KOLUMNE.
KREBS- STATT CURRYWURST ODER: EINE
K.
CHANCE FÜR DAS TRADITIONELLE NEUE A
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lso wieder ein neuer Trend. Wo doch alles
Verkostung fiel das Urteil einstimmig aus: Bei-
schon einmal da gewesen ist! Etwa: selbst
fall. Für das Ungewohnte aber Genussvolle, das
Wurst machen. Über Jahrhunderte hinweg
auch dem doch gänzlich anderen Mundgefühl
gelebter bäuerlicher Alltag. Ja, der heute so ge-
zu schulden ist.
hypte kulinarische Regionalismus war schon
Gegenwärtig wächst die Sehnsucht nach dem
um 1700 „en vogue“.
regionalen, handwerklich soliden, sauberen
Trotzdem entschlossen wir uns letztes Jahr
Produkt. So wie man meinte, dass es vordem
dazu, gemeinsam mit dem Inspirationsteam
einmal existierte. Die Wahrheit ist: So eine heile
eines Salzburger Gewürzherstellers unser
Welt gab es nicht und gibt es nicht. Unsere
eigenes (Wurst-)Süppchen zu kochen, und
Rezepte stammen aus Kochbüchern der Ober-
machten uns an die Herstellung diverser Sor-
schicht, die sich teure Gewürze leisten konnte.
ten. Es sollte ein eher experimenteller Versuch
Der Großteil der Bevölkerung lebte fleischlos,
werden. In den Kochbüchern aus dem 17. und
schlicht aus Armut. Die hygienischen Um-
18. Jahrhundert, die wir herausgeben (und
stände bei der damaligen Zubereitung muten
die im Buchhandel erhältlich sind), finden
so ekelerregend an wie heute die industrielle
sich jede Menge Wurstrezepte, jedoch mit
Massenschlächterei.
heute zum Teil abenteuerlich anmutenden
Fortschritt? Fleisch für alle! Aber welches? Und
Ingredienzien: Zimt, Safran und Rosinen
um welchen Preis? Zahlen die auf „Preisbe-
zählen dazu, ebenso wie Krebse, dazu große
wusstsein“ konditionierten Verbraucher den
Mengen Pfeffer und diverse, teils ungewöhn-
gerechtfertigten, höheren Preis für wirkliche
liche Kräuter.
Qualität? Der aktuelle Trend bietet jedenfalls
Wir wollten wissen, ob das funktionieren kann.
die Chance für unvergleichliche Produkte. In
Und wie es schmeckt. Wenn das Schwein mit
einem kleinräumigen Netzwerk von Züchtern
der Hand auf einem Bauernhof aufgezogen
und Fleischhauern hergestellt, vermarktet über
wurde, stressfrei geschlachtet. Das Fleisch mit
die Regionalschienen und die Gastronomie.
dem Messer geschnitten und gehackt wird –
Das historisch-lokale Fundament bringt die
ohne Cutter natürlich. Wie sich die Gewür-
gewünschten, medientauglichen Storys und
ze in den Mengen der alten Rezepturen un-
Authentizität. Die Rezepte liefern wir gerne
tergemischt entfalten würden. Dann wurde
(gegen Deputat). Und es muss nicht nur um
geräuchert, luftgetrocknet, und am Tag der
die Wurst gehen …
DR. LOTHAR KOLMER Dr. Lothat Kolmer, geb. 1948, hat an der Universität Salzburg Mittelalterliche Geschichte und Kulturgeschichte gelehrt und dort das „Zentrum für Gastrosophie“ gegründet und geleitet. Nunmehr emeritiert, widmet er sich seiner kulinarischhedonistischen Vervollkommnung. Lothar.Kolmer@sbg.ac.at