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Heilung der Erinnerungen: Was bedeutet das? Wie geht das? Liebe Schwestern, liebe Brüder in Christus! Heilung der Erinnerungen: Was bedeutet das? Wie geht das? Bei der Vorbereitung auf diese Tagung habe ich mich gefragt: Was kann ich zur Klärung dieser Fragen beitragen? Ich bin Dekan der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien. Es liegt nahe, dass ich nicht in allgemeiner Form über die Bedeutung und die Bedingungen der Heilung von Erinnerungen spreche, sondern darüber, was diese Heilung für unsere lutherische Kirche bedeuten könnte und wie sie bei uns – in unserem Verhältnis zur Katholischen Kirche – wirksam werden könnte. Der erste Schritt dabei scheint mir zu sein, darüber nachzudenken, an welchen Stellen denn Heilung notwendig ist. Welche kollektiven Erinnerungen unter uns sind schmerzhaft und bedürfen der Heilung? Solche Verletzungen aufzusuchen und zu beschreiben ist aus verschiedenen Gründen aber gar nicht so einfach für mich. Erstens liegt der Brennpunkt der Geschichte, um die es bei den kollektiven Erinnerungen von Katholiken und Lutheranern geht, nicht in Italien, sondern in Deutschland. In Deutschland sind aus der Reformation lutherische Kirchen hervorgegangen, in Deutschland haben Religionskriege stattgefunden - erst der Schmalkaldische Krieg, später der Dreißigjährige Krieg -, in Deutschland wurde die Zugehörigkeit der Bevölkerung zur katholischen oder aber zu einer Kirche der Reformation mit Gewalt durchgesetzt. In Italien hingegen hat die protestantische Reformation gar nicht stattgefunden, wenn man einmal vom Beitritt der Waldenser zur reformierten Konfession absieht. Reformatorische Impulse wurden hier im Keim erstickt und konnten sich nicht so ausbreiten, dass sie in der Kirche konkret wirksam geworden wären und Konsequenzen nach sich gezogen hätten. Man kann sich vor diesem Hintergrund zweitens fragen, ob es hier für Lutheraner überhaupt Erinnerungen gibt, die zu heilen wären. Ich spreche ausdrücklich von Lutheranern und nicht von Waldensern, für die sich die Sache ganz anders darstellt. Natürlich sind wir Lutheraner mit den Waldensern verbunden, aber was die Waldenser erlebt und erlitten haben sind nicht unsere Erinnerungen. Wie stellt sich die Situation für Lutheraner dar? Bei der Veranstaltung zum Reformationsjubiläum während der letzten Synodalsitzung in Venedig haben wir von dem Historiker Stephan Oswald Einzelheiten darüber gehört, wie schwierig es in dieser Stadt für Lutheraner in den vergangenen Jahrhunderten war, sich zu versammeln und Gottesdienste zu feiern. In anderen Städten Italiens war das überhaupt nicht möglich. Und ich habe gelesen, dass schon der Besitz einer Bibel zu bestimmten Zeiten dazu führen konnte, außer Landes verwiesen zu werden. Aber sind das lebendige Erinnerungen unter uns Lutheranern, die unsere heutige Identität prägen? Ist es nicht eher so, dass wir – was die Reformation in Italien angeht, die nicht stattgefunden hat – uns zunächst genau informieren müssen, was genau da vor 500 Jahren geschehen ist? Wenn das so ist, dann bedeutet dies aber, dass wir die Erinnerung zunächst rekonstruieren müssten, bevor sie geheilt werden könnte. Kann das aber der Sinn dessen sein, worum es heute hier geht? Und drittens bin ich kein Wissenschaftler. Ich habe Theologie studiert um als Pfarrer arbeiten zu können, aber ich bin in der Theorie nicht so zu Hause, dass mir die einschlägigen Dokumente und Bücher alle geläufig wären, die zur Beurteilung der geschichtlichen Ereignisse notwendig sind. Hingegen bewegt und bedrängt mich die Frage, was uns in unserem Alltag in den Kirchen ganz praktisch helfen könnte, um dem Ziel der Einheit der Kirche näher zu kommen. Und dies nicht nur auf der Ebene der Kirchenleitungen, sondern in den Parochien und Gemeinden. Worüber also soll ich heute sprechen? Die genannten Gründe führen mich dazu, mich dem Thema von der Praxis her zu nähern. Als Pfarrer in einer Gemeinde und als Dekan, der andere Gemeinden besucht, mache ich Erfahrungen mit sehr unterschiedlichen Haltungen unserer lutherischen Christen gegenüber der katholischen Kirche. Ich will versuchen, diese Haltungen zu 1


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