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»Ihr seid leidige Tröster!«

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Quellenverzeichnis

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Wie lange willst du so reden und sollen die Reden deines Mundes so ungestüm daherfahren? Meinst du, dass Gott unrecht richtet oder der Allmächtige das Recht verkehrt?

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Haben deine Söhne vor ihm gesündigt, so hat er sie ihrer Missetat preisgegeben. Wenn du aber dich zu Gott wendest und zu dem Allmächtigen um Gnade flehst, wenn du rein und fromm bist, so wird er deinetwegen aufwachen und wird wieder aufrichten deine Wohnung, wie es dir zusteht. (aus Hi 8)

Hiob:

Ja, ich weiß wohl, es ist so: Wie könnte ein Mensch recht behalten gegen Gott. Hat er Lust, mit ihm zu streiten, so kann er ihm auf tausend nicht eins antworten.

Wenn ich auch recht habe, so kann ich ihm doch nicht antworten, sondern ich müsste um mein Recht flehen. Wenn ich ihn auch anrufe, dass er mir antwortet, so glaube ich nicht, dass er meine Stimme hört. Ich bin unschuldig! Ich möchte nicht mehr leben; ich verachte mein Leben. Es ist eins, darum sage ich: Er bringt den Frommen um wie den Gottlosen. Wenn seine Geißel plötzlich tötet, so spottet er über die Verzweiflung der Unschuldigen.

(aus Hi 9)

Zophar:

Soll ohne Antwort bleiben, der viele Worte macht? Muss denn ein Schwätzer immer recht haben? Müssen Männer zu deinem leeren Gerede schweigen?

Meinst du, du kannst die Tiefen Gottes ergründen oder die Grenze des Allmächtigen erforschen?

Wenn er daherfährt und gefangen legt und Gericht hält – wer will’s ihm wehren?

(aus Hi 11)

Hiob: Ich habe solches oft gehört. Ihr seid allzumal leidige Tröster! Wollen die leeren Worte kein Ende haben? Oder was reizt dich, so zu reden? Auch ich könnte wohl reden wie ihr, wärt ihr an meiner Stelle. Auch ich könnte Worte gegen euch zusammenbringen und mein Haupt über euch schütteln.

(aus Hi 16)

Eliphas:

Kann denn ein Mann Gott etwas nützen? Meinst du, dem Allmächtigen gefalle, dass du gerecht bist? Was hilft’s ihm, selbst wenn deine Wege ohne Tadel sind?

Meinst du, er wird dich wegen deiner Gottesfurcht zurechtweisen und mit dir ins Gericht gehen? Ist deine Bosheit nicht zu groß und sind deine Missetaten nicht ohne Ende?

So vertrage dich nun mit Gott und mache Frieden; daraus wird dir viel Gutes kommen.

(aus Hi 22)

DIE SPRACHE DER KLAGE

»[Im Buch Hiob] zwitschern und pfeifen die entsetzlichen Schlangen ihr ewiges: Warum?«

Heinrich Heine*

»Der erste Schritt der Überwindung des Leidens ist, eine Sprache zu finden, die aus dem unbegriffenen und stumm machenden Leiden herausführt, eine Sprache des Klagens, des Schreies, der Schmerzen, die wenigstens sagt, was ist.«

Dorothee Sölle*

»Wo findest du tiefere, kläglichere Worte von der Traurigkeit, als die Klagepsalmen sie haben? Und das allerbeste [ist], dass sie solche Worte gegen Gott und mit Gott reden; […]. Daher kommt es auch, dass ein jeder, in was für Sachen er auch ist, Psalmen und Worte darin findet, die sich auf seine Sachen reimen und ihm ebenso sind, als wären sie allein um seinetwillen so gesagt.«

Martin Luther

»Ist womöglich zu viel Gesang und zu wenig Geschrei in unserem Christentum? Zu viel Jubel und zu wenig Trauer, zu viel Zustimmung und zu wenig Vermissen, zu viel Trost und zu wenig Tröstungshunger? Steht die Kirche nicht zu sehr auf der Seite der Freunde Hiobs, der dem Glauben auch Rückfragen an Gott zugetraut hat?«

VON DER KLAGE ZUR THEODIZEE

• »Warum?« und »Wie lange?« – Immer wieder werden in den Klagepsalmen diese Grundfragen Gott entgegen geschrien. Der einzelne Mensch oder auch das ganze Volk klagen ihr Leid vor Gott und bitten um Hilfe. Typisch für die Klagepsalmen ist der plötzliche Umschwung von Klage zu Hoffnung. Vielleicht weist er historisch auf eine dazwischenliegende kultische Handlung hin. Was im Text bleibt, ist eine rätselhafte Lücke, eine winzige und doch unendlich lang scheinende Pause.

• Hiobs Klage ist in ihrem überbordenden Bilderreichtum im Stil dieser Psalmen gestaltet. Auf den »Umschwung« wartet man – zunächst – vergeblich.

• Im »Warum« liegt auch der Kern der sogenannten Theodizeefrage: Warum lässt ein allmächtiger und zugleich liebender Gott das Böse und das Leiden auf der Welt zu? Im Hiobbuch wird diese Frage so radikal gestellt wie sonst kaum jemals in der Bibel; sie wird zugespitzt auf die Frage: Warum lässt Gott den Gerechten so maßlos leiden?

BeMERKenswert: Hiob wird nicht zum Atheisten*.

Hiobs Klage

1. Die Bilder gehen um die Welt: Blumen, Kerzen und Warum-Schilder an Orten von Unfällen oder Anschlägen. Recherchieren Sie solche Bilder und formulieren Sie die jeweilige Warum-Frage aus.

2. Untersuchen Sie die Reden Hiobs. Wenn Zeit ist, können Sie über die Zitate auf S. 82 f. hinaus auch weitere Passagen aus dem biblischen Buch heranziehen. Achten Sie besonders

• auf die Warum-Fragen,

• auf Sprachbilder und damit verbundene Emotionen,

• auf Anspielungen auf andere biblische Traditionen.

3. Fassen Sie zusammen, worin die Autorinnen und Autoren der Zitate (links) die Bedeutung des Klagens sehen, und überprüfen Sie die Aussagen anhand eigener Erfahrungen.

Johann Baptist Metz*

Gespr Ch Mit Einer Notfallseelsorgerin

Frau Gassert, Sie werden als Notfallseelsorgerin an Unfallorte, zu Gewaltverbrechen und anderen Tragödien gerufen. Sie sind auch dabei, wenn Menschen schlimme Nachrichten überbracht werden – ich stelle es mir schwierig vor, in einer solchen Situation das »Richtige« zu sagen. Sandra Gassert: Das »Richtige« gibt es nicht. Nie. Ich denke, es gibt überhaupt nur wenige Worte, die Leid treffend wiedergeben – und die zu finden ist unendlich schwer. Gut ist es, einfach da zu sein. Mit Worten, einer Geste oder einer Berührung zu signalisieren: »Ich bin da. Ich helfe dir diesen Tag zu überstehen. Ich halte deinen Schmerz mit dir aus und helfe dir, Halt zu finden.« Wie das aussieht? Manches Mal bin ich der Manager der Krise, dann wieder weine ich mit, halte jemanden im Arm oder trinke mit den Betroffenen Tee – denn der wärmt und man kann sich an der Tasse festhalten. Und immer schweige ich ganz viel ... Denn: Worte zu finden, die wahr sind und nicht bloß platt oder banal, das ist eben schwer.

DER TUN-ERGEHENS-ZUSAMMENHANG

• »Wer anderen eine Grube gräbt ...«, fällt bekanntlich selbst hinein (Spr 26,27). Das ist die Logik weisheitlicher* Ethik im Alten Testament (z. B. im Buch der Sprüche). Es geht dabei nicht um Strafe oder Vergeltung, sondern schlicht um Erfahrungen, die man im Bereich der Großfamilie immer wieder machte: Das Verhalten des und der Einzelnen fällt – im Guten wie Schlechten – auf ihn/sie und seine/ihre Familie zurück. Solche Erfahrungen wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Als Lebensregeln halfen sie, die Welt als geordnet und verlässlich zu erleben und sich darin zu orientieren.

• Gott galt als »Schützer« dieser Ordnung, doch war er ihr nicht unterworfen. Der Tun-Ergehens-Zusammenhang war nicht unumstößlich, natürlich konnte es auch anders kommen – dies galt umso mehr, je mehr der oder die Einzelne sich nicht mehr in erster Linie als Teil der Großfamilie sah.

»ALLES GUT«? DIE ARGUMENTE DER FREUNDE

1. Was tröstet und was eher nicht? Sammeln Sie Redewendungen, Gesten, Verhaltensweisen aus dem Alltag.

2. Hiobs Klagen, mit denen Sie sich schon beschäftigt haben ( S. 84), werden unterbrochen durch Trostund Erklärungsversuche seiner Freunde. Lesen Sie Rede und Gegenrede im Wechsel ( S. 82 f., ggf. ergänzt durch weitere Texte aus dem Hiobbuch).

3. Arbeiten Sie Verhaltensweisen und Argumente der Freunde heraus; versuchen Sie das Anliegen der Freunde mit Hilfe der Info zu verstehen. Bewerten Sie ihre »Trostversuche« unter Gesichtspunkten der Krisenseelsorge (oben).

4. Vergleichen Sie, wie T. Lehnerer ( S. 83), E. v. Wächter ( S. 84) und W. Blake ( S. 85) jeweils das Verhältnis zwischen Hiob und seinen Freunden darstellen. Lassen Sie sich von T. Lehnerers Installation anregen, selbst Stühle so zu stellen bzw. umzustellen, wie es zum Verlauf des Dialogs zwischen Hiob und seinen Freunden passt.

• Am Hiobbuch lässt sich die Krise des Tun-Ergehens-Zusammenhangs ablesen. Während Hiob davon überzeugt ist, ungerechterweise zu leiden, beharren die Freunde auf der Stimmigkeit der Er fahrungsregeln.

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