Magazin «umwelt» 3/2017 - Anpassung an den Klimawandel

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UMGANG MIT NATURGEFAHREN

Ein Dorf macht sich Gedanken über den Klimawandel Wenn die Gletscher schmelzen und der Permafrost taut, verändern sich die Naturgefahren. Das musste die Bevölkerung von Guttannen im Berner Oberland hautnah erleben. In einem Pilotprojekt hat sich das Dorf nun mit der Anpassung an die klimatischen Veränderungen auseinandergesetzt. Text: Kaspar Meuli

Hans Abplanalp ist Gemeindepräsident mit Leib und Seele. Er sorgt sich um das Wohl der 300 Bewohnerinnen und Bewohner von Guttannen (BE), als wären sie seine Familie. Wer sich zum Beispiel schwertut mit dem Ausfüllen der Steuererklärung, dem wird im Gemeindehaus gerne geholfen. Genauso wie den Bauern beim Schriftverkehr für die Direktzahlungen. Wir sind mit dem pensionierten Mechaniker im Dorf an der Grimselpassstrasse, im äussersten Zipfel des Kantons Bern, unterwegs, um mehr über eine in der Schweiz wohl einzigartige Initiative zu erfahren: Die Gemeinde Guttannen hat ihre eigene Strategie für die Anpassung an den Klimawandel entwickelt. Murgänge wecken Zukunftsängste Wir haben auf unserem Rundgang die junge Aare überquert und spazieren nun durch den Dorfteil «Sonnseite». Hans Abplanalp zeigt auf die gegenüberliegende Seite des engen Tals mit dem Ritzlihorn, dessen steile Flanke

«Als Folge der veränderten Niederschlagsverhältnisse werden in der Schweiz häufigere Hochwasserereignisse erwartet.» Carolin Schärpf, BAFU

in den Spreitgraben ausläuft. Am Rand dieses Bachbetts türmen sich – auch aus der Distanz gut sichtbar – gewaltige Schuttmassen. Spuren mehrerer Murgänge, die hier zu Tal gedonnert sind. Ausgelöst wurden die Rutsche durch Felsstürze aus dem auftauenden Permafrost

am Ritzlihorn. Die in dieser Dimension bisher selten gesehenen Naturereignisse sorgten weit über die Region hinaus für Aufsehen. «Ist der Klimawandel schon da?», fragte zum Beispiel die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» 2013. Die Murgänge, von denen sich die grössten 2010 und 2012 ereigneten, weckten in Guttannen Zukunftsängste und machten die Menschen hellhörig für die Folgen der Klimaveränderung. Sie führten schliesslich zur «Klimaadaptionsstrategie Grimselgebiet», an der nicht nur Spezialisten, sondern auch Bürgerinnen und Bürger mitgearbeitet haben. «Ohne die Ereignisse im Spreitgraben hätten wir im Dorf wohl nicht so einfach Leute fürs Mitmachen in dieser Arbeitsgruppe gewinnen können», sagt der Gemeindepräsident. Die Betroffenheit im Dorf war gross, denn im am Fuss des Spreitgrabens gelegenen Weiler Boden hatte nach den grossen Murgängen ein Haus geräumt werden und eine Familie ihr Zuhause für immer verlassen müssen. Und lange Zeit war unsicher, ob aus Sorge vor künftigen Ereignissen in Boden nicht auch weiteren Häusern das gleiche Schicksal drohte. Murgänge nehmen als Folge des Klimawandels zu Nicht nur im Grimselgebiet wirkt sich die Klimaveränderung auf die Naturgefahren aus: «Als Folge der veränderten Niederschlagsverhältnisse werden in der Schweiz häufigere Hochwasserereignisse erwartet», erklärt Carolin Schärpf von der Abteilung Gefahrenprävention des BAFU. «In den Alpen führen die Gletscherschmelze und das Auftauen des Permafrosts zu einer Abnahme der Hangstabilität, und weil Starkniederschläge möglicherweise zu-

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