KULTUR
MONTAG, 12. JULI 2004 SEITE
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Die Breite der Musik ausgelotet Flims Klang überrascht zur Eröffnung mit Bekanntem und weniger Bekanntem Flims Klang, das «verblüffend klassische» Festival, ist am Wochenende mit Konzerten und einer Installation erfolgreich gestartet.
Historikers und Mundartdichters Georg Thürer (1908–2000). Die Naturund Heimatverbundenheit dieser Texte klang auch in den Improvisationen der drei begleitenden Musiker an, doch wurde das Folkloristische stets gemischt mit Techniken aus Avantgarde und Jazz. Christoph Baumann entlockte seinem präparierten Klavier ungeahnte Klänge irgendwo zwischen Kuhgeläute und elektronischer Musik. Matthias Ziegler hatte nach dem Prau-PultéProjekt schon seinen zweiten Auftritt am Festival; wir staunen immer wieder, wie er trotz gleich bleibendem Instrumentarium immer wieder neue Klangfarben und Effekte aufstöbert. Hans Kennel schliesslich brachte mit Alphorn, Büchel, Trompete und Lure die urigen Töne in das Ganze, doch brach bei ihm auch immer wieder einmal der Jazzer durch. Das Programm nannte sich «Chriesibaum im Jahreskreis» und war im neuen Kultur- und Begegnungshaus La Fermata in Falera optimal aufgehoben.
● VON STEPHAN THOMAS Klassische Musik (und zwischendurch auch einmal weniger klassische) an allen möglichen und unmöglichen Orten, das hatte Matthias Ziegler seinem Publikum versprochen. Und der künstlerische Leiter von Flims Klang hielt gleich von Beginn weg Wort: Wer käme schon auf die Idee, einen abgelegenen See zu beschallen? Auf dem sagenumwobenen Prau Pulté gondelten mit Lautsprecherboxen bestückte Schwimmreifen, was schon für das Auge ein Kunstwerk abgab. Musikalisch hörten wir ein kaleidoskopartiges, aber formal präzise durchkomponiertes Klanggemälde, das seinen Ausgang von verstärkten Blubbergeräuschen des Sees und aufgezeichnetem Wellenschlag von den Orkney Islands nahm.
Bunt weiter durchs Programm
Ein künftiges Markenzeichen? In diesen Untergrund mischten sich die Flötenklänge von Matthias Ziegler und vor allem die faszinierende Stimme von Franziska Baumann. Die Sängerin ist eine der wenigen in der Schweiz, die den Mut hat, konsequent auf Avantgarde zu setzen; von ihr und Matthias Ziegler stammt auch das Konzept dieses aussergewöhnlichen Events. Wie sie am Ufer stand und mit einem metallischen Handschuh die Modulation der Klänge steuerte, sah schon recht futuristisch aus und machte sie selber zu einem Teil des Kunstwerks. Während des ganzen Festivals finden nun am See weitere Konzerte mit prominenten Gastmusikern statt, von denen wir stellvertretend den Perkussionisten Pierre Favre nennen. Auch
Solistische Prominenz im Ensemble vereint: Mit Werken von Haydn, Beethoven und Bartók eröffnet das Zürcher Aria Quartett Flims Bild Jakob Menolfi Klang offiziell.
bleibt eine Beschallung als Klanginstallation bestehen, die täglich von 12 bis 17 Uhr in Betrieb ist. Das Konzept hat überzeugt und soll in den kommenden Jahren als Teil von Flims Klang beibehalten werden; so könnte es durchaus zum Markenzeichen dieses innovativen Festivals werden.
Klassischer Konzertstart Ganz auf die klassische Seite gehörte dann das eigentliche Eröffnungskonzert von Flims Klang im Saal des Hotels «Adula». Haydn und Beethoven standen auf dem Programm, dazwi-
schen Béla Bartók. Vor ausverkauften Rängen spielte das Aria Quartett mit Präzision und temperamentvoller Musikalität. Thomas Füri, Adelina Oprean, Christoph Schiller und Conradin Brotbeck gehören auch als Einzelkämpfer zur ersten Garde in der Schweiz; umso bemerkenswerter ist es, wie sie im Ensemble ihre solistischen Reflexe zurückbinden und sich harmonisch in ein Ganzes einfügen können. Die besten Momente hatte das Aria Quartett im agilen Scherzo von Beethovens op. 18, Nr. 6 und in Bartóks dichtem dritten Quartett von 1927. Vor dem Konzert war das Festi-
val mit einem Apéro feierlich eröffnet worden. Matthias Ziegler stellte hier «die Überraschung des Bekannten» als Motto über das Programm.
Legler überzeugend Beim Kammermusikabend im «Adula» lag der Akzent eher auf dem Bekannten, am Samstag ging es dafür mit Überraschendem weiter. Ein Leckerbissen für alle, die Undogmatisches und Grenzüberschreitendes in der Musik mögen, war der zweite Konzertabend. Betty Legler rezitierte und sang in ihrem Glarner Idiom Gedichte des
Petrus weinte beim Jubiläum vor Freude Eingefleischten Open-Air-Fans können selbst tiefe Temperaturen und Niederschlag nichts anhaben. Die zehnte Ausgabe des Open Air Rheinwald war trotz Regen gut besucht und hatte für jeden Musikgeschmack etwas zu bieten.
Nachdem Petrus den rund 1100 Zuschauern des letztjährigen Open Air Rheinwald strahlend blauen Himmel beschert hatte, liessen die Wetteraussichten für das 10-Jahr-Jubiläum vom Wochenende Schlimmes befürchten. Es kam, zumindest was die Besucherzahlen angeht, anders als erwartet. Mit etwas mehr als 1000 Zuschauern konnten die Organisatoren trotz zeitweisen Regens an das Ergebnis des vergangenen Jahres anknüpfen. Im Gegensatz zu diversen anderen Veranstaltern werden die Besucher des Open Air Rheinwald nicht anhand der verkauften Tage berechnet. Ein Zweitagespass zählt folglich nur einmal.
Wie das Open Air Safiental vom kommenden Wochenende zeichnet sich das Open Air Rheinwald durch seine besondere Kulisse aus. Am Fusse des impossanten Berggipfels Guggernüll bei Nufenen, begrenzt durch den Hinterrhein liegt die waldige Ebene, in der jeweils der grösste Anlass im Jahreskalender der Talschaft stattfindet. Selbst Musikgrössen wie Toni Vascoli, der am diesjährigen JubiläumsOpen-Air mit den legendären Sauterelles aus den Sechzigerjahren aufgetreten ist, zeigte sich von diesem Panorama angetan: «Was für eine Ambiance – ein tolles Gelände.» Das Open Air Rheinwald bezeichnet er
Wo die Polenta richtig heiss kocht Hip-Hop über zwei Tage mitten im Prättigau: Der zweite Polenta-Jam vom Wochenende war ein voller Erfolg.
● VON URS FETZ
Open Air mit Panoramablick
Ein buntes Programm erwartet die Festivalgäste nun bis zum 25. Juli: Da gibt es ganz Klassisches wie einen Liederabend, einen Kammermusikanlass mit Violine und Klavier und vor allem das Gala-Orchesterkonzert, Folkloristisches wie den Walliser Volksmusikabend mit Raclette (AOC aus dem Wallis, wie schmunzelnd betont wird), Meditativ-Mystisches wie die Sonnenaufgangs- und Sonnenuntergangskonzerte in der Nähe der prähistorischen Kultstätte in Falera, dazu manch Spartenübergreifendes. Kinder kommen an einem ganz ihnen gewidmeten Nachmittag und beim Auftritt einer Kinderrockgruppe auf ihre Kosten. Ein gut ausbalanciertes Programm also wartet auf das Publikum, ein Programm, das für die verschiedensten Interessen etwas zu bieten hat, ohne dass das Festival deswegen an Profil verlöre.
Bekanntes zum Schluss: Lukas Schaller (links) und Pee Wirz von Dada (ante portas) rocken in Nufenen. Bild Jakob Menolfi
als «herzig und mit viel Liebe eingerichtet».
Musik für jeden Geschmack Der diesjährige Jubiläumsanlass war bezüglich Musikauswahl äusserst vielschichtig, sodass verschiedenste Geschmäcker angesprochen wurden. Die Musikpalette reichte von Mundartrock, Hardrock und Volksrock über Blues, Jazz, Pop sowie Reggae bis hin zu Rock’n’Roll, Boogie-Woogie, Country und R&B. Insbesondere die Sauterelles mit Toni Vascoli, die schweizweit bekannte Luzerner Band Dada (ante portas) und Famara vermochten musikalische Akzente zu setzten. Für Überraschung sorgten die Romacs, deren Bandmitglieder zwischen 14 und
16 Jahre alt sind und die sich selber, wohl zu Recht, als Graubündens jüngste Rock-’n’-Roll-Band bezeichnen. Andrea Flütsch, Mediensprecherin des Open Air Rheinwald, spricht in Bezug auf die Romacs von einem aussergewöhnlichen Auftritt: «So viele Leute wie bei den Romacs haben wir an einem Sonntagmorgen noch nie vor der Bühne gehabt.» Was das Wetter anbetrifft, hatte die Coverband Midwest einen schweren Stand. Während ihres Auftritts am Samstag kurz nach Mitternacht regnete es in Strömen. Nichtsdestotrotz spielten sie drei Stunden durch und wussten das Publikum mit ihren Musikeinlagen zu begeistern. Neben den bereits erwähnten Musikbands traten Edelweit, Jail Flower, Smashing Pota-
toes, Boogaloo Kings und Elena Ley auf. Zudem gab es eine spektakuläre Feuershow.
Zufriedene Veranstalter Das Open Air Rheinwald war erneut ein Anlass für Jung und Alt. Neben den zahlreich erschienenen Jugendlichen waren auch Junggebliebene und Familien mit ihren Kindern am Open Air Rheinwald anzutreffen. Überall wurde gezeltet, gegrillt und ordentlich gefestet. Einige brachten sogar ihre eigenen Sofas mit und hüpften während einzelnen Musikeinlagen darauf herum. Die Organisatoren zeigten sich mit der zehnten Ausgabe des Open Air Rheinwald mehr als zufrieden.
obe.- Dass Graubünden neben einer Ska- inzwischen auch eine Hip-HopHochburg geworden ist, bezeugen die Erfolge von Sektion Kuchikäschtli und Breitbild in den nationalen Hitparaden und auf dem TV-Spartensender Viva. Die ganze Leistungsbreite der hiesigen Szene sowie einen Blick über die Kantonsgrenze bot am Freitag und Samstag der so genannte Polenta-Jam in Grüsch. An zwei Abenden gaben sich etablierte Formationen und Debütanten vor einem gut gelaunten und grösstenteils fachkundigen Publikum ein Stelldichein in Sachen Sprechgesang.
Überzeugende Breitbild-Crew Zu den Höhepunkten des sehr gut und mit viel Liebe zum Detail organisierten Anlasses gehörte der Auftritt von Breitbild am (sehr) späten Samstagabend. Claudio Candinas, Andri Perl, Thomas Businger und Valerio Priuli bezeugten dabei einmal mehr die grossen Fortschritte, die sie in jüngster Vergangenheit als Live-Formation gemacht haben. Im Vergleich zu einigen der anderen Bands bewies das Churer Quartett zudem, dass die Qualität der musikalischen und textlichen Leistungen ausgesprochen hoch sind. Zu den Neulingen, welche am Polenta-Jam zu hören waren, gehörten unter anderem Erschti Phasa, Sabotage und der hoch talentierte Churer Milchmaa, der im Herbst seinen ersten Tonträger veröffentlichen wird und ein Versprechen für die Zukunft ist.