Designmonat Graz 2021 | Magazin

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M AG A Z I N

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4 DESIGN NACH EINER PANDEMIE 6 REDEN WIR ÜBER DIE ZUKUNFT! 8 TEUFELS ZEUG UND GOTTES BEITRAG 10 FANTASTIC PLASTIC: MÖBEL, MODE UND MEER 13 „LEBEN OHNE PLASTIK? UNMÖGLICH!“

22 KLEINE PARKS IM STRASSENRAUM 25 KUNST AUS ERDE ­ UND FEUER 26 DESIGN-VERKOSTUNG IM WUNDERLAND 27 BAUM-BOOM 28 NACHHALTIGES ­DENKGEBÄUDE 30 FEIN, SO VIEL ­ DESIGN!

14 KLIMAKULTUR: ­GESTALTUNGSLUST STATT KLIMA-FRUST

34 WENN AUS KERNÖL EINE ELEGANTE LADY WIRD

16 DESIGN ­­ ZUR PRIMETIME

36 KULTURKRITIK IN ­BILDERN

17 DESIGN AUF ­ HÖHERER EBENE

38 VON AUSSEN ­BETRACHTET

18 EIN KREATIVER WINK MIT DEM ZAUNPFAHL DESIGNMONAT GRAZ 2021

REDESIGN THE FUTURE


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er Designmonat Graz ist wieder da! Nach dem letztjährigen Ausfall haben wir 2021 ein Programm auf die Beine gestellt, das sich an den aktuellen Rahmenbedingungen ausrichtet und das möglich macht, was möglich ist. Kleinere Events, Ausstellungen im öffentlichen Raum und natürlich vieles im Online-Bereich, der in Zeiten wie diesen seine ganzen Stärken so richtig ausspielen kann. Natürlich haben die Ereignisse der letzten 14 Monate der Kreativwirtschaft stark zugesetzt, sie hat aber ebenso gezeigt, dass sie resilient und innovativ ist. Kein Wunder, denn die Herausforderungen sind gleichgeblieben. Und sie werden auch noch da sein, wenn der aktuelle Erreger im Griff ist. Es geht also um die Zukunft. Immer. Und Design ist dazu da, eine bessere Zukunft zu schaffen. Nicht mehr und nicht weniger. So unaufgeregt diese um sämtliche Glamour-Accessoires und Behübschungs-Oberflächlichkeiten bereinigte Auffassung von Design auch sein mag – s ­ ie trifft seine Aufgabe punktgenau. Denn worum soll es beim Thema Gestaltung gehen, wenn nicht um einen Beitrag für eine lebenswertere, einfachere, kurz: bessere Zukunft? Das wiederum liefert Designerinnen und Designern jede Menge Arbeit, denn die Zukunft präsentiert sich aktuell als eher diffuses Szenario aus ebenso diffusen Ängsten, Sorgen und Nöten. Die Frage ist, welche Rolle Design einnehmen kann, um dieses globale Verbesserungsprojekt voranzutreiben. Antworten darauf liefert unser Programmschwerpunkt im Designmonat Graz 2021 mit dem schlichten Titel „Better Future“. Er umfasst unter anderem ein zweitägiges Symposium zum Thema „Redesign the Future“, das

ausschließlich online stattfinden wird. Die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit sowie Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft werden dabei einen großen Stellenwert einnehmen, ebenso wie bei zahlreichen anderen Programmpunkten. Etwa bei der Ausstellung „Fantastic Plastic“, die in Zusammenarbeit mit dem Moscow Design Museum entstanden ist und ein heutzutage viel gescholtenes Material ins Zentrum rückt: Denn Plastik ist womöglich nicht nur ein global gefährliches Gift, sondern Ausgangspunkt für eine nach-

EDITORIAL

Foto: Miriam Raneburger

haltige Wiederverwertung – wenn man ­­es richtig macht! Dabei ­ sind Ideen und Innovation gefragt. Design kann sie liefern. Seit Jahren fixer Bestandteil des Programms ist „Design in the City“: Designshops öffnen ihre Türen und zeigen Ausgefallenes, Erlesenes, Nicht-Alltägliches – vorausgesetzt, sie sind zu diesem Zeitpunkt auch wirklich geöffnet. Aus Graz stammt auch das ­Erscheinungsbild des heurigen Designmonats: Die Agentur­­ EN GARDE zeichnet dafür verantwortlich. Und noch etwas sei ­ in diesem Zusammenhang erwähnt: 2021 jährt sich zum ­ 10. Mal die Aufnahme von Graz als UNESCO City of ­ Design in das Creative Cities Network der UNESCO. Das hat die Stadt international sichtbar gemacht und ihr viel Beachtung eingebracht. Der Designmonat Graz ist eines der Aushängeschilder – umso mehr freut es uns, dass wir ihn in diesem Jahr wieder ausrichten können.

EINEN INTERESSANTEN DESIGNMONAT GRAZ WÜNSCHT EBERHARD SCHREMPF, GESCHÄFTSFÜHRER CREATIVE INDUSTRIES STYRIA

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D E S I G N NACH EINER PA N D E M I E Foto: Magination Lancaster

Text: Stuart Walker

Inhaber des Lehrstuhls für Design für Nachhaltigkeit an der Lancaster University in Großbritannien; Mitbegründer des ImaginationLancaster Design Research Lab; Gastprofessor für Nachhaltiges Design an der Kingston University in London; Schwerpunkte: ökologische, soziale und spirituelle Aspekte der Nachhaltigkeit

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twa sechs Monate nach Ausbruch der COVID19-Pandemie veröffentlichten die Vereinten Nationen ihre Research Roadmap for the COVID-19 Recovery (auf Deutsch: ForschungsRoadmap für die Erholung nach COVID-19). Der Bericht zeigt deutlich, dass die Pandemie bereits bestehende globale Unterschiede, Schwachstellen und nicht nachhaltige Praktiken noch deutlicher sichtbar gemacht und ihre Auswirkungen verstärkt hat. Eine Erholung von ihren Folgen, wird angeführt, würde erhebliche Anstrengungen in vielen Bereichen erfordern, beispielsweise einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung und dazugehörigen Dienstleistungen und Systemen, sicherere und breitere Sozialprogramme und eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, Wohnraum und Bildung; Nahrungsmittelsicherheit, die Bereitstellung von Pflege­­diensten, die Sicherung des Lebensunterhalts und den Schutz von Kleinunternehmen; eine verstärkte multilaterale Zusammenarbeit sowie Investitionen, Schuldenerlass und regionale Zusammenarbeit in Handelsfragen; die Sicherstellung der Resilienz ökologischer Systeme und ein verbesserter sozialer Zusammenhalt durch Dialog, Interessenvertretungen, Empowerment, faire Dienstleistungen und Good Governance (UN-Roadmap 2020, S ­ . 15 — 16). Eine lange und durchaus ehrgeizige Liste! Die Größenordnung der Forderungen zeigt aber auch, dass der Handlungsbedarf auf globaler Ebene die einzigartige Möglichkeit bietet, Gesellschaften neu zu definieren, wobei der Schwerpunkt auf Menschenrechten und einem tiefen Wandel liegen sollte, die dazu beitragen, eine positivere und hoffnungsvollere Zukunft für alle zu gewährleisten. Umfang und Tragweite der UN-Agenda bedeuten eine Anerkennung der durch C ­ OVID-19 aufgedeckten Schwachstellen und der grundlegenden Abhängigkeiten zwischen Menschen, Nationen, Systemen und der natürlichen Umwelt. Trotz der Aktualität und der guten Absichten des UNBerichts beunruhigt mich der Untertitel des Berichts – ­ Leveraging the Power of Science for a More Equitable,

DESIGNMONAT GRAZ 2021

Resilient and Sustainable Future (auf Deutsch: Wissenschaft im Dienste einer gerechteren, belastbareren und nachhaltigeren Zukunft) – dem zufolge die Wissenschaft der Welt die besten Chancen für einen positiven Weg in die Zukunft biete. Diese Behauptung ließ mich innehalten. Der Begriff „Wissenschaft“, der allgemein im Sinne von „Naturwissenschaften“ verstanden wird, umfasst hier offensichtlich viele Fachgebiete, einschließlich der Ingenieurwissenschaften und Sozialwissenschaften sowie Geisteswissenschaften zu Literatur, Geschichte und Religion, die nachweislich keine Naturwissenschaften sind (UN-Roadmap 2020, S. 14). Von Kreativität hingegen ist nicht die Rede und die Künste werden nur nebenbei erwähnt. Im Bericht geht es hauptsächlich darum, die „Macht der globalen Wissenschaft“ zu demonstrieren und die Umsetzung einer Reihe wissenschaftsbasierter Strategien, etwa die Skalierung der Dateninfrastruktur, die Implementierung schneller Lernsysteme und die Mobilisierung von Wissen, zu fördern (UN-Roadmap 2020, S. 6, 9).

Derzeit verlassen wir uns im Umgang mit aktuellen und zukünftigen Pandemien auf Fortschritte in der Wissenschaft und loben – zu Recht – die Herkulesbemühungen von WissenschaftlerInnen bei der Entwicklung von Impfstoffen. Kein vernünftiger Mensch bestreitet ihre enormen Beiträge insbesondere zum Gesundheitswesen. Wenn es jedoch darum geht, einen Weg für eine Besserung des Zustandes zu finden, besteht die reale Gefahr, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, indem man auf die tieferen und umfassenderen Fragen mit dem Fortschrittsdenken antwortet. Genau dieses jedoch hat dem Menschen selbst, anderen Arten und unserer natürlichen Umgebung Schaden gebracht. Die modernen Gesellschaften glauben seit langem an den „Fortschrittsmythos“, den sie selbst erfunden haben. Er wird in erster Linie von den Beiträgen der Wissenschaft angetrieben und als kontinuierlicher Aufwärtstrend einer Verbesserung verstanden. Die Vereinten Nationen sind offenbar bestrebt, diese Annahme aufrechtzuerhalten und zu fördern, obwohl sie offenbar falsch ist. Für sie hat die Wissenschaft weiterhin Vorrang vor anderen Bereichen des menschlichen

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Wissens und Fachwissens. Allerdings bröckelt der Fortschrittsglaube schon seit einiger Zeit. Die Zukunft hält nicht mehr, was sie verspricht – sie ist eher ein Ort der Angst denn der Hoffnung (Sachs, 2010). Wie Philosoph John Gray sagt, legt ein Virus, das enorme Verluste an Menschenleben, Not, die Trennung von Familien und Verlust von Lebensunterhalt, Einkommen, Bildung und Möglichkeiten verursacht hat, die Hohlheit des profanen Fortschrittsglaubens bloß (Gray, 2020). Die Pandemie deckt auf, wie angreifbar wir durch Globalisierung, das Outsourcing von Fertigung und das Niederfahren unserer eigenen Produktionskapazitäten geworden sind. Und sie erinnert uns daran, dass wir jene gesellschaftlichen Aufgaben, die für ein Funktionieren der Gemeinschaften in schwierigen Zeiten besonders wichtig sind – jene des Gesundheitspersonals, der AltenpflegerInnen, der SupermarktmitarbeiterInnen, ZustellerInnen, MüllsammlerInnen und freiwilligen HelferInnen in der städtischen Essensausgabe –, besser anerkennen. Die weitreichenden Ziele der Vereinten Nationen für eine erfolgreiche Erholung nach der Krise können nicht allein durch Beiträge der Wissenschaft erreicht werden, sondern erfordern einen weitaus ganzheitlicheren Ansatz. Einen Ansatz, der auch die Expertise von PädagogInnen, PhilosophInnen, LinguistInnen, politischen EntscheidungsträgerInnen, KünstlerInnen und VertreterInnen des Kunstgewerbes einschließt. Und er erfordert jenes gemeinsame Denken, das für das überlieferte Wissen so grundlegend ist, wie bestimmte WissenschaftlerInnen (Walker, 2021, S. 121) bereits erkannt haben. Nur wenn wir uns kreativere, einfallsreichere Wege vorstellen und integrierte, ausgewogene und kontextuelle Ansätze verfolgen, können wir sicherstellen, dass unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse und technologischen Fähigkeiten von humanen, ethischen und fairen Entwicklungsformen begleitet und in bestimmten Fällen von diesen gemildert werden. Wenn wir tatsächlich eine nachhaltigere, inklusivere und belastbarere Zukunft für alle schaffen wollen, müssen wir den Perspektiven und Glaubenssystemen anderer viel mehr Aufmerksamkeit zollen; ebenso Prioritäten und Bestrebungen, die über den weltlichen Pragmatismus hinausgehen; und Werten, die Selbst und Selbstsucht transzendieren und Mitgefühl, Empathie, Nächstenliebe, Menschlichkeit und Erhaltung fördern. Eine stärkere Berücksichtigung dieser Eigenschaften


ermöglicht es uns, die Beiträge der Wissenschaft in den größeren Kontext der Bedeutung des Menschen und dessen Stellenwerts zu stellen. Sie tragen dazu bei, unsere Bemühungen nach Werten auszurichten, die das Gemeinwohl vor das Eigeninteresse stellen, die Sorge um andere und die Natur betonen und die Besonderheiten von Ort, Kontext und Tradition respektieren. Zu solch einem neuen Ansatz gehören auch unsere persönlichen Einstellungen und Bestrebungen. Unser Eifer, etwas zu tun, ist möglicherweise übersteigert – ständig organisieren, starten, verkünden, forschen, überlegen, innovieren und entwickeln wir etwas weiter. Über dieser Rastlosigkeit haben wir womöglich die Fähigkeit, einfach nur zu sein, verloren. Der Weg zur Erholung könnte und sollte viel weniger Tun und viel mehr Sein, Sehen, Zuhören, Nachdenken und Wertschätzen beinhalten. So könnten wir von den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren und gleichzeitig unsere Maßnahmen überlegter, gerechter und sensibler auf die Bedürfnisse und die Natur der Menschen abstimmen. Kierkegaard zufolge ist das Ethische als solches das Allgemeine, und die ethische Aufgabe des Einzelnen, sich selbst immerzu in diesem auszudrücken, sein Einzelsein aufzuheben, um das Allgemeine zu werden (Kierkegaard, 2020, S. 237). Wer sich selbst verleugnet und sich der Pflicht aufopfert, der gibt das Endliche auf, um das Unendliche zu ergreifen (Kierkegaard, 2020, S. 245).

gebettet und sind nicht von diesem zu unterscheiden. DesignerInnen müssen daher irgendetwas in der Hand haben, um sich zu vergewissern, dass sie am richtigen Ausgangspunkt anfangen, und sie müssen bei jedem ihrer Schritte wachsam sein. Der Prozess erfordert eine Kombination aus Preisgabe und Vertrauen – Preisgabe eigener Prioritäten und Vertrauen in eine größere, höhere Vision. Dies bedeutet, auf den kreativen Prozess und die Entscheidungen zu vertrauen, die man trifft, ohne aber alle Informationen zu kennen, alle Daten zu haben, ohne das ganze Bild zu sehen und ohne genau zu wissen, wie das Ergebnis aussehen wird. Fehler sind unvermeidbar – wir werden welche machen –, aber Zweifel und Ängste vor dem Scheitern dürfen uns nicht lähmen oder daran hindern, nach Höherem zu streben. Die UN-Roadmap verweist auf eine Reihe großmaßstäblicher Dilemmata und Probleme, die über den Rahmen und die Aufgabenstellung einzelner DesignerInnen hinausgehen; Stärkung des Gesundheitswesens, Ausweitung der Sozialprogramme, Aufbau multilateraler Kooperationen, Verbesserung des sozialen Zusammenhalts usw. Auf alle Fälle müssen Designer ihren Part spielen, und wie immer ihr spezifischer Fachbereich beschaffen sein mag – die DesignerInnen werden mit praktischen Fragen zu Details von Form, Funktion, Benutzerfreundlichkeit und Erschwinglichkeit konfrontiert. Die Diskussion sollte daher weniger auf große Pläne in einer unbestimmten Zukunft als vielmehr auf das Wesentliche, auf die Alltagstätigkeiten

Instinkten, Bestrebungen und Wünschen gewöhnlicher Leute (Scruton, 2016, S. 65 — 85). DesignerInnen können einen wertvollen Beitrag leisten, wenn sie ihre Behutsamkeit, ihre Liebe zum Detail, ihre ästhetische Sensibilität und ihren Sinn für moralische Rechtschaffenheit in die Schaffung all der Alltagsdinge einfließen lassen. Sie können eine Art Design verfolgen, das dem Ort verpflichtet ist und ihn achtet, und so dazu beiträgt, eine Welt zu schaffen, in der wir uns zugehörig fühlen. Das bedeutet ein Design ohne großen Gestus, das sich auf Bewährtes stützt und mehr Beständigkeit und Stabilität vermittelt. Es ist eine Form des Designs, die zum Aufbau von Kapazitäten und von Expertise innerhalb der Gemeinschaft und zu nützlicher, erfüllender Beschäftigung beiträgt. In der Forschung unter meiner Leitung in den vergangenen Jahren haben wir festgestellt, dass viele kleine Herstellerunternehmen dies bereits tun. Sie motivieren sich eher nicht durch Geld oder die ständige Vergrößerung ihrer Geschäfte, sondern möchten einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten, nachhaltige Arbeitsweisen entwickeln und verantwortungsvolle, umweltfreundliche Ergebnisse erzielen. Die Unterstützung und Förderung solcher Unternehmen und das Entwerfen mit ihnen kann einen Domino-Effekt haben. Sie können zur Senkung der öffentlichen Ausgaben in Sektoren wie Abfallentsorgung und Sanierung ebenso beitragen wie zur Drosselung des Verkehrsaufkommens und der Luftverschmutzung. Sie können lokale, inklusive Beschäftigungsformen

„Die Zukunft hält nicht mehr, was sie verspricht – sie ist eher ein Ort der Angst denn der Hoffnung“

(Sachs, 2010)

Für DesignerInnen bedeutet das nicht, den eigenen Sinn für kreativen Ausdruck aufzugeben, weil es jemand anders so verlangt. Es bedeutet vielmehr, egoistische Tendenzen in der Designpraxis zugunsten eines sinnstiftenden Beitrags links liegen zu lassen – Design als Opfer und Verpflichtung. Vielleicht kann dies nie ganz erreicht werden, aber mit diesem höheren Zweck zu entwerfen ist mit Sicherheit ein edleres Ziel, als sich durch die kleineren, niedrigeren Horizonte seines Selbst einzuschränken. Ein solcher Weg befürwortet kein universelles Design in Einheitsgröße – im Gegenteil: Es ist ein Ich-loses Design, das sich naht- und schadlos in die Welt einfügt, indem es die Einschränkungen und Umstände des Spezifischen berücksichtigt. DesignerInnen müssen die Besonderheiten des Kontextes beobachten, ihnen zuhören und sich mit ihnen vertraut machen. Wie aber können DesignerInnen sichergehen, dass ihre Vorgehensweise die richtige ist? Sie können ihre Verantwortung nicht einfach an andere, die „Gesellschaft“ oder den Staat abgeben. Anderen das Wort reden oder einfach nur Vorschriften einzuhalten bedeutet, sich niemals den ethischen Fragen zu stellen, die für das moderne Design so wichtig sind. Wenn DesignerInnen auf ihre Verantwortung verzichten, verzichten sie auch auf die Chance, zu wachsen – ob als PraktikerInnen oder als Individuen. Mehr noch: DesignerInnen dürfen nicht wieder „das Ergebnis ihrer Arbeit beurteilen“. Wenn man sich auf einen Designprozess einlässt, gibt es noch kein Ergebnis. DesignerInnen müssen sich „en route“, also während

ihres Schaffens mit diesen ethischen Problemen befassen und unzählige Entscheidungen treffen, die insgesamt das Ergebnis bestimmen. Sie können dies nicht nachträglich tun. Falls die DesignerInnen, die handeln sollen, sich selbst nach dem Ausfall beurteilen wollen, so gelangen sie nie dahin, anzufangen (Kierkegaard, 2020, S. 248). All diese kleinen Entscheidungen auf dem Weg werden, ob richtig oder falsch, in das Ergebnis ein-

der Gegenwart abstellen. DesignerInnen müssen im Hier und Jetzt Entscheidungen treffen, wenn sie ein bestimmtes Designergebnis entwickeln. DesignerInnen arbeiten im entscheidenden Moment, wenn Theorie auf Praxis trifft. Diese Themen sind besonders wichtig, wenn es darum geht, aus der COVID-19-Pandemie zu lernen und eine gerechtere, fürsorglichere, umweltbewusstere und sicherere Zukunft aufzubauen. Die Pandemie führte zumindest in den frühen Stadien des Lockdowns zu einer dramatischen Verringerung der Luftverschmutzung: keine Kondensstreifen am Himmel, die Aussicht klar und hell; Wildtiere durchstreiften die Stadt und in der merklich stilleren Welt zwitscherten wieder die Vögel. Das Virus bietet uns die Gelegenheit, innezuhalten und die Welt und uns selbst klarer zu sehen – ohne die Geschäftigkeit, Ablenkungen und die Hektik, zu dem das moderne Leben geworden war. Ein Leben, in dem niemand mehr Zeit hatte und geneigt war, zu schauen, zuzuhören oder wirklich nachzudenken (Williams, 2020, S. 4 — 22). Die durch die Pandemie verursachte soziale Distanz half uns zu erkennen, wie wichtig Familie, FreundInnen, NachbarInnen und Gemeinschaft und ihr Beitrag zur Bereicherung unseres Lebens durch ihre bloße Anwesenheit sind. An diesen Punkt müssen wir anknüpfen, wenn wir „Design“ neu interpretieren – für nachhaltigere, gerechtere und belastbarere Lebensweisen mit mehr Engagement für die Menschen und Orte, an denen wir uns befinden. Ein Engagement mit dieser Perspektive, statt vagen Visionen, abstrakten und anonymen Konzepten, für Aktivitäten, die einen direkten, zwischenmenschlichen Kontakt implizieren, wo wir andere als vollwertige Menschen sehen und besser in der Lage sind, uns der konkreten Auswirkungen unserer Entscheidungen bewusst zu werden, das ist, wie Papanek sagt, ein Design for the real world: offen, ehrlich, mit gutem Gewissen und verantwortungsvoll. In dieser Weiterentwicklung müssen wir uns davor hüten, die Fehler der Moderne zu wiederholen, die uns alles umfassende Visionen einer idealen Welt aufzwingen wollte, einer Welt unabhängig von den

schaffen und das Beste aus lokalen Ressourcen und sonstigen lokalen Wirtschaftsgütern herausholen, gemeindenahe Lösungen aller Art und eine robuste, resiliente und stark diversifizierte Wirtschaft fördern. Wie Sachs bereits sagte, „entsteht nur an solchen Orten Vielfalt, an denen Menschen ihre Gegenwart in ihre ganz spezifische Geschichte einweben … Sowohl in der Kultur als auch in der Natur liegt in der Diversität das Potenzial für Innovationen und eröffnet den Weg für kreative, nichtlineare Lösungen.“ (Sachs, 2010). Auf diese Weise haben wir die Möglichkeit, kollaborative Mehrgenerationenunternehmungen aufzubauen, die in der Lage sind, jene Dinge zu bewahren, die wir am meisten schätzen (Scheffler, 2013, S. 33). Dies bedeutet, Überschuss, Überproduktion und Abfall zu eliminieren und sich auf die Aspekte zu konzentrieren, die aus unseren Entwürfen konkrete Ausdrucksformen von Menschen, Orten und Traditionen sowie Manifestationen kultureller Bedeutung und Qualität machen.

Literaturverweise UN Roadmap (2020) UN Research Roadmap for the COVID-19 Recovery: Leveraging the Power of Science for a More Equitable, Resilient and Sustainable Future, Vereinte Nationen, New York, NY, November 2020, S. 15 — 16, in: https://www.un.org/en/pdfs/UNCOVID19ResearchRoadmap.pdf, Stand 11. Februar 2021. UN Roadmap (2020) UN Research Roadmap for the COVID-19 Recovery: Leveraging the Power of Science for a More Equitable, Resilient and Sustainable Future, Vereinte Nationen, New York, NY, November 2020, S. 14, in: https://www.un.org/en/pdfs/UNCOVID19ResearchRoadmap.pdf, Stand 11. Februar 2021. UN Roadmap (2020) UN Research Roadmap for the COVID-19 Recovery: Leveraging the Power of Science for a More Equitable, Resilient and Sustainable Future, Vereinte Nationen, New York, NY, November 2020, S. 6, 9, in: https://www.un.org/en/pdfs/UNCOVID19ResearchRoadmap.pdf, Stand 11. Februar 2021. Sachs, W. und Sachs, W. (2010). One world. In W. Sachs (Hrg.), The development dictionary. (2te Edition). [Online]. London: Zed Books. In: http://ezproxy.lancs.ac.uk/login?url=https:// search.credoreference.com/content/entry/zeddev/one_world/0?institutionId=3497, Stand 21. November 2020. Gray, J. (2020) Secular faith has no answer to the coronavirus, Catholic Herald, Herald House, London, 15. May 2020, in: https://catholicherald.co.uk/secular-faith-has-no-answer-to-the-coronavirus/, Stand 17. Mai 2020. Walker, S. (2021) Design and Spirituality: a philosophy of material cultures, Routledge, Oxford, S. 121. Kierkegaard, S. (1843; 2020) Furcht und Zittern [Übers.]. München: dtv Kierkegaard, S. (1843; 2020) Furcht und Zittern [Übers.]. München: dtv Kierkegaard, S. (1843; 2020) Furcht und Zittern [Übers.], München: dtv Williams, R. (2020) Candles in the Dark: Faith, Hope and love in a Time of Pandemic, Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK), London, S. 4—22. Scruton, R. (2016) Confessions of a Heretic, Nottinghill Editions, London, S. 65 — 85. Sachs, W. (1993) (Hrg.) Wie im Westen so auf Erden. Ein polemisches Handbuch in der Entwicklungspolitik. Reinbek: Rowohlt. Scheffler, S. (2013) Death and the Afterlife, Oxford University Press, New York, NY, S. 33.

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DESIGNMONAT GRAZ 2021

REDESIGN THE FUTURE


Wirtschaftslandesrätin

Foto: Lunghammer

REDEN WIR ÜBER DIE ZUKUNFT!

BARBARA EIBINGER-MIEDL

„Redesign the future“ – so lautet der Titel des OnlineSymposiums im Designmonat Graz, das von der FH JOANNEUM und der Creative Industries Styria in Zusammenarbeit mit dem Green Tech Cluster veranstaltet wird. In drei Panels präsentieren internationale Speaker Lösungen und Best-Practice-Beispiele für das Großprojekt der Zukunft – nämlich die Rettung derselben. Design wird dabei eine entscheidende Rolle übernehmen.

Die steirische Kreativwirtschaft ist mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Diese internationale Sichtbarkeit wird insbesondere durch den Designmonat Graz geschaffen. Dass dieser trotz der CoronaKrise heuer wieder stattfindet, ist ein wichtiges Signal für die heimische und internationale Kreativszene. Dazu wurden die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen und ein innovatives Hybrid-Programm erarbeitet, um ein spannendes und sicheres Festival bieten zu können. Damit wird Graz in diesem Jahr erneut zum kreativen Hotspot, der die Kraft unserer Kreativwirtschaft deutlich macht. Die Creative Industries Styria haben mit dem Schwerpunkt „Better Future“ ein Motto gewählt, das viel Zuversicht ausstrahlt. Einen Monat lang wird sich alles um die Frage drehen, welche Lösungen und Möglichkeiten Design für eine bessere Zukunft bieten kann. Ich bin davon überzeugt, dass Kreativität und Innovationsgeist wesentliche Faktoren sind, um die Corona-Krise zu meistern. Ich wünsche Ihnen einen spannenden und ­erlebnisreichen Designmonat Graz!

SIEGFRIED NAGL

WAS MUSS DIE DESIG­N­AUSBILDUNG LEISTEN? Design hat die Entwicklung der Menschheit von Anfang an begleitet und war speziell in den letzten 150 Jahren aktiv an der Entwicklung moderner Industriegesellschaften beteiligt. Daraus entsteht für die Zukunft eine hohe gesellschaftliche Verantwortung, was sich auch in den Curricula der Universitäten und Fachhochschulen widerspiegelt. „Design wird in den Designausbildungen weltweit als Verbesserung des Status quo und als Innovation beschrieben“, so Karl Stocker, Kurator des Symposiums und Leiter des Instituts Design und Kommunikation an der FH JOANNEUM. Das widerspricht der landläufigen Auffassung, dass Design allein auf ästhetische Formgebung abziele. Es geht vielmehr um eine ganzheitliche Perspektive, die auch ethische und moralische Aspekte berücksichtigt. Eine moderne Designausbildung ist somit auch eine Investition in die Gestaltung der Zukunft. Dazu referieren Kerstin Scheuch von der CENTRO-Universität in Mexiko City, Lorenzo Imbesi von der Sapienza University Rome und Luisa Bocchietto von der Citta del Arte in Biella.

CHANGING URBAN CLIMATE Das zweite Panel stellt das Thema Klima ins Zentrum, mit einem Fokus auf die besonderen Herausforderungen im urbanen Raum. Heute arbeiten bereits 80 Prozent der welt-

weiten Bevölkerung in Städten und großen Agglomerationen, vor allem in Asien und Lateinamerika. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Städte, denen der Klimakollaps droht, wenn nicht wirkungsvoll gegengesteuert wird. Dafür braucht es Ideen, politischen und städtebaulichen Willen und auch eine geeignete Infrastruktur, die es etwa ermöglicht, Energie auf lokaler Ebene zu produzieren, zu speichern und zu verbrauchen. Und: „Es braucht gut durchdachte Lösungen, damit Menschen die Klimawende aktiv und bilanziell wirkungsvoll vorantreiben“, so Bernhard Puttinger, Geschäftsführer des Green Tech Clusters, der Kooperationspartner des Symposiums ist. Die zentrale Frage dabei ist: Wie kann Technologie Hand in Hand mit den Menschen gehen? Antworten darauf liefern Karlheinz Boiger vom Breathe Earth Collective (siehe dazu auch Seite 14 in diesem Magazin), die Architektin und Stadtplanerin Aglaée Degros von der Technischen Universität Graz und Gregor Taljan von Energienetze Steiermark.

DESIGN FÜR DEN MENSCHEN Bei allen unterschiedlichen Aufgaben von Design bleibt eines immer gleich: Design ist für den Menschen gemacht, und der Mensch steht folglich auch immer im Zentrum von Design. Dass dabei nicht alles überall gleich geeignet und sinnvoll ist, zeigt das dritte Panel des Symposiums. „Design ist immer auch abhängig vom kulturellen, geografischen und sozio-ökonomischen Background, in dem es entsteht“, meint Sigrid Bürstmayr, Designerin und Lehrende am Institut Design und Kommunikation der FH JOANNEUM. Dementsprechend heterogen sind auch die Speaker des Panels. Mariana González de la Rosa von der Universidad Puebla in Mexiko spricht darüber, wie soziale und solidarische Ökonomien im Designbereich vorangetrieben werden können, gerade auch vor dem Hintergrund teils schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse. Weitere Beiträge kommen von Angus Campbell von der Elam School of Fine Arts at the University of Auckland/Neuseeland sowie vom Designer und Designvermittler Emanuel Barbosa von der Designhochschule ESAD in Porto.

Nach einem Jahr CoronaZwangspause ist der Designmonat Graz heuer wieder zurück. Das ist ein Grund zur Freude und auch ein Zeichen dafür, dass Design und Kreativität fix mit der Stadt Graz verbunden sind, und zwar auch und gerade in schwierigen Zeiten. Die Kreativwirtschaft spielt im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben der Stadt Graz eine große Rolle. In Graz sind 2.370 Kreativunternehmen tätig – das sind 15 % der Unternehmen der Stadt. Sie erwirtschaften mit 9.610 Beschäftigten einen Umsatz von 1,16 Milliarden Euro. Besonders erfreulich daran: Die Anzahl der Unternehmen ist zwischen 2010 und 2018 um knapp 21 % gestiegen. Natürlich ist die aktuelle Situation auch für die Grazer Kreativwirtschaft eine Herausforderung. Aber gerade die Creative Economy hat durch ihr Know-how und ihre Netzwerke die besten Voraussetzungen, diese Krise nicht nur zu überstehen, sondern sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Apropos Netzwerke: Im Frühjahr 2011 – also genau vor 10 Jahren – ist Graz als City of Design in das UNESCO-Netzwerk der kreativen Städte aufgenommen worden. Wir haben uns in diesen vergangenen 10 Jahren einen hervorragenden Ruf innerhalb des Netzwerks erarbeitet und Graz gut sichtbar in der internationalen Designszene verankert. Das ist das Verdienst vieler kreativer Köpfe der unterschiedlichsten Sparten. Stellvertretend für alle Beteiligten möchte ich als wesentliche Netzwerkknoten die Creative Industries Styria, die städtische Wirtschaftsabteilung sowie die in meinem Büro angesiedelte City of Design Koordinationsstelle nennen. Der Designmonat Graz steht heuer unter dem Motto „Better Future“. Der Name ist Programm, und die bevorstehenden Frühlingswochen sollen den Startschuss dafür liefern! Einen interessanten und abwechslungsreichen Designmonat Graz!

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Foto: Fischer

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igentlich war die Zukunft schon geplant. Man kannte die Probleme und auch die Lösungen. Umsetzen war angesagt. Und dann kam alles anders, und zwar ganz schnell. „Morgen ist das Heute schon wieder von gestern“, sagt man dann gerne. Also zurück an den Start. Es geht heute mehr denn je darum, die Zukunft neu zu denken und neu zu gestalten. Das ist auch das große Thema des Online-Symposiums, das sich der Zukunft auf unterschiedliche Art und Weise nähert. Dafür wird es auch einen philosophischen und spirituellen Unterbau brauchen, wie Stuart Walker in seinem aktuellen Buch „Design and Spirituality“ beschreibt. Er wird das Symposium mit einer Keynote eröffnen. Danach folgen 3 Panels, die sich folgender Themen annehmen: die Zukunft der Designausbildung, das komplexe Themenfeld Klima im urbanen Raum sowie Design, das den Menschen noch stärker ins Zentrum rückt.

Bürgermeister der ­ Stadt Graz


Fantastic Plastic

Text: Susanne Ary

TEUFELS ZEUG UND GOTTES BEITRAG

Plastik: der Stoff, aus dem die Träume sind – und Albträume. Das künstliche Wundermaterial hat wie kein anderes unsere Kultur geprägt und ist heute zum Sinnbild für die Zerstörung unseres Planeten geworden. Dabei kann es eines besonders gut: recycelt werden. Plastik, zu Unrecht ein Schlamassel?

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ein mieser Ruf eilt ihm voraus, dem Plastik. Nicht nur dass es ganze Ozeane vermüllt, Schildkröten stranguliert und Vögel verhungern lässt: Plastik steht schon im Volksmund für das Minderwertige, das Billige, das, was man dann eh bald wegschmeißt. Es ist immer das Glumpert, das aus Plastik ist, während das Hochwertige, das Teure aus anderen Materialien sein muss, aus Holz, aus Glas, aus Metall. „Kauf das nicht, das ist ja nur aus Plastik!“ – ein Satz, der viel aussagt und schon damals gefallen ist, als es das Wort Klimaschutz noch gar nicht gab. Dabei ist diese Diskriminierung des Plastiks eigentlich unfair. Schon das Wort, von dem es stammt, ist vielversprechend: Plásso heißt im Altgriechischen „formen“ und in weiterer Folge „erschaffen“, genau wie Gott eben, der den Menschen aus einem Klumpen Lehm geformt haben soll. Mit dem Plastik darf der Mensch also ein bisschen Gott spielen, sich die Welt formen, wie sie ihm g ­ efällt. Und Schöpfung heißt ja auch, völlig Neues, nie ­Dagewesenes in die Welt zu bringen – und genau das hat das Plas­­­tik zustande gebracht.

den Kunststoffen ist, und das war schon Goodyear klar, dass sie in Sachen Form und Eigenschaften praktisch alle Möglichkeiten bieten. Hart, elastisch, temperaturbeständig, wasserfest – Plastik kann alles und ist praktisch überall im Einsatz. Wer sich heute in einem Auto über die Straßen bewegt, sitzt in 50 % Plastik. Wer Sport betreibt – vom Joggen bis zum Fallschirmspringen –, benutzt Kleidung und Ausrüstung, die ohne Kunststoffe gar nicht produzierbar wäre. Den größten Benefit bringt das Plastik aber zweifelsohne in der Medizin: Nicht nur dass wohl niemand ein modernes Brillenglas gegen die 1980er-Jahre-Brummer aus massivem Glas eintauschen würde – es sind Technologien wie die Angioplastie, die Leben retten. Und hoppla, da ist es ja wieder, das Wort, Plastik, das Formen und Erschaffen: Sogar beim Erweitern der Herzkranzgefäße – ­­eben jener Angioplastie – kommt man nicht drum herum. Und last but not least ist es die Luft- und Raumfahrt, die ohne Plastik nie möglich geworden wäre: Der Traum des Menschen vom Fliegen – Plastik hat ihn wahr gemacht.

DER STOFF, AUS DEM DER FORTSCHRITT IST

Aber der Wunderstoff hat seine Nachteile. Große Nachteile, die uns jetzt zum Verhängnis werden. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Produktion von Plastik – vor allem Verpackungen – praktisch explodiert. Und der Begriff „Wegwerfgesellschaft“ war geboren. Plastik war billig, es war überall und schnell entsorgt, oft nach Sekunden des Gebrauchs. Die Hälfte des weltweit existierenden Plastiks wurde in den letzten 15 Jahren erzeugt und acht Millionen Tonnen Plastik wandern jährlich über Umwege in die Weltmeere,

Der erste Kunststoff entstand durch Zufall: Einem amerikanischen Chemiker fiel 1839 bei seinen Experimenten eine Mischung aus Kautschuk und Schwefel auf eine heiße Herdplatte – das Ergebnis war eine trockene, permanent elastische Substanz. Der Mann hieß Charles Goodyear. Kombiniert mit der Erfindung von John Boyd Dunlop, dem Fahrradluftreifen, läutete die Entdeckung des Gummis die gesamte Ära der Mobilität auf Asphalt ein. Das Besondere an

DESIGNMONAT GRAZ 2021

FLUCH UND SEGEN PLASTIK

REDESIGN THE FUTURE


­ erichten Umweltorganisationen. Jedes davon hat mittlerweile b seinen eigenen „Müllstrudel“ – gigantische schwimmende Wirbel, die aus Plastikabfall bestehen. Und sie sind hartnäckig, denn das, was dem Plastik seine besondere Magie verleiht – die Zusatzstoffe, die es stabil und stark machen – wird zu einem Fluch, sobald aus dem Sackerl Müll wird: Es dauert Jahrhunderte, bis sich Plastik auflöst, und als Mikroplastik – Teilchen mit einem Durchmesser unter 5 mm – schwimmt es durch das Meer, wird von Fischen aufgenommen und kommt über die Nahrungskette zurück in unsere Körper: Bei Fischproben aus dem Nordwestatlantik wurde in Dreiviertel aller Fischmägen Plastik gefunden.

ERNEUERBAR: NICHT IMMER GANGBAR Dass es höchste Zeit ist, dem Plastikmüll den Kampf anzusagen, steht außer Zweifel. Was auch feststeht: Verschwinden wird das Plastik nicht aus unserem Leben. Um das zu begreifen, muss man kein Kunstherz benötigen. Es genügt, wenn man während eines ordentlichen Regengusses einkaufen geht, die Einkäufe ins Trockene bringen will und einem dann ein Papiersack angeboten wird. Plastik hat schon seinen Platz in unserem Leben. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Abgesehen von der Vermeidung unnötigen Plastiks bietet sich eine auf den ersten Blick sinnvolle Lösung an: von fossilen Ausgangsstoffen wegzugehen hin zu erneuerbaren und abbaubaren Ressourcen, etwa Maisstärke. Viele Supermärkte bieten mittlerweile diese Sackerl aus „Bio-Plastik“ als Alternative an. Experten, etwa beim deutschen Umweltbundesamt, sehen das jedoch kritisch: Nicht nur dass der Lebensmittelkontakt

bei solchen Stoffen problematisch sein könnte, der Punkt ist: Sogenanntes Bio-Plastik ist nicht recycelbar. Und damit schließt sich ein Kreis: Vielleicht ist die Lösung für das Plastikproblem das Plastik selbst? Das kann man durchaus so sehen – allerdings mit großen Einschränkungen.

RECYCLING – ABER RICHTIG Plastik ist unverwüstlich. Was den Ozeanen und Schildkröten zum Verhängnis wird, ist aber gleichzeitig auch die Stärke des Materials: Es kann immer wieder neu verwendet werden. Zumindest in der Theorie. Plastik gibt es in verschiedenen Sorten, und nicht aus allen kann man jeden Gegenstand herstellen. Oft wird „downgecycelt“: Aus der PET-Flasche wird nicht eine neue PET-Flasche, sondern eine Textilie, die allerdings nicht recycelbar ist. Viele Plastikverpackungen sind von vornherein nicht wiederverwertbar, weil sich etwa eine Folie darauf befindet, die nicht sortenrein trennbar ist. Viele Plastikelemente landen außerdem im Restmüll, weil Konsumentinnen und Konsumenten das Plastik nicht selbst trennen können. Die Lösung des Plastikproblems könnte also durchaus im Plastik liegen, wenn es von Anfang an so produziert wird, dass es auch trenn- und recycelbar ist – und wenn die Kreislaufwirtschaft optimiert wird. Ein weiterer Fallstrick lauert in unserer Psychologie: Plastik zu vermeiden muss oberste Priorität bleiben. „Kauf das, das ist aus Plastik, das ist wieder­ verwendbar!“ ist der falsche Ansatz. Ein unverzichtbares Glumpert ­bleibt es ­letztendlich doch, das Plastik. Und zwar eines, das Welten erschafft.

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Fantastic Plastic heißt der Titel der Ausstellung, die als Kooperation mit dem Moscow Design Museum nach Graz kommt. Das wird Klimaaktivisten ganz schön provozieren – aber nur auf den ersten Blick. Was wie ein Lobgesang auf ein Un-Material daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Sammlung von Antworten auf eine brennende Zukunftsfrage: Wie kann Design mit Plastik umgehen und es in eine Wirtschaft integrieren, die klimafreundlich und nachhaltig ist? Die 70 Produkte von 27 internationalen und nationalen Designstudios zeigen, dass der „Circular Economy“ der Zukunft gehört. Text: Susanne Ary

111 Navy Chair made of 111 recycled plastic bottle, Foto: Emeco

MÖBEL, MODE

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Linz Hocker, Thomas Feichtner, Foto: Studio Thomas Feichtner

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enn die neu gekaufte Jeans im Stoff­beutel statt im Einweg-Plastiksackerl verschwindet, gibt uns das ein gutes Gefühl. Woran die meisten aber nicht denken: Es sind die Fasern der gekauften Hose, die bei jedem Waschgang Abrieb erzeugen, der dann irgendwann im Meer landet und zu Mikroplastik wird. Die Modebranche als Top-Klimasünder? Dem ehemaligen Designer im Mode- und Produktbereich Cyrill Gutsch war das schon sehr früh bewusst. Der Deutsche, der jetzt in New York lebt, gründete 2012 die gemeinnützige Organisation „Parley for the Oceans“. Ihre Mission: Weg mit dem Plastik aus den Ozeanen. „Plastik ist das Symbol für unser giftiges Zeitalter“, sagt Gutsch. Und es ist die Modebranche, bei der er die größten Potenziale für den Klima- und Meeresschutz sieht. Er hat sich mit großen Marken wie Adidas zusammengetan, um gemeinsam nachhaltige Kollektionen zu entwerfen. Dazu entwickelte er ein eigenes Upcycling-Material, das mit der Marke „Ocean Plastic“ geschützt ist.

SCHRITT FÜR SCHRITT NACHHALTIGER Adidas produziert Mode für Sport und Freizeit, ein Bereich, der ohne Kunststoff nicht auskommt, denn Funktionskleidung und Sportausrüstung brauchen die Vielseitigkeit des Plastiks. In Sachen Nachhaltigkeit kommt es aber darauf an, woher das Plastik kommt. Das „Ocean Plastic“ von „Parley for the Oceans“, aus

& MEER dem Adidas unter anderem Turnschuhe herstellt, stammt von Müllbergen aus den Küstenregionen der Welt, etwa von den Malediven. Dort sammelt das Parley-Team das Plastik ein, bevor es im Meer landet. Zum Produktionsort kommt es per Schiff – auf Flüge wird verzichtet. Für Adidas passt die Kollektion gut ins Nachhaltigkeitsportfolio. Das Unternehmen möchte bis 2024 ausschließlich recyceltes Polyester in seinen Produkten verwenden. Das Meer und das Klima werden sich freuen.

DER ALTE MÜLL UND DAS MEER Plastikmüll, der sich in riesigen „Plastic Patches“ auf den Weltmeeren zusammenballt und dort für Jahrhunderte bleibt, hat auch das mehrfach ausge­ zeichnete Studio Swine, bestehend aus dem britischen Künstler Alexander Groves und dem japanischen Architekten Azusa Murakami, inspiriert. Es zeigt für „Fantastic Plastic“ den „Sea Chair“, einen Sessel

aus Plastik, das aus dem Meer gefischt wurde. Das Projekt wurde auch als Film umgesetzt. Der Australier Brodie Neill arbeitet als Möbeldesigner in London und präsentiert „The Capsule“, eine moderne Sanduhr mit Mikroplastik aus dem Meer. „Die Sanduhr symbolisiert die begrenzte Zeit, die wir noch haben, um den Planeten zu retten“, so der Designer. „Plastik ist der neue Sand“, sagt er. Der Ozean hat auch die Gestalterin Miwa Koizumi inspiriert. Die Japanerin lebt und arbeitet in New York, wo sie begann, sich für den Müll auf den Straßen zu interessieren. Für ihren Ausstellungsbeitrag nahm sie alte PET-Flaschen, zerschnitt sie und verwandelte sie mittels Thermoforming in Meereslebewesen, von Quallen bis zu Anemonen.

DESIGN, DAS SITZT

Ein Meer aus Hockern, natürlich aus Plastik, hat der renommierte österreichische Designer Thomas Feichtner 2009 in Linz entstehen lassen, das damals

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Fantastic Plastic „Kulturhauptstadt Europas“ war. 1.000 Stück der bequemen und stabilen Sitzgelegenheit namens „Linz Hocker“ mit drei Beinen waren anlässlich der Ausstellung „Der Fall Forum Design“ zu sehen. Aber nicht nur zu sehen: Die Besucherinnen und Besucher konnten sich die Designstücke sichern und mit nach Hause nehmen. Die Installation, die zu 100 % aus recyceltem Plastik bestand, löste sich also nach und nach auf und wanderte in die Linzer Haushalte. Das stehe für die „Demokratisierung von Design“, sagt Thomas Feichtner. Die Hocker sind mittlerweile zu einem Klassiker geworden, zu einem begehrten Sammlerstück – weit über Linz hinaus. Der Linzer Hocker steht dabei nicht nur für Nachhaltigkeit, sondern auch archetypisch für das Design an sich: Ein Stuhl ist das elementarste Möbel, sein Zweck ist offenbar. Er mag seine Form ändern, sein Material, aber er ist immer funktional – ­ und heutzutage auch nachhaltig.

HEILMITTEL GEGEN DEN KLIMAWANDEL Mit Sesseln und Stühlen hat „Sister Blister“ nichts zu tun, außer was den Namen des Designstudios angeht: Fidel Peugeot und Karl Emilio Pircher sind Gründer von „Walking Chair Studio“. Seit 2004 in Wien angesiedelt, gestaltet das multidisziplinäre Team alles von Grafik über Produkte bis zur Architektur. Unkonventionelle Schrägheit ist dabei gern Teil des Konzepts, was bei der Lampe „Sister Blister“ leuchtend klar wird. Kooperationspartnerin für die Design-Lampe ist Karin Simonitsch, ihres Zeichens Pharmazeutin in der Wiener Marien Apotheke und ausgestattet mit einem feinen Sinn für Kreativität – und Humor. Sie war die erste Kundin von Walking Chair. In ihrer Apotheke kommt „Daisy“ zum Einsatz, eine computergesteuerte Verpackungsmaschine für Medikamente. Sie öffnet die bekannten Blister-Verpackungen für Tabletten automatisch, wenn die Apotheke große Mengen Medikamente an Krankenhäuser oder Pflegeheime liefert. Die leeren Verpackungen in allen Farben bleiben dann zurück.

GLÄNZEND NACHHALTIG Eine Mischung aus Plastik und Aluminium, wie sie Blister-Verpackungen darstellen, ist problematisch zu recyceln – aber sie sieht interessant aus und glitzert in allen Farben. Die Apothekerin hatte eine Idee – sie tat sich also mit Walking Chair Studio zusammen und gestaltet seither aus Blister-Verpackungen Lampen in allen Varianten und Größen: hängende Leuchten, Schreibtischlampen, Wandlichter, Bodenbeleuchtung. Die bunten Tablettenverpackungen haben schon auf der Design Week in Bulgarien gestrahlt und sie erleuchteten die Lounge im Bundesministerium für Gesundheit anlässlich der AIDS-Konferenz im Jahr 2010. Auch das Forschungszentrum für Molekularmedizin in Wien hat sich „verblistert“ und leuchtet mit Tablettenverpackungen. Die kleinste Version heißt „My Sister Blister“, leuchtet mit 40 Watt und kommt in einer handlichen Geschenkbox.

Sister Blister Dog, Foto: walking-chair.com

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„LEBEN A OHNE PLASTIK? UNMÖGLICH!“

ls Kuratorin für Design-Projekte in der niederländischen Botschaft in Moskau bemerkte Alexandra Sankova, dass es in Russland keine Institution gab, die sich mit Design auseinandersetzte. Daher gründete sie im Jahr 2012 das Moskauer Design Museum, das auch Ausgangspunkt der Ausstellung „Fantastic Plastic“ ist. Frau Sankova, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Ausstellung über Plastik zu machen? Während meiner Arbeit als Designexpertin bei der niederländischen Botschaft habe ich auf meinen Reisen viele Ausstellungen, Workshops und Vorträge über Plastikrecycling besucht. 2017 startete in Russland eine staatliche Plastikrecycling-Initiative, vorher haben wir Plastik nicht vom restlichen Müll getrennt. Unser Projekt kam da genau zum richtigen Zeitpunkt. Wir wollten die besten internationalen Beispiele von wiederverwendetem Plastik nach Russland bringen, um die russischen Designer dazu zu inspirieren, mit diesem „neuen“ Material zu arbeiten. In Europa weisen immer mehr Stimmen darauf hin, dass wir weniger Plastik und mehr alternative Materialien verwenden sollten. Warum haben Sie dennoch den recht provokanten Titel „Fantastic Plastic“ gewählt? Was ist – trotz der negativen Umweltauswirkungen – so „fantastisch“ an Plastik? Über die Gefahren von Plastikabfall wurde schon viel gesagt, es ist aber essenziell, den Blick auch auf die einzigartigen Qualitäten von Plastik zu richten, denn Leben ohne Plastik ist unmöglich, medizinische Geräte und vieles mehr bestehen daraus. Plastik hat einen langen Lebenszyklus, kann die Struktur jedes Materials nachahmen und oft und günstig recycelt werden. Heutzutage ist Plastik ein Weltproblem, aber eigentlich nur, weil wir Plastik jahrelang nicht recycelt haben und auch heute nur wenig recyclen. Wir sollten 100 % wiederverwenden und gleichzeitig alternative Materialien wie Bioplastik einsetzen.

Interview: Eva Egger

Das vollständige Interview mit Alexandra Sankova ­ finden Sie auf www.designmonat.at.

Manche Umweltschützer könnten befürchten, dass die Ausstellung suggeriert, dass wir beliebig viel Plastik verwenden können – „gib es einfach in die richtige Tonne und das war’s“. Was sagen Sie zu solchen Befürchtungen? Tägliche Abläufe wie das Kaufen von abgepackten Lebensmitteln sollten so konzipiert sein, dass der Käufer den Abfall automatisch in die richtige Tonne wirft. Hier braucht es Design Thinking. Gleichzeitig sollte natürlich jeder so viel Umweltbewusstsein haben wie möglich. Wir können nicht garantieren, dass alle Ausstellungsbesucher unsere Message so begreifen wie vorgesehen. Wir tun, was wir können, und hoffen, dass unsere Besucher ihre Einstellung zu recyceltem Plastik ändern. Die Ausstellung soll zeigen, dass recyceltes Plastik als Material wichtig für die Umwelt und unsere Gesellschaft ist und praktisch in der Produktion. Und sie soll die noch immer bestehenden Stereotype darüber, dass recyceltes Plastik von minderer Qualität ist, endgültig beseitigen. Könnten Sie uns einige Highlights der Ausstellung nennen? Zu den wichtigsten Designprojekten zählen Kinderspielzeug und Kindermöbel. Um eine Generation heranzuziehen, die sich um unseren Planeten kümmert, müssen wir das Wiederverwenden von Materialien quasi in die DNA unserer Kinder einbauen, sodass diese Prozesse Teil ihres Alltags werden. Bei EcoBirdy handelt es sich etwa um Kindermöbel, die aus kaputtem Plastikspielzeug hergestellt wurden, das Kinder vorbeigebracht haben. Diese Möbel werden dann von Kindergärten gekauft, sodass die Kinder aus eigener Erfahrung lernen, dass durch Recycling aus Spielzeug Möbel gemacht werden können! Das Designprojekt der niederländischen Firma Muima zeigt Spielzeug, das im Rahmen eines kenianischen Sozialprojektes von studentischen Designern hergestellt wurde. Die Firma bezahlt einen anständigen Lohn an ihre Plastiksammler und beschäftigt 11 Familien, denen der gesamte Profit zukommt.

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KLIMAKULTUR: GESTALTUNGSLUST STATT KLIMA-FRUST Text: Wolfgang Schober

Klima-Kultur-Pavillon: Mit einem Wald mitten in Graz bringt ein­­ interdisziplinäres Kollektiv nicht nur Frischluft in die City, sondern ­sorgt auch für eine Frischzellenkur in der Klimadebatte. Warum wir eine neue Klimakultur brauchen und wie der Städtebau von morgen mit Klimadesign verknüpft ist, erklären Andreas Goritschnig und Karlheinz Boiger von „Breathe Earth Collective“.

Frisches Waldgrün in der City: Der Klima-Kultur-Pavillon ist ein Projekt im Rahmen von Graz Kulturjahr 2020, Fotos: Breathe Earth Collective

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Begehbares Anschauungsobjekt und Plattform für einen klima-positiven Austausch: der Klima-Kultur-Pavillon am Grazer Freiheitsplatz

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b der Kaiser den Wald vor lauter Bäumen noch sieht? Schließlich ist es auch für Franz I.­­ eine Premiere. Vom Denkmal am Grazer Freiheitsplatz aus blickt der Habsburger in diesen Tagen auf eine grüne Oase – einen Wald mitten im Urbanen. 18 Meter Durchmesser zählt das Waldstück mit Bäumen, Sträuchern, Stauden und Kräutern, hineingepflanzt ins Grazer Zentrum. Irritation, Installation oder Inspiration? Alles und noch mehr, geht es nach der Grundidee der Walderschaffer. Der Mini-Forst ist Herzstück des „Klima-Kultur-Pavillon“ Graz 2021, initiiert von Kreativen des „Breathe Earth Collective“, das mit seiner aufsehenerregenden Installation gleich mehrere Ziele verfolgt. Zunächst steht der Pavillon samt Vegetation als Prototyp für städtebauliche Konzepte zur Kühlung, Luftreinigung und Sauerstoffproduktion im urbanen Umfeld. Grüne Infrastruktur für die Stadt der Zukunft. Ein Zugang, mit dem das Grazer Kollektiv bereits als Teil des team.breathe.austria bei der Expo

2015 in Mailand – als Gestalter des Österreich-Beitrags „Breathe.Austria“ – ein internationales Publikum beeindruckte. Danach gingen urbane Wald-Installationen, sogenannte „Airships“, des preisgekrönten Teams auf Tournee und waren an öffentlichen Plätzen hitzegeplagter Metropolen ausgestellt – in Mailand, Rom, Bordeaux oder Wien. Nun kehrt die Wald-Idee gleichsam an ihren Geburtsort zurück und schlägt am Grazer Freiheitsplatz Wurzeln – allerdings in neuer Form und mit einer entscheidenden Erweiterung: der Ausrufung einer Klima-Kultur.

KLIMA-POSITIV STATT NEGATIV „Der Pavillon soll nicht nur Erlebnisobjekt für technisch unterstützte Frischluftproduktion im urbanen Kontext sein, sondern dient als lebendige Plattform für den Austausch von Wissen, Ideen und Initiativen“, betont Andreas Goritschnig von „Breathe Earth Collective“. „Dazu haben wir ein dichtes Diskurs- und Klima-KulturProgramm geplant.“ Klima-Kultur? „Ein bewusst gewählter Begriff, da wir überzeugt sind, dass es ein neues Bewusstsein für den Umgang mit dem Klimawandel braucht“, so der Grazer Architekt. „Wir müssen weg vom Fatalismus und der selbstgeißelnden ,Sünder-Mentalität‘ vieler Menschen beim Thema Klimaschutz. Haltungen, die zu Ohnmacht und Lähmung führen und damit keine Veränderung zulassen. Veränderungen sind nur möglich, wenn wir uns dem Thema mit positiven Emotionen zuwenden – mit Freude, Lust und Begeisterung im Sinne einer neuen Klima-Kultur, die es uns erlaubt, die aktuell größte Herausforderung für die Menschheit als aktive und positive Auseinandersetzung zu erleben. Der KlimaKultur-Pavillon ist ein öffentlicher Ort für die Begegnung von Menschen, die einander Zeit, Mut, Inspiration und jedwede Art von Ressourcen bieten, um die Herausforderung gemeinsam zu schultern.“ Eine Reihe von Veranstaltungen (Vorträge, Workshops, Ausstellungen und Theateraufführungen) sind dazu – je nach Corona-Lage –­ in und um den Pavillon geplant.

THINK AND DO TANK „Der negative Diskurs erstickt jede Aktivität im Keim. Nur wenn wir klima-positiv werden, haben wir die Chance, die große Zukunftsaufgabe zu meistern. Klimaschutz muss Spaß machen“, ergänzt Karlheinz Boiger, Mitglied von „Breathe Earth Collective“ und Architekt bei Hohensinn Architektur. „Der Pavillon soll Menschen und Ideen genau in diesem Geist zusammenbringen und als neuer öffentlicher Raum zum Vernetzen, Engagieren und Erleben von Klima dienen. Als Prototyp für gebaute Klima-Räume ist er aber auch selbst bestes Beispiel dafür, was in einer Stadt möglich ist und welchen Impact Vegetation in Verbindung mit Technologie schaffen kann.“ Ein Projekt als „Think and do tank“. „Jeder ist eingeladen mitzumachen und einen Beitrag zu leisten. Daher wollen wir möglichst viele Menschen vor Ort mit der Idee inspirieren, die ein klima-positives Bewusstsein weitertragen.“

IM AUGE DES TORNADOS Naturgemäß ist auch der Pavillon selbst klimafreundlich konstruiert – in modularer Holz-Bauweise aus Standardelementen, die später rückgebaut und wiederverwendet werden können. Die Fassade des Pavillons ist zudem mit Textilien verschattet, um ein kühles Waldklima sowie hohe Aufenthaltsqualität zu generieren. Technologisch einfach unterstützte, natürliche Prozesse zur natürlichen Verdunstungskühlung im Wald schaffen ein angenehmes Mikroklima. Ein cooler Hotspot der Klimakultur. Oder: „Wir sehen den Pavillon als ruhiges Zentrum im Auge eines Tornados, der sich da draußen zusammenbraut“, bringt es Andreas Goritschnig auf den Punkt. Ein Orkan der Veränderung, der gerade auch ­ die Stadtplanung proaktiv fordern sollte. Karlheinz Boiger: „Wir befinden uns mitten in einem Transformationsprozess und müssen bereits heute beginnen, die Stadt in 20 Jahren mitzudenken und zu gestalten. Dazu gehören ganz wesentlich auch die kommenden Klimaveränderungen. Die Gestaltung des öffentlichen Raums wird immer mehr zur Frage des Klima-Designs. Schon mit verhältnismäßig geringen Maßnahmen an neuralgischen Punkten einer Stadt lassen sich spürbare Wirkungen für das Stadtklima erzielen. Technologische Lösungen, die unseren Installationen zu Grunde liegen, lassen sich künftig auch in die Breite bringen und im größeren Maßstab einsetzen. Mit unseren Protoytpen liefern wir den Beweis, dass diese Lösungen funktionieren.“

Breathe Earth Collective – Verein zur Förderung von ­Klimakultur Das Breathe Earth Collective versteht sich als interdisziplinärer „Think and do tank“ zum Thema Luft und Klima, welcher an der Entwicklung und Umsetzung von ganzheitlichen Lösungen, wie beispielsweise der Schaffung von urbanen Ökosystemen arbeitet. Das transdisziplinäre Team arbeitet an der Grenze von Architektur, Kunst und Urbanismus in nicht hierarchischen Netzwerken, um für komplexe Herausforderungen neue Lösungen zu entwickeln.

Zahlreiche Projekte und Auszeichnungen (Auswahl): • „Outstanding Artist Award 2018“, Experimentelle Tendenzen in der Architektur, Bundeskanzleramt • „Aerosol“, Installation, im Rahmen der Gruppen-­ ausstellung ‚Dynamics of Air‘ in Melbourne (2018) • „Airship.01 – Kulturwald“, mobiler Pavillon für die Österreich-Werbung in Mailand/Padua/Rom (2016) • „Shenzhen Grand Design Award for Young Talents“ (2015) • Breathe.Austria – Österreichischer Pavillon auf der Expo 2015, Mailand, im team.breathe.austria Die Mitglieder: Karlheinz Boiger (Hohensinn Architektur), Lisa Maria Enzenhofer (Green4Cities GmbH), Bernhard König (Green4Cities GmbH), Andreas Goritschnig (Studio AG) und Markus Jeschaunig (Agency in Biosphere) www.breatheearth.net

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Foto: Miriam Raneburger

DESIGN ZUR PRIMETIME

Die alljährliche Schlacht um das beste ­­ Design steht in den Startlöchern. Die ­„Design Battle“ der Creative Industries Styria gibt es in diesem Jahr zwar nicht als Live-Event, d ­ afür als Online-Übertragung im Hauptabend­programm.

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Dann geht’s los. Gefragt ist alles, was die KreativSchlacht hergibt: Skizzen, Geistesblitze, Notizen, Entwürfe, Kreativergüsse … Querdenken ist erlaubt und erwünscht, ebenso jedoch eine Portion Realismus. Denn der Entwurf muss problemlos umsetzbar sein – und zwar noch am selben Abend durch Profis der Tischlerei Prödl, die einen Prototypen anfertigen. Dafür stehen rund fünf Stunden zur Verfügung. Klingt machbar? Ist es auch, eines ist jedoch ratsam: nämlich die Vorbereitung ernst zu nehmen und sich im Vorfeld eingehend mit dem Möbelstück zu beschäftigen, das entstehen soll. Fazit: Schlacht ist es keine, aber herausfordernd – und es macht unheimlich Spaß. Auch in weniger lustigen und distanzierten Zeiten wie diesen wird die Design Battle veranstaltet. Nur findet das Spektakel heuer online statt, und zwar im „Hauptabendprogramm“. Zu sehen am 27. Mai auf www.designmonat.at.

Foto: Miriam Raneburger

ine Design Battle, das bedeutet in der Regel: eine auf den ersten Blick gar nicht so schwierig anmutende Aufgabenstellung, ein motivierter Partner oder eine ebensolche Partnerin und wenig Zeit, um ein Designstück zu erschaffen. Der kreative Nahkampf folgt einem klaren Ablauf: Designerinnen und Designer und kreative Denkerinnen und Denker aus anderen Spezialgebieten und Disziplinen treffen in vier 2er-Teams zum Schlagabtausch aufeinander. So werden etwa Agentur-Chefs mit Interior Designerinnen oder Architektinnen mit Marketing-Experten zusammengewürfelt, allesamt begleitet von einer fachkundigen Jury, die das Siegerprojekt kürt, und einer exklusiven kulinarischen Begleitung. Exakt 24 Stunden vor der „Battle“ erfahren sie, welches Objekt sie in den nächsten Stunden gestalten sollen. Dieses ist – naheliegend – aus Holz, etwa einen Hocker (2019), einen Kleiderständer (2018), ein Beistelltisch (2017) oder ein Tablett (2016).

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DESIGN AUF ­HÖHERER EBENE

Text: Daniela Müller

Der Waldpark Hochreiter auf der Teichalm hat sich neu aufgestellt. Entstanden ist ein gemütlicher und klug gestalteter Raum für Kinder und Eltern. Nun soll im Rahmen eines Designwettbewerbs das Zuhause der Hasen neu gestaltet werden – von Kindern.

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or Kurzem machte sich ein Journalist in einer deutschen Wochenzeitung Gedanken über einen Spielplatz in Berlin. Über die Zeit, die er seinen Berechnungen zufolge in seinem Leben als Vater dort verbringen wird (er schätzt sie auf 4.680 Stunden), seine Not (nur eine Bank für die wartenden Eltern, weil der Stadt das Geld ausgegangen ist) und darüber, dass er Spielplätze eigentlich hasst. Wie wahr. Nirgends vergeht die Zeit so langsam wie auf dem Spielplatz, nirgends ist die Kälte so kalt und die Langeweile so langweilig. Und doch lässt sich an diesem Ort ablesen, ob DesignerInnen und PlanerInnen ihre Hausaufgaben gemacht haben und sich Kinder wie Eltern dort gern aufhalten. Angelika und Erhard Pretterhofer haben sich dieser Herkulesaufgabe angenommen. Zugegeben: In ihrem Waldpark Hochreiter (vormals Ökopark Hochreiter), einem Naturidyll auf der Teichalm, ist das nicht besonders schwer. Nach vier Monaten Bauzeit wurde der Natur- und Tierpark auf der Teichalm kürzlich neu eröffnet. Die Pretterhofers treten damit den Beweis an, dass es Synergien gibt zwischen den Vorstellungen von Eltern, wie ein schöner Tag in der Natur ablaufen kann, und denen der Kinder.

LEHRMEISTER THEO, 3 JAHRE Der Neugestaltung ging ein Strategieprozess voraus, der von der Creative Industries Styria, der Agentur Zwupp und Sandra Reichl begleitet wurde. Herauskristallisiert haben sich als elementare Aspekte das spielerische Waldwissen und die Gemütlichkeit, um die herum alle Gestaltungsmöglichkeiten durchdekliniert wurden, vom pädagogischen Konzept über das Corporate Design bis zu den Sitzmöbeln. Der gemeinsame Nenner: Als Designelement sorgt Holz für traditionell-moderne Gemütlichkeit, bei der Wissensvermittlung soll es um Spaß und spielerisches Lernen gehen und der Designwettbewerb „Kreawawuzi“ soll die Kinder in den Gestaltungsprozess einbeziehen – learning by doing sozusagen. Als Generalunternehmer holte man sich den Holzspezialisten Josef Göbel ins Boot, die Spielgeräte kommen von Almholz, beides Betriebe aus der näheren Umgebung. Inhaltlich schöpfte das Ehepaar Pretterhofer auch aus dem Erfahrungsschatz, den ihnen ihr dreijähriger Theo tagtäglich aufzeigt. Und als Mutter weiß Angelika Pretterhofer, wie ein Familienausflug zur logistischen Herausforderung wird: Gibt es eine Wickelmöglichkeit, eine Mikrowelle, um das Essen zu wärmen, oder schlicht einen Gartenschlauch, mit dem das viele Braun von der vormals hellblauen Gatschhose gewaschen werden kann? (Im Waldpark Hochreiter lautet die Antwort: ja!)

DESIGN ZUM VERWEILEN Was den „Amüsementbereich“ der Eltern betrifft, so setzt man auf funktionales Design. Das Ehepaar Pretterhofer wollte Möbel, die zum Sitzen, Liegen oder Essen genutzt werden können. Der Designer Lukas Klingsbichl hat aus der Idee eine modulare Möblierung gestaltet, die aus einem Liegeteil, einem Sitzteil und einem Deckteil besteht, das, im Quadrat zusammengestellt, auch Schatten bietet. Die Form ist geschwungen und eignet sich so bestmöglich für die gedachten Einsatzzwecke. In der Sitzbank spiegeln sich sogar die Formen der neu gestalteten Terrasse, erklärt Lukas Klingsbichl.

Foto: DF-fotografie.at

Über das Gelände verteilte Picknickhäuschen laden zum Jausnen ein, wer sich lieber bedienen lassen will, findet im Restaurant „Baumhaus“ mit insgesamt 170 Plätzen ein entsprechendes Angebot.

DESIGNWETTBEWERB „KREAWAWUZI“ Den Waldpark-Betreibern ist in ihrem zehn Hektar großen Gelände mit 21 verschiedenen, heimischen Tierarten zum Füttern und Streicheln eine naturnahe und kindgerechte Wissensvermittlung rund um das Thema Wald wichtig. Die Spielflächen innen wie außen sind mit Spielsachen bestückt, die zum Selbstbauen und Experimentieren einladen und nach Bedarf und nach Wünschen der kleinen Gäste erweitert werden. Sohn Theo wird auch weiterhin Ideengeber bleiben. Und weil bei „Better Future“ auch Kinder ein Wörtchen mitzureden haben sollten, startet der Waldpark Hochreiter heuer den Designwettbewerb für Kinder, „Kreawawuzi“. Künftig sollen Kinder im Rahmen des Designmonat Graz jedes Jahr einen anderen Bereich des Tiergeheges gestalten, heuer sind die Hasen an der Reihe, für sie soll eine Spielecke gestaltet werden. Wie glauben Angelika und Erhard Pretterhofer, dass Kinder bei ihrer Planung vorgehen? „Wir glauben, dass sie von ihrer eigenen Welt ausgehen und erwarten auch Vorschläge, die den Kindern selbst gefallen könnten, Rutschen oder Schaukeln für Hasen beispielsweise“, sagt Angelika Pretterhofer. Und Erhard ergänzt: „Ziel soll jedenfalls sein, den Lebensraum des Tieres zu verbessern, die Vorschläge müssen tiergerecht und umsetzbar sein.“ Nachsatz: Kreative Mamas und Papas können dabei gerne unterstützen.

Kreawawuzi Kinder sind aufgerufen, im Waldpark Hochreiter das Gehege der Hasen gemütlicher zu gestalten. Die Hasen sollen eine Spielecke erhalten, wo sie laufen, springen, sich verstecken können. Bis 1. Juni können Zeichnungen oder gebastelte Ideen eingereicht werden. Am 14. Mai gibt es die Gelegenheit, sich bei einer Sonderführung ein Bild über das Gehege und den Waldpark zu machen. Die Führungen finden um 14.30 und um 16.30 Uhr statt. Der Gewinner oder die Gewinnerin wird am 5. Juni beim großen Nachwuchsdesigner-Event im Waldpark Hochreiter prämiert. Waldpark Hochreiter, An der Teichalmstraße 1, 8614 Breitenau am Hochlantsch, täglich geöffnet von 9.30 bis 18 Uhr. www.waldpark.at

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EIN KREATIVER WINK MIT DEM ZAUNPFAHL

Ein Zaunbauer als Möbeldesigner? Diese Grenzüberschreitung wagen „H+S Zauntechnik“ und „H+S Designer of the Year“ ­Martin Mostböck in einer neuen Form der Kooperation. Der erste Output ist bunt, ausdrucksstark und allwetterfest: die Outdoor-Sitz­gruppe „A Bunch of Holes“. Text: Wolfgang Schober

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A Bunch of Holes, Foto: BN Lichtbilder

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äune im Kopf niederreißen und weit über die Grenzen des eigenen Territoriums hinausdenken. Eine Haltung, die das in Raaba angesiedelte Unternehmen H+S Zauntechnik seit Jahren praktiziert. Zwei erfolgreiche Designwettbewerbe des Zaunbau-Spezialisten in jüngster Vergangenheit – jeweils in Kooperation mit der Creative Industries Styria – zeugen davon. Hervorgegangen sind daraus aufsehenerregende Zaundesigns von heimischen Kreativen, die zum Teil auch ins Produktprogramm von H+S Eingang fanden – allen voran der Zaun „WunderBAR“ des Wiener Architekten und Designers Martin Mostböck. Das Zaundesign, das an Barcodes der Produktund Warenwelt Anleihen nimmt, ist heute Fixgröße im Portfolio des heimischen Zaunbauers.

H+S DESIGNER OF THE YEAR Martin Mostböck steht auch im Zentrum der aktuellen Designaktivitäten der Firma. Der fruchtbare Flow zwischen dem Designer und dem Auftraggeber aus Raaba mündete in eine neue Form der Zusammenarbeit, die Mostböck kurzerhand zum „H+S Designer of the Year“ machte. Die Idee: Ein Jahr lang taucht der Designer in die Welt von H+S Zauntechnik ein, um das Designpotenzial zu steigern und frische Produktideen zu kreieren. Ein Traditionsunternehmen als

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Martin Mostböck, Foto: Nathan Murrell


Günter Baumhackl und Martin Ritter, H+S Zauntechnik, Foto: BN Lichtbilder

Spielwiese für kreative Eskalationen. Die neue Ausrichtung: Nicht Zäune, sondern die Entwicklung von Möbeln aus Gittern, Drähten und Blechen soll vorangetrieben werden. „Das Unternehmen hat mit Gittermöbeln bereits Erfahrung und knüpft an eine gewisse Tradition an“, erklären Martin Ritter und Günther Baumhackl, Geschäftsführer von H+S Zauntechnik. „In den vergangenen Jahren entstanden, teils in Zusammenarbeit mit Top-Designern wie Thomas Feichtner, eine Reihe gelungener Möbeldesigns.“ Mit HoTi, einem Zwitterwesen aus Hocker und Tisch, sowie dem Gitterbild GiBi werden aktuell zwei Gittermöbel im Webshop von H+S vermarktet.

FRÖHLICHE LÖCHER Schon bald wird sich dort ein weiteres vielversprechendes Produkt hinzugesellen: „A Bunch of Holes“ nennt sich ein Outdoor-Möbel-Ensemble, ­bestehend aus einem Tisch und drei Hockern – das erste Ergebnis der „H+S Designer of the Year“-Kooperation. Die Möbelgruppe zeichnet sich durch ihre markante Löcher-Optik sowie durch eine fröhliche Farbkomposition aus. Ebenso ein zentrales Gestaltungselement inklusive funktionalem Mehrwert stellt die Stapelbarkeit dar. Die raffinierte Anordnung der Löcher erlaubt es, die Hockerbeine in den Tisch zu stecken und das Ensemble damit kompakt und platzsparend zu fusionieren. Die Löcher werden mittels Laser-Cutter aus Nirosta-Stahl geschnitten. „Dank der Lochstruktur sind die Möbel gut durchlüftet und trocknen nach einem Regen auch rasch“, erklärt Mostböck.

KOOPERATION AUF AUGENHÖHE Das Erfolgsrezept in der Zusammenarbeit? Langjährige Fertigungskompetenz in der Metallverarbeitung trifft hier auf erstklassiges Design-Know-how. Der Prototyp ist bereits finalisiert und wird im Rahmen des Designmonat Graz präsentiert. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Produktion einer Kleinserie auf Hochtouren. „Das gelungene Design, die anspruchsvolle Ausführung und das verwendete Material machen das Outdoor-Möbel zu einem hochwertigen Produkt, das wir auch im gehobenen Segment vermarkten wollen“, erklärt Martin Ritter, der – neben dem eigenen Webshop – den Vertrieb über Interior- und Einrichtungshäuser im Visier hat. Baumhackl: „Auch in der designaffinen Gastronomie und Hotellerie sehe ich für das Produkt hohe Marktchancen.“ Parallel wird bereits an einer Weiterentwicklung des Designs gearbeitet. „Wir sind gerade dabei, einen Sessel mit Rücklehne als zusätzliches Element von ,A Bunch of Holes‘ umzusetzen“, bestätigt Martin Mostböck. Weitere Ideen sollen im Laufe des Jahres folgen. Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe wird von beiden Seiten gelobt: Der pragmatische, kostenbewusste Blick der Unternehmer verbindet sich synergetisch mit dem experimentierfreudigen Zugang des Designers. Mostböck: „Es ist buchstäblich ein schöpferischer Austausch, der hier stattfindet, indem wir schrittweise herauszufinden, was der andere kann bzw. was er noch gar nicht weiß, dass er es kann. In diesem Spannungsfeld entstehen die besten Ideen.“

DER DESIGNMONAT WEIN 2021 IST VON KRENN 49 . DER WINZER . DIE WINZERIN .

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Der Parkraum ist heilig: den einen, um ihr Auto abzustellen, den anderen, um auf temporär installierten Möbeln, so genannten ­ ­Parklets, gemütlich sitzen zu können. Dieser ideelle Zweikampf kann friedlich enden. In Graz wird das versucht. Text: Daniela Müller

Entwurf: FIPE architects

KLEINE PARKS IM STRASSENRA

Entwurf: Studio WG3

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ermann Knoflachers „Gehzeug“ amüsiert noch immer. Mit seinem rechteckigen Brettergerüst zeigte das Enfant terrible der Verkehrsplanung in den 1970er-Jahren auf, wie ungleich der Verkehrsraum verteilt ist und wie viel Platz ein einziges Auto verbraucht. Jahrzehntelang wurde er für seine Ideen von verkehrsarmen bis -freien Zonen beschimpft, weil sich passionierte Autofahrer ihrer Leidenschaft beraubt sahen. 50 Jahre hat es gedauert, bis Knoflacher eine – wenn auch bescheidene – Menge an Bürgern hinter sich versammeln kann, die auf die Neuverteilung des Straßenraumes pocht. Darunter ist Kristin Lazarova, sie ist Architektin und Mitgestalterin der Initiative „Parklets für Stuttgart“.

ES BEGANN ALS KUNSTPROJEKT „Parklets“, das ist eine Neudefinierung von Parkraum, meist sind es temporär aufgestellte Sitzgelegenheiten auf öffentlichen Parkflächen. Mutige Stadtverwaltungen auf der ganzen Welt haben die Idee aufgegriffen, lassen aus Parkplätzen vorübergehend kleine Parks oder andere Nutzungsmöglichkeiten werden und heben damit die Diskussion um die Verteilung des Straßenraumes auf eine neue Ebene. Erstmals umgesetzt wurde diese Idee in San Francisco, dort hat Anfang der 2000er-Jahre ein Künstlerkollektiv für den Zeitraum von einer Stunde ein Parkticket gelöst, auf dem Parkplatz einen kleinen Teppich ausgerollt und Bank wie Blumentopf aufgestellt. Aus dieser Idee entstanden die Park(ing) Days, die es noch immer gibt. Jeweils am dritten Freitag im September erobern weltweit Menschen den öffentlichen Raum zurück und machen aus Parkplätzen Grünoasen, Sitzgelegenheiten oder Gastrozonen.

STUTTGART MACHT’S VOR Nach Stuttgart kam die Idee 2011, Kristin Lazarova und ihre Mitstreiter wollten sich nicht mit einem Tag begnügen, sondern aus den Park(ing) Days eine längerfristige Aktion machen. Ursprünglich planten sie, Parklets auf Rädern zu bauen, weil in Stuttgart nur Autos

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auf Parkplätzen stehen durften. Dass in der Autostadt Deutschlands naturgemäß ein enger Bezug zum fahrbaren Untersatz besteht, beschreibt Lazarova mit dieser Anekdote: Wenn es auf einem Parklet lauter wurde, kam die Polizei nicht so sehr wegen des Lärms, sondern weil der Parkplatz nicht für den definierten Zweck genutzt wurde, und zwar für das Abstellen eines Autos. Aus der Rebellion im Kleinen wurde eine hochoffizielle Angelegenheit: 2015 erreichten Lazarova und ihre Kollegen, dass von öffentlicher Stelle Parklets genehmigt und sogar gewünscht wurden, die von Studierenden des Instituts für Städtebau im Rahmen ihres Studiums entworfen, gebaut und installiert werden durften. Seit 2019 ist es in Stuttgart Privatpersonen erlaubt, Parklets aufzustellen. 2015 hat man erhoben, wie sich die Parklets auf die Umgebung auswirken. Die Straße wird stärker als einheitlicher Raum wahrgenommen, statt vorher als Dreiteilung: zwei Bürgersteige und dazwischen die fahrenden Autos. Dazu ein nettes Detail am Rande: Um eines dieser Stuttgarter Parklets herum hat sich eine feine Nachbarschaftsinitiative gegründet. Die Menschen dort hatten erst durch die Sitzgelegenheit die Möglichkeit, innezuhalten und einander kennenzulernen. Die Pros und Contras von Parklets hat man 2015 in Stuttgart genauestens studiert, dazu wurden Medienberichte, Facebook-Kommentare, Meinungen auf der Straße gesammelt und ausgewertet. Einen Aufschrei gab es in der Regel dort, wo man sich der Parkflächen beraubt sah, wobei: Es wären elf Standorte geplant gewesen, die die Stadt zu Parklets umnutzen wollte, wohlgemerkt von insgesamt 40.000 Parkplätzen in Stuttgart. Die Pro-Seite sah gerade die legitime Verdrängung des Autoverkehrs als nötig an, um den Verkehrsraum neu zu

definieren und mehr Platz für Menschen zu bekommen. Parklets sieht Lazarova mittlerweile eher als temporäre Einrichtung, vor allem aber als Anstoß, um Verkehrskonzepte und die Raumgestaltung neu zu denken. In Stuttgart hat das schon recht gut geklappt.

PARKLETS – DER ­WETTBEWERB Mit qualitätsvollen, architektonischen Interventionen sollen kleine gestalterische Hotspots geschaffen werden, die aufzeigen, wie sich Orte durch eine neue Benutzbarkeit verändern und wie sie gutes Design sichtbar machen können. Die Creative Industries Styria hat in Zusammenarbeit mit der UNESCO City of Design Koordinationsstelle der Stadt Graz und dem Holzcluster Steiermark zu einem Gestaltungswettbewerb für Parklets aufgerufen. Acht Architekturbüros aus dem Netzwerk ­ der Creative Industries Styria sollten mit dem Werkstoff Holz auf einer Größe eines Autoparkplatzes konsumationsfreie Verweilzonen entwerfen. Von den acht Entwürfen wählt eine Jury vier aus, die gemeinsam mit den Tischlereibetrieben des Holzclusters umgesetzt werden. Über die Stadt Graz verteilt sollen diese Verweilzonen – das können Sitzgelegenheiten sein, aber auch neuer Raum für Pflanzen oder Fahrräder – je einen Platz bekommen, vier Projekte werden als Prototypen umgesetzt. Die teilnehmenden Designerinnen und Designer: epps Architekten, HoG Architektur, FIPE architects, BRAUCHST., Studio WG3, KUESS Architektur, AVA – Andrea Vattovani Architecture, Architekt Reinhold Tinchon mit ai-design.

PARKLETS – DAS MATERIAL Accoya heißt das Material, aus dem die Parklets entstehen. Dabei handelt es sich um die Kiefernart Pinus Radiata, ein schnellwachsender Baum aus Neuseeland, der durch ein besonderes Druckimprägnierungsverfahren die höchste Haltbarkeitsklasse erreicht und sich für Anwendung im Außenbereich eignet. Details zum Holz verrät Peter Szapacs vom Holzhandelsunternehmen Hechenblaickner.

Entwurf: Achitekt Reinhold Tinchon und ai-design

Herr Szapacs, man hätte auch sagen können: Nehmen wir doch heimische Lärche für die Parklets. Szapacs: Klar hätte man das. Sie stehen möglicherweise ­ nur einen Monat und müssen das Kriterium Dauerhaftigkeit nicht erfüllen. Nachhaltiges Bauen bedeutet aber auch, genau zu überlegen, welches Holz für welchen Einsatz geeignet ist. Und hier schneidet Accoya am besten ab. In den Niederlanden gab es zwei Versuche an einer Kanalauskleidung, das acetylierte Holz zeigte nach 15 bzw. 20 Jahren im Vergleich zum unbehandelten keine Anzeichen von Verrottung und keine Erscheinungen von Zerfall oder Schäden durch holzzerstörende Pilze. Nicht umsonst gibt es für Accoya-Holz eine Garantiezeit von 25 Jahren bzw. ohne direkten Wasserkontakt und außerhalb von Bodennähe von 50 Jahren – bei einer Lärche (bodennah verbaut, Anm.) sind es im Schnitt nur fünf bis zehn Jahre. Gerade im Außenbereich macht es einen Unterschied, ob Holz zehn oder

30 Jahre hält. Accoya ist FSC®- und Cradle to Cradle mit Gold zertified™ und das einzige Baumaterial der Welt, das die C2C-PlatinZertifizierung für Materialgesundheit erreicht. Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, müssen wir auch Aspekte wie diese einfließen lassen und nicht nur auf den kürzesten Entwurf: Brauchst Transportweg achten. Was genau ist Accoya? Accoya ist zunächst der Markenname, dahinter steckt die Pinus Radiata, die mit Essigsäure, also einem Naturprodukt, chemisch modifiziert ist. An dieser Art der Modifizierung von Holz wurde schon vor hundert Jahren experimentiert, in den 1970er-Jahren hat man das Acetylierungsverfahren entwickelt, bei dem über dem Prinzip der Druckimprägnierung das Holz beständig gemacht wurde. Nur eben nicht mit den giftigen Chemikalien von früher, sondern mit Essigsäureanhydrid, dessen Nebenprodukt, die Essigsäure, durch Destillation gereinigt und wiederverwendet werden kann. Die Pinus Radiata stammt ursprünlich aus der Monterey-Bucht in Kalifornien und wird heute auf rund sechs Millionen Hektar weltweit angebaut, es ist ein typischer Baum, der in der nachhaltigen Waldwirtschaft eingesetzt wird. Würde der Baum auch in Österreich wachsen? Das wurde noch nicht versucht. Fakt ist, dass auch wir uns klimawandelbedingt nach Alternativen umsehen müssen. Unsere Fichte konnte ja auch nur zum „Brotbaum“ der heimischen Holzwirtschaft werden, weil man schon sehr früh in Österreichs Waldwirtschaft nachhaltig dachte. Die Fichte war zunächst die einzige Ressource für Feuer- und Heizmittel, um sie zu erhalten, wurde sie im Rahmen einer Wiederaufforstung vor etwa 200 Jahren großflächig und in gleichaltrigen Beständen angesetzt. Später wurde dem Wald Nutzholz auch für bauliche Zwecke entnommen. Während außerhalb Europas eher auf Kiefernarten zurückgegriffen wird, können wir bis heute sehr gut von der Fichte leben. Diesen Nachhaltigkeitsgedanken gilt es, nicht abreißen zu lassen. Für diese spezielle Druckimprägnierung des Holzes gibt es nur ein Werk, das ist in den Niederlanden. Warum macht man das nicht mit der Fichte in Österreich? Es wurde versucht, doch Fichte ist dafür zu astig. Funktionieren würde es jedoch mit der Erle, der Pappel oder der Buche. Doch dann hat man das Problem, dass für einen metalokalen Markt nicht genügend Menge vorhanden wäre. Bislang war die Nachfrage nach acetyliertem Holz eher gering, zuletzt hat man sich, was strapazierfähiges Holz im Außenbereich betrifft, eher an Tropenhölzer gehalten. Doch es findet bereits ein Umdenken statt. Wo ist Accoya bei uns im Einsatz? Die pinke Fassade der Martin-Auer-Filiale am KaiserJosef-Platz ist aus Accoya sowie die begehbaren Holzflächen wie auch die Liegeflächen des „Lebensraums Mur“ bei der Seifenfabrik. Weil das Holz so beständig ist, schiefert es auch nicht. Optimal also für Decks und Plattformen in Parks oder dort, wo Kinder spielen und man barfuß die eigene Terrasse begehen möchte. Accoya ist auch wartungsärmer bei deckenden Oberflächenbeschichtungen, eine Nachbehandlung sollte nur alle sieben bis zehn statt drei bis vier Jahre erfolgen.

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KUNST AUS ERDE UND FEUER

Foto: Federico Floriani

Text: Daniela Müller

Alice Stori Liechtenstein holt mit der Schau „Earth and Fire“ Keramikkunst nach ­Hollenegg. Über einen Werkstoff, der es verdient, aus der „Bastlerecke“ geholt zu werden.

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Foto: Marie Janssen

eramik fristet in der Kunst ein Mauerblümchendasein. Dabei hat der Werkstoff so viel drauf, er hat so viel zu erzählen. Alice Stori Liechtenstein will das ändern. Ab 15. Mai treten auf Schloss Hollenegg alte und neue Keramikkunst in einen Dialog. Neben Imari-Porzellan, chinesischen Vasen, Augarten-Teetassen, Meißener Figuren und persischen Fliesen aus dem Besitz der Familie Liechtenstein wird zeitgenössische Kunst zu sehen sein, vornehmlich von österreichischen DesignerInnen und KünstlerInnen. Das ist auch der Anspruch der Schau mit dem Titel „Earth and Fire“: den ältesten Werkstoff in all seinen Facetten zwischen Handwerk und Kunst darzustellen. Keramik gab es schon immer. Primitive Gesellschaften stellten aus dem allseits verfügbaren Bodenschatz Gefäße zur Aufbewahrung her, nach und nach kamen ästhetische Aspekte dazu. Die Techniken selbst sind so vielfältig wie die Böden, die den Rohstoff liefern. Das Ergebnis hat mit Chemie zu tun, mit Geologie und Technologie, aber auch mit Geschmack und Ästhetik. „Earth and Fire“ soll eine Entdeckungsreise sein und den unglaublichen Einfallsreichtum von HandwerkerInnen und DesignerInnen zeigen. Etwa das Meerohr, eine Installation der jungen österreichischen Künstlerin Marie Janssen. Sie lädt die Bevölkerung ein, dabei zu sein, wenn ihre Brunnenschale aus glasierter Keramik in Muschelform in einem Waldstück nahe des Rossstalls in Hollenegg entsteht. Von der Modellierung bis zum Glasurbrand können Interessierte dem künstlerischen Gestaltungsprozess beiwohnen. Das als permanente Kunst im öffentlichen Raum konzipierte Brunnenprojekt wird von der Gemeinde Bad Schwanberg, dem Land Steiermark, dem Bundeskanzleramt, Schloss Hollenegg for Design, Sponsoren und privaten Förderern unterstützt. Die Ausstellung wird von Alice Stori Liechtenstein und Rainald Franz, Kurator für Glas und Keramik im MAK in Wien, als Gastkurator kuratiert.

Foto: Federico Floriani

lice Stori Liechtenstein lädt jedes Jahr Künstlerinnen und Künstler ein, um auf Schloss Hollenegg ihre Werke zu präsentieren. Dieses Mal hat sie sich des Themas Keramik angenommen.

Frau Stori Liechtenstein, warum hat es Keramik nicht recht aus der Hobbybastlerecke herausgeschafft? Wer schon einmal vor einer Töpferscheibe gesessen ist, weiß, wie schwierig es ist, eine Vase zu töpfern. Alice Stori Liechtenstein: Das stimmt, es steckt viel Technik dahinter, wenn man dann noch mit Farben und Glasur arbeitet, ist chemisches Wissen notwendig. Bei Keramik weiß man nie, wie das Ergebnis wird, weil es stark von der Qualität der Erde und der Stärke des Feuers abhängt. Deshalb ist der Titel der Ausstellung auch „Earth and Fire“, die zwei wichtigen Elemente in diesem Zusammenhang. Ich sehe aktuell ein steigendes Interesse für Keramikkunst, es ist der richtige Zeitpunkt für diese Ausstellung. Besonders erfreulich ist, dass Augarten mitmacht und wir 2021 wieder mehr österreichische Künstlerinnen und Künstler dabeihaben. Warum verbindet man Keramik nur mit der „KunsthandwerkNische“? Wir wollen Sachen verstehen und brauchen dazu Schubladen. Das hilft uns, Dinge einzuordnen. Doch wir sollten die Sache anders sehen. Es sollte nicht um Kunst oder Design gehen, dieser Übergang ist oft fließend. Die meisten Kreativen können selbst oft nicht sagen, ob das, was sie tun, Design oder Kunst ist. Sie erschaffen Gefäße, Sessel oder einfach schöne Objekte. Interessant wird es, wenn genau diese Grenzen verschwimmen und man nicht sagen kann, ob das nun Design ist oder Kunst. Dann ist auch das Material unerheblich. Dieser Ansatz könnte Keramik eine neue Reputation bringen? Absolut. Das muss sich verändern, Keramik hat das verdient. Sie ist noch immer sehr stark mit weiblicher Handarbeit verbunden, dabei ist es viel mehr als ein „Ich geh jetzt dann ein bisschen mit Ton arbeiten“. Mich interessiert, wie umfangreich dieses Thema ist. Deshalb wollen wir in Hollenegg die ganze Bandbreite zeigen – von Terrakotta bis Porzellan haben so viele verschiedene Gestaltungsarten Platz. Und was viele gar nicht wissen: Keramik spielt eine wichtige Rolle im 3D-Druck und wird häufig als Hightech-Material ­ in der Industrie benutzt.

Die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler: Ahryun Lee / Alice Walton / Alterfact / ­Attua Aparicio / Decio Studio / E ­ rik Haugsby /­Karl Moines / Floris Wubben / Jessie Derogy / Karl Moines / Katie Stout / Lukas Wegwerth / Maria Scharl / Marie Janssen / Misha Kahn / Onka Allmayer-Beck / Reinaldo Sanguino / Sarah Pschorn / Sem Leutscher / Studio Furthermore / Teresa Berger / Unfold

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DESIGNVERKOSTUNG IM WUNDERLAND Text: Susanne Ary

Ortwein: Diesen edlen Tropfen kredenzt das designforum Steiermark für den diesjährigen Designmonat 2021 bereits zum dritten Mal. Ausgewählte Abschlussarbeiten der finalen Jahrgänge aus Kunst und Design der HTBLVA Ortweinschule zeigen in der Ausstellung „Taste the Ortwein“, was die Grazer Talenteschmiede so besonders macht.

PROMINENTE EHEMALIGE

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er bei uns einen Blick hinter die Kulissen wirft, fühlt sich wie Alice im Wunderland“, sagt Tea LindesGurmann, Lehrende für Grafik und Kommunikationsdesign an der HTL Graz Ortweinschule. „Unser Kaninchenbau ist sehr tief. Wenn man sich da hineinfallen lässt, kann man so einiges entdecken.“ Die Ortweinschule ist keine normale Schule. Hier wird nicht nur gelernt, sondern auch gemalt, gebaut, gezeichnet, gefilmt und gestaltet. Wundersame Kreationen finden sich überall im Gebäude. Wer hier im jugendlichen Alter aufgenommen wird, brennt meist schon seit der Kindheit für Kreativität und Gestaltung. „Wir haben einen Eignungstest, weil wir so viele Interessenten und Interessentinnen haben“, sagt Lindes. Die jungen Leute müssen eine Mappe mit eigenen Arbeiten mitbringen und sich im Zeichnen, Malen und Modellieren beweisen. „Wer zu uns kommt, ist begabt und hat besondere Interessen“, so Lindes.

WENN PERSÖNLICHKEIT G ­ ESTALT ANNIMMT Auch der Unterricht läuft in der Ortweinschule etwas anders. Zu den allgemeinen Fächern kommen fachpraktische Gegenstände dazu. „Wir verbringen viel Zeit mit Schülerinnen und Schülern“, betont die Lehrerin. Direkter Austausch und viele persönliche Gespräche schaffen eine enge Bindung zwischen Lehrenden und Lernenden. „Bei uns gibt es nicht nur Bildung im Sinne von Wissen, sondern auch Persönlichkeitsbildung.“ Die aktuelle Situation mit Distance Learning würde man dennoch sehr gut meistern, sagt Lindes. „Unsere Leute sind es gewohnt, Engagement zu zeigen.“ Die umfassende Ausbildung entspricht einer Vollzeit-Arbeitswoche mit bis zu 40 Stunden.

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Was im kreativen Wunderland allerdings nicht verwundert, ist die lange Liste der Alumni und Alumnae, auf der sich etliche prominente Namen finden. Günther Brus, der Wiener Aktionist, startete seine Karriere an der Ortweinschule. Die Präsidentin des Forum Stadtpark, Heidrun Primas, ist ebenso auf der Absolventenliste wie Peter Baustädter, der für die Visual Effects für Hollywood-Blockbuster wie King Kong oder Titanic verantwortlich zeichnet. Auch Barbara Steiner, Leiterin des Kunsthaus Graz, ist Ortwein-Absolventin. Sie sagt heute: „Ich wäre ohne diese Schule bestimmt nicht dort, wo ich jetzt bin.“

MEHR ÖFFENTLICHKEIT FÜR KREATIVE LEISTUNGEN Zahlreiche Kooperationen mit Unternehmen und Projekten gab es in den letzten Jahren, etwa mit Zotter Schokolade. 2020 arbeitete man für La Strada mit dem niederländischen Künstler Lucas de Man zusammen. Im Designmonat Graz 2021 kommen ausgewählte Arbeiten der Abschlussklassen mit der Ausstellung „Taste the Ortwein“ unter das designaffine Publikum. „Kreativität braucht Freiheit“, betont Tea Lindes. „Wir haben immer wieder Unternehmen für Präsentationen zu uns eingeladen, aber die Ausstellung im designforum erzeugt natürlich eine besondere Präsenz.“ Gezeigt werden Arbeiten der acht Fachrichtungen in der Höheren Abteilung für Kunst und Design: Grafikund Kommunikationsdesign, Film, Fotografie, Innenarchitektur, Produktdesign, Bildhauerei, Schmuck- ­ und Metalldesign sowie Keramik.

③ Aus verschiedensten Zugängen zum Thema Schokolade entstanden vielfältige Selbstporträts, die jeweils unterschiedliche Aspekte von Schokolade ins Bild rücken. Juni 2020 ① Selina Pichler, ② Johanna Moik, ③ Viktoria Körbler

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Die Mobilität von morgen ist elektrisch, intelligent und energiesparend. Egal ob Bus, Lkw-Flotte oder E-Auto, in Zukunft müssen Fahrzeuge vor allem eines sein: leicht. Der klimaneutrale Rohstoff Holz könnte hier zum Game-Changer werden. Eine Kooperation aus Industrie und Wissenschaft baut bereits am Auto, das auf den Bäumen wächst. Text: Susanne Ary r tey

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olz als Baustoff im Fahrzeugbau – das ist ein echter Winwin. Denn Holz ist leicht, was für niedrigen Energieverbrauch sorgt, der gerade im Bereich der Elektromobilität ein wichtiger Faktor ist. Holz ist außerdem klimaneutral – ­ seine Bilanz ist sogar negativ, weil es als Baum CO2 abbaut. Dazu kommt, dass Holz in unseren Breiten im Überfluss vorhanden ist: Es ist ein Rohstoff, der einfach nachwächst. Und Holz hat – überraschenderweise – im Fahrzeugbau eine lange Tradition. „Noch vor gar nicht langer Zeit waren die Sitzschalen in der Straßenbahn aus Holz“, sagt Christian Tippelreither, Geschäftsführer des HolzCluster Steiermark, einer der Partner im COMET-Projekt WoodC.A.R. Die Kooperation des Innovationszentrums W.E.I.Z. mit Industriebetrieben und Forschungseinrichtungen möchte den Werkstoff Holz zurück in den Fahrzeugbau bringen.

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NACHHALTIG UND LEICHT

VOM BAUTEIL ZUM KOMPLETTEN AUTO Das Expertenteam von WoodC.A.R. ist gerade dabei, erste Fahrzeugteile aus Holz zu bauen. Für das Partnerunternehmen MAN, das Busse und Lkw herstellt, hat man eine Bustreppe gebaut, mit MAGNA Steyr einen Seitenaufprallträger, der Passagiere bei Unfällen an den Türen schützt. Die ersten Crash-Tests an der TU Graz hat das Bauteil bereits bestanden. Im Nachfolgeprojekt

CARpentTiER, gefördert von Bund und Land Steiermark, werden die Teile bereits zur Serienreife gebracht. Es geht auch darum, die Preise konkurrenzfähig zu halten – schließlich sind Herstellung, Schichtaufbau und Oberflächenbehandlung aufwendig. Auch ein Fahrzeug, dessen Chassis vollständig aus Holz besteht, ist in Arbeit: „Es gibt bereits einen Buggy-Demonstrator, der gerade in Simulation und Produktion ist“, sagt Martin Karner.

NEIN, ES BRENNT NICHT Kritiker des Holzautos gibt es natürlich trotzdem. Der erste Einwand ist oft die Brandgefahr. „Nein, es brennt nicht“, betont Karner. „Durch moderne Beschichtungs- und Imprägnierungssysteme wie beispielsweise Anstriche, Folien und Imprägniersalze wird das Holz nicht nur gegen Wasser, sondern auch gegen Feuer geschützt.“ Der fertige Werkstoff besteht dabei nicht aus Vollholz, sondern ist ein Verbundwerkstoff aus verschiedenen heimischen Hölzern – etwa Pappel, Birke oder Fichte. „Wir verwenden Furnierschichten, die wir intelligent verbinden, und so steuern wir gezielt Steifigkeit und Zugfestigkeit“, erklärt Thomas Krenke vom W.E.I.Z. Das fertige Material habe vergleichbare Eigenschaften wie Carbonfaser: Es ist stabil und leicht – aber eben zusätzlich noch richtig nachhaltig.

Fotos: WoodC.A.R., NHTSA

„Durch neue Simulationstechniken können wir heute den Werkstoff Holz völlig neu denken und ihn auch als Konstruktionselement einsetzen“, so Wolfgang Knöbl von Weitzer Parkett. Die großen Möglichkeiten, die Holz im Fahrzeugbau bietet, haben auch das Unternehmen Weitzer Parkett für das Projekt begeistert. „Wir sind als Hauptinvestor bei ­WoodC.A.R. eingestiegen, um ganz neue Geschäftsfelder zu erschließen“, sagt Martin Karner, technischer Geschäftsführer des Traditionsunternehmens, das vor 190 Jahren als Furniersägewerk gegründet wurde. „Was wir so richtig gut können, ist Holz“, betont er.

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Eine Besprechung in der Berghütte am See und dann mit dem ­Orient Express ins Fitnessstudio: Der neue Merkur Campus ist eine Unternehmenszentrale, die keine sein möchte. Sein neues Interior Design ist eine Absage an allzu mainstreamigen Corporate-Stil und schafft stattdessen ein Gesamtkunstwerk aus Nachhaltigkeit, Modernität und echtem Wohlfühlbüro. Wie das Designkonzept der SelfSightSeeing Company im Detail funktioniert, lässt sich bei der Ausstellung „SUREAL — Sustainable Responsive Art Lab“ bis­ 29. Mai im designforum Steiermark erleben. Text: Susanne Ary

NACHHALTIG DENKGEBÄUD

SelfSightSeeing Company – Io Tondolo & Itshe Petz, Foto: Geopho

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s soll ja nicht nach einer Versicherung aussehen: So lautete die Kurzfassung des Briefings für das Interior Design der neuen Unternehmenszentrale der Merkur Versicherung an Itshe Petz und Io Tondolo, genannt SelfSightSeeing Company. „Wir wollen mit unserem Konzept in ein Abenteuer einladen“, erklärt Io Tondolo die Idee hinter dem neuen Merkur Campus. „Das Gebäude sollte ein ­Erlebnisraum werden, mit Installationen, Themenräumen und Details, die es zu entdecken gibt.“ Erste Entwürfe für die Neugestaltung der 10.000 Quadratmeter Nutzfläche entstanden 2017. Wer in den folgenden drei Jahren den Fortschritt via Webcam ­beobachtete, merkte schnell, dass diese Unternehmenszentrale anders als der Mainstream werden würde. Alle Oberflächen, Möbel, Lampen, insgesamt elf Büroetagen, die Eingangshalle, das Kundenzentrum und sogar ein Fitnessstudio haben die einzigartige Handschrift der SelfSightSeeing Company bekommen: außergewöhnliche Materialien, Upcycling-Objekte, Foto-Collagen als Tapeten, MeetingRäume im Stil des Orient Express oder einer Berghütte am See. Das zentrale Kunstwerk, das „Merkur Molekül“, zieht sich an den Wänden als Flieseninstallation entlang, eine Skulptur des Merkur, des römischen Gottes des Handels und Namensgeber des Unternehmens, steht ebenfalls im Foyer. „Heute ist das ungewöhnlich, dass Künstler und Designer ganze Gebäude gestalten – früher war das normal. Wände wurden bemalt, Skulpturen hingestellt.“ Damit steht der neue Merkur Campus gleich in mehrfacher Hinsicht für Modernität aus Tradition.

SUSTAINABLE DESIGN: BIS INS LETZTE DETAIL NACHHALTIG

Hauptgebäude am Joanneumring wurden zu neuen Einrichtungsgegenständen upgecycelt, die Teppiche bestehen aus Recycling-Material und 550 alte Flugzeugboxen der Air Berlin ersetzen übliche Bürocontainer. „Typisch für unsere Projekte ist, dass wir vorhandene Materialien aufnehmen und sie transformieren und neu kombinieren. So geben wir ihnen eine neue Bedeutung“, berichtet Itshe Petz. So legten die Designer bei den Türen alte Farbschichten frei und spielen so subtil auf die lange Geschichte des Unternehmens an, die immerhin bis ins Jahr 1798 zurückreicht. An den Anfang soll der „Gründerbrunnen“ erinnern, der im Foyer als Wasserspender dient und als Symbol für den Ursprung für Gesundheit und Leben steht. Die Vision des Auftraggebers, eine „Vorsicherung“ zu sein, spiegelt sich ebenfalls im Design der SelfSightSeeing Company wider: Im Fitnessstudio ist jeder Raum einer Sportart gewidmet. „Inspiration war die Geschichte des Sports“, erzählt Io Tondolo. „Die Merkur steht seit ihrer Gründung als Versicherung für Industriearbeiter für gesunden Lebensstil und Sportlichkeit, und das soll das Design auch zeigen.“

RESPONSIVE DESIGN: DIE BELEGSCHAFT REDET EIN WÖRTCHEN MIT Aber was sagen eigentlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu, wenn sie sich auf einmal in einem so außergewöhnlichen Arbeitsumfeld wiederfinden? Itshe Petz und Io Tondolo waren sich bewusst, dass die gewagte und mutige Gestaltung eines Arbeitsplatzes Fingerspitzengefühl braucht. „Wenn da einfach zwei Künstler daherkommen und irgendetwas Komisches hinbauen, wäre die Akzeptanz nicht besonders groß gewesen“, sagt Petz. „Deswegen haben wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Merkur von Anfang an in den Designprozess eingebunden.“ In ihrem Atelier fanden regelmäßige Workshops statt, bei denen sich das Designerduo Ideen, Inspirationen und Feedback

von der Merkur-Belegschaft holte. „Wir wollen Wohlfühlräume schaffen. Wir wollen, dass die Menschen, die hier arbeiten, aus ihren Büros hinausgehen und in eine andere Welt eintauchen.“ Wie diese Welt aussehen sollte, das bestimmten die Mitarbeiter selbst mit – und sie verewigten sich sogar in den Wänden: Das „Merkur Molekül“, die Flieseninstallation, die sich

durch das gesamte Gebäude fortpflanzt, besteht aus historischen Bodenfliesen der Wiener Kapuzinerkirche. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Merkur haben sie rückseitig beschriftet und mit individuellen Wünschen und Sprüchen versehen. „Am Erfolg eines Unternehmens sind immer die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligt“, betont auch Christian Kladiva vom Merkur-Vorstand. „So wie ein Molekül aus mehreren Teilchen besteht, sind auch unserer Mitarbeiter ein Teil der Merkur“, so Kladiva.

ITSHE UND IO: DESIGNERDUO ­ IM KREATIVEN GLEICHKLANG Itshe Petz und Io Tondolo, die hinter der SelfSightSeeing

Company stecken, sehen ihre Arbeit angesiedelt an der Grenze zwischen bildender und performativer Kunst sowie Design. „Wir gestalten Orte, die zu Erlebnissen werden. Das, was in den Menschen geschehen soll, nennen wir ‚self sight seeing‘ – wenn der äußere Raum auf das Innere wirkt“, erklären Itshe und Io. Eine originelle Wirkung erzeugen die beiden Designer sogar selbst: Sie sind jeden Tag gleich gekleidet. „Wir wollen, dass die Leute sehen, dass wir eine Verbindung haben, dass wir gemeinsam durchs Leben gehen und arbeiten.“ Abwechselnd wird entschieden, was am jeweiligen Tag angezogen wird – die Kleidung bewahren sie in zwei ­gespiegelten, exakt gleich einsortierten Schränken auf.

Lobby Merkur, Foto: Geopho

Modern heißt auch klimafreundlich: Nachhaltigkeit bei der Gebäudetechnik ist heute Standard. So kommt auch der Merkur Campus nicht ohne LED-­ Beleuchtung, Energierückspeisung, Sonnenschutz und natürliche Belüftung aus. Aber auch im Innenraum setzte die SelfSightSeeing Company dezidiert darauf, Vorhandenes wiederzuverwenden und auf originelle Weise Ressourcen zu sparen: Historische Türen und Teile der alten Büroeinrichtung aus dem ehemaligen

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FEIN, SO VIEL DESIGN!

Text: Daniela Müller Fotos: eephotograph

Die Disco im Schaufenster, der Klappstuhl in der Ferien­wohnung oder der High Heel Sneaker beim Optiker: „Design in the City“ zeigt außergewöhnliche Kollaborationen zwischen Designschaffenden und designaffinen Shopbesitzerinnen und -besitzern. „Design in the City“ – das darf man ruhig wörtlich nehmen. Denn die ganze Innenstadt wird dabei zur Design-Plattform, und zwar in den zahlreichen Grazer Designshops. Ihr Angebot wird im Designmonat noch zusätzlich erweitert: Präsentiert werden außerordentliche Produkte, die alles andere als alltäglich sind und weit über das Gewöhnliche hinausgehen. „Design in the City“ macht diese Produkte sichtbar, aber natürlich auch die Kreativen, die dahinterstehen, und die Unternehmen, die sie vertreiben. Die Creative Industries Styria fungiert dabei als Vermittlerin und bringt interes­sierte Designerinnen/Designer und Shops zueinander, und zwar so, dass sie auch zusammenpassen. 5 davon stellen wir hier vor. DESIGNMONAT GRAZ 2021

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TANZEN, TROTZDEM! „Disco“ sollte im Herbst 2020 bei Kastner & Öhler themengebend für die Dekoration sein. BB Coyle, dort zuständig für den Bereich Dekoration und kuratierte Sortimente, hatte dabei das legendäre Studio 54 im Kopf, die bunte Disco, die das New Yorker Leben der Siebziger- und Achtzigerjahre prägte wie kein anderer Nachtclub. Hedonistisch, laut, schrill, so war die Vorstellung BB Coyles im Herbst 2019, als sie das Thema plante. Dann kam Corona und das Leben wanderte inhouse. BB Coyles Idee: Warum nicht auch die Disco nach Hause holen?

Milena Stavric

Der Auftrag an die Designerin Milena Stavric vom Institut für Architektur und Medien an der TU Graz war, für die Schaufensterdekoration einen Schalensessel zu entwerfen, der an eine Discokugel erinnert und in seiner Form als Rückzug zum Musikhören dienen soll. Dieser „Shell Chair“ sollte das Herzstück dieses pompös inszenierten Clubs der 1970er sein, inklusive der originalgetreuen Farb- und Formensprache der damaligen Zeit. Milena Stavric nahm dafür eine bestehende Idee auf, die sie nur umdrehen musste: Als perfekte Form für den „Shell Chair“ schwebte ihr die Kuppel vor, die sie für das Museum der Wahrnehmung entworfen hatte. Umgedreht wurde sozusagen ein Sessel daraus. Ihr Entwurf, den Ognen Jokic gefertigt hat, ist aus Holz und enorm schwer.

Vom „Shell Chair“ wurden vier Exemplare gefertigt, sie konnten im Vorjahr im Schaufenster des Stammhauses von Kastner & Öhler bewundert werden. Dort schufen BB Coyle und ihr Team durch Vorhänge getrennte, rund-ovale Separées, in denen die Modetrends gefeiert wurden. „Dass wir die Szenerie in den Innenraum, ins Wohnzimmer, verlegen mussten, hat der Inszenierung keinen Abbruch getan“, erzählt BB Coyle. Im Gegenteil: Das den 1960ern und 1970ern entliehene Design und die Raumgestaltung passten treffsicher zur Lebenssituation des Jahres 2021. Runde Formen, wie sie damals en vogue waren, schaffen gestern wie heute Sicherheit, die verwendeten Braun- und Rottöne versprechen Geborgenheit und Kupfer fügt dem Ganzen einen Tupfen Glamour hinzu. Runde Teppiche und Wandgemälde mit Wellenformen hätten die Inszenierung perfekt gemacht, schwärmt BB Coyle. „Ich würde sagen, es ist ein elegantes Cocooning entstanden.“ Milena Stavric, die schon viele Forschungsprojekte im Bereich Nachhaltigkeit geführt und begleitet hat, war dieses Thema auch beim Shell Chair wichtig, dessen Grundmaterial Holz ist. Das ist ihr das liebste Arbeitsmaterial, und egal, ob ein Holzhaus oder Sessel daraus wird, die Formensprache kann da und dort dieselbe sein, betont Stavric. Diesen holistischen Ansatz verfolgt sie in ihrer Arbeit: Dort verschmelzen Design und Forschung miteinander. Milena Stavric forscht beispielsweise an und über Algen, wie sie in der Architektur eingesetzt werden können. Ganzheitlich gestaltet sich für sie auch der Schaffensprozess, wie die Arbeit am Shell Chair zeigt: Der ist so konzipiert, dass er relativ einfach auf einer computergesteuerten Maschine produziert werden kann, ohne Arbeitsteilung, vom Plan zur Fertigstellung in einem Arbeitsschritt. Eine Serienherstellung des Wabensessels ist bereits angedacht.

Franziska Voigt

HANF UND DIE LIEBE ZUR NATUR Auf dem Grieskindlmarkt im Dezember 2019 verbrachten sie fünf Wochenenden in derselben Verkaufshütte. Die eine, Tamara Lammer, Inhaberin von „wie wir wohnen“, und Franziska Voigt, Psychologin, Designerin und Inhaberin des Labels Mutus. Die eine verkauft Wohngegenstände mit Stil, die andere fertigt sie. Vornehmlich aus Hanfgarn, denn Franziska Voigt liebt diesen Werkstoff, ein Naturmaterial, das dicht nachwächst und ohne Herbizide auskommt, weil es unangenehm riecht, sodass kleine Tierchen gerne Abstand von der Pflanze nehmen. Hanf reichert den Boden mit Stickstoffen an und hat als Arbeitsmaterial etwas Maritimes, das ihr gut gefällt, sagt Voigt. Ihr zweites Arbeitsmaterial sind T-Shirts, die in Streifen geschnitten und zusammengeknüpft sind. Ihre Technik ist das Häkeln, Franziska Voigt gibt damit Gläsern oder Lampen eine Umhüllung, sie verarbeitet ihr Material aber auch zu Taschen. Ihr Credo: Bei allem, was sie schafft, so wenig industrielle Produkte wie möglich zu verwenden, Wiederverwertung ist angesagt. Die Gläser und Vasen sind aus Verlassenschaften und Kellerräumungen, sie umhäkelt im großen Stil alte Rexgläser, ihre größte Lampe im Sortiment ist eine mundgeblasene Gallone aus den 1950er-Jahren, die sie von einem Apfelbauern bekommen hat, der mit den Auflagen anlässlich des EU-Beitrittes nicht mehr mithalten konnte und seinen Betrieb schließen musste. In allem, was Franziska Voigt tut, steht der Nachhaltigkeitsgedanke im Vordergrund. Das schätzt Tamara Lammer so an Voigts Tun. Lammer führt am Tummelplatz den Concept Store und Onlineshop für Design und Geschenke „wie wir wohnen“. Kurz nach dem Kennenlernen hat sie Franziska Voigts Lampen und Gläser ins Sortiment aufgenommen. Tamara Lammer legt großen Wert auf Qualität. „Wenn ich nach Hause komme, möchte ich es ruhig und gemütlich haben – mit natürlichen Produkten, hellem Holz, Leinen, ruhigen Farben. Es muss reduziert und aufgeräumt sein. Franziskas Produkte passen deshalb gut zu mir.“ Gerade in Zeiten der Pandemie seien Design-Kooperationen wichtig, vor allem jetzt, wo die Hauptabsatzmärkte – die vielen Messen und Designmärkte – wegfielen, betonen beide Frauen.

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EIN SCHUH, EIN HAUS, EIN DESIGNOBJEKT

Jürgen Holl, Michaela Worschitz

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ie Geschichte mit dem High Heel Sneaker ist so spannend wie Schuhe selbst (sagt die Frau, die das schreibt). Und wenn noch dazu eine Architektin einen Schuh entwirft, wird es aufregend. Die Architektin heißt Michaela Worschitz, eine sportliche Frau, die gern und viel zu Fuß geht und einen Schuh braucht, der sie bequem durch den Tag trägt. Und den man gut mit einem eleganten Outfit kombinieren kann. Ein Sneaker mit Absatz also. Die Idee dafür entstand in ihrem Architekturstudium und reifte im Auslandsaufenthalt in München, über den High Heel Sneaker schrieb Michaela Worschitz sogar ihre Diplomarbeit. In Graz machte sie sich an den Gestaltungsprozess. Mit der Software, mit der sie auch Häuser plant, designte sie ihren Schuh. Denn es gibt ihn, den gemeinsamen Nenner von Architektur und Schuhen: „Beide Objekte müssen der Statik entsprechen, Komfort bieten, vor Witterungseinflüssen schützen und einer gewissen Ästhetik entsprechen“, betont Worschitz. Doch was auf dem Skript logisch und umsetzbar klang, zog in der Praxis einen langwierigen Forschungsprozess nach sich. Die große Herausforderung sei gewesen, die beiden wesentlichen Anforderungen für den Keilabsatz, Stabilität und Flexibilität, in einem Material zu vereinen. Die Lösung wurde im Prinzip der Bienenwaben gefunden, die den Keilabsatz flexibel und trotzdem stabil machten. Die Sohle ist aus hochwertigem Kunststoff, das zu 20 Prozent recycelt ist, die Oberfläche ist aus thermogeformtem Neopren, das Innenmaterial ist natürlich gegerbtes Leder. Auch hier die thematische Nähe zur Architektur: diese Materialkombination reagiert wie eine doppelt hinterlüftete Fassade im Gebäudebau.

Der Weg bis zum fertigen Schuh dauerte dann doch drei Jahre. Stets an Worschitzs Seite war Ehemann Jürgen Holl, mit dem sie die Monkie Mia Design OG gegründet hat. Zu zweit erledigten sie die Marktrecherche, beantragten Förderungen, forschten am perfekten Keilabsatz, sie suchten und fanden in Italien einen Schuhprodu­ zenten, der bereits die erste „Auflage“ von 500 Schuhpaaren produziert hat. Durch Zufall habe man das Unternehmen entdeckt, das genauso leidenschaftlich wie man selbst an die Aufgabe herangegangen sei, schwärmt Michaela Worschitz. Der Schuhmacher, ein 75-jähriger Mann, sei sogar zu Weihnachten im Unternehmen gewesen, um das Werkzeug für die Schuhproduktion zu optimieren. Ja, sie könnten auch in China produzieren lassen, betont Worschitz, doch setze man lieber auf Nachhaltigkeit, Produktion in Europa, qualitätsvolles Material und kurze Transportwege. Im Vorjahr kam der High Heel Sneaker auf den Markt, als Nächstes möchte man die Frauen in Asien für den Schuh begeistern. Michaela Worschitz ist es noch immer. Sie hat den „Härtetest“ selbst gemacht und den Sneaker 16 Stunden am Stück getragen. Ohne Probleme. Während des Designmonat Graz wird der Schuh in der Auslage von In-Optik am Kaiser-Josef-Platz 5 zu sehen sein. Der Optiker Wilfried Fauland unterstützt schon seit Jahren die Designkooperation der Creative Industries Styria. „Wir wollen demonstrieren, welch großartiges Design in der Stadt Graz entsteht“, sagt Fauland. Im vorletzten Jahr waren es Möbel-Prototypen der TU Graz, heuer zeigen wir den High Heel Sneaker von Mockery Mia.“

28 Designpartnerschaften entstanden 2021 für „Design in the City“. Die Produkte werden vom 9. Mai bis 6. Juni in den jeweiligen Designshops vorgestellt.


Ruth Nezmahen, Michael Diekers

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ute Ideen entstehen oft bei einem Bier oder zwei. Wenn dann noch Sonne, Strand und Surflaune dazukommen, ist die Sache geritzt. Das war bei Michael Diekers so, als er bei seinem Surfurlaub auf Bali mit Freunden sinnierte, womit man seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Cool wäre, wenn es irgendwas mit Skateboards oder mit Mode zu tun hätte. Noch bevor es eine Ware oder Dienstleistung gab, die man verkaufen könnte, stand der Markenname fest. Aus dem Surferspruch „hang loose“ für „gute Welle“ wurde Häng Luis, das Logo war ein Vogel in Strichzeichnung auf einem Board. Doch was verkaufen? Michael Diekers dachte zunächst darüber nach, was er, der passionierte Surfer und Skater, sich gewünscht hätte, mit 12 oder 13 Jahren. Leistbar und cool müsse es sein, in diesem Alter hat man ja weder

HÄNG LUIS UND OFFLINE RETAIL AUF EINER WELLE

Geld für coole Decks noch für die meist überteuerte Skatermode. Wobei Michael Diekers für sich ausschloss, ein neues Skaterlabel auf die Beine zu stellen, denn Mode werde schon genug – zu viel – produziert. Warum nicht Vintage? Auf der Suche nach lässiger, gebrauchter Kleidung schloss er sich mit der Caritas kurz. Auf ausgewählte Stücke, die in Sachen Coolness zu seiner anvisierten Zielgruppe passten, wollte er das Häng-Luis-Logo anbringen lassen, die feine Stickarbeit hat die Stickerei Rappi erledigt. Der Häng-Luis-Schriftzug wird vom tag.werk mit Siebdruck-Technik auf Planen gedruckt und anschließend als Etiketten vernäht. tag.werk ist ein Schwestern-Projekt von Offline Retail, einem Second-HandLaden in der Mariahilferstraße 19, tag.werk und Offline Retail wiederum gehören zur Caritas. Bei Offline Retail wurde man auf Häng Luis aufmerksam, Shopleiterin Ruth Nezmahen nahm mit Diekers Kontakt auf und beschloss, dass dessen Label und die gemeinsame Vintage-Idee perfekt zur Offline-Philosophie passten. Die Kooperation war somit gebongt. An sich wollte Michael Diekers auch Second-Hand-Boards verkaufen, verwarf die Idee jedoch, weil Boards in der Regel „zu Tode“ gefahren würden. Doch man könne neue aus Holzresten herstellen, dachte er. Diekers kontaktierte 75 Holzverarbeiter, bekam aber nur drei Rückmeldungen. Letztlich meldete sich das Furnierwerk Merkscha in Gratwein und bot Furniere an. Damit machte sich Diekers an die Arbeit. Er suchte die optimale Lösung, um so einfach und gut wie nur möglich Boards zu pressen. Unterstützung und Ratschläge holte er sich bei einem Hersteller in Kufstein. Heute stellt Diekers zwei verschiedene Shapes her, die nach Wunsch mit insgesamt sieben verschiedenen Designs beklebt werden können. Diese stammen von den Künstlerinnen Laura Feller und Jana Dremel. Die Boards, die Vintage-Mode und Häng-Luis-Hauben sind bei Offline Retail erhältlich, sie werden dort auf Kommissionsbasis verkauft. Anlässlich des Stadtteilfests Lendwirbel soll es auch ein gemeinsames Skater-Event geben, weitere Events können gern folgen, sagt Ruth Nezmahen.

KLIPP, KLAPP – CAPTAIN CLAP!

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imone Kovac ist bekannt für ihre Kompromisslosigkeit, was Design und Ästhetik betrifft. Kompromisslosigkeit in dieser Geschichte bedeutet auch: Es gibt einen Job, der erfüllt werden muss, und zwar bestmöglich. Ein Ferien-Appartement in Bad Mitterndorf sollte umgestaltet werden, nicht sehr groß, doch Platz bietend für eine fünfköpfige Familie – oder nur für zwei, sollten die Eltern mal Zeit für sich haben wollen. Das Bild, das sich bei der ersten Besichtigung bot: ein Wohn- und Esszimmer, ein Schlafzimmer, eine kleine Küche und ein ebenso kleines Bad, das Ganze um- und eingerahmt von Interieurschick der 1960er-Jahre mit (zu) vielen Sitzgelegenheiten. Simone Kovacs Idee: Raus damit, was neu hineinkommt, soll Platz und Geltung bekommen. Rational ging sie an die Lösung und überlegte, was eine Ferienwohnung funktionell macht und worauf man verzichten könnte. Wenn nur zwei Personen urlauben, brauche es keine sechs Sessel, die den Raum verstellten, dachte sie. Man könne stattdessen auf Klappsessel setzen, die – ästhetisch ansprechend gestaltet – an der Wand aufgehängt werden können. In ihrem Kopf war die Idee von Captain Clap geboren. Mit der Umsetzung beauftragte sie Lukas Klingsbichel von Mobelplan, mit Jelena Ristic eine Künstlerin, die den Klappsessel entsprechend als Kunstwerk in Szene setzen sollte.

nicht nur Funktionalität und Design müssen passen, der Klappsessel will ja auch noch bequem sein. Auch diese Quadratur des Kreises hat Produktdesigner Lukas Klingsbichel geschafft.

Das künstlerische Design stammt von Jelena Ristic. Sie ist der gestalterische Kopf hinter dem Label Of Atoms and Lines und hat ihre einzigartige künstlerische Handschrift in Linien und grafischen Formen gefunden. Damit verzierte sie bereits einige Büroräume und Wände, die Kontemplation bringen sollen. Mit der Farbe Blau, die in der Bad Mitterndorfer Ferienwohnung tonangebend ist, hat sie auch Captain Clap veredelt, und zwar so, wie es sich die Auftraggeberin Simone Kovac vorgestellt hat. Diese wiederum hätte dem sitzfähigen Kunstwerk gern noch ein „Flauschi-Element“ verpasst, das den Gebrauchsgegenstand stärker als Kunstobjekt definiert hätte. Doch das ist zunächst nur eine Idee. Fertig hingegen ist die Tapete, die das Gestalterduo Kovac – Ristic gemeinsam entworfen haben. Sie besteht aus sechs Teilen, die beliebig miteinander kombiniert werden können.

Simone Kovac, Lukas Klingsbichel

Die größte Herausforderung wartete dabei auf Lukas Klingsbichel, der die bislang gewohnten Ausführungen von Klappsessel anders denken musste, und zwar in der Form, dass er nach dem Zusammenlegen eine einzige gerade Fläche aufwies. Solche Lösungen sind zwar vorhanden, unterliegen aber dem so genannten Geschmacksmusterschutz, durften also nicht kopiert werden. Captain Clap entstand letztlich in einem aufwändigen Design-Prozess aus einer Sperrholz-

Kovac, Klingsbichel und Ristic, die sich 2019 bei der Design­monat­­­eröffnung kennengelernt haben, freuen sich, in nur zwei Jahren – streng genommen abzüglich eines Coronajahres, das die Zusammenarbeit stark einschränkte – nun im Kunsthaus Shop ihr gemeinsames Produkt vorstellen zu dürfen. Die drei planen eine zukünftige Serienfertigung des Produkts, und das in der Region.

Multiplex-Platte. Doch damit nicht genug der Herausforderung. Denn

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WENN AUS KERNÖL EINE ELEGANTE LADY WIRD Text: Daniela Müller

Wie Bettina Stoisser-Hubmanns Kernöl neu erfunden wurde und warum der Produktdesigner Thomas Feichtner nur für Kunden arbeitet, mit denen er auch auf einen Segeltörn gehen würde: Geschichten wie diese gibt’s bei den „Österreichischen Designgesprächen auf Schloss Hollenegg“ am 7. und 8. Juli 2021.

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ine Geschichte über Kürbiskernöl kann man so oder so erzählen. Eine Version könnte lauten: Bauer Maier, Hersteller von Steirischem Kürbiskernöl g.g.A., fährt dreimal in der Woche auf Bauernmärkte und verkauft dort seine Ware. Sie könnte sich auch anders anhören, nämlich so, wie die Bäuerin und Kernölproduzentin Bettina Stoisser-Hubmann, Am Dorfplatz 8, 8410 Weitendorf, sie erzählt. Vor ein paar Jahren, ihre Kinder waren noch klein, hatte sie die Idee, den hochwertigen Lebensmitteln, die sie produziert – Kernöl, Marmeladen und Chutneys – eine ansprechende Verpackung zu geben. Auf Empfehlung eines Bekannten nahm sie mit der Agentur moodley Kontakt auf. Ihr Auftrag war so knapp wie klar: Sie wisse, wie man beste Lebensmittel produziert, nun gelte es, ihren Produkten, die handgemacht sind, naturbelassen und ohne Chemie hergestellt werden, einen entsprechenden Wert zu geben – ohne „kariertes Fetzerl“ auf der Verpackung. Das Ergebnis des Designprozesses war die Marke „Am Dorfplatz 8“, das Kernöl ist in einer Tonflasche, das Logo ist ein filigran gezeichnetes Dorf. Alles in dezentem SchwarzWeiß, erhältlich in Geschenksets, ab Hof, in Vinotheken, Feinkostläden oder online.

DIE GESCHICHTE DAHINTER Kirsten Ives von moodley hat bei Stoisser-Hubmann getan, was sie sonst auch tut: Sie hat nach der größeren Geschichte dahinter gesucht. Das Kernöl war dabei nicht das Großartige, das vertreiben viele. Es gehe vielmehr um die Frage, warum jemand produziert, was er produziert, um das Herzblut, betont Ives. Das gelte es, mit der Marke und dem Design zu erzählen. Und wenn das Öl dann noch in einem Gefäß landet, das nicht nur schön anzuschauen ist und sich haptisch gut anfühlt, sondern das Produkt vor Lichteinflüssen schützt und länger haltbar macht, dann ist es umso besser, sagt ­ die Designerin. Natürlich gehört zu Beginn der Markt sondiert. Auch wenn es Kernöl an nahezu jedem Marktstand zu kaufen gibt: Ist da irgendwo eine Zielgruppe, deren Wünsche noch nicht erfüllt sind? (Ja, Menschen, die im Feinkostladen einkaufen und denen es wichtig ist, wie sich das Kernöl, das daheim auf dem Esstisch steht, präsentiert.) Wie sticht das Produkt in einer Reihe anderer, ähnlicher Produkte heraus? (Nicht mit der stets gleichen Kürbiskernölflasche mit grünem Drehverschluss.) Nicht zuletzt müsse die Marke auch zur

DESIGNMONAT GRAZ 2021

Person passen, die die Produkte herstellt. Bei Bettina StoisserHubmann sei es darum gegangen, deren Authentizität im Produkt zu spiegeln, erzählt Kirsten Ives. Mit „Am Dorfplatz 8“ habe man eine Marke geschaffen, deren Logo im Kopf eines Städters, der das Kürbiskernöl in einem Feinkostladen vor sich sieht, ein Bild vom Herkunftsort schafft, eben vom Dorf. Wichtig sei, so Kirsten Ives, nach Sondierung der Fakten den Designprozess auf ein Ziel bzw. eine Zielgruppe einzuengen. Gerade die vielen Mitbewerber machten dabei die Sache spannend, ist die Designerin überzeugt, vorausgesetzt, man tritt aus der Reihe von „More of the same“ und lässt sich auf den Erneuerungsprozess ein, wie es Bettina StoisserHubmann gewagt hat. Sie hatte jedenfalls damals bei Auftragserteilung keine Ahnung, in welche Richtung das Ganze gehen würde. Über das Ergebnis ist sie noch immer hoch erfreut.

STORIES TO BE TOLD Die Creative Industries Styria vermittelt seit Jahren Kooperationen zwischen Unternehmen und Kreativen und lässt diese bei den „Österreichischen Designgesprächen auf Schloss Hollenegg“ Geschichten wie die von Bettina Stoisser-Hubmann erzählen. ­ Heuer finden die Gespräche am 7. und 8. Juli statt. Die Paarungen – ­ Auftraggeber und Designerin/Designer – berichten dort von ihren gemeinsamen Erfahrungen, Erkenntnissen, vom Erfolg und den Ups and Downs der Zusammenarbeit. „Design ist ein wichtiges Instrument der Unternehmensführung, das innovativen Betrieben Türen zu neuen Produkten, Märkten und Käuferschichten eröffnet“, sagt Eberhard Schrempf, Geschäftsführer der Creative Industries Styria. Mit Design schaffe man Differenzierung am Markt und letztlich Wertschöpfung. Was mittlerweile bewiesen ist: Je früher Designerinnen und Designer in einen Prozess einbezogen werden, desto erfolgreicher ist das Produkt.

ERST MUSS DIE CHEMIE STIMMEN Doch gutes Design, sagt Thomas Feichtner, könne nur auf einem gelingenden Zusammenspiel zwischen produzierendem Unternehmen und DesignerInnen basieren. Feichtner ist Produktdesigner, leitet den Studiengang Industrial Design an der FH JOANNEUM und hat zu seiner Erkenntnis eine Anekdote bereit: Anfang der Nullerjahre, als die Globalisierung in Fahrt kam und der Arbeitsteilungsprozess zwischen Europa und Asien begann, reiste er nach China. Die Studienkollegin seiner Frau, eine Chinesin, begleitete ihn und so war es ihm möglich,

REDESIGN THE FUTURE


Foto: Miriam Raneburger

Einblicke in dortige Unternehmen zu erhalten. Seine Erkenntnis nach 14 Tagen „Studienreise“: Die Entkoppelung des Produktionsprozesses –­ dass also auf der einen Seite der Welt gedacht und auf der anderen Seite gemacht wurde, und das ohne jegliche emotionale Verbindung – ­ kann nicht funktionieren. Noch dazu, wenn die andere Seite auf Kinderarbeit oder unwürdige Arbeitsbedingungen setzt. Die zweite Erkenntnis: Diese Art des Arbeitens würde für ihn ausscheiden. Feichtner wolle Produkte nur mit Menschen schaffen, mit denen er auch auf einen Segeltörn gehen würde. Ein für ihn perfektes Designmatch ist das Duo Alessi und Mendini. Auch dazu kann Feichtner eine Geschichte erzählen. Er, 19 Jahre alt, im ersten Semester Industriedesign studierend, saß in einer Konferenz, in der ein unbekannter Metallgeschirrhersteller vorgestellt wurde, der das Unternehmen von den Eltern übernommen hatte, mit Namen Alberto Alessi. An dessen Seite war der Produktdesigner Alessandro Mendini. Dass die beiden aus dem Unternehmen eine Weltmarke machen würden, war damals freilich nicht klar. Aber eines habe Feichtner bei dieser Konferenz gespürt: Dass der designaffine Unternehmer überzeugt war, mit Mendini den richtigen Partner an seiner Seite zu haben. Gemeinsam zu wachsen, das sei oft die Essenz solcher Designgeschichten, findet Feichtner. Er selbst hat mit dem Büromöbelhersteller Bene, mit dem und für den er das modulare Foto: Leonhard Hilzensauer

Workplace System STUDIO entwickelt hat, eine ähnliche Basis.

DAS KNIE UND DER GEMEINSAME NENNER Eine dritte Geschichte, die auf Schloss Hollenegg erzählt wurde, ist die von Adam Wehsely-Swiczinsky vom aws designteam und dem kolumbianisch-kanadischen Entwickler Juan Mejia, der sich auf medizinische Produkte spezialisiert hat. Gemeinsam entwarfen sie mikroprozessgesteuerte Kniegelenke (MPK) für das Unternehmen Ottobock. Das Herausfordernde an solchen Designprozessen sei, die vielen Stakeholder bestmöglich einzubinden und die Sache auf den Punkt zu bringen, betont Adam Wehsely-Swiczinsky: also den Kunden, der das Kniegelenk tragen muss, die technischen Themen zu Material und Funktionsfähigkeit bis hin zu den Verkäuferinnen und Verkäufern, die das Produkt an Mann oder Frau bringen müssen. Design ist in diesem Prozess mehr als nur entwerfen, „wir Designerinnen und Designer sind hier die Mediatoren“, betont Wehsely-Swiczinsky – die von Anfang an dabei sein sollten.

Die „Österreichischen Designgespräche auf Schloss Hollenegg“ finden am 7. und 8. Juli 2021 auf Schloss Hollenegg statt. ­ 9 Paarungen werden über ihre Erfahrungen plaudern, die sie im Zuge ihrer Zusammenarbeit gemacht haben. Es geht darum, zu zeigen, welchen Beitrag Design zum Erfolg eines Produktes leistet. Jenen Unternehmen, die bisher noch keine Berührung mit bzw. zu Design hatten, soll der Mehrwert einer solchen Kooperation aufgezeigt werden – inklusive aller Höhen und Tiefen.

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KULTURKRITIK Text: Daniela Müller

IN BILDERN

DESIGNMONAT GRAZ DESIGNMONAT GRAZ 2021 2021

REDESIGN REDESIGN THE THE FUTURE FUTURE


Illya Pavlov lehrt an der ­ FH JOANNEUM Kommunikations­ design und bringt die legendäre Posterschau „4th Block“ aus seiner ­Heimat U ­ kraine nach Graz.

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harkiw, das ist die zweitgrößte Stadt der Ukraine, kurz vor der Grenze zu Russland. Sie hat 1,5 Millionen Einwohner, 42 Universitäten und Hochschulen sowie ein Posterfestival. Was das mit Graz zu tun hat? Eine der treibenden Kräfte hinter dem Kollektiv 4th Block, das für das Posterfestival verantwortlich zeichnet, ist Illya Pavlov. Er ist derzeit Senior-Dozent an der FH JOANNEUM und bringt im Rahmen des Designmonats die Posterschau von 2020 nach Graz. Es war die elfte Poster-Triennale von 4th Block mit dem Titel „Changes“, die in Kiew und Tschernobyl gezeigt wurde.

② Nagai Yuji Love Snow Crystal Japan

THE 4TH BLOCK International Poster Triennial Collection

Grafikerinnen und Grafiker auf der ganzen Welt waren aufgerufen, über die Sprache von Bildern auf ökologische, soziale und kulturelle Probleme hinzuweisen, also über Design einen neuen wie kritischen Blick auf die Welt zu werfen. Die Thematik der letzten Triennale lag auf der Hand: 35 Jahre Tschernobyl, zehn Jahre Fukushima, dann das Corona-Virus. Die Aufgabenstellung der Künstlerinnen und Künstler war, sich Gedanken zu machen über die Welt, in der wir leben – eine Welt des permanenten Fortschritts, inklusive seiner positiven und negativen Folgen. Die Kreativen sollten Veränderungen verstehen und analysieren versuchen und nach einem Ausdruck suchen, wie die Utopie eines besseren Lebens Wirklichkeit werden könnte. 4th Block gibt es seit 2003, damals zeigten Designerinnen und Designer aus 28 verschiedenen Ländern 800 Arbeiten, die sich allesamt mit Ökologie befassten. Für Pavlov, der mit seiner Partnerin Maria Norazyan die Design- und Branding-Beratung Grafprom Studio betreibt, bietet sich das Plakat als optimales Mittel dafür an – auch wenn die marktschreierische Medienwelt immer mehr und neue Aufmerksamkeit erfordert. Hier liegt dann die hohe Kunst der Plakatgestaltung darin, die heterogenere Empfängergruppe einzufangen: Manches Mal wird ein Zuflüstern genügen, ein anderes Mal wird man eben schreien müssen, sagt Pavlov.

③ Nagai Yuji Love Snow Crystal Japan

THE 4TH BLOCK International Poster Triennial Collection

Das Posterfestival hat auch den Zweck, die Branche auf lokaler und internationaler Ebene zu vernetzen und ein bisschen auch das Leben, wie es ist, zu feiern. Wir haben schließlich kein anderes. Das gilt natürlich auch für Graz. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl aus der Postersammlung, die unter anderem bereits in den USA, in Österreich, in Frankreich, in Polen, in der Schweiz und in Italien zu sehen war. Die Kollektion umfasst insgesamt über 7.000 Poster aus 40 unterschiedlichen Ländern.

Künstler: ① Kasumasa Nagai, Japan ② — ④ Nagai Yuji, Japan

④ Nagai Yuji Love Snow Crystal Japan

THE 4TH BLOCK International Poster Triennial Collection

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CIS – CREATIVE. INNOVATIVE. SUSTAINABLE. Ein etwas anderer Blick auf die Steiermark

Das Magazin macht sich auf Spurensuche nach dem grün-weißen Erfolgsrezept im Bereich Design und Kreativwirtschaft und lässt dabei renommierte internationale Journalistinnen und Journalisten zu Wort kommen, die die Steiermark von außen – u ­ nd durchaus auch kritisch – betrachten. Tanja Paar – Gestern. Heute. Morgen Susanne Karr – Urbane Vorbilder – Digitale Provinz? Anna M. del Medico – Höchst kreativ und zukunftsfähig Thomas Edelmann – Werte schaffen und dabei die Welt v­ erbessern Susanne Karr – Design – Pose oder Haltung? Manfred Zechmann – Design + Kommunikation Robert Haidinger – Querdenken mit System

Robert Haidinger – Design oder Desaster? Thomas Edelmann – A City full of Designers Bettina Krause – Kunst versus Design Maik Novotny – Das Urbane kultivieren Anna M. del Medico – Leadership in Sachen W ­ irtschaft ­ und Design

Das Magazin ist bei der Creative Industries Styria erhältlich. www.cis.at

RONDO RONDO RONDO DESIGNMONAT GRAZ 2021

REDESIGN THE FUTURE

Das Rondo verwöhnt Sie auf zwei Etagen mit einer raffinierten Kombination aus regionalen, ­mediterranen und asiatischen Speisen. Mo. — Fr. 10 — 24 Uhr Sa. 17 — 24 Uhr Küche 11 — 12 Uhr Telefon: 0316 258898 www.restaurant-rondo.at


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PROGRAMMPARTNERINNEN ­ UND -PARTNER 2021 Atelier Gamerith Breathe Earth Collective cardamom – Agentur zur Förderung des guten Geschmacks Citymanagement Graz Clara Frühwirth crosseye Marketing „Design in the City“-TeilnehmerInnen ECBN – European Creative Business Network Fanny et mari Fesch’Markt Georg Mähring GrazGuides graz museum Haus der Architektur HLW Schrödinger H+S Zauntechnik GmbH Innovationszentrum Weiz Johannes Scherr Design Josef Prödl Tischlerei Katharina Kuhn Ladies, Wine & Design look! Design Martin Mostböck – Architecture und Design Development Medienfabrik Graz nonconform Nina Popp – text – stories OchoReSotto Ortweinschule Graz „Parklets für Graz“-Teams PRETTYGOOD – creative consulting Raiffeisen-Landesbank Steiermark Restaurant Rondo Schloss Hollenegg for Design Simone Kovac Interior Design Waldpark Hochreiter Weitzer Parkett Wurzinger Design

IMPRESSUM

Herausgeber: Creative Industries Styria GmbH, Marienplatz 1, 8020 Graz, +43 316 890 598, office@cis.at, www.cis.at, www.designmonat.at, Geschäftsführung: Eberhard Schrempf, Redaktion: Barbara Nußmüller und ad literam (Susanne Ary, Stefan Schwar), Autoren: Eva Egger, Daniela Müller, Wolfgang Schober, Stuart Walker, Anzeigen: Barbara Nußmüller, Satz und Gestaltung: EN GARDE, Druck: Medienfabrik Graz

temmel_2021 _100x210.indd 1

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26.03.21 10:29


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