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Autor, Aktivist und Alumni – ein Interview mit Cem Tanriover Von David Gelantia Guten Tag Herr Tanriover. Vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit nehmen. Sie haben von 1995 bis 2002 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Volkswirtschaftslehre studiert und von 2002 bis 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie gearbeitet. Daher haben Sie eine starke Verbundenheit zu Freiburg und dem FWW. Nach Ihrem akademischen Aufenthalt in Deutschland haben Sie verschiedene Karrierewege bestritten. Sie waren Eurokrat, haben hierbei unterschiedliche Positionen in der Europäischen Union bekleidet, unter anderem als Berater bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA, der Europäischen Grenz- und Küstenwachagentur FRONTEX und der Europäischen Organisation für Flugsicherung EUROCONTROL. Nun sind Sie Autor und Aktivist. Wie sind Sie dazu gekommen und was waren Ihre konkreten Beweggründe hierfür? Guten Tag Herr Gelantia und vielen Dank. Es ist sicherlich viel passiert, seit meinen aktiven Tagen in Freiburg. Das Interview ist eine Freude für mich, vor allem, da ich heute mehr über die Kunst und die Literatur sprechen darf als nur über die Wirtschaft wie damals. Es ist wahr, dass man durch das viele Reisen ergänzende Kenntnisse erlangt – einen weltkritischen Blick und eine Erweiterung im Vergleich zu der Welt der Lehrbücher. Während meiner Aufenthalte in Europa, den USA, Brasilien und der Türkei, stellte ich vor allem eins fest: Überall auf der Erde wird man glücklich, wenn man andere Leute mit denselben Einstellungen trifft und eine tiefe Verbindung zu diesen schließen kann. Dasselbe gilt auch für die Nationalstaaten. Jedoch scheint es heutzutage für viele schwer zu sein, trotz der Digitalisierung Ihren Blickwinkel zu erweitern, vor allem, wenn Nachhaltigkeit dies erfordert. Für mich war es genauso schwer den Blickwinkel zu wechseln, bis ich dank der Universität Freiburg, durch das Kennenlernen von Menschen und auch dank der Kunst und Literatur dies gelernt habe.
taten unbekannt sind. Der geänderte Blinkwinkel zeigt mir, dass dies wahrscheinlich mit einer Mentalitätsänderung einhergehen muss. Durch meine Erfahrungen kam ich zur Erkenntnis, dass das Vergessen an sich eine gesellschaftliche Gefahr mit sich bringt. Auch heute scheinen sich alte Fehler zu wiederholen. Deswegen wollte ich daran erinnern, dass das wahre Schlachtfeld, auf dem die ökologische Zukunft des Planeten entschieden wird, kein ökonomisches, sondern eindeutig ein soziales Schlachtfeld ist. Die Art und Weise, wie Menschen als soziale Wesen miteinander umgehen, ist meiner Ansicht nach entscheidend für die Bewältigung der ökologischen Krise. Das bedeutet wir brauchen weltweit mehr Social Upgrading und weniger lineares Denken. Anders ausgedrückt ist gesundes, weltökonomisches Wachstum ohne genügend Social Upgrading nicht nachhaltig. Daher müssen wir unsere Mentalität ändern und das Prinzip der Symbiose und Zirkularität von der Natur besser lernen und auch Botschaften von Frauen wie Jane Goodall verstehen.
Inwieweit hat sich Ihr Blickwinkel nun geändert?
Was meinen Sie konkret mit der „Symbiose und der Zirkularität von der Natur“?
Nun ja, wir sind heute immer noch weit entfernt von der utopischen Weltwirtschaftsordnung im Zeitalter des friedlichen Zusammenlebens, in dem die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel frei, Diebstahl nur noch eine Vergangenheit ist und Gewalt-
Durch Automatisierung, Digitalisierung, Elektrifizierung und Dekarbonisierung steht Europa gegenwärtig an der Schwelle eines massiven
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ZFW
31. Jahrgang Heft 1
2020