PB 5611 – Bach, Markus-Passion; Rekonstruktion M. Bruno

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Bach

Bach

BWV 247

BWV 247

Rekonstruktion von Malcolm Bruno

Rekonstruktion von Malcolm Bruno

Reconstruction by Malcolm Bruno

Reconstruction by Malcolm Bruno

Partitur Score

Partitur Score

PB 5611

PB 5611

Breitkopf & Härtel

Breitkopf & Härtel

Partitur-Bibliothek

Partitur-Bibliothek

JOHANN SEBASTIAN BACH

1685–1750

MARKUS-PASSION

BWV 247

rekonstruiert und herausgegeben von | reconstructed and edited by Malcolm Bruno

Partitur-Bibliothek 5611

Printed in Germany

Besetzung

Sopran-, Alt-, Tenor-, Bass-Solo Sprecher vierstimmiger gemischter Chor

Flöte I, II

Oboe d’amore I, II

Violine I, II

Viola

Viola da gamba I, II

Laute I, II

Basso continuo

Scoring

Soprano-, Alto-, Tenor-, Bass-solo Speaker four-part mixed choir

Flute I, II

Oboe d’amore I, II

Violin I, II

Viola

Viola da gamba I, II

Lute I, II

Basso continuo

Aufführungsdauer

etwa 85 Minuten

Performing Time

approx. 85 minutes

Klavierauszug EB 8916 käuflich lieferbar Orchesterstimmen mietweise

Piano vocal score EB 8916 available for sale Orchestral parts on hire

til Bjarte Eike og Barokksolistene

Inhalt | Contents

Vorwort

Annäherung an eine Markus-Passion IV Rekonstruktion der Markus-Passion IV Praktische Entscheidungen . . .

V

Preface Towards a Markus-Passion VII Reconstructing the Markus-Passion VIII Practical Decisions IX

Parte Prima

1. Coro Geh, Jesu, geh zu deiner Pein 1

2. Aria (Soprano) . .

. Er kommt 25

3. Choral Betrübtes Herz, sei wohlgemut 32

4. Aria (Basso) . .

5. Aria (Alto) . .

. . . Herr, so du willt 34

. . Falsche Welt 38

6. Choral Jesu, ohne Missetat 45

7. Sinfonia 47

8. Aria (Tenore) Erbarme dich 49

9. Choral O wir armen Sünder 52

10. Coro Wir haben einen Gott 55

Parte Seconda

11. Sinfonia 67

12. Choral Mach’s mit mir, Gott 69

13. Aria (Tenore) Mein Tröster ist nicht mehr bei mir 71

14. Aria (Alto) Mein Heiland, dich vergess’ ich nicht 78

15. Choral O Traurigkeit, o Herzeleid 85

16. Aria (Soprano) Welt und Himmel

86

17. Sinfonia 95

18. Aria (Basso) Es ist vollbracht 96

19. Choral Befiehl du deine Wege 101

20. Coro Bei deinem Grab

21. Choral Weg, Welt, mit deinen Freuden

103

118

Annäherung an eine Markus-Passion Tradition der Gattung Passion

Weit vor der Reformation wurden die Teile der Evangelien, die die Darstellung der letzten Tage Jesu irdischen Lebens – den Verrat an ihm, seinen Prozess und seinen Tod – beschreiben, fester Bestandteil der Liturgie in der Karwoche. Diese Kapitel der Evangelien bieten sich für eine dramatische Interpretation geradezu an. Schon im Mittelalter hatte sich der Choral zu einem Medium entwickelt, das neben der Passionsgeschichte Jesu auch andere biblische Szenen darstellt. Ab dem 13. Jahrhundert beinhaltete dies auch Turbaszenen mit polyphoner Satzstruktur. Obwohl Luther selbst den Passionstext auf das gesprochene Wort begrenzen wollte, komponierte sein musikalischer Zeitgenosse Johann Walter (1496–1570) responsoriale Passionen, die zu einem Modell der deutschen protestantischen Tradition wurden. Mit Heinrich Schütz (1585–1672 und seinem italienischen Zeitgenossen Marco Peranda, 1625–1675, Kapellmeister in Dresden), hatte sich ein Jahrhundert später die auskomponierte Passion in deutscher Sprache als ausgereifte Kunstform etabliert.

Sowohl die Passionen von Schütz (Matthäus, Lukas und Johannes) als auch die ehemals Schütz zugeschriebene Markus-Passion von Peranda haben einen vierstimmigen polyphonen Eingangs- und Schlusschor. Ihre Erzählstruktur ist dramaturgisch zwischen Evangelist und vierstimmigen Turba-Chören aufgeteilt. Johann Sebastian Bach erweiterte diese kompakte a cappella-Form ein Jahrhundert später in seinen eigenen Passionen, die seine größten „dramatischen“ Werke werden sollten. Er arbeitete sehr eng mit dem Librettisten Christian Friedrich Henrici (1700–1764), der sich selbst Picander nannte, zusammen. Dieser erweiterte den biblischen Text um kontemplative Arien in Versform, Eingangs- und Schlusschor und die allgemein bekannten Lutherischen Choräle. Bach brachte diese dramatische Form auf eine höhere Ebene, um sie seinen eigenen Ansprüchen und Vorstellungen anzupassen: Seine Vertonungen wurden mit ihrer vollen orchestralen Begleitung (ausgenommen Blech und Pauken, da diese Instrumente speziell mit Weihnachten, Ostern und Himmelfahrt verbunden wurden) zu Oratorien von opernhaftem Ausmaß, die das Verhältnis von Handlung und Arien perfekt ausbalancieren.

Oper und Passion

Nicht einmal ein dutzend Jahre vor Bachs Ankunft in Leipzig wurde die junge Oper der Stadt (inklusive italienischem Impresario) aufgelöst. Der lutherische Rat der Stadt positionierte sich stark gegen ihre Wiedereröffnung. (Es bleibt die Frage, welche Richtung Bachs vielseitige Begabung sonst eingeschlagen hätte.) Bach wurde, genau wie sein Vorgänger an der Thomaskirche, Johann Kuhnau (1660–1722), gemahnt, dass die Kirchenmusik keinesfalls „zu opernhaft“ ausfallen sollte; jedoch muss man sich nur ein weltliches dramma per musica wie die Kantate BWV 205 (1725) ansehen, um erahnen zu können, was wohl eine ganze Oper von Bach zu bieten gehabt hätte. Mit seiner Leidenschaft für die neuesten französischen und besonders auch die italienischen Musikstile und seinem natürlichen Sinn für Dramaturgie, war für Bach der Auftrag, für jeden Karfreitag eine neue Passionsmusik zu präsentieren, die ideale Möglichkeit, seine verborgene Begabung für die Bühne zu offenbaren.

So konnte Bach zuerst in der Johannes-Passion (BWV 245, 1724), sodann in der Matthäus-Passion (BWV 244, 1727) eine eigene dramatische Form entwickeln: indem er Rezitative und Arien sowie lange und kurze Chöre, von Chorälen interpunktiert, in die Passionen integrierte, ging er über die normale „Aria-Recitativo“-Tradition der zeitgenössischen italienischen Oper weit hinaus. Von der ersten Fassung

der Johannes-Passion an konnte Bach zusammen mit Picander die von der Generation Schütz und Peranda geerbte prägnante Intensität beibehalten, während er die Rolle des Chores vergrößerte und weitläufige opernhafte Arien hinzufügte, die die Handlung reflektieren sollten. Wie die Werke seiner Vorgänger waren seine Passionen von Anfang bis Ende durchkomponierte Einzelwerke.

Rekonstruktion der Markus-Passion

Kurzer historischer Überblick Bis 1721 war die einfache waltersche responsoriale Passion Tradition in Leipzig; in diesem Jahr jedoch komponierte Kuhnau als erster eine vollständig gesungene Passion in zwei Teilen, die für Bach bei seiner Ankunft in Leipzig zwei Jahre später zum Prototyp für seine eigenen Passionen werden sollte. 1724 konnte Bach mit der ersten Fassung der Johannes-Passion der Karfreitagsvesper seinen außergewöhnlichen, persönlichen Stempel aufdrücken. Darauf folgte eine ganze Reihe von Passionsvertonungen in den 1720er Jahren: eine zweite Fassung der Johannes-Passion im Jahr 1725, 1726 eine Markus-Vertonung, die Reinhard Keiser zugeschrieben wurde, Bachs doppelchörige Matthäus-Passion 1727, eine Lukas-Passion (anonym, aber von Bach kopiert) im Jahr 1730 und schließlich 1731 seine Markus-Passion. Abgesehen von einer weiteren dokumentierten Aufführung im Jahr 17441 tauchte diese Markus-Vertonung erst 20 Jahre später in einer posthumen Bestandsaufnahme von Bachmanuskripten des Verlegers Johann Breitkopf wieder auf. Seither ist sie leider verschollen.

Im Jahre 1873 entdeckte Wilhelm Rust, einer von Bachs Nachfolgern an der Thomaskirche und Herausgeber der Jubiläumsausgabe zum hundertjährigen Bestehen der Bach-Gesellschaft, zwar nicht ein Autograph oder einen frühen Druck der Markus-Passion, sondern das instrumentale Incipit mit der auffälligen Besetzung von zwei Gamben und zwei Lauten. Ohne Autograph oder jegliche gedruckte Partitur, nur anhand einer Kopie von Picanders Libretto2 hat Rust vermutet, dass diese Passion mit ihrer einzigartigen Instrumentierung Bachs Überarbeitung eines eigenen Werks sein könnte. Er konnte beweisen, dass die Markus-Passion über weite Strecken eine Parodie der TrauerOde (BWV 198) ist, die auf die gleiche unübliche Instrumentierung zurückgreift. Mit dem vorhandenen Libretto konnte er den Eingangsund den Schlusschor sowie drei der Arien als mögliche Parodien von Parallelsätzen übertragen. Seit Rusts Erkenntnis wurde eine weitere Arie – aus Kantate BWV 54 – als wahrscheinlichste Parodie-Vorlage für die Arie „Falsche Welt“ anerkannt.

1964, fast ein Jahrhundert später, erschloss Diethard Hellmanns erste „vollständige“ Veröffentlichung3 aller bekannten Parodiesätze sowohl die Schönheit als auch das Potential der Markus-Passion. Diese legte aber auch die erheblichen aufführungspraktischen Probleme offen, die sich angesichts des unvollständigen Materials ergeben. Nicht nur die Lücken in der musikalisch-dramatischen Konzeption aufgrund fehlender Rezitative und Turba-Chöre – derjenigen Elemente, die die Genialität der Bachschen Passionen auf ein Niveau mit den erlesensten Barockopern stellt –, sondern auch das durch die Unvollständigkeit resultierende Ungleichgewicht zwischen Arien für hohe Stimmen und einer Fülle an Chorälen (16, also vier mehr als in der groß angelegten Matthäus-Passion) ließen dieses Werk eher unnatürlich erscheinen.

Seit Hellmanns Veröffentlichung vor nun einem halben Jahrhundert haben sich zwei Varianten als Ausgangspunkt für eine „rekonstruierte“ praktische Ausgabe der Markus-Passion angeboten. Vertreter der ersten Variante bieten ausschließlich Material (basierend auf Parodieverfahren) an, das nachweislich Bestandteil des originalen Werkes ist; die

der zweiten Variante schaffen eine rein praktische Ausgabe des Werkes, indem sie das Libretto als Vorlage verwenden und das vorhandene Parodiematerial mit anderen Quellen von Bach oder zeitgenössischen Komponisten ergänzen. Die Herausforderung, die am besten aufführbare Version der Markus-Passion zu erstellen, bleibt bestehen: so war es unsere Hauptaufgabe, über das begrenzte Parodie-Material hinaus, das der Trauer-Ode (und der Kantate BWV 54) entnommen werden kann, anhand Picanders Libretto Bachs Werke nach geeigneten Arien zu durchsuchen, um dieses Werk zu vervollständigen und gleichzeitig eine Lösung für die fehlenden und einzigartigen Rezitative und Turba-Chöre zu finden.

Die Folgen all dieser Probleme lassen den Rekonstrukteur mit großen Fragen zurück:

• Was soll man tun, wenn es keine geeignete Parodie für fehlende Arientexte gibt?

• Wie soll ein Herausgeber mit den fehlenden, aber essentiellen Evangelientexten umgehen?

• Sollten Parallelvertonungen von Picanders Texten für den Evangelisten und die Turba-Chöre durch andere Komponisten mit einbezogen werden?

• Oder sollte ähnliches Material aus der Johannes- und der MatthäusPassion übernommen werden, oder sollte letzten Endes neues Material komponiert werden?

Festlegung von Prinzipien

Welche Richtlinien müssen wir befolgen, um eine aufführungspraktische Ausgabe zu erstellen, wenn wir akzeptieren, dass die MarkusPassion von Anfang an als eine auf der Trauer-Ode basierende Parodie konzipiert war und das heute existierende Material nur einen Teil von Bachs Original zeigt? Es gibt durchaus eine Anzahl verschiedener Methoden, jedoch kann keine Reparatur oder Ergänzung der fehlenden Takte als vollwertige Rekonstruktion des Originals gelten, weil das Ausmaß des fehlenden essentiellen Materials zu groß ist. In einem Werk mit so viel unwiederbringlich verloren gegangenem authentischem Material müssen daher als erstes Prioritäten gesetzt werden. Hierfür stellen sich folgende Fragen:

• Sollte der Plan für die Wiederherstellung einzig und allein Picanders Libretto folgen?

• Sollte außer Bachs Musik noch andere benutzt werden?

• Wie weit darf der Herausgeber eingreifen, um unterschiedliches Quellenmaterial miteinander zu verschmelzen?

Wenn ein Herausgeber davon auszugehen hat, dass bei der Annäherung an die Markus-Passion Wissenschaftler und Ausführende gleichermaßen die Rolle als musikalische Kuratoren akzeptieren müssen, die ein substantiell beschädigtes Objekt restaurieren, dann sollte nicht Vollständigkeit das oberste Ziel sein, sondern die günstigste Darstellung und Positionierung der existierenden originalen Artefakte. Im Falle der Markus-Passion lag die Frage der Vollständigkeit hauptsächlich in der Ausrichtung der Parodien der Arien auf Picanders Libretto und der Ergänzung des notwendigen biblischen Textes in der Form von Rezitativen und Turba-Chören gemäß Picander Kompositorisch muss Picanders Text zwar Bachs musikalischer Struktur, wie er sie in der Trauer-Ode hinterlassen hat, untergeordnet werden. Doch obwohl z. B. die Verse der Rezitativsätze aus der Trauer-Ode nicht als Parodiematerial verwendet werden können, sollte nicht ein Weg gefunden werden, deren mittleren Chorsatz einzubinden? Wir würden dies nicht aus Hochachtung Picander gegenüber, sondern Bach gegenüber tun. Da wir die musikalische Architektur dieser Kantate kennen, wissen wir, dass Bach jenen Chorsatz im Zentrum als eine Art Drehund Angelpunkt benutzte. Sollte daher im Zweifelsfall nicht Bachs Hand immer unsere Hauptreferenz sein?4

Verständlicherweise wurde von Musikwissenschaftlern viel Aufwand betrieben, geeignete Parodievorlagen für die beiden fehlenden Arien zu finden, die nicht auf der Trauer-Ode oder Kantate BWV 54 beruhen. Aber welche Ästhetik, welcher Musikstil wurde uns durch die TrauerOde überliefert? Es handelt sich hierbei um ein Ausnahmewerk in Bachs Schaffen, was die Instrumente betrifft, da er Gamben und Lauten verwendete, Instrumente, die schon damals kaum noch so konsequent in dieser Kombination benutzt wurden. Welche musikalischen Herausforderungen impliziert das für die Rekonstruktion? Sollte man darüber hinaus in diesem Fall von einfacher Streicherbesetzung ausgehen, wenn man sich näher mit dieser Klangwelt auseinandersetzt? Es ist bekannt, dass der Streicherapparat in Bachs Orchester wahrscheinlich nicht größer als 3.3.2.2.1 war. Eine Streicherbesetzung in dieser Proportion würde sich aber sicherlich nicht mit zwei Gamben ausbalancieren. Mit wie vielen Vergleichssätzen müssen wir in Bachs Schaffen rechnen, wenn wir von der Besetzung einfache Streicher, zwei Gamben und zwei Lauten ausgehen? Die Trauer-Ode kann hier wieder das stilistische musikalische Paradigma für die Antwort dieser Fragen sein.

Wenn wir uns einzig und allein auf die außerordentliche Musik konzentrieren, die Bach hinterlassen hat, könnten wir dann eine musikalische Rechtfertigung finden, andere Musik außer der Bachs einfließen zu lassen (selbst wenn wir wüssten, dass dies einer historischen Aufführung unter seiner Leitung entspricht)? Wenn wir zum Beispiel die Option verwerfen, die Reinhard Keiser zugeschriebene Vertonung des Picanderschen Textes für die fehlenden Rezitative und Turba-Chöre zu verwenden, und uns darauf beschränken, ausschließlich Bachs Musik zu verwenden, womit würden wir dann unsere existierenden Parodiesätze ergänzen? Wenn wir die Tatsache der beiden fehlenden Arien einmal ignorieren und uns nicht vom Ehrgeiz packen lassen, krampfhaft eine Lösung für die Rezitative und Turba-Chöre finden zu wollen, könnten wir uns zu der Annahme hinreißen lassen, dass deren Rekonstruktion gar kein so großes Problem darstellt. Betrachtet man jedoch die Brillanz von Bachs einzigartiger Kompositionsweise in den beiden anderen vollständigen Passionen, könnte man sich dann vorstellen, dass die verschollenen Teile der Markus-Passion einfach nur formergänzende Sätze wären, Gebrauchsmusik, die vorhersehbar und somit einfach und auf zufriedenstellende Weise austauschbar wäre? Könnte man einfach andere Vertonungen desselben Textes heranziehen oder parallele Ausschnitte der Bibeltexterzählung der Johannesund der Matthäus-Passion entnehmen und weiterverwerten? Nach Ende des Eröffnungschores führt eine weitläufige Sequenz von Handlung und Turba-Szenen zur ersten Arie hin. Wäre es nicht extrem kühn seitens eines Markus-Rekonstrukteurs, anzunehmen, dass er einfach einschätzen könnte, wie Bachs Kreativität diese lange dramatische Lücke selbst überbrückt hätte?

Praktische Entscheidungen

Einführung

Ein Rekonstrukteur muss sich letztlich zu spezifischen editorischen Entscheidungen verpflichten, welche die Details seines Resultats entscheidend prägen. Angesichts dessen, dass das Parodieverfahren Bachs wahrscheinlichste Basis für seine Kompositionstechnik in der Markus-Passion und die Trauer-Ode von 1727 sein Referenzstück war, müssen wir wohl akzeptieren, dass, bis mehr unanfechtbares Material gefunden ist, nur ein musikalischer Torso vorliegt. Ich bin davon überzeugt, dass man die Idee, Bachs originales Design für diesen signifikanten Teil einfach so zurückholen oder zusammenbasteln zu können, als Torheit über Bord werfen muss: „atomare Teile“, Fragmente von Rezitativen, Turba-Chören und Chorälen von verschiedenen Quellen zusammenzuschustern, ergibt wenig Sinn. Mit einer geringeren Anzahl an Arien und der Verwendung von (potentiell) mehr Chorälen als in seinen früheren Passionen muss Bach einen einzigartigen Plan gehabt haben, der vielleicht nicht alle

Choräle aufnahm, die Picander spezifiziert hat. Wir wissen es nicht, müssen aber annehmen, dass das fertige Werk denselben Genius in der Konzeption aufgewiesen hätte wie die beiden anderen Passionen. Die hier vorliegende Rekonstruktion wurde daher von folgenden Prämissen geleitet:

Rezitative

In Anbetracht der Tatsache, dass das ursprüngliche Verhältnis von Rezitativen zu Turbachören und Chorälen nicht mehr vorhanden ist und sich dieses entscheidende Element der Passion weder einfach durch ein zeitgenössisches Pastiche (z. B. durch Ton Koopman 1999 u. a.) noch durch Wiederverwendung parallel existierenden Materials der anderen Passionen Bachs in der Art eines Franz Xaver Süßmayrs (z. B. durch Alexander Grychtolik 2007 und 2010) oder Heranziehen von Vertonungen desselben Textes durch andere Komponisten (z. B. Simon Heighes 1995 u. a.) lösen lässt, bleibt nur eine Möglichkeit übrig: eine dramatische Produktion mit gesprochenem Bibeltext, also ein Rückgriff auf das früheste lutherische Stilmittel. In unserer heutigen Zeit läge es nahe, die Rolle des Evangelisten einem Schauspieler anzuvertrauen. Dieser Gedanke veranlasste den Direktor der Englischen Oper, Jonathan Miller, im Jahre 1991 zu einer szenischen Produktion der Matthäus-Passion in englischer Sprache, die vor kurzem am National Theatre in London wiederaufgenommen wurde. Die vorliegende Ausgabe der Markus-Passion ist die konsequente Folge dieser Überlegung. Lässt man die Evangelientexte in dieser Rekonstruktion von einem Schauspieler sprechen, so kann dieser in der jeweiligen Landessprache agieren. Obwohl es einen einzigartigen Bezug zwischen gesprochenem deutschem Bibeltext und Bachs originalem gesungenem Text gibt, bietet es doch enorme Vorteile von einem dramaturgischen Standpunkt aus, wenn das Publikum die Handlung in seiner Muttersprache verfolgen kann. Die Kraft und der Reiz, die von Millers Versuch ausgegangen sind – weit davon entfernt, Bachs Musik Gewalt anzutun – sind in der englischsprachigen Welt auf großen Anklang gestoßen.

Arien

Picander konzipierte in seinem Libretto zur Markus-Passion sechs Arien. Durch das Parodieverfahren haben wir Musik für alle Arien, allerdings ist nur für vier nachgewiesene Musik vorhanden. Für die verbleibenden zwei Arien, „Angenehmes Mordgeschrei“ und „Welt und Himmel“, wurden verschiedene Möglichkeiten für Parodie oder Pastiche/Arrangement vorgeschlagen. Die musikalische Parodievorlage für die Arie „Angenehmes Mordgeschrei“ ist nicht eindeutig, wohingegen Hellmanns erster Vorschlag, die Musik für „Welt und Himmel“ der Kantate BWV 120a zu entnehmen, ansprechend ist. Obwohl sie offensichtlich nicht als Bachs erste Wahl bestätigt werden kann, erscheint sie nicht nur wegen der äußerst überzeugenden Gruppierung von Text und Musik reizvoll, sondern auch wegen ihrer offensichtlichen Assoziation mit der „Erbarme dich“-Arie aus der Matthäus-Passion durch das obligate Violinsolo am Höhepunkt des dramatischen Geschehens.

Da wir bis heute noch keine zufriedenstellende Parallelarie für „Angenehmes Mordgeschrei“ gefunden haben, verlagern wir diese Frage auf eine höhere Ebene und untersuchen Balance, Proportion und Platzierung von Arien. Da die Trauer-Ode keine Bass-Arie hat, bleiben uns zunächst einmal drei Arien (je eine für Sopran, Alt und Tenor). Wenn wir die Parodie von Kantate BWV 54 für „Falsche Welt“ verwenden, haben wir eine substanzielle zweite Arie für den Alt, und wenn wir die Parodie aus Kantate BWV 120a für „Welt und Himmel“ aufnehmen, eine substanzielle zweite Arie für Sopran. Bach hätte jedoch keinesfalls in einer Passion die Bassstimme unberücksichtigt gelassen. Zwei Bass-Arien aus weiteren Kantaten würden in idealer Weise passen: „Herr, so du willt“ nach dem Gebet in Gethsemane (aus Kantate BWV 73) und „Es ist vollbracht“ (aus Kantate BWV 159) als Meditation

unmittelbar nach dem Tode Jesu, dem Höhepunkt der gesamten Passion. Auch wenn diese beiden Arien nicht Bestandteil von Picanders Libretto sind, so passen sie doch – was bedeutsamer ist – in Bachs reguläres Schema der gleichmäßigen Behandlung der vier Solostimmen. Zu diesem Zweck wird eine weitere Tenor-Arie mit dem wenig bekannten Alternativtext „Erbarme dich“ aus Kantate BWV 55 angeboten.

Chöre und Choräle

Die Trauer-Ode liefert nicht nur die Vorlage für Eingangs- und Schlusschor der Markus-Passion, sondern zusätzlich auch einen fugierten Chorsatz, der sich als Abschluss des ersten Teiles mit der Unterlegung eines Psalmtextes musikalisch und textlich perfekt in die Architektur einfügt. Der zusätzliche Gewinn ist eine in sich geschlossene, von Bach konzipierte authentische musikalische Struktur. Umgekehrt mag die Fülle der Choräle des Originaltextes in Bachs ursprünglichem Plan wohl funktioniert haben, im neuen Kontext mit gesprochenen Texten ergeben die einzelnen Choräle, die wie ein abgetrenntes musikalisches Idiom wirken, keinen Sinn mehr. Ihre ursprüngliche Funktion war die Interpunktion innerhalb einer Sequenz von Rezitativen, Turba-Chören und Arien. Ihre Anzahl wurde in diesem Sinne drastisch gekürzt. In Anlehnung an die Kantaten und Oratorien Bachs und seine Version von Keisers Markus-Passion wurden sowohl im ersten als auch im zweiten Teil der Passion an den dramatischen Hauptstellen Sinfonien eingefügt, die anderen Kantaten entnommen wurden. Sie wirken im Fluss der gesprochenen Handlung als Choralersatz. Dies geschieht nicht aus historischen, sondern rein aus dramaturgischen Gründen. Aus ähnlichen Gründen ist in der Mitte der Passion, wo zu Bachs Zeiten eine Predigt stattgefunden hätte, als Ouvertüre zum zweiten Teil eine weitere optionale, kurze Sinfonia ergänzt worden. Zusätzlich wird für beide Teile der Passion ein Schlusschoral angeboten. Diese Choräle stammen aus der Abschrift von 252 vierstimmigen Choralsätzen5 und basieren nicht auf einem der vielen Texte, die von Picander eingearbeitet wurden. Der Schlusschoral ist in der Form, wie er hier präsentiert wird, einer der wichtigsten Sätze Bachs und stammt aus Kantate BWV 171, dem ein passender Passionstext aus Schemelli’s Musicalischem Gesangbuch unterlegt wurde. Ganz bewusst wurden beide „Erkennungschoräle“, „Petrus, der nicht denkt zurück“ und „O Haupt voll Blut und Wunden“, mit aufgenommen, um eine Verbindung der Markus-Passion zu der Johannes- und der Matthäus-Passion herzustellen.

Abfolge und Tonalität

Dadurch, dass wir die biblische Geschichte als Vorlage verwenden, ist es möglich, ja sogar von musikalischem Vorteil, manche der Picanderschen Arien zu repositionieren und gleichzeitig die Erzählfolge beizubehalten. Die h-moll-Tonalität des Eingangs-, Mittel- und Schlusssatzes bildet das harmonische Zentrum für das rekonstruierte Werk. Kreuztonalitäten beizubehalten, ist auch in anderem Kontext bei Bach nicht ungewöhnlich; die tonale Reichweite muss ohne das fließende, gesungene Rezitativ zwangsläufig eingeschränkter verlaufen als von Bach vorgesehen. Die Trauer-Oden-Arien werden hierbei als Ankerpunkt in ihren Originaltonarten und an ihren ursprünglichen Orten belassen, während in geeignete Tonarten transponierte Arien, Sinfonien und Choräle hinzugezogen und eingefügt wurden, um das Originalmaterial sinnvoll zu ergänzen.

Instrumentierung

Die Instrumentierung der Trauer-Ode besteht aus Streichern, zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Gamben und zwei Lauten. Es scheint unumstritten, dass die Verwendung der beiden Gamben als integrierter Bestandteil der Streicher-/Bläsertextur der Balance wegen nach einer einfachen Streicherbesetzung verlangt. Alle Sätze wurden daher dieser instrumentalen Intention gemäß ediert. Für weitere Informationen siehe Bemerkungen S. 120.

Danksagung

Judith-Maria Blomsterberg und Fritz Alwin Breithaupt danke ich für ihre unschätzbare kritische Durchsicht meiner Fassung des deutschen Bibeltextes. Ulrich Noethens Aufführungen im Jahr 2016 boten die Gelegenheit für Revisionen aus der Perspektive des Schauspielers. Sehr dankbar bin ich Ralph Stelzenmüller für seine unermüdliche Textberatung bei der Rekonstruktion und der Übersetzung der englischen Einleitung. Mein Dank geht auch an Dr. Edward Higginbottom in Oxford, der den Start des Projekts vor mehr als 10 Jahren tatkräftig unterstützte, während Bjarte Eikes Einsatz für diese Passion während der letzten fünf Jahre wertvolle und einmalige Gelegenheiten schuf, um das Vorhaben auf den Prüfstand zu stellen, zu verbessern und zur gegenwärtigen Vollendung zu bringen. Der deutsche Bariton Christian Hilz leistete unschätzbare Hilfe bei der Erwägung von Optionen für die Bass-Arien.

Jedes Projekt dieser Art ist auf verlegerische Hilfe angewiesen, um zu einer erfolgreichen Veröffentlichung zu gelangen. Ich bin daher wie schon so oft Caroline Ritchie, meiner Mitherausgeberin bei so vielen Projekten, zu großem Dank verpflichtet. Ihr scharfer Blick und fehlerloses Urteil in Fragen der musikalischen Terminologie, des Satzes und bei vielem anderen hat entscheidend zum Fortschritt dieses Projekts im Verlauf der letzten zehn Jahre beigetragen. Für die unermüdliche Unterstützung des Projekts und die vorzügliche und immer konstruktive Kritik bin ich auch Christian Rudolf Riedel und Alexandra Krämer bei Breitkopf & Härtel zu großem Dank verpflichtet. Ohne sie hätte diese Publikation nicht das Licht der Welt erblickt.

Cwmcarvan, Gwent, Frühjahr 2019

Malcolm Bruno

1 Neueste Forschung in den russischen Archiven in St. Petersburg (s. Tatjana Schabalina, „Texte zur Music“ in Sankt Petersburg – Weitere Funde, in: Bach-Jahrbuch 95 (2009), Leipzig, S. 11–48) hat einige wichtige Aspekte der Markus-Passion enthüllt, darunter nicht nur die Wahrscheinlichkeit weiterer Aufführungen neben denen von 1731 und 1744, sondern auch, was viel wichtiger ist, Revisionen, die Bach vorgenommen hat. Sowohl eine musikalische Überarbeitung des Materials von 1731 als auch die Integration von neuen Texten und (heute fehlenden) Arien fallen bei späteren Publikationen des Librettos auf. Somit stellt die Uraufführung der MarkusPassion, wie auch immer diese gestaltet war, ähnlich wie bei der Johannesund der Matthäus-Passion nicht die endgültige Absicht des Komponisten dar.

2 Christian Friedrich Henrici, Picanders Ernst-Schertzhaffte und Satyrische Gedichte, Dritter Theil, Leipzig 1732, S. 49–67.

3 Johann Sebastian Bach, Markus-Passion, hrsg. von Diethard Hellmann, Stuttgart 1964.

4 Die Existenz späterer Libretti, wie oben angesprochen (s. Fußnote 1), lässt die Frage der Autorschaft der neuen Texte nach 1731 offen. Bachs letzte dokumentierte Zusammenarbeit mit Picander begann 1742. Nun ist jedoch klar, dass Bach Picanders Text von 1731 nicht als endgültig angesehen hat, sondern es notwendig fand, dass dieser sich in Hinblick auf die Dramatik weiterentwickelt.

5 Handschriftliche Kopie von 252 vierstimmigen Chöralen, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur AM. B. 46/II

Preface

Towards a Markus-Passion

The Passion Tradition

Well before the Reformation the portions of the gospels depicting the final days of the earthly life of Jesus – of his betrayal, trial and death – had become a fixture of the liturgy of Holy Week, and one, uniquely, that could have dramatic expression. In the Middle Ages sung chant had developed as a medium, with the Passion story shared among the biblical personalities it portrayed. By the 13th century, it included polyphonic settings of turba scenes. After the Reformation, though Luther himself wished to limit the Passion text to the spoken word, his musical contemporary Johann Walter (1496–1570) composed responsorial Passions that became a model for the German protestant tradition. A century later by the time of Heinrich Schütz (1585–1672, and his Italian contemporary, Marco Peranda, 1625–1675, Kapellmeister in Dresden) musical Passion settings in the German language had become an exquisite artform in themselves.

The Passions (Matthäus, Lukas and Johannes) of Schütz, and the Markus-Passion of Peranda (once attributed to Schütz) each have an opening and closing four-part polyphonic chorus. Their biblical narrative is divided dramatically between an evangelist and a four-part turba chorus. By the early 18th century, Bach expanded this compact a cappella form into his own Passion design, thus creating what would become his greatest “theatrical” works. Working with his librettist

Christian Friedrich Henrici (1700–1764, self-styled “Picander”) – who interpolated contemplative arias in verse within the biblical text, along with opening and closing choruses and familiar Lutheran chorales –Bach elevated this dramatic form to conform to his own purpose and

imagination: his settings, with full orchestral accompaniment (without brass and timpani, as these instruments were associated specifically with Christmas, Easter and Ascension) becoming oratorios on an operatic scale, perfectly balancing the use of narration and aria.

Opera and Passion

Scarcely a dozen years before Bach’s arrival in Leipzig, the city’s fledgling opera company (complete with Italian impresario) had been disbanded, with the Lutheran town council firmly opposed to its re-opening. (The enduring question, had this not been so, is what course Bach’s multifaceted talents might have taken.) Bach, like his predecessor at the Thomaskirche, Johann Kuhnau (1660–1722), had been cautioned that the music composed for the church should not be too operatic; though one has, for example, to look no further than a secular dramma per musica such as Cantata BWV 205 (1725) to contemplate what a complete opera by Bach might have offered. Thus with his appetite for the latest fashions in French and especially Italian music, coupled with his natural dramatic sense, the requirement to present a musical Passion every Good Friday offered the ideal opportunity for Bach to reveal a hidden genius for the stage.

In first the Johannes-Passion (BWV 245, 1724) and then the MatthäusPassion (BWV 244, 1727), Bach was therefore able to develop his own dramatic form integrating recitatives, arias and long and short choruses, punctuated by chorales, far beyond the normal “aria-recitativo”-tradition of contemporary Italian opera. Beginning with his first version of the Johannes-Passion, Bach, along with Picander, was able to maintain the pithy intensity of the earlier Passions inherited from

the generation of Schütz and Peranda, while expanding the role of the chorus and adding “operatic” arias to reflect on the narrative. Like his predecessors’ works, however, his Passions remained an integrated single work compositionally from start to finish.

Reconstructing the Markus-Passion

A Brief History

Until 1721 the simple Walter responsorial Passion had been the tradition in Leipzig; but in that year Kuhnau composed the first completely sung Passion in two parts. On Bach’s arrival in Leipzig two years later, it would become a prototype for his own Passions; and by 1724 he put his own extraordinary mark on Good Friday Vespers with the first version of his Johannes-Passion. This was followed by a great train of Passion settings throughout the 1720s: a second version of his Johannes-Passion in 1725, a Markus-Passion attributed to Reinhard Keiser in 1726, Bach’s own double choir Matthäus-Passion in 1727, a Lukas-Passion (anonymous, but copied out by Bach) in 1730 and finally in 1731 his Markus-Passion. Aside from another documented performance in 17441, the Markus-Passion surfaced again 20 years later in a posthumous inventory of Bach’s manuscripts delivered to his publisher Johann Breitkopf. It then, sadly, vanished from any record.

In 1873 Wilhelm Rust, one of Bach’s successors at the Thomaskirche and an editor of the centennial Bach Gesellschaft edition, discovered not a manuscript or early edition of the Markus-Passion, but only the instrumental incipit, with its distinctive requirement for two gambas and two lutes. In the absence of a manuscript or a printed score, but with a copy of Picander’s libretto2 to hand, Rust suspected that this Passion with its unique instrumentation might have been reworked by the composer. Turning to the Trauer-Ode (Cantata BVW 198) that also uses the identical unusual instrumentation, and with the extant vocal text as a guide, Rust was able to show that the MarkusPassion was in large measure a parody. He was able to match the opening and closing choruses and three of its arias as likely parodies of parallel movements. Since Rust’s work, a further parodied aria, from Cantata BWV 54, has been overwhelmingly accepted as the strongest contender for the music of the aria “Falsche Welt”.

Nearly a century later in 1964, Diethard Hellmann’s first “complete” publication3 of all the known parodied movements revealed both the beauty and potential of the Markus-Passion. It also laid bare the considerable practical problems for performance in the manner of the Johannes- and Matthäus-Passions given the incomplete state of the material. Not only the huge musical-dramatic gaps of missing recitative and turba cori – the very elements that put the genius of Bach’s Passions on the level of the finest baroque opera – but in the absence of Bach’s complete setting, the lopsided order of high-voiced arias and a plethora of chorales (16, which is four more than contained in the grand-scale Matthäus-Passion) left a stilted glimpse of this masterpiece.

In the period since Hellman’s publication, now a half-century ago, two options have availed themselves as the starting point for a “reconstructed” performing version of the Markus-Passion. Editors of a first persuasion offer only the material (through parody) generally agreed to have been part of the original work; those of an alternative stance create a complete performing edition of the work, using the libretto as a template, interspersing the Markus-Passion parody material with other sources, by Bach or associated composers. The challenge still with us, however, to render the best performing version of the Markus-Passion, has remained: beyond the available limited material for parody to be drawn from the Trauer-Ode (and Cantata BWV 54), the primary task has been to search Bach’s works for other arias suitable to complete the work, using Picander’s libretto; while, simultaneously, to offer a solution for the missing and unique recitative and turba cori.

The implications of these conundra leave large questions for the reconstructor:

• What should be done if no suitable parody is available for the missing aria texts?

• How should an editor deal with the missing and essential biblical text (the non-aria/chorale material)?

• Should parallel settings of Picander’s work of Evangelist/turba chorus material by other composers be employed?

• Or should similar material from the Johannes- and MatthäusPassions be reconstituted and inserted; or should new material be composed?

Establishing Principles

If we accept that the Markus-Passion from its inception was conceived as a parody based on the Trauer-Ode and that the existing material today yields us only a portion of Bach’s original, what must our guidelines be in creating a performing version? There are a number of options, but none can justifiably call itself a full reconstitution of the original, in the normal sense of a “repair” or “supply” of incidental missing bars, etc., because the extent of the essential missing material is too great. In a work with so much irretrievable authentic material, we must, therefore, first establish priorities:

• Should the blueprint for rebuilding be solely the libretto by Picander?

• Should music other than Bach’s be employed?

• How invasive should the editor’s hand be in melding together the source-materials?

If, in approaching the Markus-Passion, an editor is to assume that scholar and performer alike must accept the role of musical curatorship – restoring and thus experiencing a substantially damaged object – completeness may well then become a lesser goal than the most propitious display and positioning of the existing original artefacts. In the case of the Markus-Passion, completeness has largely been measured by aligning parodies of arias to the Picander libretto and by supplying the essential biblical text in the form of the recitative and turba cori as conceived by Picander. Yet compositionally, Picander’s text must certainly be subordinate to Bach’s musical structure as bequeathed to us in the Trauer-Ode. Though, for example, we cannot use the Trauer-Ode’s versified recitativo movements as material for parody, should we not find a way to include its middle chorus? We would include it not in deference to Picander, but to Bach; for his known musical architecture in this cantata uses it as an anchor-point midway. In the absence of other musical certainty, should not Bach’s hand therefore be our first musical mainstay?4

Understandably much effort has been spent by scholars in the search for suitable parodies for the two missing arias not accommodated by the Trauer-Ode and Cantata BWV 54. But what of the aesthetic, the music itself entrusted us from the Trauer-Ode? This is a unique work in Bach’s oeuvre instrumentally, with its inclusion of gambas and lutes and rare in such a thoroughgoing and concerted manner. What challenge does this imply for the restoration work musically? Looking further into its sound-world, should we assume the deployment of single strings? We know that Bach’s orchestra was probably no larger than a string-size of 3.3.2.2.1, but a string-size of even that proportion would certainly not balance easily with two single obbligato gambas. If we assume the forces were single strings, in how many movements beyond those from the Trauer-Ode would one expect the pairs of gambas and lutes to appear? Again the Trauer-Ode can be the stylistic, musical paradigm in answer to such questions.

If we concern ourselves solely with the exceptional music left to us by Bach, could there be any musical justification for interpolating music other than Bach’s (even if such music were known to have been performed by him)? If, for example, we dismiss the option of using the Picander setting attributed to Reinhard Keiser for the non-extant recitativo and turba cori and limit ourselves only to importation of

Bach’s own music, on what basis do we then supplement our existing parodied movements? Putting aside the matter of the two missing arias, an eagerness to address the lost recitativo and turba cori could tempt us to assume that their reconstitution is a small matter. But looking at the brilliance of Bach’s setting unique to the other two complete Passions, could anyone imagine that these lost portions of the Markus-Passion were simply formulaic, utilitarian or otherwise predictable and thus satisfactorily replaceable – either by importing other settings of the same text or by re-cycling or re-casting parallel sections of the biblical narrative from the Johannes- and MatthäusPassions? With a lengthy sequence after the conclusion of the opening chorus through to its first aria, is it not extremely bold of a Markusreconstructor to assume that he or she could gauge how Bach’s creativity might have bridged this long, dramatic gap?

Practical Decisions

Introduction

A reconstructor has ultimately to commit to specific editorial decisions that will shape the detail and outcome of his or her final result. Accepting that parody was Bach’s likely basis of composition for the Markus-Passion and that the Trauer-Ode of 1727 was his core reference-work, I think we must accept that what we now have, unless or until more indisputable material is found, is a musical torso. I am convinced equally that we must reject as folly the proposition that we could retrieve or replace Bach’s original design for this significant part of the Passion by bricolage: that is, by cobbling together “atomic bits”, fragments of recitative, turba and chorale sequences from various sources. With fewer arias and many more chorales (potentially) proposed than contained in his previous Passions, Bach must surely have had his own unique plan that perhaps did not employ all the chorales specified by Picander. We simply cannot know; but must we not assume that his final work would have shown the same genius in design as we have come to know in his other two Passions? The present re-construction has thus been guided by the following premises:

Recitativo

As the symbiotic relation of the original recitativo-turba-chorale has vanished, and if it is accepted that this crucial element of the Passion is not replaceable by either contemporary pastiche (as Ton Koopman, 1999 and others) or by recycling of parallel material, in a Süßmayr-like manner, from the other Bach Passions (as Alexander Grychtolik, 2007 and 2010) or by importation of musical setting of the same text from other composers (Simon Heighes, 1995 and others), we are left with the possibility of a dramatic production, harkening back to the earliest Lutheran style, with the biblical text spoken.

In our time the evangelistʼs role could very comfortably be given to an actor. It was this sentiment that prompted the English opera director Jonathan Miller in 1991 to create a theatrical production of an English-language Matthäus-Passion, recently revived at the National Theatre in London. The present reading of the Markus-Passion thus offers the ideal sequel to this approach, with one significant effect of the spoken biblical text being the option to perform in the language of the place of performance; for although there is a unique association of a spoken biblical German with Bach’s original sung text, there are huge advantages dramatically for an audience to hear the action-part of the story in its native tongue. The power and appeal of this approach, far from violating Bach’s music, have, in the English-speaking world, reaped huge benefit in Miller’s production

Arias

In his Markus-libretto, Picander included six arias. Using parody, we have music, all but universally accepted, for four. For the remaining two “Angenehmes Mordgeschrei” and “Welt und Himmel” various

possibilities for parody or pastiche/arrangement have been proposed. Musical parody for the text of “Angenehmes Mordgeschrei” remains inconclusive, while the match first suggested by Hellmann drawn from Cantata BWV 120a for “Welt und Himmel”, though not authoritatively confirmed as Bach’s initial choice, is appealing. Not only with its very satisfying alignment of the text and music, but also – with its obbligato violin solo – it offers an obvious association at the highpoint of the drama with “Erbarme dich” in the Matthäus-Passion

With no clearly satisfactory parallel for “Angenehmes Mordgeschrei” found to date, we move from this matter to the larger questions of balance, proportion and placement of arias. Because the Trauer-Ode has no bass aria, we are left with a starting point of three arias (one each for soprano, alto and tenor). Adding the parody from Cantata BWV 54 for “Falsche Welt”, we have a second major aria for the alto and, if we include the parody from Cantata BWV 120a for “Welt und Himmel”, we have a substantial second aria for the soprano; but Bach would certainly not have left the bass voice unrepresented in a Passion. Two bass arias from other cantatas work ideally: “Herr, so du willt” after the prayer in Gethsemane (from Cantata BWV 73) and “Es ist vollbracht” (from Cantata BWV 159) as a meditation immediately after the death of Jesus, the climax of the entire Passion. Although these particular arias are not part of Picander’s libretto, more significantly, they fit Bach’s regular scheme of balancing the four voices; and to this end a further aria for the tenor can be provided by the littleknown alternative “Erbarme dich” text from Cantata BWV 55

Chorus and Chorale

The Trauer-Ode provides not only an opening and closing chorus for the Markus-Passion, but an additional fugal chorus that, with the substitution of a Psalm text, works appropriately within the architecture of the Passion both musically and textually, as a chorus to conclude its first part. It offers the added benefit of completing the outline of an authentic musical structure conceived by Bach. Conversely, the plethora of chorales in the original text, however it might have worked in Bach’s original plan, makes no musical sense when individual chorales are employed as detached musical items within the spoken text – their initial pupose having been to give points of punctuation within a sequence of recitative, turba-chorus and aria. Their number has therefore been pruned significantly.

In Bach’s own manner – in his cantatas, oratorios and indeed in his version of the Keiser Markus-Passion – sinfonias (drawn from other cantatas) have been included at major dramatic points in both first and second parts of the Passion. They function within the flow of the spoken narrative as instrumental chorale-substitutes, not for historical but rather for dramatic reasons. Similarly, at the Passion’s midpoint, occupied in Bach’s day by a sermon, a further optional short sinfonia is offered as an overture to the second part. Additionally, final chorales have been supplied for both first and second Parts of the Passion. These chorales found in the Abschrift von 252 vierstimmigen Choralsätzen5 are not based on one of the many texts incorporated by Picander; the final chorale in the form here presented is one of Bach’s most substantial settings, from Cantata BWV 171, to which has been added a Passion text from Schemelli’s Musicalisches Gesang-Buch Finally, intentionally included are both Bach’s “signature” Passion chorales – “Petrus, der nicht denkt zurück” and “O Haupt voll Blut und Wunden” – as points of reference to connect the Markus-Passion with the Johannes- and Matthäus-Passions.

Sequence and Tonality

Using the biblical narrative as a template, it is possible, indeed musically beneficial, to reposition some of the Picander arias, while keeping within the context of the biblical sequence. The B-minor tonality of the opening, middle and closing movements provides a harmonic centre for a reconstructed work, and remaining in sharp keys is not

uncommon in Bach’s work in other contexts; the tonal outreach, however, without the fluidity of the sung recitativo, must inevitably be less far-reaching than one Bach might have envisaged. The TrauerOde arias have been maintained, once again, as anchor points in their original keys and locations, with the imported and interpolated arias, sinfonias and chorales transposed suitably to complement this original material.

Instrumentation

The Trauer-Ode instrumentation, used as the basis for the parody, includes strings with two flutes, two oboes, two gambas and two lutes. It would seem indisputable that the style of concerted writing for the gambas as an integral part of the string-wind texture creates, balance-wise, a mandate for single strings. All movements have therefore been edited to maintain this instrumental alignment. For more information see Commentary on page 123.

Acknowledgements

Many thanks to Judith-Maria Blomsterberg and Fritz Alwin Breithaupt for invaluable critique of my version of the German biblical text. Ulrich Noethen’s performances in 2016 gave the opportunity for further revisions from an actor’s perspective. Much gratitude to Ralph Stelzenmüller for untiring advice on the text in reconstruction and translation of the English Introduction. Thanks, too, to Dr Edward Higginbottom at Oxford who supported the crucial launch of the project more than a decade ago. Bjarte Eike and Barokksolistene have also been indispensable partners in the development of this Markus-Passion giving the opportunity to test out certain movements and orchestrations as well as to assess the work as a whole. Without such active performance collaboration the final result would have been much diminished. The German baritone Christian Hilz was of vital assistance in considering options for the bass arias.

Finally, no project reaches successful publication without editorial support. I am thus very indebted, as ever, to my co-editor on so many

projects, Caroline Ritchie. Her eagle eye and impeccable judgement in musical idiom, typesetting and much else, has offered a great deal in the evolution of this project over the past decade. Greatest thanks, too, for unwavering advocacy of the project with superb critique must extend to Christian Rudolf Riedel and Alexandra Krämer at Breitkopf & Härtel, without whom this publication would not have seen the light of day.

Cwmcarvan, Gwent, Spring 2019 Malcolm Bruno

1 Recent work in the Russian archives in St. Petersburg (see Tatjana Schabalina, ‘Texte zur Music’ in Sankt Petersburg – Weitere Funde, in: Bach-Jahrbuch 95 (2009), Leipzig, pp. 11–48) has revealed a number of important further dimensions of the Markus-Passion, including not only the existence of likely further performances beyond those of 1731 and 1744, but, more importantly, revisions that Bach made. Not only musical reworking of existing material from 1731, but the insertion of new texts and (missing) arias both occurred in later publications of the libretto. Thus, as with the Johannesand Matthäus-Passions, the Markus-Passion’s first performance, whatever its exact contents, did not comprise the composer’s final intentions of the work.

2 Christian Friedrich Henrici, Picanders Ernst-Schertzhaffte und Satyrische Gedichte, third part, Leipzig, 1732, pp. 49–67.

3 Johann Sebastian Bach, Markus-Passion, ed. by Diethard Hellmann, Stuttgart, 1964.

4 The existence of the subsequent libretti as discussed above (see footnote 1) leaves open, too, the question of authorship of new texts after 1731, Bach’s last known collaboration with Picander being in 1742. It is, however, now clear that Bach himself did not take the 1731 Picander text as final, finding himself the need for its further development dramatically.

5 Manuscript copy of 252 four-part chorales, Staatsbibliothek zu Berlin –Preußischer Kulturbesitz, shelfmark AM. B. 46/II

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