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Im Hinblick auf viele Bereiche interessiere ich mich für Sprache und Kulturen. Das fasziniert mich auch bezüglich der Lebenswelten und der Texte der »frühen Christen«. Besonders spannend ist für mich schon seit meiner Schulzeit, was Worte können! Wie anders wir Menschen etwas wahrnehmen und empfinden, beurteilen und bedenken, ist abhängig davon, mit welchen Worten und Sprachbildern ein Stück »Wirklichkeit« formuliert – in sprachliche Form gebracht wird! Die frühen Christen haben die Welt neu gesprochen! Sie haben neue Worte gefunden für eine fundamentale Erfahrung, die sie gemacht haben: Von der Fülle des Lebens, eines nicht fassbaren Geheimnisses, das mit dem Wirken und v. a. mit dem Sterben Jesu zu tun hatte. Dass er den Tod überwunden hat, das ist eine solche sprachliche Form der »Neuerfindung« der Welt. Welche Methoden werden in dieser Disziplin angewendet?

Wir arbeiten mit denselben Methoden wie die Sprach-, Geschichts- und Literaturwissenschaften. Wir fragen z. B. nach der Bedeutung bestimmter Wörter, wie charis (Gnade, Gabe, Anmut), wir lesen antike Quellen, jüdi- sche, darunter die n e utestamentlichen und griechisch-römischen, historisch-kritisch, wir verwenden Methoden wie die Erzählanalyse, um z. B. die Evangelien besser zu verstehen. Warum muss es die neutestamentliche Wissenschaft unbedingt geben? Das Fachwort für die Auslegung von Texten ist Exegese; das Antonym ist Eisegese – etwas in den Text hineinlegen. Und genau das ist unser »Kerngeschäft«: Wir rekonstruieren den ursprünglichen und wissenschaftlich belegbaren Sinn der neutestamentlichen Texte und stellen damit ein Instrument zur Verfügung, an dem Menschen, die die Bibel lesen, ihr persönliches Verständnis messen können. Würde das fehlen, würde jede*r der Bibel genau das entnehmen, was diejenige Person dort finden will. Die völlige Willkür! Neutestamentliche Wissenschaft stellt »Objektivität« her. Es lässt sich nicht immer ganz klar definieren, was ein Text bedeutet – es lässt sich aber in fast allen Fällen genau beschreiben, was er bedeuten kann und was eben nicht. Wir verteidigen die Grenze zum Unsinn und zur Ideologie.

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Einige Veranstaltungstitel zum Neuen Testament Einführung in die exegetischen Methoden des Neuen Testaments

Das Matthäusevangelium – Erzählstruktur, literarische Kunst und Theologie

Deutungen des Todes Jesu

Bibelkunde des Neuen Testaments und Geschichte des Urchristentums

Lukas und Paulus – zwei Brüder in Christus

Midraschliteratur und das Neue Testament

Fragen an Katharina Will, zurzeit Vikarin in München, die im Fach Kirchengeschichte promoviert hat Womit beschäftigt man sich in Ihrer Disziplin? Was man normalerweise einfach »Kirchengeschichte« nennt, müsste eigentlich »Kirchen- und Theologiegeschichte« heißen, denn es geht in diesem Fach nicht nur um die Geschichte der christlichen Kirchen, sondern auch um die Geschichte der Theologie. Daher fragt die Kirchen- und Theologiegeschichte sowohl nach der Entwicklung der christlichen Konfessionen als auch nach der Veränderung der christlichen Glaubensinhalte – wie sie sich Theologinnen und Theologen und wie sie sich andere Christinnen und Christen zu eigen gemacht haben.

Was finden Sie daran besonders spannend?

Als ich für meine Forschung in verschiedenen Archiven nach Quellenmaterial gesucht habe, war das für mich wie eine Schatzsuche. Eine Schatzsuche, bei der ich nicht genau wusste, ob es einen Schatz gibt, worin er besteht und ob ich ihn finden würde. Einmal stieß ich nach tagelangem Suchen auf circa 500 Jahre alte Dokumente und merkte, dass sie zu zentralen Quellen in meinem Forschungsvorhaben werden würden. Das war ein tolles Gefühl! Diese Dokumente zu berühren (natürlich mit Handschuhen), war für mich etwas Besonderes. Ich fühlte mich den Menschen, die vor uns gelebt haben, ganz nah. Es geht mir darum, ihren Gedanken, Hoffnungen und Ängsten nachzuspüren. Ich denke, es ist wichtig zu wissen, in welcher Tradition wir stehen, um zu begreifen, was uns an unserem Glauben heute wichtig ist. Vielleicht auch, warum wir für unseren Glauben einstehen sollten. Es ist das Gefühl, dass unser individueller Glaube nicht nur für sich steht, sondern Teil einer Gemeinschaft ist – der Gemeinschaft aller Gläubigen.

Welche Methoden werden in dieser Disziplin angewendet?

Im Gr unde dieselben Methoden wie sie die Geschichtswissenschaft auch sonst verwendet. In der Kirchenund Theologiegeschichte legen wir Quellen nach wissenschaftlichen Standards aus. Übrigens müssen diese Quellen nicht unbedingt Texte sein, sondern können auch in Liedern, Kirchenfenstern, Bildern etc. bestehen. Schaut euch doch nur mal die Abbildungen in der Chronik des Felipe Guamán Poma de Ayala aus Peru an. Faszinierend! Im Grunde kann alles eine interessante

Quelle sein – es kommt dabei auf die Fragen an, die ich an die Quelle habe.

Warum muss es Ihre Disziplin unbedingt geben? Durch die Kirchen- und Theologiegeschichte bekommen wir einen Einblick in die Vielfalt des christlichen Glaubens. Kirche und Theologie, wie wir sie heute kennen, sind ja nur eine Möglichkeit unter vielen. Es hätte im Lauf der Zeit so viele Abbiegungen gegeben, so vieles, was anders möglich gewesen wäre und anders war. Diese Pluralität wahrzunehmen, unseren Geist und unser Herz zu weiten für die Vielfalt und die Legitimität anderer Denk- und Glaubensweisen anzuerkennen, das ist das Eigentliche der Kirchen- und Theologiegeschichte. Und dazu muss es sie unbedingt geben!

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