ELKI-Tag 2014
Bibelarbeit zu Römer 13 Aufgrund eines gewissen Bibel-Analphabetismus unserer Gesellschaft ist es sehr wahrscheinlich, dass die meisten Männer und Frauen in Europa zu Beginn dieses Jahrhunderts diese Verse von Paulus nicht kennen. Wenn sie sie aber lesen würden, glaube ich kaum, dass sie für sie neu wären: Zu Recht oder zu Unrecht haben die christlichen Kirchen den Ruf, jahrhundertelang als ideologische Stütze der Macht fungiert zu haben. Die historische Wirklichkeit ist wie immer sehr viel komplizierter als die Allgemeinplätze: Dass aber die Wirkungsgeschichte von Röm. 13, 1-7 äußerst problematisch ist, ist andererseits auch historische Wirklichkeit. Die protestantische und die lutherische Tradition insbesondere können nicht umhin, sich mit einer belastenden Erinnerung auseinanderzusetzen: Hinter Luthers Rolle in der Tragik des Deutschen Bauernkriegs 1525, den abenteuerlichen Thesen von Theologen wie Emanuel Hirsch, Paul Althaus und Werner Elert zwischen 1933 und 1945 und teilweise auch später noch, verbirgt sich eine Auslegungsgeschichte von Römer 13, die zu vergessen unverantwortlich wäre. Es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre, ist eine Behauptung von Paulus, die sehr feierlich anmutet, und Angelpunkt einer Staatstheologie war, die die Geschichte Europas unauslöschlich geprägt hat. Die sogenannte «ZweiReiche-Lehre», die wir kurz gefasst im Augsburger Bekenntnis (Art. 16 und 28) wiederfinden, lässt sich nicht auf eine Staatsideologie reduzieren, ist aber sicher häufig in diesem Sinne ausgelegt worden. Unter diesem Gesichtspunkt ist es kein Zufall, dass die Barmer Theologische Erklärung (1934) sich mit Röm. 13 und der diesbezüglichen protestantischen Auslegungsgeschichte nur implizit (aber gerade deshalb besonders effektiv) auseinandersetzt, und I Petr. 2,17 zitiert. Sollten allerdings andere Kirchen dieses Ereignis als Argument für eine konfessionelle Polemik nutzen wollen, wäre das sicher keine gute Idee. Wenn für Paulus, die Obrigkeit nicht umsonst das Schwert trägt; und wenn für Luther diese bewaffnete Staatsmacht die Funktion des Notbischofs (ein Notfall, der häufig zur Regel geworden ist) ausübt, dann gab es gemäß der päpstlichen Bulle Unam Sanctam von Bonifatius VIII. (1302) zwei Schwerter: Ein Schwert, angeblich spiritueller Natur, hält der Papst in der Hand, welcher im Laufe der Geschichte ungezwungen Gebrauch davon gemacht hat, formell sich aber des «weltlichen Arms» für sein Unterdrückungswerk bediente. Die Wirkungsgeschichte von Röm. 13 ist auf ihre Weise eine Frage der «Einheit in der Vielfalt» unter den Kirchen... Wenn wir nun, vor diesem Hintergrund, die jüngsten Auslegungen unserer Bibelstelle in Betracht ziehen, ändert sich das Klima vollständig: Bei allen auch beachtlichen Differenzierungen, die Teil einer Debatte unter Fachleuten sind, besteht ein grundsätzlicher Konsens über den entscheidenden Punkt: Röm. 13, 1-7 stellt auf keinerlei Weise eine theologische Auffassung des Staates dar (von manchen wird im Gegenteil betont, dass «der Staat» als solcher nicht einmal erwähnt wird), sondern fügt sich ganz natürlich in den letzten Teil des mahnenden («paränetischen») Briefs ein. Die Aufforderungen des Apostels sind äußerst ernst gemeint, besitzen aber keine lehrhafte Bedeutung. Sein allgemeiner Charakter wird von Fachleuten in dreifachem Sinne herausgestellt. Erstens sind Paulus‘ Anweisungen allgemeiner Art und beziehen sich nicht auf spezifische Problematiken. Die Tatsache etwa, dass die Eventualität, dass eine Staatsmacht die ihr von Gott anvertraute Aufgabe nicht erfüllt, nicht in Betracht gezogen wird, sollte nicht als grundsätzlicher Ausschluss dieser tragischen Möglichkeit interpretiert werden, sondern als Ausdruck einer allgemeinen Anweisung, die nicht auf Einzelfälle eingeht. Die apostolische Mahnung ist auch in einem zweiten Sinne allgemeiner Art: Sie scheint sich nicht auf eine bestimmte Situation in der römischen Gemeinde zu beziehen. Manche Autoren (z.B. Käsemann) vermuten einen Parallelismus zwischen den römischen Gemeinden und den «Schwärmern» in Korinth. Sie sind der Meinung Paulus reagiere auf eine Vision, die die Konkretheit der Geschichte nicht ernst nimmt und den himmlischen Zustand fälschlicherweise auf der Erde vorwegnimmt. Der Bibeltext bietet allerdings keine wirklich 1