzuschließen, das sich

giegruppe von EUNIC auch – im Wissen über jewei-

dann (erfolgreich) um die Ausführung der Prepara-

lige Stärken und Schwächen, Herausforderungen

tory Action bewarb, ein Konsortium, das mit MORE

und Chancen – konstruktive Gesprächs- und Ent-

EUROPE als solchem nicht zu verwechseln ist.

wicklungsangebote machen. Dazu kommt, dass die

Einzelne Mitglieder des Steering Committees

Position Deutschlands in Europa und der Welt sich

haben besonders zur Forschung beigetragen, so

in exakt diesen Jahren deutlich veränderte, was

etwa ifa14, das das „EUNIC-Jahrbuch“ zu Themen der

größere Verantwortung mit sich brachte. Im Kul-

Auslandskulturpolitik gestaltet. Das MORE EUROPE-

tursektor war Goethe seit vielen Jahrzehnten daran

interne Politikverständnis hat sich konsolidiert

gewöhnt, mittels offener Kulturarbeit im weiten

bzw. ausdifferenziert und konnte in die advocacy

Sinn und in der Arbeit mit künstlerischer Exzel-

eingebracht werden, z. B. vis-à-vis anderen General-

lenz, in hoher Autonomie ein aufgeklärtes Deutsch-

direktionen (DG) der Kommission, vor allem aber

landbild in Europa und der Welt zur (durchaus kon-

auch vis-à-vis dem EEAS, dem Auswärtigen Dienst.

troversen) Debatte zu stellen. Mit MORE EUROPE

Die verschiedenen Ebenen des Diskussions-

hat das Goethe-Institut einen weiteren Schritt der

prozesses sind systematischer zusammengeführt

Europäisierung unterstützt, den es allerdings nicht

worden, so waren etwa MORE EUROPE und Exper-

alleine hätte gehen können.

ten (etwa auch in der Preparatory Action aktiv) bei

Der British Council – mit durchaus anderen

Präsidentschaftskonferenzen eingebunden, etwa

jüngsten historischen Erfahrungen als Agentur

in Vilnius15; Vertreter von MORE EUROPE waren

eines EU-Mitgliedstaates, der sich z. B. stark im

im Europäischen Parlament zu Hearings über das

Irak engagiert hatte – hat ein hohes Interesse an

Thema; besonders intensiv war der inhaltliche Kon-

Internationalisierung in partnerschaftlicher Form

takt naturgemäß mit der DG „Bildung und Kultur“

(mutuality), an Konzepten wie Lerngemeinschaften

14  Der jüngste Forschungsbericht von ifa für MORE EUROPE wird im April 2014 vorliegen und einen Überblick über gegenwärtige EU-Funds bieten sowie zur Debatte über alternative Formen der Kooperation und des Funding geben. 15  Vgl. http://static.eu2013.lt/uploads/documents/Programos/ Informal%20Meeting%20of%20Senior%20Officials_Draft.pdf

etc., und ist darüber hinaus auch ein Institut, das mit einem viel geringer gewordenen Prozentsatz an öffentlichen Mitteln Kulturarbeit machen (und verdienen) muss. Damit sind Synergien, Kooperationsmodelle, EU-Partnerschaften besonders wichtig


124

MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen

für den Council. Es ist nicht überraschend, dass es

der Sichtbarkeit her, sowie bezüglich Dissemina-

die Generalsekretäre des Goethe-Instituts und des

tion und europäischer zivilgesellschaftlicher Reich-

British Council waren, die nicht nur in EUNIC Füh-

weite.

rungsarbeit geleistet haben, sondern auch bei MORE EUROPE den Prozess signifikant unterstützen. Frankreich hat in den letzten Jahren intensiv

2012 ist dann ein sehr aktives neues Mitglied aufgenommen worden, ein neuer Spieler auf dem Feld, die spanische AC/E (Acción Cultural Española)16.

und in mehrere Richtungen über die Struktur sei-

Dem Charakter als befristete Initiative, die

ner Auslandssprach- und -kulturarbeit debattiert;

sich stark der Zivilgesellschaft und den Experten

es stand von Anfang an fest, dass das Institut Fran-

on the ground verpflichtet fühlt, ist es wohl auch zu

çais im Steering Committee von MORE EUROPE ver-

danken, dass sich die Organisation ein Höchstmaß

treten war und sehr aktiv an dessen Entwicklung

an Orientierung an inhaltlichen, kulturellen Kri-

mitgearbeitet hat, fast eine Bedingung sine qua

terien sowie an Flexibilität erhalten konnte. Die

non, wenn man die Bedeutung Frankreichs in der

Chemie, die Mischung und der ‚Biss‘ waren aber

europäischen Kulturpolitik in Erinnerung ruft.

offenbar so interessant, dass es von verschiedenen

Ergänzt wurde dieses starke Trio durch ein (auch

Seiten Appelle gegeben hat, die Arbeit nicht mit

finanziell) engagiertes kleineres Kulturinstitut,

dem Erreichen wesentlicher Ziele auf EU-Ebene

Dänemark, mit hohem Feeling für die Anliegen der

einzustellen, sondern über das Erbe unter neuen

weniger großen, und durch ifa, das den Forschungs­-

Gesichtspunkten nachzudenken.

aspekt beförderte und für die Liaison zu EUNIC wichtig war. Dennoch, einer der Hauptunterschiede von

Zwischenspiel: Die ‚Preparatory Action‘

MORE EUROPE im Vergleich zu EUNIC ist nicht nur seine Kleinheit und zeitliche Limitierung als Pro-

Die Preparatory Action (PA) „Culture in EU External

jekt, später als „speed boat“ bezeichnet (verglichen

Relations“17 ist eine Initiative, finanziert durch die

mit dem Tanker, der sich langsamer bewegt), son-

Europäische Union, implementiert durch die Euro-

dern vor allem der zivilgesellschaftliche Charak-

päische Kommission, DG „Bildung und Kultur“,

ter von MORE EUROPE, repräsentiert durch sehr

mit der Unterstützung durch ein Konsortium aus

aktive Kernarbeit von Stiftungsvertretern sowie

acht Kulturinstituten und Organisationen, das eine

durch finanzielle und inhaltliche Partnerschaften.

entsprechende offene Ausschreibung gewonnen

Allen voran ist hier die erfahrene European Cultu-

hatte. Initiiert wurde die Preparatory Action durch

ral Foundation (ECF) zu erwähnen, die einzige pan-

das Europäische Parlament – in Verfolgung seiner

europäische Kulturstiftung von einiger Substanz,

Resolution über die kulturellen Dimensionen der

die dem Thema schon Jahre vorher verbunden war,

Europäischen Auswärtigen Aktion. Das Parlament

die auch exzellente Kontakte zu anderen wichtigen

hatte die Entwicklung einer sichtbaren gemeinsa-

Stiftungen und kulturellen Netzwerken einbrachte

men EU-Strategie gefordert. Die PA lief bis Mitte

und weiter aktiviert. So gelang es, die norwegische

2014 mit folgenden Etappen:

Stiftung Fritt Ord (Freies Wort) als wesentlichen

Partner zu gewinnen, ohne deren Hilfe die Finan-

gien in den Mitgliedstaaten und einer Reihe

zierung zu Beginn schwierig gewesen wäre und deren Ethos als eine Einrichtung, die dem offenen,

Mapping der Ressourcen, Zugänge und Strate­von Partnerländern,

Konsultationen mit einer weiten Vielfalt an

freien Wort verpflichtet ist, die inhaltliche Unab-

Stakeholdern aus der EU und Drittländern mit

hängigkeit wesentlich stärkte. Die Partnerschaft

dem Ziel, zur Entwicklung von Vision

mit anderen Stiftungen wie der Fundação Calouste

und Strategie beizutragen,

Gulbenkian und der Allianz-Kulturstiftung hat auf vielen Feldern Früchte getragen, inhaltlich, von

16  Vgl. http://www.accioncultural.es/ 17  Vgl. http://cultureinexternalrelations.eu/


125

WIKA-Report (Band 2)

Präsentation und Diskussion von Schluss­folgerungen und Empfehlungen für einen

MORE EUROPEs Zukunft

strategischen EU-Plan auf einer Schluss­konferenz.18

In diesem Lichte ist zu fragen, wie es mit MORE

Drittländer waren vor allem die EU-Nachbarn

EUROPE tatsächlich weitergehen soll. Wie gesagt,

sowie zehn strategische Partner wie China, die USA

es gibt lebhafte Zurufe aus allen Ecken, weiterzu-

und andere.

machen; es mag auch hie und da Sorge geben, dem

Das Konsortium besteht aus acht Partnerorga-

Wettbewerb geschuldet, und sicher gibt es ernst-

nisationen19 – assoziierter Partner ist EUNIC Global

hafte interne Überlegungen bei den Partnern in

– und wird von einem Team von Experten unter der

MORE EUROPE zu Vor- und Nachteilen, Kosten,

Leitung von Prof. Yudhishthir Raj Isar unterstützt.

Risiken und Chancen.

Das PA-Team ist weiter als das von MORE

Bloße Kontinuität macht keinen Sinn (das

EUROPE, folgt vollkommen eigenen Regeln, die von

Ziel scheint zunächst einmal erreicht), oder erst

der EU-Kommission vorgegeben sind, und ist letz-

und nur dann, wenn Zielparameter und auch die

terer verantwortlich. Selbstverständlich hat MORE

Arbeitsbedingungen und Modi Operandi verändert

EUROPE ein Interesse an möglichst guten Ergeb-

würden. Die Diskussion darüber orientiert sich

nissen der PA, noch dazu, wo einige Mitglieder in

unter anderem an:

beiden Initiativen tätig sind. Ein gutes Ergebnis

Fragen der Umwelt: Was kann das wesentlich

der Preparatory Action kann die Gesamtarbeit aller

größere und tendenziell sehr starke Netz-

(öffentlicher und privater, zivilgesellschaftlicher

werk EUNIC, ebenfalls unter Veränderungs-

und nationaler/transnationaler Akteure) auf eine

druck, hinsichtlich Governance, Management,

neue Stufe der Forschung und öffentlichen Debatte

Flexi­bilität und Tempo, Effizienz, Einbindung der Zivilgesellschaft erreichen und wann?

heben hinsichtlich Radius und Tiefe. Was besonders wichtig erscheint: Die Ergeb-

Fragen der politischen Governance: Wie können

nisse werden die Politik herausfordern. Es steht zu

die politischen Stakeholder national und euro-

erwarten, dass sich die entsprechenden Instanzen

päisch zu fruchtbarer Einigung kommen, die

damit sehr konstruktiv beschäftigen werden.

den Lehren der vielfältigen Vorarbeiten und den eigenen Erwartungen gerecht wird hin-

Damit hätte auch MORE EUROPE ein wesentli-

sichtlich Autonomie, Koordination, Synergie,

ches Ziel mit beeinflusst.

Strukturen, gelebter Komplementarität etc.? •

Fragen der Effizienz auch hinsichtlich Finan­­­zierung und Autonomie der möglichen nächsten Generation der Initiative MORE EUROPE:

18  Anm. der Redaktion: Der vorliegende Beitrag wurde vor der Konferenz zu Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union („Culture in EU External Relations“) fertiggestellt, die am 7./8. April 2014 in Brüssel stattgefunden hat (vgl. http://cultureinexternalrelations.eu/conference/). In der Zwischenzeit ist auch ein Endbericht zur Konferenz erschienen, der online abrufbar ist unter http://cultureinexternalrelations.eu/wp-content/uploads/2013/05/Engaging-The-WorldTowards-Global-Cultural-Citizenship-eBook-1.5_13.06.2014. pdf; vgl. auch den Konferenzbericht von Bernd Thum im vorliegenden Band. 19  Neben dem Goethe-Institut Brüssel als lead organization sind dies BOZAR (Palais des Beaux-Arts de Bruxelles), British Council, Dänisches Kulturinstitut, European Cultural Foundation (ECF), ifa (Institut für Auslandsbeziehungen), Institut Français sowie KEA European Affairs.

eigener Rechtskörper mit finanzieller Hand­lungsfähigkeit und adäquaten Arbeitsbedingungen? •

den Erwartungshaltungen der Freunde von MORE EUROPE 2.0.

Es steht zu erwarten, dass bis zum Sommer 2014, jedenfalls nach dem Vorliegen der Ergebnisse der PA und der darauf folgenden ersten Diskussionen, eine Grundsatzentscheidung und die notwendigen konkreten Schritte vereinbart werden können.


126 MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen

Literatur

Dittrich van Weringh, Kathinka/Schürmann, Ernst (2004): Braucht Europa eine Außenkultur­ politik? Does Europe Need a Cultural Foreign Policy? (Kulturpolitische Mitteilungen; Beiheft 3). Bonn: Kulturpolitische Gesellschaft. Fisher, Rod (2007): A Cultural Dimension to the EU's External Policies – From Policy Statements to Practice and Potential. Amsterdam: Boekman­studies/LabforCulture.org. Peise, Robert (2003): Ein Kulturinstitut für Europa. Untersuchungen zur Institutionali­sierung kultu­reller Zusammenarbeit. (Studien zur Kulturpolitik; 1). Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang.

Gottfried Wagner, Mag., Ministerialrat, geboren 1950 in Kitzbühel, nach dem Studium der Philosophie und

der Germanistik 15 Jahre Lehrer an einer Wiener AHS und an der Universität Wien. Ab 1990 im Bundesmi­ nisterium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK)

der Republik Österreich, ab 1994 Direktor von Kul­

turkontakt Austria. Von 2002 bis 2009 Direktor der Europäischen Kulturstiftung in Amsterdam, einer

unabhängigen transnationalen Stiftung nach nie­

derländischem Recht. Seit 2010 im BMUKK tätig, u. a. Beratung im Bereich (internationale) kulturelle Strate­ gien. – Kontakt: gottfried.wagner@bmbf.gv.at.


127

Augen haben die Revolten in den arabischen Staa-

Diskussion:

ten die dortigen Zivilgesellschaften zum politischen Akteur prädestiniert. Sie könnten, ahnt er, den europäischen Zivilgesellschaften intellektuell und strategisch noch nachhelfen. Das wird hierzu-

„Vom Raum des Wissens zum Raum des Handelns“

lande wohl als brisant empfunden werden. Vor den Europäern stehe nun die Aufgabe, ihr Kulturwissen in Richtung auf eine Gemeinsamkeit mit den Kulturen des MENA-Raumes weiterzuentwickeln. An diesem „gemeinsamen gesellschaftlich-kultu-

Anmerkungen zu Bernd Thum: „Ein Euro-Mediterraner Wissens- und Handlungsraum als strategisches Ziel“ (WIKA-Report Band 1)

rellen Wissen“, erklärt Thum zu Recht, mangelt es bislang. Eine Pointe, die für die interkulturelle Theorie der Kommunikation ein Stich sein dürfte, liegt in Thums Forderung, die Unterschiedlichkeit der Kulturen gerade nicht zu betonen – wie es Heerscharen von interkulturellen Trainern tun –, son-

von Armin Triebel (Berlin)

dern durch eine politische Dezision in Richtung auf die Schaffung eines gemeinsamen Wissensraums zu überspielen.

In einem Zeitungsartikel stellte Shimon Stein, der

Angesichts des Versagens von bestellten Poli-

ehemalige Botschafter Israels in der Bundesrepu-

tikern ist es einleuchtend, die ausstehende poli-

blik, 2011 fest, die Sicherheit und Stabilität Euro-

tische Gestaltung von den Zivilgesellschaften zu

pas hänge von der Situation in Nordafrika und im

erwarten. Aber was ist von einem „gemeinsamen

arabischen Raum ab (Stein 2011). Deshalb sei die

Wissensraum“ zu halten, in dem evangelische

Stabilisierung der Lage in den Ländern des MENA-

Kirchengemeinden sich allein schon gegen einen

Raumes von vitalem Interesse für Europa. Das ist

Abendvortrag über den Islam wehren und in dem

das politische Argument für die Intensivierung der

Populisten für ein ausländerfreies Europa Propa-

interkulturellen Kommunikation zwischen diesem

ganda machen? Auch darf man nicht übersehen,

Teil der Welt und Europa. Das kulturell-moralische

dass aus gewissen Ecken der nicht-staatlich orga-

Argument käme zu demselben Ergebnis, weil diese

nisierten Öffentlichkeit recht unangenehme Töne

Länder einschließlich der Regionalmacht Iran vor

schallen, die nicht auf demokratisch gestimmten

der Haustür Europas liegen und durch ein vielfäl-

Instrumenten zustande gekommen sind. In der

tiges historisches Erbe mit Europa und also auch

„Dritten Welt“ schlagen sich in den Mantel zivil-

mit Deutschland verbunden sind. Stein stellte den

gesellschaftlicher Akteure gerne auch Kriegs-

Europäern vor drei Jahren ein schlechtes Zeugnis

unternehmer und politische Duodezfürsten. Bei

aus. Die europäische Vision, dem Mittelmeerraum

dem beobachtbaren Ausmaß gegenseitigen Nicht-

Prosperität und Stabilität zu verleihen, sei geschei-

wissens und jederzeit mobilisierbarer Feindbilder

tert, und die Politik der Europäischen Union (EU)

wird die Rede von „verdichteter Kommunikation“

habe bis zur „Arabellion“ eigensüchtig, kurzsichtig

unheimlich. Wer von Zivilgesellschaft spricht, darf

und im Widerspruch zu den eigenen Fensterreden

also von institutionellen Sicherungen gegen illibe-

autokratische Systeme, die nicht den europäischen

ralen Populismus und vorurteilsbesessene Unduld-

Idealen von Freiheit und Demokratie entsprachen,

samkeit nicht schweigen.

gestützt.

Kennzeichen eines „dynamische[n] Wissens- und

Bernd Thum traut den gegenwärtigen Politi-

Entwicklungsraum[s] […] sind die ständigen wech-

kern der EU offenbar auch nicht viel zu. In seinen

selseitigen und zwar schöpferisch-konstruktiven


128

Vom Raum des Wissens zum Raum des Handelns – Replik auf Bernd Thum (2012)

Anpassungen“ (Thum 2012a: 91, S. 1). Da dieses Kenn­-

Was Thum als Wissensraum begreift, ist im

zeichen auf viele politisch-geographische Räume

Prinzip ein weit anspruchsvolleres Konzept als die

verdichteter Kommunikation zutrifft, stellt sich in

Kulturkreise, die ein Samuel Huntington aus der

der Tat die Frage, worin das „kulturspezifisch dif-

Mottenkiste europäischer Denktraditionen herauf-

ferenzierte Kulturwissen“ des Euro-Mediterranen

geholt und für uns neu aufpoliert hatte. Die kol-

Raumes besteht. Hier öffnet sich noch immer ein

lektiven Identitäten, die Huntington mit seinen

weites Feld für die Erforschung und Konstruktion

Großregionen verbindet, sind Mischungen aus alt-

einer europäischen, speziell euro-mediterranen

europäischer Völkerpsychologie und zeitgeschicht-

Identität. Das gemeinsame Kulturwissen wird, so

lichen Vorurteilen und so gut wie immun gegen

hofft Thum, Folge „einer ‚Überprüfung und Neu-

Veränderung. Mit dem Begriff Wissensraum sind

ord­nung‘ des Wissens im Euro-Mediterranen Raum“

im Sinne von Bernd Thum hingegen „als beweg-

(ebd.) sein.

lich begriffen[e] kulturell[e] und transkulturell[e]

Die neue, gemeinsame Wissensordnung ist eine

Bezugssysteme“ gegeben (Thum 2012a: 92, Sp. 2).

Aufgabe der Zukunft, und zwar „eine politische

Der Raum gemeinsamen kulturellen Wissens (dazu

Aufgabe“ (ebd., Sp. 2). Auf den letzten Seiten hält

auch Thum 2012b: 8, Sp. 1; vgl. auch Thum 2009: 82)

Bernd Thum Ausschau nach politischen Akteuren

schließt Grenzüberschreitungen, kulturelle Über-

und stellt die Frage aller Fragen: „Welche Politik?“.

blendungen, Mischungen und ein „Aushandeln von

Mit seiner Antwort wiederholt er indes nur Gedan-

Orientierungen“ ein (Thum 2012a: 91, Sp. 1).

ken vom Beginn seiner Überlegungen. Seine Ant-

Aber „Steuerung gesellschaftlicher Prozesse“,

wort besteht in der Forderung nach einem neuen

„Produktion von Wissen“ (Thum 2012a: 93, Sp. 1),

inte­g rierten, ‚euro-mediterranen‘ Kulturwissen

„wechselseitige Entfaltung“ und Neuordnung auf-

(Thum 2012a: 93, Sp. 2). Wie kann man diesen

grund von neuen Erfahrungen (Thum 2012a: 91,

Zirkel verlassen? Es sollen Denkprozesse in Gang

Sp. 1, im Anschluss an den britischen Soziologen

gebracht, gemeinsame Kulturaktivitäten entfaltet

Ginsberg) sind kein Spezifikum des europäischen

und Wissensbestände ausgetauscht werden. Das

Großraums, sind Prozesse, die in jedem dynami-

allein lässt gleichwohl noch keine Spezifik einer

schen Wissenssystem, wie der Verdichtungsraum

euro-mediterranen Identität erkennen.

USA zeigt, ablaufen. Wohin soll gesteuert werden?

Zum großen Teil dürfte die Zirkularität, in der

Welchen Zwecken dient die Entfaltung nachbar-

Thum den Leser umtreibt, von einem unvollstän-

schaftlicher Geister? Worin besteht die Neuord-

dig bestimmten Begriff der Identität herrühren.

nung des Wissens? Welchen Regeln unterliegt und

Identität erklärt Thum (2012: 92, Sp. 1) als „nicht

auf welchen Institutionen beruht das neue ‚Wis-

weiter hinterfragt[e] [Muster] des Wahrnehmens,

sensregime‘?

Denkens, Verhaltens und Handelns“. Diese Formu-

Was bedeutet es für das gemeinsame Kultur-

lierung lässt offen, wo diese Muster herrühren. Bie-

wissen, dass es mit gemeinsamer Identität verbun-

dere Kulturalisten bemühen hier essenzialistisch

den ist, dass Wissensräume durch „ein räumliches

völkerpsychologische Stereotype oder mentale Soft-

Bewusstsein von Gemeinschaft“ (Thum 2012a: 95,

ware. Kollektive Identität bildet sich indes zuvör-

Sp. 1) entstehen? Wenn Thum behauptet, Identität

derst im Wissen um die Verschiedenheit zu einem

„entwickelt sich in einem Raum ‚offenen‘ Wissens“

konkreten Gegenüber (unbeschadet der Tatsache,

(ebd.: 92, Sp. 2), so ahnen wir, ihm schwebt vor,

dass alle Wir-Gruppen ihrer Identität durch essen-

dass sich die im Lauf der Zeit verbauten Grenzen

zialistische Überhöhung den Anschein des Natürli-

zum Denken unserer Nachbarn im Süden wieder

chen und Überzeitlichen zu geben versuchen). Kol-

öffnen. Eine große Perspektive! Aber Identitäten

lektive Identitäten entstehen und festigen sich vor

leiten sich vom – stets wandelbaren – Bewusstsein

allem in der Bestimmung des Nicht-Identischen:

der Alterität her. So kann die Identität des Groß-

Wer gehört bei Lage der Dinge nicht zu uns?

raums Lateinamerika zu bestimmten Zeitpunkten


129

WIKA-Report (Band 2)

in der gemeinsamen Sprache und dem Ressenti-

Wenn es gelingt, mit einem veränderungs-

ment gegenüber den USA gefunden werden. In

sensiblen Begriff von Identität das Spezifische am

Afrika wird versucht, sich z. B. durch eine von

europäischen bzw. euro-mediterranen Wissen im

essenzialistischen Anmutungen befreite Négritude

Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert heraus-

gegenüber dem Norden zu definieren. Europa ist

zuarbeiten, kann der Weg über die Formulierung

seit seiner Verselbständigung, dem Fall des Eiser-

einer modernen europäischen und euro-mediter-

nen Vorhangs, in der Formulierung und Praktizie-

ranen Identität zu einer europäischen Vision für

rung einer eigenen Identität noch nicht sehr fort-

den Großraum Europa–Mittelmeer im 21. Jahrhun-

geschritten.1 Oder soll „Festung Europa“ das euro-

dert weiterführen und damit eine Politik gestalt-

mediterrane Narrativ sein?

bar werden, die Shimon Steins negative Diagnose

„Welche Politik also für den Euro-Mediterranen

hinter sich lässt.

Raum?“ (Thum 2012a: 92, Sp. 2). Thums Frage bleibt mithin unbeantwortet, obwohl er (ebd.: 93, Sp. 2) konkrete Vorschläge für Verhaltensänderungen

Literatur

zivilgesellschaftlicher Akteure auflistet. Seine kurzen Hinweise auf politisch orientierende Themen (Thum 2012a: 94, Sp.2) müssen nun mit der Bereit-

Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart

schaft zu europäischer Profilschärfung aufgenom-

(1972–1997): Geschichtliche Grundbegriffe:

men werden. An den „Linien politischen Handelns

historisches Lexikon zur politisch-sozialen

zur Sicherung einer gerechten Ordnung des Zusam-

Sprache in Deutschland. Stuttgart: Klett-Cotta.

menlebens“, an den Erwartungen an soziale Sicherheit, an den Determinanten gesellschaftlicher Hand-

Haller, Gret (2002): Die Grenzen der Solidarität.

lungsfähigkeit, nicht zuletzt am Umgang mit Reli-

Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation

gion muss sich europäisches Kulturwissen erst noch

und Religion. 2. Aufl., Berlin: Aufbau-Verlag.

kristallisieren. Zur Bearbeitung dieser Themen wäre in der Tat das faszinierende Projekt eines Lexikons

Huntington, Samuel P. (1997): Der Kampf der

kultureller Leitbegriffe für den euro-mediterranen

Kulturen. Die Neugestaltung der Welt­politik

Raum – man denkt unverzüglich an eine plurikultu-

im 21. Jahrhundert. München: Europa­verlag.

rell multiplizierte Auflage des Lexikons „Geschicht-

(Zuerst engl. (1996): The Clash of Civilizations

liche Grundbegriffe“, welches die Historiker Otto

and the Remaking of World Order. New York:

Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck

Simon & Schuster.)

(1972–1997) für den deutschsprachigen Raum realisiert haben – ein Meilenstein. Hier könnte paradig-

Stein, Shimon (2011): Ab in den Süden. Der

matisch herausgearbeitet werden, worin aufgrund

arabische Frühling bedeutet eine ungeheure

der gegebenen Situation des Mittelmeerraumes und

Chance für die Mittelmeerregion. Doch

ihrer äußeren Lage in der Weltgemeinschaft die dif-

Europa droht diese Chance zu verpassen.

ferentia specifica einer euro-mediterranen Identität im

In: DIE ZEIT, Nr. 21, 19.5.2011, S. 13.

Kontrast zu anderen globalen Wir-Gruppen besteht. 1  Das Bewusstsein von der Gemeinsamkeit des Kulturraumes mit den arabischen Kulturen und dem Iran ist in der deutschen Öffentlichkeit kaum vorhanden, ebenso wenig von der spezifischen Mission Europas in der Welt. Hinweise zu den Konzeptionen von Rechtsetzung und den Wissensund Glaubenstraditionen, die zur Unterscheidung Europas z. B. von den USA mobilisiert werden können, gibt Gret Haller (2002). Diese Differenzen hat die deutsche Öffentlichkeit noch kaum wahrgenommen.

Thum, Bernd (2009): Geisteswissenschaften und Technik auf dem Weg zu neuen Wissensräumen. In: ders./Maaß, Kurt-Jürgen (Hg.): Deutsche Hochschulen im Dialog mit der arabischen Welt. (Wissensraum Europa–Mittelmeer; 1). Karlsruhe: KIT Scientific Publishing, S. 76–93.


130 Vom Raum des Wissens zum Raum des Handelns – Replik auf Bernd Thum (2012)

Thum, Bernd (2012a): Ein Euro-Mediterraner Wissens- und Handlungsraum als strategisches Ziel. Kulturpolitische Überlegungen zu Kon­zep­ tion und Programm. In: Bauer, Gerd Ulrich/ ders. (Hg.): Internationale Bildungs­beziehungen. WIKA-Report Band 1. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik). Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, S. 87–97. Thum, Bernd (2012b): Ein ‚euro-mediterraner Raum‘ vom Niger bis zum Nordkap, von Dublin bis Damaskus? In: ders. (Hg.): An der Zeitenwende – Europa, das Mittelmeer und die arabische Welt. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik; 1). Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, S. 7–9.

Dr. Armin Triebel, studierte Geschichtswissenschaf­ ten, Philosophie, Germanistik und Linguistik an den

Universitäten Düsseldorf, Bonn und Bielefeld; Promo­ tion in Berlin 1990; Erster Vorsitzender des Sozialwis­

senschaftlichen Studienkreises für Interkulturelle Per­ spektiven e. V. Forschung und Lehre auf den Gebieten:

Differentieller Konsum/quantitative Lebensstandard­ analyse; Geschichte des Ersten Weltkriegs; Alphabeti­

sierung und Modernisierung in der Dritten Welt – am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Berlin), an der Freien Universität Berlin, an der Humboldt-

Universität Berlin und an der Universität Potsdam. Gegenwärtige Arbeitsgebiete: Interkulturelle Kom­ munikation und interkultureller Dialog; Beziehungs­

geschichte zwischen Europa und dem Islam und die

Politik im Nahen und Mittleren Osten; Methodik des Gesellschaftsvergleichs; Theorie der Politik. – Kon­ takt: triebel@ssip-web.de – www.ssip-web.de


131

1981: 39, Anm. 1). Jedoch ist wahrscheinlich, dass

Karl Lamprechts Rede „Über auswärtige Kulturpolitik“ (1912) Eine Würdigung anlässlich der hundertsten Wiederkehr ihres Jahrestags

der Begriff bereits vorab in einschlägigen institutionellen bzw. politischen Diskursen verwendet wurde und im v. a. englisch- und französischsprachigen Ausland zeitgenössische Entsprechungen aufwies. Lamprecht kommt allerdings das Verdienst zu, den Terminus erstmals als Titel einer Publikation verwendet zu haben, und damit steht der Historiker am Ausgangspunkt einer beachtlichen Reihe einschlägiger wissenschaft­l icher Veröffentlichungen zu Theorie und Praxis deutscher und internationaler Außenkulturpolitik. Dieser

von Gerd Ulrich Bauer (Bayreuth/Bad Vilbel)

Umstand soll im vorliegenden zweiten Band des WIKA-Reports durch einen Rückblick und mit dem Wiederabdruck der Rede Karl Lamprechts von 1912

Seit gut fünf Jahrzehnten beschäftigt sich die Wis-

(S. 137 ff.) gewürdigt werden – aus Anlass ihres hun-

senschaft mit (deutscher) Auswärtiger Kulturpoli-

dertsten Jahrestags.

tik, nimmt man als früheste Zeugnisse etwa die Hochschulschriften von Richard Martinus Emge

Karl Lamprechts Werk und Wirken

(1967), Manfred Regnery (1972), Karl Lindemann (1975) und Kurt Düwell (1976). Dass der Begriff ‚aus-

Doch wer war der Heidelberger Redner, den außer-

wärtige Kulturpolitik‘ um einiges älter und erstma-

halb der Historikerzunft heute kaum jemand noch

lig vor genau einhundert Jahren im Druck nach-

kennt? Karl Gotthard Lamprecht wurde am 25. Feb-

weisbar ist, darauf ist in der Forschung verschie-

ruar 1856 in Jessen/Elster geboren und starb am 10.

dentlich hingewiesen worden (vgl. etwa Düwell

Mai 1915 in Leipzig (Weber 1987; Schorn-Schütte

1976: 14ff.; Kloosterhuis 1994 [1981]: 8; Bauer 2010:

1991). Als Professor für Geschichte an der Univer-

4 und 61f.). Demnach war es der Leipziger Histo-

sität Leipzig wurde Lamprecht vor allem durch

riker Karl Lamprecht, der anlässlich einer Tagung

seine Rolle im sogenannten „Methodenstreit“ der

des Verbandes für internationale Verständigung

Geschichtswissenschaft bekannt, der in der Fach-

am 7. Oktober 1912 in Heidelberg eine Rede mit

literatur gelegentlich auch als „Lamprecht-Streit“

dem Titel „Über auswärtige Kulturpolitik“ versah

bezeichnet wird (vgl. Schorn-Schütte 1991: 175).

und diese unmittelbar darauf auch einem größe-

Lamprecht studierte ab 1874 an den Universitäten

ren, interessierten Publikum als Veröffentlichung

zu Göttingen und Leipzig Geschichte sowie in Mün-

zugänglich machte.1 Lamprecht gibt an, den Termi-

chen Kunstgeschichte. Unter dem Einfluss des Nati-

nus ‚auswärtige Kulturpolitik‘ als Bezeichnung für

onalökonomen Wilhelm Roscher beschäftigte sich

eine eigenständige Form der Außenpolitik erstmals

Lamprecht verstärkt mit der Wirtschafts- und Sozi-

1908 selbst verwendet zu haben (vgl. Wiese-Schorn

algeschichte („Culturgeschichte“) und promovierte 1878 an der Philosophischen Fakultät der Universi-

1  Kurt Düwell hebt die Bedeutung Lamprechts als ‚Anreger‘ hervor und paraphrasiert in seiner geschichtswissenschaftlichen Habilitationsschrift die Begründungsargumentation Lamprechts für die systematische Entwicklung einer auswärtigen Kulturpolitik. Düwell fügte seiner Publikation die genannte Rede als Dokumentenanhang 1 bei (Düwell 1976: 255ff.). Darüber hinaus finden sich mehrere, von Lamprecht selbst veranlasste zeitgenössische Veröffentlichungen der Rede (Lamprecht 1912a, 1912b, 1913); vgl. hierzu Rüdiger vom Bruch (1981: 66, Anm. 102).

tät Leipzig bei Wilhelm Roscher und Carl von Noorden mit der Abhandlung „Beiträge zur Geschichte des französischen Wirtschaftslebens im elften Jahrhundert“ (Lamprecht 1878a). Nach Ablegen des Staatsexamens für das höhere Lehramt im Königreich Sachsen 1879 wurde Lamprecht Hauslehrer bei dem Kölner Bankier


132 Karl Lamprechts Rede „Über auswärtige Kulturpolitik“ (1912). Eine Würdigung zum 100. Jahrestag

Deichmann. In dessen Haus lernte er den rheini-

eines Volkes“ (ebd.).3 Damit stellte er sich gegen die

schen Industriellen, Großbankier und liberalen

in der zeitgenössischen Wissenschaft dominie-

Politiker Gustav von Mevissen kennen, der Lam-

rende, auf Franz Leopold von Ranke (1795–1886)

prechts Studien zur rheinischen Wirtschaftsge-

zurückzuführende Geschichtsauffassung des Histo-

schichte durch ein Stipendium ermöglichte. 1883

rismus. Jene verfolgte die Aufgabe, durch einen sys-

habilitierte sich Lamprecht in Bonn und veröf-

tematischen und quellenkritischen Ansatz (‚Objek-

fentlichte 1885 den ersten Teil seines durch Mevis-

tivität‘) darzulegen, „wie es eigentlich gewesen sei“,

sen geförderten vierbändigen Werks „Deutsches

und konzentrierte sich dabei – nach Ansicht ihrer

Wirtschaftsleben im Mittelalter“. Im gleichen Jahr

Kritiker einseitig – auf die politische Geschichte.

wurde er zum außerordentlichen Professor in Bonn

Rankes oben genanntem Diktum setzte Lamprecht

ernannt. 1890 erhielt Lamprecht den Ruf als ordent-

entgegen, es komme vielmehr darauf an, „wie es

licher Professor nach Marburg, übernahm jedoch

geworden ist“. Sein Ansatz betonte die Bedeutung

bereits 1891 den Leipziger Lehrstuhl für mittelal-

der Kulturgeschichte, der materiellen Faktoren,

terliche und neuere Geschichte, den er bis zu sei-

die zur Herausbildung von Gesellschaften beige-

nem Tode 1915 innehatte. In den Folgejahren ent-

tragen haben, sowie von Gruppen („Assoziationen“)

wickelte Karl Lamprecht vielfältige hochschul-

in der Geschichte. Nicht „große Männer“ seien es,

und kulturpolitische Aktivitäten, die ihm sowohl

die Geschichte machen – für die Ausprägung von

im Deutschen Reich als auch im Ausland Ansehen

Gesellschaft seien vielmehr die Umgebung (u. a.

verliehen. So gründete Lamprecht 1898 zusammen

die Faktoren Klima und Raum), wirtschaftliche

mit dem Geografen Friedrich Ratzel 2 das histo-

Entwicklungen sowie sozial-psychische (Kultur,

risch-geografische Seminar, 1906 das „Seminar für

Gesamthabitus einer Gemeinschaft) und indivi-

Landesgeschichte und Siedlungskunde“ sowie 1909

dual-psychische Faktoren verantwortlich (Schorn-

das dem Ministerium direkt unterstellte „Königli-

Schütte 1998: 502). Karl Lamprecht verfolgte unter

che Institut für Kultur- und Universalgeschichte“

dem Einfluss der Kultur- und Völkerpsychologie

(Steinberg 1971: 59). Als Rektor der Universität Leip-

von Wilhelm Wundt (1832–1920) die Annahme, dass

zig gestaltete er 1910/11 die Studienreform mit und

sich in geschichtlichen Vorgängen kausal-gene-

verankerte u. a. die Stellung der Fachschaft in der

tische Regelhaftigkeiten abbildeten. Kulturent-

Universitätsverfassung.

wicklung erweise sich somit „als fortschreitende

Wissenschaftlich hingegen blieb Karl Lamp-

Differenzierung und Integrierung der menschli-

recht in der Historikerzunft ein Außenseiter. Mit

chen Seele“, und einzelne Zeitalter repräsentierten

seinem Hauptwerk, der mehrbändigen „Deutschen

spezifische Phasen dieser Entwicklung (Steinberg

Geschichte“ (1912–1913), verfolgte Lamprecht das

1971: 64). Aus dieser Erkenntnis leitete Lamprecht

Ziel, die Wechselwirkungen materieller und geis-

die Forderung ab, auf Grundlage einer empirischen

tiger Entwicklungen in der deutschen Geschichte

Bestimmung von „seelischen Entwicklungsstufen

herauszuarbeiten, um „einheitliche Grundlagen

der Nation, den Zeitaltern des symbolischen, typi-

und Fortschrittsstufen“ in der Entfaltung geistiger

schen, konventionellen, individualistischen und

und materieller Kultur nachzuweisen (vgl. Stein-

subjektivistischen Seelenlebens“ eine Lehre der

berg 1971: 59). Programmatisch forderte er für die

sogenannten „Kulturzeitalter“ zu etablieren (ebd.).

Historiografie eine „Geschichte des Individuums –

Mit seinen Positionen stieß Karl Lamprecht auf

als notwendigsten Bestandteiles für die Gliederung

den Widerstand der deutschen Geschichtswissenschaft, insbesondere der sogenannten Neorankeaner, darunter Georg von Below, Max Lenz, Felix

2  S. zu Friedrich Ratzel auch den Beitrag von Kurt Düwell im vorliegenden Band.

3  Hans-Josef Steinberg zitiert hier ohne näheren Beleg aus der 1878 entstandenen, jedoch erst 1909 erschienenen Studie Karl Lamprechts „Über Individualität und Verständnis für dieselbe im deutschen Mittelalter“ (Lamprecht 1878b [1909]).


133

WIKA-Report (Band 2)

Rachfahl, Hans Delbrück, Friedrich Meinecke, Her-

Welt- und Geschichtsbildes (vgl. Lamprecht 1914a).

mann Oncken, Max Weber und Gustav von Schmol-

Karl Lamprecht engagierte sich im „Verband für

ler. Der teilweise unsachlich und diffamierend

internationale Verständigung“ mit Sitz in Ober-

geführte „Methodenstreit“ entzündete sich neben

ursel (Taunus), dessen Ausschuss (Beirat) er ange-

der Abkehr von herrschenden Lehrmeinungen sei-

hörte. Bei dieser Vereinigung handelt es sich um

ner Zeit v. a. an Karl Lamprechts flüchtiger Arbeits-

den 1911 von Otfried Nippold und Alfred Hermann

weise, die seine Kritiker zu einer Detailkritik ver-

Fried gegründeten deutschen Zweig einer auch in

anlasste, an einer ungenügenden wissenschaftsthe-

Frankreich und den Vereinigten Staaten von Ame-

oretischen Begründung seiner Methode (Steinberg

rika aktiven pazifistischen Organisation, die auf

1971: 62) und ferner am Vorwurf des Materialismus.

Initiative des französischen Diplomaten und Pazi-

Mit Ausnahme der sich um 1900 herausbilden-

fisten Paul Henri Benjamin Balluet d'Estournelles de

den Sozialgeschichte (vgl. Eibach 2002) sind Lam-

Constant (1852–1924), Friedens­nobelpreisträger von

prechts Positionen ohne Einfluss auf die deutsche

1909, ins Leben gerufen wurde.

Geschichtswissenschaft geblieben. Im Ausland hingegen fand seine Geschichtsauffassung positive

„Über auswärtige Kulturpolitik“

Resonanz und übte z. B. in Frankreich Einfluss auf die strukturgeschichtliche Annales-Schule aus.

Nationalliberaler und Pazifist

Es war eine Tagung dieses Verbandes für internationale Verständigung in Heidelberg, auf der Karl Lamprecht seine Überlegungen zur Auswärtigen Kulturpolitik präsentierte. Obgleich seither ein-

Was angesichts der fachlichen Einordnung des

hundert Jahre vergangen sind, erscheinen einige

Lamprecht'schen Werks in der Würdigung sicht-

der präsentierten Gedanken – etwa zur Internati-

lich untergeht, ist der Hinweis auf seine politi-

onalisierung der Wissenschaften – sehr aktuell,

schen Ansichten. Lamprecht stand nationallibe-

wenngleich die Sprache und Terminologie sich

ralen Positionen nahe. Mit der Jahrhundertwende

seither deutlich verändert hat und der teils unter-

näherte sich Lamprecht

schwellige, teils deutlich an die Oberfläche drän-

„imperialistischem und Machtstaatsden-

gende nationale Pathos erfreulicherweise der Ver-

ken bei gleichzeitiger Distanz zu den All-

gangenheit angehört.

deutschen einerseits, Annäherungen an

Im Kern seiner Rede hebt Lamprecht den ent-

den westeuropäischen Pazifismus anderer-

scheidenden Beitrag hervor, den die deutsche

seits“ (Schorn-Schütte 1991: 175).

Geschichtswissenschaft im Sinne einer – als Desi-

Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte Lam-

deratum formulierten – theoretischen und pro-

precht in „nationale[m] Überschwang“ (Steinberg

grammatischen Begründung für eine sich vorerst

1971: 65), er charakterisierte diesen Krieg als

nur als Praxis entwickelnde Auswärtige Kulturpo-

„ein letzter Kampf des Germanentums und

litik zu leisten vermöge (Lamprecht 1913: 3). Eine

des lateinischen Slawentums gegen die ein-

derart gefestigte Außenpolitik liege schon allein

dringende östliche Barbarei, und eine ein-

durch die Konkurrenz der „anderen großen Kul-

zige grade Linie führt von den Kämpfen

turstaaten oder richtige[n] Kulturvölker“ (ebd.)

gegen Hunnen und Magyaren und Türken

im eigenen Interesse des Deutschen Reichs, etwa

bis zu den sich soeben entfaltenden Ereignis-

um Einfluss auf Auslandsmedien auszuüben und

sen der Gegenwart“ (Lamprecht 1914a: 14f.).

damit das internationale Ansehen der Nation zu

Bei siegreichem Ausgang dieses Krieges sah Karl

wahren. Lamprecht nimmt die weiter oben skiz-

Lamprecht die Chance für eine mitteleuropäische

zierten Grundgedanken seiner Geschichtsauffas-

Föderation ‚sittlich hochstehender‘ Gesellschaf-

sung zum Ausgangspunkt weiterführender Über-

ten, ganz im Sinne seines kulturmorphologischen

legungen. Ein Verständnis anderer Völker sei ohne


134 Karl Lamprechts Rede „Über auswärtige Kulturpolitik“ (1912). Eine Würdigung zum 100. Jahrestag

„historisches Einfühlen“ in deren Entwicklung

internationale Auffassung der Menschheit“ (ebd.:

(bzw. im Lamprecht'schen Gesellschaftsmodell:

13) geprägt sei. Lamprecht setzt seine Hoffnung

erreichter ‚Kulturstufe‘) (ebd.: 4) nicht möglich.

dabei auf die jüngere Wissenschaftler-Generation

Dabei ergänzt er die bereits angeführten Einfluss-

und deren im Ausland erworbenes Verständnis des

faktoren – namentlich die ‚innere evolutionisti-

jeweiligen Gastlandes, aus dem der Geist einer Ver-

sche Entwicklung‘ und den Einfluss von Klima und

ständigung erwachsen könne:

Raum – um den Einfluss „fremder menschlicher

„Denn auf welchem Wege als dem beschrie-

und das heißt geistiger Kräfte auf eine gegebene

benen könnte besser eine auserlesene geis-

nationale Einheit“ (ebd.: 6). Dabei hat Lamprecht

tige Mannschaft internationaler Sympa-

offenbar weniger den Einfluss von ‚fremden‘ Indi-

thien und gegenseitigen Verständnisses der

viduen im Sinne, wie sie Georg Simmel unmittel-

Völker gewonnen werden? Die Nation aber,

bar zuvor aus soziologischer Sicht (1908) in seinem

die diesen Weg zuerst mit Entschieden-

Essay „Exkurs über den Fremden“ am Beispiel des

heit betritt, wird sich einen wichtigen Vor-

Händlers, und hier insbesondere des europäischen

sprung für die große Aufgabe der Regelung

Juden beschrieben hat (Simmel 1908 [1968]: 510).

internationaler Freundschaften und Zusam-

Vielmehr bezieht sich Lamprecht zunächst auf

menhänge verschafft haben.“ (Ebd.: 14)

historisch belegbare und wissenschaftlich unter-

Es nimmt nicht Wunder, dass nach Lamprechts Vor-

suchte Formen eines allgemeinen, über-indivi-

stellung die deutsche Nation prädestiniert sei, hier

duellen Kulturkontakts: den Einfluss des klassi-

eine Vorreiterrolle einzunehmen. Im Rückblick auf

schen Denkens und der ästhetischen Konzepte der

einhundert Jahre Zeitgeschehen und politische Ent-

griechischen und römischen Antike auf europäi-

wicklungen erscheinen die Schritte zwischen Karl

sche Kulturen des 15. und 16. Jahrhunderts sowie

Lamprechts Überlegungen aus dem (Vorkriegs-)

den kulturellen Einfluss Chinas auf Japan. Diese

Jahr 1912 und späteren Positionen der bundesrepu-

ließen jedoch keinen Rückschluss zu auf solche

blikanischen Auswärtige Kultur- und Bildungspo-

Momente des Kulturkontakts (von Lamprecht auch

litik nicht so groß. Auch den heute gültiven Kon-

als ‚Rezeption‘ bezeichnet), die nicht eine gesamte

zepten und Programmen geht es um den Dialog

Gesellschaft, sondern lediglich Teile daraus betref-

mit der internationalen Gemeinschaft der Staaten

fen oder die zwischen Völkern und Kulturen auf

sowie mit anderen (‚fremden‘) Gesellschaften, um

unterschiedlicher ‚Kulturhöhe‘ erfolgten (ebd.: 9f.).

Verständnis und Verständigung als Voraussetzung

So problematisch dieses Menschen- und Weltbild

für eine internationale Politik, um Austausch und

der evolutionistischen Kulturtheorie Lamprechts

Zusammenarbeit zwischen Menschen und Kul-

aus heutiger Sicht ist, so bleibt am Ende die idea-

turen. Allerdings hat sich Lamprechts Forderung

listische Forderung nach Verständnis bzw. Verstän-

nach einer Beteiligung der Wissenschaft(en) an

digung als notwendige Voraussetzung und Grund-

der Entwicklung einer angemessenen Außenpoli-

lage einer äußeren Kulturpolitik (ebd.: 10f.).4 Das

tik5 in der Zwischenzeit keineswegs überholt, wie

entworfene Projekt einer Universalgeschichte auf

das Engagement des Instituts für Auslandsbezie-

Grundlage kulturgeschichtlicher Studien erscheint

hungen mit dem Wissenschaftlichen Initiativkreis

folglich geradezu innovativ: als kollaborative Vor-

Kultur und Außenpolitik (WIKA) belegt. Und damit

haben (ebd.: 11) internationaler Wissenschaftler-

erscheint Lamprechts Rede auch nach hundert Jah-

teams (ebd.: 13), deren Bereitschaft zu internatio-

ren überraschend zeitgemäß.

naler Mobilität und interkulturellem Lernen durch eine „reine Atmosphäre hohen menschlichen Wollens, Denkens und Empfindens, […] eine wahrhaft 4  Vgl. hierzu auch das Vorwort von Ronald Grätz zum vorliegenden Band 2 des WIKA-Reports.

5  Angesichts der sich abzeichnenden Aufgabenfülle und der begrenzten Ressourcen des Auswärtigen Amtes macht sich Lamprecht in einer späteren Rede bzw. Veröffentlichung gar Gedanken über die Gründung eines „Amtes für äußere Kulturpolitik“ (Lamprecht 1914b: 82) bzw. eines „Reichamtes für auswärtige Kulturpolitik“. Vgl. hierzu Wiese-Schorn (1981).


135

WIKA-Report (Band 2)

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137

WIKA-Report (Band 2)

Anmerkung zum Abdruck der Rede Nachstehend ist Lamprechts Vortragstext auf Grundlage der 1913 veröffentlichten Fassung wiedergeben.6 Um ein Zititeren zu ermöglichen, sind die originalen Seitenumbrüche sowie die auf S. 3 beginnende Paginierung an den entsprechenden

Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)

Textstellen durch Markierungen und hochgestellte Seitenangaben gekennzeichnet. Fußnoten wurden, sofern nicht anders gekennzeichnet, aus dem Original übernommen. Lamprecht stellt der Veröffentlichung von 1913 eine Fußnote voran, in der er die Absicht avisiert, den Redetext zu erweitern und der

Rede, gehalten am 7. Oktober 1912 auf der Tagung des Verbandes für internationale Verständigung zu Heidelberg.

Neuauflage einer früheren, hochschulpolitischen Publikation beizufügen. In der Tat ist bereits 1912

Seit wann ist wohl bei uns das Wort Kulturpolitik

in der Weidmannschen Buchhandlung zu Berlin

gebräuchlich geworden? Ich glaube, nicht länger

eine Sammlung „Reden und Ansprachen zur Hoch-

denn seit einem Jahrfünft. Und noch immer wird

schulreform“ als erweiterte Neuauflage erschienen

es vornehmlich, wenn nicht ausschließlich, nur

(Lamprecht 1912b), der als letzter Beitrag die Heidel-

auf die innere Politik angewendet. Die anderen gro-

berger Rede beigefügt wurde – allerdings in nicht

ßen Kulturstaaten oder richtiger Kulturvölker trei-

bearbeiteter Form. Die irritierende Reihenfolge der

ben aber inzwischen bereits viele Jahre lang auch

angegebenen Veröffentlichungs­jahre ist womög-

äußere Kulturpolitik. So vor allem die Franzosen

lich durch Überschneidungen bzw. eine unter-

und die Nordamerikaner; mehr indirekt auch die

schiedliche Herstellungsdauer in den Druck- und

Engländer. Und schon hat sich experimentell und

Verlagshäusern zu erklären. Auffällig ist ebenfalls

intuitiv eine Reihe von Grundsätzen herausgebildet,

der kurze zeitliche Abstand zwischen der Rede aus

nach denen man dabei verfährt. Man muss, um sie

dem Oktober 1912 und ihrer mehrfachen Veröffent-

kennen zu lernen, die Berichte vor allem der Mis-

lichung. Auch wenn Lamprecht nach eigenen Anga-

sionen, daneben für Frankreich die Mitteilungen

ben eine Überarbeitung und Erweiterung vorge-

der Alliance française, für Amerika auch die Nach-

habt hat, so wurde dieses Vorhaben, womöglich auf-

richten über die Politik der Vereinigten Staaten

grund des Kriegsausbruchs 1914 sowie des Todes von

in Südamerika und in China verfolgen, um einen

Karl Lamprecht im Jahre 1915, nicht mehr realisiert.

genügenden Eindruck von der lebhaften Tätigkeit auf diesem Gebiete zu erhalten. Freilich, eine systematische und prinzipiell zu bestimmten Vorstel-

Dr. Gerd Ulrich Bauer ist Habilitand am Lehrstuhl für

Interkulturelle Germanistik der Universität Bayreuth. Seit Dezember 2013 ist Dr. Bauer Stellvertretender WIKA-Vorsitzender. – Kontakt: gerd.ulrich.bauer@ uni-bayreuth.de

6  Durch Abgleich mit weiteren veröffentlichten Fassungen (Lamprecht 1912a und 1912b) konnten vier offensichtliche Druckfehler beseitigt werden. Gravierender ist der Eingriff auf S. 10, wo sich Lamprecht auf den „starke[n] Einfluss [bezieht], den javanisches Blut und […] malaiische Kultur neuerdings auf Holland“ ausübten. In der zugrundeliegenden Druck­ fassung steht „japanisches Blut“, was somit ebenfalls ein Satzbzw. Druckfehler ist.

lungen ausgebildete wie auf feste wissenschaftliche Grundlagen gestellte auswärtige Kulturpolitik gibt es auch bei den genannten großen Nationen noch nicht, so sehr sich aus der praktischen Erfahrung schon gewisse allgemeine Urteile herausgebildet haben, wie z. B. etwa dies, dass der wirtschaftliche Einfluss dem geistigen folge und nach beiden erst der eigentliche politische Einfluss mit Erfolg eingeführt werden könne und dergleichen mehr. Kann sich nun unsere Nation heute noch von der Entwicklung einer breiten äußeren


138 Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)

Kulturpolitik dispensieren? Schon die Erfolge

werden, in dieser Materie besonders am Platze, da

der anderen Nationen lassen dies nicht zu. Der

sich aus ihr allein erst sichere Maximen des Han-

Verbreitung der eigentlichen nationalen Kultur-

delns im großen wie kleinen werden gewinnen

mittel folgt, wie |4 schon gesagt, der Handel und

lassen.

diesem natürlich die Industrie; nicht vergebens

Das Problem der auswärtigen Kulturpolitik

haben Engländer und Amerikaner auf dem Wege

trägt alsbald in die weitesten Gebiete der mensch-

der Missionstätigkeit einen guten Teil des japani-

heitlichen Entwicklung nicht bloß der Gegenwart,

schen Mittelschulwesens in die Hand genommen,

sondern auch der Vergangenheit. Denn da die Völ-

haben die Franzosen ihren Export namentlich

ker, um deren Beeinflussung es sich handelt, fast

auch in künstlerischer und kunstgewerblicher

durchweg eine mehr oder minder lange Dauer

Hinsicht durch die Tätigkeit der Alliance française

ihrer Entwicklung hinter sich haben, so ist an eine

erweitert, stützen die Amerikaner ihren materiel-

verständnisvolle Einwirkung auf sie ohne histo-

len Einfluss in China grundlegend durch den Ver-

risches Einfühlen gar nicht zu denken. So wird

such der Errichtung einer chinesischen Universi-

denn die theoretische äußere Kulturpolitik ohne

tät. Da dürfen wir Deutschen nicht zurückbleiben,

weiteres zur |5 universalen Kulturgeschichte: und

soll anders die Welt nicht einmal wieder vergeben

erst ein klares Verständnis der einen lässt die völ-

sein, ehe der germanische Dichter und Denker

lig erfolgreiche Durchbildung der andern erhoffen.

auf dem Plane erscheint. Dazu kommt ein weiteres. Die Mittel der äußeren Kulturpolitik sind von den andern, insbesondere den großen westeuropäischen Nationen längst und teilweise sogar recht missbräuchlich in den Bereich der allgemeinen politischen Aktionsmittel einbezogen worden; es sei nur an den Gebrauch der Presse zur Verunglimpfung des deutschen Ansehens im letzten Jahrzehnt erinnert. Und da sollen wir einfach zusehen, ohne Gegenmaßregeln zu treffen? Zumal, da wir innerlich ganz an erster Stelle zu einer wahrhaft fruchtbaren auswärtigen Kulturpolitik berufen sind? Denn wenn irgendwelche Sätze der praktischen Politik von heute auf Wahrheit für lange Zeiten Anspruch machen können, so sind es die, dass eine auswärtige Kulturpolitik, welche die Völker einen und befrieden soll, nur im Wettbewerbe um die höchsten sittlichen und intellektuellen Güter der Menschheit beruhen kann, und dass auf diesen Gebieten unsere Nation, die Nation der Philosophen und Pädagogen, eine besonders wichtige Rolle zu übernehmen berufen ist. Aber während die fremden Nationen die Praxis einer auswärtigen Kulturpolitik bisher fast nur der naturgemäß unvollständigen Erfahrung der Gegenwart entnehmen, wird es deutscher Art entsprechen, alsbald eine tiefere Fundamentierung zu verlangen. Und diese ist auch, wie wir alsbald sehen

Abb.: Titelblatt der 1913 erschienenen Veröffent­ lichung von Karl Lamprechts Heidelberger Rede


139

WIKA-Report (Band 2)

Wie weit aber sind wir noch von solch einer

geschichtlicher Entwicklung, auf den organischen

Universalgeschichte entfernt! Darüber, dass die

Verlauf. Zwar sind die Natureinflüsse seit Bodinus

alten Formen der Weltgeschichte nicht mehr geeig-

und seit Montesquieu immer wieder untersucht

net sind, den neuen Most unseres heutigen histo-

worden; einen wesentlichen Fortschritt haben

rischen Wissens und auch schon erweiterten Ver-

dann noch einmal die deutschen Geographen des

ständnisses in sich aufzunehmen, sind alle einig;

19. Jahrhunderts, ein Ritter und Ratzel, gebracht.

welcher Art aber die neue Fassung des gesamten

Dennoch fehlt hier, wie neuerdings z. B. die Arbei-

Stoffes sein möchte, darüber können noch sehr

ten Hellpachs gezeigt haben, |6 noch sehr viel zur

verschiedene Ansichten gehört werden; und nur

tieferen physiologisch-psychologischen Erfassung

das eine steht wohl fest, dass die Kulturstufe der

der teilweise überaus wichtigen Vorgänge. Viel

Elementarbegriff ist, mit dem das neue universal-

weniger bekannt und systematischem Denken

geschichtliche Denken fundamental zu operieren

unterzogen sind aber vor allem bisher die Mög-

hat.

lichkeiten des Einflusses fremder menschlicher Im übrigen aber beginnen sich aus dem wogen-

und das heißt geistiger Kräfte auf eine gegebene

den Chaos der neuen geschichtlichen Anschau-

nationale Einheit. Dass sie in teilweis überaus

ungen, die in Bildung begriffen sind, doch einige

wirksamer Weise bestehen, zeigt allein schon der

wenn nicht Grundvorstellungen, so doch Grund-

Begriff der Renaissance, der zum großen Teil die-

probleme auszuscheiden, von denen schon für die

sem Zusammenhange angehört. Allein klar nach-

politische Praxis ausgegangen werden kann, inso-

gewiesen und in ihren Formen systematisiert sind

fern diese als unbedingte Voraussetzung des Han-

die hierher gehörenden Erscheinungen noch kei-

delns eine universale Kenntnis der menschheitli-

neswegs. Wir werden später auf diesen Gegenstand

chen Kulturentwicklung erfordert.

zurückkommen.

Solcher Grundprobleme wird man drei unter-

Was endlich das dritte Grundproblem, das

scheiden können: das Problem der inneren evolu-

der Rasse, angeht, so löst es sich prinzipiell in

tionistischen Entwicklung großer menschlicher

den Inhalt der beiden soeben besprochenen Pro-

Gemeinschaften; das Problem der äußeren Ein-

bleme auf. Denn sollte Rasse etwas anderes sein

wirkungen von Natur und Geist auf diese Entwick-

als jeweiliges Ergebnis der inneren Entwicklung

lung; und endlich das Rasseproblem.

einer menschlichen Gemeinschaft zuzüglich der

Das Problem der inneren evolutionistischen

von außen, aus Natur und Geist hinzugetretenen

Entwicklung der großen menschlichen Gemein-

Einwirkungen? Man müsste schon die überaus

schaften, insbesondere der Nationen, kann als

wahrscheinliche Hypothese von der Einheit des

bisher am weitesten gefördert gelten: wir wissen

Menschengeschlechts aufgeben, wollte man einer

heute, dass diese Entwicklung sich in einer ganz

anderen Auffassung Raum verschaffen: und selbst

bestimmten Stufenfolge von seelischen Zeital-

dann, wenn man diesen Weg beträte, würde im

tern, gleich etwa den Lebensstufen des einzelnen

Bereiche der untermenschlichen Lebewesen die

menschlichen Individuums, abspielt; eine Stu-

Lösung des Problems im Grunde dieselbe sein und

fenfolge sich an Intensität und Extensität ihrer

nur auf das chemisch-physikalische und biologi-

Erscheinungen immer steigernder Kulturzeitalter

sche Gebiet der Fauna und die in diesen Bereichen

ist die Regel, die immer wieder hervortritt, so oft

möglichen Anpassungen verlegt werden. Denkt

sie auch durch störende, mechanisch eingreifende

man sich aber die Entstehung der Rassen als einen

Momente in ihrem organischen Ausleben gelegent-

Vorgang oder richtiger als eine ungeheure Summe

lich beeinträchtigt werden mag.

von Vorgängen innerhalb der schon rein mensch-

Weit weniger durchgereift ist das zweite Pro-

lichen Geschichte, so unterliegt es kaum einem

blem: das der äußeren Einflüsse von Natur und

Zweifel, dass es sich bei der Entwicklung der Haup-

Geist, von geographischen Bedingungen und

tunterschiede um Prozesse handelt, die in Zeiten


140 Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)

weit vor der uns durch direkte Tradition bekann-

schön ist, zeigt die chinesische Ornamentik die

ten Geschichte zurückgehen. Nicht als ob die Fak-

Züge einer mehr dem Nüchternen und dem For-

toren der Rassebildung seitdem etwa an Wirksam-

malschönen zuneigenden Begabung. Und sind dies

keit verloren hätten. Sie arbeiten vielmehr fort;

evidente Unterschiede, die alsbald auffallen, so las-

und eben in unseren Tagen sehen wir in Nordame-

sen sich auch noch mehr ins einzelne hinein Beob-

rika die Anfänge nicht bloß einer neuen Nation,

achtungen machen, die den vollen Beweis erbrin-

sondern auch Rasse sich bilden. In diesem Falle

gen, dass der chinesische Charakter seit so frühen

sind wir in der Lage, die physischen wie die psy-

Zeiten der beglaubigt überlieferten chinesischen

chischen Momente des Prozesses genau zu studie-

Geschichte bis zur Gegenwart wesentlich der-

ren, wenn auch die hierfür nötigen Arbeiten in der

selbe geblieben ist.1 Ist es aber in diesem Falle, wie

sonst so regsam betriebenen Geschichte des ameri-

gewiss vielen anderen Fällen, an dem, so hat eben

kanischen Nordkontinents noch arg vernachlässigt

die Geschichtsforschung hier mit festen, schon in

sind. Und wie reiche Frucht könnten sie bringen!

ihr nicht zugänglichen Vorzeiten gebildeten Veran-

Man denke sich einen Präsidenten der Vereinig-

lagungen zu rechnen, die sie nur einfach als solche

ten Staaten, der auf Grund genauer Kenntnis der

in ihre Arbeits- und Darstellungsweisen einstellen

Vorgänge zum ersten Male in der Welt eine wirkli-

kann, ohne sich deshalb von der Untersuchung der

che Rassepolitik triebe. Noch weit hinaus über die

Rassengenese da, wo sie möglich ist, zu entbinden.

intuitive Tätigkeit, die auf diesem Gebiete etwa ein

Ziehen wir nach dieser kurzen Übersicht der

Roosevelt genial entfaltet hat und entfaltet! Indes

heutigen Bedeutung der soeben behandelten drei

sehen wir von dem |7 amerikanischen Beispiel,

großen Probleme für die Aufgaben der Gegenwart

dem vielleicht noch das australische hinzuzufü-

ein Fazit, so ergibt sich folgendes. Das Rassepro-

gen wäre, ab, so liegen die Prozesse, in denen sich

blem geht in die historische Arbeit als ein Ergeb-

die wichtigsten heutigen Rassen gebildet haben,

nis ein und öffnet sich nur in seltenen Fällen der

weit hinter uns in eisgrauer Urzeit. Und so erschei-

Analyse. Das Problem der inneren Evolution ist

nen manche Rassenindividualitäten, manche Par-

durch die Aufstellung des Elementarbegriffs der

tikularitäten der größten menschlichen Zusam-

Kulturstufe und deren direkte Auffindung |8 wie

menhänge für eine bloß historische Betrachtung

empirischen Nachweis zunächst in der Deutschen

als etwas Konstantes in dem Sinne, dass die lang-

Geschichte2 so weit gefördert, dass seiner Bearbei-

samen Verschiebungen ihrer Eigenheiten anschei-

tung große Schwierigkeiten nicht mehr im Wege

nend überhaupt oder wenigstens für den heuti-

stehen. Das breiteste Arbeitsfeld der künftigen

gen Stand unserer Forschung und Kenntnis außer

Forschung ist dagegen in dem weiten Bereiche des

Rechnung bleiben können. So kann man z. B. an

zweiten Problems, des Problems der äußeren Ein-

der Hand der chinesischen Ornamentik primitiver

wirkungen von Natur und Kultur, gegeben. Und so

Zeiten feststellen, dass sich der Rasse­charakter der

liegen auf diesem Gebiete vor allem die nächsten

Chinesen seit etwa vier Jahrtausenden kaum geän-

großen universalgeschichtlichen Aufgaben, inso-

dert hat. Vergleicht man nämlich die Ornamentik

fern sie methodisch weiter klärend zu wirken beru-

der chinesischen Urzeit mit den entsprechenden

fen sind. Gewiss stehen daneben auch noch andere,

Entwicklungsstufen der germanischen Ornamen-

an sich gewaltige Aufgaben, die geeignet sein wer-

tik, so zeigt sich bei im allgemeinen völlig gleichen

den, ganze große, in der Welt der Historiker bis-

Grundlagen doch eine ganze Anzahl individueller

her gemeingültige Anschauungen zu modifizieren

Rassenunterschiede, die der spezifischen Rasseveranlagung beider Völker, wie sie noch heute besteht, entspricht: während die germanische Ornamentik von leidenschaftlichem Pathos durchströmt und in ihrer Formgebung mehr charaktervoll als formal

1  Vgl. G[eorg] Muth (1911): Stilprinzipien der primitiven Tier­ ornamentik bei Chinesen und Germanen. Leipzig, Voigtländers Verlag. (Ein Heft der von K. Lamprecht herausgegebenen Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte). 2  Vgl. K[arl] Lamprecht (1891–1904): Deutsche Geschichte, 18 Bde.


141

WIKA-Report (Band 2)

oder zu beseitigen; es sei z. B. nur an die jeder ver-

Renaissance vor allem auch daran abzumessen,

gleichenden Betrachtung sich leicht ergebende Not-

ob sie den ganzen Lebenskreis der ihr unterworfe-

wendigkeit erinnert, die Verfassungsgeschichte der

nen Völker erfüllt habe oder nicht? Eine genauere

universalen wie der einzelnen nationalen mensch-

Untersuchung würde hier nun ergeben, dass man-

lichen Entwicklungen nicht mehr, wie bisher, auf

che Teilvorgänge des heute weithin erstreckten

die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sondern auf

Begriffs, wie z. B. die karolingische und ottonische

die Sittengeschichte zu fundamentieren3: eine Not-

Renaissance oder gar die Renaissance der staufi-

wendigkeit, die den Historikern allerdings schon

schen Zeit und der Zeit Kaiser Karls IV., weit davon

jede genauere Beschäftigung mit philosophisch-

entfernt gewesen sind, die ganze Zeit in allen ihren

ethischen Problemen hätte nahelegen müssen –

Lebensäußerungen zu erfüllen oder auch nur zu

wenn sich deren frühere Generationen eben mit

bewegen; von anderen Renaissancen dagegen, der

solchen Problemen beschäftigt hätten. Allein im

italienischen z. B., der holländischen, auch wohl

ganzen bleibt es doch dabei, dass das nächste und

der hellenischen Deutschlands im 18. und 19. Jahr-

breiteste Arbeitsfeld aller universalen Wissen-

hundert, ließe sich sagen, dass sie das nationale

schaft die Feststellung der äußeren Einwirkungen

Gesamtleben ergriffen und mit einer Modifika-

von Natur und Kultur auf die einzelnen Völker sein

tion des eigenen Seins durchgeistigt haben. Und so

wird. Und dabei wird dem Universalhistoriker vor

wären denn Voll- und Partikularrenaissancen zu

allem der Nachweis der Kulturbeziehungen zufal-

unterscheiden.

len.

Gilt dieser Unterschied aber nicht auch von Ist es nun aber nicht klar, dass damit die uni-

der Rezeption, der anderen großen Form fremder

versalgeschichtlichen Aufgaben ganz wesentlich

Kulturbeeinflussung, die sich auf die Einwirkun-

mit den Anforderungen der wissenschaftlichen

gen nebeneinander lebender Völker bezieht, wäh-

Begründung einer heute möglichen äußeren Kul-

rend die Renaissance, in gewissem Sinne die auf-

turpolitik zusammenfallen? Und wie sollte es auch

fallendste Erscheinung menschlicher Geschichte,

anders sein? Politik und Geschichtswissenschaft

die Einwirkung an sich schon abgestorbenen kultu-

sind in vorwärts drängenden Zeiten wohl stets

rellen Lebens bedeutet? Gewiss beziehen sich viele

Hand in Hand miteinander gegangen.

Rezeptionen nur auf bestimmte Kulturobjekte und

Wir werden nicht umhin können, nunmehr,

kommen nur für begrenzte Teile der rezipierenden

nachdem die Hauptbeziehungen zwischen Uni-

Nation in Betracht. So hat z. B. die Rezeption von

versalgeschichte und äußerer Kulturpolitik fixiert

Elementen provenzalischer Kultur wahrend des 12.

sind, die Lösung der damit gegebenen Aufgaben da

Jahrhunderts in Deutschland Bedeutung fast nur

und dort, in allgemeiner Betrachtung wie in empi-

für den Ritterstand gehabt. Aber daneben stehen

rischen Beispielen ein wenig, soweit es die Zeit

so allseitige Rezeptionen wie die der griechischen

erlaubt, noch genauer zu verfolgen.

Kultur durch die Römer oder der chinesischen

Da interessiert zunächst die Frage, ob es Voll-

durch die Japaner. Und wenn wir die besondere

einwirkungen ganzer fremder Kulturen auf andere

Form ständiger Rezeption, welche die Gegenwart

Kulturen gegeben habe und gebe? Es ist eine Frage,

der europäischen Völker kennzeichnet, Endosmose

die im gegenwärtigen Augenblicke |9 dem His-

benennen: können wir nicht von ihr behaupten,

toriker durch die Erörterungen über die Bedeu-

dass sie sich auf jeden Teil des modernen Lebens

tung der Renaissance vielleicht noch besonders

beziehe?

ansteht. Denn was liegt näher, als das Wesen der 3  Der Verfasser wird darüber demnächst eine Studie veröffentlichen. [Anm. Kurt Düwell (1976: 260, Fußnote 3): Möglicherweise bezieht sich L. hier auf seine Schrift „Die Nation und die Friedensbewegung“ in: Internationale Organisation, Heft 7, 1913.]

So wird man denn zwischen totalen und partiellen, zwischen vollen und teilweisen Renaissancen und Rezeptionen unterscheiden müssen. Nun ist es ein heute wohl allgemein angenommener Satz, dass totale Renaissancen und


142 Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)

Rezeptionen nur bei einer ungefähren Gleichheit

der gleichen Zeit hin durch die romanischen, ger-

der Kulturhöhe der gebenden und empfangenden

manischen, slawischen Kulturnationen Europas?

Nation möglich sind; ja dies ist eigentlich der ein-

Und, um auf die Beziehungen Asiens und Europas

zige Erfahrungssatz, der bisher auf dem ungeheu-

zurückzugreifen: wie erklärt sich der starke Ein-

ren Gebiete der für Renaissancen und Rezeptionen

fluss, den javanisches Blut und, muss man hinzu-

möglichen Erfahrungen entwickelt worden ist. Auf-

setzen, malaiische Kultur neuerdings auf Holland

gestellt worden ist er aber wohl fast ausschließlich

zu äußern beginnt? Gibt es analoge Erscheinun-

aus den Beobachtungen, die man über die Unver-

gen für England? Und wie wären sie einzuschät-

einbarkeit von niedrigen |10 Kulturen mit sehr

zen? Etwa gar als Anfänge einer Kolonialisierung

hohen, von Negerkulturen etwa mit europäischer

der europäischen Kulturen? Und damit als partielle

Bildung, gemacht hat; indirekt nahegelegt wird er

Vorzeichen kommender totaler Umwälzungen des

auch durch die Tatsache, dass mindestens totale

Ganges menschheitlicher Geschichte? Und wiede-

Renaissancen nur auf Kulturhöhen des empfangen-

rum: wie stellt sich hierzu eine Frage von scheinbar

den Volkes aufzutreten pflegen, welche denen des

so nur modernem Ursprung, wie die zunehmende

gebenden Volkes nahekommen oder entsprechen.

kulturelle Einwirkung Nordamerikas auf den süd-

Aber ist darum der Satz schon voll bewiesen? Und

lichen Schwesterkontinent? Spielen dabei Elemente

vor allem: wenn er zuträfe, was wären seine Gren-

wieder zum Vorschein gelangender indianischer

zen? Bei welcher Abweichung der empfangenden

Kultur und indianischen Blutes eine Rolle, wenigs-

und gebenden Kultur werden totale Renaissance

tens soweit Südamerika in Betracht kommt? |11

und Rezeption schwierig, bei welcher unmöglich?

Es sind Fragen, die vertausendfacht werden

Man sieht, welche außerordentliche Bedeutung die

könnten. Hinter allen stecken universalgeschicht-

richtig limitierte und allen historischen Erfahrun-

liche Probleme, deren Lösung sich nur einer sehr

gen angepasste Beantwortung dieser Frage haben

vertieften, bis auf die Elemente vordringenden wis-

würde, und zwar nicht bloß für das Problem der

senschaftlichen Untersuchung erschließen wird.

psychischen Weite des historisch gegebenen Men-

Und die wissenschaftliche Erforschung und Lösung

schen, sondern auch für die Lösung von rein prak-

wird in allen Fällen ebenso unsere äußere Politik

tischen Fragen der heutigen äußeren Kulturpoli-

vor Schaden bewahren und positiv fördern, wie

tik, und zwar wiederum nicht bloß gegenüber den

sie dem internationalen Verständnis direkt und

niedrigen Kulturen etwa der Kolonien, sondern

durchaus – kaum braucht das noch ausgesprochen

auch in der richtigen kulturpolitischen Behand-

zu werden – zu dienen hat und dienen wird.

lung der höchstzivilisierten Nationen.

Auf wissenschaftlichem Gebiete aber handelt

Wenn nun schon die verhältnismäßig einfa-

es sich dabei, wie in jeder Entwicklung universal-

chen Fragen nach Wesen und Wirkungsart der

geschichtlichen Denkens, nicht um bloßes Nach-

totalen Renaissancen und Rezeptionen nicht

denken und etwa noch Systematisieren schon vor-

geklärt sind, wie wird man da die verwickelte-

handener Forschungen. Natürlich kann man sich

ren Probleme verwandter partieller Erscheinun-

auch auf diesem Gebiete, wie jedem anderen wis-

gen als gelöst erachten wollen? Und welche Rätsel

senschaftlichen und praktischen, durch Hypothe-

geben hier die bisher fast nur isoliert beobachteten

sen einen Voranschlag gleichsam machen dessen,

Erscheinungen auf! Wie sind z. B. die Rezeptionen

was einmal gewesen sein könnte. Allein selbst ein

der europäischen Völker aus der japanischen Kul-

solcher Voranschlag würde, wie Versuche ergeben

tur seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts zu bewer-

haben, seine gewaltigen Schwierigkeiten bieten

ten? Wie kommt es, dass sie sich wesentlich nur auf

und hier weniger zum Ziele führen wie auf manch

die Phantasietätigkeit erstreckt haben? Was ist wei-

anderen Gebieten. Denn die universalgeschichtli-

ter, im engeren Kreise, das Besondere der Rezep-

che Entwicklung ist im höchsten Sinne des Wor-

tion skandinavischer Kulturelemente seit etwa

tes nur einmal geschehen und also streng singulär,


143

WIKA-Report (Band 2)

und darum können ihre letzten Zusammenhänge

von Gelehrten, die der untersuchten Kultur ange-

niemals durch Analogieschluss, sondern nur in

hören, nicht möglich ist. Zuerst wird man diese

unmittelbarer Anschauung und Erfahrung gewon-

Erfahrung für die großen ostasiatischen Kultu-

nen werden, so sehr zu deren richtiger Methode

ren, die chinesische und die japanische, machen.

die Kenntnis der typischen Vorgänge, wie sie sich

Gewiss ist es dem Europäer möglich, die Sprachen

vor allem im organischen Aufbau der Kulturstufen

dieser Kulturen und ihrer geschichtlichen Überlie-

vollziehen, unbedingte und in breitester Erfahrung

ferung so weit zu beherrschen, dass er deren Sinn

zu gewinnende Voraussetzung ist.

an sich und grammatikalisch richtig versteht. Es

Ist dem nun so, so versteht man wohl, wie hoch

wäre aber ein Irrtum, zu glauben, dass sich ihm

sich die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung wis-

damit auch der historische Sinn der Überlieferung

senschaftlicher Probleme der Universalgeschichte

eröffnet hätte. Sucht man ihn und kontrolliert man

auftürmen. Der einzelne ist ihnen gegenüber fast

dies Ergebnis durch das Urteil eines unterrichteten

machtlos; es ist die Organisation einer Anzahl von

Chinesen oder Japaners, so wird sich fast stets erge-

wissenschaftlichen Kräften notwendig, um sie zu

ben, dass diese in der Auffassung so von der euro-

bewältigen. Vergegenwärtigen wir uns genauer,

päischen abweichen, dass ein von dem gefundenen

was hier zu tun wäre, so bedarf es von vornherein,

abweichendes Resultat gewonnen wird. Nun wer-

um universalgeschichtlich überhaupt vorwärts zu

den sich allerdings Europäer wohl auch so schulen

kommen, einer gewissen Höhe des kulturgeschicht-

können, dass sie schließlich chinesisch oder japa-

lichen Verständnisses: denn die universalgeschicht-

nisch denken und fühlen; erfahrungsgemäß ist das

lichen Fragen von durchschlagender Bedeutung

jedoch bisher sehr wenigen gelungen, und für diese

sind, tiefer erfasst, kulturgeschichtlichen Charak-

Wenigen hat es dazu jahrelangen Aufenthaltes in

ters. In dieser Hinsicht nähert sich nun die histo-

Ostasien und eines Studiums bedurft, das als aus-

rische Forschung der Gegenwart immer mehr den

schließliche Lebensaufgabe gefasst werden musste.

zu stellenden Forderungen. Man weiß, wie heute

Man sieht: das sind Anforderungen, die der Univer-

das geschichtliche Verständnis durch und durch

salhistoriker, der sich mindestens prinzipiell mit

von kulturgeschichtlichem Denken getragen wird;

dem Schicksal aller Völker zu beschäftigen hat, für

und es ist bekannt, dass die Durchbildung der kul-

sich niemals erfüllen kann und somit nicht zulas-

turgeschichtlichen Methoden in der nationalen

sen darf: er würde sonst von dem notwendigen

wie in der europäischen Geschichte in den letz-

Niveau seines Standpunktes herabsteigen müssen.

ten zwei Jahrzehnten an mehr als einer |12 Stelle

So bleibt ihm nichts übrig, als zu tun, was selbst

aufgenommen worden ist und Fortschritte macht

die meisten Sinologen und Japanologen in schwie-

und gemacht hat. Und so wäre denn in der Tat

rigeren Fällen tun müssen: nämlich sich chinesi-

diese eine wesentliche Voraussetzung alles moder-

scher oder japanischer Gelehrter als Auskunftsper-

nen universalgeschichtlichen Studiums erfüllt oder

sonen zu bedienen. Natürlich aber müssen dabei

wenigstens im Begriff, erfüllt zu werden.

diese Auskunftspersonen so beschaffen sein, dass

Nun aber dieses Studium selbst! Wie alle kul-

sie den erforderten Dienst leisten können: und

turgeschichtlichen Studien, so verlangt es auch sei-

hierzu gehört eine Anzahl von intellektuellen und

nerseits eine intensivere Penetration der Quellen,

moralischen Eigenschaften, die sich nicht leicht

als sie für den herkömmlichen Betrieb der politi-

beisammen finden.

schen Geschichte notwendig ist; denn es kommt

Im übrigen aber: hat man erst einmal die

fast ständig darauf an, nicht bloß Ereignisreihen

Erfahrung gemacht, dass zu eingehender Interpre-

festzustellen, sondern in den Gesamtgeist der Quel-

tation der historischen Überlieferung |13 Chinas

len einzudringen. Und hier zeigt sich nun in der

und Japans Chinesen und Japaner notwendig sind,

Praxis sehr bald, dass eine so verschärfte Behand-

so nimmt man bald wahr, dass selbst für das kul-

lung der Quellen ohne Zuhilfenahme der Tätigkeit

turgeschichtlich notwendige genaue Verständnis


144

Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)

der europäischen Nationen Angehörige der betref-

Universitäten, gebunden, werden sie sich auch

fenden Völker als Auskunftspersonen erforderlich

mit deren Studien beschäftigen und dadurch hin-

werden. Denn auch hier gelingt es nicht, den letz-

einwachsen in das nationale Milieu, dem diese

ten Sinn, den Kern und Flaum gleichsam der Über-

angehören. Und gehoben und getragen von die-

lieferung ohne deren Hilfe zu erkennen.

sem Milieu, werden sie ein Verständnis der sie

Zieht man aus alledem das Fazit, so sieht man

umgebenden Nationalität gewinnen, das ihrem

leicht: zum erfolgreichen Betriebe universal­

internationalen Urteil für immer zugute kom-

geschichtlicher Studien bedarf es einer Arbeits­

men wird. |14

gemeinschaft verschiedener, aus den einzel-

Nun: dies ist ein Zusammenhang, wie Sie,

nen Nationen entnommener Forscher, die nach

meine Damen und Herren, alle sehen, der aus

bestimmtem Plane, unter der Leitung eines oder

der Wissenschaft ohne weiteres und innerlich-

mehrerer, in universalgeschichtlichen Dingen

organisch wiederum hinüberleitet zur politi-

schon erfahrener Gelehrter, an gewisse Aufgaben

schen Praxis. Denn auf welchem Wege als dem

der Untersuchung herantreten.

beschriebenen könnte besser eine auserlesene

Lässt sich nun eine solche Kombination herstel-

geistige Mannschaft internationaler Sympathien

len und fruchtbar zur Tätigkeit bringen? Ein Ver-

und gegenseitigen Verständnisses der Völker

such ist in dieser Hinsicht schon gemacht worden

gewonnen werden? Die Nation aber, die diesen

und hat befriedigende Resultate ergeben: mindes-

Weg zuerst mit Entschiedenheit betritt, wird sich

tens aber gezeigt, dass der beschriebene Weg prak-

einen wichtigen Vorsprung für die große Aufgabe

tisch durchaus gangbar ist.

der Regelung internationaler Freundschaften und

Gleichzeitig aber hat sich dabei noch ein

Zusammenhänge verschafft haben.

anderes herausgestellt. Es liegt in der Natur der

Möchte diese Nation die deutsche sein! Und

Dinge, dass als Auskunftspersonen vor allem jün-

möchten die bescheidenen Anfänge, die in ihrem

gere Gelehrte in Betracht kommen. Denn nur sie

Schoße zur Lösung der großen, soeben behandel-

gehen außer Landes, und nur sie besitzen im all-

ten Aufgaben bestehen, bald ein Interesse fin-

gemeinen noch jene Elastizität und ins einzelste

den, das sie fördert und vorwärts weist! Deutsche

eindringende Strenge der Arbeitsweise, die für die

Geschichtswissenschaft und Geschichtschrei-

Lösung der soeben skizzierten Aufgaben unerläss-

bung hat im 19. Jahrhundert Großes für die Eini-

lich ist. Indem dies aber der Fall ist, sammeln sich

gung unseres Volkes geleistet: möchte sie im 20.

nunmehr an bestimmter Stelle eine Anzahl geistig

Jahrhundert nicht minder ruhmreich und ent-

hervorragender junger Männer verschiedener Nati-

scheidend in die Einheitsbewegung der Mensch-

onen zu gemeinsamer, hohen Idealen zugewandter

heit eintreten, die sich in der Entwicklung der

Tätigkeit. Werden sie sich nicht auch gegenseitig

internationalen Beziehungen immer mehr

in starkem Grade geistig befruchten? Und werden

ankündigt.

sie dann, selbst wenn sie nur unter sich verkehren, nicht in eine reine Atmosphäre hohen menschlichen Wollens, Denkens und Empfindens, in eine wahrhaft internationale Auffassung der Menschheit hineinwachsen? Werden sie damit aber nicht auch im höchsten Grade jenen Geist in sich lebendig werden lassen, den wir den Geist internationaler Verständigung nennen können? Sie verkehren aber nicht nur unter sich. Naturgemäß an die schon bestehenden Einrichtungen großer internationaler Studien, insbesondere die

Rechte Seite: Portrait Karl Lamprecht (1915), Radierung des Leipziger Künstlers und Kunstprofessors Max Klinger, als Beigabe für die gemeinsam mit Wilhelm Wundt herausgegebene Gedenkschrift für Karl Lamprecht geschaffen. Vgl. Karl Lamprecht: Ein Gedenkblatt von Wilhelm Wundt und Max Klinger. Leipzig: S. Hirzel, 1915.


145

WIKA-Report (Band 2)


146

Europa-Parlament,2 umgesetzt wurde er von der

Kultur in der Außen­ politik der Europä­ischen Union Bericht der Konferenz „Culture in EU External Relations“ in Brüssel, 7./8. April 2014, und kurzer Kommentar1

EU-Kommission, realisiert schließlich von einem internationalen Konsortium unter der Leitung des Goethe-Instituts Brüssel.3 Das Konsortium hatte die Aufgabe, in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und weiteren 26 Ländern zu untersuchen, welche Partner es dort gab für eine spezifisch europäische Auswärtige Kulturpolitik, die die nationalen Aktivitäten europäischer Länder überwölben oder ‚überbrücken‘ soll, mit welchen Erwartungen eine solche Kulturpolitik zu rechnen hatte und welche Vorschläge man daraus ableiten konnte. Zu den

von Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)

26 Drittländern, in denen neben den Mitgliedsländern die Untersuchung (Mapping) stattfand, gehörten die sechzehn Länder der europäischen Nach-

Am 7. und 8. April 2014 ist in Brüssel im Palais des

barschaftspolitik sowie zehn ‚strategische Partner‘

Beaux Arts ein wichtiger Schritt getan worden, der

der Europäischen Union, unter diesen USA, China,

zur Begründung einer spezifischen, institutionell

Indien und Russland. Die Ergebnisse wurden in

gesicherten Auswärtigen Kulturpolitik der Euro-

einem vorläufigen Bericht mit dem Titel „Towards

päischen Union führen soll. Nahezu 400 angemel-

Global Cultural Citizenship“ (in Deutsch etwa „Auf

dete Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ein Gruß-

dem Weg zu einer kulturellen Weltbürgerschaft“)

wort der EU-Kommissarin für Bildung und Kultur,

zusammengefasst. Auf der Brüsseler Konferenz soll-

Androulla Vassiliou, eine Ansprache von Pierre

ten sie vorgestellt, diskutiert und ergänzt werden.4

Vimont, dem Stellvertretenden Generalsekretär

Die Untersuchung selbst war bereits ein ‚euro-

des Europäischen Auswärtigen Dienstes (European

päisches‘ Unternehmen: Im Konsortium vertre-

External Action Service, EEAS), zuletzt ein Schluss-

ten waren neben dem Goethe-Institut Brüssel das

wort von Jan Truszczyński, dem Generaldirektor

BOZAR Centre for Fine Arts in Brüssel, der Bri-

der Generaldirektion Bildung und Kultur der Euro-

tish Council Brüssel, das Dänische Kulturinstitut

päischen Kommission – das war der eindrucksvolle

in Brüssel, die Europäische Kulturstiftung (ECF),

Rahmen der Konferenz.

das Institut Français, Paris, KEA European Affairs,

Eines der Fundamente, von dem aus in den

Brüssel, und das ifa (Institut für Auslandsbezie-

nächsten Jahren der Auf bau einer europäischen

hungen), Stuttgart und Berlin. Das ifa, im Konsor-

Außenkulturpolitik erfolgen soll, war eine so

tium vertreten durch Ronald Grätz und Sebastian

genannte Preparatory Action. Der Vorschlag zu einer

Körber, war es dann, das pünktlich zur Konferenz

solchen ‚Vorbereitenden Maßnahme‘ kam vom

den auch grafisch hervorragend gemachten Kulturreport „Europa von außen. Erwartungen an die

1  Dieser Beitrag berichtet über den Ablauf und die Themen der Konferenz sowie die wichtigsten der dort mündlich vorgetragenen Stellungnahmen. Welche Schlussfolgerungen die Organisatoren aus der Konferenz gezogen haben, welche Empfehlungen sie daraus ableiten, ist inzwischen in einem Final Report als EU-Veröffentlichung festgehalten; vgl. „Preparatory Action ‚Culture in EU External Relations‘. Engaging the World: Towards Global Cultural Citizenship“. Europäische Union 2014. Online: http://cultureinexternalrelations.eu/wp-content/uploads/2014/06/NC0214601ENE.pdf (zuletzt abgerufen am 30.09.2014)

2  Vgl. die betreffende Entschließung des Parlaments vom 12. Mai 2011, online: http://www.europarl.europa.eu/sides/ getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2011-0239+0+DOC +XML+V0//DE 3  Vgl. hierzu auch den Beitrag von Gottfried Wagner im vorliegenden Band. 4  Vgl. die Website http://cultureinexternalrelations.eu/preparatory-action-on-culture-in-the-eus-external-relations/


147

WIKA-Report (Band 2)

europäische Außenkulturpolitik“ vorlegen konnte.5

Aktivitäten in Konfliktzonen (Syrien hat Vimont

Er gibt der Konferenz die wünschenswerte Tiefen­

dabei ausdrücklich genannt), mit Konfliktpräven-

dimension.

tion durch Kultur, mit einer Unterstützung neuen

Wie ‚Europa‘ denkt

kulturellen Lebens in Städten. Vimont nahm damit Themen auf, die schon der Gastgeber der Konferenz, Paul Dujardin von BOZAR Brüssel, angespro-

Im Zentrum der Konferenz standen drei Panels.

chen hatte: das Europa der EU als ‚proaktiv‘ für

Das erste befasste sich mit Realitäten und Erwar-

friedliche Beziehungen eintretende Macht und För-

tungen an Kultur in der EU-Außenpolitik, das

derer neuen urbanen Lebens.

zweite mit dem Mehrwert ‚europäischer‘ Dimensi-

Die Idee zur Preparatory Action und damit zum

onen und strategischer Ansätze für kulturelle Akti-

Auf- und Ausbau einer europäischen Auswärtigen

vitäten in der Außenpolitik Europas, das dritte mit

Kulturpolitik ist, wie erwähnt, vom Europa-Parla-

intelligenten und flexiblen Optionen für solche

ment ausgegangen. So hörte man mit besonderem

strategischen Ansätze. In ihrem Grußwort gab Kul-

Interesse, was der Stellvertretende Vorsitzende des

tur-Kommissarin Vassiliou den Ton vor, der in allen

Kultur- und Bildungsausschusses, Morten Løkke­

drei Panels immer wieder aufklang. Kultur, führte

gaard, vortrug. Kultur, so Løkkegaard im Wider-

sie aus, hat auch für die Europäische Union höchste

spruch zum Eingangsstatement von Frau Vassi-

Bedeutung, weil sie unsere Werte und damit unser

liou, hat in der Arbeit von EU-Europa bisher keinen

europäisches Selbstverständnis bestimmt. Es sind

besonders hohen Status gehabt. Jetzt aber soll es

die Werte einer inklusiven Gesellschaft, geprägt

mit großen Schritten vorangehen. Wie vorher Frau

von Vielfalt, Solidarität und intelligenter wechsel-

Vassiliou bezog auch er sich auf die ‚neue Erzäh-

seitiger Ergänzung („smart complementarity“). Die

lung von Europa‘ („new narrative of Europe“), für ihn

EU, so Vassiliou, ist ein gesellschaftliches, aber

das Europa der Werte, der Grundrechte als gemein-

auch ein kulturelles Projekt. Darauf sei man stolz.

sames Fundament, mit Demokratie und Freihandel,

Jetzt gelte es, die wichtigen Akteure (Stakeholders)

geprägt von Vielfalt und doch zugleich von einer

in Bewegung zu setzen und Bottom-up-Aktionen zu

gemeinsamen Identität. Løkkegaard forderte eine

fördern.

intensivere Kommunikation, insbesondere mit jun-

In welche Richtung man in der EU-Kommission

gen Leuten. Neben dem Thema Werte stellte sich

denkt, deutete sich auch in der Rede von Pierre

dies als eine Art pragmatischer Grundorientierung

Vimont an: Kultur, so Vimont, kann man nicht

heraus, die die ganze Konferenz durchzog, verbun-

in eine Box sperren, sie ist global und als solche

den mit der Erwartung, junge Menschen über die

auch mit der Wirtschaft verbunden. Wirtschaftli-

Sozialen Medien zu erreichen. Løkkegard brachte

che Entwicklung hängt von Kultur ab, und zwar

auch den Erfolg des Erasmus Mundus-Programms

über die Werte, die sie vermittelt, wie Vielfalt, Tole-

zur Sprache, betonte aber zugleich die Chancen,

ranz und Dialogbereitschaft. In diesem Sinne, so

die sich durch die Vermittlung von Fachwissen in

Vimont, ist Zuhören das Schlüsselwort, nicht Beleh-

der Kulturindustrie ergäben. Vieles, unterstrich

ren (lecturing) und von oben herab Behandeln (pat-

Løkkegaard, kommt jetzt auf Koordinationsfähig-

ronizing). Wie soll man mit einer spezifisch europä-

keit und Effizienz des Europäischen Auswärtigen

ischen Außenkulturpolitik beginnen? Indem man

Dienstes an.

Pilotprojekte fördert, zum Beispiel mit kulturellen 5  EUNIC, ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) und Europäische Kulturstiftung Amsterdam (ECF) (Hg.) (2014): Europa von Außen. Erwartungen an die europäische Außenkulturpolitik. Redaktion: William Billows und Sebastian Körber. (Kulturreport EUNIC Jahrbuch 2013/2014). Göttingen: Steidl. Der Band liegt auch in Englisch vor.

Konzepte der ‚Preparatory Action‘ Gut, dass Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, am Beispiel des gerade von der Diktatur seiner Generäle befreiten Myanmar die Seite


148 Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union – Konferenz zu „Culture in EU External Relations“ in Brüssel

bereits erfahrener und gestalteter Praxis aufschlug

Citizenship“ auch eine persönliche Dimension. Mit

und so einen Einblick in das kulturpolitische Kon-

einem Zitat aus Edgar Morins berühmten Buch

zept des Konsortiums erlaubte. In Myanmar hatte

„Europa denken“ schlug Isar einen Grundton seines

das Goethe-Institut sofort nach der Befreiung des

zentralen Vortrags an: Europa als Ort der Selbst-

Landes, mangels eines eigenen Hauses noch in

kritik, der Reflexion, der Innovation und der Kon-

den Räumen des Institut Français, angefangen,

vivialität. In Europa, so Isar, gibt es eine robuste

mit seinen spezifischen Mitteln – Dialog, Verstän-

Kulturpolitik von hoher Leistungskraft und Pro-

digung, Respekt vor Wissen und Kultur des Part-

fessionalität. Durch den globalen Wandel ist diese

ners, Werte-Transfer und -Diskussion – die neue

jetzt gefordert. Man ist aufgerufen, in einer multi-

Zivilregierung zu unterstützen, und zwar im Ver-

polaren und von der digitalen Revolution geprägten

bund mit europäischen Partnerinstitutionen vor

Welt nicht mehr nur entlang der Nord-Süd-Achse

Ort.6 Auch Ebert betonte den Zusammenhang von

zu denken, sondern transkontinental. Kulturelle

Kultur und wirtschaftlicher Entwicklung. Euro-

Weltbürgerschaft, so Isar weiter, ist für den Einzel-

päische Kulturpolitik soll nicht nur den Kultur-

nen wie für die Gesellschaft ein mentaler Lernpro-

austausch fördern, sondern überhaupt ‚kulturelle

zess, bei dem Zuhören und wechselseitige Anerken-

Ertüchtigung‘ („empowerment of culture“). Möglich

nung wichtig ist. Eine europäische Außenkultur­

sei dies aber am besten, wenn sich die europäische

politik soll zugleich von Werten und von Interessen

Politik dabei zurückhalte. Diese Politik, so Ebert,

bewegt werden. So kann sie sogar zur Metapher für

kann zwar den Rahmen vorgeben, die Gestaltung

die Bedürfnisse und Interessen aller werden.

der kulturpolitischen Räume, verstanden als Frei-

Von der Untersuchung, die vierzehn Monate

räume, soll sie aber Initiativen von Einrichtungen

dauerte, leitete Isar folgende Vorschläge ab: Es

at arm’s length überlassen. Solche Institutionen, die

muss eine außenkulturpolitische Strategie ent-

auf Armeslänge von der staatlichen Politik entfernt

wickelt werden, die besonders die jungen Leute

sind, wurden auf der ganzen Konferenz immer wie-

berücksichtigt, nationale Ressourcen sind zu ver-

der als Hauptakteure zitiert. Ebert nannte als Bei-

knüpfen, Adressaten und Märkte müssen definiert

spiele die europäischen Kulturinstitute, EUNIC als

werden, Anträge zu stellen muss leichter werden,

Vereinigung solcher europäischer Kulturinstitute

für Drittländer muss eine bessere Verbindung zu

sowie nationale und auch transnationale Stiftun-

Europa, einschließlich eines besseren Zugangs zu

gen. Bis 2020 soll die europäische Auswärtige Kul-

den (kreativwirtschaftlichen) Märkten geschaffen

turpolitik ‚stehen‘.

werden, Europa selbst muss seine Vielfalt, seine

Dass ein gebürtiger Inder, Yudhishthir Raj

‚Weltbürgerschaft‘, dazu auch seine weltweit tätige

Isar, Professor für Global Communications, Interna-

Kulturwirtschaft entwickeln und so global und

tional and Comparative Politics der Amerikanischen

auf intelligente Weise Status und Einfluss („smart

Universität in Paris, die wissenschaftliche Leitung

power“) gewinnen. Europäische Kultur in der Welt,

der ‚Vorbereitenden Maßnahme‘ für eine europäi-

so ist sich Isar sicher, hat riesige Potenziale, sie ist

sche Außenkulturpolitik übernommen hatte, mag

eng verbunden mit der Schaffung und Sicherung

zunächst verwundern. Ein Blick auf Isars Lebens-

von Wohlstand.

lauf enthüllt die Logik dieser Entscheidung. Indien,

Was sind die Verfahren, um Smart Power zu

Frankreich, Australien, UNESCO, USA – überall war

erreichen? Staatliche und private Initiativen aus-

er dort auf eminenten Posten – sind Stationen sei-

balancieren, zusammenarbeiten, fallweise vorge-

ner akademisch-politischen Lauf bahn. Von hier

hen, gute Praxisbeispiele schaffen, echt ‚europäi-

aus bekommt der vom Konsortium gewählte Titel

sche‘ Projekte entwickeln und für eine strategisch

des Vorläufigen Berichts „Towards Global Cultural

sinnvolle Clusterung dieser Projekte sorgen. Als Beispiele für solche Cluster nannte Isar Kultur-

6  Siehe zum kulturpolitischen Engagement in Myanmar auch den Beitrag von Anna Kaitinnis im vorliegenden Band.

wirtschaft, Kulturpolitik, Kultur und Entwicklung,


149

WIKA-Report (Band 2)

Kultur und gesellschaftliche Transformation, Kul-

es wahrscheinlich, dass man sich gegenseitig ins-

tur und Konflikt.

pirieren könne. Gemeint sei, dass auch die tunesi-

Erwartungen und Realitäten

schen Partner Europäer inspirieren könnten. Inspiration, so Tamzini, gibt es in Tunesien durchaus, was aber Europa zusätzlich einbringen kann, sind

Beim folgenden ersten Panel, zu „Kultur in der

Ausbildung und Strukturierung. Dazu allerdings

europäischen Außenpolitik: Erwartungen und Rea-

sollte die europäische Kulturadministration ihr

litäten“ konnte man Stellungnahmen hören, die

Trägheitsmoment in den Griff bekommen. Deren

unterschiedliche politisch-kulturelle und geogra-

Erwartungen dürften nicht dazu führen, dass in

fisch-kulturräumliche Standorte der Teilnehmer

einem geförderten Projekt die Kreativität tunesi-

erkennen ließen: Die niederländische Europa-Abge-

scher Kulturschaffender verdreht und behindert

ordnete Marietje Schaake hatte den europäischen

werde. Dies erfolge gelegentlich, so Tamzini, auch

Auswärtigen Dienst im Blick und beklagte, wie

durch eine Stereotypisierung tunesischer Kul-

schwer es gewesen sei, die außenkulturpolitische

tur, durch „folklorisation“. Für wichtig hält sie im

Initiative des Europa-Parlaments dort zu Gehör zu

Übrigen die Förderung von Projekten außerhalb

bringen. Selbst bei der NATO (die ihren Sitz eben-

der Hauptstadt und der anderen großen Städte.

falls in Brüssel hat) zweifele niemand daran, dass

Die europäischen Partner könnten sich so an der

Kultur eine bedeutende Rolle in der Politik spiele.

erwünschten Dezentralisierung des Landes beteili-

Es wunderte niemand, dass demgegenüber gerade

gen. Mit erfrischend kritischer Offenheit nahm die

ein Brite, Sir Martin Davidson, Generaldirektor des

tunesische Künstlerin übrigens nicht nur die Euro-

British Council, dafür eintrat, die außenkulturpo-

päer in den Blick. Auf dem Podium saß auch der

litischen Kompetenzen der nationalen Regierun-

Chinese Ting Xu, Direktor des Shenzhen Culture

gen und der EU überhaupt darauf zu beschränken,

Office und Vertreter des UNESCO-Projekts „Creative

lediglich den politisch-rechtlichen Rahmen zu for-

Cities Network“. Mit der zu erwartenden stoischen

mulieren. Kulturelle Einrichtungen sind gefordert,

Haltung und kaum sichtbarem Lächeln hörte er

so Davidson, die Politik selbst aber kann „nicht lie-

von Frau Tamzini, wie chinesische Billigprodukte

fern“.

gerade dabei seien, das einheimische (Kunst-)Hand-

Positionen der südlichen Nachbarn Europas

werk in Tunesien ernstlich zu bedrohen.

vertrat energisch die Künstlerin und Kulturma-

Zu „Erwartungen und Realitäten“ äußerte sich

nagerin Sana Tamzini aus Tunis. Man erfahre im

in der Diskussion auch Charles-Etienne Lagasse,

Süden die kulturpolitischen Aktivitäten der EU-

Präsident von EUNIC, dem Netzwerk nationaler

Länder als eher zweideutig. Insbesondere, führte

Kulturinstitute der Europäischen Union.7 Leider

Tamzini aus, sei der Forderung nach einer Begeg-

in notgedrungen zu knapper Form verwies er auf

nung von gleich zu gleich nur schwer nachzukom-

EUNIC als genuinen ‚Kompetenzraum‘ für Kon-

men. Es fehle an einem Sinn für geteilte Verant-

zeption und Praxis einer europäischen Außen-

wortung („sens de partage“). Auf dem Höhepunkt

kulturpolitik. EUNIC, so Lagasse, ist mit den nati-

terroristischer Aktivitäten in Tunesien hätten sich,

onalen und lokalen Zivilgesellschaften in Europa

so lautete die Kritik, europäische Partner gelegent-

verbunden, bildet ein Forum für die Gestaltung

lich aus Projekten zurückgezogen. Ein Gegenbei-

Auswärtiger Kulturpolitik, trägt als Think-Tank

spiel sei das Goethe-Institut Tunis. Dort habe man Frauen, die von Fatwas und Morddrohungen islamistischer Extremisten verfolgt waren, wirksam unterstützt. Mehrfach betonte Tamzini, dass es gar nicht so sehr um Geld gehe, sondern darum, beiderseits die ‚richtigen‘ Personen zu finden. So sei

7  Aus dem Webauftritt von EUNIC: „EUNIC is the network of the European national institutes for culture. Formed in 2006, EUNIC is a recognised leader in cultural cooperation. EUNIC has 32 members from 27 countries that are based in over 150 countries with more than 2,000 branches and thousands of local partners. The members work in the arts, language, youth, education, science, intercultural dialogue and development sectors.“ (http://www.eunic-online. eu/?q=content/who-we-are)


150

Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union – Konferenz zu „Culture in EU External Relations“ in Brüssel

zur Entwicklung von Konzepten bei und ist darü-

Initiativen sind es, die man fördern muss. In die-

ber hinaus eine Agentur ihrer Praxis. Im Zusam-

sem Zusammenhang nannte Schneider die mög-

menhang mit EUNIC öffneten sich in der weite-

lichst baldige Wiedereröffnung des Musikfestivals

ren Diskussion auch großregionale und globale

„Festival au Désert“ in Mali ein wichtiges Politikum.

Per­spektiven. Teilnehmer fragten zum Beispiel:

Professionell und bis ins Detail durchdacht

Welche Rolle kann eine europäische Außenkul-

schien vielen Teilnehmern der Beitrag von Gijs de

turpolitik in der Krise um die Ukraine spielen?

Vries. Der Niederländer war Vorsitzender der libe-

Oder: Was bedeutet für Drittländer, zum Beispiel

raldemokratischen Fraktion im Europa-Parlament,

für die Maghrebstaaten, eine spezifisch europäi-

Koordinator der EU für die Terrorismus-Bekämp-

sche Außenkulturpolitik, im Gegensatz zur bis-

fung und wichtigster Berater von Xavier Solana,

herigen nationalen Außenkulturpolitik der Euro-

dem Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen-

päer? Wenigstens kurz, sicher sogar zu kurz, kam

und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.

schließlich die Sorge vor der noch verhandelten

Auch beim Auf bau des Internationalen Strafge-

transatlantischen Freihandelszone zur Sprache.

richtshofs hat er mitgeholfen. De Vries ist Autor

Manche befürchten, dass man auf dem Feld der

des Berichts „A Europe Open to Culture: Proposals for

Kultur europäische Sachverhalte und Interessen

a European Strategy of Cultural Diplomacy“ (de Vries

nicht genügend beachtet.

2008). In seiner Stellungnahme riet er zur Konzen-

Regionale Praxis – globale Vision

tration auf bestimmte Ziele und setzte der globalen Per­spektive anderer Redner eine (groß-)regionale entgegen. Im regionalen Rahmen, so de Vries, solle

Großregionale und globale Perspektiven gab es auf

man Allianzen verschiedener Kulturakteure för-

dem zweiten Podium, mit dem Thema „Der poten-

dern, zum Beispiel von Medien und Künsten. Oder

zielle Mehrwert europäischer Dimensionen und

man solle überlegen, wie man zentrale Arbeitsfel-

strategischer Herangehensweisen an Kultur in Aus-

der der modernen Welt mit kulturellen Aktionen

wärtigen Beziehungen“. Nicht nur haben viele Kon-

verbinden kann, wie zum Beispiel Reiseindustrie

flikte in der Welt kulturelle Gründe, so Ferdinand

und Kulturtourismus (auch nach und in Afrika)

Richard, Präsident des Roberto Cimetta Funds,

oder Klimaschutz und kooperative ökologische

Paris, es gibt auch einen fundamentalen Wandel in

Programme. Auch Sport spiele für eine europäische

der Beherrschung kultureller Märkte: „Statt Hol-

Kulturaußenpolitik eine große Rolle. Von besonde-

lywood nun Google“. Kreative Potenziale vor Ort

rer Bedeutung ist allerdings, betonte de Vries, die

und in den Regionen sind jetzt, beklagte Richard,

Verbindung einer europäischen Auswärtigen Kul-

von den „Bulldozern“ globaler Kulturindustrien

turpolitik mit Bildungs- und Wissenschaftspolitik.

gefährdet, in deren „Goldenem Dreieck“ schöpfe-

Als Beispiele nannte er das Erasmus Mundus-Pro-

rische Geister und Unternehmungen Europas ein-

gramm, die Gründung und Förderung von Alumni-

fach verschwinden. Dies sei eine Bedrohung euro-

Vereinigungen und den Schutz von Kulturgütern

päischen Kulturschaffens, die man ernstnehmen

in Krisengebieten. Europäische Außenkulturpolitik

muss. Einen anderen Blickwinkel auf die politische

ist für de Vries auch der Dialog der Zivilgesellschaf-

Dimension von Kultur vermittelte Botschafterin

ten, insbesondere über Menschenrechte.

Cynthia P. Schneider von der Georgetown Univer-

In der Diskussion, die dem Panel folgte, hörte

sity in Washington: Kulturelle Macht ist heute poli-

man dann allerdings erneut Klagen, insbesondere

tisch wichtiger geworden, militärische Macht ist

von Teilnehmern aus dem Süden und aus dem

begrenzt. Künstler und Schriftsteller, so Schneider,

Osten, dass sich europäische Akteure oft ziem-

sind nicht unbedingt das ‚freundliche Gesicht‘ der

lich reserviert verhielten, wenn ihnen ein Thema

Macht. Vielmehr stehen sie meistens auf der Seite

politisch zu sensibel scheine. Auch die vergleichs-

von Freiheit und Demokratie. Gerade die lokalen

weise bescheidenen Dimensionen europäischer


151

WIKA-Report (Band 2)

Kulturförderung wurden moniert. Allein Samsung

‚Arabischen Welt‘ ein Kampf um die rechten Werte

investiere mehr in Kulturprojekte als viele europä-

stattfinde. Auch Europa sei darin einbezogen. Auch

ische Organisationen. Dabei gehe es bei einer euro-

auf Nachfrage wollte sich Rifahi dazu sachlich

päischen Außenkulturpolitik, überhaupt bei euro-

nicht genauer äußern, betonte aber, es käme hier

päischer Kulturpolitik, um zentrale Probleme Euro-

auf die agierenden Personen an.

pas und seiner Nachbarn. Warum kommen immer

Grundsätzlich, so Corina Şuteu, rumänisch-

mehr jugendliche Djihadisten ausgerechnet aus

amerikanische Kulturmanagerin, ist die Europä-

Europa? Durch eine durchdachte und engagierte

ische Union für Werte-Dialog und Werte-Vermitt-

Kulturpolitik, meinte ein Teilnehmer, kann man

lung wesentlich besser gerüstet als der Europarat,

wesentlich dazu beitragen, die persönliche Iden-

weil sie über mehr Instrumente verfügt. Kultur

tität solcher Jugendlicher zu stärken und gegen

ist für sie ein Faktor gesellschaftlichen Wandels.

Zugriffe aus extremistischen Milieus zu sichern.

Den Einfluss der EU, der insbesondere in kleine-

Autonomie und Würde zu fördern, insbesondere in

ren Ländern wirksam wird, hält sie für beträcht-

Afrika, muss, so ein Teilnehmer, ebenfalls vorneh-

lich. Allerdings, so Şuteu, seien die USA wesentlich

mes Ziel europäischer Außenkulturpolitik werden.

effizienter. François Rivasseau, Stellvertretender

Die regionale und die globale Perspektive verband

Vorsitzender der EU-Delegation in den Vereinig-

schließlich ein weiterer Diskutant: Was sich von

ten Staaten, nahm den Faden auf, als er mit lei-

nun an kulturpolitisch zwischen Europa und etwa

sem Spott anmerkte, immerhin glaube man in

der Arabischen Welt entwickele, könne weltweit

den USA, dass es eine europäische Kultur tatsäch-

Einfluss ausüben.

lich gebe. Die nationalen Kulturinstitute Europas,

Ein Diskussionsredner nahm dann schließlich

meint Rivasseau, werden durch die europäische

die Forderung de Vries‘ auf, sich, statt in der Aus-

Dimension aufgewertet. Schwierig bleibt Auswär-

wärtigen Kulturpolitik Europas globale Sehweisen

tige Kulturpolitik in Amerika aber dennoch, weil

zu pflegen, eine strategische Raumkomponente zu

es an staatlichen Kooperationspartnern fehlt und

überlegen. Europäische Politik, so der Teilnehmer,

man es meist mit privaten Stiftungen zu tun hat.

darf sich nicht in abstrakter Werteorientierung

Auf der europäischen Seite, so Rivasseau, entstehen

verlieren, ohne die kulturellen, gesellschaftlichen,

Probleme durch die Angst der EU-Kommission vor

ökonomischen und politischen Räume zu berück-

zusätzlichen Verantwortlichkeiten. Vielleicht mag

sichtigen, wo sie ihre Partner findet. Die EU im

hier die Feststellung von Pawel Potoroczyn, dem

post-sowjetischen Raum – wo sei da eine politisch-

Direktor des Adam Mickiewicz-Instituts in War-

kulturell relevante Strategie erkennbar?

schau, trösten, Kulturförderung sei wenigstens

Soft Power – die „smarten und flexiblen Strategien“

nicht teuer. In der Diskussion wurde die Frage nach den „smarten und flexiblen“ Strategien europäischer Außenkulturpolitik dann praktisch. Wann wird

Das dritte Podium: „Intelligente (smart) und flexi-

denn das erste europäische Kulturinstitut seine

ble Optionen für eine strategische Annäherung an

Arbeit aufnehmen? Werden die vermittelten

Kultur in auswärtigen Kulturbeziehungen“ ergab

Inhalte nach wie vor auf die nationalen Kulturen

nur noch wenige Aspekte, die nicht schon in den

bezogen sein? Wäre also nur die Botschaft europä-

vorangegangenen Stellungnahmen und Diskussi-

isch? Wird Europa in einem solchen Institut mit

onen genannt worden waren. Recht bedeckt hielt

nur einer Stimme sprechen oder mehr auf Viel-

sich Oussama Rifahi, Direktor des AFAC, Arab Fund

falt setzen? Wird ein solches Institut dazu bei-

for Arts and Culture. Für ihn kommt die Werte-

tragen, Künstlern weiterzuhelfen, die von ihren

Dynamik aktueller und zukünftiger europäischer

Regierungen nicht genügend oder überhaupt nicht

Außenkulturpolitik zu einer Zeit, in der in der

gefördert, ja nicht einmal informiert werden? Als


152 Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union – Konferenz zu „Culture in EU External Relations“ in Brüssel

vorbildlich wurde von einer kanadischen Teilneh-

zu einem Nullsummenspiel ohne Gewinn für die

merin das Goethe-Institut in Québec genannt: als

Menschen – führt in eine Falle. Ein Paradigmen-

ein Ort, der in seine gesellschaftlich-kulturelle

wechsel von Soft Power zum Kulturdialog ist not-

Umgebung integriert sei, ein Ort nicht der ‚Verbrei-

wendig. Traditionelle Auswärtige Kulturpolitik

tung‘, sondern der ‚Transformation‘.

im Sinne von Soft Power muss also, so Ruche, zu

In der abschließenden Wrap-up Session brauchte

einem Projekt der Zusammenarbeit werden, verste-

die Projektbeauftragte Sana Ouchtati vom Goethe-

tigt durch ein „collaborative scheme“. Krisen brauche

Institut Brüssel die Ergebnisse der Konferenz im

man, so vorbereitet, nicht scheuen. Krisen schaf-

Einzelnen nicht zusammenzufassen: Sie würden

fen ihre eigene Kultur. Und Mauern brauche man

in den Schluss-Report aufgenommen, der der EU-

nicht unbedingt einzureißen, manchmal genüge

Kommission übergeben wird. Auf der Website der

es, sie zu besteigen und zu schauen, was dahinter

Preparatory Action ist dieser Report jetzt dokumen-

zu sehen ist.

tiert. Einige Perspektiven der Konferenz wurden

Mit dem pragmatischen Ton, den der letzte

von Ouchtati aber dann doch genannt: Die Freiheit

Redner, Jan Truszczyński, Generaldirektor der

der Künstler, für die eine europäische Außenkul-

Generaldirektion Bildung und Kultur der Europä-

turpolitik einen fördernden Rahmen schaffen soll,

ischen Kommission, anschlug, endete die Konfe-

die bessere Kommunikation mit den Partnern in

renz. Der Staat, so Truszczyński, kann nicht alles

der Welt, die Schaffung neuer Allianzen, zum Bei-

regeln, die von dem Konsortium der Preparatory

spiel zwischen Wissenschaft, Bildung und Sport,

Action erarbeiteten Analysen und Vorschläge wer-

die Beachtung einer variablen Geometrie der Kul-

den in die Arbeit der Organe einfließen. EUNIC,

tur-Akteure, die Realisierung von Pilotprojekten

so Truszczyński, sei ein gutes Beispiel für Art und

und andere Themen, die auf der Konferenz ange-

rasche Entwicklung einer europäischen Außen-

sprochen worden waren.

kulturpolitik. Eher im Ausklang seiner Ansprache

8

Wie soll es weitergehen? Dem inneren Kreis

verwies Truszczyński dann auf ein Potenzial, das

des Europäischen Auswärtigen Dienstes gehört als

im Lauf der Konferenz, wohl auf Grund der Zusam-

Chef berater im Büro des Generalsekretärs Alain

mensetzung von Panels und Teilnehmerkreis, nur

Ruche an. Zu den Schlüsselkonzepten in seiner

gelegentlich zur Sprache gebracht worden war: die

Ansprache gegen Ende der Konferenz gehörten, wie

Hochschulbildung. In ihrer Bedeutung für die Stel-

zu erwarten, das Zusammenwirken, die Rückbin-

lung Europas in der Welt sei sie durchaus mit dem

dung der Wirklichkeit auf das Lokale, verbunden

Status der europäischen Industrie vergleichbar.

mit einer Dialektik von lokalem und globalem Handeln sowie kosmopolitischer Bürgerschaft. Ruche

Kurzer Kommentar

empfahl das Zusammenschalten von Akteuren, die Beachtung der digitalen Revolution, die Orientie-

Die von den Hauptrednern beschworene histo-

rung an den Menschen. Schließlich – konkreter –

rische Bedeutung der Konferenz erfordert, was

regte er an, Kulturförderung mit zu langfristigen

Inhalte und was Personen anbetrifft, Genauigkeit,

Projekten kritisch zu überdenken. Für besser hält

mag diese auch auf Kosten rascher Wahrnehmung

er die kurzfristig angelegte Förderung von Proto­-

einiger Highlights gehen. Dem Chronisten kam es

typen, die dann sehr wohl langfristig wirken könn-

darauf an, die leitenden Konzepte hinter der Konfe-

ten.

renz in Umrissen sichtbar zu machen. Es mag ihm Aufhorchen ließ Ruches Warnung, den Begriff

der Soft Power unbedacht zu verwenden. Power

nun vergönnt sein, den Bericht mit einigen persönlichen Bemerkungen ausklingen zu lassen.

bedeute Macht, und Macht bedeute Konkurrenz

Wie geht man vor, um die vom EU-Parlament

und Kampf. Dies aber, so der Redner, führt letztlich

gewollte Einbeziehung von Kultur in eine europä-

8  Vgl. Anm. 1.

ische Außenpolitik zu begründen? Diese gibt es,


153

WIKA-Report (Band 2)

sie hat ihren Kern in der von den europäischen

Mehrwert in das politisch-kulturelle Aktionsfeld

Regierungen betriebenen „Gemeinsamen Außen-

eingebracht. Die Präsenz von spezifischen Werten

und Sicherheitspolitik“ (GASP) (s. von Arnauld (Hg.)

soll helfen, der EU einen geachteten Status in der

20149). Offenbar war es nicht leicht, die Verantwort-

Welt zu geben, Vertrauen zu schaffen und so Ein-

lichen in der EU-Kommission zu überzeugen, sich

flussmacht (Soft Power) zu gewinnen.

auf eine Außenkulturpolitik einzulassen.10 Geht

Die Schöpfer einer europäischen Außenkultur-

man von vielen Beiträgen zur Konferenz aus, bil-

politik stehen also vor einer doppelten Aufgabe:

det die Berufung auf Werte, insbesondere Toleranz,

Sie müssen die kulturelle Dimension nach innen

Vielfalt, Dialogbereitschaft, friedliches Zusammen-

vertreten, zum Beispiel gegenüber der EU-Kommis-

leben und Zusammenwirken die wesentliche Legi-

sion, und sie müssen europäische Kulturleistung

timation für die Entwicklung einer kulturellen

so definieren, dass sie nach außen im positiven

Dimension in der auswärtigen Politik ‚Europas‘.

Sinne wirken kann. Nach innen sucht man Erfolg

Diese Werte werden einerseits als global gültig

dadurch zu erreichen, dass man – erstens – Kultur

verstanden, andererseits sieht man sie in Europa

politisiert, indem man einen Bezug zum öffentli-

politisch-kulturell besonders verankert. Die poli-

chen Selbstverständnis der EU nicht nur als Wirt-

tische Organisationsform der EU, die parlamenta-

schafts-, sondern auch als Wertegemeinschaft her-

rische Demokratie mit Gewaltenteilung, Rechts-

stellt. Und dass man – zweitens – Kultur als Wirt-

sicherheit und Marktwirtschaft, wird ebenso als

schaftsfaktor darstellt (Beispiel: creative industries)

9  Siehe die Rezension von Christian Hillgruber zu dem hier zitierten Herausgeberwerk: Mit einer Stimme für Europa sprechen. Zur völkerrechtlichen Selbstaufgabe sind die Mitgliedstaaten nicht bereit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.04.2014 (Nr. 93), S. 8. 10  Dabei hatte die Kommission selbst bereits 2007 die Initiative für eine europäische Kulturpolitik in der globalisierten Welt ergriffen. Vgl. als substanzielles, sehr bedeutendes Dokument die „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“ (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/;ELX_SESSION ID=071hTP8crX5hmb2pJyDlhDTJX9Xv7mZ1xHnvFscqVbpRY jvy1JhC!-1900192295?uri=CELEX:52007DC0242), Zusammenfassung: Europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung. In: Europa. Zusammenfassungen der EU-Gesetzgebung (http://europa.eu/legislation_summaries/culture/ l29019_de.htm). In der „Schlussfolgerung“ heißt es: „Kultur ist kein Luxus, sie ist eine Notwendigkeit (Gao Xingjian). Nach Ansicht der Kommission ist der Zeitpunkt für eine neue europäische Kulturagenda gekommen, die den Realitäten der modernen Welt im Zeichen der Globalisierung Rechnung trägt. In dieser Mitteilung werden konkrete Vorschläge vorgebracht, die sowohl eine Reihe gemeinsamer Ziele als auch neue Methoden zur Intensivierung der kulturellen Zusammenarbeit in der EU betreffen. Das Europäische Parlament, der Rat, der Ausschuss der Regionen und der Europäische Wirtschafts- und Sozialauschuss werden ersucht, sich zu dieser Mitteilung zu äußern. Der Rat wird gebeten, die entsprechenden Schritte zu ergreifen, um im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode gemeinsame Ziele zu setzen und eine geeignete Berichterstattung beschließen zu können; der Europäische Rat wird ersucht, dies in seinen Schlussfolgerungen zu unterstützen.“ Vgl. den Beitrag von François de Bernard im vorliegenden Band.

und darüber hinaus politisch-ökonomische Organisationsformen wie Freihandel sogar in den Wertekanon integriert. Aber auch unabhängig von taktischen Überlegungen wäre die Entwicklung einer kulturellen (und kulturpolitischen) Dimension in der Außenpolitik für die EU-Kommission und ihren Auswärtigen Dienst wertvoll. Insbesondere wenn es gelänge, Inhalte und Sprache des interkulturellen Dialogs mit den Partnern auch in die europäischen Länder hineinwirken zu lassen. Es entstünde so eine Aura kultureller Sensibilität und kultureller Kompetenz, die für die Union defensiv wie offensiv von großer Bedeutung wäre, ja vielleicht sogar zu ihrem Überleben beitragen könnte. Kultur, so wurde auf der Konferenz gesagt, kann man nicht in eine Box stecken. Die Ausgestaltung und Festigung einer kulturpolitischen Dimension würde wesentlich dabei mithelfen, dass die Union ein dynamisches, entwicklungsfähiges und anderen Regionen gegenüber vermittlungsfähiges


154

Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union – Konferenz zu „Culture in EU External Relations“ in Brüssel

Gebilde bleibt.11 Eine „new narrative of Europe“, eine

Erkenntnis- und Entscheidungsprozess einzube-

„neue Erzählung von Europa“ beschwor Kultur-

ziehen. Auf der Brüsseler Konferenz vermittelte

kommissarin Vassiliou in ihrer Rede. Was für eine

die Tunesierin Tamzani eine Vorstellung, zu wel-

Geschichte soll dies sein? Gewiss nicht nur ein epi-

chen Ergebnissen das angemahnte Zuhören füh-

scher Werte-Kanon, sondern eine Geschichte von

ren kann. Die eingangs erwähnte Untersuchung

Überlieferung und Leistung europäischer Natio-

der Preparatory Action ist ein wertvolles Mapping.

nen und Regionen, von ihren Verbindungen unter-

Der bereits genannte Sammelband „Europa von

einander und zu anderen kulturellen Räumen, von

außen“12 enthält mehrere Artikel von Autoren aus

ihrem Zusammenfinden und Zusammenleben in

Nicht-EU-Ländern. Wie wird man weiter mit diesen

einer transnationalen Gemeinschaft und von deren

Erkenntnissen umgehen? Der angekündigte Final

Suche nach einem Platz in der globalisierten Welt,

Report liegt inzwischen vor.13

der Handlungsfähigkeit und Mitwirkung ermöglicht.

Wie soll nun das ‚Außen‘, auf das europäische Kulturpolitik einwirken soll, definiert werden?

Wie und mit welchen Zielen soll eine spezifisch

Abgesehen von den Mahnungen, lokale Initiativen

europäische Kulturpolitik nun nach außen wir-

nicht zu übersehen, war auf der Konferenz meist

ken? Mehrfach klang das Potenzial von Kulturpoli-

vom ‚globalen‘, also weltumspannenden Aktions-

tik sowohl als ‚proaktiver‘ Kraft der Prävention an,

raum einer zukünftigen europäischen Außenkul-

wie auch als Element der Krisenbewältigung und

turpolitik die Rede. Gijs de Vries brachte demgegen-

politischen ‚Nachsorge‘. In diesem Sinne würde EU-

über ausdrücklich den Bezug zu Regionen, Groß-

Europa aber nur wirken können, wenn es gelänge,

regionen, ins Gespräch. Tatsächlich bezogen sich

sich – gewiss auch, ja insbesondere durch die von

buchstäblich alle Diskussionsteilnehmer, die nicht

Europa vertretenen Werte – ein Profil zu geben,

aus EU-Ländern kamen, auf die je besonderen Ver-

das Respekt und Vertrauen schafft. Hier wird ein

bindungen Europas mit ihrer Region, also mit Ost-

Dilemma sichtbar: Einerseits schaffen diese Werte

europa, mit dem Maghreb, mit Kanada. In keinem

Europa einen hervorragenden Status, anderer-

Fall wurde ein ‚globaler‘ Horizont sichtbar. Im wei-

seits aber musste auf der Konferenz immer wieder

teren Verlauf der Gründung einer ‚europäischen‘

betont werden, man wolle nicht belehren und von

Außenkulturpolitik – Johannes Ebert nannte das

oben herab behandeln (Kritik am Patronizing). Viel-

Jahr 2020 als Termin für deren Funktionieren in

mehr wolle man ‚zuhören‘. Wie hat man sich die

der Praxis – werden sich Kommission und Auswär-

Reaktion der Partner auf eine überwältigend werte-

tiger Dienst der EU gewiss mit neueren Raumkon-

orientierte Außenkulturpolitik vorzustellen? Wird

zepten auseinandersetzen. Vielleicht gehört dazu

Europas Politik daran gemessen? Wird sie sich mit

das Konzept des funktionalen Raums, wie er in

ihren Werten im weltweiten Kampf um Ressourcen

den Wirtschafts- und in den Kulturwissenschaften

behaupten? Wird man wirklich ‚zuhören‘, wenn

angedacht wird. Funktionale Räume sind dynami-

die als global gültig verstandenen Werte kultur-

sche Räume, in denen sich, historisch und aktuell,

spezifisch unterschiedlich interpretiert werden?

gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche und

Um das herauszufinden, wäre es gewiss gut, geeig-

politische Beziehungen interkulturell verdichtet

nete Persönlichkeiten aus Nicht-EU-Ländern in den

haben und weiter verdichten. Die dynamischen

11  Dieser Prozess müsste allerdings von wissenschaftlich fundiertem kulturellem Wissen getragen und im Sinne Morins selbstreflexiv, ja selbstkritisch erfolgen. Eine zeitgeschichtlich-analytische Annäherung an das Thema, wie eine Kultur diskursiv und narrativ ‚produziert‘ werden kann, wie mit Hierarchisierungen gerechnet werden muss, wie bestehende Dispositive darauf einwirken, bietet im kritischen Modus das Buch „Die Fabrikation europäischer Kultur“ von Lars Alberth (2013).

‚Grenzen‘ solcher Räume sind nicht politisch-rechtlich festgeschrieben, sondern bilden sich, abhängig von der Intensität der Kommunikation, „von innen

12  Siehe Anm. 5. 13  Siehe Anm. 1.


155

WIKA-Report (Band 2)

nach außen“ (Thum 2012).14 Sie bieten sich daher

Literatur

mit guten Gründen als Aktionsräume einer differenzierten, ‚smarten‘ Kulturpolitik an. Funktionale Räume können sich auch überlappen, sie kön-

Alberth, Lars (2013): Die Fabrikation europäischer

nen sogar konfliktträchtig interferieren. In diesem

Kultur. Zur diskursiven Sichtbarkeit von Herr­

Sinne führt wohl kein Weg daran vorbei, Außen-

schaft in Europa. Bielefeld: Transcript.

kulturpolitik mit geopolitischen Überlegungen neuer Art zu verbinden, also unter Einbeziehung

von Arnauld, Andreas (Hg.) (2014): Europäische

einer variablen Geometrie der raumbildenden Fak-

Außen­beziehungen. (Enzyklopädie Europarecht;

toren, einschließlich der durch die digitale Revolu-

10). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

tion bewirkten Möglichkeiten. An wen soll sich, wenn schon nicht die Außen-

Thum, Bernd (2012): Ein Euro-Mediterraner

kulturpolitik der EU, so doch ihr Handeln in der

Wissens- und Handlungsraum als strategisches

Breite wenden? Alle Redner nannten hier die ‚jun-

Ziel. Kulturpolitische Überlegungen zu Konzep­

gen Leute‘, meist im Zusammenhang mit ihrer

tion und Programm. In: Gerd Ulrich Bauer/ders.

bevorzugten Kommunikationsform, den Sozialen

(Hg.): Internationale Bildungsbeziehungen. WIKA-

Medien. Man denkt dabei einerseits an die jungen

Report 1. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik).

Kreativen, die man in Verbindung bringen und

Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen,

denen man Märkte öffnen muss, andererseits an

S. 87–96.

die jungen Leute in der Ausbildung. Auch Vertreter der Kommission haben das außenpolitisch rele-

de Vries, Gijs (2008): A Europe Open to Culture.

vante Potenzial, über das die EU mit ihrer Hoch-

Proposals for a European Strategy for Cultural.

schulbildung verfügt, mehrfach hervorgehoben.

In: Drnovšek Zorko, Helena/Štular, Meta (Hg.):

In dem Diskussionspapier, das die geladenen Teil-

New Paradigms, New Models – Culture in the

nehmer vor der Konferenz erhielten, wurde auf das

EU External Relations. Ljubljana, 13–14 May 2008.

große Interesse gerade an den europäischen Kultur-

Background Papers, S. 9–73. Online: http://

wissenschaften (Humanities) aufmerksam gemacht,

www.mzz.gov.si/fileadmin/pageuploads/

das es bei den befragten Partnern gibt. Die in den

Kulturno_sodelovanje/New_Paradigms__

Kulturwissenschaften geführte Diskussion würde

BACK_GROUND_PAPERS.pdf

helfen, den auf der Konferenz im Vordergrund stehenden pragmatisch-operationalen Begriff von Kultur (Wertevermittlung, Kultur­a rbeit, Kultur-

Angaben zum Verfasser finden sich im vorliegen-

wirtschaft, eine weiter nicht definierte Hochschul-

den Band auf S. 35.

bildung) konzeptionell zu vertiefen. Kulturwissenschaftliche Bildung – wie soll man sich die new narrative, die neue Erzählung von Europa ohne sie vorstellen?

14  Vgl. auch den Beitrag von Bernd Thum zum Thementeil des vorliegenden Bandes.


156

des Reihenherausgebers Wolfgang Schneider ver-

Rezensionen

sehen, das primär der vorliegenden Studie, darüber hinaus auch der Reihe selbst gewidmet ist. Textbasis für das Geleitwort ist offenbar das vom betreuenden Hochschullehrer angefertigte Gut-

Ausstellungsarbeit in der AKBP

achten. Es ist missverständlicherweise (da verallgemeinernd) mit „Auswärtige Kulturpolitik auf dem Prüfstand“ betitelt. Ein Postskriptum veror-

Denscheilmann, Heike (2013): Deutschlandbilder:

Ausstellungen im Auftrag Auswärtiger Kulturpolitik.

(Auswärtige Kulturpolitik; o.N.). Wiesbaden: Springer VS. – Zugl.: Hildesheim, Univ., Diss., 2012, u. d. T.:

Das Deutschlandbild als Auftrag der Auswärtigen

Kulturpolitik. Repräsentation und Kommunikation

in der Ausstellungsarbeit des Goethe-Instituts und des Instituts für Auslandsbeziehungen 1990–2010.

tet die Reihe schließlich institutionell am Institut für Kulturpolitik der Stiftung Universität Hildesheim, das bereits früher Forschungsarbeiten von Nachwuchswissenschaftler/-innen in einem Reihen-Band versammelt und damit einer breiteren (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.1 Ob damit allerdings hinreichend ein „Desiderat Auswärtiger Kulturpolitik in der Politikwissenschaft und den Kulturwissenschaften“ (Wolfgang Schnei-

Mit knapp dreihundert Seiten liegt die Dissertation

der: Geleitwort, S. 9) begründet ist, mag angesichts

von Heike Denscheilmann vor, die als Nachwuchs-

der nach wie vor geringen Resonanz für einschlä-

wissenschaftlerin dem WIKA seit vielen Jahren eng

gige Forschungsthemen zur AKBP in deren ver-

verbunden ist. Mit ihrer Studie hat sich die Autorin

meintlichen Leitwissenschaften angezweifelt wer-

ein nicht geringes Ziel gestellt: einen bislang wenig

den. Ungeachtet dessen ist der ambitionierten Pub-

erforschten Kernbereich (bundes-)deutscher AKBP –

likationsreihe zu wünschen, dass durch sie noch

die kulturelle Programmarbeit auf dem Gebiet der

viele substanzielle Studien eine interessierte und

Ausstellungsarbeit im Ausland – erstmals systema-

kundige Leserschaft erreichen.

tisch und explorativ zu erschließen sowie hinsicht-

Die Forschungsarbeit von Heike Denscheil-

lich seiner repräsentativen und kommunikativen

mann hebt an mit dem Verweis auf ein bekann-

Aufgaben zu untersuchen. Als Anschauungsobjekt

tes Desideratum, dass nämlich die reichhaltige

hat die Autorin die Ausstellungsarbeit des Goethe-

Praxis der Kulturarbeit im Ausland noch nicht

Instituts (GI) sowie des ifa (Institut für Auslands-

hinreichend Niederschlag in einer theoretischen

beziehungen) für den Zeitraum von 1990 bis 2010

Reflexion dieser Praxis erfahren hat (S. 19).2 Für ein

gewählt. Ausstellungen sind per se ephemere Phä-

gewichtiges Programmfeld soll die konstatierte

nomene, die sich nach ihrem Abbau und über mate-

Lücke nunmehr geschlossen werden. Zugleich

rielle Zeugnisse wie Kataloge, Werksverzeichnisse,

beabsichtigt die Autorin, diesen ‚Kernbereich‘ deut-

Besprechungen und sonstiges nur bedingt rekon­

scher AKBP angesichts der jüngeren Sonderpro-

struieren lassen, so dass besondere Aufmerksam-

gramme wieder stärker zur Geltung zu bringen –

keit der Materialbasis sowie der Methodik dieser

was voraussetzen würde, dass die politisch Verant-

Untersuchung gilt.

wortlichen die einschlägigen wissenschaftlichen

Bei der Publikation, die es zu besprechen gilt, handelt es sich (von der Textsorte betrachtet) bekanntlich um eine Dissertationsschrift. Sie steht forschungspolitisch an exponierter Stelle, denn sie ist der erste Titel einer neuen „Reihe zur Auswärtigen Kulturpolitikforschung“ im Wissenschaftsverlag Springer. Die Publikation ist mit einem Geleitwort

1  Vgl. Wolfgang Schneider (Hg.) (2008): Auswärtige Kulturpolitik. Dialog als Auftrag – Partnerschaft als Prinzip. (Edition Umbruch – Texte zur Kulturpolitik; 22). Bonn: Kulturpolitische Gesellschaft/Essen: Klartext Verlag. 2  Vgl. hierzu Gerd Ulrich Bauer (2009): Viel Praxis, wenig Theorie – Kulturelle Programmarbeit: Kunst, Musik, Literatur, Film, Architektur. In: Kurt-Jürgen Maaß (Hg.): Kultur und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis. 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl., Baden-Baden: Nomos, S 127–148.


157

WIKA-Report (Band 2)

Studien wohlwollend zur Kenntnis nehmen! Am

sind, was offenbar im (für deren wissenschaftliche

Anfang der Studie stehen zwei spannungsreiche

Erforschung) erforderlichen Maße nur auf die für

Konstellationen: erstens zwischen der Autono-

einen weltweiten Einsatz konzipierten Tournee-,

mie der Künste und ihrer politischen Inanspruch-

nicht jedoch auf individuelle, im jeweiligen Gast-

nahme im Kontext außenpolitisch motivierten

land entwickelte Ausstellungen zutrifft. Durch die

Engagements im Ausland, und zweitens zwischen

bewusste Festlegung auf ‚universelle‘ Wanderaus-

den konzeptuellen Ansprüchen einer auf Aus-

stellungen weicht die Autorin dem zweiten der

tausch und Kommunikation ausgerichteten AKBP

o. g. Dilemmata aus, nämlich einer partnerschaft-

auf der einen Seite und der Forderung, dass Kultur-

lichen Ausrichtung konkreter Maßnahmen. Die

arbeit im Ausland als Teil der Außenpolitik

(im Sinne der Handhabbarkeit wissenschaftlicher

„ein ausgewogenes, wirklichkeitsnahes,

Fragestellungen notwendige) Selbstbeschränkung

auch selbstkritisches Bild vom Leben und

lässt allerdings weite Bereiche des eigentlichen

Denken in unserem Land, auch aus der Ver-

‚Kunstaustauschs‘ außen vor (z. B. die Aktivitäten

gangenheit, vermitteln und das Verständ-

der Partner in Deutschland, die Museumsarbeit

nis für unser Land fördern [solle].“ (S. 21)3

und eben partnerschaftlich konzipierte Projekte)

Oder, mit anderen Worten, ob kulturelle Pro-

und eröffnet das Feld für weitere Untersuchun-

gramm​a rbeit der Legitimation Deutschlands als

gen. Die bereits mehrfach angedeutete Schere zwi-

‚Kulturstaat‘ diene – ein Anliegen des nach Aus-

schen – wenn man so will – uni- und bilateralen

söhnung strebenden Nachkriegsdeutschlands –

Perspektiven kommt auch im Begriffspaar Reprä-

oder aber seine Gastländer aktiv in die Kommuni-

sentation – Kommunikation zum Ausdruck: Wäh-

kationsstrategie einbeziehe (S. 21). Im Zentrum der

rend Ersteres im Kontext der Studie die einseitige

Untersuchung steht folglich das im Zeitraum von

Präsentation von Kunst und Kultur aus Deutsch-

zwei Dekaden nach der deutschen Vereinigung von

land ohne Einbezug der anvisierten Partnerländer

1990 durch die Kulturarbeit von GI und ifa vermit-

meint (also die Selbstdarstellung), verweist Letzte-

telte Deutschlandbild, verstanden als

res im Gegenzug auf eine Situation, in der die Part-

„die Gesamtheit der thematischen, forma-

ner einbezogen sind und „im besten Fall gemein-

len und argumentativen Bezüge zu Deutsch-

same Diskussions- und Produktionsprozesse zu

land, die die Tourneeausstellungen in den

einem für beide Seiten relevanten Thema stattfin-

Kontext Auswärtiger Kulturpolitik setzen“

den“ (S. 25). Analog vielleicht zur konzeptionellen

(S. 21).

Verlagerung von monologischen zu dialogischen

Damit ist vorneweg auch ein mögliches Missver-

Formaten, die in den 1970er Jahren die einschlägi-

ständnis geklärt, geht es in der zu besprechen-

gen Diskurse prägte („von der Einbahn- zur Zwei­-

den Studie nämlich nicht um die Rezeption der

bahnstraße“), zitiert die Verfasserin Quellen, die

untersuchten kulturpolitischen Maßnahmen in

ein künftiges kollaboratives Paradigma für die

ihren Zielländern, also um die bei ihren Adressa-

(deutsche) AKBP voraussehen oder zumindest wün-

ten vermittelten (mentalen) Deutschlandbilder.

schen (S. 26).

Bereits bei der Sichtung des Untersuchungskor-

Ein Teil der Einleitung ist der Schärfung zent-

pus', bestehend aus 178 Tourneeausstellungen der

raler Begriffe gewidmet und bezieht sich dabei pri-

beiden Mittlerorganisationen, offenbart sich das

mär auf den engeren Diskurs der bundesdeutschen

eingangs erwähnte Problem, dass die zu untersu-

AKBP nach 1970. Weitere Sekundär- und Fachlitera-

chenden Phänomene ex post lediglich über Doku-

tur wird dabei leider nur kursorisch hinzugezogen,

mentationen zugänglich und rekonstruierbar

so dass beispielsweise der leitende Kulturbegriff vage bleiben muss: Zwar wird der erweiterte Kul-

3  Zit. aus: Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Enquête-Kommission Auswärtige Kulturpolitik des deutschen Bundestags 1977. Bonn: Deutscher Bundestag 1980, S. 15.

turbegriff der Reformdekade zitiert, dann jedoch die spätere Kritik an diesem, ferner der offene


158 Rezensionen

Kulturbegriff und schließlich die einschlägigen

im Laufe des Untersuchungszeitraums infolge

Positionen ‚der‘ Kulturwissenschaften zu ihrem

der fortschreitenden Mediatisierung und Digita-

Leitbegriff ebenso ignoriert wie eine Hinterfra-

lisierung der (internen wie auch externen) Kom-

gung des in diesem Zusammenhang irritierenden

munikation innerhalb der Mittlerorganisationen

Begriffspaars „Kunst und Kultur“ (u. a. S. 30, 220).

auch für die Forschung zugänglicher geworden,

Ist demzufolge Kunst außerhalb von Kultur zu ver-

und auch die Aufbereitung und Verarbeitung des

orten? Auch der zentrale Untersuchungsgegenstand

Materials wird durch die technischen Entwicklun-

Ausstellungs-Konzepte bleibt zunächst ungeklärt:

gen erleichtert. Die Verfasserin breitet in diesem

Worin äußern sich diese (mental, schriftlich, …)?

Abschnitt ein differenziertes und insgesamt kri-

Wie lassen sie sich für vergangene Ausstellungen

tisches Bild von der Textlage aus und veranschau-

rekonstruieren? Und wie hängen an konkreten

licht damit, mit welchen Schwierigkeiten eine auf

Orten inszenierte Ausstellungen mit den betreffen-

Quellen-Analysen fokussierte Rekonstruktion von

den Konzepten zusammen? Können gegebenenfalls

Faktoren der Ausstellungskonzeption zu ringen

Spannungen zwischen beiden Aspekten auftreten,

hat. Dazu zählen nicht zuletzt die Eigentümlich-

abhängig z. B. von Rezeptionsort, gemeinsamer

keiten der Text­sorte ‚Ausstellungskatalog‘, die pri-

Geschichte, Tagesgeschehnissen?

mär den Konventionen der Kunstwelt verpflichtet

Der anschließende Forschungsbericht hebt v. a.

ist und nicht der Argumentation und dem Duktus

jüngere Publikationen und diese weitgehend exem-

außenkulturpolitischer Diskurse folgt (vgl. S. 40).

plarisch hervor. Eine Wertung unterlässt die Ver-

Als eigentliche Empirie ist das Vorhaben der Ver-

fasserin bedauerlicherweise, ebenso wie Hinweise

fasserin anzusehen, anhand eines Korpus' von 178

dazu, wie die vorliegende Fachliteratur genutzt

Ausstellungen bzw. deren Konzeptionen eine Typi-

wurde, wo also beispielsweise konzeptuelle, metho-

sierung von Ausstellungen im Kontext außenkul-

dische und andere Anleihen genommen wurden.

turpolitischer Ziele vorzunehmen. Dazu greift sie

Bei der Übersicht der Kunstsparten vermisst der

einen Ansatz aus der qualitativen Sozialforschung

Rezensent dann (außer einschlägigen Publikatio-

heraus, den Susann Kluge und Udo Kelle in mehre-

nen zu den Bereichen Literatur, Architektur und

ren forschungspraktischen Publikationen dargelegt

Archäologie) v. a. die sogenannte Beutekunst und

haben. Es handelt sich dabei um ein prozessuales

die Restitutionsdebatten, die häufig Fragen der

Verfahren zur datengestützten Typenbildung, das,

nationalen Identifikation und damit der Selbst- und

vereinfacht gesagt, wie folgt umgesetzt wurde: Zu

Fremdbilder einschließen.

den Tourneeausstellungen wurde eine computerge-

Konkret wird es bei der Vorstellung der empiri-

stützte Datenbank angelegt, in der die ermittelten

schen Untersuchungsgrundlage. Neben einer Aus-

Merkmale (Themen, Formate, Kurzbeschreibun-

wertung von kulturpolitischen Dokumenten (hier

gen, Materialien usw.) erfasst und codiert wurden.

als „Primärliteratur“ bezeichnet, S. 38) und der

In einem strukturierten Verfahren wurden sodann

einschlägigen Forschungsliteratur („Sekundärlite-

– quasi in einem hermeneutischen Prozess – durch

ratur“) handelt es sich dabei um die Ausstellungs-

Vergleich bzw. Kontrastierung Merkmale heraus-

konzepte. Worum es hierbei genau geht, erschließt

gearbeitet, die dann in einem neuerlichen Codie-

sich erst nach und nach, und dass sie in einem

rungsdurchlauf in die entsprechenden Untersu-

Atemzug mit „politischen Konzepten“ genannt

chungsdaten eingeschrieben wurden. Einzelfälle

(S. 38) werden, trägt nicht gerade zur Klarheit bei.

finden sich in diesem Prozess zu Merkmalsgruppen

Es handelt sich um die „empirischen [?] Materia-

zusammen, aus denen sich durch Merkmalskombi-

lien der Tourneeausstellungen wie Kataloge, Briefe,

nationen Typen und schließlich eine Typologie her-

Infohefte und Internet- bzw. Intranet-Einträge“

ausschälen lassen.

(S. 39), wie sie die Forscherin beim GI und beim

Wer nun gespannt auf die Analyse (Empirie) ist,

ifa vorgefunden hat. Die Datenlage ist offenbar

muss sich, am Ende des ersten Kapitels angelangt,


159

WIKA-Report (Band 2)

allerdings noch gedulden, denn es folgen zwei

proklamierte Interdisziplinärität der Studie, die ja

(allerdings sehr kundige und lesenswerte) Kapitel

unstrittig ist, und somit auch die Forschungsleis-

zum Stellenwert der kulturellen Programmarbeit

tung der Autorin noch deutlicher hervortreten.

innerhalb der (bundes-)deutschen AKBP (Kap. 2)

In Kap. 4 fällt eine strukturelle Eigentümlichkeit

sowie zur Vermittlung eines Deutschlandbilds als

der rezensierten Studie auf, die sich bereits in der

Ziel und Aufgabe der Programmarbeit (Kap. 3).

Einleitung und in früheren Abschnitten andeutet,

Während Ersteres die hinlänglich bekannten regie-

nämlich die Balance zwischen „Theorie“ (Ausbrei-

rungsamtlichen Dokumente der 1970er Jahre („Leit-

tung, Analyse und Bewertung der vorliegenden

sätze“ von 1970, „Enquête-Bericht“ von 1975 u. a.)

Quellen und Sekundärliteratur) und „Empirie“

sowie der rot-grünen Koalitionsregierung (v. a.

(Kategorisierung und Typisierung des Analysekor-

„Konzeption 2000“) unter der Forschungsperspek-

pus'): Die Verfasserin kündigt ihre explorative Stu-

tive auswertet und damit im engeren Korpus der

die mehrfach an und bereitet deren methodischen

Forschungsliteratur zur AKBP verortet ist, rückt

Rahmen vor (Kap. 1.4, 4.1.3, 5.2.3, 5.3.3), suspendiert

die Verfasserin ihr Untersuchungsinteresse im

dies jedoch immer wieder zugunsten mehr oder

Letzteren in den Diskurs von Nationenforschung

weniger geschlossener thematischer Abschnitte.

(u.a. Benedict Andersons Imagined Communities), von

Dafür verknüpft Kap. 5 beide Dimensionen:

Stereotypen- und Perzeptionsforschung sowie von

Zunächst werden jeweils für die beiden Akteure –

außenpolitischen Kommunikationskonzepten und

Goethe-Institut und Institut für Auslandsbeziehun-

damit von Nation Branding, Public Diplomacy (bzw.

gen – deren Selbstverständnis, strukturelle Ausge-

Cultural Diplomacy) sowie Politischer Öffentlich-

staltung sowie die in Bezug auf das Ausstellungs-

keitsarbeit. Im letzteren Bereich arbeitet die Ver-

wesen entfalteten Aktivitäten eingeführt, um dann

fasserin die Ressortzuständigkeiten für die (Selbst-)

in zwei Exkursen (nicht als repräsentativ verstan-

Darstellung des Staates im Ausland heraus und

dene) Einzelausstellungen vorzustellen, die die Ver-

identifiziert damit – zumindest im Untersuchungs-

fasserin jeweils 2009 in situ dokumentiert hat: die

zeitraum – eine Aufgabenteilung (bzw. -überschnei-

Plakat-Ausstellung4 „Stefan Koppelmann. Ortszeit /

dung) zwischen den Fachabteilungen des Auswär-

Local time“ des GI Nancy (Frankreich) sowie „Hans

tigen Amts und dem Bundespresseamt. Kap. 4 der

Poelzig. Architekt Lehrer Künstler 1869–1936“ in

Studie schließlich ist dem Medium Ausstellung im

Wrocław (Polen). 5 Obgleich diese Abschnitte für

Rahmen der Programmarbeit gewidmet. Auffällig

sich genommen den Untersuchungsgegenstand

ist dabei die fortlaufende Verwendung des Kürzels

Tourneeausstellungen deutlicher hervortreten las-

AKP für den betreffenden Referenzbegriff (ab S. 19),

sen, so lassen sie erneut eine systematische Span-

anstatt – wie in der Forschungsliteratur üblich –

nung innerhalb des Forschungsdesigns erkennen,

zwischen Kulturpolitik und Kulturarbeit, also zwi-

dass nämlich die Ausstellungskonzeption (in dem

schen den jeweiligen Perspektiven von Staat und

von Heike Denscheilmann hergeleiteten Sinn) und

Mittlerorganisationen zu trennen. Ausstellungen

vor Ort realisierte Ausstellungen unterscheidbare

werden historisch und kommunikativ unter Rück-

Bedeutungsebenen eröffnen – v. a. wenn der Ort im

griff auf die deutschsprachige Fachliteratur als

Gastland auf je besondere Weise mit Thema, Gegen-

gesellschaftliche Medien kontextualisiert. Hilf-

stand oder weiteren Elementen der gezeigten Aus-

reich wären hier (wie auch in anderen Abschnit-

stellung einmalige Lesarten eröffnet (hier der bio-

ten der vorliegenden Studie) konkretere Perspekti-

grafische Bezug Hans Poelzigs zu Breslau/Wrocław).

vierungen durch Verweis auf einerseits relevante Wissenschaftsbereiche (Disziplinen und gegebenenfalls Denkschulen), andererseits die institutionelle Verortung der angeführten Akteure und zitierten Autoren. Dadurch würden die eingangs

4  Die Kategorisierung ist etwas irritierend, denn es handelt sich um reproduzierte, großformatige Fotografien im PlakatFormat, nicht jedoch um Werbegrafik. 5  Siehe dazu auch den Beitrag von Heike Denscheilmann im WIKA-Report Band 1 (2012).


160 Rezensionen

Die besondere Stärke der zu besprechenden

aus dem Datenkorpus schlaglichtartig Einblicke,

Studie liegt nach Ansicht des Rezensenten in

ohne dass deren methodische Einbettung hinrei-

ihrem explorativen Abschnitt (Kap. 6). Dazu wurde

chend sichtbar wird. Dies wird allerdings durch die

im Sinne des Typisierungsverfahrens nach Susann

umfassenden Kenntnisse der Verfasserin in Sachen

Kluge ein „Merkmalsraum“ entwickelt, also Katego-

Ausstellungspraxis mehr als wett gemacht (v.a.

rien von Merkmalen, wobei (auch durch Rückgriff

Kap. 7.2). Und – ein äußerst seltener Fall im Gesam-

auf die vorab eingeführten Theorien) zwei maß-

trahmen der AKBP-Forschungsliteratur – die indi-

gebliche „Grundkategorien“ identifiziert wurden:

viduellen Akteure (Verantwortliche in den Orga-

Ausstellungsthema (das Was?) mit sieben ermittel-

nisationen, Experten, Kuratoren u. a.) kommen

ten Merkmalsrealisierungen und Ausstellungs­

zu Wort oder werden in ihren Leistungen gewür-

gestaltung (das Wie? der Ausstellung) mit drei Merk-

digt. (Noch eindringlicher hätte lediglich eine Fall-

malen. Innovativ ist dieses (Zwischen-)Ergebnis

studie die individuellen Gestaltungsräume der

insofern, als diese Kategorien deduktiv, anhand

Akteure hinter den dominanten Leitlinien und

des Untersuchungsmaterials, und nicht aufgrund

Konzepten der deutschen AKBP sichtbar werden

abstrakter theoretischer Vorgaben entwickelt

lassen!) Innovativ sind auch weitere Erkenntnisse

wurden. Die Autorin ermittelt am Korpus der 178

der vorliegenden Studie, etwa zum in bzw. durch

Tourneeausstellungen sieben Typen, die allerdings

Tourneeausstellungen im Untersuchungszeitraum

stärker von inhaltlich-thematischen als von Gestal-

vermittelten Deutschlandbild. Der Verfasserin

tungsmerkmalen geprägt sind. Ein Grund hierfür

zufolge biete AKBP „ein[en] Weg der gezielten kul-

mag im Untersuchungsdesign liegen, das ja nicht

turellen Selbsterzählung Deutschlands“, sie for-

die Ausstellungsrealisierung (in situ) als Grundlage

dere die „Entwicklung alternativer Bildangebote“,

hat, sondern deren (rekonstruierte) abstrakte Aus-

knüpfe an bestehende Deutschlandbilder (im Aus-

stellungskonzepte. Besondere Relevanz kommt der

land) an und erweitere diese (S. 269). In der Diskus-

Ebene der Gestaltung zu, insofern die drei ermit-

sion wechselt die Verfasserin dann allerdings vom

telten Typen von Gestaltungskonzepten – geschlos-

Standpunkt der unbeteiligten Forscherin zur Per­

sen, offen, alternativ – mit Konzeptionen der AKBP

spektive der Kulturmittlerin, indem sie auf die für

(bzw. der Public/Cultural Diplomacy oder Politischen

internationale Kulturarbeit maßgeblichen staatli-

Öffentlichkeitsarbeit) korrelieren, nämlich den

chen Akteure adressiert und ein eigenes, kultur-

Leitzielen Repräsentation bzw. Kommunikation.

politisches Anliegen durchscheinen lässt: Sie iden-

Ob die statistische Verteilung der Typen und Unter-

tifiziert in den politischen Konzepten (gemeint

typen auf die beiden Mittlerorganisationen wirk-

sind die regierungsamtlichen Leitdokumente) eine

lich etwas über programmatische Profile dieser

„Lücke der Künste“ und „ein nur vages Gerüst an

Akteure auszusagen vermag, ließe sich diskutie-

Leitlinien“ (S. 272). Daraus seitens der Außenpoli-

ren. Jedoch sind die betreffenden Abschnitte nach

tik und der Mittler eine geringere „Unterstützung“

Ansicht des Rezensenten nicht maßgeblich für

für diesen Bereich abzuleiten, greift nach Ansicht

die Bewertung der Gesamtstudie, deren Stärke in

des Rezensenten zu weit. Stattdessen verweist die

der Systematisierung und im empirischen, reflek-

Verfasserin ein ums andere Mal auf die Autonomie

tierten Zugriff auf bislang kaum beachtete Instru-

der Künste angesichts deren „Politisierung“ (ebd.).

mente der Kulturarbeit im Ausland liegt. In Kap. 7

Dieser Duktus tritt im abschließenden Kap. 9 dann

legt die Verfasserin als Ergebnis der vorgenomme-

gänzlich in den Vordergrund, indem auf Grund-

nen Systematisierung Erkenntnisse dar, die sich

lage des ermittelten Status quo, der außen(kultur-)

auf ein breites Spektrum beziehen, etwa der The-

politischen Erwartungen sowie eines idealisierten

menentfaltung, der vertretenen Künstlerpersön-

Verständnisses von den Möglichkeiten von Ausstel-

lichkeit, der Ausstellungsformate sowie auf orga-

lungsarbeit im Ausland Empfehlungen für eine

nisationsbezogene Aspekte. Sie entwickelt dabei

künftige Praxis formuliert werden. Beispielsweise


161

WIKA-Report (Band 2)

solle diese einer kommunikativen Ausrichtung der

ist in diesem Sinne die Überschrift „Besondere

Maßnahmen im Gastland verpflichtet sein (S. 292).

Beobachtungen“ (S. 284), und das folgende Zitat

In diesem Teil der Studie wäre die Unterscheidung

erzeugt Verwirrung hinsichtlich des bezeichne-

zwischen einerseits der den regierungsamtlichen

ten wissenschaftlichen Zugriffs, wenn nämlich

Akteuren bzw. dem Auswärtigen Amt vorbehalte-

„Beobachtungen bei der Analyse […] beschrieben

nen Außenkulturpolitik und andererseits der Kul-

und ausgewertet“ werden (S. 213). Über große Teile

turarbeit der Mittler im Ausland hilfreich gewesen

störend ist das Belegsystem für Textzitate, das aus

– beides ist bekanntlich in der vorliegenden Stu-

über siebenhundert Fußnoten besteht, die jedoch

die durchweg im Kürzel AKP vereint, wodurch die

überwiegend Angaben zu Autor, Jahres- und Seiten-

jeweiligen Aufgabenbereiche und Einflusssphären

zahl enthalten, also Informationen, die alternativ

nicht mehr trennungsscharf auszumachen sind. Ob

als Kurzbelege („Harvard-Notation“) in Klammern

es Aufgabe einer Dissertation ist, Handlungsemp-

direkt in den Fließtext integriert werden, so dass

fehlungen auszusprechen – erkennbar an den als

Fußnoten weiterführenden Hinweisen vorbehal-

Aufforderung aufzufassenden Infinitiv-Konstruk-

ten sind. Irritierend sind auch Literaturbelege, die

tionen in den Zwischenüberschriften zu Kap. 9

sich auf Herausgeberwerke beziehen und nicht auf

(z.B. „Kulturvermittlung und Adressatenorientie-

die darin enthaltenen und das Zitat betreffenden

rung vermitteln“ [sic!], S. 295) sowie am Einsatz

Aufsätze (z.B. Fußnoten 84, 205, 217, 219 usf.). Und

des Modalverbs ‚sollen‘ sowie entsprechender Kon-

schließlich stößt der Leser immer wieder auf Satz-

junktivformen im Text („[…] Tourneeausstellungen

fehler (Zusammenschreibung von Wörtern ohne

könnten [hierzu] beitragen“, S. 295), mag unter-

Abstand) sowie gelegentliche Schreibfehler, die

schiedlich bewertet werden. Daran den Wert einer

offenbar bei der Endkorrektur übersehen wurden.

wissenschaftlichen Arbeit zu messen, hieße nach

Sie schmälern jedoch nur unwesentlich den insge-

Meinung des Rezensenten, über das Ziel hinauszu-

samt sehr guten Eindruck einer kenntnisreichen

schießen. Jedoch sollte die Frage nach den Adres-

Pionierarbeit, die anschlussfähig ist für weitere

saten wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten

Forschungsarbeiten zu einem etablierten, jedoch

sowie nach einer ‚Operationalisierbarkeit‘ von For-

in den beteiligten Wissenschaften bislang wenig

schungsergebnissen gestellt werden. Vorsichtig aus-

wahrgenommenen Bereich der Kulturarbeit im

gedrückt, wäre neben der (aus institutioneller Sicht

Ausland – eines Mediums oder Instruments deut-

der Wissenschaft) essenziellen Dissertationsarbeit

scher Auswärtiger Kulturpolitik. [GUB]

eine weitere Publikation in monographischer oder unselbstständiger Form wünschenswert, die ihre Adressaten in den relevanten Feldern der Außenpolitik sowie der Kulturvermittlung fände. In dieser

Kulturdiplomatie zwischen Konflikt und Kooperation

Folgepublikation könnten dann mit Verweis auf die Monographie Handlungsempfehlungen dargelegt werden. Abschließend sollen einige formale Schwächen

von Maltzahn, Nadia (2013): The Syria-Iran Axis.

Cultural Diplomacy and International Relations in the Middle East. London, New York: I.B. Tauris.

der rezensierten Studie nicht unerwähnt bleiben, auch mit Blick auf die hoffentlich folgenden weite-

Sie gilt als eine der langanhaltendsten Allianzen

ren Beiträge zur Reihe „Auswärtige Kulturpolitik“.

im spannungsreichen Nahen Osten: Trotz – oder

Hinsichtlich Sprache und Stil wäre der Verfasserin

vielleicht gerade wegen – der anhaltenden innen-

zunächst ein beherzteres Auftreten zu empfehlen,

wie außenpolitischen Konflikte pflegen der Iran

denn es wird allzu viel „beobachtet“ und „betrach-

und Syrien eine intensive Partnerschaft.

tet“ (statt zu erfassen, ermitteln, dokumentieren,

Nadia von Maltzahn liefert mit ihrem Band

beschreiben, analysieren und so fort). Irritierend

„The Syria-Iran Axis“ einen profunden Überblick


162

Rezensionen

über die syrisch-iranischen Beziehungen seit der

westliche Orientierung des Schahreichs für Span-

Staatsgründung Syriens 1946. Dabei stellt sie den

nungen zwischen den Nachbarländern sorgten,

syrisch-iranischen Kultur- und Bildungsaustausch

ebenso diskutiert sie innen- wie regionalpolitische

ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Auf knapp 200

Konfliktsituationen und analysiert die diplomati-

Seiten analysiert Maltzahn das Verhältnis der bei-

schen und wirtschaftlichen Beziehungen beider

den Staaten vor und nach der Zäsur durch die Isla-

Länder auf dem internationalen Parkett.

mische Revolution 1978/79 unter dem politischen

Die folgenden Analysen zur Lage der Auswär-

Führer und schiitischen Rechtsgelehrten (Ajatol-

tigen Kultur- und Bildungspolitik beider Länder

lah) Ruholla Musavi Khomeini. Betrachtet werden

sind so ausführlich wie aufschlussreich. Der Iran

die spezifischen außenkulturpolitischen Agenden

verfolgt seit der Islamischen Revolution unter Kho-

beider Staaten auf internationaler wie auf bilate-

meini eine Außenkulturpolitik, die, so erläutert

raler Ebene. Eine detaillierte Analyse der außen-

Maltzahn, ein Lehrbuchstück für das Soft Power-

kulturpolitischen Arbeit vor Ort liefert Maltzahn

Konzept Joseph Nyes darstellt. Als Gottesstaat ver-

in Kapiteln über das iranische Kulturinstitut in

steht es der Iran als seine Aufgabe, den Islam in

Damaskus, das syrische Äquivalent in Teheran,

die Welt zu proklamieren. Mit einem klaren Sen-

über den syrisch-iranischen Austausch im universi-

dungs- und Bekehrungsauftrag soll das Idealbild

tären Bereich und die Bedeutung von religiös moti-

des auf religiösen Geboten fußenden Staates in die

viertem Tourismus für das gegenseitige Bild in der

arabische Welt vermittelt werden. Etwa sechzig

jeweiligen Gesellschaft.

dem Ministerium für Kultur und Islamische Füh-

Sowohl Syrien als auch der Iran betonen in

rung unterstehende Kulturzentren übernehmen

ihren kulturellen Beziehungen immer wieder

weltweit diese Aufgabe. Neben der persischen Spra-

die lange Geschichte des iranisch-syrischen Aus-

che und Literatur soll vor allem ein Zugang zu den

tauschs, die bis zu den Wissenschaftlern, Philo-

gängigen Islamischen Denkschulen vermittelt wer-

sophen und Dichtern des arabischen Mittelalters

den. Zudem bieten die Kulturzentren einen Anlauf-

zurückdatiert wird. Beide Staaten identifizieren

punkt für im Ausland lebende Iraner.

sich über die arabischen und islamischen Wurzeln

Die syrische Außenpolitik fokussiert sich hin-

der gemeinsamen Kultur. Obwohl sich Syrien als

gegen stark auf Verteidigung und Sicherheit. Syrien

säkularer Staat nicht mit den islamisch motivier-

versteht sich als säkularer Staat in einer instabilen

ten Staatszielen des Irans identifiziert, haben die

Region nicht als mit der Vermittlung eines beson-

Islamische Revolution und die Gründung der Isla-

deren Staats- und Weltbildes betraut. Internatio-

mischen Republik das syrisch-iranische Verhält-

nale Kulturbeziehungen sind, anders als etwa in

nis intensiviert. Zwar wurde bereits 1953 unter der

der westlichen Welt, nicht Aufgabe des Außenmi-

Herrschaft von Schah Muhammad Reza Pahlewi

nisteriums, sondern werden randständig im Kul-

ein erstes syrisch-iranisches Freundschaftsabkom-

turministerium behandelt. Obwohl Syrien keiner

men geschlossen, doch die prowestliche, amerika­

Revolutionsideologie folgt, ist der Staat, so Malt-

freundliche Haltung der monarchischen Regierung

zahn, doch von der Idee einer Arabischen Einheit

sowie die Duldung des israelischen Staates stießen

und eines panarabischen Erbes geprägt. Außerhalb

auf Ablehnung von Seiten Syriens.

dieses Kulturraums existieren bis dato drei Kultur-

Im ersten Kapitel der klar strukturierten Untersuchung verortet Maltzahn die syrisch-iranischen

zentren in Madrid, Paris und São Paulo, zwei weitere in Sanaa und Teheran.

Beziehungen in ihrem territorialen, historischen

Obwohl das Verhältnis zwischen dem säku-

und gesellschaftspolitischen Umfeld. Nicht nur

laren Syrien und der Islamischen Republik Iran

gibt sie einen umfassenden Überblick über die

einiges an Konfliktpotenzial birgt, ist beiden auf

spannungsgeladenen 1950er und 1960er Jahre, in

dem internationalen Parkett isolierten Staaten

denen der arabische Nationalismus Syriens und die

sehr an einem erfolgreichen Fortbestehen der


163

WIKA-Report (Band 2)

syrisch-iranischen Allianz gelegen. Als „Achse

es von syrischer Seite, so die Autorin, an Geld und

des Widerstands“, wie Syriens Präsident Baschar

Bewusstsein. Die Aspekte des bilateralen akademi-

al-Assad die beiden Staaten 2006 bezeichnete, ver-

schen Austauschs und religiös motivierter Pilger-

stehen sich Syrien und der Iran als Bollwerk gegen

reisen bespricht Maltzahn in den letzten beiden

den Zionismus Israels und gegen die Indoktrinie-

Kapiteln des Bandes. Auch hier zeigt sich, dass die

rung der westlichen Welt. Während die Allianz

größere Initiative vom finanzkräftigeren Partner

vor allem von Seiten der Regierungen gewünscht

Iran ausgeht.

und gefördert wird, finden die zentralen, einenden

Maltzahns Buch bietet einen profunden und

Themen – etwa der Palästinakonflikt – in der brei-

ausführlichen Überblick über die Situation der

ten Öffentlichkeit nur wenig Interesse. Auch der

syrisch-iranischen Kulturbeziehungen der ver-

syrisch-iranische Kulturaustausch, berichtet Malt-

gangenen siebzig Jahre. In der starken histori-

zahn, kommt im Volk eher bedingt an.

schen Fokussierung steckt auch ein entscheiden-

Die syrische Kulturarbeit im Iran und die ira-

der Nachteil des Bandes: Zwar bietet „The Syria-Iran

nische Kulturarbeit in Syrien veranschaulicht die

Axis“ einen stringenten Überblick über eine syri-

Autorin anhand der Arbeit der Kultureinrichtun-

sche Politik, jedoch wirkt die Wahl des Zeitraums

gen in den Hauptstädten. Maltzahn untersucht

gerade für die schwerwiegende iranische Seite

das Wirken des iranischen Kulturzentrums in

recht bemüht. Maltzahn schweift immer wieder

Damaskus auf historischer Ebene und gibt einen

zwischen der prä- und postrevolutionären Zeit hin

Überblick über den Aufgabenbereich und das all-

und her und schafft dadurch nur bedingt Über-

gemeine Arbeitsumfeld in Damaskus. Auch die

sichtlichkeit. Es wäre vielleicht anzuraten gewesen,

Präsenz anderer Mittlerorganisationen, unter

die gesamten außenkulturpolitischen Aktivitäten

anderem die der westlichen Staaten schließt sie in

der Regierung Schah Mohammad Reza Pahlewis in

ihre Betrachtung mit ein. Neben der alltäglichen

einem Kapitel abzuhandeln, um sich in der Folge

Präsenz evaluiert sie auch Sonderveranstaltungen

stärker auf den iranisch-syrischen Kulturaustausch

wie Filmfestivals, Kulturwochen, Buchmessen und

der jüngeren Vergangenheit zu konzentrieren.

Konferenzen nach ihrer Publikumswirkung, nach

Immer wieder lässt Nadia von Maltzahn in

Pre­stige und Ansehen. Auch das Centre of Iranian-

ihrem Band die Veränderungen anklingen, die mit

Arab Cultural Studies und das Kulturzentrum in

dem Arabischen Frühling 2011 in beiden Ländern

Latakia untersucht Maltzahn, wobei sie auch auf

aufgekommen sind. Zwar schafft sie dadurch einen

persönliche Erfahrungen und Anekdoten zurück-

vagen aktuellen Bezug, jedoch sind die Statements

greift.

und Ausblicke zu kurz und zu unklar gefasst, um

Im Vergleich mit der iranischen Präsenz in

einen greif baren Kommentar zu den syrisch-ira-

Syrien erscheint die syrische Präsenz im Iran eher

nischen Kulturbeziehungen der Gegenwart zu

verschwindend gering. Maltzahn stellt in diesem

leisten. So wirkt das Buch, nicht zuletzt vor dem

Kapitel das Syrian-Arab Cultural Centre vor, des-

Hintergrund des nunmehr drei Jahre andauernden

sen Arbeit allerdings nicht mit der weitschweifen-

Syrienkrieges, bereits zur Veröffentlichung unwei-

den Kulturarbeit des Irans in Syrien konkurrieren

gerlich veraltet. [Dominic Konrad, Stuttgart]

kann. Vielmehr, so die Autorin, sei die alleinige Existenz des Zentrums im ansonsten von ausländischen Kulturmittlern ziemlich abgeschotteten Teheran als ein Statement der syrischen Regierung zu verstehen, die für Syrien wichtigen Themen Anti-Israelismus und Panarabische Union in der Gesellschaft zu verankern. Für weitreichende außenkulturpolitische Maßnahmen fehlt


164 Rezensionen

Evaluation in der Kulturpolitik

Mittlerorganisationen bieten regelmäßige Evaluationen die Möglichkeit, ihre Leistungen im Bereich der Kulturarbeit sichtbar zu machen und damit

Hennefeld, Vera/Stockmann, Reinhard (Hg.) (2013):

Evaluation in Kultur und Kulturpolitik: eine Bestands­aufnahme. (Sozialwissenschaftliche Evaluationsforschung; 11). Münster [u.a.]: Waxmann.

eine faktische Legitimation für die Förderung zu schaffen. Aber schöpfen die Mittlerorganisationen mit ihren Programmen und Projekten die Möglichkeiten des Kulturaustauschs und des Dialogs voll aus? Sind die 1,5 Milliarden Euro, die das Auswär-

Aus dem Alltag vieler politischer und zivilgesell-

tige Amt jährlich für Auswärtige Kulturpolitik

schaftlicher Stiftungen ist die Evaluation als Mit-

bereitstellt, sinnvoll ausgegeben? Statt selbst ins-

tel zur Feststellung von Wirksamkeit und Nutzwert

titutionsübergreifende, allgemeine Evaluationen

von Veranstaltungen, Projekten und Programmen

der bestehenden AKBP-Programme und -Mittler in

nicht mehr wegzudenken. Auch für die deutsche

Auftrag zu geben, verharrt das Auswärtige Amt seit

Kulturlandschaft, die nationale Kulturpolitik und

Jahrzehnten in einer starren Outsourcing-Strategie,

die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stellen

kritisiert Maaß.

Evaluierungen keine Ausnahme mehr dar. Gerade

Die erste Auswertung der Auswärtigen Kul-

in den vergangenen Jahren hat sich aufgrund der

tur- und Bildungspolitik fand unter Kanzler Willy

Wirtschaftskrise und des immer weiter steigen-

Brandt statt. Der Bericht der Enquête-Kommission

den Konkurrenzkampfs um Etats und Fördermit-

Auswärtige Kulturpolitik, 1975 vorgelegt, stellt

tel in der deutschen Kulturpolitik ein steigender

bis heute die einzige allumfassende Auswertung

Bedarf an Evaluationen herauskristallisiert. Prof.

der deutschen AKBP-Aktivitäten dar.6 Ein Vorstoß

Dr. Reinhard Stockmann, Leiter des Centrums für

des Außenministers Joschka Fischer im Jahr 1998

Evaluation (CEval) an der Universität des Saarlan-

scheiterte am Widerstand der zuständigen Abtei-

des, und seine Kollegin Dr. Vera Hennefeld, Leiterin

lung, ebenso eine Große Anfrage der Grünen im

des dortigen Arbeitsbereichs Bildung und Kultur,

Jahr 2006, in deren Antwort auf die Zuständigkeit

haben mit „Evaluation in Kultur und Kulturpolitik“

der Mittlerorganisationen verwiesen wird. Diese

eine Bestandsaufnahme über den Stellenwert der

seit nunmehr vierzig Jahren bestehende Zurückhal-

Evaluation im Kulturbereich veröffentlicht. Neun

tung des Auswärtigen Amts in Bezug auf eine voll-

Aufsätze klären ihre Rolle und Bedeutung in der

ständige Evaluation der AKBP kritisiert Maaß als

Kulturpolitik auf nationaler Ebene und in der Aus-

unnötig. Immer wieder stoße man in der Diskus-

wärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Daneben

sion auf das Argument, Außenkulturpolitik sei per

geben sie einen Überblick über die aktuellen Eva-

se nur schwer auswertbar, da ihre Ziele nur mit-

luationsmethoden und -praktiken und diskutieren

tel- bis langfristig erreicht werden können. Diese

Best Practice-Beispiele.

Argumentation teilt Maaß nicht. Zwar ließe sich

Über die Rolle und Bedeutung der Evaluation

nur schwer nachvollziehen, inwiefern konkrete

in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik

Maßnahmen für eine Verbesserung des Deutsch-

schreibt Prof. Dr. Kurt-Jürgen Maaß. Als ehemali-

landbildes sorgten, doch die Qualität, Relevanz und

ger Generalsekretär des ifa (Institut für Auslands-

Nachhaltigkeit außenkulturpolitischer Programme

beziehungen) schöpft Maaß dabei aus seiner lang-

und Projekte lasse sich sehr wohl in Zahlen messen

jährigen Berufspraxis. Gerade in der Auswärtigen

und auswerten.

Kultur- und Bildungspolitik, die maßgeblich durch

Dr. Vera Hennefeld diskutiert in ihrem Bei-

die Arbeit der vom Auswärtigen Amt geförder-

trag den Einsatz von Zielvereinbarungen in der

ten Mittlerorganisationen bestimmt wird, hat die Evaluation im Lauf der vergangenen Jahrzehnte eine stetig wachsende Bedeutung erhalten. Den

6  Deutscher Bundestag (1975): Bericht der Enquête-Kommission Auswärtige Kulturpolitik gemäß Beschluss des Deutschen Bundestages vom 23. Februar 1973. Drucksache 7/215 (neu). (Druck­sache 7/4121, 07.10.1975). Bonn.


165

WIKA-Report (Band 2)

Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem Amt und

der Band von Hennefeld und Stockmann mit sei-

Mittlerorganisationen, wie sie das AA unter ande-

nen 245 Seiten nur an der Spitze des Eisbergs krat-

rem mit dem ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)

zen. Die Autoren geben mit ihren Beiträgen einen

und der Deutschen UNESCO-Kommission pflegt.

Startschuss für weitere Publikationen zu diesem

Kern der Berichts- und Evaluationspflicht sind die

Thema. Dringend erforderlich wäre künftig etwa

Zuwendungsberichte, die jede Mittlerorganisation

auch ein Handbuch mit Praxisbezug. [Dominic Kon-

jährlich abzugeben verpflichtet ist.

rad, Stuttgart]

Das Konzept der Zielvereinbarungen als strategische Steuerungselemente stammt aus der freien Wirtschaft und wird vom Auswärtigen Amt als

Über den Rand hinaus geblickt

Instrument zur Effizienz- und Effektsteigerung bei den Mittlerorganisationen eingesetzt. Durch diese Vereinbarungen werde die deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik noch weiter dezen-

Leggewie, Claus (2012): Zukunft im Süden. Wie die Mittelmeerunion Europa wiederbeleben kann. Hamburg: Edition Körber-Stiftung.

tralisiert als sie es als die „weitestgehend staatsfernste“ AKBP im europäischen Vergleich bereits

Wie eine „Trotzreaktion“ wirkt es, auch nach

ist. Das Auswärtige Amt gebe durch das Instrument

Einschätzung des Autors Leggewie, wenn in sei-

der Zielvereinbarungen seine Verantwortung und

nem 2012 erschienenen Buch Europas Zukunft im

Entscheidungskompetenz im Bereich der AKBP ab,

Süden gesehen und beschworen wird. Das Werk

kritisiert Hennefeld. Dies geschehe frei nach dem

bietet Alternativen zur gegenwärtigen Europa-

Motto „Die Mittlerorganisationen wissen selbst am

und Mittelmeerpolitik, wie Leggewie sie sieht,

besten, welche Maßnahmen zu ergreifen sind“.

nämlich rückwärtsgewandt, einfallslos, klischee-

Alles in allem könne jedoch eine positive Bilanz in

gesteuert, gebeutelt von einer aus den Fugen gera-

Bezug auf die Effektivität der Zielvereinbarungen

tenen Finanzwirtschaft, mehr Krisenmanage-

gezogen werden. In den bisherigen Jahresberichten

ment als wirkliche Politik. Ausgehend von dieser

lasse sich zweifelsohne eine positive Entwicklung

Einschätzung spricht er von der „europäischen

in der Zielführung nachweisen. Allerdings gibt

Wagenburg“, die ähnlich wie der Staat Israel in der

Hennefeld zu bedenken, dass durch das Fehlen

Dynamik der arabisch, iranisch, türkisch gepräg-

einer verbindlichen, übergeordneten Struktur zur

ten Welt im Süden und Osten des Mittelmeers nur

Ermittlung der Indikatoren keine übergreifende,

düstere Bedrohung erkennen will. Was Leggewie

klare Evaluation der Erfolge von Maßnahmen gezo-

anstrebt, ist eine „Europäische-cum-Mittelmeer-

gen werden könne. Die Indikatoren könnten zwar

union“ (S. 14), die also auch Länder der MENA-

Aussagen über die einzelnen Auswirkungen und

(Middle East North Africa)-Region umfasst. Die Bil-

Effekte treffen und diese gegenüber dem Mittel­

dung einer solchen Region könnte Europa, das

geber nachweisen, das eigentliche Ziel, nämlich

sich ohnehin gerade in einer Krise seiner Orien-

eine zielführendere und weitestgehend struktu-

tierungen befindet, veranlassen, seine Stellung in

rierte Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu

der Welt neu zu bestimmen: gegenüber der herr-

gestalten, bleibe jedoch auf der Strecke.

schenden Wirtschaftsordnung, gegenüber der ein-

Alles in allem leistet „Evaluation in Kultur und

gespielten asymmetrischen Energienutzung, gegen-

Kulturpolitik“ wichtige Pionierarbeit in seinem

über unfairen Regeln für Produktion und Handel,

Bereich. Das Ziel, Akteure in Kultur, nationaler

gegenüber den empörenden Formen der Mobili-

Kulturpolitik sowie Auswärtiger Kultur- und Bil-

tät zwischen gedankenlosem Massentourismus

dungspolitik für die Bedeutung der Evaluation zu

aus dem Norden und rigider Blockade von Mobi-

sensibilisieren und den aktuellen Stand der For-

lität aus dem Süden, mit oft tödlichem Ausgang,

schung aufzuzeigen, ist geglückt. Allerdings kann

sowie gegenüber politischem Formalismus und


166

Rezensionen

Identitätsschwäche. Die neue großräumige Struk-

überhaupt umsetzen? Die in den nördlichen und

tur, die den südlichen und östlichen Mittelmeer-

südlichen Mittelmeerländern herrschende Renten-

raum in eine epochale politisch-gesellschaftliche

und Spekulationsökonomie, die sich aus Grund-

Gestaltung einbezieht, wird, so Leggewie, auch

besitz, Öl- und Gasexport, Migrantengeldern, Ein-

dem heute falsch gepolten und daher blockiert

nahmen aus dem Massentourismus und Immobili-

wirkenden Europa neue Dynamik verleihen. Sie

enspekulation speist, kann überwunden werden,

wird die geistigen und wirtschaftlichen Potenzi-

und zwar durch „den Einbau des Mittelmeerraums

ale herausfordern, wird Parlamenten und Regio-

in eine gesamteuropäische, bis nach Afrika rei-

nen Auftrieb geben, wird subregionale Gefüge her-

chende Energiewirtschaft, durch Arbeitsplatz-

vorbringen, wird der Zivilgesellschaft eine ganz

garantien für gut ausgebildete Akademiker und

andere, bedeutendere Funktion bescheren und

Facharbeiter, durch den Auf bau leistungsfähiger

schließlich dazu führen, dass sich Europa (endlich)

und nachhaltiger Berufsbildungssysteme und eine

auch als „globaler Akteur“ zurückmelden kann –

intensive Kooperation in Wissenschaft und For-

gegenüber der Großraumpolitik Chinas, die Afrika

schung“ (S. 30). Ökonomie, Kultur und Sicherheit

inzwischen fest im Griff hat, gegenüber der „ideolo-

sind für Leggewie die drei Felder, auf denen sich

gischen Selbstzerstörung“ der USA (und Russlands)

die Zukunft Europas im euro-mediterranen Raum

und der Bedrohung durch „politische Gewaltunter-

und sogar global entscheidet.

nehmer“ in und aus den islamischen Ländern.

Aber widerspricht der Einbau des Mittelmeer-

Leggewie ist Wissenschaftler, aber er hat

raums in eine europäisch-afrikanische Raumstruk-

keine Furcht, seine Thesen in klare Begriffe zu fas-

tur nicht ‚kulturräumlichen‘ Grenzen? Für Legge-

sen, ja sogar in einer Tabelle darzustellen (S. 20).

wie ist die Vorstellung einer abgeschlossenen und

Wie kann nun die Mittelmeerunion aus der Sicht

sich abschließenden arabisch-islamischen Welt

des Autors Europa wiederbeleben? Indem Europa

eine Fiktion, Überbleibsel eines verstockten Orien-

zusammen mit den Ländern des ‚Südens‘ die so

talismus, zu groß sind die Unterschiede zwischen

genannte Union für den Mittelmeerraum zu einer

den Ländern südlich und östlich des Mittelmeers,

wirklichen Mittelmeerunion macht. Wie? Durch

zu tief sind sie von ‚westlichen‘ Ideen durchdrun-

die Bildung einer „lockeren Föderation, bei der

gen, zu lebhaft und mutig ist dort die wachsende

die Form der Funktion folgt“ (S. 201), gestützt auf

Bürgerschaftlichkeit und das Beharren auf den

urbane Netzwerke. Mit welchen Maßnahmen soll

Menschenrechten. MENA ist für den Autor nur eine

dies verwirklicht werden? Mit einem gemeinsamen

geopolitische Fiktion, Realität ist die geopolitische

Friedens- und Entwicklungsprojekt, begründet und

Nachbarschaft zu Europa (S. 39). Was will Leggewie

in Bewegung gehalten durch Strategien „demokra-

letztendlich? Er will eine „Union demokratischer

tischen“ Friedens. Was sollen Europa und seine süd-

Mittelmeergesellschaften auf neuen Grundlagen

lichen Partner dazu beitragen? Sie sollen für die

und – auf Augenhöhe“, ein anderes „Eurabia“ auf

Bereiche Energie, Touristik, Handel und Bildung

den Säulen Ökonomie, Kultur und Sicherheit. Geo-

ein nachhaltiges Entwicklungsprogramm aufle-

politische Argumente sollen die Leser auf diesem

gen, sie sollen demokratische Prozesse und Struk-

Weg voranbringen: die dynamischen, „flüssigen“

turen fördern, sollen interkulturelle Kooperationen

Grenzen Europas, die uralte historische Entwick-

begründen und durch gemeinsame Bildungs- und

lung um die Mittelmeerachse herum, die raumbil-

wissenschaftliche Einrichtungen eine „euro-medi-

dende Kraft von Netzwerken (S. 50).

terrane Wissensgemeinschaft“ (S. 201) schaffen.

Welcher Eindruck bleibt von dem Buch? Es ist

Zum Projekt gehört auch eine rationale Migrati-

eine mutige und kluge Kampfschrift zugunsten

onspolitik sowie eine nicht nur symbolische Struk-

Europas und einer noch zu schaffenden, über die

turhilfe in den Herkunftsländern der Migranten.

Union für den Mittemeerraum hinausreichenden

Kann man dies alles mit den Mittelmeerländern

echten Mittelmeerunion. Mutig ist das Buch, weil


167

WIKA-Report (Band 2)

es entgegen dem an der Oberfläche bedrohlicher

Eine sehr wichtige Frage bedarf weiterer Klä-

Ereignisse und einer gnadenlosen Politik haften-

rung. Der Umfang eines sinnvollen gemeinsamen

den Blick langfristige Alternativen für eine groß-

Handlungsraums ist mit der Formel „Europäische

räumige Verständigung zwischen Europa und den

Union-cum-Mittelmeerunion“, also EU plus MENA,

Ländern und Gesellschaften südlich und östlich

scheinbar eindeutig umrissen, auch nach Nor-

des Mittelmeers aufzeigt. Klug ist das Buch, weil es

den hin. Die Hauptakteure sind mit Frankreich,

durch Argumente und Vorschläge auf eine trans-

Deutschland und der Europäischen Union klar

kontinentale Ordnung rund um das Mittelmeer,

benannt (ist letztere von ihrem politisch-kulturell-

zwischen Europa, Nordafrika und den Nahen

ökonomischen Zuschnitt her vielleicht doch eher

Osten hinwirkt, und zwar eine Ordnung, die nur

Europas Nordwesten zuzuordnen?). Wie aber steht

regelt, was jetzt ohnehin unbedingt geregelt wer-

es mit dem Süden des Mittelmeerraums? Endet die-

den muss, was aber, wie Migration, Arbeit, Energie,

ser Raum tatsächlich mit den saharischen Gebieten

Sicherheit, durch die politisch Verantwortlichen

der Mittelmeeranrainer? Kommen die Migranten

aus Furcht vor ‚dem Wähler‘ oder aus Verstockt-

etwa aus den Anrainerstaaten? Warum sprechen

heit gegenüber einer raum- und gesellschaftspoli-

sie so oft Französisch? Warum haben manche von

tischen Modernisierung nicht geregelt wird. Eine

ihnen eine gute Schulbildung bis hin zum Bac in

Kampfschrift ist das Buch, weil es mit einer kla-

französischer Tradition? Warum tummeln sich im

ren Botschaft, einem präzis argumentierenden

(sub-)saharischen Sahel-Afrika so viele religiöse

Diskurs, einer Fülle von auch quantitativ unter-

Emissäre aus dem Nahen Osten? Wohin führten

legten Argumenten (vgl. den Anhang „Die Euro-

und führen die transsaharischen Wege? Gehört

Méditerranée in Zahlen“, S. 232–241) und einer

also Sahelafrika nicht zum Mittelmeerraum? Wenn

oft polemischen, Ross und Reiter nennenden oder

es um eine neue Mittelmeerpolitik geht, für die

wenigstens andeutenden Sprache seine Ziele ver-

Leggewie mit seinem Buch wesentliche Orientie-

folgt. Leggewies Buch ist auch ein gebildetes Buch,

rungen gibt, sollten diese Fragen bedacht werden.

mit einer historischen Dimension und mit einer

Gute Politik organisiert, ordnet das Zusammen­

Reihe von intellektuellen Paten, die von den Mön-

leben von Menschen nach Grundsätzen der Nach-

chen der Übersetzerschule von Toledo über Montes-

haltigkeit und Gerechtigkeit. Es wäre also festzu-

quieu, Paul Valéry, Fernand Braudel und anderen

stellen, wo ein Bedarf an Politik in diesem Sinne

bis Marcel Mauss sowie zeitgenössischen Autoren

besteht. Das ist im Bereich EU plus MENA zweifel-

wie Dieter Richter reicht. Nicht genannt, aber in

los der Fall, aber das Ordnungs-, also Politikdefizit,

Leggewies Analyse des Verhältnisses von Meer und

das sowohl die EU als auch den MENA-Raum belas-

Staatengründung gedanklich vertreten, ist auch

tet, reicht weiter nach Süden in das saharische und

Giambattista Vico.

sahelische Afrika hinein. Darauf mögen die gestell-

Zu Recht, und nicht nur wegen der Eleganz

ten Fragen aufmerksam machen, zugleich aber

intellektueller Diskurse, sondern als wichtiges Ele-

auch auf die kulturellen, demografischen, politi-

ment einer neuen Mittelmeerpolitik fordert Legge-

schen und religiösen Strukturen, die dieses Afrika

wie, wie erwähnt, eine euro-mediterrane Wissens-

mit Europa und dem von Leggewie beschworenen

gemeinschaft, freilich ohne dies im Detail weiter

mittelmeerischen „Süden“ verbinden. [BT]

auszuführen.1 1  Vgl. den Beitrag von Bernd Thum zur Geopolitik funktionaler Räume in diesem Band. Siehe ebenso Bernd Thum (2012): Ein Euro-Mediterraner Wissens- und Handlungsraum als strategisches Ziel. Kulturpolitische Überlegungen zu Konzeption und Programm. In: Gerd Ulrich Bauer/ders. (Hg.): Internationale Bildungsbeziehungen. WIKA-Report Band 1. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik). Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, S. 87–96.


168

Kunst/Kultur – Politik/Gesellschaft + Kulturtheorie

Auswahlbibliografie

+ Kultursoziologie Aspekt : Benjamin, Walter + Legitimation von Herrschaft + Geopolitische Faktoren + Humankapital + Innovation + Wirtschaftliche Faktoren + Zivilge-

Zusammengestellt von Gudrun Czekalla, ifa (Institut für Auslandsbeziehungen), Stuttgart und Berlin

sellschaft + Wertesystem + Internationale kulturelle Dominanz/Abhängigkeit c-00897224 | ifa-Signatur : 34/58

Die vorliegende Auswahlbibliografie umfasst Dis-

Bernhard, Roland : Geschichtsmythen über Hispa-

sertationen, Bachelor-, Master-, Magister- und

noamerika : Entdeckung, Eroberung und Kolonisie-

Diplomarbeiten zu Themen Auswärtiger Kul-

rung in deutschen und österreichischen Schulbü-

tur- und Bildungspolitik, die in den Jahren 2012

chern des 21. Jahrhunderts. – Göttingen : V&R Uni-

und 2013 erschienen sind und die in den Bestand

press, 2013. – 244 S. – (Eckert : die Schriftenreihe;

der Bibliothek des ifa eingegangen sind. Über-

Bd. 134). – Zugl. : Graz, Univ., Diss., 2013

dies finden sich stets aktuelle Hinweise auf Neu-

Thema : Deutschland + Österreich + Schulerzie-

erscheinungen auf der Webseite des ifa:

hung/Schulbildung + Schulbuch + Jahrhundert 21.

http://www.ifa.de/bibliothek.html

+ Inhaltsanalyse + Lateinamerika + Mythos + Entdeckungsgeschichte + Geschichtsbild + Conquista

Akpemado, Komi Edinam : Zur (Re)kontextualisie-

+ Kolonialherrschaft + Eurozentrismus + Stand der

rung des Afrikabildes in der deutschsprachigen

Forschung + Nutzbarmachung von Forschungser-

Literatur. – Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. – 219 S. –

gebnissen + Defizit

(Bochumer Schriften zur deutschen Literatur; Bd.

Aspekt : Kolonialgeschichte + Weltbild + Indianer |

75). – Zugl. : Bochum, Univ., Diss., 2012

c-00897825 | ifa-Signatur : 34/72

Thema : Deutschland + Schweiz + Literatur + Berichterstattung + Inhaltsanalyse + Auslandsbild

Boes, Petra : Brasilianische Literatur in deutscher

+ Afrika + Perzeption + Politische Faktoren + Sozio-

Sprache : Literaturübersetzung aus der Sicht der

kulturelle Faktoren + Kulturelle Faktoren + Stereo-

Translationswissenschaft. – Berlin : Trafo-Wiss.-

type + Afrikaner + Fremdbild

Verl., 2013. – 105 S. – (Lateinamerika-Studien; Bd.

Aspekt : Geschichtsbild + Wirkung/Auswirkung +

2). – Zugl. : Mainz, Univ., Masterarb., 2013

Kolonialzeit + Kolonialismus + Krisengebiet + Kon-

Thema : Brasilien + Deutschland + Kulturaustausch

fliktkonstellation + Belletristik + Kulturkontakt +

+ Literatur + Übersetzung + Verlag/Verlagswesen +

Autobiographisch + Kenia + Bildergeschichte + Bel-

Struktur + Übersetzer/Dolmetscher + Kulturver-

gisch-Kongo + Journalismus + Scholl-Latour, Peter |

mittlung + Kulturelle Präsenz + Analyse

c-00895778 | ifa-Signatur : 33/835

Aspekt : Berufsgruppe + Literaturkritik + Literaturwissenschaft + Rezeption + Bundesrepublik

Alberth, Lars : Die Fabrikation europäischer Kultur

Deutschland (1949-1990) + Deutsche Demokratische

: zur diskursiven Sichtbarkeit von Herrschaft in

Republik | c-00898575 | ifa-Signatur : 34/90

Europa. – Bielefeld : Transcript-Verl., 2013. – 257 S. – (Kultur und soziale Praxis). – Zugl. : Wuppertal,

Büchel, Jan : Fernsehen für Europa : transnatio-

Univ., Diss., 2013

nale mediale Öffentlichkeit als kulturpolitischer

Thema : Europa + Kultur + Funktion + Kulturpoli-

Auftrag der EU. – Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. –

tik + Initiative Europa eine Seele Geben (Berlin) +

XVII,246 S. + 1 CD-ROM. – (Studien zur Kulturpo-

Fachkonferenz + Politische Rede + Diskurstheorie +

litik; Bd. 15). – Zugl. : Hildesheim, Univ., Diss., 2012

Analyse + Verhältnis Ideologie – Kultur + Verhältnis


169

WIKA-Report (Band 2)

Thema : Europäische Union + EU-/EG-Länder +

Strategische Konzeption + Theorie + Kommunika-

Medienpolitik + Kulturpolitik + Informations-/

tionsforschung + Kampagne + Standortfaktoren +

Kommunikationspolitik + Rundfunkprogramme +

Träger von Maßnahmen + Fallstudie + Empirische

Fernsehen + Konzeption + Wirkung von Massenme-

Analyse

dien + Europa + Identität + Identitätskonstruktion

Aspekt : Globalisierung internationaler Beziehun-

+ Öffentlichkeit + Internationale Zusammenarbeit

gen + Internationalisierung + Staatsfunktionen +

+ Reformvorschlag

Image-Bildung + Auslandsbild + Marketing + Pro-

Aspekt : Transnationale Prozesse + Verhältnis Poli-

paganda + Begriffsdefinition/Begriffsverständnis +

tik – Medien + Kulturelle Identität + Wertesystem +

Gesellschaftstheorie + Gesellschaftliche Prozesse

Deutschland + Vereinigtes Königreich + Frankreich

+ Theoriebildung + Mittlerorganisation (Auswär-

+ Litauen + Mediennutzung + Erwartung + ARTE

tige Kulturpolitik) + Zielgruppe + Evaluation +

(Strasbourg) + Euronews + EURONET | c-00896072 |

Wirkung/Auswirkung + Nutzen + Wissenschaftli-

ifa-Signatur : 34/11

che Methoden + Befragung + Indien + Südkorea | c-00882736 | ifa-Signatur : 33/577

Denscheilmann, Heike : Deutschlandbilder : Ausstellungen im Auftrag Auswärtiger Kulturpolitik. –

Figueira, Carla : Languages at war : external lan-

Hildesheim : Springer, 2013. – 320 S. – (Auswärtige

guage spread policies in Lusophone Africa ; Moz-

Kulturpolitik). – Zugl. : Hildesheim, Univ., Diss.,

ambique and Guinea-Bissau at the turn of the 21st

2012

century. – Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. – 355 S. –

Thema : Deutschland + Auswärtige Kulturpolitik +

(Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwis-

Public Diplomacy + Außenpolitische Ziele + Image-

senschaft; Bd. 97). – Zugl. : London, City Univ., Diss.,

Bildung + Deutschlandbild + Fallstudie + Goethe-

2010 u.d.T. : Languages at war in Lusophone Africa

Institut (München) + Institut für Auslandsbezie-

Thema : Europa + Kolonialmacht + Portugal + Bra-

hungen (Stuttgart) + Ziele und Programme von

silien + Sprachenpolitik + Ehemalige Kolonien +

Institutionen/Organisationen + Aufgabenstellung

Portugiesischsprachiges Afrika + Fallstudie + Gui-

+ Analyse + Bildende Kunst + Ausstellung + Kunst-

nea-Bissau + Mosambik + Portugiesisch + Interna-

werk + Bestimmungsfaktoren + Bewertung kultur-

tionaler Wettbewerb + Politische Faktoren + Wirt-

politischer Maßnahmen + Konsequenz/Schlussfol-

schaftliche Faktoren + Internationaler Vergleich/

gerung

Ländervergleich + Auswärtige Kulturpolitik +

Aspekt : Repräsentativität + Kommunikation + Kul-

Frankreich + Vereinigtes Königreich + Deutschland

turvermittlung + Stereotype + Verhältnis Kunst/

+ Jahrhundert 21.

Kultur – Politik/Gesellschaft + Kunstfreiheit +

Aspekt : Kulturelle Grundrechte + Schulerziehung/

Interkulturelle Kommunikation + Kulturzugang

Schulbildung + Afrikanische Sprachen + Nord-Süd-

+ Auswärtige Kulturpolitik – Konzeption 2000 |

Dialog + Nationale Identität + Kulturelle Vielfalt +

c-00890831 | ifa-Signatur : 33/635

Kulturimperialismus + Internationale kulturelle Dominanz/Abhängigkeit | c-00879078 | ifa-Signatur

Fähnrich, Birte : Science diplomacy : strategische

: 33/439

Kommunikation in der auswärtigen Wissenschaftspolitik. – Wiesbaden : Springer, 2013. – 319 S. (Orga-

Fischer, Gerrit : Von der "Versöhnung" zur Inter-

nisationskommunikation : Studien zu Public Rela-

nationalisierung = De la "réconciliation" vers

tions/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikations-

l'internationalisation : das Auseinanderklaffen von

management). – Zugl. : Leipzig, Univ., Diss., 2012

Programm und Programmatik ; deutsche Kultur-

Thema : Deutschland + Auswärtige Kulturpolitik +

institute in Frankreich (1945-2011). – Saarbrücken

Public Diplomacy + Wissenschaftliche Zusammen-

... : Universaar, 2013. – 402 S. – Zugl. : Saarbrücken,

arbeit + Informations-/Kommunikationspolitik +

Univ., Diss., 2011


170 Auswahlbibliografie

Thema : Deutschland + Bundesrepublik Deutsch-

Sportveranstaltung + Organisation/Reorganisation

land (1949-1990) + Auswärtige Kulturpolitik +

+ Rezeption + Berichterstattung + Massenmedien +

Frankreich + Mittlerorganisation (Auswärtige Kul-

Internationaler Vergleich/Ländervergleich

turpolitik) + Goethe-Institut (Paris) + Goethe-Insti-

Aspekt : Bewerbung + Vergangenheitsbewälti-

tut (Lille) + Auslandskulturinstitut + Montpellier +

gung + Geschichtsbild + Neuorientierung + Ritual

Ziele und Programme von Institutionen/Organisa-

+ Staatssymbole + Rivalität von Staaten + Deutsche

tionen + Bewertung kulturpolitischer Maßnahmen

Demokratische Republik + München + Palästinen-

Aspekt : Deutsch-französisches Kulturabkom-

ser + Attentat + Medienpolitik + Status und Rolle

men (1954-10-23) + Deutsch-französischer Vertrag

im internationalen System | c-00893654 | ifa-Signa-

(1963-01-22) + Wechselbeziehungen im Bereich der

tur : 33/726

Außenpolitik + Versöhnung + Europäische Integration + Globalisierung internationaler Beziehun-

Garling, Stephanie : Vom Störfaktor zum Operator

gen + Deutschlandbild + Zivilgesellschaft + Kultur

: Religion im Diskurs der Entwicklungszusammen-

+ Begriffsdefinition/Begriffsverständnis + Öffent-

arbeit. – Wiesbaden : Springer VS, 2013. – 257 S. –

lich-private Partnerschaft | c-00889929 | ifa-Signa-

(Theorie und Praxis der Diskursforschung). – Zugl.

tur : 4 B 33/138 | http://universaar.uni-saarland.de/

: Leipzig, Univ., Diss., 2013

monographien/volltexte/2013/101/pdf/Fischer_Ver-

Thema : Religion + Begriffsdefinition/Begriffsver-

soehnung.pdf

ständnis + Säkularisierung + Rollenverständnis gesellschaftlicher Gruppen + Wechselbeziehungen

Földes, Dóra : "The world favors the brave" : towards

Religion und Politik + Einflusssphäre + Entwick-

a long-term strategy for Hungarian cultural diplo-

lungspolitik | c-00889777 | ifa-Signatur : 33/738

macy. – Budapest, 2013. – 40 S. – Budapest, Central Europ. Univ., Master's thesis, 2013

Gerner, Martin : Lead agency : UNESCO's global

Thema : Ungarn + Auswärtige Kulturpolitik + Kon-

leadership and co-ordination role for the United

zeption + Bewertung kulturpolitischer Maßnah-

Nations Decade of Education for Sustainable Deve-

men + Studiengruppe Entwicklungsprobleme der

lopment ; (2005-2014). – Frankfurt/M. : PL Acad.

Industriegesellschaft + Auslandskulturinstitut +

Research, 2013. – XIX,587 S. – (Dresdner Schriften

Befragung + Gegenwärtige Lage + Zielvorstellung/

zu Recht und Politik der Vereinten Nationen; Bd.

Zielsetzung + Reformvorschlag

17). – Zugl. : Dresden, Techn. Univ., Diss., 2012

Aspekt : Begriffsdefinition/Begriffsverständnis +

Thema : United Nations Educational, Scientific

Historische Faktoren + Soft Power + Public Diplo-

and Cultural Organization + Ziele und Programme

macy + Image-Bildung + Auslandsbild | c-00894640

internationalen Akteurs + Aktionsprogramm/Akti-

| ifa-Signatur : Cb 33/296

onsplan + United Nations Decade of Education for Sustainable Development (2005-2014) + Bildungspo-

Gajek, Eva Maria : Imagepolitik im olympischen

litik + Internationale Bildungszusammenarbeit +

Wettstreit : die Spiele von Rom 1960 und Mün-

Dauerhafte Entwicklung + Bildungsziele + Funkti-

chen 1972. – Göttingen : Wallstein, 2013. – 559 S. –

onen internationaler Akteure + Entscheidungskom-

(Geschichte der Gegenwart; Bd. 7). – Zugl. : Gießen,

petenzen internationalen Akteurs + Implementie-

Univ., Diss., 2011

rung + Governance + Analyse

Thema : Italien + Bundesrepublik Deutschland

Aspekt : Normensetzungsfunktion internationaler

(1949-1990) + Auswärtige Kulturpolitik + Pub-

Akteure + Koordination nationaler Maßnahmen

lic Diplomacy + Instrumente und Verfahren der

und Politiken + Wissenschaftliche Methoden + Leis-

Außenpolitik + Olympic Games 17. (Rome, 1960)

tungsfähigkeit von Institutionen/Organisationen +

+ Olympic Games 20. (Munich, 1972) + Image-Bil-

Kriterien + Effizienz/Effektivität + Unternehmens-

dung + Auslandsbild + Deutschlandbild + Sport +

organisation | c-00898560 | ifa-Signatur : 34/110


171

WIKA-Report (Band 2)

Geserick, Christine : "Welcome to our family" : eine

+ Berichterstattung + Inhaltsanalyse + Künstler +

qualitative Studie zur Erlebniswelt deutschsprachi-

Interview

ger Au-pairs in den USA. – Opladen ... : Budrich Uni-

Aspekt : Rollenverständnis gesellschaftlicher

press, 2013. – 280 S. – (Familienforschung; Bd. 25).

Gruppen + Kunst + Organisation/Reorganisation +

– Zugl. : Wien, Univ., Diss. 2012

Modernisierung + Gesellschaftspolitik + Verhältnis

Thema : Deutschland + Österreich + Vereinigte

Kunst/Kultur – Politik/Gesellschaft + Osmanisches

Staaten + Österreicher + Deutsche + Frauen + Aus-

Reich + Internationaler Vergleich/Ländervergleich

landsaufenthalt + Kinderbetreuung/Jugendbetreu-

+ Europa + Nordamerika + Deutschland + Kassel +

ung + Erwartung + Motivation + Aufgabenstellung

Documenta 11 (Kassel, 2002-06-08/2002-09-15) + Ita-

+ Status und Rolle + Alltag + Kulturkontakt + Inter-

lien + La Biennale di Venezia | c-00893651 | ifa-Sig-

kulturelle Kommunikation + Interkultureller Kon-

natur : 33/785

flikt + Konfliktpotential + Theorie-Praxis-Problem + Empirische Analyse + Befragung

Gronholz, Matthias : Kulturelle Globalisierung und

Aspekt : Sozialer Status + Arbeitsbedingungen +

internationale Kooperation. – Wiesbaden : Sprin-

Lebensbedingungen + Kulturzugang + Freizeit +

ger, 2013. – 344 S. – Zugl. : Freiburg/Breisgau, Univ.,

Konfliktkonstellation + Selbstbild | c-00879986 |

Diss., 2012

ifa-Signatur : 33/394

Thema : Global + Internationale Zusammenarbeit + Globalisierung internationaler Beziehungen +

Glavac, Monika : Der "Fremde" in der europäischen

Kulturelle Faktoren + Institutionalisierung inter-

Karikatur : eine religionswissenschaftliche Studie

nationaler Beziehungen + Träger von Maßnahmen

über das Spannungsfeld zwischen Belustigung,

+ Wandel + Geschichte der internationalen Bezie-

Beleidigung und Kritik. – Göttingen ... : Vanden-

hungen + Entwicklungsperspektive und -tendenz

hoeck & Ruprecht, 2013. – 208 S. – (Research in Con-

Aspekt : Theorie der internationalen Beziehungen

temporary Religion; vol. 11). – Zugl. : Zürich, Univ.,

+ Internationale Politik (wissenschaftliche Dis-

Diss., 2011

ziplin) + Internationale Gesellschaft/Weltgesell-

Thema : Europa + Italien + Frankreich + Vereinig-

schaft + Kommunikation in den internationalen

tes Königreich + Dänemark + Karikatur + Inhalts-

Beziehungen + Kulturelle Werte und Normen +

analyse + Arabische Länder + Islam + Fremdbild +

Global Governance + Diplomatische Beziehungen

Selbstbild + Forschungsgegenstand + Religionsge-

+ Internationales Abkommen + Völkerbund + Uni-

meinschaft + Beispielhafte Fälle

ted Nations + Zivilgesellschaft + Nichtregierungs-

Aspekt : Printmedien + Presse + Muhammad (Pro-

organisation + Group of Twenty | c-00890346 | ifa-

phet) + Interkultureller Konflikt + Frauen + Sitten

Signatur : 33/639

und Gebräuche + Kulturkontakt | c-00881860 | ifaSignatur : 33/256

Gutwerk, Simone : Host nation studies : a language and culture program in US-American elementary

Graf, Marcus : Istanbul-Biennale : Geschichte, Posi-

education in Germany. – Bad Heilbrunn : Klink-

tion, Wirkung. – Berlin : Kulturverl. Kadmos, 2013.

hardt, 2013. – 201 S. – Zugl. : Würzburg, Univ., Diss.,

– 624 S. – (Kaleidogramme; Bd. 41). – Zugl. : Stutt-

2012

gart, Staatl. Akad. der Bildenden Künste, Diss., 2010

Thema : Vereinigte Staaten + Auslandsschule +

Thema : Türkei + İstanbul + Ausstellung + Kultu-

Internationale Schule + Bundesrepublik Deutsch-

relle Veranstaltung + Status und Rolle im inter-

land (1949-1990) + Deutschland + Zielgruppe +

nationalen System + Konzeption + Wirkung/Aus-

Truppenstationierung im Ausland + Berufssolda-

wirkung + National + International + Kulturelle

ten + Amerikaner (Vereinigte Staaten) + Studenten/

Faktoren + Soziokulturelle Faktoren + Kulturpo-

Schüler + Primarschule + Sekundarschule + Curri-

litik + Internationale Kulturbeziehungen + Presse

culum + Inhaltsanalyse + Interkulturelle Erziehung


172

Auswahlbibliografie

+ Didaktik + Kulturzugang + Befragung + Lehrer

Högerle, Daniela : Propaganda oder Verständigung?

Aspekt : Amerikanische Besatzungszone Deutsch-

: Instrumente französischer Kulturpolitik in Süd-

lands + Vorschule/Kindergarten + Schulpartner-

baden ; 1945–1949. – Frankfurt/M. : Lang, 2013. –

schaft + Lehrerausbildung + Internationale Bil-

336 S. – (Europäische Hochschulschriften : Reihe

dungszusammenarbeit + Deutsch + Fremdsprache

13, Französische Sprache und Literatur; Bd 297). –

+ Sprachenlernen/Sprachunterricht | c-00874282 |

Zugl. : Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2012

ifa-Signatur : 33/308

Thema : Frankreich + Deutschland + Südbaden + Internationale Kulturbeziehungen + Auswärtige

He, Jun : Die Auswirkungen der englischsprachigen

Kulturpolitik + Instrumente und Verfahren der

Hochschullehre in Deutschland auf das Deutsch-

Außenpolitik + Besatzungspolitik + Französische

lernen in China. – Frankfurt/M. : Lang, 2013. –

Besatzungszone Deutschlands + Freiburg im Breis-

XVI,232 S. – (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und

gau + Nachkriegssituation

Kulturwissenschaft; Bd. 95). – Zugl. : Duisburg-

Aspekt : Deutschlandpolitik + Militärverwaltung

Essen, Univ., Diss., 2012

(Besatzungsmacht) + Gründung von Institutionen/

Thema : Deutschland + Hochschulpolitik + Studien-

Vereinigungen + Ziele und Programme von Institu-

gang + Internationalisierung + Unterrichtssprache

tionen/Organisationen + Informations- und Doku-

+ Englisch + Wirkung/Auswirkung + Volksrepublik

mentationseinrichtung + Institut Français de Fri-

China + Deutsch + Fremdsprache + Sprachenler-

bourg-en-Brisgau + Volkshochschule + Instrument

nen/Sprachunterricht + Auslandsstudium + Empi-

(Verfahren) + Kulturpolitik + Umerziehung + Propa-

rische Analyse + Konsequenz/Schlussfolgerung +

ganda + Kunsterziehung + Kulturelle Veranstaltung

Sprachenpolitik

+ Theater + Kunst | c-00870147 | ifa-Signatur : 33/359

Aspekt : Deutsch + Wissenschaftssprache + Status und Rolle im internationalen System + Standortfak-

Hudson, Paul : Tiptoeing through the minefield :

toren + Bildungsmarkt + Germanistik + Ausland +

teaching English in higher educational institutes

Studenten/Schüler + Motivation + Informationszu-

in the United Arab Emirates. – Canterbury, 2013.

gang + Fremdsprachenkenntnisse | c-00867254 | ifa-

– 323 S. – Canterbury, Christ Church Univ., Diss.,

Signatur : 33/4

2013 Thema : Westliche Welt + Englischsprachige Län-

Heugel, Renate : Die deutsch-arabische Freund-

der + Auslandslehrer + Auslandsaufenthalt + Verei-

schaft : deutsche Geschichte (1815–1945) in syri-

nigte Arabische Emirate + Hochschule + Englisch +

schen Schulbüchern. – Hamburg : Kovač, 2013. –

Fremdsprache + Sprachenlernen/Sprachunterricht

210 S. – (Nur al-hikma; Bd. 8). – Zugl. : Tübingen,

+ Ideologischer Konflikt + Interkultureller Konflikt

Univ., Magisterarb., 2011

+ Konfliktkonstellation + Kulturzugang + Empiri-

Thema : Syrien + Schulbuch + Inhaltsanalyse

sche Analyse + Befragung

+ Deutschland + Deutschlandbild + Politische

Aspekt : Religiöse Faktoren + Islam + Religiosität

Geschichte + Geschichtsbild + Bedeutung/Rolle +

+ Geschlechterrolle/Geschlechterverhältnis + Ein-

Ideologische Faktoren + Geschichtsschreibung +

kommen + Sozialer Status + Curriculum + Zensur +

Nationalsozialismus + Antisemitismus + Deutsches

Soziale Sicherheit + Arbeitsbedingungen + Lehrer-

Reich + Drittes Reich + Status und Rolle im interna-

ausbildung | c-00884599 | ifa-Signatur : 4 B 33/98 |

tionalen System

http://create.canterbury.ac.uk/12101/1/PhD_-_Paul_

Aspekt : Arabischer Nationalismus + Baath-Ideo-

Hudson.pdf

logie + Panarabismus + Feindbild + Judentum + Israel + Holocaust + Bilaterale internationale

Humer, Alexandra : Solidarität mit Nicaragua? :

Beziehungen + Bismarck, Otto von + Hitler, Adolf

Städtepartnerschaften als Beispiel kommunaler

| c-00881020 | ifa-Signatur : 33/426

EZA in Österreich und ihre Rolle in der OEZA. – 1.


173

WIKA-Report (Band 2)

Aufl. – Wien : Österreichische Forschungsstiftung

+ Entwicklung + Leitbild + Kulturelle Faktoren +

für Internationale Entwicklung, 2013. – IV,147 S. –

Soziokulturelle Faktoren + Interkulturelle Kom-

(ÖFSE-Forum; 55). – Zugl. : Wien, Univ., Diplomarb.,

munikation + Instrument (Verfahren) + Dauerhafte

2013

Entwicklung + Entwicklungstheorie

Thema : Österreich + Nicaragua + Auslands- und

Aspekt : Modernisierungstheorie + Dependenzthe-

Entwicklungshilfe + Entwicklungspartnerschaft +

orie + Kulturkontakt + Kulturzugang + Fremdbild

Städtepartnerschaft + Beitrag (Leistung) + Organi-

+ Entwicklungspolitische Strategie | c-00894032 |

sation/Reorganisation + Finanzierung + Internati-

ifa-Signatur : 33/796

onale Zusammenarbeit von Regionen/Kommunen + Koordination nationaler Maßnahmen und Poli-

Karis, Tim : Mediendiskurs Islam : Narrative in der

tiken + Außenbeziehungen staatlicher Akteure +

Berichterstattung der "Tagesthemen" 1979-2010. –

Fallstudie

Wiesbaden : Springer, 2013. – 359 S. – Zugl. : Müns-

Aspekt : Auslands- und Entwicklungshilfeprojekt +

ter, Univ., Diss., 2012

Dezentralisierung + Zivilgesellschaft | c-00898596 |

Thema : Deutschland + Bundesrepublik Deutsch-

ifa-Signatur : 34/111

land (1949-1990) + Programme von Massenmedien + Hörfunksendung/Fernsehsendung + Nachrich-

Hunt, Alexander : United States cultural diplomacy

tenwesen + Berichterstattung + Islam + Inhaltsana-

in the post-9/11 world : crafting a grand strategy in

lyse + Fremdbild + Feindbild + Wissenschaftliche

the war of ideas. – Budapest, 2013. – 80 S. – Buda-

Methoden + Methodenansätze + Diskurstheorie +

pest, Central European Univ., Masterarb., 2013

Medienforschung

Thema : Vereinigte Staaten + Auswärtige Kulturpo-

Aspekt : Semiotik + Bildmaterial/Abbildungen +

litik + Public Diplomacy + Soft Power + Stellenwert

Visualisierung + Islamische Revolution + Religiöser

+ Außenpolitik einzelner Staaten + Hard Power +

Fundamentalismus + Politischer Islam + Militanter

Militärische Operationen + Fallstudie + Kalter Krieg

Islam + Konfliktpotential + Zivilisationskonflikt +

(Ost-West-Konflikt) + Vergleich + Terrorismusbe-

Terroranschlag New York/Washington (2001-09-11)

kämpfung + Terroranschlag New York/Washington

+ Bedrohungsvorstellungen (Gesellschaft) + Bedro-

(2001-09-11) + Konsequenz/Schlussfolgerung + Poli-

hungsvorstellungen (Sicherheitspolitik) + Muslime

tische Strategie + Ideologisch-kulturelle Faktoren

+ Desintegration + Frauen + Soziale Diskriminie-

der Außenpolitik

rung + Fremdenfeindlichkeit | c-00895037 | ifa-Sig-

Aspekt : Außenpolitische Strategie + Organisation/

natur : 33/742

Reorganisation + Zentralisierung + Träger von Maßnahmen + Auslandskulturinstitut + Befragung +

Klippel, Johanna : Sprachlernsituation Auslandsstu-

Kulturausgaben + Kriegskosten + Allison, Graham

dium : eine qualitative Studie zu Lernerfahrungen

+ Modell (theoretisch) + Außenpolitik | c-00898959 |

ausländischer Studierender in Deutschland. – Balt-

ifa-Signatur : Cb 34/39 | www.etd.ceu.hu/2013/hunt_

mannsweiler : Schneider-Verl. Hohengehren, 2013.

alexander.pdf

– 307 S. – (Perspektiven Deutsch als Fremdsprache; Bd. 26). – Vollst. zugl. : Darmstadt, Techn. Univ.,

Kampmann, Susanne : Die Interdependenz der Ord-

Diss.

nungen : Entwicklungszusammenarbeit als inter-

Thema : Deutschland + Ausländische Studenten +

kulturelles Diskursfeld. – Hamburg : Bachelor +

Fremdsprachenkenntnisse + Deutsch + Fremdspra-

Master Publ., 2013. – 67,X S. – Zugl. : Kaiserslautern,

che + Sprachenlernen/Sprachunterricht + Befra-

Techn. Univ., Masterarb., 2011

gung + Erwartung + Praxis + Effizienz/Effektivität

Thema : Westliche Welt + Entwicklungsländer

+ Relation + Organisation/Reorganisation + Soziale

+ Auslands- und Entwicklungshilfe + Entwick-

Beziehungen + Hochschulstudium + Konsequenz/

lungspartnerschaft + Stellenwert + Paradigma

Schlussfolgerung


174

Auswahlbibliografie

Aspekt : Auslandsaufenthalt + Vorbereitung von

Abkommen + Internationale Organisation + Con-

Projekten + Lernen + Motivation + Bildungsziele +

vention on the Means of Prohibiting and Pre-

Lehrmethoden/Lernmethoden + Unterrichtsspra-

venting the Illicit Import, Export and Transfer

che + Verkehrssprache + Forschungsgegenstand |

of Ownership of Cultural Property (1970-11-14) +

c-00894037 | ifa-Signatur : 33/813

Second Protocol to the Convention for the Protection of Cultural Property (1999-03-26) + First Proto-

Koster, Luc : Deutsche und amerikanische Gesten

col to the Convention for the Protection of Cultural

im interkulturellen Vergleich : ein empirischer

Property (1954-05-14) + Convention concerning the

Beitrag zur Gestenforschung im Kontext der Dol-

Protection of the World Cultural and Natural Heri-

metschwissenschaft. – Trier : WVT Wiss.-Verl.,

tage (1972-11-16) | c-00898598 | ifa-Signatur : 34/87

2013. – 308 S. + 1 CD-ROM. – (Heidelberger Studien zur Übersetzungswissenschaft; Bd. 17). – Zugl. : Hei-

Laemmerhirt, Iris-Aya : Embracing differences :

delberg, Univ., Diss., 2011

transnational cultural flows between Japan and the

Thema : Deutschland + Vereinigte Staaten + Nicht-

United States. – Bielefeld : Transcript-Verl., 2013. –

verbale Kommunikation + Verhaltensmuster +

261 S. – (Culture & Theory). – Zugl. : Bochum, Univ.,

Internationaler Vergleich/Ländervergleich + Film +

Diss., 2008

Analyse + Konsequenz/Schlussfolgerung + Überset-

Thema : Vereinigte Staaten + Japan + Internationale

zer/Dolmetscher + Ausbildung/Berufliche Bildung

Kulturbeziehungen + Kulturaustausch + Kulturein-

+ Bildungsziele

fluss + Perzeption + Rezeption + Wandel + Massen-

Aspekt : Interkulturelle Kommunikation + Video +

kultur + Nahrungsmittel + Film + Auslandsbild +

Visualisierung + Wörterbuch + Lehrmittel + Wis-

Inhaltsanalyse + Fallstudie

senschaftliche Methoden | c-00898634 | ifa-Signatur

Aspekt : Kulturimperialismus + Orientalismus +

: 34/97

Okzidentalismus + Fremdbild + Stereotype + Frauen | c-00897229 | ifa-Signatur : 34/59

Krenz, Kai Georg : Rechtliche Probleme des internationalen Kulturgüterschutzes : Durchsetzung, Har-

Lembrecht, Christina : Bücher für alle : die

monisierungsbestrebungen und Restitutionen von

UNESCO und die weltweite Förderung des Buches

Kulturgütern. – Frankfurt/M. ... : PL Acad. Research,

1946-1982. – Berlin ... : de Gruyter, 2013. – XIV,608 S.

2013. – XXI,409 S. – (Schriften zum internationalen

– (Archiv für Geschichte des Buchwesens : Studien;

und zum öffentlichen Recht; Bd. 107). – Zugl. : Mar-

Bd. 9). – Zugl. : Mainz, Univ., Diss., 2011

burg, Univ., Diss., 2013

Thema : United Nations Educational, Scientific

Thema : Global + EU-/EG-Länder + Europäische

and Cultural Organization + Ziele und Programme

Union + Deutschland + Kulturgüter + Begriffsdefi-

internationalen Akteurs + Internationale kulturelle

nition/Begriffsverständnis + Schutz von Kulturgü-

Zusammenarbeit + Internationale Bildungszusam-

tern + Schutz von Kulturgütern in militärischen

menarbeit + Förderung/Unterstützung + Buch +

Konflikten + Rechtliche Regelung + Rechtssicher-

Leseförderung + Literaturversorgung + Friedenssi-

heit + Nationales Recht + Völkerrecht + Verbind-

cherung + Fallstudie

lichkeit von internationalen Rechtsakten + Umset-

Aspekt : Kalter Krieg (Ost-West-Konflikt) + Nach-

zung internationalen Rechts + Abgrenzung natio-

kriegssituation + Buchhandel + Verlag/Verlagswe-

nales Recht – Gemeinschaftsrecht + Internationale

sen + Übersetzung + Kulturvermittlung + Kultur-

Konvention + Analyse + Vorschlag/Initiative

zugang + Bildungschancen + Völkerverständigung

Aspekt : United Nations Educational, Scientific and

+ Perzeption + Revision von Meinungen/Erkennt-

Cultural Organization + Beschluss/Entscheidung

nissen + Öffentliche Bibliothek + Aufgabenstel-

internationalen Akteurs + Bilaterales internatio-

lung + Schulbuch + Lateinamerika + Kinderbuch/

nales Abkommen + Multilaterales internationales

Jugendbuch + Entwicklungsländer | c-00893659 |


175

WIKA-Report (Band 2)

ifa-Signatur : 33/749

Thema : Europa + Reisebericht + Inhaltsanalyse + Afrika + Fremdbild + Visualisierung + Fotografie +

Löcherer, Felix : Deutschlandbilder der Gegenwart

Kolonialismus + Kolonialzeit + Fallstudie

: die französische Perspektive ; Studien zu derzeiti-

Aspekt : Deutschland + Frankreich + Vereinigtes

gen französischen Deutschlandbildern anhand der

Königreich + Schweiz + Afrikaner + Stereotype +

einschlägigen Presseberichterstattung in Frank-

Vorurteile + Revision von Meinungen/Erkenntnis-

reich. – Augsburg, 2013. – 58 S. – Augsburg, Univ.,

sen + Geschlechterrolle/Geschlechterverhältnis +

Bachelorarb., 2011

Frauen + Männer + Tourismus + Tschad + Kongo

Thema : Deutschland + Deutschlandbild + Perzep-

(Brazzaville) | c-00895919 | ifa-Signatur : 33/895

tion + Berichterstattung + Presse + Frankreich Aspekt : Le Monde + Le Figaro + Le Parisien + Inter-

Merklinger, Martina : Die Biennale São Paulo : Kul-

nationale politische Dominanz/Abhängigkeit +

turaustausch zwischen Brasilien und der jungen

Internationale politische Dominanz/Abhängigkeit

Bundesrepublik Deutschland (1949-1954). – Biele-

+ Europäische Union + Mitwirkung bei internatio-

feld : Transcript-Verl., 2013. – 250 S. – (Image; Bd.

nalem Akteur + Status und Rolle im internationa-

41). – Zugl. : Bonn, Univ., Diss., 2010

len System + Vereinigung oder Wiedervereinigung

Thema : Bundesrepublik Deutschland (1949-1990) +

von Staaten/Gebieten | c-00883516 | ifa-Signatur :

Brasilien + Auswärtige Kulturpolitik + Instrumente

Cb 33/262 | http://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/

und Verfahren der Außenpolitik + Bedeutung/Rolle

opus4/files/2340/Loecherer_Deutschlandbilder.pdf

+ Internationale projektbezogene Zusammenarbeit + Ausstellung + Kunstwerk + São Paulo + Konzep-

Makulkina, Iryna : Das metaphorische Russland-

tion + Organisation/Reorganisation + Kulturaus-

bild im deutschen Pressediskurs. – Hamburg :

tausch + Kulturprojekt

Kovač, 2013. – 249 S. – (Philologia : Sprachwissen-

Aspekt : Nachkriegssituation + Bilaterale internati-

schaftliche Forschungsergebnisse; Bd. 177). – Zugl. :

onale Beziehungen + Aufnahme von Beziehungen

Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2012

+ Gründung von Institutionen/Vereinigungen +

Thema : Deutschland + Presse + Berichterstattung +

Bauhaus + Bill, Max + Auswärtiges Amt (Deutsch-

Auslandsbild + Russische Föderation + Stellenwert +

land, BRD) + Deutsche Demokratische Republik |

Metapher + Bestimmungsfaktoren + Image-Bildung

c-00879027 | ifa-Signatur : 33/438

+ Methodenansätze + Inhaltsanalyse Aspekt : Diskurstheorie + Semantik + Kognition

Niesing, Eva : Nation branding practices in Latin

+ Rhetorik + Wirtschaftliche Faktoren + Innen-

America : a diagnosis of Brazil, Chile and Colom-

politische Faktoren + Außenpolitische Faktoren

bia. – München : Grin-Verl., 2013. – XI,173 S. – Zugl.

+ Soziokulturelle Faktoren + Stereotype + Fremd-

: Bachelorarb.

bild + Feindbild + Putin, Vladimir Vladimirovič

Thema : Lateinamerika + Brasilien + Chile +

+ Die Welt + Der Spiegel + Stern + Focus : das

Kolumbien + Public Diplomacy + Image-Bildung

moderne Nachrichtenmagazin + Medienforschung

+ Auslandsbild + Tourismuspolitik + Auswärtige

| c-00894236 | ifa-Signatur : 33/624

Kulturpolitik + Aktionsprogramm/Aktionsplan + Kampagne + Konzeption + Bestimmungsfaktoren

Malzner, Sonja : "So sah ich Afrika" : die Reprä-

+ Marketing + Träger von Maßnahmen + Internati-

sentation von Afrikanern in plurimedialen Reise-

onaler Vergleich/Ländervergleich

berichten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Aspekt : Planung + Implementierung + Potential +

– Würzburg : Königshausen & Neumann, 2013. –

Zielgruppe + Kulturelle Faktoren + Land und Leute

670 S. – (Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden

+ Naturlandschaft + Diaspora + Kulturprojekt +

Literatur- und Kulturwissenschaft; Bd. 63). – Zugl. :

Nationale Identität + Stereotype + Finanzierung |

Saarbrücken, Univ., Diss.

c-00882676 | ifa-Signatur : 33/579


176 Auswahlbibliografie

Oehler, Lars : Alemania es diferente? : Analyse der

Gemeinschaften + Beziehungen von Mitgliedern zu

zentralen deutschen Kulturstandards aus Sicht spa-

internationalem Akteur

nischer Studierender in Deutschland. – Hamburg :

Aspekt : Rivalität von Staaten + Bilateraler inter-

Diplomica-Verl., 2013. – 76 S. – Zugl. : Regensburg,

nationaler Konflikt + Verhalten in den internatio-

Univ., Bachelorarb., 2012

nalen Beziehungen + Zypernkonflikt + Demokra-

Thema : Spanien + Schüler- und Studentenaus-

tisierung + Reisebericht + Kulturelle Faktoren +

tausch + Auslandsstudium + Deutschland + Aus-

Ausländische Arbeitnehmer + Perzeption + Histo-

ländische Studenten + Spanier + Deutschlandbild

rische Faktoren + Stereotype + Frankfurter Allge-

+ Perzeption + Deutsche + Kulturstandards + Hypo-

meine Zeitung + Süddeutsche Zeitung + Frankfur-

these + Befragung

ter Rundschau + Bild-Zeitung | c-00867805 | ifa-Sig-

Aspekt : Integration + Desintegration + Persönliche

natur : 32/778

Beziehungen/Kontakte + Stereotype + Revision von Meinungen/Erkenntnissen | c-00895048 | ifa-Signa-

Schuch, Jane : Mosambik im pädagogischen Raum

tur : 33/814

der DDR : eine bildungsanalytische Studie zur "Schule der Freundschaft" in Staßfurt. – Wiesbaden

Reich, Hannah : Frieden stiften durch Theater :

: Springer, 2013. – 253 S. – Zugl. : Berlin, Humboldt-

Konfessionalismus und sein Transformationspoten-

Univ., Diss., 2012

tial ; interaktives Theater im Libanon. – Bielefeld :

Thema : Deutsche Demokratische Republik +

Transcript-Verl., 2013. – 329 S. – (Kultur und soziale

Mosambik + Internationale Bildungszusammenar-

Praxis). – Zugl. : Bonn, Univ., Diss., 2010

beit + Bildungshilfe (Auslandshilfe) + Schulmodell

Thema : Libanon + Bürgerkrieg im Libanon (1975-

+ Konzeption + Neuorientierung + Sekundarschule

1990) + Nachkonfliktphase + Friedenerhaltende

+ Ausbildung/Berufliche Bildung + Bildungsziele +

Maßnahmen + Beitrag (Leistung) + Theater + Kul-

Alltag + Schulbesuch + Fotografie + Inhaltsanalyse

turprojekt + Konzeption + Religiöse Bevölkerungs-

Aspekt : Fremdbild + Postkolonialismus + Ideologi-

gruppe + Beziehungen zwischen religiösen Grup-

sche Faktoren + Solidarität + Völkerverständigung

pen/Religionsgemeinschaften + Klientelismus +

+ Rassismus | c-00872546 | ifa-Signatur : 33/59

Analyse + Wissenschaftliche Methoden + Fallstudie Aspekt : Theoriebildung + Ästhetik + Lewin, Kurt

Seyler, Siegfried : Europaschule in Hessen = Zwan-

+ Said, Edward W. + Orientalismus + Butler, Judith

zig Jahre Europaschule in Hessen : zwanzig Jahre

+ Verhältnis Kunst/Kultur – Politik/Gesellschaft +

Schulentwicklung und Bildung für Europa. –

Verhältnis Ideologie – Kultur + Soziale Fragmentie-

Schwalbach/Taunus : Debus-Pädagogik-Verl., 2013.

rung + Sozialgeographie + Milizsystem | c-00893992

– 444 S. – Zugl. : Marburg, Univ., Diss., 2012

| ifa-Signatur : 33/836

Thema : Deutschland + Hessen + Europäische Schule + Schulmodell + Ziele und Programme von

Reynolds, Douglas : Turkey, Greece, and the "bor-

Institutionen/Organisationen + Bildungsziele +

ders" of Europe : images of nations in the West Ger-

Schulerziehung/Schulbildung + Konzeption + Wan-

man press 1950-1975. – Berlin : Frank & Thimme,

del + Internationale Bildungszusammenarbeit +

2013. – V,544 S. – (Medien und politische Kommuni-

Befragung

kation – Naher Osten und islamische Welt; Bd. 22).

Aspekt : Bildungspolitik + Schulreform + Curricu-

– Zugl. : Erfurt, Univ., Diss., 2011

lum + Tansania + Schulpartnerschaft + Schüler-

Thema : Bundesrepublik Deutschland (1949-1990) +

und Studentenaustausch + Fremdsprache + Lernen

Presse + Berichterstattung + Inhaltsanalyse + Aus-

+ Mehrsprachigkeit + Interkulturelle Erziehung +

landsbild + Türkei + Griechenland + Internationaler

Qualitätssicherung + Politische Bildung + Europa

Vergleich/Ländervergleich + Erweiterung von und

+ Bewusstseinsbildung + Schulverwaltung + Bil-

Beitritt zu internationalem Akteur + Europäische

dungsforschung | c-00894065 | ifa-Signatur : 33/783


177

WIKA-Report (Band 2)

Thies, Carla : Kulturelle Vielfalt als Legitimitätse-

Aspekt : Bildungswesen + Bildungspolitik + Wech-

lement der internationalen Gemeinschaft. – Tübin-

selbeziehungen Bildungssystem – Wirtschaft +

gen : Mohr Siebeck, 2013. – XI,419 S. – (Jus internati-

Technische Auslandshilfe + Informations-/Kom-

onale et Europaeum; 74). – Zugl. : Berlin, Humboldt-

munikationstechnologie + Medienhilfe + Frauen

Univ., Diss. 2012

+ Mädchen + Arbeitsmarkt + Berufliche/fachliche

Thema : Internationales System + Völkerrecht +

Qualifikation + Bilaterale internationale Beziehun-

Theorie des internationalen Rechts + Kulturelle

gen + Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ländern |

Vielfalt + Legitimität + Selbstbestimmungsrecht +

c-00894261 | ifa-Signatur : 33/822

Wechselwirkung von internationalen und nationalen Prozessen + Nationalstaat + Souveränität + Rela-

Voigt, Viola : Interkulturelles Mentoring made in

tion + United Nations Educational, Scientific and

Germany : zum Cultural Diversity Management

Cultural Organization + Convention on the Pro-

in multinationalen Unternehmen. – Wiesbaden :

tection and Promotion of the Diversity of Cultural

Springer, 2013. – 451 S. – Zugl. : Berlin, Freie Univ.,

Expressions (2005-10-20) + Konsequenz/Schlussfol-

Diss., 2011

gerung + Kulturpolitik + Internationale kulturelle

Thema : Deutschland + Interkulturelles Manage-

Zusammenarbeit

ment + Multinationales Unternehmen + Unterneh-

Aspekt : Kulturelle Identität + Soziale Partizipation

menskultur/Corporate Identity + Organisation/

+ Kulturzugang + Minderheitenrechte + Kulturelle

Management internationaler Wirtschaftszusam-

Grundrechte + Entwicklung + Kulturelle Faktoren

menarbeit + Führungskräfte + Internationalisie-

+ General Agreement on Trade in Services (1994-

rung + Ethische Grundsätze + Pluralismus + Per-

04-15) + Handelsliberalisierung + Kulturindustrie

sonelles Management/Personalverwaltung + Kon-

+ Globalisierung internationaler Beziehungen +

zeption + Fallstudie + Theoriebildung + Erwartung

Rechtsphilosophie + Eurozentrismus + Universale

+ Praxis

Prinzipien der internationalen Ordnung + Kolo-

Aspekt : Kultur + Identität + Kulturelle Identität +

niale Folgeprobleme | c-00882016 | ifa-Signatur :

Ethnische Faktoren + Ethnizität + Modell (theore-

33/560

tisch) + Stand der Forschung + Frauen + Internationaler Vergleich/Ländervergleich + Vereinigte Staa-

Tsimoshchanka, Yuliya : Kooperative Berufsausbil-

ten | c-00895036 | ifa-Signatur : 33/747

dung : Untersuchungen zum kooperativen Ansatz in der deutschen bilateralen Entwicklungszusam-

Wanke, Christina : Die Darstellung Afghanistans in

menarbeit in Zentralasien am Beispiel von Usbeki-

den Hauptnachrichtensendungen : eine Struktur-

stan und Kasachstan. – Hamburg : Kovač, 2014 [i.e.

und Inhaltsanalyse. – Wiesbaden : Springer, 2013.

2013]. – 457 S. – (Studien zur vergleichenden Berufs-

– 249 S. – (Globale Gesellschaft und internationale

pädagogik; Bd. 48). – Zugl. : Dresden, Techn. Univ.,

Beziehungen). – Zugl. : Köln, Univ., Diss., 2012

Diss., 2013

Thema : Deutschland + Massenmedien + Rundfunk-

Thema : Deutschland + Bundesrepublik Deutsch-

programme + Arbeitsgemeinschaft der Rundfunk-

land (1949-1990) + Kasachstan + Usbekistan + Ent-

anstalten Deutschlands + Zweites Deutsches Fern-

wicklungspartnerschaft + Bildungshilfe (Auslands-

sehen (Mainz) + Nachrichten/Agenturmeldungen +

hilfe) + Ausbildung/Berufliche Bildung + Entwick-

Inhaltsanalyse + Berichterstattung + Afghanistan +

lungspolitische Strategie + Wandel + Deutsche

Visualisierung + Bildmaterial/Abbildungen + Jour-

Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit

nalismus

(Bonn, Eschborn) + Auslands- und Entwicklungs-

Aspekt : Befragung + Auslandskorrespondenten +

hilfeprojekt + Hypothese + Zielgruppe + Akzeptanz

Journalisten + Verhältnis Politik – Medien + Krieg

+ Empirische Analyse + Internationaler Vergleich/

+ Kondoz + Kriegführung + Taliban + Soldaten +

Ländervergleich

Politiker + Personalisierung + Frieden | c-00879992


178 Auswahlbibliografie

| ifa-Signatur : 33/445

Univ., Diss., 2012 Thema : Bundesrepublik Deutschland (1949-1990)

Weber, Sarah : Malta und die Boatpeople : eine

+ Schulerziehung/Schulbildung + Fachunterricht/

Ethnologie der interkulturellen Begegnung. –

Unterrichtsfach + Politische Bildung + Curricu-

Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. – XII,379 S. – Zugl. :

lum + Ehemals deutsche Gebiete der Grenzen von

Bochum, Univ., Diss., 2012

1937 + Osteuropa (politisch) + Historische Fakto-

Thema : Malta + Einwanderung/Einwanderer + Mig-

ren + Geschichtsbild + Vertreibung + Deutsche +

ranten + Flüchtlinge + Afrikaner + Interethnische

Inhaltsanalyse + Ideologische Faktoren + Osteuro-

Beziehungen + Malteser + Interkulturelle Kommu-

paforschung + Stand der Forschung + Konzeption

nikation + Interkultureller Konflikt + Rassismus

+ Wandel

+ Wissenschaftliche Methoden + Feldforschung +

Aspekt : Weltkrieg 2. (1939–1945) + Kriegsfolgen +

Teilnehmende Beobachtung

Antikommunismus + Vertriebenenverband + Inte-

Aspekt : Europäische Union + Migrationspolitik +

ressenpolitik + Vergangenheitsbewältigung + Lem-

Postkoloniale Theorie + Mittelmeerraum + Illegale

berg, Eugen + Volksdeutscher + Nationalsozialis-

Einwanderung + Selbstbild + Fremdbild + Feindbild

mus + Lehrmittel + Bildungsziele + Erinnerungs-

+ Kulturelle Faktoren + Kriminalität | c-00894092 |

politik/Erinnerungskultur + Deutschlandproblem

ifa-Signatur : 33/737

+ Deutsche Demokratische Republik + Innerdeutsche Beziehungen + Polen + Tschechoslowakei |

Wehrstein, Daniela : Deutsche und französische Pressetexte zum Thema Islam : die Wirkungsmacht impliziter Argumentationsmuster. – Berlin ... : de Gruyter, 2013. – 357 S. – (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie; Bd. 378). – Zugl. : Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2012 u.d.T. : Text hinter dem Text Thema : Frankreich + Deutschland + Internationaler Vergleich/Ländervergleich + Journalismus + Printmedien + Berichterstattung + Kommunikationsinhalte + Islam + Manipulation von Meinung + Sprachgebrauch Aspekt : Politische Meinung/Einstellung + Politische Willensbildung + Informationsqualität + Zeitungsartikel + Inhaltsanalyse + Sprachgebrauch + Kommunikationsforschung + Religionsgemeinschaft + Religiöse Bevölkerungsgruppe + Geographische Herkunft + Muslime + Soziale Integration + Kulturelle Werte und Normen | c-00890713 | ifaSignatur : 33/750 Weichers, Britta : Der deutsche Osten in der Schule : Institutionalisierung und Konzeption der Ostkunde in der Bundesrepublik in den 1950er- und 1960er-Jahren. – Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. – 632 S. – (Die Deutschen und das östliche Europa : Studien und Quellen; Bd. 10). – Zugl. : Oldenburg,

c-00893649 | ifa-Signatur : 33/617


179

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik – was kann Wissenschaft leisten?

DER WIKA STELLT SICH VOR

Die Bedeutung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) ist im Zeitalter der Internationalisierung und Globalisierung deutlich gewachsen. Politisches Denken und Handeln zielen stärker denn je auf die Herstellung dauerhafter Strukturen des menschlichen Zusammenlebens, die Erarbeitung entsprechender Regeln und die Ausweitung von Möglichkeiten für die Schaffung gemeinsamen Wissens. Die kulturellen Dispositionen und Bindungen von Menschen, Gesellschaften und Staaten sind dabei zu berücksichtigen. Bei der Betrachtung von heutigen Kulturen als offenen, dynamischen Gefügen ist die Wechselwirkung von Politik und Kultur eng – auch über nationale und kulturelle Grenzen hinweg. Mehr denn je bedarf politisches Handeln wissenschaftlicher Analyse. Zugleich kann Wissenschaft die Gestaltung von Politik und Kultur sowie die Erarbeitung tragfähiger Lösungen unterstützen. Wissenschaft kann dazu beitragen, •

das politisch-kulturelle Denken und Handeln im eigenen sowie in anderen Ländern in seiner Theorie und Praxis genauer zu erfassen,

politische Prozesse zu differenzieren und mit kulturellen sowie institutionellen Bedingungen in Verbindung zu setzen,

handelnde Akteure und Institutionen zu erkennen,

politisch-kulturelle Kommunikationsstrukturen, -wege und -verfahren zu analysieren

geschichtliche Grundlagen und Bedingtheiten zu erforschen,

Bestandsaufnahmen zum Stand der wissenschaftlichen Diskussion bereit zu stellen.

Wissenschaft kann selbst als Akteur Auswärtiger Kulturpolitik wirken.


180

Der WIKA stellt sich vor

Der Wissenschaftliche Initiativkreis Kultur und Außenpolitik (WIKA)

2011 / Universität Tübingen – Migration der Künste – Künste der Migration 2010 / Universität Bayreuth – Bildung,

Der W IK A beschäftigt sich mit Theorie und

Kultur(en), Außenpolitik

Praxis des internationalen Kulturaustauschs. Ziel ist es, Außenkulturpolitik in Deutschland und

2009 / Universitätsclub Bonn – Die Union

Europa wissenschaftlich zu begleiten, Konzepte zu

für das Mittelmeer: Kultur und Entwicklung

entwickeln und das Thema Außenkulturpolitik an

von Rabat bis Helsinki?

Universitäten und Hochschulen in der Lehre stärker zu verankern. Beteiligt sind Hochschullehrer,

2008 / Universität Hildesheim – Europäische

Nachwuchswissenschaftler und Vertreter von Mitt-

Integration als Herausforderung

lerorganisationen der Auswärtigen Kultur- und Bil-

Auswär­t iger Kulturpolitik

dungspolitik. Der WIKA wurde 2004 vom ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) gegründet und wird

2007 / Universität Karlsruhe (TH) – Der Beitrag

von der Alexander Rave-Stiftung im ifa dauerhaft

der Hochschulen zum Euro-islamischen Dialog

gefördert. Die Mitarbeit und Teilnahme am WIKA steht allen Interessentinnen und Interessenten

2006 / Universität Saarbrücken – Evaluation

offen.

in der Auswärtigen Kulturpolitik

Aktivitäten des WIKA

2005 / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn: Kultur und Konfliktprävention.

WIKA-Infobrief (erscheint 2-monatlich)

Bestands­aufnahme zum Stand der wissen­schaft-

Informationen zu Aktivitäten der Mitglieder

­l ichen Diskussion

Kalender einschlägiger Tagungen

Nachrichten zum Kulturaustausch

Buchtipps und Neuerwerbungen

Kontakt

der ifa-Bibliothek Wissenschaftlicher Initiativkreis Kultur und Tagungen

Außenpolitik (WIKA)

Wissenschaftlicher Workshop

Jahrestagung mit Master-/Doktoranden-

Vorsitzende: Univ.-Prof. Dr. Caroline Robertson-

­­kolloquium

von Trotha ZAK | Zentrum für Angewandte Kulturwissen-

Themen der WIKA-Workshops:

schaft und Studium Generale Karlsruher Institut für Technologie – KIT

2013 / Karlsruher Institut für Technologie (KIT) –

caroline.robertson@kit.edu

Kulturelle Faktoren von Geopolitik Geschäftsführung: 2012 / Technische Universität Dresden –

ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)

Fort- und Weiterbildung für Akteure der

Gudrun Czekalla

Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik

Charlottenplatz 17, D-70173 Stuttgart wika@ifa.de http://www.ifa.de/wika


Charlottenplatz 17 P.O. Box 10 24 63 D-70173 Stuttgart

D-70020 Stuttgart

Tel. +49/711 2225-0 Fax +49/711 2 26 43 46 www.ifa.de

info@ifa.de


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