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Die machtAngst den Weg frei

Begegnung und Ausschau

Was haben ein Ausflugslokal, welches mitten im Wald eröffnet wird und unser Gehirn gemeinsam? Bei beiden gibt es einen Weg, der mit der Zeit immer breiter wird, kleine Unebenheiten werden immer gerader. Abhängig von der Nutzung verändert und formt sich das Netzwerk von Straßen und Wegen. Hier besteht der Zusammenhang zur Neurobiologie, zum Verständnis der Hirnfunktion. Ein schlauer Begriff dafür ist „experience dependent plasticity of neuronal networks“. Gemeint sind die Verbindungen zwischen den Nervenzellen in unserem Gehirn in Abhängigkeit von ihrer Benutzung. Diese neuronale Verschaltungen haben Einfluss auf unser Denken,

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Fühlen und Handeln. Je nachdem wie wir sie nutzen, formen wir sie. Sei es lesen, Geige spielen oder im Internet surfen. Je nachdem wie oft wir welche Pfade in unseren Gedanken beschrei ten, werden die Pfade für uns zu Wegen, Straßen oder Autobahnen. Doch wie werden Trampelpfade des Denkens zu Wegen und manche Straßen des Emp findens zu Sackgassen? Die neuronalen Verschaltungen im Gehirn können sich zeitlebens ändern. Zum Beispiel durch Vergrößerung oder Verringerung der synaptischen Kontaktflächen, durch verstärkte oder verminderte Ausbildung prä- und postsynaptischer Spezialisierungen oder durch Veränderungen der kontinuierliche Anpassung der synap tischen Verbindungen und neuronalen Verschaltungen statt.

Entwicklungswege

Die genetischen Programme, die die Verschaltungen im Gehirn lenkten, sind in einem langen Evolutionsprozeß genau für die Bedingungen optimiert worden, unter denen sie noch heute leben. Mit den ersten Wirbeltieren waren Programme entstanden, die dazu führten, dass das Gehirn bei Gefahr bestimmte Signalstoffe produziert, die in das Blut abgegeben werden und die Produktion und Abgabe von Hormonen durch die Nebennieren anregen. Diese hormonelle Reaktion diente zunächst dem Zweck, die letzten Reserven des Körpers zu mobilisieren, damit er eine bedrohliche Situation übersteht. Es war eine Reaktion für den Notfall. Sie heißt Stressreaktion und hat schon unendlich vielen Lebewesen geholfen, kritische Phasen zu überstehen. Doch um wieder zu den Pfaden von vorhin zurückzukommen: ist dieser, der Entwicklung zugrunde liegend, eine besonders breite, gut geebnete Straße, wird diese manchmal ver wendet, auch wenn man nicht dorthin will, wo sie hinführt. Was gebraucht und gefunden wurde, war eine neue Pro grammänderung, die es möglich machte, dass auch die Nervenzellen des Gehirns durch die bei einer fortwährenden

Bedrohung ausgeschütteten Stresshormone ihre Eigenschaften veränderten, bisherige Verschaltungen auflösten und sich für neue Verschaltungen öffneten. Unter dem Einfluss der Stresshormone mussten unbrauchbar gewordene Autobahnen zu Straßen und Wegen zurück noch im Lauf unseres Lebens immer wieder dafür sorgt, dass zunächst zwar richtige, sich später aber als Sackgassen erweisende Verschaltungen aufgelöst und neue Wege eingeschlagen werden können. Und in beiden Fällen ist der Auslöser dieser Reaktion die Angst. Der Angstbegriff wird in seinem biologischen Zusammenhang etwas weiter gefasst als beispielsweise in der Affektforschung. Er bezeichnet das initial bei jeder psychogenen Stressreaktion ausgelöste Gefühl, das sich durch die individuelle Erfahrung der Bewältigbarkeit einer bestimmten psychischen Belastung zwangsläufig verändert. Das ursprüngliche Gefühl der Angst verwandelt sich daher in Abhängigkeit von diesen individuell gemachten Erfahrungen zu einem ganzen Spektrum von

Gefühlen, die wir aus der Erfahrung der Überwindbarkeit initial empfundener Ängste entwickeln. Sie können das ursprüngliche Gefühl der Angst mehr oder weniger vollständig überdecken und dann als Überraschung, Neugier, Freude oder gar Lust empfunden werden.