business im Breisgau

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Foto: © Aurelis Real Estate

Auf Echs! Ein Prosit auf die Reptilien

F Die Lokhalle im Abendlicht: Bis 1983 wurden hier Züge gewartet – auch der Orient Express. Heute tummeln sich kreative Firmen in dem Kulturdenkmal.

Die Bauarbeiten dauerten von 1901 bis 1905. Im Ersten Weltkrieg wurde hier eine Art logistische Drehscheibe für Verwundete eingerichtet. Sie wurden vom Güterbahnhof aus auf die verschiedenen Lazarette in der Stadt verteilt. Im Zweiten Weltkrieg wurde auch der Güterbahnhof Ziel von Luftangriffen der Alliierten. Kurz vor Kriegsende gab es in vier Monaten sechs Bombenabwürfe – den letzten am 13. Februar 1945. Den offiziellen Namen Güterbahnhof gab es dann erst seit den späten 1970er-Jahren. Und erst vor knapp drei Jahren verschwanden die Güterzüge von der Bildfläche. Zu diesem Zeitpunkt wurde aber bereits fleißig an der Zukunft des fast 60 Fußballfelder großen Areals gearbeitet. Bereits 2001 hatte die Stadt einen Pakt mit der Deutschen Bahn geschlossen, der die Flächen seinerzeit noch gehörten. Der Betrieb auf dem Güterbahnhof war zu dieser Zeit bereits stark rückläufig. Noch im selben Jahr wurde der erste Bebauungsplan der neuen Ära im Gemeinderat beschlossen. Zwei Jahre später gingen die Flächen an die Immobilientochter der Deutschen Bahn – Aurelis. Sechs Jahre später – in der Zeitrechnung von Stadtplanern und Projektentwicklern kaum mehr als ein Wimpernschlag – begann mit der Sanierung der Zollhalle eine neue Epoche.

„Die Stadt ist damals an uns herangetreten“, erinnert sich Quint-Chefin Ulrike Rossmann. Schaut man auf die, die heute da sind und vorher nicht da waren, gehört Quint fraglos zu den Pionieren. Freiburgs größte Werbeagentur saß zuvor in einem schmucklosen Zweckbau an der Basler Straße. Unverbauter Blick auf eine Tankstelle. FastFood-Restaurant und Discounter fußläufig erreichbar. Charme und Charakter? Fehlanzeige! So gesehen ist der Plan von Quint aufgegangen. Die Zollhalle mit ihren Seitenflügeln ist einer von drei Zeugen aus der alten Zeit – neben der Kantina und der Lokhalle. Alles andere ist dem Plan von einem neuen Quartier rund um die Gleislandschaft gewichen. Bei dem, was erhalten wurde, waren die Denkmalschützer streng. Vorne am Zollhof prangt immer noch eine alte Holztür. Dahinter ein fester Kasten aus Glas als Klima- und Sicherheitsschleuse. Zeller rümpft seinen Bart. „Besonders gut isoliert ist es natürlich nicht – aber uns gefällt es trotzdem.“ Die hohen Decken und breiten Gänge sind nach heutigen Standards der Flächennutzung und Energieeffizienz kaum zu rechtfertigen. Die schöne Atmosphäre der hohen Hallen mit den gläsernen Wänden ist das, was Firmen brauchen, die über die Architektur und Bürowelten strahlen wollen.

Logistische Drehscheibe für Verwundete

reiburg hat seit jeher eine gestörte Liebesbeziehung zu bedrohten Arten. Natürlich will kein Freiburger je in Verdacht geraten, ihm seien Naturschutz, Artenvielfalt und ökologisches Gleichgewicht egal. Doch taucht die gefährdete Kreatur im eigenen Hinterhof auf, wird der Öko ganz schnell zum Nimby: „Not in my backyard“. Artenschutz ist ja ganz schön, aber muss es ausgerechnet da sein, wo meine neue Garage hin soll? So gesehen hat die Mauereidechse viel mit dem Flüchtling gemein. Der ist auch den meisten aufgeklärten Menschen willkommen. Wenn aber Pläne für eine Unterkunft in der Nachbarschaft publik werden, wird sofort Zeter und Mordio geschrien. Da ist mein Häusle ja nur noch halb so viel wert! Es gilt als gesichert, dass auch die meisten der geschätzt 300 Mauereidechsen am Güterbahnhof einen Migrationshintergrund haben. Die kleinen Reptilien sind in Südeuropa deutlich weiter verbreitet als im Süden Deutschlands. Heute findet man sie vor allem auf Güterbahnhöfen, wo sich die Echse in den Gleisbetten pudelwohl fühlt. Für den Artenschutz wurde auf dem Areal ein fünf Hektar großer Grünstreifen eingezäunt. Auf dieser Fläche könnte man problemlos 144 im Schnitt 1,82 Meter große Fußballspieler im Wettkampfmodus artgerecht halten. Oder eben doppelt so viele Eidechsen, 25 Zentimeter lang. Der Zaun und seine Schilder sagen: „Weg da! Hier wohnen Eidechsen!“ Doch, nun ja, die Eidechsen verstehen gar keine deutschen Hinweisschilder, weil sie ja Migranten sind. Folglich kriechen und hängen sie überall rum. Es soll sogar Freiburger geben, die das freut. Philipp Peters

chilli | business im Breisgau | 07.2017 | 15


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