Camper – The Walking Society Magazin – Ausgabe 16 – Menorca (DE)

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Menorca

F/S 2024 ––Ausgabe Nr. 16
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Menorca

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GEHEN bedeutet, sich fortzubewegen – sich von einem Ort zum anderen zu begeben. Voranzukommen, neue Wege zu beschreiten, offen zu sein für Innovation. The Walking Society ist eine virtuelle Gemeinschaft, in der jede*r willkommen ist – unabhängig von sozialem, kulturellem, wirtschaftlichem oder geografischem Hintergrund. Einzeln und als Zusammenschluss fördern die Mitglieder dieser Gemeinschaft Vorstellungskraft und positive Energie, indem sie wertvolle Ideen und Lösungen entwickeln, um die Welt zu verbessern. Auf einfache und ehrliche Weise.

CAMPER bedeutet im Mallorquinischen „Bauer“. Die Einfachheit des ländlichen Lebens vereint mit mediterraner Geschichte, Kultur und Landschaft – all das beeinflusst die Werte und die Ästhetik unserer Marke. Unsere Wertschätzung für Kunst und Handwerk und unser Traditionsbewusstsein sind die tragenden Säulen unseres Versprechens: Wir bieten originelle, funktionale und hochwertige Produkte in ansprechenden und innovativen Designs. Menschlichkeit, die Förderung kultureller Vielfalt und die Erhaltung des historischen Erbes sind die Grundlage unseres unternehmerischen Handelns.

MENORCA scheint einfach im Mittelmeer zu treiben. In diesem UNESCO-Biosphärenreservat herrscht eine Ruhe, die so ursprünglich ist wie die stolze und unveränderliche Identität der Menorquiner.

THE WALKING SOCIETY Die sechzehnte Ausgabe des Magazins The Walking Society ist eine Reise in eine Welt voller Eroberungen, Begegnungen und Machtwechsel, die dennoch eine kulturelle Bereicherung darstellten. Eine wilde und unverwüstliche Insel, die bis heute alle Reisenden begeistert.

WALK, DON’T RUN.

OMAR SOSA

Der Mitbegründer des einflussreichen Einrichtungsmagazins Apartamento öffnet die Türen zu seinem menorquinischen Landhaus. S. 19

LÍTHICA

Ein stillgelegter Sandsteinbruch, aus dem ein geheimnisvolles Freilichtmuseum entstanden ist –teils Installation, teils Labyrinth. S. 27

ILLA DEL REI

Nur wenige Bootsminuten von Maó entfernt liegt die winzige Insel Illa del Rei, auf der sich heute Hauser & Wirth Menorca und ein von Piet Oudolf entworfener Staudengarten befinden. S. 37

CUINA MENORQUINA

In den Rezepten aus Land und Meer finden sich Spuren der verschiedenen Völker, die in diesem Hafen vor Anker gegangen sind. Ein Blick in die menorquinische Küche. S. 45

QUARANTINE EVENTS

Eine Künstlerresidenz, die einer Quarantäne gleicht. Seit dem Frühjahr 2023 werden

Kreative in einem alten Lazarett auf einer paradiesischen Insel abgeschottet. S. 55

S’ÀVIA COREMA

Die alte Dame mit den sieben Beinen ist eine der berühmtesten volkstümlichen

Wir lassen sie auferstehen. S. 63

Figuren
Menorcas.

CAMÍ DE CAVALLS

Eine illustrierte Reise entlang des malerischen Wegs, der um die gesamte Küstenlinie von Menorca führt.

Mit dabei: unser Junction. S. 76

GEGANTS

Menorca gilt als die Insel der Riesen. Wir haben eine zweitausend Jahre alte prähistorische Grabanlage namens Naveta Des Tudons besucht.

S. 90

BETTINA CALDERAZZO UND MATT WESTON

Mit dem Umweg über Australien und England und einem Abstecher nach Paris landeten sie schließlich auf Menorca –und hoben ihre innovative Kunstgalerie aus der Taufe.

S. 105

CAVALL MENORQUÍ

Die auf der Insel heimische Pferderasse, die jeden Sommer bei den Festes allen die Show stiehlt.

S. 112

S. 121 MAIONESA

Im 18. Jahrhundert wurde hier eine weltberühmte Sauce zum ersten Mal hergestellt.

Eine Geschichte von Eroberung, Liebe und kulinarischer Eingebung.

Eine Auffangstation für herrenlose Esel im ländlichen Inneren der Insel ist eine Oase der Schönheit und Ruhe, die im Sommer für Besucher öffnet.

S. 128

SUNNY’S DONKEYS

Auf Menorca geht die Sonne früher auf als im übrigen Spanien. Die Insel liegt ganz im Osten des Landes, noch weiter östlich als Cap de Creus in Katalonien und Capdepera auf der benachbarten größeren Insel Mallorca. In La Coruña in Galicien geht die Sonne im Vergleich dazu über eine Stunde später auf. In Menorcas Hauptstadt Maó zeigt sich das Licht als erstes. Hier liegt auch der zweitgrößte Naturhafen der Welt, mehr als 6 Kilometer tief,wie ein langer Korridor, der vom Mittelmeer in den Felsen der Insel gegraben wurde. Die Insel hat noch viel mehr zu bieten, was ihren typischen Charakter ausmacht, sich jedoch genauer Bestimmung und Aufzählung entzieht. An erster Stelle selbstverständlich die Natur, denn das 700 Quadratkilometer große Menorca wurde 1993 zum UNESCO-Biosphärenreservat erklärt.

Soweit das Auge reicht, steht in den Hainen am Straßenrand der Star der heimischen Flora, der Ullastre, auch bekannt als wilder Olivenbaum. Er bedeckt ein Drittel der Inselfläche und kann im Unterschied zu den anderen Olivenbäumen der Region bis zu mehrere Meter aufragen. Er wird daher auch weniger für seine Früchte (denn die Erträge sind gering, wenn auch wertvoll) als für sein robustes Holz geschätzt. In der Antike wurden aus Ullastre-Holz landwirtschaftliche Gerätschaften hergestellt und auch noch heute werden daraus die traditionellen Zufahrtstore der Häuser, die sogenannten arcaders, gefertigt.

Dann wäre da noch Menorcas Geschichte, die sich so sehr von der seiner balearischen Nachbarn unterscheidet. Das spürt man sofort bei der Landung in Maó. Am Hafen fühlt man sich wegen der sommers wie winters üppig grünen Vegetation wie in einer karibischen Bucht, die aufgrund ihrer langen, fjordartigen Form einem Fluss am Äquator ähnelt und nicht typisch mediterran, sondern eher eklektisch und kosmopolitisch daherkommt. Beim Betreten der Stadt fallen einem sofort die Erkerfenster englischen Ursprungs und die für diese Breitengrade ziemlich ungewöhnlichen Aufziehfenster nordeuropäischer Herkunft auf. Menorca war von 1708 bis 1802 Teil Großbritanniens, was seine Spuren auch jenseits der

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Charlie studiert Kunst und Design in Barcelona, ist aber, wie viele der Inselbewohner, in Maó geboren. Sie liebt den Himmel, die Reinheit und die saubere Luft auf Menorca – was man alles in der Stadt nicht findet. Trotzdem würde sie gerne mal in London leben.

Urik

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liebt das Meer, besonders auf Menorca. Er ist oft hier. Er ist ein sportlicher Typ und studiert, passend zu seinem Lebensstil, Ernährungswissenschaften und Pharmazie.

Für die 26-jährige Sandra zählen vor allem zwei Sachen: Kunst und Pferde.

Sie studiert Kunst und reitet, wann immer sie Zeit hat. Ihrer Familie gehören zwei Pferde, beide von der einheimischen Rasse.

11 BCN S/S 2024
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Pelotas Flota, Runner
K21 S/S
Der 16-jährige Antony wurde auf Menorca als Sohn ecuadorianischer Eltern geboren und studiert Elektromechanik in Ciutadella. Er zeichnet mit Leidenschaft. Das Rosen-Tattoo auf Ignacios Hand verrät seine wahre Liebe: die Landschaftsgestaltung. Der in Bolivien geborene Inselbewohner arbeitet auf einem Weingut in Cala en Porter, im Süden der Insel.
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Marta, 24, macht gerade ihren Lehramts-Masterabschluss, damit sie an weiterführenden Schulen unterrichten kann. Trotz der Menschenmassen im Sommer hat Menorca für sie Lebensqualität. „Nur so kann die Insel überleben“, sagt sie uns.
Karst S/S 2024

Architektur hinterlassen hat. So gibt es zum Beispiel einen lokal hergestellten Gin und eine Süßspeise namens greixera dolça, die an englischen Pudding erinnert, sowie die klassische Bratensauce grevi (von Englisch gravy).

Bei einem Spaziergang durch die engen Gassen im Zentrum oder bei der Umrundung von Maó überrascht einen der weite Himmel über der Insel. Schon lange vor der Verleihung des Titels „UNESCOBiosphärenreservat“ blieben der Gegend wegen eines politischen Konflikts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Tourismus und Bauspekulationen erspart. Während des Bürgerkriegs war Menorca die einzige Insel des Archipels, die fest in republikanischen Händen blieb, woraufhin sich die nachfolgende Militärdiktatur rächte, indem sie der Insel einfach den Geldhahn abdrehte. Was sich im Rückblick als ein Segen erwies.

Menorca wird von acht verschiedenen Winden heimgesucht, deren stärkster der nördliche Tramuntana ist. Angeblich gelten die Menorquiner wegen der ständigen Winde bei den anderen Balearen als unberechenbarer. Auch ohne Aberglauben ist dieses Merkmal die Stärke Menorcas. Seinetwegen entsteht ein Himmel, der sich wie ein Tanz ändert, ein Horizont, der frei von übergroßen Bauwerken ist und den Olivenbäumen und dem Meer Platz macht, die die Sonne im restlichen Spanien ankündigen.

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Jeden Morgen um halb acht steuert er sein kleines Boot „Lazareto“ von Es Castell zur Anlegestelle auf der Insel Llatzeret. Felix ist 44 Jahre alt und gebürtiger Menorquiner. Er ist um die Welt gereist und dann zurückgekehrt. Von wo genau? Bangkok, Sansibar und Marokko. „Mein Zuhause ist hier“, sagt er leichthin.
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Emilia ist nach ihrem Studium „auf dem Festland“ mit 22 Jahren wieder zurück auf Menorca. Sie mag die Ruhe hier, sagt sie, und arbeitet in einem Café in Maó.
Produzentin oder Kreativdirektorin.
Sie träumt von einem großen Haus auf dem Lande und einem Job, bei dem sie in ihrem Studio arbeiten kann, vielleicht als

Charlie

in Liverpool

17 Drift Trail S/S 2024
das
aber
bereisen.
kam
zur Welt und als Achtjähriger mit seinen Eltern nach Menorca. Er lebte sich schnell ein und sprach bereits nach einem Jahr einwandfrei Spanisch. Er arbeitet am Hafen als Festmacher und liebt
Meer, möchte
gerne einmal kältere Gefilde kennenlernen und Nordeuropa
Pelotas Soller S/S 2024

Ein Zuhause ganz nach dem Geschmack von

OMAR SOSA

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Die Bougainvillea an Omars Haus hört nicht auf zu blühen, teils lila, teils orange. Wir befinden uns in den ruhigen Straßen am Rande von Sant Lluís, nur ein paar Kilometer und Minuten vom Meer entfernt. Hinter den niedrigen Häuserfassaden verbergen sich üppige Gärten, und die Luft duftet nach Palmen und Pinien. Omar Sosa wurde zwar in Barcelona geboren, hat aber eine lange Beziehung zu Menorca, die wie alle tiefen Bindungen komplex ist. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er hier, um dann als Erwachsener eine neue Verbindung zur Insel zu entdecken. Omar ist ein Multitalent. Er ist Grafikdesigner, Mitbegründer des mit Kultstatus gekrönten Einrichtungsmagazins Apartamento und des Weinclubs The Natural Wine Company, und ist seit kurzem auch künstlerischer Leiter von BD Barcelona, einem seit 1972 bestehenden Gestaltungsbüro in Barcelona. Im Eingangsbereich seines Hauses steht eine lange Reihe typisch menorquinischer Stühle. Das Haus ist schlicht und zweckmäßig und verbindet moderne Elemente mit einem sehr rustikalen Erscheinungsbild. Omar sitzt auf einem der beiden Sofas, dessen Überwurf aus Rohbaumwolle die weiße Farbe der Wände aufnimmt.

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Omar Sosa rief 2008 zusammen mit Nacho Alegre und Marco Velardi die Zeitschrift Apartamento ins Leben. Das Titelbild ist seit der allerersten Ausgabe, in der unter anderem der R.E.M.-Bassist Mike Mills vorkam, nahezu unverändert geblieben.

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22 The Natural Wine Company ist ein internationaler Weinclub. Alle drei Monate erhalten die Mitglieder eine von Natural Wine Distribution und deren Gründer Alfredo López kuratierte Überraschungsbox mit Weinen nach Hause geliefert.

Du bist wahrscheinlich am ehesten für das Einrichtungsmagazin Apartamento bekannt. Da wir gerade bei dir zu Hause sind, lass uns beim Thema Wohnen anfangen. Wie hast du dieses Haus hier gefunden?

Das war 2006, auf einer sehr anstrengenden Wohnungssuche in Barcelona. Nichts hat so richtig meinen Vorstellungen entsprochen. Damals gab es mehrere Einrichtungsmagazine, aber sie schienen mir zu ambitioniert und auf Architekten oder Fachleute ausgerichtet zu sein. Das war nicht das, was ich mir ansehen wollte. Damals lernte ich meinen Partner Nacho Alegre kennen. Er fotografierte für Zeitschriften und ich machte Grafikdesign. Das passte einfach zusammen.

Hattet ihr dieselbe Vision?

Er interessierte sich auch für Innenarchitektur und konnte wie ich keine Zeitschrift finden, die ihm gefiel. Also haben wir gemeinsam beschlossen, eine Zeitschrift zu gründen, ohne eine klare Vorstellung. Wir produzierten eine Nullnummer mit vier Ideen und dem späteren Format von Apartamento, einschließlich Impressum und allem, was dazugehört. Bei der Arbeit in Mailand lernte Nacho schließlich Marco Velardi kennen, den Dritten im Bunde. Marco war das Zünglein an der Waage, denn er war Italiener und wir nur zwei Typen aus Barcelona, und mit ihm im Team wurde Apartamento mit einem Schlag zu einem internationalen Magazin. Als nächstes haben wir uns gefragt, wie wir eine Verbindung zur Möbelmesse Salone del Mobile herstellen können, die ja in Mailand stattfindet. Wir haben uns eine Frist gesetzt und 2008 Apartamento dann im Geschäft von Möbelhändler Spotti in Mailand zum ersten Mal vorgestellt.

In der Zeitschrift geht es nicht um Architektur und Design, sondern darum, wie andere Leute wohnen.

Bei uns steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Die Einrichtung ist nur ein Vorwand, denn jeder will gerne wissen, wie die anderen wohnen. Uns geht es in den Artikeln um die Bewohner und nicht um die Inneneinrichtung.

Haben die vielen Häuser deinen Blick auf deine eigene Einrichtung verändert?

Ja, komplett. Ich habe jetzt ein viel besseres Gespür. Ich merke, dass ich vor zehn Jahren noch viel lockerer an die Sache rangegangen bin, und mittlerweile bin ich viel strukturierter und genauer. Eigentlich habe ich ja keine richtige Ahnung, aber die Leute rufen mich immer wieder an und denken, ich sei eine Art Design-Guru. Sie fragen: Ich brauche ein Sofa, welches soll ich kaufen? Und ich antworte: Keine Ahnung, ich bin kein Innenarchitekt, ich kann dir nur sagen, was mir persönlich gefällt.

Apartamento ist ein starkes Printmedium. Was denkst du über die Zukunft von Papier?

Die Frage ist doch ein alter Hut. Als wir vor fünfzehn Jahren loslegten, waren wir noch unschlüssig, was wir digital und was gedruckt machten wollten, doch jetzt hat Print meiner Meinung nach seinen Platz gefunden. Es existiert eine natürliche Trennung, die nicht so bald verschwinden wird. Und es gibt eine Menge ganz toller Zeitschriften. Das Buch als Gegenstand ist eine andere Geschichte. Indem man es kauft und sammelt, will man seine Identifikation damit ausdrücken, dass es Teil der Persönlichkeit ist. Das ist zumindest meine Einstellung. Ich habe Bücher schon immer als Objekte betrachtet.

Bei Zeitungen ist das anders.

Das sagst du! Mein heimliches Vergnügen auf Menorca ist die Lokalzeitung. Die muss man in gedruckter Form lesen, auf dem Sofa oder an der Bar. Das ist und bleibt einfach eine feine Sache.

Wie schaffst du es, immer am Puls der Zeit zu bleiben?

Ich bin selber verblüfft, dass wir immer noch so aktuell sind und die Leser immer noch wissen wollen, was wir alle sechs Monate herausbringen. Wenn ich darüber nachdenke, sind die klassischen Einrichtungsmagazine ja entstanden, um einen bestimmten Einrichtungsstil abzubilden und zu erklären, der dann nach einer Weile wieder aus der Mode kam. Apartamento hat keine klare redaktionelle Stimme. Das war keine bewusste Entscheidung. Wir sind vielstimmig, wir bestehen aus den Stimmen der Personen, die in der Zeitschrift gezeigt werden und von ihrer Lebenswelt erzählen. Wir verstehen uns eher als Kuratoren. Aus den unterschiedlichen Protagonisten der Zeitschrift entsteht eine Kollektiv-Stimme, keine Einzelstimme. Apartamento kann nicht aus der Mode kommen, weil es noch nie in Mode war. Es ist einfach anders. Rein vom Stil her stimmt es, dass die Inneneinrichtung vor 15 oder 20 Jahren anders, „aufgeräumter“ fotografiert wurde. Viele Einrichtungszeitschriften gehen heute dazu über, ungestelltere Aufnahmen zu machen. Apartamento ist sich treu geblieben. Unsere Antriebskraft war die Neugierde und die ist zum Glück noch da. Und obendrein haben wir ein sehr junges Team, das einen anderen Blick hat und uns nicht alt werden lässt. Vielleicht ist das die Zauberformel.

Wann begann deine Beziehung zu Menorca?

Schon sehr früh, denn mein Vater kannte die Insel schon seit den 1960ern. Er verkaufte Nachschlagewerke, in ganz Spanien, überall da, wo es keine Bücher gab. Er verliebte sich in Menorca und hatte hier eine Menge Abnehmer. Als Kinder waren wir oft hier, und 2000, da war ich Teenager, kaufte mein Vater dann ein Haus. Die Anreise von Barcelona aus war einfach, deshalb war ich, bis ich über dreißig war, oft hier. Dann kamen die ersten Reisen in andere Städte und ich hatte auf einmal keine Lust mehr. Menorca wurde für mich immer langweiliger und vorhersehbarer. Zehn Jahre lang fuhr ich stattdessen nach Griechenland in den Urlaub. Bis zum Lockdown 2020 war dann fünf Jahre lang New York mein Zuhause, bis ich in dem Sommer zurück nach Spanien zog und mein Partner Nacho meinte, komm doch nach Menorca, dir fehlt das Meer. Da hatte ich dann einen ganz anderen Eindruck von der Insel.

Als hätte es die Unterbrechung nie gegeben?

Als zwei Freunde vorschlugen, dass wir ein Haus mieten, hielt ich das für eine gute Idee, da wir nicht wussten, ob noch ein Lockdown kommen würde und den wollte ich nicht in der Stadt verbringen. Wir wohnten in Maó und ich verlegte meinen Wohnsitz nach Menorca. Dann war ich noch zwei weitere Sommer mit meiner Frau Patricia hier. Eigentlich wollten wir kein Haus kaufen, denn wir hatten kein Geld, schauten uns aber zum Spaß die Anzeigen an. Es gab nur zwei Häuser, die uns gefielen: Das erste war hässlich und das zweite war das hier. Wir mochten die zwei älteren Engländer, die hier wohnten und es auf einmal verkaufen wollten. Überall im Haus standen Blumen. Wir haben es ohne nachzudenken gekauft. Klingt verrückt, aber so war es. Und jetzt, wo wir in Barcelona leben, können wir einfach schnell mal rüberfahren.

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„Von Freunden höre ich oft, dass mein Haus so leer wirkt. Aber für mich ist es das nicht! Es hat alles, was es braucht. Ich habe zum Beispiel die Sofas der Vormieter behalten. Es geht mir um Vereinfachung, denn ich habe genug von schicken Häusern, in denen man immer Angst hat, dass etwas kaputt geht. Hier kann sich jeder wohlfühlen.“

Was hat den Ausschlag gegeben?

Wir haben sofort viele Leute kennengelernt, sowohl echte Einwohner als auch Feriengäste, und alle waren freundlich und interessant. Es gab einen großen Zuzug auf die Insel und die Stadt ist internationaler geworden.

Wie viel Arbeit hast du in das Haus gesteckt?

Nicht viel. Mit fehlt sowohl die Zeit als auch das Geld. Zum Glück war das Haus bei unserem Kauf bewohnt gewesen, also nicht leerstehend oder baufällig, wie das häufig der Fall ist. Es war einfach und funktional und ich habe nur das Allernötigste gemacht. In erster Linie ging es uns darum, Sachen loszuwerden.

Hast du lieber ein leeres Haus als ein überladenes?

Von Freunden höre ich oft, dass mein Haus so leer wirkt. Aber für mich ist es das nicht! Es hat alles, was es braucht. Ich habe zum Beispiel die Sofas der Vormieter behalten. Es geht mir um Vereinfachung, denn ich habe genug von schicken Häusern, in denen man immer Angst hat, dass etwas kaputt geht. Hier kann sich jeder wohlfühlen.

Was gefällt dir an Menorca besser als an den Nachbarinseln?

Die Inseln unterscheiden sich deutlich und Menorca ist immer noch sehr ländlich, sparsam bebaut und ursprünglich. Die Architektur ist interessant, mit vielen englischen Einflüssen.

Ist für dich das Bedürfnis nach eher ruhigen, familiären Umgebungen eine Frage des Alters?

Es ist der Wunsch nach mehr Natur, der in mir nach fünf Jahren in New York aufkam. Ich hatte das große Glück, den ersten Lockdown in Mexiko zu verbringen, an einem der schönsten Orte der Welt, wo ich drei Monate lang einen Strand praktisch ganz für mich allein hatte. Danach ging New York für mich einfach nicht

mehr. Deshalb konnte ich Menorca auf einmal auch mit ganz anderen Augen wahrnehmen. Mir fehlte das Meer, mir fehlte das Autofahren, mir fehlte der Freiraum.

Schlägt man automatisch Wurzeln, wenn man ein eigenes Haus hat?

Darüber nachzudenken, wie es ist, in unserer Zeit ein eigenes Haus zu haben, ist schon spannend. Man bezahlt eine Menge Geld für etwas, das einem eigentlich nur noch mehr Ärger und Kopfschmerzen bereitet. Ein eigenes Haus bringt viel Arbeit mit sich. Erst muss ich im Bad eine Heizung einbauen, dann muss was im Garten gemacht werden, jede Woche etwas anderes. Aber das ist auch das Schöne an einem solchen Haus.

Dir gehört außerdem der Naturweinclub und -laden The Natural Wine Company und du hast die Etiketten für den Naturwein Vivanterre entworfen, der vor allem in den USA ein Erfolg ist. Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Vergnügen am eigenen Zuhause, der Liebe zur Natur und der Liebe zu Essen und Wein?

Ja. Im Endeffekt kann ich durch alle diese drei Leidenschaften Leute kennenlernen und mit ihnen in einen dauerhaften Dialog treten.

Was sind deine Lieblingsgegenstände bei der Innenrichtung?

Ich habe einen Lampenfetisch, Deckenlampen einmal ausgenommen. Und hier im Haus?

Das sind wahrscheinlich die Stühle, die sie hier auf der Insel herstellen, die menorquinischen Stühle. Sie werden komplett von Hand aus dem hiesigen Pinienholz gefertigt. Eine einheimische Stuhlproduktion ist ein Glücksfall, denn in einem Haus braucht man viele Stühle, und die sind normalerweise sehr teuer und meistens hässlich, doch die hier sind wunderbar.

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LÍTHICA

Die schwarzen Linien im hellen Stein sind auf den ersten Blick nur noch schwer zu erkennen. Sie ziehen sich in gleichem Abstand horizontal über viele Meter an den dicken, bröckelnden Mauern entlang, die dadurch wie monumentale Gebäude wirken. Wir sind in Líthica, das vor seiner Umwandlung zu seiner heutigen Funktion als Naturpark, Freiluftanlage sowie Architektur- und Bildungskomplex früher ein Sandsteinbruch war. Vom 17. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre war der Marès-Sandstein das typische Baumaterial auf Menorca. Als in den 1980er Jahren die Konkurrenz durch Ziegelsteine zu groß wurde, wurden die Steinbrüche geschlossen und als letzte Spuren blieben die Schnittmarkierungen zurück. Als die junge französische Architekturstudentin Laetitia Sauleau Lara an einem Wochenende damals die noch betriebenen Steinbrüche besichtigte, war es um sie geschehen. Sie wandte sich an den Direktor und lernte alles über Sprache, Techniken und Wesen eines solchen Steinbruchs. Als die Brüche verfüllt werden sollten, gründete sie 1994 einen Verein – die Geburtsstunde der Stiftung Líthica, deren Freilichtmuseum in den freigelegten Steinbrüchen die Geschichte Menorcas anhand ihrer Geologie und lebendigen Traditionen erzählt.

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Geologisch gesehen ist Menorca eine Insel, die genau in zwei Teile zerfällt. Die Trennlinie verläuft von Osten nach Westen und folgt dem Verlauf der tiefen Bucht, in der der Hafen von Maó liegt.

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ROKU S/S 2024
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Der nördliche Teil der Insel ist sehr abwechslungsreich und besteht aus dem ältesten Material, darunter Sandstein, Lehm, Kalkstein und Dolomit. Im Süden sind die geologischen Verhältnisse viel einheitlicher und es gibt fast nur Kalkstein.

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Der leicht zu bearbeitende Sandstein ist seit jeher einer der am häufigsten zum Bauen verwendeten Steine. Der balearische Sandstein, der als marès bekannt ist, war lange Zeit der wichtigste Baustoff und ist in vielen Städten der Insel anzutreffen.

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ILLA DEL REI

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WER MIT DEM SCHIFF IN MAÓ ANKOMMT, WIE EINST ARMEEN, HANDELSFLOTTEN UND DIPLOMATENSCHIFFE, FÄHRT DURCH DEN LÄNGSTEN NATURHAFEN IM GESAMTEN MITTELMEER. EINEN LANGEN MEERESKORRIDOR, DER SICH VON DER SÜDOSTFLANKE DER INSEL BIS ZU DEN HAFENANLAGEN VON MÁO KILOME -

TERWEIT IN DIE TIEFE ZIEHT, VORBEI AN DÖRFERN, ANDEREN HÄFEN UND INSELN. ALS ERSTES WÄRE DA DIE GRÖSSTE INSEL, DIE ILLA DEL LLATZERET, GEFOLGT VON DER ILLA DE LA QUARANTENA, UND NOCH EIN STÜCK WEITER, GANZ RUND UND IN DER MITTE DER WASSERSTRASSE, DIE ILLA DEL REI. AUF IHR ERRICHTETE DIE BRITISCHE VERWALTUNG IM 18. JAHRHUNDERT

EIN LAZARETT, DAS DIE INSEL FAST GANZ BEDECKT UND ERST IN DEN 1960ER JAHREN GESCHLOSSEN WURDE. INZWISCHEN IST ES UMFASSEND RENOVIERT UND EIN RÜCKZUGSORT GANZ ANDERER ART; ES IST EINE DEPENDANCE DER KUNSTGALERIE HAUSER & WIRTH.

HAUSER & WIRTH WURDE 1992 IN ZÜRICH VON IWAN WIRTH, MANUELA WIRTH UND MANUELAS MUTTER URSULA HAUSER GEGRÜNDET. EIN FAMILIENBETRIEB MIT EINER GROSSEN VISION. DIREKTOR MARC PAYOT STIESS 2000 ZUM TEAM, 2021 GEFOLGT VON CEO EWAN VENTERS. HEUTE VERTRITT HAUSER & WIRTH ÜBER

NEUNZIG KUNSTSCHAFFENDE UND VERANTWORTET AUSSTELLUNGEN, STIPENDIEN, RESIDENCYS UND FORSCHUNGSPROJEKTE. VON ANFANG AN WAR DIE

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GALERIE EIN ANZIEHUNGSPUNKT FÜR DIE GROSSEN NAMEN DER KUNSTWELT, AUCH JENSEITS DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST. IN DER ERSTEN AUSSTELLUNG IN ZÜRICH IM JAHR 1992 WURDEN DIE (SEIT MARCEL DUCHAMP „MOBILES“ GENANNTEN) SKULPTUREN UND GOUACHEN ALEXANDER CALDERS ZUSAMMEN MIT SKULPTUREN UND GEMÄLDEN JOAN MIRÓS GEZEIGT. INZWISCHEN HAT DIE GALERIE DEPENDANCEN QUER ÜBER DEN GLOBUS, VON NEW YORK UND LOS ANGELES ÜBER ENGLAND, FRANKREICH, DIE SCHWEIZ UND SPANIEN BIS NACH HONGKONG.

IM JULI 2021 LANDETE DAS KUNST-RAUMSCHIFF SCHLIESSLICH AUF DER ILLA DEL REI UND MACHTE KEINEN HEHL AUS SEINEM BESTREBEN, MENORCA IN EINEN ANZIEHUNGSPUNKT FÜR ZEITGENÖSSISCHE KUNST ZU VERWANDELN. UM DIE GENEHMIGUNG DER SPANISCHEN BEHÖRDEN EINZUHOLEN, LUD DIE GALERIE KURZERHAND EINE ABORDNUNG AUS MENORCA ZU EINEM BESUCH INS ENGLISCHE SOMERSET EIN, WO DER HAUPTSITZ VON HAUSER & WIRTH IM KLEINEN DORF BRUTON ZU EINEM WICHTIGEN ZIEL FÜR KUNSTLIEBHABER GEWORDEN IST, DAS SEIT DER ERÖFFNUNG 2014 JEDES JAHR ÜBER HUNDERTTAUSEND BESUCHER ANZIEHT. AUF MENORCA WOLLTE HAUSER & WIRTH EIN BEREITS BESTEHENDES GEBÄUDE ERTÜCHTIGEN. ZU DEM INSGESAMT 1 500 QUADRATMETER GROSSEN KUNSTZENTRUM GEHÖRT AUCH EIN GARTEN DES 40

Piet Oudolfs Garten bei Hauser & Wirth Menorca

Mit freundlicher Genehmigung von Hauser & Wirth

Foto: Daniel Schäfer

o. T. (1981) von Hans Josephsohn

im Garten von Piet Oudolf

Mit freundlicher Genehmigung von Hauser & Wirth

© Josephsohn Estate. Mit freundlicher Genehmigung des Nachlasses des Künstlers und des Kesselhauses Josephson

Foto: Daniel Schäfer

Le Père Ubu (1974) von Joan Miró

im Garten von Piet Oudolf

Mit freundlicher Genehmigung von Hauser & Wirth

© Successió Miró, VEGAP 2023

Foto: Daniel Schäfer

Piet Oudolfs Garten bei Hauser & Wirth Menorca

Mit freundlicher Genehmigung von Hauser & Wirth

Foto: Carlos Torrico

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NIEDERLÄNDISCHEN

OUDOLF MIT SKULPTUREN VON RENOMMIERTEN NAMEN WIE LOUISE BOURGEOIS, JOAN MIRÓ UND EDUARDO CHILLIDA.

PIET OUDOLFS GARTEN FÜGT SICH ALS BOTANISCHES KUNSTWERK IN DIE ANDEREN EXPONATE EIN UND IST EINER DER VIELEN GRÜNDE FÜR EINEN BESUCH BEI HAUSER & WIRTH. AUCH ER BESTEHT AUS DEN FÜR OUDOLF TYPISCHEN STAUDEN, DIE DIESMAL ALLERDINGS EINHEIMISCHER HERKUNFT SIND. „MICH HAT DIE GANZJÄHRIGE BLÜTEZEIT INSPIRIERT, DIE MIR BEI MEINEM ERSTEN BESUCH AUF MENORCA AUFGEFALLEN

IST, UND DIE DEN GARTEN ZU ALLEN JAHRESZEITEN INTERESSANT MACHT“, SO DER GARTENGESTALTER.

„MICH INTERESSIERT VOR ALLEM DIE STRUKTUR DER PFLANZEN, DESHALB DIE STAUDEN, DIE AN DAS KLIMA ANGEPASST SIND, DAMIT DER GARTEN VIELE VERSCHIEDENE FORMEN UND TEXTUREN ENTHÄLT.“

EINMAL IM JAHR TRIFFT ER SICH MIT DEN VERANTWORTLICHEN GÄRTNER*INNEN, UM EVENTUELLE NEU- UND WEITERPFLANZUNGEN ZU BESPRECHEN.

DER 1944 IM NIEDERLÄNDISCHEN HAARLEM GEBORENE OUDOLF IST DAS BEKANNTESTE MITGLIED DER ALS „NEW PERENNIAL“ BEKANNTEN GARTENBEWEGUNG.

SEINE GÄRTEN KONZENTRIEREN SICH NICHT ALLEIN

LANDSCHAFTSGÄRTNERS PIET
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AUF EINE EINZIGE BLÜHSAISON, SONDERN VERÄNDERN SICH IM JAHRESZYKLUS UND BETONEN DAS LEBENDIGE ANSTATT DAS REIN DEKORATIVE DER BEPFLANZUNG. SEINE IN VERSCHIEDENEN FARBEN VON HAND GEZEICHNETEN ENTWURFSSKIZZEN ERINNERN AN ARCHITEKTUR. VOR DER GESTALTUNG DES GARTENS FÜR HAUSER & WIRTH SORGTE OUDOLF MIT BEITRÄGEN ZU ZWEI PROJEKTEN FÜR SCHLAGZEILEN: ZUM BATTERY PARK IN NEW YORK CITY UND VOR ALLEM ZUR HIGH LINE, EINER ZWISCHEN WOLKENKRATZERN UND HUDSON RIVER STILLGELEGTEN HOCHBAHNSTRECKE AN DER WEST SIDE VON MANHATTAN, DIE IN EINEN EINZIGARTIGEN NATURPFAD UMGESTALTET WORDEN IST.

IN OUDOLFS GARTEN AUF DER ILLA DEL REI WACHSEN NEBEN WILDEN OLIVENBÄUMEN AUCH SUKKULENTEN, LANGSTIELIGE AGAPANTHUS, DUFTENDER LAVENDEL UND THYMIAN, STACHELIGE DISTELN UND BIEGSAME GRÄSER WIE STIPA TENUIFOLIA .

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Menorca kann eine kalte und windige Insel sein, daher sind wärmende und winterliche Gerichte ein wichtiger Bestandteil der hiesigen Kulinarik. Das gilt auch für die Brühe aus Gemüse oder Fleisch, die normalerweise immer mittwochs gegessen wird. 2014 führte die Initiative „Els dimecres és dia de Brou“ in vielen der hiesigen Restaurants einen Einheitspreis für diese Brühe ein, allerdings nur in den besonders kalten Monaten Dezember und Januar und, wie es sich gehört, nur mittwochs.

Brou menorquí

Es sind nur ein paar unspektakuläre Zutaten, die in keiner Suppe fehlen dürfen: Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Paprika, Öl und Petersilie. Und die Langusten, versteht sich. Unter den menorquinischen Langusten ist die Felsenlanguste die beste, denn sie ist leuchtend rot, kleiner und schmackhafter als die Exemplare vom Meeresgrund.

de llagosta (Langustensuppe)
Caldereta

Ein ebenfalls beliebtes Gericht aus dem Meer ist der Tintenfisch, hier in einer äußerst reduzierten Variante, nämlich mit Zwiebeln zubereitet. Weil der Tintenfisch am Vortag eingefroren werden muss, um die Fasern geschmeidig zu machen, dauert die Vorbereitung etwas länger, das eigentliche Garen dagegen nur eineinhalb Stunden. Serviert wird er mit einer Sauce.

Pop amb ceba (Tintenfisch mit Zwiebel)

Ein Rezept für geübte Gaumen, das zwar schlicht daherkommt, aber aufwändig ist. Die Schnecken werden am Vortag zubereitet und anschließend abgekühlt. In der Zwischenzeit werden die Scheren und Beine der Krebse in einem Sugo aus Knoblauch, Zwiebeln, Paprika und Tomaten gegart, bevor zum Schluss die gekochten Schnecken mit reichlich Brühe dazukommen.

Caragols amb cranca (Schnecken mit Krebsen)

Auf einer Insel mit viel Natur und Sträuchern gibt es auch immer viele Kaninchen, weshalb dieses Schmorkaninchen so typisch für Menorca ist. Nach englischem Vorbild wird es mit Knoblauch, Zwiebeln und Lorbeer gegart, mit Speck verfeinert und die Sauce schließlich mit etwas Sherry eingekocht.

Conill amb salsa (Kaninchen in Sauce)

Ein klassisches mediterranes Meeresgericht, das in allen großen europäischen Häfen von Genua über Neapel bis Menorca auf den Tisch kommt. Die Calamari werden mit Knoblauch, Zwiebeln, Petersilie und Tomaten gegart. Die Erbsen kommen erst ganz zum Schluss dazu, damit sie schön knackig und frisch bleiben.

Sípia amb pèsols (Calamari mit Erbsen)

Eigentlich enthält das Gericht gar keinen Reis, sondern groben Weizengrieß, ähnlich Bulgur. Nach dem Einweichen des Weizens sieht das Rezept die Zugabe von Süßkartoffeln, Tomaten und Schweinefleisch in Form von zwei typisch menorquinischen Würsten, botifarró und sobrassada, vor.

Arròs de la terra (Landreis)

Ein typisches Dessert der Balearen, das nicht so süß wie andere Nachspeisen ist –zumindest nicht immer. Die ensaïmada hat die Form einer Spirale oder Schnecke und wird aus Wasser, Schmalz, Zucker, Mehl und Hefe zubereitet. Es gibt sie mit oder ohne Füllung (die klassische Variante). Als Füllung wird zum Beispiel die balearische Wurst sobrassada , Käse oder Schlagsahne verwendet. Die berühmteste Füllung heißt cabell d‘àngel, eine spezielle Kürbismarmelade.

Ensaïmada

Die Häfen Menorcas gehören schon seit dem Altertum zu den wichtigsten im ganzen Mittelmeerraum, was sich unweigerlich auch in der Sprache, Architektur und Küche der Insel niederschlägt. In den inseltypischen Gerichten finden sich arabische, englische und französische Einflüsse, die sich mit bäuerlichen, spanischen und europäischen Traditionen vermischen. So wird zum Beispiel heute ein dem Bulgur ähnlicher Weizenbrei, der eindeutig aus Nordafrika stammt, mit groben Schweinswürsten gereicht. Auf der Speisekarte Menorcas nehmen die Schätze des Meeres wie Langusten, Tintenfisch und Krabben, und die Früchte des Landes, wie Kürbis und Tomaten, viel Platz ein. Und nicht zu vergessen die Schnecken … Zusammengehalten wird das Ganze vom goldenen Faden, der sich durch die Jahrhunderte zieht – dem Olivenöl.

Angerichtet werden die hier gezeigten Gerichte auf den Werken von Blanca Madruga. Blanca wurde in Madrid geboren und wuchs in Barcelona auf. Erst Anwältin, dann Weltreisende und Sozialarbeiterin in Äthiopien und Madagaskar, jetzt Keramikerin auf Menorca – wegen des langsamen und behutsamen Lebensstils und des beschaulichen Winters auf der Insel (der so ganz anders ist als der chaotische Sommer).

CUINA MENORQUINA
Dana, Pelotas Ariel S/S 2024

Ein Gespräch über Kunst und Quarantäne mit

QUARANTINE EVENTS

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Das Llatzeret von Maó befand sich einst auf einer Halbinsel namens Sant Felip, die durch einen schmalen Streifen von etwas mehr als 100 Metern Länge mit dem Festland verbunden war. Nach der Inbetriebnahme des Isolierkrankenhauses im Jahr 1700 wurde diese Landverbindung gekappt, um die Insel völlig abzuschotten und die Möglichkeit zur Flucht oder Kontaktaufnahme zu unterbinden. Heute fahren jedoch täglich zwei Boote vom Hafen Es Castell in wenigen Minuten auf die Insel. Das historische Gebäude ist hervorragend erhalten und sieht eher wie ein architektonisches Meisterwerk und nicht wie ein Krankenhaus aus. Zwischen Palmen und Pinien können Besucherinnen und Besucher die 140 Zellen, Lagerräume, Waschräume, die Kapelle, den Friedhof und die Aussichtstürme besichtigen. Seit dem Frühjahr 2023 beherbergt das Krankenhaus auch eine ungewöhnliche Künstlerresidenz mit dem passenden Namen „Quarantine“, eine von Carles Gomila, Joan Taltavull, Itziar Lecea und Darren Green gegründete unabhängige Institution. Quarantine will sich von den üblichen Workshops und Residencys absetzen. Der Ansatz ist ausgesprochen unkonventionell: Die Isolation wird zur treibenden Kraft für künstlerische Inspiration und Tätigkeit.

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Das Llatzeret von Maó wurde 1793 auf Geheiß des Grafen von Floridablanca, eines der Minister von König Karl III., gebaut. In der Anlage gab es Wohnräume, Lagerräume, Küchen und eine runde Kapelle.

Die Kapelle von Llatzeret sah dreißig voneinander abgeschirmte Sitzplätze vor, damit die Quarantänepatienten am Gottesdienst teilnehmen konnten.

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Dana, Pelotas Ariel S/S 2024

Wie würdest du das Projekt kurz in Worte fassen?

CG Das Fegefeuer für Künstler.

Wie genau sieht das aus?

CG Bei uns kommen die Künstler in Quarantäne. Eine echte Quarantäne. Wir wollen das Konzept der Kunstausbildung hinterfragen und das geht nur mit einem Bewusstseinswandel. Das ist anstrengend und setzt die Tätigkeit großer Künstlerinnen und Künstler und ein geheimes Konzept voraus, das den Teilnehmenden im Voraus nicht verraten wird, damit sie sich nicht vorbereiteten können. Smartphones sind ebenfalls verboten, wodurch produktive Entzugssymptome entstehen.

Wie ist das Team aufgebaut?

JT Carles ist der Initiator und Leiter. Von ihm stammt die Ursprungsidee.

CG Joan ist Tänzerin und für die künstlerische Leitung sowie einige der Workshops und Kurse zuständig; Darren organisiert das Geschäftliche und ist auch Übersetzer; Itziar ist für die Kommunikation zuständig.

CG Vor Quarantine leitete ich 2016 bis 2021 ein Kunst-Retreat namens Menorca Pulsar, wie der Stern. Es bestand aus internationalen Malereiworkshops mit hochkarätigen Dozentinnen und Dozenten aus der ganzen Welt, die Maltechniken unterrichteten. Das war zwar sehr erfolgreich und stieß auf internationales Interesse, doch mir wurde schnell klar, dass die Teilnehmenden nur die Techniken ihrer Vorbilder nachahmten. Für Kunstschaffende ist das problematisch. Das konnte ich nicht mit meinen Einstellungen vereinbaren. Ich fing an, radikalere Workshops zu konzipieren, weil ich damit ein echtes Problem hatte. Ich wollte weg von der Art von Publikum, dessen einziges Ziel die reine Leistung ist, denn das machte aus Menorca Pulsar ein Trainingslager und kein Kunst-Retreat. Dann ergab sich die Gelegenheit, den nächsten Schritt zu wagen, das Format zu ändern und es noch radikaler zu gestalten. Das war die Geburtsstunde von Quarantine.

Wann war das?

IL Die erste Runde fand im April statt, die zweite im Oktober 2023.

Ist die Aktion auf Menorca auf Zustimmung gestoßen?

CG Auf jeden Fall. In der letzten Bewerbungsrunde hatten wir 180 Bewerbungen und mussten uns auf 70 Kandidaten festlegen. Wir haben diejenigen ausgewählt, bei denen wir die größte Leidenschaft für das Format vermutet haben. Ohne das Auswahlverfahren würden die meisten Leute Quarantine viel zu locker angehen, obwohl es in Wirklichkeit sehr anspruchsvoll ist.

IL Die Zahlen beziehen sich nur auf die Teilnehmenden. Das Personal und die Lehrkräfte kommen noch obendrauf.

Wer kommt bei Quarantine in die engere Auswahl?

CG Vor allem Malerinnen und Maler, wobei das Spektrum sehr breit ist. Es müssen nicht alle gegenständlich malen, es gibt auch Teilnehmende aus den Bereichen Illustration, Tattookunst und Film, aber alle haben eine Beziehung zur bildenden Kunst.

Wie habt ihr euch kennengelernt?

IL Carles und ich haben uns 2009 bei einer Vernissage kennengelernt. Ich bin Journalistin und habe ihn interviewt. Seitdem sind wir ein Paar und mittlerweile auch verheiratet. Joan kennen wir schon seit Jahren.

CG Darren, das vierte Mitglied von Quarantine, besaß eine Bar in Ciutadella und ich war sein Gast. Ich brauchte jemanden, der sehr praktisch veranlagt ist und sich um alle handfesten Aspekte des Projekts kümmern konnte. Für mich war er die ideale Besetzung.

Was war die erste Reaktion der Öffentlichkeit auf Quarantine?

IL Die Marke Menorca Pulsar war international bekannt und deshalb haben wir sie als Plattform genutzt. Wir haben hauptsächlich über Instagram und einen Newsletter mit vielen Abonnenten gearbeitet. Wir müssen den Inhalt von Quarantine sehr genau kommunizieren, damit sich nur Leute bewerben, die für das Projekt geeignet sind, denn Quarantine soll nicht wie ein Urlaub oder eine Woche Erholung auf Menorca rüberkommen. Es ist eine intensive und in gewisser Weise auch schwierige Erfahrung.

Wie kam es dazu, dass Menorca zu deinem Zuhause wurde?

CG Mein erster Besuch auf der Insel war 2016 und seitdem wollte ich hier unbedingt etwas machen, denn Menorca hat einen so starken Eindruck bei mir hinterlassen. Ich hatte wiederkehrende Träume von der Insel und schon das ganze Projekt fertig in meinem Kopf, inklusive Logo! Der Entwurf stammt schon von 2016 und viel später fand ich das gleiche Symbol in einer der Zellen an der Wand wieder! Sagen wir es mal so: Durch eine Reihe von Zufällen wurde ich davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung ist.

Das Projekt ging bestimmt nur mit Genehmigung der Stadtbehörden?

IL Ja, wir stimmen uns ab mit der Gemeinde Es Castell, der gegenüberliegenden Stadt, von der täglich die Boote auslaufen. Das ist nicht einfach, denn das Gelände ist groß und wird kaum genutzt. Außerdem ist die Versorgung ziemlich verzwickt. Wenn dir zum Mittagessen eine Zutat fehlt, musst du extra mit dem Boot zurück in die Stadt fahren.

Haben sich Format und Ort sozusagen gleichzeitig gefunden?

CG Hier war ein Krankenhaus, das speziell für die Abschottung der Kranken von der Außenwelt erbaut wurde. Bei uns werden die Kunstschaffenden von der Außenwelt isoliert, damit sie sich mit ihren Ideen abschotten können. Da das Umfeld das Format bestimmt, kann man diese Erfahrung nur hier machen. Sie entsteht aus dem Gefühl des Eingesperrtseins heraus und auch durch die tägliche Überquerung des Meers mit dem Boot, eine Art Übergangsritus.

Wird das Format so bleiben? Habt ihr Pläne, es weiterzuentwickeln?

CG 2024 gibt es nur einen Durchgang, ab 2025 wahrscheinlich dann wieder zwei pro Jahr. Größere Teilnehmerzahlen für uns nicht in Frage, weil Quarantine am besten mit kleineren Gruppen funktioniert. Ich fände es spannend, das Format für andere Disziplinen zu öffnen, vor allem für Schriftstellerinnen und Schriftsteller.

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„Hier war ein Krankenhaus, das speziell für die Abschottung der Kranken von der Außenwelt erbaut wurde. Bei uns werden die Kunstschaffenden von der Außenwelt isoliert, damit sie sich mit ihren Ideen abschotten können. Da das Umfeld das Format bestimmt, kann man diese Erfahrung nur hier machen. Sie entsteht aus dem Gefühl des Eingesperrtseins.“

Die Vorstellung, sich von den sozialen Medien und Smartphones freizumachen und in die Isolation zu gehen, klingt spannend. Nach zehn Jahren ungebremster SmartphoneNutzung wird ja endlich über deren negative Auswirkungen geredet.

CG Nach unseren Beobachtungen fängt die Smartphone-Abstinenz etwa am zweiten Tag an zu wirken. Der instinktive Drang, Dinge festzuhalten, sie zu fotografieren, ist bei uns allen vorhanden. Am zweiten Tag verschwindet dieser Drang und wird durch eine Art Abneigung ersetzt, so als wäre man entlastet. Der Aufmerksamkeitspegel ist ein ganz anderer. Die Teilnehmenden setzen ihr Gedächtnis anders ein. Sie konzentrieren sich anders. Der Kopf funktioniert anders, man gerät in einen anderen Geisteszustand. Hinzu kommt, dass das Projekt geheim ist, also niemand weiß, was auf ihn oder sie zukommt, und für die von uns gestellten Aufgaben gibt es mehr als eine Lösung, so dass man sich schöpferisch mit ihnen auseinandersetzen muss.

IL Lyda, eine der Teilnehmerinnen vom letzten Mal, meinte, dass es auch darauf ankomme, dass die Leute wirklich miteinander reden. Und zum Reden gehört Zuhören.

Das kann aber auch ziemlich beunruhigend sein.

CG Das Konzept baut auf zwei Elementen auf. Erstens: Die Angst ist ein Kompass. Wir sollten die Angst nicht verdrängen, sondern

verstehen, warum sie da ist und wo sie mit uns hinwill. Zweitens: In der Kunst bedeutet Verletzlichkeit auch Stärke. Deshalb gibt es nicht DIE eine Art der Bewertung künstlerischer Arbeit. Beifall oder irgendeine andere Art der Beurteilung eines Werk sind überflüssig. Erst wenn dieser Druck wegfällt, können Fehler schöpferisch werden.

Wie sieht ein typischer Tag in Quarantine aus?

CG Vormittags finden Meisterkurse im Konferenzraum statt. Hier erzählen die eingeladenen Kunstschaffenden von ihren eigenen Schwachstellen und zeigen sich gegenseitig, wie ähnlich sie einander sind. Dann folgen Kunst-Workshops, in denen wir einige der Regeln des traditionellen Kunstausbildungssystems hinterfragen. Dann kommt das gemeinsame Mittagessen, das die Gruppe näher zusammenbringt. Danach sind verschiedene Aktivitäten zur Auflockerung, darunter Konzerte und Körperarbeit, angesetzt. Es gibt auch ein Modul zur psychischen Gesundheit, das in Zusammenarbeit mit Psychologen entwickelt wurde, sowie ein Mentoring mit den eingeladenen Kunstschaffenden. Diese Einzelgespräche sind besonders wichtig.

Am Ende stehen weder Noten noch Zeugnisse?

CG Genau das Gegenteil: Zum Schluss verbrennen wir alles.

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S‘Àvia Corema (soviel wie „Großmutter Fastenzeit“), ist eine der berühmtesten Figuren aus der Volkskultur Menorcas, die alljährlich während der sieben Wochen der Fastenzeit zum Leben erwacht. Im Gegensatz zu einer normalen Großmutter oder sogar einem normalen Menschen ist S‘Àvia riesengroß. Ihre Pappfigur, die jeden Samstag bis Ostern durch die Straßen von Maó getragen wird, ist dreieinhalb Meter hoch und wiegt etwa 65 Kilo. Eine weitere Besonderheit von Großmutter Fastenzeit sind ihre sieben Beine, eines für jede Woche der Fastenzeit. Während der Prozession singen und tanzen die Inselbewohner zu alten Volksliedern, bis am Ende des Umzugs auf einer plaça ein Kind einen der Füße der Figur abnehmen darf. Das geht so weiter, jeden Samstag, bis keiner der Füße mehr übrig ist und die Fastenzeit (und mit ihr der Winter) dem Frühling und dem Osterfest weichen muss.

S’ÀVIA COREMA

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CAMÍ DE CAVALLS

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EIN PFAD AUS JAHRHUNDERT, INSEL UMRUNDET.

ER FÜHRT ÜBER WIESEN, OFFENE UND HÜGEL,

BLICK AUF DAS

AUS DEM 14. JAHRHUNDERT, DER DIE UMRUNDET. ÜBER STRÄNDE, OFFENE FLÄCHEN IMMER MIT DAS MEER.

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UNTER DEN VIELEN NATURSCHAUSPIELEN MENORCAS

BEFINDET SICH EINES, DAS VON MENSCHENHAND GESCHAFFEN WURDE UND SCHÄTZUNGSWEISE MINDESTENS FÜNFHUNDERT JAHRE ALT IST. ES ZEICHNET SICH WEDER VOR DEM HORIZONT AB, NOCH IST ES

EIN ARCHITEKTONISCHES MEISTERWERK ODER EINE ALTE BURG. ES IST EINE STRASSE – ODER BESSER – EIN PFAD. DER CAMÍ DE CAVALLS IST EIN UNBEFESTIGTER WEG, DER SEIT DEM 14. JAHRHUNDERT DIE INSEL UMRUNDET UND ALLE LEUCHTTÜRME, KANONEN UND FESTUNGEN MENORCAS MITEINANDER VERBINDET.

ER KANN ZU FUSS, MIT DEM FAHRRAD ODER SOGAR ZU PFERD ZURÜCKGELEGT WERDEN UND FÜHRT ÜBER STRÄNDE, WIESEN UND STEGE, IMMER MIT BLICK AUF

DAS MEER. IM LAUFE DER JAHRHUNDERTE GELANGTE EIN GROSSER TEIL DES WEGES IN PRIVATBESITZ UND VERFIEL WEITESTGEHEND, BIS IN DEN 1990ER JAHREN DIE EINWOHNER MENORCAS SICH BEI DEN BEHÖRDEN FÜR SEINE WIEDERHERSTELLUNG EINSETZTEN. 2000 ENTSTAND DARAUFHIN DAS „LLEI DEL CAMÍ DE CAVALLS“ (DAS GESETZ CAMÍ DE CAVALLS). AUCH WENN DIE ERÖFFNUNG SICH NOCH BIS 2011 HINZOG, IST DER WEG SEITHER WIEDER FÜR ALLE DA.

Menorca ist auch als die Insel der Riesen bekannt, die sich auch in den Bräuchen und Volksfesten auf der Insel wiederfinden, vor allem in Maó. Dort tragen sie den Namen capgrossos, nach den überdimensionierten Pappmachéköpfen, die auf bis zu einem Meter hohen Stelzen durch die Straßen laufen. Die Riesen finden sich schon in den alten Sagen, die der Insel ihren Spitznamen geben. Der Volksmund erzählt von einer 1000 Jahre v. Chr. entstandenen, aus großen Steinen bestehenden Grabanlage namens Sa Naveta des Tudons bei Ciutadella. Laut Erzählung sollen zwei Riesen in dieselbe Frau verliebt gewesen sein, die sich jedoch für keinen der beiden entscheiden konnte. Die Lösung sollte eine Kraft- und Geschicklichkeitsprobe zwischen den beiden bringen. Also machte sich der eine Riese an den Bau der Naveta, während der andere einen Brunnen

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grub. Die Angebetete würde den heiraten, der zuerst sein Werk vollendet. Gerade als zum Grab nur noch ein einziger Stein fehlte, stieß der andere Riese auf Wasser. In seiner Wut über die Vergeblichkeit seiner Mühen warf der erste Riese den letzten Stein in den Brunnen und tötete dabei seinen Freund. Voller Schuldgefühle nahm er sich bald selbst das Leben. Die Naveta wurde in den 1950er Jahren wiederentdeckt. Man vermutet, dass es sich um eine Art Megalithgrabanlage handelt, die schätzungsweise zwischen 2200 und 1750 Jahre alt ist und damit zu den ältesten und am besten erhaltenen in ganz Europa gehört.

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TWINS S/S 2024
Karst S/S 2024
Karst S/S 2024
Brutus Sandal S/S 2024

BETTINA CALDERAZZO UND MATT WESTON

105 Die Bedeutung eines Kurswechsels für

Im Griechischen heißen sie Etesien (engl. etesians), in vielen anderen Sprachen hingegen Meltemi – trockene Winde, die im Sommer von der Ägäis herüberwehen, und durchaus stark und gefährlich sein können. Den Namen übernahmen Bettina Calderazzo und Matt Weston für ihre Galerie für zeitgenössische Kunst in Ciutadella, die mehr als nur ein Ausstellungsraum ist.

Vor der Eröffnung von Etesian bereisten Matt und Bettina die gesamte Mittelmeerküste, bis sie schließlich auf Menorca ein Zuhause fanden. Etesian ist die organische Weiterentwicklung dieser Erfahrungen, Gedanken und Versuche. Heute ist es nicht nur eine Galerie, in der internationale Künstler wie Alexandria Coe, Lemos-Lehmann, Lauren Doughty und Toni Salom ausstellen, sondern auch ein Künstleratelier und eine Residency; immer in Bewegung und offen für Veränderungen, wie es Bettina und Matt auf ihren Reisen auch waren.

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Die Künstlerinnen und Künstler, die seit den Anfängen bei Etesian ausgestellt haben, kommen sowohl aus Spanien, wie Toni Salom und Carmen Mosquera, als auch aus dem Ausland, wie Catherine Ko Chen, Lisa Dengler, Alexandria Coe, Morgan Pilcher und Lemos + Lehman.

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Etesian befindet sich in Ciutadella, einer faszinierenden alten Stadt, die von den Karthagern errichtet wurde, zunächst ein Bistum war, dann unter die Herrschaft der Mauren fiel und am Ende wieder spanisches Gebiet wurde.

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Ihr seid von Hafen zu Hafen gezogen und schließlich auf Menorca gelandet.

MW Ja. Menorca war der Endpunkt. Hier nahm unsere Idee zum ersten Mal Gestalt an und in Ciutadella fanden wir die perfekten Räume. Wir mussten alles erst auf Vordermann bringen, denn es war echt heruntergekommen. Wir haben geputzt, gestrichen und repariert. Wir hatten damals keine genaue Vorstellung von der zukünftigen Nutzung, aber im Laufe der Zeit wurde es dann mehr oder weniger zu einer Galerie mit angeschlossenem Laden.

Was habt ihr beide vor diesem Abenteuer gemacht?

BC Ich war in London Art Director in der Werbung. Das ist ein ziemlich irres Arbeitsumfeld, sehr stressig und hektisch mit ständig neuen dreitägigen Abgabefristen.

MW Ich war Schmuckdesigner, erst in Mexiko als wandernder Kunsthandwerker und dann mit einem richtigen Laden am Bondi Beach in Sydney in Australien. Später war ich Designer für eine Schmuckmarke in London, bevor ich meine eigene Marke gegründet habe.

Wie habt ihr euch kennengelernt?

BC Ich bin halb Australierin und halb Italienerin. Ich habe zuerst in Australien und anschließend fünf Jahre lang als Art Director in Paris gelebt. Nachdem ich Matt kennengelernt hatte, bin ich mit ihm zusammen erst nach London und dann nach Menorca gezogen. Matt hat vorher zehn Jahre lang in Australien gelebt. In London haben wir darüber nachgedacht, einen radikalen Schnitt zu machen. Da kam mir die Umgebung meiner Kindheit in den Sinn und ich hatte Lust auf etwas Ähnliches, allerdings nicht so weit weg.

Wie sah deine Kindheit aus?

BC Sehr australisch, nämlich die meiste Zeit am Strand und dazwischen in der Schule. Da mein Vater Italiener ist – er kommt ursprünglich aus Neapel, lebt aber seit seinen Dreißigern in Australien – hatten meine Eltern viele europäische Freunde. Ich hatte also mütterlicherseits einen australischen Hintergrund und stand gleichzeitig unter dem starken Einfluss des europäischen Lebensstils. Jede Woche waren wir bei irgendwem zum Mittag- und Abendessen eingeladen. Bei uns zu Hause spielten Kunst, Kultur und philosophische Gespräche eine große Rolle. Das war mein Umfeld und es hat mich unweigerlich beeinflusst. Wir haben jeden Sommer zwei Monate in Italien verbracht und daher kommt meine starke Verbindung zu Europa.

Warum habt ihr euch zu diesem radikalen Schnitt entschieden?

BC Die Entscheidung war für mich ziemlich naheliegend. Meine Arbeit hat mich nicht wirklich erfüllt; ich bin da hineingeraten, ohne dass ich sie mir wirklich ausgesucht hatte. Sie lag mir und ich mochte die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, aber letztendlich war die Arbeit nicht befriedigend. Bei diesen Jobs wird häufig deine Kreativität ausgenutzt und in den Dienst einer fremden Idee gestellt, um ein Produkt zu verkaufen, das du dir nicht einmal selbst kaufen würdest. Daher wollten wir reisen. Das klappte am Anfang auch, weil wir beide Freiberufler waren. Das war noch vor Covid und es lief gut. Aber auf Menorca wurde mir bald klar, dass unser Alltag sich nicht mit dem Inselleben vereinbaren lässt. Ich saß zwölf Stunden am Tag vor dem Computer

und irgendwann sagte ich mir: So kann das nicht weitergehen. Dann kam unsere Tochter Coco. Sie war der eigentliche Grund.

Wie habt ihr die Location von Etesian gefunden?

BC Wir sind sechs Monate lang kreuz und quer über die Insel gefahren und haben allen Gebäuden, die uns gefielen, Postkarten unter der Tür durchgeschoben. Eines Tages begegnete ich dem Besitzer von einem besonderen Haus, einem älteren Herrn. Er war ein sehr spezieller Typ, der acht Jahre lang in Japan festgesessen hatte, weil sein Segelboot Schiffbruch erlitten hatte. Wir hatten uns bereits Hals über Kopf in das Haus und die Räume verliebt und mussten ihn erst ein halbes Jahr lang umgarnen.

Wie habt ihr Zugang zur Kunstszene auf Menorca bekommen?

BC Am Anfang hatten wir Unterstützung von Freunden auf Mallorca. Sie haben uns geholfen, zuerst Kunstschaffende von Mallorca und dann einen Künstler aus London herzuholen. Weil wir Wert auf unsere eigene Sichtweise legen wollten, haben wir am Anfang nur Künstler und Künstlerinnen von außerhalb von Menorca eingeladen. Ich fand, dass mein eigentlicher Beitrag eine spezielle, andere Sichtweise war, anstatt etwas zu versuchen, auf das ich nicht vorbereitet war. Doch mittlerweile laden wir immer mehr Kunstschaffende aus Menorca ein.

Wodurch unterscheidet sich eine Galerie wie Etesian von einer eher klassischen Galerie?

BC Ich finde Etesian in mehrfacher Hinsicht ziemlich einzigartig. Da ist einerseits meine australische Sichtweise. Sie erlaubt mir, den Fokus auf Neues mit grafischen Arbeiten und indigener Kunst zu kombinieren und das alles mit den poetischeren und romantischeren Aspekten der europäischen Kultur zusammenzubringen. Bei einer Ausstellungsvorbereitung meinte mal jemand zu mir, dass das nie funktionieren würde, aber das stimmt nicht. Zum anderen besteht die Galerie aus drei sehr unterschiedlichen Bereichen, die sich auch räumlich voneinander abheben und mit denen wir einmalige Erlebnisse schaffen können. Zum Beispiel hat neulich einer der Künstler in der Höhle im Keller ein Klangerlebnis in einem vollkommen dunklen Raum inszeniert. Bei Etesian hat man nicht wie in vielen anderen Galerien das Gefühl, die klassische leere White Box zu betreten.

MW Die Wände sind einen Meter dick und im Untergeschoss gibt es mehrere Stollen. Außerdem steht an der Seite ein ehemaliger Wachturm, von dem aus Eindringlinge im Hafen gemeldet wurden. Das Gebäude ist voller Geschichte und für uns war es wie eine Reise. Es wäre unsinnig gewesen, ihm mit einem engstirnigen und elitären Blick zu begegnen. Stattdessen lernen wir ständig Neues, entwickeln uns weiter und haben Spaß.

BC Wir wollen jede Ausstellung zu einem Erlebnis machen, deshalb geben wir Abendessen, bei denen man die Kunstschaffenden treffen oder an ihren Werken teilhaben kann. Einmal haben wir Etesian in das Atelier des ausstellenden Künstlers verwandelt, damit man ihm bei der Arbeit zuschauen konnte. Diese Art des Geschichtenerzählens und Eintauchens in die Welt der Kunst finde ich nur in wenigen Galerien. Das soll nicht heißen, dass wir die Einzigen auf der Welt sind, die sowas machen, aber wir bekommen viel positives Feedback für diese offene und integrative Herangehensweise an die Kunst.

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Weshalb habt ihr euch in Menorca verliebt?

MW Aus verschiedenen Gründen. Das klingt vielleicht banal, aber es fühlte sich einfach richtig an. Als wir das Flughafengebäude verließen und zum ersten Mal den Boden Menorcas betraten, waren wir sofort entspannter, so, als ob wir angekommen wären. Wir sind sofort auf Wohnungssuche gegangen, denn wir hatten uns noch nie irgendwo so wohl gefühlt wie hier, und das ist nach wie vor so. Ich könnte eine ganze Liste erstellen, was genau Menorca so besonders macht, angefangen bei den Stränden über das Essen bis hin zu den Bewohnern, aber das Entscheidende war das Gefühl.

BC Es standen schon noch ein paar weitere Punkte auf der Wunschliste. Das Meer. Dass wir nicht zwei Stunden fahren müssen, um von A nach B zu kommen. Es sollte Kultur geben, aber auch Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Eine Stadt, die nicht zu klein ist, in der es nicht nur eine Post und ein Café gibt, sondern auch Natur und einen weiten Himmel.

MW Eines haben wir sehr schnell gemerkt: Das Leben auf Menorca ist nicht vom Tourismus abhängig. Wenn von einem Tag auf den anderen keine Touristen mehr kämen, ginge das Leben trotzdem weiter. Im Gegensatz zu den anderen Regionen am Mittelmeer, in denen wir schon waren, gibt es hier eine sehr starke kulturelle Identität. Das Thema Gemeinschaft ist uns sehr wichtig. Die Kleinstadt, in der wir leben, ist so groß, dass man nicht jeden kennt und immer wieder neuen Leuten begegnet, aber gleichzeitig so klein, dass man sich nicht allein fühlt.

Woher kommt diese Begeisterung für das Mittelmeer?

MW Ich bin 1990 von England nach Eivissa gezogen. Das war meine erste Erfahrung mit dem Mittelmeer und es hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.

BC Für mich ist die Liebe zum Mittelmeer fast schon eine Pflicht. Die italienischen Wurzeln in mir sind unglaublich präsent. Als Jugendliche war ich im Sommer immer an der Amalfiküste. Die Balearen haben aber viel mehr zu bieten als nur das Mittelmeer, was mit dem Licht und der Energie zu tun hat, die man spürt. Es ist außerdem eine sehr junge Insel, voller junger Leute, die mit interessanten Sachen experimentieren wollen. Die Mentalität ist international ausgerichtet; das kommt auch durch die Nähe zu Barcelona. Hier können die Ideen uneingeschränkt sprudeln und darauf kommt es an.

Die Insel Menorca bekommt gerade weltweit viel Aufmerksamkeit. Habt ihr Angst, dass es zu viel werden könnte?

MW Im Moment ist wirklich viel Aufmerksamkeit auf die Insel gerichtet und das merkt man auch, wenn man unterwegs ist, aber ehrlich gesagt macht mir das keine Angst. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hält meist nur kurz an und geht dann schnell zu etwas anderem weiter.

BC Ich halte die Menorquiner für sehr robust und sehr widerstandsfähig gegen Druck von außen.

„Eines haben wir sehr schnell gemerkt: Das Leben auf Menorca ist nicht vom Tourismus abhängig. Wenn von einem Tag auf den anderen keine Touristen mehr kämen, ginge das Leben trotzdem weiter. Im Gegensatz zu den anderen Regionen am Mittelmeer, in denen wir schon waren, gibt es hier eine sehr starke kulturelle Identität.“
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Das schwarze Fell der Pferde glänzt in der Sommersonne. Ihr Zaumzeug ist an Kiefer, Maul und Schweif verziert, am hellsten funkeln jedoch die kleinen silbernen Herzen in der Mitte ihrer Brust. Die Tiere paradieren wie bei einem Festzug durch die Stadt. Die Reiter, auch caixers genannt, tragen Schwarz und Weiß. Wenn sie den Hauptplatz erreichen, beginnen die Feierlichkeiten. Das sind die Festes de Menorca, die den ganzen Sommer über stattfinden, bei denen jedes Dorf an zwei Tagen seinen Schutzpatron feiert, dreizehn an der Zahl. Am ersten Tag beginnen die Feierlichkeiten am Abend und dauern bis Mitternacht. Am zweiten Tag findest das mit Spannung erwartete Ereignis am Morgen statt. Die Pferde (cavalls menorquins, eine auf der Insel heimische Rasse) und ihre caixers ziehen durch die Straßen und tauchen auf dem Hauptplatz auf, der zu diesem Anlass mit Sand bestreut wurde. Hunderte oder sogar Tausende Menschen erwarten sie. Eine Kapelle füllt die Luft mit Musik. Der erste, der die plaça betritt, ist der fabioler auf einem Esel, der auf einer Flöte spielt und eine kleine Trommel schlägt. Dann folgen die Reiter, die die Fahne der Stadt oder des Dorfes tragen, gefolgt vom Rest. Nun ist es Zeit für den jaleo: Das Pferd bäumt sich auf den Hinterbeinen auf, als ob es vor Freude hüpfen würde. Das ist der Höhepunkt der Festes. Am Ende der Parade erhalten die Ritter die canya verda, eine junge Bambuspflanze, ein Symbol für Langlebigkeit und Glück, die an einen kleinen Silberlöffel, die cullera, gebunden ist.

MENORQUÍ
CAVALL
Junction S/S 2024
Junction S/S 2024

Die cavalls menorquins sind eine einheimische Rasse, die mit dem cavall mallorquí und dem cavall català verwandt ist.

Sie sind besonders als Arbeitspferde in der Landwirtschaft und als Reitpferde beliebt. 1988 wurde die Rasse offiziell anerkannt.

Aufgrund ihrer tragenden Rolle bei den Inselfestlichkeiten nimmt die Zahl der cavalls menorquins ständig zu.

Derzeit liegt sie bei etwa 3000, wobei jedes Jahr durchschnittlich 250 Jungtiere geboren werden.

Junction S/S 2024
Junction S/S 2024
Junction S/S 2024
Junction S/S 2024

EINE EHER FRANZÖSISCH GEPRÄGTE THEORIE

VERBINDET DEN NAMEN DER SAUCE MIT MAYENNE, FRÜHER MAÏENNE, EINEM DEPARTEMENT IM NORDWESTEN DES LANDES, DAS NUR WENIGE

KILOMETER VOM ÄRMELKANAL ENTFERNT

LIEGT. LEIDER IST DIESE THEORIE NICHT HALTBAR, DA IN BESAGTEM GEBIET NOCH NIE OLIVENBÄUME VORKAMEN.

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Nur sehr frisches Eigelb, Zitronensaft und Öl, gefolgt von Salz, Essig und einer Prise Pfeffer in kleinen, aber entscheidenden Mengen. Einige Leute geben auch noch Senf dazu. Die Mayonnaise besteht aus wenigen und leicht zu merkenden Zutaten. Aber soll das auch bedeuten, dass die Sauce eine einfache Entstehungsgeschichte hat? Im Gegenteil. Hinter diesem vermeintlich einfachen Rezept verbergen sich Eroberungskriege, heimliche Liebschaften und kulinarische Intrigen. Die Geschichte der Mayonnaise beginnt in Maó, der Hauptstadt von Menorca. Haben Sie den Klang erkannt? Dann noch einmal: Maó. Mayonnaise. Da!

Wir schreiben das Jahr 1756, als Louis François Armand de Vignerot du Plessis, Herzog von Richelieu und Befehlshaber der französischen Truppen in der Schlacht von Menorca, mit über zehntausend Mann auf zweihundert Schiffen in Ciutadella anlegt. Die Briten waren fürs Erste besiegt, wenngleich nicht vollständig, denn die Truppen hatten sich nur bis nach Gibraltar zurückgezogen. Aber es war der Auftakt des Siebenjährigen Krieges, der 1763 mit dem Sieg der Briten enden sollte. Soweit die nackten Tatsachen. Ab hier verzweigen sich die Wege der verschiedenen Überlieferungen, denn die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Legende war noch nie einfach und beides wird oft vermischt und vermengt –ganz wie Öl, Zitrone und Eigelb.

In einer der Geschichten, die über Richelieus Aufenthalt auf Menorca überliefert sind, heißt es, dass der Herzog eines

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Abends in Maó umherlief und so in seine sorgenvollen Gedanken versunken war, dass er vergaß, zu Abend zu essen. Es war schon sehr spät, als er das Knurren seines Magens bemerkte und beschloss, in eine kleine Schenke zu gehen. Da das Essen bereits alle war, er aber nicht ungastlich erscheinen wollte, bot ihm der Gastwirt ein paar jämmerlich aussehende Fleischstücke an. „Mein Herr, das ist alles, was wir haben, doch für Eure Exzellenz ist es nicht gut genug“, sagte er. Richelieu antwortete: „Würze es so gut du kannst, denn in Zeiten des Hungers ist kein Brot zu hart.“ Daraufhin servierte der Gastwirt das Fleisch in einer Sauce, die dem Herzog so gut schmeckte, dass er nach dem Rezept fragte. „Aber mein Herr, das ist doch nur eine Eiersauce“, kam die Antwort. Der Herzog bestand darauf und notierte sich jeden Schritt. Als er nach Frankreich zurückkehrte, nahm er die Sauce mit und nannte sie maionesa.

An dieser Version über den Ursprung der Mayonnaise scheiden sich jedoch die Geister. Wahrscheinlicher ist eine andere Geschichte, die Pep Pelfort, Gastrohistoriker und Direktor des Centre d’Estudis Gastronòmics Menorca, erzählt. So soll Richelieu die Sauce am 21. April 1756, wenige Tage nach seiner Landung auf der Insel, bei einem Bankett zu Ehren der französischen Truppen auf einem großen Landsitz zum ersten Mal probiert haben. Aus Pelforts Recherchen geht hervor, dass es nicht viele große Familien gab, die mit den Franzosen kollaborierten oder offen frankophil waren, und nur zwei von ihnen stellten Olivenöl, eine wichtige Zutat für Mayonnai-

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se, her: eine in Sant Lluís und die andere in Alaior. Gemäß gründlicher Forschung soll die Dame, die die berühmte Sauce servierte, entweder Joana oder Rita geheißen haben. Naturgemäß bestreiten die Franzosen diese Darstellung der Ereignisse. Laut der eher französisch geprägten Theorien könnte die Sauce aus der Heimat Richelieus stammen, worauf auch der Name hinweist. Man spricht von Mayenne, früher Maïenne, einem Departement im Nordwesten des Landes, das nur wenige Kilometer vom Ärmelkanal entfernt liegt. Leider ist diese Theorie nicht haltbar, da in besagtem Gebiet noch nie Olivenbäume vorkamen und es für die Herstellung der Grundzutat viel zu weit im Norden liegt. Eine andere Erklärung führt uns nach Bayonne, wo angeblich durch eine leichte Veränderung der Schreibweise über die Jahrhunderte hinweg das „b“ zu einem „m“ wurde. Eine andere Hypothese geht auf Marie-Antoine Carême, Koch, Schriftsteller und „Erfinder“ der Haute Cuisine, zurück. Er schreibt, dass der ursprüngliche Name der Sauce magnonnaise gewesen sei, eine Ableitung des französischen Verbs manier, „mischen“, eine klare Anspielung auf das stetige Rühren bei der Zubereitung.

Womöglich wurde der Streit nun ein für alle Mal beigelegt, denn 2022 wurde das Rezeptbuch der Familie Caules aus Maó auf Menorca aufgespürt. Die Entdeckung gelang Pep Pelfort, der den Brotkrumen von einer von Richelieus menorquinischen Mätressen gefolgt war, schließlich wurde dem Herzog nachgesagt, dass er die Frauen der Insel mindestens

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genauso sehr schätze wie die Küche. Das Haus, in dem das berühmte Bankett für die Franzosen im April 1756 stattfand, gehörte jener Frau. Nach monatelangen Recherchen in den Familienarchiven und in Briefen stieß Historiker Pelfort auf das Rezeptbuch. Nachdem es von Graphologen, Buchkundlern und Historikern untersucht worden war, hatte man endlich den entscheidenden Beweis gefunden, denn die Speisenfolge für Richelieus Festmahl stand auf einer Seite am Ende des Buches. Allerdings liest sich die Mayonnaise, die dort aufgezeichnet wurde, ganz anders als die, welche wir heute kennen: Sie hieß salsa per a peixos crus und wurde mit Zwiebelstückchen, Kräutern und Petersilie angerichtet. In einem der Briefe von Herzog Richelieu heißt es: „Und sollte ich Sie vergessen, Madame, wird mich diese amouröse Sauce, mit der Sie meinen Gaumen bei so vielen Gelegenheiten erfreut haben, an Sie erinnern, und da es unmöglich ist, sie nach Ihnen zu benennen, werde ich sie Maionesa taufen.“

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„UND SOLLTE ICH SIE VERGESSEN, MADAME, WIRD MICH DIESE AMOURÖSE SAUCE, MIT DER SIE MEINEN GAUMEN BEI SO VIELEN GELEGENHEITEN ERFREUT HABEN, AN SIE ERINNERN, UND DA ES UNMÖGLICH IST, SIE NACH IHNEN ZU BENENNEN, WERDE ICH SIE MAIONESA TAUFEN .”
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SUNNY’S DONKEYS

Sie weiden im Schutz von Olivenbäumen und Steinmauern und warten darauf, dass die Zeit vergeht, während der Soundtrack eines menorquinischen Sommers, die zirpenden Grillen, zu hören ist. Neugierig sind sie allerdings schon. Sie kommen einem entgegen, wenn man sich ihnen nähert, und wollen etwas zu fressen oder eine Hand, die sie streichelt und hinter den Ohren krault. Die Esel in der Menorca Donkey Rescue werden von der Deutschen Gundi versorgt, die seit fast dreißig Jahren auf Menorca lebt. Sie widmet jedes Wochenende und einen Großteil ihrer Freizeit der Eselrettung und konnte so schon zwanzig Tiere vor dem Aussetzen retten. Dabei ist sie nicht allein. Die Engländerin Sunny eröffnete die Auffangstation vor acht Jahren mit vier Eseln auf dem Grundstück eines Bekannten. Anfangs kam Gundi nur ab und zu vorbei, aber dann gefiel es ihr immer besser. „Ich finde es toll, dass ich aktiv helfen kann, anstatt nur aus der Ferne zu spenden“, erzählt sie uns. Im Sommer öffnet das Eselgehege seine Türen für Besucher, vor allem für Familien. So finanziert sich das Eselgehege, damit noch mehr Esel im Schatten der Olivenbäume unterkommen können.

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S’HOMO BÉ DES

Sein alltäglicher Name lautet Sam, doch für einen einzigen Tag im Jahr ist er auch als s‘homo des bé bekannt. Auf Menorquinisch bedeutet das „der Schafsmann“, eine wichtige volkstümliche und religiöse Figur, vor allem in Ciutadella. In der Woche vor dem Fest von Sant Joan zieht der s‘homo des bé, gekleidet in einen Schafsfellmantel und mit einem lebenden Lamm über den Schultern, von Haus zu Haus und klopft an die Türen. Er ist barfuß, mit einem roten Kreuz auf jedem Fuß und einem weiteren auf der Stirn. Der Überlieferung nach stellt er die Figur des Heiligen Johannes des Täufers (Sant Joan Baptista) dar und hat die Aufgabe, den Menschen auf Menorca die Ankunft des wichtigsten Festtages des Jahres anzukündigen. Wie ein Stadtschreier früherer Zeiten schreitet er durch die Straßen, um Bekanntmachungen im Namen der Behörden zu machen. Dabei ist er nicht allein: Er wird

von der junta de caixers, den Reitern, und dem fabioler, der auf dem Eselsrücken Flöte spielt, begleitet. Sams Aufgabe ist nicht einfach, denn der s‘homo des bé muss jedes Jahr rund 35 Kilometer mit einem Lamm auf dem Rücken zurücklegen.

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148 Aixa kommt aus Alicante an der viel größeren und chaotischeren Costa Blanca und lebt seit drei Jahren auf Menorca. Sie arbeitet in einem Veranstaltungszentrum und findet die Insel besser als das Festland. Sie kennt die Strände, die sogar im Sommer leer sind.

Julian ist in Ciutadella geboren, wo er auch heute noch lebt. Er liebt die menorquinische Küche,

und ihre Aromen und erlernt daher gerade die Kochkunst.

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ihre
Zutaten
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153 Vor
in Ciutadella
vierzehn
Jahren flog Isaul mit seinen Eltern und seiner Schwester von Santo Domingo nach Menorca. Jetzt lebt der 27-Jährige und arbeitet auf dem Bau. Er mag Mode und Fotografie und würde später gerne etwas in der Richtung machen.
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Oberschule besucht.
Arturo ist ein sportlicher Typ und Sport ist schon immer sein Ding, sowohl als Zuschauer als auch als Spieler. Deshalb mag er auch den Sommer auf Menorca. Er wurde in Maó geboren, lebt aber in Villacarlos, wo er die
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Die Insel habe eine ruhige Atmosphäre, so Marina. Sie kommt aus Maó und lebt auch noch dort. Sie verreist gerne, mag aber Menorca wegen seiner Strände und Beschaulichkeit.

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Dina
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Das Grün und das Blau der Erde und des Himmels. Durch eine Stadt spazieren, in eine Bar gehen und immer auf ein freundliches Gesicht treffen. Das ist für Elía, die in Sant Lluís Theaterwissenschaft studiert, das Schöne an Menorca.
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158 Im Sommer mag Julia Menorca am liebsten. Sie ist jung und wenn es draußen heiß ist und sie nicht büffeln muss, geht sie mit Freunden irgendwo auf der Insel zelten. Sie mag das Meer und die Malerei. Pelotas Flota S/S 2024

Oriol, 21, aus Barcelona, gefällt an der Insel besonders die Freiheit. Vor zwei Jahren ging er zum Jurastudium weg.

Auch wenn er damit zufrieden ist und es ihm Spaß macht, liebt er die Ruhe auf Menorca.

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Redaktion und Erstellung

Alla Carta Studio

Brand Creative Director

Achilles Ion Gabriel

Brand Director

Gloria Rodríguez

Fotografie

Valentin B Giacobetti

Styling Francesca Izzi

Illustrationen

Angela Kirkwood

Texte

Davide Coppo

Produktion

Hotel Production

Mit besonderem Dank an

Maria Barceló Pons

Chimera Sleepwear

Cristine Bedfor Hotel

Hauser & Wirth

Lessico Familiare

Miguel Ángel Martorell Mancebo

Álvar Ortega Alonso

Asja Piombino

Olivier Simille

Spaccio Maglieria

Via Piave 33

Bildnachweis

© Valentin B Giacobetti

© Angela Kirkwood: S. 77–88

© Fele La Franca, Videostills: S. 142–147

© Daniel Schäfer, Carlos Torrico

Mit freundlicher Genehmigung von Hauser & Wirth

© Josephsohn Estate. Mit freundlicher Genehmigung der Nachlass von der Künstlerin und dem Kesselhaus Josephsohn.

© Successió Miró, 2024 S. 37–44

Druckerei

Artes Gráficas Palermo, Madrid

ISSN: 2660-8758

Pflichthinterlegung: PM 0911-2021

Gedruckt in Spanien

Alcudia Design S.L.U.

Mallorca

camper.com

© Camper 2024

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