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Leichtbau, 3D-Druck und coole Materialien

von Natalie Schalk

In einem deutschlandweit einzigartigen Studiengang in Lichtenfels lehrt auch eine Expertin aus den USA.

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Der Wilde Westen liegt hinter ihr. Rinder, Kakteen, Wüste. Die NASA. Die Gas- und Ölindustrie. Vor ihr liegt Lichtenfels. Prof. Dr. Madison Wooldridge ist eine der ersten Professorinnen im neuen Studiengang Additive Manufacturing and Lightweight Design.

Mit Prof. Dr. Madison Wooldridge über Materialwissenschaften zu sprechen, ist lehrreich – und es macht irre Spaß. „Da ist dieses Metall“, erzählt sie. „Shape memory alloy, eine Nickel-Titan-Legierung: Die ist so cool!“ Auf Deutsch heißen solche Metalle „Formgedächtnislegierung“, und wenn daraus beispielsweise eine Feder gefertigt wird, lässt sie sich biegen, verformen und sogar glattziehen. So weit nichts Ungewöhnliches. „Aber gibt man dann Hitze dazu“, Wooldridges Hände vollführen eine Pirouette in der Luft, „formt sich das Material zurück in den ursprünglichen Zustand.“ Im Internet kursieren eine Menge Videos über diesen Effekt: Ein unförmiger Draht wird mit einem Brenner erhitzt oder in warmes Wasser gelegt und nimmt dann zum Beispiel die Form einer Feder an. Wooldridge strahlt wie ein Zauberkünstler über einen gelungenen Trick. Aber es ist kein Trick. Es ist eine Besonderheit auf molekularer Ebene, die dazu führt, dass die Metalle abhängig von der Temperatur in zwei unterschiedlichen Kristallstrukturen existieren. Die Memory-Metalle sind ein Beispiel für neue Materialien, die sich für den 3D-Druck eignen.

Prof. Dr. Madison Wooldridge // © Natalie Schalk / Hochschule Coburg

Prof. Dr. Markus Stark © Natalie Schalk / Hochschule Coburg

MASTERSTUDIENGANG IN LICHTENFELS „Wenn man ein Material, wie man es seit Jahrhunderten kennt, für einen additiven Fertigungsprozess benutzt, hat es andere Eigenschaften“, erklärt Wooldridge. Die Amerikanerin kam im Wintersemester 2021/22 als Professorin für Werkstoffkunde für Metalle insbesondere der additiven Fertigung an die Fakultät Maschinenbau und Automobiltechnik der Hochschule Coburg und gehört zum Team des neuen Masterstudiengangs Additive Manufacturing and Lightweight Design am neuen Hochschul-Standort Lichtenfels (Start im Oktober 2022). „Wir haben den Studiengang bewusst international ausgerichtet“, erklärt der Dekan der Fakultät, Prof. Dr. Helmut Alexander Rost. „Und er ist deutschlandweit einmalig – so etwas gibt es sonst nirgends.“ Außer in Coburg ist der neue Studiengang auch im Forschungs- und Anwendungszentrum für digitale Zukunftstechnologien (FADZ) am neuen HochschulStandort Lichtenfels verortet. In der gemeinsamen Forschungs- und Transferstelle regionaler Unternehmen und der Hochschule Coburg dreht sich alles ums Thema 3D-Druck. Wooldridge passt hier perfekt hin: Sie liebt die Forschung, die Diskussion mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – aber auch die Praxis und den Austausch mit der Industrie. „Das Konzept einer Hochschule für angewandte Wissenschaften gibt es in den USA nicht“, erklärt die Amerikanerin. „Ich finde es super!“

WISSENSCHAFT IM WILDEN WESTEN Madison Wooldridge wurde 1987 auf einer Ranch in Texas geboren. „Und da ist es wirklich so, wie sich die Menschen in Deutschland den Wilden Westen vorstellen: Wüste, Kakteen, Pferde, Kühe, Cowboys.“ Als Kind ritt sie mit, wenn eine Rinderherde zu einer anderen Wiese getrieben wurde. Oder zur Entwurmungskur. Gleichzeitig war ihre Mutter aber auch Wissenschaftslehrerin an der High School. „Unser Spielzeug war alles irgendwie in Richtung MINT.“ Also Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. So entstand die Liebe zur Wissenschaft. Als Schülerin durfte Madison Wooldridge sogar am High School Aerospace Scholars-Programm der NASA in Houston teilnehmen. Sie liebäugelte mit Medizin und Biomedizintechnik, befasste sich kurz mit Bauingenieurwesen und überlegte, Umweltingenieurin zu werden. Sie wollte etwas Gutes für die Welt tun. Schließlich landete sie beim Maschinenbau. „In den USA sagen wir: Das ist das Dach der Ingenieurwissenschaften, damit kannst du alles machen.“

„WIE SCIENCE FICTION IM ECHTEN LEBEN“ Nach dem Master blieb es erst einmal texanisch: Sie arbeitete in Houston für Baker Hughes, einen Energietechnik-Konzern, der insbesondere für die Öl- und Gasförderung Technologien entwickelt. Als dort vor etwa zehn Jahren ein kleines Team begann, sich mit der additiven Fertigung zu beschäftigen, war Wooldridge dabei. „Eine Art Sand aus Metall mit einem Laser zusammenzuschmelzen“, sie erinnert sich: „Ich fand das so spannend! Wie Science Fiction im echten Leben.“ Die Ingenieurin blieb bei der Firma, wechselte aber in die deutsche Niederlassung in Celle. Promoviert hat sie in Paderborn über nickelbasierte Superlegierungen, die über eine sehr hohe Festigkeit verfügen und gleichzeitig über eine hohe Korrosionsbeständigkeit. „Um wirklich gute Eigenschaften zu erreichen, muss man an den Materialien arbeiten.“ Und dann gibt es ganz neue, coole Möglichkeiten.

3D-Druck und Leichtbau helfen auch, nachhaltig zu konstruieren und zu produzieren. Was vor Ort „gedruckt“ wird, muss nicht transportiert werden, es entsteht weniger „Abfall“ als bei anderen Verfahren und die Konstruktion kann so optimiert werden, dass von vorneherein weniger Rohmaterial benötigt wird. Auch Energie kann durch additive Fertigung und Leichtbau gespart werden. NATUR INSPIRIERT TECHNIK Prof. Dr. Markus Stark ist ebenfalls einer der Professoren, die sich in Lichtenfels mit 3D-Druck und Leichtbau in Forschung und Lehre beschäftigen. Er erklärt, dass die additive Fertigung auch die Basis für die Realisierung bionischer Leichtbaustrukturen bildet. Es geht um Konstruktionen, die vom genialen Vorbild der Natur inspiriert sind: Bienenwaben, Zellen, Knochen oder Bäume haben Strukturen mit herausragenden Eigenschaften. „Durch die additive Fertigung ist es möglich, nahezu beliebig komplexe Geometrien zu fertigen.“ So entstehen Teile, die besonders leicht sind – und dabei extrem stabil. Dadurch kann das Gewicht von Fahrzeugen, Flugzeugen oder auch bewegten Fertigungssystemen reduziert werden. „Sie werden effizienter im Betrieb, Energie kann somit eingespart werden.“ Ein Beitrag zur Nachhaltigkeit, wie Markus Stark betont.

Materialwissenschaftlerin Wooldridge hat ihren Weg gefunden, etwas Gutes in der Welt zu bewegen. „Bei mir hat es ein bisschen lange gedauert, bis ich herausgefunden habe, was ich genau machen will.“ Als Professorin kann sie die jungen Menschen jetzt auch in einem Alter erreichen, in dem sie selbst noch kein festes Ziel hatte. Sie kann sie auf den Beruf vorbereiten. „Ich will die Lehre mit Leidenschaft rüberbringen, mit Spaß. So dass die Studierenden sagen:“ Sie zeigt das Zaubertrick-Lächeln, „Materialien finde ich richtig cool.“

www.hs-coburg.de/metalle-additiv

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