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«Am häufigsten mangelt es an Spiritualität» Fünfzehn Jahre Natürliche Gemeindentwicklung in der Schweiz Wenn auf dem Acker gute Frucht wachsen soll, müssen gewisse Mineralstoffe in ausgewogener Weise und ausreichender Menge vorhanden sein. Auch für die Entwicklung von gesunden Kirchen und Gemeinden gibt es ähnliche, universell gültige Prinzipien. Dies zeigt das Konzept der Natürlichen Gemeindeentwicklung (NGE). Im Interview erzählt Andreas Fürbringer von seinen Erfahrungen als Gemeindeberater und Leiter von NGE-Schweiz.
Interview: Peter Höhn CZ: Andreas, was motiviert dich, seit fünfzehn Jahren mit NGE zu arbeiten? Andreas Fürbringer: Bei einem Treffen 1994 mit Christian Schwarz hörten wir von seiner Vision, eine weltweit einzigartige Forschungsarbeit durchzuführen. Dahinter stand die Frage: Worin unterscheiden sich wachsende von schrumpfenden Gemeinden auf allen Kontinenten, unabhängig von ihrer Grösse, ihrem kulturellen und kirchlichen Hintergrund? Wir sprachen in diesem Zusammenhang von ‹Gottes Gemeindecode›, den wir entdecken wollten. Die Resultate aus der damaligen Forschung aus 1000 Gemeinden haben uns begeistert, weil wir nun zum ersten Mal wissenschaftliche Zusammenhänge zwischen der Qualität des Gemeindelebens und dem Wachstum aufzeigen konnten. Wachsende Gemeinden unterscheiden sich nachweislich qualitativ in acht Bereichen von schrumpfenden Gemeinden. Unterdessen liegen genaue Daten von über 60 000 Gemeinden weltweit vor, die diese Tatsache bestätigen. Den 32
offensichtlichen Zusammenhang zwischen Qualität und Wachstum finde ich sehr bemerkenswert. Zudem motiviert mich die Tatsache, dass NGE eine entlastende Botschaft für Pastoren und Gemeindeleitungen hat, denn der Wachstumsdruck, die Orientierung an Mitgliederzahlen oder Gottesdienstbesuchern legt meiner Erfahrung nach ein gewaltiges Joch auf die Gemeindeverantwortlichen. Der Perspektivenwechsel, weg von den Zahlen hin zum Freisetzen der Wachstumsautomatismen, mit denen Gott selbst Gemeinde baut, eröffnet vielen Pastoren eine neue Sicht der Gemeindeentwicklung. Wie ist die Nachfrage nach NGEGemeindeprofilen heute, und welche Gemeinden arbeiten am stärksten damit? Zu den Gemeindeverbänden und Bewegungen, die schon breitere Erfahrungen mit NGE gesammelt haben, gehören die BewegungPlus, Chrischona Schweiz, EMK, FEG und Vineyard. Erfreulich ist, dass ich auch mehrere evangelisch-reformierte Kirchgemein-
den in NGE-Prozessen begleiten durfte und im vergangenen Jahr auch das erste Profil in einer katholischen Pfarrei erstellt wurde. Was ist bei der Arbeit mit NGE und dem Gemeindeprofil zu beachten? Entscheidend für den nachhaltigen Nutzen ist einerseits, dass die Leitung einer Gemeinde mit den NGE-Prinzipien und -Wachstumskräften vertraut ist und diese verinnerlicht hat, und andererseits, dass sie in regelmässigen Abständen das Profil erhebt. Ein erstes, isoliertes Profil gleicht einem Schnappschuss, der nur bedingt aussagekräftig ist. Als Berater frage ich deshalb beim ersten Profil immer nach, ob die Werte der Qualitätsmerkmale eher auf einen Aufschwung oder auf einen Rückgang hindeuten. Was ist übers Ganze gesehen das Qualitätsmerkmal, das am häufigsten bzw. am spärlichsten auftritt? Nach mehreren Hundert Gemeindeprofilen zeichnet sich eine eindeutige Tendenz ab: Der häufigste Maximumfaktor ist die bedürfnisorientierte cz 2|10
Evangelisation. 23 Prozent aller Gemeindeprofile der Schweiz haben hier ihren stärksten Wert. Dies ist für mich die überraschendste Erkenntnis meiner Tätigkeit als NGE-Berater. Meine Interpretation hierfür lautet, dass immer mehr Gemeinden für sich erkannt haben, dass sie die klare Aufgabe haben, das Evangelium hinauszutragen. Hier gab es in den vergangenen fünfzehn Jahren starke Impulse aus Bewegungen wie Alphalive oder Willow Creek bis hin zu den aktuellen Einflüssen unter dem Stichwort der missionalen Gemeinschaften. Im Gegensatz dazu steht der häufigste Minimumfaktor, die leidenschaftliche Spiritualität. Dies überrascht mich weniger: 21 Prozent aller Profile haben hier den niedrigsten Wert. Zusammengefasst bedeutet das also, dass wir es in der Schweizer Gemeindelandschaft weniger mit einer evangelistischen Notlage als mit einer spirituellen Herausforderung zu tun haben.
• Andreas Fürbringer ist nationaler Partner für Natürliche Gemeindeentwicklung in der Schweiz und arbeitet als Gemeindeberater, Coach und Trainer. Er ist Mitglied der Geschäftsleitung von Campus für Christus.
Worin liegt diese spirituelle Herausforderung für die Gemeinde? Wie ist ein niedriger Wert bei Spiritualität zu deuten? Im Qualitätsmerkmal leidenschaftliche Spiritualität wird unter anderem nach der persönlichen Gottesbeziehung, dem Gebet und dem Umgang mit der Bibel gefragt. Alle Werte basieren auf der Rückmeldung von engagierten Gemeindegliedern aus dem Kern der Gemeinde. Niedrige Werte für leidenschaftliche Spiritualität resultieren dann, wenn diese Leute ihr geistliches Leben als wenig leidenschaftlich beurteilen, nur wenig vom Wirken Gottes in ihrem Leben erfahren oder das Bibellesen als wenig inspirierend erleben.
Die acht Qualitätsmerkmale
Wo liegen deiner Ansicht nach die Gründe für die oftmals niedrigen Spiritualitätswerte? In der Arbeit mit den betroffenen Gemeinden zeigt sich oft, welches die
Kernstück von NGE ist das Gemeindeprofil mit den Werten für die acht Qualitätsmerkmale (siehe oben das Beispiel einer Kirchgemeinde). Die umfassende Auswertung zum NGE-Profil vermittelt einen detaillierten, objektiven Einblick in den Gesundheitszustand der Gemeinde und ermöglicht so, entsprechende Prioritäten zu setzen. Dabei geht es darum, wie die am schwächsten entwickelten Bereiche – meist mit Hilfe der am stärksten entwickelten Bereiche – gefördert werden können.
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