Wirtschaftsmagazin Bodensee 2014 Sondertitel Singen

Page 39

&

Von Dr. Ursula Zeller, Direktorin Zeppelin Museum Friedrichshafen

VIELFALT EINZIGARTIGKEIT

EINE TOURISMUSGETRIEBENE BETRACHTUNG DER KULTUR- UND KUNSTLANDSCHAFT AM BODENSEE

Der Tourismus am Bodensee ist ein Wachstumsmarkt. Selbst zu Zeiten, da andere Ur-

laubsregionen Deutschlands stagnieren, kann der Bodenseetourismus zulegen. Seine Abhängigkeit vom deutschsprachigen Markt ist offensichtlich,

denn der Anteil der ausländischen Gäste (ohne Österreich und Schweiz) beträgt nur 11 % – eine Umstandskonstante, die sich auch als Potential für die

Zukunft und nicht als Schwäche beurteilen lässt. Mit dem Zuwachs steigen auch jährlich die Vielfalt der Attraktionen und damit das Angebot für die Besucher. Keine Saison vergeht, in der nicht neue Erlebnisparks,

Museen und Ausstellungshäuser eröffnet werden. Auch die vorhandenen Attraktionen investieren und entwickeln sich zu Ganzjahres- und vor allem zu Allwetteranbietern. Es gibt großartige Highlights in allen vier Ländern um den See: Die Festspiele in Bregenz, die Insel Mainau, das Weltkulturerbe in St. Gallen, das der Reichenau und der Pfahlbauten – und nicht zu vergessen: die Schifffahrt mit ihren zahlreichen Ausflugsmöglichkeiten. Kultur- und Technikinteressierte kommen also am Bodensee ebenso auf ihre Kosten wie Blumenfreunde, Badegäste, Wanderer und Fahrradfahrer. Also alles prima?

D

a der Erfolg immer recht hat, darf man die Frage ruhig mit Ja beantworten. Andererseits: Die Angebotsvielfalt birgt nicht nur viele Chancen für den Tourismus am See; sie ist gleichzeitig auch Ursache für Mittelmaß und unterbleibende Profilierung, auch wenn dies gewiss nicht für alle Angebotssparten gleichermaßen gilt. Nicht jeder Freizeitpark muss die Größe von Rust haben, um erfolgreich so viele Besucher anziehen zu können, dass sein Geschäftsmodell aufgeht; schiere Größe kann auch abschrecken. Bei Museen und Ausstellungsinstitutionen verhält sich die Sache ein wenig anders, zumal, wenn sie sich die Bildende Kunst auf die Fahne geschrieben haben. Fast jede Stadt am See hat inzwischen ihr Museum und veranstaltet Kunstausstellungen – ein Zug eher zur Breite als zur Stärke. Die IBK, der Zusammenschluss der um den Bodensee liegenden Länder und Kantone Deutschlands, der Schweiz, Österreichs und Liechtensteins, könnte auf diese Entwicklung beratend und regulierend Einfluss nehmen; sie sieht ihre Aufgabe jedoch eher in der Überwindung der Grenzen und der Erhaltung von Kunst und Kultur, sodass sie mehr in die Breite als in die Spitze arbeitet und versucht, die Teilhabe aller an Kulturereignissen zu ermöglichen. Eine Folge davon ist aber, dass die Fülle der Aktivitäten so groß wird, dass diese leicht unter die Wahrnehmungsschwelle fallen und meist nur auf die nähere Umgebung ausstrahlen. Kaum ein Haus wirkt mit seinen Veranstaltungen über den eigenen Standort hinaus. Genauso geht es den –

ohnehin wenigen – privaten Galerien und auch den hier ansässigen Künstlerateliers. Würde man eine Umfrage bei den Kunstinteressierten Deutschlands machen, so würde die Bodenseeregion sicher nicht als bedeutende Kunstlandschaft bewertet werden – trotz ihrer herausragenden Ausnahmen: Das KUB in Bregenz hat einen exzellenten nationalen und internationalen Ruf und genießt Bekanntheit – nur, kaum einer besucht es. Ganz ähnlich ergeht es den Museen in Winterthur, St. Gallen und Vaduz. Der deutsche Bodensee hat schon überhaupt kein vergleichbar international oder auch nur national bekanntes Haus zu bieten – mit Ausnahme des Zeppelin Museums in Friedrichshafen, das aber kein reines Kunstmuseum ist, sondern seinen Schwerpunkt auf die Verbindung von Technik und Kunst legt und dadurch seinen Alleinstellungs-Rang gewinnt. Infolgedessen rangieren seine Besucherzahlen um ein Vielfaches höher als bei den genannten Schweizer, Österreichischen und Liechtensteinischen Institutionen. Bezeichnenderweise liegt der Anteil ausländischer Besucher ohne Schweizer und Österreicher im Zeppelin Museum mit knapp 20 % ums Doppelte über dem Bodenseetouristendurchschnitt. Gewiss, die Museen leisten ihren Beitrag für die touristische Gesamtperformance und helfen, den Gästen den Aufenthalt vielfältig und abwechslungsreich zu machen. Gemeinsames Werbemotiv ist dabei die Bildung, die Museen und Tourismus verbindet. Als zentrale Aufgabe der Museen markiert das Bildungserlebnis Dr. Ursula Zeller |? Menschen | Menschenund undPositionen Positionen 37


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.