Camper - The Walking Society - Ausgabe 9 - Mallorca (GER)

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GEHEN bedeutet, sich fortzubewegen. Sich von einem Ort zum anderen zu begeben. Es bedeutet auch, voranzukommen, sich zu verbessern, sich weiterzuentwickeln und offen zu sein für Innovation. Die Walking Society ist eine virtuelle Gemeinschaft, in der jeder willkommen ist – unabhängig von seinem sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen oder geografischen Hintergrund. Einzeln und als Zusammenschluss fördern die Mitglieder dieser Gemeinschaft Vorstellungskraft und positive Energie, indem sie innovative Ideen und Lösungen entwickeln, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen – auf einfache und ehrliche Weise. CAMPER bedeutet im Mallorquinischen Bauer. Die Entbehrungen, die Einfachheit und die Intimität des ländlichen Lebens, vereint mit mediterraner Geschichte, Kultur und Landschaft – all das beeinflusst die Ästhetik und die Werte unserer Marke. Unser Traditionsbewusstsein und unsere Wertschätzung für Kunst und Handwerk sind die tragenden Säulen unseres Versprechens: Wir stellen nützliche, originelle und hochwertige Produkte her, wobei wir die Vielfalt fördern und stets bestrebt sind, die Produkte durch Innovationen, neue Technologien und unseren Sinn für Schönheit weiterzuentwickeln. Kultur und Menschlichkeit sind die Grundlage unseres unternehmerischen Handelns. MALLORCA ist eine Insel im westlichen Mittelmeer mit rund 900.000 Einwohnern, die sich über 3.626 km2 erstreckt. Die Amtssprachen sind Mallorquinisch (ein Dialekt der katalanischen Sprache) und Spanisch. Aufgrund des warmen Klimas und der vielseitigen Landschaft ist die Wirtschaft Mallorcas neben Schuhherstellung, Möbelherstellung und Landwirtschaft vor allem auf Tourismus ausgelegt. Der Name der seit der Bronzezeit bewohnten Insel geht zurück auf die Römer, die sie Majorica tauften. THE WALKING SOCIETY ist ein Magazin mit Worten und Bildern von Menschen und Landschaften, die Teil dieser virtuellen Gemeinschaft sind – Menschen, die gemeinsam die Welt voranbringen und verändern. Unsere erste Ausgabe erschien im Jahr 2001. Das Thema war Campers Heimatinsel Mallorca. Die ursprüngliche Reihe, in der verschiedene Regionen des Mittelmeerraums vorgestellt wurden, erschien über vier Jahre hinweg in acht Ausgaben. Sie endete 2005. Heute, fast 20 Jahre nach der Ersterscheinung, kehren wir zurück nach Mallorca. In dieser neunten Ausgabe stellen wir Ihnen die Orte der Insel vor, denen wir uns am stärksten verbunden fühlen. The Walking Society ist eine Hommage an eine der wichtigsten kulturellen Säulen der westlichen Zivilisation: den Mittelmeerraum. WALK, DON’T RUN. 3


AUSGABE NR. 9

Diese Ausgabe von The Walking Society feiert die Kultur und den Lebensstil des Mittelmeerraums. Dort hinterfragt man die Geschwindigkeit des modernen Lebens und so wird eine konstruktive Botschaft vermittelt, die Land, Menschen und Kunsthandwerk vereint, die Traditionen hochhält und gleichzeitig offen fßr moderne Entwicklungen ist. 4


F/W 2020

Mallorca scheint ein Ort ohne Raum und Zeit zu sein, der mit Leichtigkeit, Ruhe, MuĂ&#x;e und Freude zu einer achtsamen Lebensweise anregt – ein Ort, an dem sich Mensch und Natur vereinen, um gemeinsam Gutes zu erschaffen. 5





Jeden Morgen machen sich die Esel von Son Fortesa auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen auf zum nahegelegenen Berg und kehren erst bei Anbruch der Dunkelheit zurück.

Im Zentrum der aktuellen Ausgabe stehen Menschen aus Mallorca und ihre Geschichten. Es erwartet uns eine kulturelle Entdeckungsreise, die den Geist von The Walking Society widerspiegelt. Eine organische Reise ohne feste Endstation und ohne Zeitplan, auf der der Weg mit allem, was er zu bieten hat, das Ziel ist. Es geht um die Freude am Entdecken und die Entschleunigung, die damit einhergeht. Dafür müssen wir uns treiben lassen und neugierig sein: Schlendern durch Häfen, über gepflasterte Straßen und Plätze, Spaziergänge an Stränden und durch wilde Landschaften. Jede Kulisse hat ihren eigenen Zauber. Was bleibt, sind besondere Erinnerungen, die nach und nach aus Dialogen, Fotografien, Illustrationen, Erzählungen und Gedichten entstehen ... Eine Kollage aus intensiven visuellen Eindrücken und subtilen Geschichten. Mallorca ist die 9


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CA NA TONETA p.50 Die Küchenchefin lässt uns echte Gastfreundschaft und Warmherzigkeit erleben. TROT BALEAR p.42 Der Trabrennsport – Trot Balear – hat auf Mallorca eine lange Tradition. MARTA ARMENGOL p.30 Die ehemalige Architektin und heutige Produktdesignerin lädt uns in ihr Haus und Atelier ein.

Die Sinnlichkeit der Insel zeigt sich in zahlreichen Facetten. Die vielseitige Landschaft mit zerklüfteten Klippen, ausgedehntem Flachland und lichtdurchfluteten Buchten ist ein Idyll inmitten der blauen Tiefen des Mittelmeers. Das Klima ist heiß, die Sonne kraftvoll. Die Sommer sind trocken, die Winter mild. Oliven und Mandeln werden auf heimischem Boden angebaut. Sie stehen für den typisch vollen Geschmack Mallorcas. Die Mallorquiner sind bekannt für ihre Handwerkskünste, darunter für ihre Siurells: kleine, weiße Tonfiguren mit grünen und roten Verzierungen.

SON FORTESA p.12 Mitarbeiter des Anwesens erzählen uns, wie sie hier eins mit der Natur werden.

größte Insel der Balearen, zu denen auch Ibiza, Formentera und Menorca (katalanisch für „die Kleinere”, im Gegensatz zu Mallorca, „die Größere”) gehören. Die Inselgruppe ist seit 1983 eine autonome Region Spaniens. Amtssprachen auf Mallorca sind Mallorquinisch und Spanisch. Das Schulsystem ist zweisprachig.


SAVE THE MED p.106 Eine Stiftung zum Schutz des Meeres, die die Mallorquiner aktiv einbindet. CAN CASETES p.90 Ein Steinbruch, aus dem Rohstoffe für das lokale Bauwesen verwendet werden und der einst Inspirationsquelle für einen bekannten Schriftsteller und Dichter war. JOAN PERE CATALÀ ROIG p.78 Der Keramiker erzählt uns von seinen einzigartigen Brenntechniken und spricht über ästhetische Einflüsse.

Mallorca blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück und wurde unter anderem von den Karthagern, Römern und Mauren besetzt. Diese vielschichtigen Einflüsse spiegeln sich nicht nur in den historischen Erzählungen, sondern auch in der Schönheit der Architektur und dem Reichtum der örtlichen Kultur wider. Heute ist die Insel ein äußerst beliebtes Ferienziel. Manche betrachten den Tourismus als eine neue Form der Annexion. Neben zahlreichen britischen Touristen ist die Insel auch ein großer Anziehungspunkt für Deutsche. Aufgrund des enormen Ansturms gilt Mallorca sogar als das „17. deutsche Bundesland”. Wer kann es ihnen verübeln? Dem Charme der Insel kann man sich nur schwer entziehen.

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Die meisten Bauernhöfe auf Mallorca wurden seit den 1980er-Jahren nach und nach in Hotels umgewandelt oder von Ausländern als Landsitze erworben. Als Camper Anfang der 1990erJahre das Anwesen Son Fortesa im ruhigen Städtchen Alaró kaufte, wurde nur noch auf sehr wenigen Bauernhöfe aktiv Land bestellt.

Son Fortesa Auf Son Fortesa wurde der landwirtschaftliche Betrieb wieder aufgenommen. Dank nachhaltiger Verfahren und der Arbeit engagierter Mitarbeiter erwirtschaftet das Anwesen zumindest kleine Erträge. Hier beginnt unsere Reise, indem wir das ländliche Mallorca erkunden. 12


In strahlend blauen Overalls baut Valentin Tag f체r Tag Steinm채uerchen, Z채une, Gatter und andere Konstruktionen. Er stammt aus Ciudad Real in Castilla-La Mancha, dem Geburtsort von Pedro Almod처var.

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Alfredo, der aus Paraguay stammt, schätzt an seiner Arbeit auf dem Anwesen, dass kein Tag dem anderen gleicht. Die Gartenarbeit sowie die Pflege des Gemüsebeets und der Tiere halten vielfältige Aufgaben bereit.


Manolo arbeitete 30 Jahre lang für einen Camper Schuhlieferanten. Heute ist er Bastler und Tüftler und erweitert ständig sein Wissen. Er möchte verstehen, wie die Dinge funktionieren.

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Tomaten und Gurken aus dem Gemßsegarten – biologisch und nachhaltig angebaut.


Manolo Joan Gustavo Alfredo Biel Valentin 17


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Joan arbeitet schon sein halbes Leben lang auf Son Fortesa. Er kümmert sich um die Öl- und Weinproduktion und sorgt dafür, dass die Prozesse auf dem Anwesen nachhaltig sind.


Gustavo pflegt den Garten und kümmert sich um die Instandhaltung der Brunnen. Vor seiner Arbeit hier war er im Transportbereich einer Fabrik für Süßwarenverpackungen und dann im Immobiliensektor tätig, bis ihm klar wurde, dass er lieber an der frischen Luft arbeitet.

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Das Personal hat hier keine festen Routinen, sondern orientiert sich an den Bedürfnissen der Natur. Die Aufgaben sind vielfältig und werden eher gründlich als zügig erledigt. Die Natur gibt mit ihren Bedürfnissen den Arbeitsrhythmus vor. Produktive Arbeit entsteht dadurch, dass man hier eins mit der Natur wird. Ziel ist es, etwas Schönes zu erschaffen. Hier spürt man das Vertrauen, den Respekt und die Leidenschaft für die Natur. Man orientiert sich an den Jahreszeiten. Die Pflege und Instandhaltung der Äcker und Pflanzen im Winter sind unerlässlich für üppiges Grün und eine reiche Ernte in den warmen Monaten. Zur Schädlingsbekämpfung im Frühling werden ökologisch verträgliche und nachhaltige Methoden angewandt. Die gesamte Landwirtschaft von Son Fortesa ist bio-zertifiziert und pestizidfrei. Manchmal finden hier auch Workshops mit Schulklassen statt.

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Campers erster Schuh, der 1975 entwickelt wurde, war ein Unisex-Modell inspiriert von den Schuhen, die Bauern in dieser Gegend auf den Feldern trugen. Der Camaleón wurde aus recycelten Materialien hergestellt, darunter Lederreste, abgenutzte Reifen und Segeltuchfetzen.


Biel, der hier geboren ist, ist ausgebildeter Landmaschinenmechaniker. In seinem Haus hat er schon immer alles selbst repariert und auch auf Son Fortesa kĂźmmert er sich um diverse Reparaturarbeiten.

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Die Hektik des Alltags, Verpflichtungen und Zwänge lösen sich auf Son Fortesa in Luft auf, als wären sie nur eine Fata Morgana gewesen. Sie weichen einer friedvollen, vollkommenen, ländlichen Ruhe, die einzig von den Klängen der Natur unterbrochen wird: dem Zirpen der Zikaden, dem Vogelgezwitscher. Wir sind umgeben von übergroßen Feigenkakteen und sanft rieselnden Springbrunnen. Tausende Mandelbäume wachsen auf dem Gelände. In einem Obst- und Gemüsegarten werden Tomaten, diverse Kräuter, Orangen und Zitronen angebaut. Zur Erntezeit bringen die Weinberge bescheidene Weinmengen hervor. Zur Tierfamilie zählen Esel, Schweine, Hühner und rund 200 Schafe.

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Mallorca hat die kulturelle Vielfalt des Mittelmeerraums bereichert und war in verschiedenen Epochen ein Anziehungspunkt für Kreative. So ließ sich der spanische Künstler Joan Miró 1954 mit seiner Frau auf der Insel nieder. Seine Ateliers wurden zu offiziellem Kulturerbe erklärt. Der polnische Komponist und Pianist Frédéric Chopin verbrachte den Winter 1838–39 in Valldemossa, gemeinsam mit seiner Partnerin, der französischen Schriftstellerin Amantine Lucile Aurore Dupin (Pseudonym: George Sand), die ein Buch über ihren MallorcaAufenthalt schrieb. Die Insel beruhigt den Geist und steigert gleichzeitig das Verlangen, dem eigenen Inneren Ausdruck zu verleihen. Ein Fleckchen Erde, das pure Erholung verspricht, wo sich alles wie in seliger Abgeschiedenheit, Ferne und Ruhe anfühlt. Das Leben auf der Insel schafft Raum für das einfache Vergnügen: Schafen beim faulen Grasen zusehen, den berauschenden Duft des Lavendels einatmen, die abgenutzte Form stattlicher alter Steine bewundern, ...




Pelotas XL S/S 2016


Wir verlassen die ruhige, ländliche Gegend und machen uns auf nach Palma. Unser erster Halt ist La Rambla, wo sich Atelier und Wohnhaus einer besonderen Frau befinden:

MARTA ARMENGOL Inspiriert durch Poesie, Philosophie und Architektur – insbesondere durch Arbeiten von Gaetano Pesce, Òscar Tusquets Blanca und Smiljan 30





Marta arbeitet mit einem Glasbläser zusammen, der die Silhouetten ihrer Werke erschafft, die sie anschlieĂ&#x;end von Hand bemalt.


Radić – lebt die Designerin in einem lichtdurchfluteten, mehrstöckigen Gebäude, in dem sie Möbel und wunderschöne, aus Glas geblasene Lampen entwirft.

Wie haben die Orte, an denen du gelebt hast, dein Denken beeinflusst?

MA

Ich wuchs in der mallorquinischen Kleinstadt Esporles auf, inmitten der Berge der Serra de Tramuntana. Ich lebte 12 Jahre lang in Barcelona, wo ich Architektur studierte und später als Architektin arbeitete. Außerdem verbrachte ich während meines Studiums über das Erasmus-Programm ein Jahr in Paris. Nach meinem Abschluss gründete ich mit ein paar Freunden ein Architekturbüro, doch dann wurde mir klar, dass ich mich mehr in Richtung Design orientieren wollte. Ich widmete mich der temporären Architektur und dem Möbeldesign. Diese Art der Arbeit war unmittelbarer: Ich schaffte mehr in kürzerer Zeit. Vor zwei Jahren kehrte ich nach Mallorca zurück und lebe seitdem hier. Der Rhythmus ist hier ganz anders. Ich bin aber noch oft in Barcelona, weil Ferran, der Glasbläser, mit dem ich zusammenarbeite, dort lebt. Für mich ist Glas ein interessantes Material, mit dem ich gerne weiterhin arbeiten möchte. Meine Werke sind mehrdeutiger geworden – funktionelle Kunstwerke, zwischen Skulptur und Möbelstück. Nachdem der Glasbläser in Barcelona seine Stücke vollendet hat, bemale ich sie und mache Lampen daraus. Ich plane, mit einer speziellen Glasgusstechnik auch Objekte zu erschaffen: Das Glas befindet sich in einem geschmolzenen Zustand, dann wirft man es und es erhärtet. Daraus entstehen interessante Formen und Gebilde.

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Die Arbeit mit Glas ist immer auch mit einer gewissen Unvorhersehbarkeit verbunden. Wie erreichst du ein Gefühl von kreativer Kontrolle und schaffst es gleichzeitig, die Unbeständigkeit des Materials anzunehmen? MA

Wenn ich mir ein Objekt überlege, das ich erschaffen möchte, dann denke ich dabei immer auch technisch. Ich habe Architektur studiert und in dem Beruf gearbeitet, darum ist der funktionale, technische Gedanke immer da. Ich lerne noch, damit zurechtzukommen. Gleichzeitig bereitet es mir große Freude, mit Formen und Materialien zu arbeiten, die neu für mich sind und mit denen ich noch nicht umzugehen weiß. Das motiviert mich. Und ich habe keine Angst, Fehler zu machen, sondern lerne aus ihnen: Ich habe eine Idee, mache mir Gedanken darüber, lasse mich voll und ganz auf ein Material ein, mit dem ich noch nie gearbeitet habe, und möchte von Grund auf verstehen, wie es funktioniert. Glas hat eine besondere, menschliche Komponente. Der Kontrollverlust ist die poetische, schöne Seite. Ich entwerfe ein Objekt mit bestimmten Maßen, einer vorgegebenen Größe, einem vorgegebenen Gewicht – mir vertraute Komponenten, die ich beeinflussen kann. Diese technischen Details sind wichtig für die Mechanik, um zu wissen, wie das Objekt aufgehängt werden kann. Dann tauche ich in die Arbeit mit dem Glasbläser ein und teile ihm meine Gedanken mit, wie „Ich stelle mir eine Luftblase vor ... Ich sehe etwas, was mich ans Weltall erinnert.” Plötzlich kommen mir diese seltsamen, organischen Ideen. Dann treten wir in einen Dialog und es entstehen Synergien – solange bis Ferran sagt: „Das geht nicht!” Ich erzähle ihm von meiner Idee und am Ende entsteht etwas, was anders ist als anfangs erwartet, und dennoch ähnlich. Ich sehe dem Glasbläser bei seiner Arbeit zu und sage: „Das Objekt soll noch breiter oder länger werden.” Doch ich habe keine Kontrolle darüber, wie er die Hitze reguliert. Ich kann die Kraft seiner Lungen nicht kontrollieren. Das Ganze entsteht also irgendwo zwischen uns beiden. Dieser Prozess macht mir große Freude und ich lasse mich gerne von verschiedenen Möglichkeiten überraschen. Ich weiß nie, was mich erwartet – und genau das ist der Reiz.

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Wie hast du herausgefunden, welche Art von Objekten du herstellen möchtest? MA

Ich habe mich entschlossen, Lampen herzustellen, weil ich gerne mit Licht arbeite. Eigentlich stelle ich keine Lampen her. Vielmehr sind es Objekte, die Licht aussenden. Irgendwann fing ich an herumzuexperimentieren und stellte diverse Prototypen her. Oft sind die Prototypen bereits das Endresultat. Meine Arbeit soll einfach so passieren. Sie ist ein Lernprozess und das ist für mich das Wertvollste daran. Manchmal muss ich Ideen verwerfen, doch das ist Teil des Prozesses und vielleicht verwende ich das entstandene Objekt dann später für etwas anderes. Architekturprojekte dauern oft etwa vier Jahre. Ich habe immer den Gedanken, dass sich meine Einstellung in vier Jahren so stark verändern könnte, dass ich dann vielleicht nicht mehr hinter dem Projekt stehe, von dem ich ein paar Jahre zuvor überzeugt war. Generell bin ich ziemlich ungeduldig. Darum tue ich gerne viele Dinge parallel und kann so während meiner Arbeit mental wachsen.

Du lebst in diesem wunderbaren Haus, umgeben von deinen Arbeiten, deinem Werkzeug, vielen Büchern und all dieser wohlüberlegten Ästhetik. Wie hilft dir dieser Ort bei der Entwicklung neuer Ideen? MA

Ich habe meinen eigenen Raum – dieses alte Haus – für mich. Es fühlt sich an, als würde ich in meinem eigenen Kopf leben. Ich kann tun und lassen, was ich möchte. Als ich einzog, putzte ich das Haus gründlich, hatte aber erst einmal nichts außer einem Bett. Nicht einmal einen Herd in der Küche ... Es gefällt mir, hier zu leben, das Haus Stück für Stück weiterzuentwickeln und zu merken, was ich wirklich brauche. Mein Atelier habe ich intensiver renoviert als den Rest. Das Haus ist ein fortlaufendes Experiment für mich. Früher führte meine Mutter ein Bekleidungsgeschäft, das irgendwann geschlossen wurde. Ich bekam die Holzeinrichtung und baute mir

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Marta beschreibt ihr Werke als funktionelle Kunst. Ihre Lampen bilden eine Symbiose aus Skulptur und Produktdesign.


Marta: Bark F/W 2020, Pedro: Beetle F/W 2019, Amalia: Pelotas Ariel.


daraus Wohnzimmerstühle. Sie sind nicht besonders bequem, aber naja ... Wenn ich könnte, würde ich mir schicke Designerstühle kaufen. Andererseits habe ich die Freiheit, Dinge selbst herzustellen. Einmal kam mein Bruder zu Besuch und ich fand Metallstangen am Straßenrand. Ich überlegte: „Wo soll er eigentlich seine Klamotten aufhängen?”, und entschloss mich kurzerhand, ein Regal zu bauen. Hier zu leben, fühlt sich an, als wäre ich eins mit mir selbst, weil ich von meiner Arbeit umgeben bin. All das ist die Grundlage für meine Ideen. my imagination.

Ganz in der Nähe von Marta Armengols Atelier und Wohnhaus befindet sich das kleine, charmante Restaurant ihrer Eltern, La Mirona. Das freundliche Duo, Amalia und Pedro, bereitet in der winzigen, offenen Küche köstliche kleine Speisen zu, wie canelones de bacalao (Kabeljau-Cannelloni) oder calamares con corazones de alcachofa (Tintenfisch mit Artischockenherzen). Feine Spezialitäten wie Weine oder Sardinen in der Konserve stehen in den Regalen zum Verkauf und über dem Tresen hängt eine schöne, von Marta entworfene, röhrenförmige Lampe.

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Unser Besuch in Palma hat uns dazu inspiriert, tiefer in die regionalen Traditionen einzutauchen und sie zu erforschen. Dabei sind wir auf Trot Balear gestoßen, den mallorquinischen Trabrennsport. Bei diesem Sport ist, wie der Name schon sagt, nur die Gangart Trab erlaubt. Der Jockey sitzt auf einem zweirädrigen Pferdefuhrwerk. Der Trabrennsport hat hier eine lange Tradition und geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Bis heute ist er auf den Balearischen Inseln beliebt. Der Trot Balear entstand daraus, dass die Einheimischen sich mit ihren Pferdekutschen Rennen bis zur Kirche lieferten. Gewinner war derjenige, der es als erster zur Messe schaffte.

Trot 42






Balear Heute werden die Rennen mehrmals im Jahr auf den offiziellen Pferderennbahnen der Balearischen Inseln ausgetragen, wo die Pferderasse „Troton” diesen Sport beherrscht. Der Jockey, „Menador” genannt, trägt die Farben des jeweiligen Rennstalls und sitzt auf dem zweirädrigen Fuhrwerk, dem „Cabriol”. Das Rennen beginnt mit der Aufstellung. Anschließend brechen die Pferde im Trab in eine unglaubliche Geschwindigkeitsexplosion aus. Mit Anmut und Wendigkeit liefern sie sich auf der Rennbahn einen unerbittlichen Kampf um den Sieg. 47




Wir sind begierig darauf, Mallorca endlich zu schmecken. Zeit, ein außergewöhnliches Restaurant zu besuchen.

CA NA TONETA In diesem Lokal, das von zwei Schwestern gegründet wurde, wird man als Gast warmherzig empfangen und darf sich auf kulinarischen Hochgenuss freuen.

Maria Solivellas 50

&

Teresa Solivellas


Auf dem linken Bild trägt Teresa Pix aus HW 2018.





Chefköchin María Solivellas und ihr Team haben ein kulinarisches Konzept entwickelt, das simpel und ausgefeilt zugleich ist. Das Restaurant befindet sich in Caimari, dem idyllischen Örtchen, aus dem sie stammt. Basis ihrer Küche sind traditionelle, mallorquinische Rezepte, doch die Anerkennung ihrer Wurzeln hält María nicht davon ab, sich kreativ auszuleben und mit Aromen zu experimentieren. Jedes Gericht ist ein Ensemble aus regionalen Produkten, serviert auf elegantem Keramikgeschirr, von dem gemeinschaftlich gegessen wird. Früher arbeitete María in der Theaterbranche. In diesem von Improvisation und Neuinterpretation geprägten Metier hat sie ihre instinktive Herangehensweise entwickelt. María begann zur selben Zeit als Profiköchin zu arbeiten, als sie auch mit dem Gärtnern begann. Zwei Tätigkeiten, die für sie sehr eng miteinander verbunden sind und die für den achtsamen Umgang mit Lebensmitteln stehen. Sich voll und ganz darauf einlassen, was die Natur einem schenkt – das ist die Grundlage für Marías Kochstil. Bei ihr landen nur tagesfrische Produkte auf dem Teller und das Menü wechselt entsprechend. 53




Wir genießen ein saisonales

EINE MEDITERRANE KÜCHE, DIE SICH AUSZEICHNET DURCH MIT HÖCHSTER SORGFALT ZUBEREITETE SPEISEN, SERVIERT AUF KLEINEN TELLERN ZUM TEILEN UND GENIESSEN. Rotbarbe mit Spinat, Kirschen und Pinienkernen * Coca mit schwarzem Schwein und einer Sauce aus Porreres-Aprikosen * Aubergine gefüllt mit gebratenem mallorquinischem Lamm, Birnensauce und Rosmarin 56


mallorquinisches Menü

AUF DEM MENÜ STEHEN BIOGEMÜSE, FRISCHE MEERESFRÜCHTE UND COCA, DAS KNUSPRIGE FLADENBROT, FÜR DAS DAS LOKAL BEKANNT IST. * Tumbet (mallorquinischer Gemüseauflauf) mit Spiegelei * Zarte Zucchini mit mallorquinischem Mozzarella, sonnengetrocknetem Fisch und sonnengetrockneten Tomaten * Linsen mit marinierter Garnele * Mandelkuchen mit Sorbet aus Porreres-Aprikosen. 57


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Chefköchin María Solivellas serviert ein Gericht aus S’hortolà-Tomaten, Gelbschwanzmakrele, sauer eingelegtem Gemüse, schwarzen Olivenund Kichererbsen. Ihr Coca stellt sie aus einer speziellen Weizensorte her und belegt es mit ausgefallenen Zutaten.


Die Gäste schlemmen Miesmuscheln mit Zitrone und Fenchel. Die ChefkĂśchin arbeitet ausschlieĂ&#x;lich mit lokalen Fischern zusammen, um sicherzustellen, dass nur fangfrische und saisonale Produkte auf dem Teller landen.

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Chefköchin María Solivellas Mission ist es, mit den Gästen zu kommunizieren, ihnen ihre Identität näherzubringen und eine Bindung zwischen Besucher und Insel zu schaffen. Diese Bindung ist stets vom Fluss und der Vergänglichkeit des gegenwärtigen Moments geprägt. Sie resultiert in einem tiefen Respekt für Saisonalität und die Sortenvielfalt Mallorcas. María verwendet in ihrer Küche gerne und oft Kräuter. „Basilikum ist die Königin der Kräuter”, sagt sie lachend. Mit Hilfe der Kräuter schafft sie ein geschmackliches Gleichgewicht. Ziel des Restaurants ist es, den Gästen einen unverfälschten Geschmack zu bieten. Die Gerichte sind ansprechend und originell. Diese Philosophie wird gepaart mit einfacher Hausmannskost – und damit mit Erinnerungen, Familiensinn, Behaglichkeit. Während María Solivellas den Kochlöffel schwingt, ist ihre Schwester Teresa zuständig für die Abläufe im Familienbetrieb. Die beiden ergänzen sich wie Yin und Yang und setzen in ausgeglichener Weise auf Familienwerte. 60


Neben den Gaumenfreuden kommt man im Ca Na Toneta in den Genuss der besonderen Gastfreundschaft der Solivellas. Diese spiegelt sich auch in der liebevoll gestalteten Inneneinrichtung und der durchdachten Weinauswahl wider.

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Capparis sp. (C. orientalis, C. sicula, C. spinosa). Kapernstrauch. Kapern sind die Blütenknospen des Kapernstrauchs. Sie sind sehr nährstoffreich und werden, in Salzlake und Essig eingelegt, als Kochzutat verwendet. Zudem kommen sie in der Kräuterheilkunde und Volksmedizin zum Einsatz. Vögel fressen gerne die reifen Früchte und Samen des Kapernstrauchs.

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Citrus limonum. Zitronenbaum. Der Zitronenbaum ist ein kleiner, immergrüner Baum, der helle, länglich-ovale Früchte hervorbringt, die sich sowohl für kulinarische Zwecke als auch zur Reinigung eignen. Fruchtfleisch, Schale und Saft der Zitrone sind vielseitig einsetzbar. Die enthaltene Zitronensäure verleiht der Zitrone ihren stark säuerlichen Geschmack.

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Vicia faba. Ackerbohne. Die Ackerbohne, auch Saubohne genannt, ist eine grüne Hülsenfrucht, die bis zu sechs runde Samen enthält. Sie zählt zu den ältesten Nutzpflanzen, war vermutlich schon 6.000 v. Chr. Teil der mediterranen Ernährung und ist zudem leicht anzubauen.

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Rosmarinus officinalis. Rosmarin. Rosmarin zählt zu den mehrjährigen Kräutern und besitzt duftende, nadelförmige Blätter. Der Name kommt vom lateinischen ros marinus und bedeutet „Tau des Meeres”. Rosmarin kann Jahrzehnte lang leben und hält auch extremer Trockenheit stand. Er eignet sich ideal für den Xeriscape-Landschaftsbau (bei dem der Bedarf an zusätzlichem Wasser aus der Bewässerung verringert wird). Frische oder getrocknete Blätter verfeinern den Geschmack von gebratenem Fleisch und Gemüse.

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Mesembryathemum crystallinum. Eiskraut. Diese Pflanze, die von Frühling bis Frühsommer blüht, ist dicht mit glasigen Papillen besetzt, die wie Kristalle aussehen. Ihre Blüten öffnen sich morgens und schließen sich nachts. Die Pflanze gedeiht auf nährstoffarmen Böden, oftmals auch direkt am Straßenrand. Ihre zerkleinerten Blätter können als Seifenersatz verwendet werden.

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Eruca vesicaria. Rucola. Rucola ist eine essbare Pflanze mit einem bitteren, pfeffrigen Geschmack, die oft als Salat verzehrt wird. Rucola weist einen hohen Gehalt an Folsäure, Vitamin K, Vitamin A, Vitamin C sowie Kalzium, Magnesium und Mangan auf.

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Laurus nobilis. Lorbeer. Lorbeer ist eine im Mittelmeerraum beheimatete Pflanzenart. Die kleinen, aromatischen, glatten Blätter werden als Ganzes Saucen hinzugegeben, um ihr Aroma zu entfalten, und vor dem Servieren wieder entfernt. Lorbeer ist in der klassischen griechisch-römischen Kultur ein Symbol des Sieges. Der römische Naturforscher Plinius der Ältere war der Meinung, Lorbeeröl könne von Lähmungen bis hin zu Kopfschmerzen alle Beschwerden lindern.

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Cichorium intybus. Zichorie. Die Zichorie ist eine mehrjährige krautartige Pflanze aus der Familie der Löwenzahnpflanzen, die oft leuchtend blaue Blüten hat. Viele Sorten werden als Salat angebaut (z. B. Chicorée und Radicchio) oder gebacken und gemahlen als Kaffeeersatz oder Lebensmittelzusatz verwendet. Inulin, ein Extrakt aus der Zichorienwurzel, kommt in der Lebensmittelherstellung als Süßungsmittel zum Einsatz und einige Bierbrauer verwenden geröstete Zichorie zum Aromatisieren von Stout-Bieren.

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Wir lenken unsere Aufmerksamkeit von fruchtbaren Böden auf das vielfältige Angebot des Marktes. Sineu ist eine Kleinstadt in der Inselmitte mit nur wenigen Tausend Einwohnern und vielen historischen Baudenkmälern, von denen einige fast acht Jahrhunderte alt sind. Jeden Mittwoch erwacht sie zum Leben: Dann ist Markttag in der Altstadt. Marktstände umgeben die Plaça des Fossar, den Marktplatz, der gesäumt ist von Cafés, in denen Einheimische auf der Terrasse Kaffee schlürfen und Zeitung lesen. Die Stände drängen sich in Richtung der Pfarrkirche Santa Maria mit ihrer strengen gotischen Fassade und dem imposanten, gewaltigen Glockenturm.

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Runner Four S/S 2019



Spray S/S 2018


Auf dem Markt werden frisch geerntete, landwirtschaftliche Erzeugnisse und akribisch von Hand gefertigtes, farbenfrohes, und sinnliches Kunsthandwerk feilgeboten. Das überwältigende Angebot umfasst zudem Lederwaren, glänzendes Metall, wallende Stoffe, Zuckergebäck und lebendes Federvieh. Die Händler sind früh auf den Beinen, um ihre Marktstände für den Tag aufzubauen: Eine Jugendliche hilft ihren Eltern dabei, ein robustes Schutztuch aufzuhängen, ein älterer Herr neigt sich herab zu seinem aufgescheuchten Geflügel. Unter den Planen der Stände verbergen sich alle Arten von Waren: Kisten voller Honigbonbons, Rollständer mit Batikkleidern, Gürtel mit silbernen Schnallen und Holzschneidebretter. Man findet Aloe-vera-Seife (drei zum Preis von zweien) und traditionelle menorquinische Avarca-Sandalen aus Leder. Es gibt BioGemüse und Trockenobst, Grillhähnchen und frisch gepressten Orangensaft, geviertelte Wassermelone und Paprika in Dosen. StrandAccessoires wie luftige Jumpsuits und schicke 74


Korbtaschen stehen für den Nachmittag am Meer bereit. Ponys ziehen mit entzückten Kindern auf dem Rücken entlang der Plaça pflichtbewusst ihre Bahnen, weg von dem Vieh, das für Bauern zum Verkauf steht. Die Kirchenglocken läuten – jedoch nicht so oft, wie die Hähne aus ihren Käfigen frech die Marktbesucher ankrähen. Der Markt ist ein Ort des Austauschs: von Gesprächen ebenso wie von Waren. Jeder Verkäufer hebt die Besonderheiten seiner Güter hervor. Die Geschichten, die dahinterstecken, verleihen ihnen einen besonderen Zauber. Man hört Erzählungen von traditionellen Bauernhöfen und erfährt, wie kunsthandwerkliche Gegenstände hergestellt werden. Dies verleiht den Waren eine neue Bedeutung.

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Bunte Stoffe an einem Marktstand in Sineu flattern im Wind. Die auffälligen Muster und bunten Farben spiegeln das pulsierende Leben auf der Insel wider.



Wir gehen einen Umweg über eine abgelegene Straße in Pòrtol und besuchen

JOAN PERE CATALÀ ROIG einen Keramiker, der extrem rigorose – und oft aufwendige – Techniken anwendet. Kunsthandwerkliche Keramik hat auf den Balearischen Inseln lange Tradition: Das Handwerk ist seit Jahrhunderten ein 79




wichtiger Bestandteil der mallorquinischen Identität, vor allem die hochwertigen, soliden Tonschalen, die in keinem mallorquinischen Haushalt fehlen dürfen. Die Gegend von Pòrtol ist berühmt für das Töpferhandwerk. Es gibt zahlreiche Töpferwerkstätten und einzigartige Stücke werden lokal von Hand gefertigt. Die Arbeiten von Joan Pere spielen mit Form und Größe und reichen von kleinen Teetassen bis hin zu übergroßen Vasen und Keramikmöbeln. Inmitten bunter Farben und nicht fertiggestellter Arbeiten haben wir mit Joan über seine Beziehung zur Insel, zum japanischen Kunsthandwerk und über die anspruchsvollen Techniken gesprochen, mit denen er arbeitet. Was bedeutet es für deine Arbeit, dass du aus Mallorca stammst und dort lebst? JPCR

Es ist eine Mischung aus Kulturen, dem Inselleben und den Materialien, die mir hier zur Verfügung stehen. Die Geschichte von Mallorca prägt den Stil, den ich seit meiner Kindheit verinnerlicht habe. Die Kultur spiegelt sich in alltäglichen Gegenständen wider. Beispielsweise gibt es eine typisch mallorquinische Schüsselart, die Escudella. Ich verwende die Form, interpretiere sie aber mit verschiedenen Materialien neu und brenne sie im Holzbrennofen. Auf diese Weise verleihe ich ihr ein anderes Aussehen als das der traditionellen Schale: Die Verarbeitung ist eine andere, und obwohl die Schale dieselbe Form hat, stellt sie einen Bruch mit der Vergangenheit dar.

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Joan Pere testet seit langem Tonrezepte. Seit 1996 schreibt er die Formeln in sein Notizbuch.


Joan Pere beim Formen eines Gefäßes auf der Töpferscheibe.


Dann spielen natürlich auch die Materialien eine Rolle. Wir haben hier nicht alles zu Verfügung, was es in Barcelona oder Madrid zu kaufen gibt. Das zwingt uns dazu, mit dem zu arbeiten, was wir haben. Du beziehst dich auf traditionelle Produkte – Siurells (Tonfiguren), alte mallorquinische Barcelles (Töpfe) oder die vorhin erwähnten Escudelles – doch du wendest auch japanische Techniken (wie Raku oder Hakeme) an. Wie vereinst du lokale und internationale Töpfertechniken? JPCR

Ich liebe die japanische Töpferkunst, die Philosophie und die Einstellung zu Leben und Handwerk. Es ist nicht schwer, sie zu mögen: Sie ist stilvoll, schön und gleichzeitig grob. Sie vermischt Tradition und Moderne. Ich verwende einen holzbefeuerten Brennofen, inspiriert durch japanische Techniken. In Spanien und ganz Europa, gibt es nur sehr wenige dieser Öfen. Man kann sie nicht einfach kaufen. Du baust dir selbst einen, abgestimmt auf deine Produktion. Die Größe passt du an dein Arbeitsvolumen an. Es gibt keine Ofenbauer für holzbefeuerte Brennöfen – man baut sie sich selbst, mit eigenen Händen. Ich verbrauche jedes Mal eineinhalb Tonnen Holz, wenn ich Ton brenne, und verbringe 24 schlaflose Stunden vor dem Ofen, um ihn ununterbrochen zu befeuern. Zehn Minuten Unaufmerksamkeit reichen, und die Temperatur sinkt um 200 Grad. Um 8 Uhr morgens beginne ich mit Brennen und bin am nächsten Tag um 8 Uhr fertig. Das ist Schwerstarbeit. Doch es gibt auch sehr intime, magische Momente. Es ist eine harte, aber schöne Arbeit. Ich möchte gar nicht, dass mir meine Arbeit leichtfällt. Ich möchte, dass meine Keramik aus schwerer Arbeit entsteht. Ich mag die Herausforderung. Ob ich Masochist bin? [lacht] Jedenfalls steckt in jedem meiner Werke ein Teil meiner Seele. Wenn du gute Keramik herstellst, dann erkennen das die Leute. Gute Qualität ist auf Anhieb sichtbar – auch ohne Signatur. Im Sommer ist der holzbefeuerte Brennofen zu gefährlich. Dann wechsle ich zu einem Gasofen, der auch leichter zu bedienen ist. Meine Keramik ist also saisonal. Es ist, wie wenn du im Januar eine Tomate essen möchtest: nicht möglich.

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Wie beeinflussen und verändern der Holz- und der Gasofen das Aussehen deiner Keramik? JPCR

Ich verwende den Holzofen seit sieben Jahren. Davor arbeitete ich ausschließlich mit Gasöfen. Elektroöfen mag ich nicht. Je nach Befeuerung sieht das Endergebnis sehr unterschiedlich aus; die Asche des Holzofens etwa verschmilzt mit dem Ton und bildet charakteristische Muster. Asche enthält Natrium, das bei 1.200 Grad schmilzt. Die Keramik wird bei 1.300 Grad gebrannt. Ich mache das Feuer direkt an der Vorderseite des Ofens, aber der Schornstein befindet sich auf der Rückseite; die Richtung des Feuers wirkt sich auf die Vorder- und Rückseite des Stückes aus. Man hat nie die volle Kontrolle: Es ist schwierig, die Temperatur konstant zu halten. Das ist die Kunst der Ungewissheit!

Deine Mutter war auch Keramikerin. Welche Beziehung hattest du als Heranwachsender zu diesem Handwerk? JPCR

Am Anfang mochte ich Keramik nicht besonders. Es war eben das, was meine Mutter beruflich machte. Ende der 80er-Jahre wurden wir in der Schule gefragt, was unsere Eltern beruflich machten. Der Beruf des Töpfers war damals nicht gerade angesagt. Mit 19 wusste ich nicht, was ich studieren sollte. Ich arbeitete erst mal ein paar Jahre in einer Reitschule. Dann ging ich von dort weg, um Keramik herzustellen und zu studieren, und bin nun seit 26 Jahren dabei. Mein Bruder, der acht Jahre jünger ist als ich, ist auch Keramiker.

Sind eure drei Töpferstile sehr unterschiedlich? JPCR

Ja. Mein Bruder macht Kunstkeramik – irgendwelche merkwürdigen Gefäße. [lacht] Meine Mutter arbeitet sehr klassisch und verziert ihre Keramik mit Blumenmustern. Ich mag Mineralglasuren, japanische Keramik und einen raueren Stil. Wir haben sehr unterschiedliche Visionen.

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Bark F/W 2020


Deine Werke sind schön, aber nicht unbedingt alltagstauglich. Wie schaffst du ein Gleichgewicht zwischen dem Dekorativen und Funktionellen? JPCR

Ich stelle auch funktionelle Keramik her, doch manchmal gleichen meine Gefäße eher Skulpturen. Ich versuche, aus jedem Alltagsgegenstand ein Kunstwerk zu erschaffen. Auch aus einem Kunstwerk kann man essen oder trinken.

Du hast auch schon Fliesen für Gebäude, Mosaike für Brunnen oder Wandbilder gefertigt. Gehst du an Arbeiten für Außenbereiche oder öffentliche Räume anders heran? JPCR

Ich wurde damit beauftragt, im Zentrum von Palma an der Plaça de la Reina, nahe der Kathedrale, einen Brunnen mit 1.400 Fliesen zu schmücken. Das war ein großes Stück Arbeit und ich habe es gern getan. Es ist schwer, Menschen mit kleinen Arbeiten zu beeindrucken, obwohl auch deren Herstellung komplex sein kann. Mit großen Arbeiten kann man mehr Eindruck schinden, doch sie sind in der Regel auch schwerer herzustellen. Ton zieht sich beim Trocknen zusammen. Man darf sich keine Fehler erlauben, weil die Fliesen nicht größer oder kleiner als der verfügbare Platz sein dürfen. Hier kommt es auf die Größe an! Aber ich mag diese Art von Feinarbeit.

Was denkst du über Fragilität? JPCR

Ich stelle sehr gerne Steingut her – eine andere Art von Töpferware, die sehr stabil ist. Ich betrachte Keramik nicht als fragil. Ich möchte etwas Grobes und gleichzeitig Zierliches machen. Ich habe einmal Teller für ein Restaurant hergestellt und in vier Jahren ist nicht einer davon zu Bruch gegangen. Ich finde, das ist ein Zeichen von Robustheit. Die hohen Temperaturen beim Brennen machen den Ton kompakt und stoßfest. Mein Geschirr eignet sich für den lebenslangen Gebrauch und kann über Generationen weitergegeben werden.

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Viele Häuser und Mauern auf Mallorca sind aus Kalkstein erbaut. Er besteht aus Schichten kleiner versteinerter Sandund Muschelfragmente. Das karge und schroffe Gelände eines Steinbruchs hat eine besondere Anziehungskraft.

CAN CASETES









Wir verabschieden uns von der kargen Landschaft Can Casetes und machen uns auf den Weg in Richtung Hafen. Das kühle Blau des Meeres ist eine willkommene Erfrischung, die Sonne glitzert auf dem Wasser und vereint sich in ästhetischer Weise mit seiner Oberfläche. Wir atmen die salzige Luft ein.

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Trisha S/S 2019





Kobarah S/S 2016


Im Hafen liegt ein Schiff, das anders aussieht als die anderen. Mit seinem hölzernen Rahmen und der eisernen Verkleidung, den gespannten Seilen und dem geflickten Segeltuch ist es nicht verwunderlich, dass Kinder es oft für ein Piratenschiff halten. Es ist schwer vorstellbar, dass irgendetwas dieses maritime Paradies stören könnte. Doch obwohl sie einige der artenreichsten Lebensräume des Mittelmeers beherbergen, sind die Unterwasser-Ökosysteme der Balearischen Inseln äußerst fragil und durch Überfischung, kommerzielle Nutzung und Verschmutzung bedroht.

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Ein Mann setzt sich leidenschaftlich fĂźr den Schutz der Meere ein.

Er hat eine Umweltstiftung gegrĂźndet: Brad Robertson.

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Mit einem Schleppnetz in Form eines Mantarochens wird Müll aus dem Wasser gefiltert.

Ziel der Stiftung ist es, die Verschmutzung des Meeres, unter anderem durch Plastikmüll, zu verringern sowie die Meeresökosysteme der Balearen wiederherzustellen. Die Stiftung engagiert sich im Bereich Bildung, Öffentlichkeitsarbeit und Politik, wobei sie stets einen kooperativen Ansatz verfolgt. 108


Sie teilt ihre Erkenntnisse zu Forschungszwecken mit Wissenschaftlern, organisiert Bildungsaktivitäten mit Schulen und macht medienwirksam auf Missstände aufmerksam, um das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken und Lösungsansätze zu teilen.

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1910 Das Baujahr der Toftevaag, des alten norwegischen Fischereischiffs, das Robertson und seine Crew aus festen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen zu Forschungszwecken und für von Medien begleitete Expeditionen nutzen.

2012 Robertson gründet die Ondine Association („Ondine” ist der englische Begriff für die aus der Mythologie stammende, freigeistige Wassernymphe Undine).

2015 Die Müllsammelaktion Dos Manos wird mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Strände von Plastikmüll zu befreien. Ihr Name ist angelehnt an die australische Organisation „Two Hands”, die Plastikmüll sammelt und zur Erstellung wissenschaftlicher Daten erfasst.

2016 Die Ondine Association bringt die Balearische Regierung dazu, das Meer vor Sa Dragonera zum Meeresschutzgebiet zu erklären..

2019 Die Ondine und die Alnitak Association schließen sich zur Save The Med Foundation zusammen. Ihr Ziel ist es, die reiche Artenvielfalt des Mittelmeers wiederherzustellen.

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Brad Robertson, Präsident und Mitgründer von Save The Med, ist ein erfahrener Taucher, der in seiner Heimat Australien umfangreiche Erfahrungen gesammelt hat. Robertson nutzt die Toftevaag, ein stattliches norwegisches Fischereischiff aus dem 20. Jahrhundert, um mit seiner ehrenamtlichen Crew die marine Tierwelt, die Wasserverschmutzung und den Einfluss menschlicher Aktivität auf Meeressysteme zu erforschen und zu dokumentieren. „Es gibt über zwanzig Länder, die an das Mittelmeer grenzen. Jedes hat sein eigenes politisches System, seine eigene Sprache und Kultur. Und jedes Land ist mit anderen Problemen konfrontiert. Da funktionieren keine Pauschalrichtlinien. Man muss die Position der Einheimischen stärken und sie unterstützen, damit jeder einzelne mehr bewirken kann.”




Eines frühen Morgens stechen wir mit Save the Med in See. Die Toftevaag wird sanft vom Wind getrieben, als wir aus dem Hafen von Porto Colom auslaufen. Drei Crewmitglieder sitzen Wache: zwei auf dem Bug und eines auf dem Ausguck. Sie wechseln ihre Position im Laufe des Tages im Rotationsprinzip. Wir steuern auf eine Welle zu. Als wir sie erreichen, gerät alles ins Wanken. Es fühlt sich an, als würde uns das Meer in die Tiefe reißen, uns in seinen Bann ziehen. Auf verspielte und doch bedrohliche Weise werden wir an seine mächtige Naturgewalt erinnert. Robertson bereitet die Tauchausrüstung vor und prüft sie vor der Verwendung sorgfältig. Sie besteht aus einem NeoprenTauchanzug, einer Druckluftflasche (mit bis zu 200 Bar), einem Tarierjacket, um den Abtrieb der Ausrüstung auszugleichen, einem Atemregler, einem Sauerstoffmessgerät sowie einem Rettungs-GPS. 115


Inmitten schaumiger Wellen, die auf das Schiff überschwappen, kann man alle Arten von Meeresbewohnern entdecken: Wale, Delfine, riesige Teufelsrochen. Das Meer um die Balearen ist auch ein Brutgebiet des Roten Thunfischs. Das Team hat Schwärme mit hunderten oder gar tausenden von ihnen entdeckt. Natürlich sehen wir auf unserer Reise auch große Mengen Plastik. Neben dem Schmutz, den das Manta-Schleppnetz herausfiltert, fischt das Team auch größere Müllteile wie einen leeren, goldfarbenen Luftballon oder ein Geisternetz, zusammengeknülltes von Fischern hinterlassenes Plastik, das Fische anlockt, aus dem Wasser. Ein Team aus Wissenschaftlern sammelt, erfasst und analysiert alle Müllfundstücke. „Mit der richtigen Wortwahl – indem wir von ‚Wiederherstellung’ und nicht von ‚Erhaltung’ sprechen – bringen wir die Menschen zum Umdenken. Wir wollen das Mittelmeer nicht in seinem aktuellen Zustand erhalten. Wir wollen es regenerieren, damit es so schön wird, wie es einmal war.” 116


Pix S/S 2019




THE WALKING SOCIETY

Wir liefen, l 端berraschen ren, gla Wir sind eingetaucht in die atemberaubende Landschaft. Wir haben regionale Produkte gekostet, die direkt vom Garten auf unsere Teller wanderten. Wir staunten 端ber die Visionen von K端nstlern und Kunsthandwerkern, die ihr Innerstes in Ton und Glas ausdr端cken. 120


MALLORCA

lassten uns n, faszinieaubten. Das Meer lässt uns nicht mehr los. Wir sind begierig darauf, die Vielfalt des Mittelmeers weiter zu erforschen: sie zu erkunden, zu kosten, zu genießen. Wir sind gespannt, was die Zukunft bringt, und freuen uns darauf, neue Orte zu entdecken. 121


Edition & Creation Alla Carta Studio Brand Art Director Gloria Rodríguez Magazine Photography: Victor Staaf Illustrations: Tobias Gutmann Copywriting: Sarah Moroz Videos Direction: Balthazar Klarwein Editor: Bernat Granados Music & Sound: Miquel Mestres Focus Puller: Juanjo Marti 2nd Ac / DIT: Miquel Mayans Color Grade: Lluís Velamazán Production: Palma Pictures Thanks to Save the Med for access to their underwater footage shot by Dan Abott camper.com © Camper, 2020

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