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Die unkontrollierbare Stressreaktion

Viel Erfolg zählt zum Schlimmsten, was einem im Leben passieren kann. Wer immer wieder mit der gleichen Strategie erfolgreich vorankommt, der wird am Ende einem Rennpferd immer ähnlicher, einem Rennpferd, das sich selbst die Scheuklappen immer fester überzieht. Jetzt kommt es wieder, dieses sonderbare, schon längst vergessene und für immer überwunden geglaubte Gefühl im Bauch. Man macht noch zwei, drei vergebliche Versuche, doch noch mit dem Kopf durch die Wand, mit den alten Strategien durch die neuen Anforderungen zu kommen und dann steckt die Karre endgültig fest. Die untergründige Angst und mit ihr die im Gehirn ausgelöste Stressreaktion, ist nicht mehr aufzuhalten, sie wird unkontrollierbar.

Immer wieder suchen wir unser Gehirn nach einer brauchbaren Verschaltung ab, und jedes mal merken wir, wie unsere Gedanken automatisch in die alten bequemen Bahnen der inzwischen unbrauchbar gewordenen Straßen unseres Denkens und Empfindens rutschen. So fest sitzt das alles. So tiefe Spuren haben wir, ahnungslos und vom Erfolg geblendet, in unser Gehirn eingegraben. Mit eigener Kraft kommen wir hier nur schwer wieder heraus. Völlig ohne unser Zutun geschieht jedoch, solange dieser Zustand einer unkontrollierbaren Belastung anhält, etwas in unserem Gehirn. Ganz allmählich und ohne dass wir etwas davon merken, weichen die Stresshormonwellen, die ja ständig auch unser Gehirn, seine Nervenzellen und ihre Verschaltungen überfluten, die dort entstandenen Straßen auf. Wie die Meeresbrandung bei Sturmflut Straßen und Dämme unterspült, zerlöchert und unbrauchbar macht, trägt auch die ständige Anflutung von Stresshormonen dazu bei, die bereits ausgebildeten Strukturen, die bereits entwickelten Spezialisierungen, die bereits entstandenen, gebahnten Verschaltungen allmählich aufzulösen.

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Wieder einmal ist unser Gehirn und unser Körper so viel schlauer, als wir uns das vorzustellen bereit sind. Wenn es in einer bestimmten Richtung nicht mehr weiterzugehen scheint, wird ganz einfach all das aufgelöst und weggespült, was uns so hartnäckig daran hindert, eine andere Richtung einzuschlagen, neue Wege des Denkens und Fühlens auszuprobieren. Aber auch dieser eingebaute Mechanismus, der die immer neue Anpassung der in unserem Gehirn angelegten Verschaltungen an die jeweiligen Erfordernisse unserer Lebenswelt ermöglicht, kann überschießen. Ebenso wie es durch übermäßige Bahnungsprozesse im Verlauf wiederholter kontrollierbarer Belastungen zur neurotischen Fixierung des Denkens, Fühlens und Handelns eines Menschen kommen kann, kann die Destabilisierung neuronaler Verschaltungen bei langanhaltenden unkontrollierbaren Belastungen tiefer reichen und mehr auflösen, als eigentlich erforderlich wäre.

Die mit Verzweiflung und Ratlosigkeit einhergehende unkontrollierbare Stressreaktion ist die Voraussetzung dafür, dass wir einen neuen, geeigneteren Weg zur Bewältigung der Angst finden. Dauert sie zu lange an, so werden die immer wieder anflutenden Stresshormonwellen zu einer wachsenden Gefahr für unsere geistige, emotionale und körperliche Integrität. Eine kleine Sicherung ist in unserem genetischen Programm auch für diesen Fall noch eingebaut. Die hohen Kortisolspiegel wirken nämlich wie eine Bremse auf diejenigen Zellen im Gehirn und im Körper, die durch Stressbelastungen übermäßig aktiviert werden. Erst dann, wenn die breiten Straßen und Autobahnen in seinem Hirn weggeräumt und eingeschmolzen sind, hat der Mensch die Freiheit wiedergewonnen, mit seinen Gedanken nun auch einen der vielen anderen, selten benutzten und fast vergessenen kleinen Wege zu begehen.

Erst jetzt kann er sich wirklich auf die Suche machen, auf die Suche nach einem ganz anderen, neuen Weg. Jetzt hat er die Chance, eine alte Verschaltung wiederzuentdecken, deren Benutzung dazu führt, daß die unlösbar geglaubten Probleme sich entweder in Luft auflösen, weil er erkennt, dass sie gar keine wirklichen Probleme waren, oder dass er sie letztlich doch, wenngleich ganz anders, als er sich das ursprünglich vorgestellt hatte, beiseite räumen kann. Die Angst ist weg, die unkontrollierbare Stressreaktion ist kontrollierbar geworden. Jetzt kann er tief durchatmen.