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Die Bibel im Religionsunterricht
Ingo Baldermann hat als Professor für Religionspädagogik zahlreiche Bücher geschrieben, in denen er Religionslehrkräfte zum Umgang mit der Bibel im Religionsunterricht anleitet:
Bei den professionellen Interpreten der Bibel hat man immer wieder den Eindruck einer sehr großen Mühe. Von dem »garstigen breiten Graben« war lange die Rede, der uns Heutige von diesen Texten trennt, von all den Schwierigkeiten, ihn zu überbrücken. Was sagt dieser Text denn uns? Ja, hat er uns überhaupt noch etwas zu sagen? In der Religionspädagogik wird nach wie vor die Frage diskutiert, was es denn überhaupt für einen Sinn macht, heutigen Kindern und Jugendlichen diese alten, schweren, fremden Texte vorzulegen. Dabei ist es mittlerweile nicht mehr eine nur ganz persönliche, sondern durchaus eine öffentliche Erfahrung, dass die biblischen Texte direkt zu uns reden. Wir müssen nicht einen garstigen breiten Graben mühsam überbrücken, sondern biblische Texte haben sich selbst in der öffentlichen Diskussion unerwartet nachhaltig Gehör zu verschaffen gewusst.
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Die biblischen Texte sind aufgeschrieben, um mich anzureden und herauszufordern, dass ich mich auf einen Dialog einlasse. Die mich da anreden, suchen in mir nicht ein Gefäß für ihre Lehren, sondern sie wollen mir etwas zeigen, sie wollen mich dies selbst wahrnehmen lassen, und sie wissen und respektieren dabei, dass ich auf einem ganz eigenen Weg zu dieser Begegnung gekommen bin und eigene Erfahrungen und Fragen mitbringe. Sie wollen mir ihre Erfahrungen zeigen, damit ich auch meine Erfahrungen und Fragen neu zu sehen lerne. Nicht durch die Übernahme fremder Meinungen, sondern erst in diesem Dialog erlange ich die Mündigkeit selbständigen Urteils. Eben dies ist das von der Bibel selbst initiierte Lernen.
Dieser Umgang mit der Bibel verleiht der Kirche den Charakter einer »Lerngemeinschaft«; und sie ermöglicht ein Lernen, in dem nicht die einen zu Herren des Glaubens der anderen werden, sondern jede und jeder selbst geöffnet wird für eigene Wahrnehmung.
Als Lehrkraft muss ich versuchen, Begegnungen herbeizuführen zwischen den Kindern und den Worten der Bibel, Begegnungen, mit denen ein Dialog beginnt, der länger dauert als mein Unterricht. An den Anfängen dieser Dialoge werde ich selber staunend teilnehmen und manches Unerwartete lernen können. Alles andere wäre der Bibel viel zu aufdringlich.
Fassen Sie den Text von I. Baldermann zusammen.
Betrachten Sie einen selbst gewählten biblischen Text aus der Sicht verschiedener Bibelhermeneutiken. Was fällt Ihnen durch die jeweilige »Brille« besonders auf?
Tauschen Sie sich aus.
Die Überlegungen von I. Baldermann lassen auch seine Bewertung historisch-kritischer Methoden erkennen. Arbeiten Sie diese heraus und diskutieren Sie sie.
Was haben Sie dazugelernt (vgl. S. 73)?
Was möchten Sie sich merken?
Welche Methoden bzw. Materialien haben Sie besonders angesprochen?
Was wird Sie weiter beschäftigen?
Welche Fragen bleiben offen?
Fragen Sie Ihre Religionslehrkraft, ob und wo sie staunend von ihren Schülerinnen und Schülern Unerwartetes gelernt hat
Erinnern Sie sich, welche biblischen Texte bzw. Traditionen in Ihrem Religionsunterricht eine Rolle gespielt haben: Welche haben Sie positiv oder negativ beeindruckt? Prüfen Sie, ob solche – unmittelbaren – Begegnungen, wie I. Baldermann sie beschreibt, im Religionsunterricht oder ggf. auch anderswo stattgefunden haben.
Vielleicht haben Sie Lust und Gelegenheit eine eigene Unterrichtsstunde für eine Klasse aus der Unter- oder Mittelstufe zu einem Bibeltext vorzubereiten, den Sie besonders mögen oder der Sie besonders herausfordert.
»Dabei ist es mittlerweile eine öffentliche Erfahrung, dass die biblischen Texte direkt zu uns reden.« Mit diesem Satz bezieht sich I. Baldermann u. a. auf den Leitspruch »Schwerter zu Pflugscharen« der Friedensbewegung der 1980er-Jahre. Tauschen Sie sich darüber aus, ob und ggf. in welcher Weise heute in den Medien und in der Öffentlichkeit auf die Bibel Bezug genommen wird! Deuten und diskutieren Sie das Beispiel auf S. 102 sowie ausgewählte Beispiele, die Sie im Rahmen der »Extratour« ( S. 73) gesammelt haben.