Chrischona-Panorama 6/2016: Hoffnung

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Pf r. Dr. Eckhar d Hagedor n Dozent für Neu es Testament am tsc

«Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen», sagt 1808 die Hauptfigur in Goethes Tragödie «Faust» und «korrigiert»: «Im Anfang war die Tat.» Damit hat Goethe eine Lawine von Neuformulierungen losgetreten. «Am Anfang war die Kunst», schreibt ein Künstler, ein Naturwissenschaftler: «Am Anfang war der Urknall». Auch die Pädagogen melden sich zu Wort: «Am Anfang war die Beziehung.» Ein Buch über Hochwasserkatastrophen titelte «Am Anfang war die Sintflut», und eine ZDF-Familienkomödie warb mit dem Titel: «Am Anfang war der Seitensprung». Sinnigerweise hiess es bei der letzten Fussballeuropameisterschaft: «Am Anfang war der Ball.» Und natürlich gibt es auch einen Krimi, der «Am Anfang war der Mord» heisst – was sich sogar auf «Im Anfang war das Wort» reimt. Und nun? Jede dieser Plattitüden ist eine Einladung, wieder genau hinzusehen und den Rückweg aus dem Oberflächlichen ins Unerschöpfliche zu suchen. Man riskiert allerdings eine Enttäuschung. Die heisst: Im Anfang sind nicht wir. Wo wir doch so gerne am Anfang stehen und am Schluss und auch mittendrin. Wo wir nicht dabei sind, ist doch nichts los, oder? Es ist ernüchternd, gleich am Anfang des wohl berühmtesten Evangeliums entthront zu werden. Ernüchternd, aber gut. Etwas Besseres kann uns nicht passieren. Wer den ganzen Abschnitt liest, merkt schnell: Mit dem «Wort» ist Jesus gemeint. Es geht um Jesus und Gott, wir würden heute sagen, die Beziehung zwischen Jesus und Gott und zwischen Gott und Jesus. Ein exzellenter Kenner und Liebhaber des Johannesevangeliums schrieb: «Der Sohn ist also in erster Linie für den Vater, nicht für die Schöpfung da.» Nicht für uns, jedenfalls nicht zuerst. 18

CHRISCHONA

6/2016

Bei Licht besehen – vom Licht ist gleich anschliessend die Rede! – ist das unser grosses Glück. Denn alles, was danach über uns gesagt wird, hat hier seinen Ursprung. Im Geheimnis der Beziehung zwischen Gott und Jesus finden wir unseren Ursprung, unser Leben, unser Licht, unsere Würde. Deshalb wirbt das ganze Evangelium um das Vertrauen zu Jesus, das Wort im Anfang. Man kann dieses Wort nicht hoch genug schätzen.

«Im Anfang

war das

Wort,

und das Wort war bei Gott, und Gott

war

das

Wort. Dasselbe

war im Anfang

bei Gott.» Johannes 1, 1–2

© fotolia – HAKKI ARSLAN

Wer neutestamentliches Griechisch lernt, wird die Sätze aus Johannes 1, 1–2 bald übersetzen können. Alle Vokabeln gehören zum Grundwortschatz, die Satzkonstruktion könnte nicht einfacher sein. Andererseits: Mit diesen einfachen Worten wird das Tiefste ausgesagt, was überhaupt gesagt werden kann. Sie bleiben ihrem Sinn und Inhalt nach jedem Nachdenken voraus: uneinholbar.


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