StudiVersum 42 - Das Buch

Page 6

AUS DEM LEBEN

Unverhoffte Publizität Nicht nur Promis müssen damit leben, dass sie sich unverhofft in der Öffentlichkeit wiederfinden. Eine (freiwillig) publizierte Schilderung. Text Dominic Illi

Wenn dein Telefon den ganzen Tag Sturm klingelt und der SMS-Speicher zu überquellen droht, kann das eigentlich nur eines bedeuten: Happy Birthday! Schon wieder hast du ein Jährchen mehr auf dem Buckel. Dem muss nicht zwingend so sein. Es könnte auch daran liegen, dass du gerade fälschlicherweise als frischgebackener Vater oder als Petting liebender Jüngling gefeiert wirst. Aber der Reihe nach. Im vorletzten Sommer wurde ich von einem Ex-Klassenkameraden angefragt, ob ich mit ihm bei einem kleinen Shooting vor die Kamera stehen würde. Es gehe um PET-Recycling, Fotograf sei der bekannte Walter Pfeiffer. Ich habe eingewilligt, weil ich gerade mit jenem Kumpel auf Mallorca war und jeder Bieridee zugestimmt hätte. Erst am Shooting erfahre ich die Details: Ich soll halbnackt in ein Becken voller PET-Flaschen liegen und meinen Arm um den Kollegen legen. Was macht man nicht alles für eine Öko-Kampagne, die nur aus einer limitierten Anzahl Kalendern besteht! Das Shooting schon verdrängt, das Honorar längst investiert, stellt sich mehrere Monate später heraus: Die Kalender werden in verschiedenen Magazinen verlost, und offenbar gefällt unser Bild den Redaktoren speziell gut. «Friday» findet mit «Wir lieben Petting» eine besonders passende Überschrift. Ich werde bombardiert von Anfragen: «He, bist du das? Und bist du schwul?» Ja, bin ich. Nein, bin ich nicht. Was mich damals unnötig Energie gekostet hat, amüsiert mich heute: all die Sprüche abzuwimmeln und dafür zu sorgen, dass meine heutige Freundin das Bild nicht ohne vorgängige Erklärung sieht. Etwas weniger Resonanz hat das zweite Ereignis hervorgerufen. Ein Dozent hat die Zeichen der Zeit erkannt und auf eine etwas eigenwillige Form der Interaktivität zurückgegriffen: ein Handy, auf das Studierende Fragen zum Stoff schicken können, die dann direkt in der Vorlesung beantwortet werden. Klar, dass damit auch Unsinn getrieben wurde. Neben etlichen Fragen zu seiner Tochter hat der Dozent im grössten Vorlesungssaal der Uni Zürich auch folgenden Glückwunsch berücksichtigt: «Es haben nicht nur Leute Geburtstag, Dominic Illi ist sogar Vater geworden. Ich hoffe, er

6  STUDIVERSUM | 2011.12

weiss es selber.» Weiss ich bis heute nicht. Zum Glück habe ich mich an jenem Morgen entschieden, zugunsten einer anderen Veranstaltung auf diese Vorlesung zu verzichten. Die Glückwünsche haben mich via Kommilitonen trotzdem in Sekundenschnelle erreicht.

Der Euro und die Strumpfkrise Wie ich dank einem Loch im Strumpf herausfand, was graue Strümpfe mit der SVP zu tun haben und wie es sich anfühlt, Angela Merkel zu sein. Text Melanie Keim

In regelmässigen Abständen stehe ich mit dem gleichen alten Problem vor meinem Kleiderschrank: Ich finde keine Strumpfhose ohne Loch. In etwas grösseren aber leider doch auch regelmässigen Abständen taucht ein anderes Problem auf – nämlich, dass ich das Problem erst erkenne, wenn ich schon aus dem Haus bin – mit Strumpfhose und Loch. Kürzlich war es wieder so weit: An der Bushaltestelle grinste einer meiner rot lackierten Zehen frech aus dem Strumpfloch hervor. Ich fand es weniger lustig, da ich am Abend an einen schicken Anlass musste und rannte schnurstracks in die nächste Coop-Filiale, obwohl ich schon längstens an der Uni hätte sein sollen. In der Strumpfabteilung musste so schnell wie möglich eine schwarze Strumpfhose her. Auf der Toilette der Uni Zürich angelangt, konnte ich meinen nackten Zeh endlich wieder einpacken, doch – oh Schreck! – die Strümpfe waren nicht schwarz, sondern grau. Nicht so schlimm, dachte ich zuerst, passt schon zum grünen Kleid. Doch das Grau war wirklich grässlich – so etwas hatte ich bisher noch nirgendwo gesehen. «Euro» stand auf der Packung, wo sonst «Noir» oder Ähnliches stehen sollte, und ich ärgerte mich. Mein Spiegelbild erinnerte an Angela Merkel, denn meine Beine hatten in diesem Grau nicht mehr viel

mit Beinen zu tun, sondern eher mit der Stillosigkeit der deutschen Bundeskanzlerin. Doch plötzlich überkamen mich Gewissensbissen. War es vielleicht unpassend, sich in Zeiten der Eurokrise nett zu kleiden? Sollten wir Schweizer, denen es trotz der Finanzkrise immer noch so gut geht, vielleicht etwas bescheidener sein und uns nicht noch glamourös kleiden wollen? Und darf man sich denn wegen kleiner Strumpflöcher aufregen, wenn anderswo viel schwerwiegendere Löcher gestopft werden müssen? Auf jeden Fall fühlte ich mich unwohl in meinen Eurostrümpfen und verdrückte mich in die hinterste Ecke der Bibliothek. Auf dem Weg zum Bahnhof hetzte ich nochmals in eine Coop-Filiale, verzichtete auf das Farbexperiment «Champagne», obwohl ich ein «Cüpli» vertragen hätte, streifte mir in der Zugtoilette endlich normale schwarze Strümpfe über und versank erschöpft im Zugsessel. Nach diesem Abenteuer hatte ich zwar eine wage Ahnung davon, wie anstrengend es war, Angela Merkel zu sein, dafür weder eine Ahnung, warum solch fürchterliche Strümpfe verkauft werden, noch den leisesten Schimmer, warum sie diesen Namen tragen. Oder steckte hinter allem eine besonders raffinierte Strategie der SVP, um die EU mit schlechten Gefühlen zu verbinden?


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.