MN 953 - Kallmeyer, Cosi si fa sol mi Bd. 2

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ulrich kallmeyer

Così si fa sol mi Musiklehre und Gehörbildung mit Relativer Solmisation Heft 1

Dur ein- und zweistimmig, Intervalle, Grundlagen der Notenschrift

Heft 2

Moll ein- und zweistimmig, Schlüssel, Generalvorzeichen

Edition Nepomuk MN 953


Ein Wort zuvor Herzlich willkommen zum zweiten Teil von Così si fa sol mi. Falls du den ersten Teil noch nicht kennengelernt hast, solltest du bitte unbedingt diesen zuerst zur Hand nehmen und dort mit dem spannenden Weg vom Singen zum Schreiben und vom Notenlesen zum Notenhören starten, denn im vorliegenden Heft wird auf den Erfahrungen und Übungen dieses ersten Teils aufgebaut.* Wenn du aber, wie ich hoffe, mit Lust und Laune im Verlauf eines guten Jahres dort hindurchgegangen bist, können wir nun mit vollen Segeln fortfahren: in Moll! Das Mollgeschlecht besitzt viele ganz eigenartige Wendungen. Die meisten von ihnen sind zwar deutlich komplizierter als die Wendungen in Dur, aber gerade deshalb sind sie auch ziemlich auffällig. Deshalb haben mir viele nach ihrer Moll-Bekanntschaft erzählt, dass es ihnen trotz der vielen Besonderheiten, die das Moll mit sich bringt, nach den Dur-Vorarbeiten nun sogar leichter gefallen sei, sich darin hörend zurechtzufinden.

*

Das erste Heft ist unter MN 952 erschienen.

Nachdem du im ersten Teil neben vielen anderen wichtigen musikalischen Dingen auch mit der Relativen Solmisation Bekanntschaft gemacht hast, kannst du jetzt mit ihrer Hilfe erfahren, wie Dur und Moll zusammenhängen und wie das mit den Notenschlüsseln funktioniert, die du am Anfang der allermeisten geschriebenen und gedruckten Noten findest. Wir können sehen, wie die Komponisten selbst notiert haben und dass das in früheren Jahrhunderten ziemlich anders aussah als heute. Aber du wirst wohl nicht überrascht sein, wenn ich dir sage, dass dir das relative Denken auch hier einen Schlüssel in die Hand gibt, der wunderbarerweise in die Schlösser aller möglichen Türen passt. Nun können wir gemeinsam hindurchgehen und sehen, was dahinterliegt. Viel Spaß dabei und wiederum – da ja etwas Arbeit damit verbunden ist, wie wir wissen – etwas Geduld wünscht dir

Braunschweig, im Winter 2017

X = Zahlen in Kästchen verweisen auf das entsprechende Hörbeispiel. Die Hörbeispiele im MP3-Format stehen auf www.breitkopf.com und www.ulrich-kallmeyer.de, die Notation der Hörbeispiele und die Lösungen der Aufgaben als PDF-Datei auf www.breitkopf.com zum Download bereit.

Heft 1 Edition Nepomuk MN 952 Heft 2 Edition Nepomuk MN 953

ISBN 978-3-7651-9927-1 ISBN 978-3-7651-9928-8

Wege – Musikpädagogische Schriftenreihe Band 27 Wege – Musikpädagogische Schriftenreihe Band 28

© 2018 by Breitkopf & Härtel, Wiesbaden Alle Rechte vorbehalten Umschlag: Vogel Konzept & Design, Kelkheim Umschlagbild aus: Samuel Scheidt (1587–1654): Beginn des Choralsatzes Nun komm der Heiden Heiland, aus: Görlitzer Tabulaturbuch/ Hundert geistlicher Lieder und Psalmen Herrn Doctoris Martini Lutheri und anderer gottseligen Männer/ Für die Herren Organisten/ mit der Christlichen Kirchen und Gemeine auff der Orgel/ desgleichen auch zu Hause/ zu spielen und zu singen/ Auff alle Fest- und Sonntage /durchs gantze Jahr/ mit 4 Stimmen componirt von Samuel Scheidt C(antor). Görlitz: Herman 1650, Nr. 1 Druck: Druckhaus Köthen Printed in Germany


Inhalt 1. Abschnitt: Einstimmige Wendungen in Moll Dur- und Molltonleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Tonleiter in natürlichem Moll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Der Leitton in Moll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Brückenbau I: Die verminderte Septe . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Blattsingen I: Die verminderte Septe . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Liniensystem und Schlüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Die Schlüssel-Linien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Die relative Bedeutung der Schlüsselnoten . . . . . . . . . . . .17 Brückenbau II: Die verminderte Quarte . . . . . . . . . . . . . . . 21 Blattsingen II: Die verminderte Quarte . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Brückenbau III: Die verminderte Quinte . . . . . . . . . . . . . . . 27 Blattsingen III: Die verminderte Quinte . . . . . . . . . . . . . . . .27 Die Tonleiter in harmonischem Moll. . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Relative und absolute Schlüsselung der Oktavumfänge . 30 Brückenbau IV: Die übermäßige Sekunde . . . . . . . . . . . . . 32 Blattsingen IV: Die übermäßige Sekunde . . . . . . . . . . . . . 33 Die Neapolitaner-Stufe tu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Achttakter im Oktavraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Die Tonleiter in melodischem Moll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Blattsingen V: Melodisches Moll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

2. Abschnitt: Zwei- und dreistimmige Sätze in Moll Schematische Dreistimmigkeit: Terzenparallele und Bass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Wege zur Zweistimmigkeit: Terzen-Sexten-Muster in Moll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Intervalltripel in Moll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Übersicht: Ein- und zweistimmige Wendungen in Moll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Wiederholung: Linienauswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Freie Zweistimmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Acht Ansichten der Generalvorzeichnung . . . . . . . . . . . . . 52 Erste Ansicht: Das Siebener-Muster . . . . . . . . . . . . . . . .52 Zweite Ansicht: Oktavabstände und Oktavlagen . . . . .57 Dritte Ansicht: Ein weites Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58

Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Vierte Ansicht: Steigende und fallende Reihen im Siebener-Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .61 Fünfte Ansicht: Der Blick auf die Dinge . . . . . . . . . . . . .66 Sechste Ansicht: Wo ist das do versteckt? . . . . . . . . . .69 Siebente Ansicht: Tonleiter-Versetzung in ti-Richtung: Hochspannung! . . . . . . . . . . . . . . . . . . .70 Achte Ansicht: Die General­vorzeichnung. . . . . . . . . . . .71 Der mi-Tetrachord in Moll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Chromatik im mi-Tetrachord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Blattsingen VI: Der chromatische Tetrachord . . . . . . . . . . 65 Blattsingen VII: Weitere Beispiele aus großen Werken . . 68 Notengraphik gestern und heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Ausblick: Harmonische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75


6

1. Abschnitt: Einstimmige Wendungen in Moll Dur- und Molltonleiter Die Gegenüberstellung der Leitern der beiden Tongeschlechter Dur und Moll zeigt, dass die Dur-Reihe aus zwei Tetrachorden der gleichen Spezies besteht, während in Moll zwei verschiedene und außerdem von Dur abweichende Quarten-Spezies zu finden sind.

Dur do ti

Natürliches Moll

S T

la

T

T

sol

T fa mi

S T

S T

re

T

T

do

S

do ti

T la


7

Die Tonleiter in natürlichem Moll Mit den Verhältnissen der Töne in der Durtonleiter bist du jetzt gut vertraut. Siehe nun im folgenden Notenbeispiel, auf welche Weise Dur- und Molltonleiter miteinander zusammenhängen; sie sind Paralleltonarten:

D

a)

D

Dur

œ œ œ œ œ œ œ œ

Moll D

b)

œ œ œ œ œ œ œ œ

D

Die Molltonleiter, in der genau die gleichen Töne wie in Dur vorkommen, heißt Natürliche Molltonleiter. Während in Dur das do der Grundton ist, auf den alle anderen Töne melodisch bezogen werden, spielt in Moll die Stufe

diese wichtige Rolle.

Schreibe den richtigen Stufennamen in das Kästchen!

Vergleiche auch die parallelen Dreiklänge, die auf der jeweiligen Hauptstufe in Dur und in Moll stehen. Auch hier gibt es gemeinsame Töne.

Dur c)

D

w

w

w

w

w

Moll d)

D

w

e)

Erinnere dich an das Peterlied vom Beginn des ersten Heftes: Singe es jetzt mit den Tönen des Molldreiklangs. Aber der Text will nun zu der Moll-Musik nicht mehr passen; denk dir deshalb beim Singen einen neuen dazu aus: jede Zeile soll das Gegenteil des Dur-Liedes sagen!

f)

Höre in HB 1 das Lied Schwesterlein, eines der ganz wenigen deutschen Volkslieder in Moll. Kannst du hörend erkennen, wie schön Moll und Dur in der Melodie zusammenarbeiten? Hat das Lied übrigens authentischen oder plagalen Umfang? Du kannst im ersten Heft auf S. 43 nachschlagen, um dich zu erinnern.


8

Wir beginnen mit den Tönen des Molldreiklangs und nehmen noch den Wechselton dazu, zu dem in Moll die Stufen mi-fami gehören. Mi-fa-mi kennen wir schon aus Dur, aber wie anders klingt das hier im Moll-Zusammenhang!

a)

q

D

l

Q Q

q

d

m

f

Leseprobe

Singe wieder die Wendungen darin und zeige dabei mit der Stiftspitze auf die Note, die du gerade singst:

b)

D

D

w

w

w

w w w

w w w w

w

w w w ww w w w w ww w

Obwohl die Wendungen in Moll auf dem Papier genauso wie in Dur aussehen, wohnen in Moll doch andere Kräfte darin! Singe einmal einige Lieder aus Dur (z. B. Backe Backe Kuchen oder Camptown Races) in Moll und spüre diesen Kräften nach: es will sich nicht ohne Weiteres fügen, Moll funktioniert etwas anders.

2 Skizze

D

Reinschrift

D

3

Sample page Skizze

D

Reinschrift

D


9

Erinnere dich noch einmal an das Hinterfleisch (siehe Heft 1 S. 12). Singe das Beispiel!

h

D

q

H

Q Q h

h.

Stufen, die jetzt in den Melodien vorkommen können:

D

Leseprobe

Q Q Q q l

d

m

f

Bevor du ein neues Hörbeispiel hörst, mach bitte jedesmal unbedingt die kleine Singe-Vorarbeit mit den Wendungen, wie auf der vorigen Seite bei b) beschrieben!

4

Beachte die gegenüber HB 2 und 3 veränderte Stellung des do-Schlüssels!

Skizze

D

Reinschrift

D

5

Sample page Skizze

D

Reinschrift

D

Singe nach der Notation:

c)

D

q

H

Q H

H q q

H


10

Der Leitton in Moll In vielen Stücken schaffen die Komponisten eine interessante Abwechslung, indem sie einen melodischen Gedanken in das jeweils andere Tongeschlecht versetzen: in Dur-Stücken erscheint eine Melodie auch in Moll und umgekehrt.

Sehen wir uns den Beginn eines Dur-Stücks von Johann Sebastian Bach (1685–1750) an, in dem das Thema später auch auf la versetzt vorkommt: J. S. Bach: Sinfonia 12 BWV 798 (1723)

a)

D

b)

D

Leseprobe

œ œ œ œ œ < œ œ œ œ œ œ œ> œJ

cœ œœœ œ œœ

œ œ œ œ œ œ < œ œ œ œ œ œ> œJ

œ œœœ œœœ

Der pendelnde Tonhöhenverlauf im zweiten Takt der Beispiele a und b geht aus der Spieltechnik der Tasteninstrumente hervor, für die dieses Stück gedacht ist. Eigentlich teilt sich die Musik hier in zwei Stimmen, das können wir natürlich nicht singen. Wir singen also nur die obere der beiden Stimmen und lassen die eingeklammerten Töne aus. Singe beide Notenbeispiele und vergleiche. Warum funktioniert die Melodie auf la, also in dem zweiten Beispiel, nicht so gut wie in Dur auf do?

Moll

Dur c)

D

w

w

w

w

#w

w

do

ti

do

la

si

la

Eine wichtige Grundtoneigenschaft des do in Dur ist der darunterliegende Semitonus: ti ist als Leitton wie ein musikalischer Zeiger auf das do gerichtet. Wenn la in Moll als Grundton verstanden werden soll, müssen wir dieses Leittonverhältnis künstlich nachbilden, denn im natürlichen Moll gibt es an dieser Stelle mit sol einen Tonus unter la. Wir fügen dazu vor sol ein Kreuz ein, um zu zeigen, dass diese Stufe im Abstand eines Semitonus unter la liegen soll. Wir nennen die neue Stufe si. In einer Moll-Notation kann man an dem hinzugefügten Leittonzeichen auch ohne Schlüssel oder Tonart die Beziehungen der Töne sofort erkennen: es zeigt immer die siebente Leiterstufe si unter dem Grundton la.

Sample page

Setze in das Kästchen am Beginn der folgenden Notationen einen do-Schlüssel, der zu dem vorkommenden Leitton si passt, und singe die Beispiele!

J. S. Bach: Die Kunst der Fuge (1749/50), Soggetto*

d)

˙

˙

˙

˙

œ œ ˙

œœœœ œ

Ludwig van Beethoven (1770–1827): Bagatelle op. 119 Nr. 1 (1822)

e)

œ ™ œ œ. œ. œ.

œ Œ œ™ œ œ. œ. œ #œ Œ .

* Ital.: Subjekt. Gemeint ist die einer Fuge zugrundeliegende und in ihrem Verlauf durchgeführte melodische Gestalt, oft auch Thema genannt . Der Begriff entstammt der zeitgenössischen Theorie der Fugenkomposition, deren wichtigste deutschsprachige Darstellung verfasste Friedrich Wilhelm Marpurg (Abhandlung von der Fuge, Berlin 1753).


11

Der Moll-Tonraum mit dem Leitton si

Die Folge der Toni und Semitoni und die Intervallgrößen werden durch Leittöne wie das si verändert: die Septe sol-fa ist mit zwei Semitoni in der Siebener-Reihe klein (siehe unten links), durch den neuen Semitonus si unter la sind nun sogar drei Semitoni in der Siebener-Reihe enthalten, der Abstand wird dadurch kleiner (unten rechts). Intervalle, die bei gleicher Stufenzahl noch kleiner sind als entsprechende kleine oder reine Intervalle, heißen „vermindert“. Si-fa ist also eine verminderte Septe.

fa

Leseprobe

S

S

T

T

T

T

S

S

T

T

T

S

mi

re

do ti

la

la

Sample page si

sol

Singe die Stufen in der rechten Darstellung in immer anderer Reihenfolge und zeige dabei mit der Stiftspitze auf die jeweiligen Stufen-Linien. Singe auch alle folgenden Diktate, Übungen und Literaturbeispiele auf diese Weise.


12

Brückenbau I: Die verminderte Septe Ein Weg zu den neuen Intervallen

Bevor du die HB 6–9 bearbeitest, in denen nun der Leitton si vorkommt, gehe singend durch die folgenden Wendungen, um diesen Tonraum mit seinen Intervallverhältnissen genau kennenzulernen.

Leseprobe

Rufe dir zuerst die mit eckigen Klammern verbundenen stabilen Gerüsttöne in die Erinnerung zurück, also die Quinte la-mi, sie bildet einen festen Rahmen für alles übrige. Singe eingeklammerte Töne erst mit und lasse sie beim nächsten Durchgang aus. Der Pfeil am Ende der Zeile möchte daran erinnern, jede Tonfolge auch rückwärts zu singen!

a)

b)

c)

w

D

D

D

w w

w ø w w < w> w ø #w w w

w

v7

#w w

Sample page

Der Krebs

Wenn man eine Tonfolge rückwärts singt, so wie es der Pfeil am Ende der Beispiele oben verlangt, ergibt sich eine melodische Variante der ursprünglichen Folge, die in der Musiklehre Krebs genannt wird (weil Krebstiere dafür bekannt sind, dass sie in bestimmten Situationen rückwärts gehen). Der musikalische Krebs kommt in den Kompositionen früherer Jahrhunderte nur gelegentlich, dann aber als besonderes Kunststück vor, denn besonders die Rhythmen, die mit den Tonhöhen einhergehen, lassen sich meistens nicht ohne Widersprüche und Schwierigkeiten krebsgängig gebrauchen. Lies die HB 2–5 auch einmal krebsgängig: obwohl der Rhythmus hier sehr einfach ist, sperrt er sich doch gegen diese Verwandlung. Nimm es also mit dem Rhythmus nicht so genau und behandle ihn frei, oder behalte den ursprünglichen Rhythmus bei und verändere nur die Tonhöhenfolge.


13

Stufen, die jetzt in den Melodien vorkommen:

ø

ø

D

Q Q Q #q q si

l

d

m

f

Leseprobe

Die Silbe si bleibt im Gegensatz zu den anderen Silben unter den Noten unabgekürzt, sodass sie von sol unterscheidbar ist.

6

Skizze

D

Reinschrift

D

7

Sample page Skizze

D

Reinschrift

D


14

8 An welchen Stellen unterscheidet sich die folgende Notation von der Musik in HB 8? Markiere die abweichenden Stufen oder Längen/Kürzen:

Q Q H QQ H QQ Q h q #h

D

Leseprobe

Notiere, was tatsächlich zu hören ist:

D

Wenn la und do in einem Zwischenraum stehen, sieht das Notenbild mit den Stufen, die wir gerade bearbeiten, so aus:

D

Q Q Q #q q si

9

l

d

m

f

Unter der Melodie dieses Hörbeispiels, die du wie bisher bearbeiten und notieren kannst, hörst du zusätzlich noch eine Terzenparallele (siehe Heft 1, S. 54), die den Satz nun sogar dreistimmig macht. Ihren Beginn habe ich mit zwei Solmisations-Buchstaben unter der Reinschrift schon markiert. Bestimme den weiteren Verlauf und ergänze die fehlenden Buchstaben!

Sample page Beachte auch die gegenüber HB 6, 7 und 8 veränderte Position des do-Schlüssels.

Skizze

D

Reinschrift

D

d l


17

Für eine Aufführung war aber die große Partitur unpraktisch. Deshalb wurde für jede Singstimme ein Ausschnitt von fünf Linien aus dem großen System herausgenommen, hier zum Beispiel

c)

für eine Sopranstimme:

Leseprobe

d)

für eine Altstimme:

e)

und für den Sänger der Bassstimme:

f)

In der Vergangenheit sind insgesamt acht verschiedene Teilsysteme zu fünf Linien verwendet worden, die mit drei verschiedenen Schlüsseln bezeichnet werden:

i

SystemNummer: Linien: 1-5 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

ii

iii

iv

v

vi

2-6

3-7

4-8

5-9

6-10

? ?

B B

B

vii 7-11

B

viii 8-12

& &

Sample page

Stimmlage: Bass

Bariton

Tenor

Alt

Mezzosopran

Sopran oder Diskant

„Violin-“

„Französischer Violin-“

Während wir diesen alten Notationsgebrauch lernen, sprechen wir am besten wie im englischen nach den jeweiligen Stimmlagen von Tenor- oder Alt-System (engl.: Tenor- bzw. Alto-Staff), von Tenor-Liniensystem, Tenor-Linienauswahl oder einfach von der 3. Linienauswahl. Bei den Bezeichnungen Tenorschlüssel und Altschlüssel im deutschen Sprachgebrauch scheint es, als gebe es für jede Stimme ein eigenes Schlüsselzeichen: dabei sind es doch tatsächlich nur drei verschiedene (Erklärung siehe nächstes Kapitel). In den folgenden älteren Büchern, die auch heute als Nachdrucke oder in digitaler Form leicht zugänglich sind, findet man weitere Darstellungen dieses wichtigen Bereichs der Musiklehre: Jean-Philippe Rameau (1683–1764): Traité de l'Harmonie. Paris 1722, S. 173 Denis Diderot (1713–1784)/Jean Baptiste le Rond d'Alembert (1717–1783): Encyclopédie. Paris 1751–1771, S. 241, Planche 1 Gottfried Weber (1779–1839): Versuch einer geordneten Theorie der Tonsetzkunst. Mainz: Schott 1817, Erster Band, S. 48


18

Die Schlüssel-Linien

Die acht Teilsysteme werden jeweils mit nur einem, insgesamt aber mit drei unterschiedlichen Schlüsseln bezeichnet:

a)

8 6 4

& B ?

œœ œ

Leseprobe g' c' f

Dies sind die drei Schlüssel-Linien:

- die 8. Linie: g'-Linie, eingestrichene Oktave - die 6. Linie: c'-Linie, eingestrichene Oktave - die 4. Linie: f -Linie, kleine Oktave

Merke dir diese drei Schlüssellinien, ihre jeweilige Nummer im Gesamtliniensystem und ihre Oktavlage!

b)

Sieh dir unten die beiden Teilsysteme unserer modernen Klaviernotation an. Welche Linie wird hier nicht dargestellt? Linie Nr. Zeichne sie an der richtigen Stelle ein und bezeichne sie mit ihrem Schlüssel.

&

{ Sample page ?

c)

In dieser Notation eines Cembalo-Stücks von J.-Ph. Rameau* sieht man, dass das Gesamtliniensystem in der Vorstellung der Notenstecher zu Rameaus Zeit noch vorhanden war:

* Siehe Bildnachweise Seite 76.


19

Die relative Bedeutung der Schlüsselnoten Welchen Stufen entsprechen die drei Schlüsselnoten bezogen auf die Töne der C-Dur-Tonleiter? Schreibe die jeweiligen Solmisationssilben in das Kästchen:

a)

& œ

Leseprobe g'

b)

B œ c'

c)

? œ f

Setze nun einen do-Schlüssel so in das Kästchen hinter den Notenschlüssel, dass dieser im richtigen Zusammenhang mit der oben gefundenen relativen Bedeutung der Schlüsselnote steht:

d)

g)

&

e)

&

h)

B

?

Sample page B

f)

i)

?


25

12

An welchen Stellen unterscheidet sich die folgende Notation von der Musik in HB 12? Markiere die abweichenden Stufen oder Längen/Kürzen:

Q

D

Q QH H Q qh Q q h #q

Leseprobe

Notiere hier, was tatsächlich zu hören ist:

D

&

D

Q Q Q #q q q si

l

t

d

m

f

Sample page

13

Skizze

&

Reinschrift

&


26

Intervallgrößen und Schlüssel Erinnere dich zuerst, auf welchen Stufen unserer Tonleiter ein bestimmtes Intervall groß, klein, vermindert oder übermäßig erscheint. Setze dann einen unserer drei Schlüssel (C-, den F- oder G-Schlüssel) so in das gegebene Liniensystem, dass das gegebene Intervall der jeweils angegebenen Größe entspricht. Die meisten Aufgaben (aber eben nicht alle) haben mehrere richtige Lösungen:

a)

œ œ

Leseprobe b)

g

d)

œœ

œ œ

e)

D

l)

c)

v

œ œ

f)

h)

œœ g

œœ k

k

k

k)

œœ k

ü

g)

œ œ

i)

œœ r

Erfinde zu diesem Vordersatz einen passenden Nachsatz:

œ œ Œ ˙ œ ˙ œ ˙ #œ

Sample page Wie könnte der Vordersatz zu diesem Nachsatz lauten?

D D

œœ œ œ œ œ œ œ #œ œ


27

Blattsingen II: Die verminderte Quarte Setze einen zum Leitton si passenden do-Schlüssel in das Kästchen vor jedes der folgenden Literaturbeispiele. Bevor du diese singst, bezeichne selbst die stabilen Intervalle mit Klammern und die entfernten Nachbarschaften mit Bögen!

Heinrich Schütz (1585–1672): Kleine Geistliche Konzerte Teil 1 Nr. 13 (1636)

w

a)

#˙ ˙

w

Ó œ. œJ œ

w

œ ˙

˙

Leseprobe Her - ren

Furcht des

Die

ist der Weis - heit An - fang,

...

H. Schütz: Kleine Geistliche Konzerte Teil 1 Nr. 15

b)

w

˙

Fürch

-

œ #œ

te

w

dich

nicht,

...

Hast du bemerkt, wie ähnlich und gleichzeitig wie charakteristisch der Tonhöhenverlauf in den Beispielen a) und b) durch die Verwendung der verminderten Quarte ist? Kannst du dir denken, warum Schütz in beiden Fällen diese Gestaltung wählte?

Johann Pachelbel (1653–1706): Fuge über das Magnificat, II.6. (1705)

c)

˙

œ œ #œ œ œ œ œ œ œ ˙

J. S. Bach: Fuge cis-Moll BWV 849 aus Das Wohltemperierte Klavier Teil 1 (1722)

d)

Sample page #˙ ˙

w

w

w

César Franck (1822–1890): Sinfonie d-Moll, (1889) 1. Satz, Hauptthema (Viola)

e)

C

Œ . jœ Œ œ œœ œœ œ j œ œ œ . œ #œ œ #œ œ #œ œ œ

Clara Schumann (1819–1896): Klaviersonate g-Moll (1842), 1. Satz, Beginn

˙

f)

Bass:

l

j #œ œ nœ. œ ˙ t

d

r

si


30

16 Skizze

B

Reinschrift

B

Leseprobe

Die Umkehrung

Singe diese Musik und vergleiche sie mit HB 16:

B 42 q q Q # q q Q E Q Q Q Q q

Die beiden Gestalten verhalten sich zueinander wie ein Seeufer mit Bäumen zu seinem Spiegelbild im Wasser. In der Musik wird diese horizontale Spiegelung des melodischen Verlaufs Umkehrung genannt. Im Unterschied zum Krebs (S. 10) spielt die Umkehrung eine verhältnismäßig große Rolle in der Komposition, sicher auch deswegen, weil in ihr der Rhythmus unverändert bleibt. Aber unser Moll-Tonraum fordert die Umkehrung geradezu heraus, weil er weitgehend symmetrisch ist: die beiden Semitoni si-la und fa-mi liegen genau spiegelbildlich zueinander. Finde denkend und singend auch die Umkehrung zu anderen musikalischen Gestalten, in denen dieser Tonraum vorkommt. Beachte vor allem die entsprechenden Literaturbeispiele: Bachs Soggetto aus Die Kunst der Fuge (S. 8) kommt in der Umkehrung in zahlreichen Sätzen des Werkes häufig vor. Auch viele andere seiner Soggetti können gut umgekehrt werden (siehe die Beispiele S. 27).

&

D

17

Skizze

Q Q Q Q #q q q

Sample page si

&

Reinschrift

&

l

t

d

r

m

f


31

Die Tonleiter in harmonischem Moll Singe das Notenbeispiel erst mit, dann ohne die eingeklammerten Töne. Vollziehe die Stufenschritte genau nach, indem du mit der Stiftspitze den Weg in der Graphik zeigst.

Leseprobe la

S

T

si

T

sol

T

fi

T fa

S

mi

8 5

4

Sample page

In harmonischem Moll werden zwischen mi und la zwei Semitoni eingefügt: mi-fa aus dem natürlichen Moll und der Leitton si unter la. Zwischen fa und si nimmt die Tonleiter eine Abkürzung: sie springt einfach aus dem fa (das eigentlich zum mi zurückführt) heraus auf den Leitton si (siehe den gestrichelten Pfeil in der Graphik). Das Intervall fa-si ist eine übermäßige Sekunde; weil es sich wie ein Graben zwischen den beiden Stufen auftut, wird es auch Hiatus (lat.: Öffnung, Kluft) genannt. Die „fi“ benannte Stufe steht bereits hier, um uns den Aufbau (die Spezies) des Tetrachords mit si (in der Graphik oben rechts) zu veranschaulichen. Um weiteres über ihre Rolle in Moll zu erfahren, kannst du auf Seite 39 weiterlesen.


32

Relative und absolute Schlüsselung der Oktavumfänge Im Gegensatz zum do-Schlüssel, der ein relativer Schlüssel ist und die Verhältnisse der Stufen im Liniensystem anzeigt, zeigen C-, F- und G-Schlüssel die jeweiligen Tonnamen bzw. deren Linien. Wir nennen sie heute auch absolute Schlüssel, weil sich in unserer modernen Vorstellung mit dem Tonnamen eine sogenannte absolute Tonhöhe verbindet. Absolut bedeutet, dass die einem Tonnamen zugeordnete Tonhöhe festgelegt und messbar ist. Die bekannteste absolute Tonhöhe ist der Stimm- oder Kammerton a' mit einer Schwingungszahl von 440 Hz (Hertz, physikalische Einheit), das bedeutet 440 Schwingungen pro Sekunde. An der Bezeichnung Stimmton kann man erkennen, dass diese Vorstellung eher mit der Entwicklung der Musikinstrumente in neuerer Zeit (etwa ab 1700) zusammenhängt. Vielleicht überrascht es dich nicht so sehr, dass auch diese drei Schlüssel ursprünglich relativ, also unabhängig von einer bestimmten Tonhöhe verstanden wurden. Ein großer Teil der vor 1700 komponierten Musik war für Singstimmen gedacht, und man hat die durch die Schlüssel geforderten Umfänge in der Tonhöhe den Stimmumfängen der Sänger angepasst.

Leseprobe

Setze einen do-Schlüssel so in das Kästchen, dass der gegebene Oktavrahmen dem geforderten Umfang entspricht (also z. B. für den authentischen Umfang in Dur do-do'). Finde im zweiten Schritt eine absolute Schlüsselung, die mit der relativen Bedeutung übereinstimmt, und bezeichne die sich so ergebende Linienauswahl (vergleiche dazu die Übersicht auf S. 15). .

Beispiel: Dur: plagaler Umfang Stufen: sol - sol

a)

D

œ œ

mögliche entsprechende absolute Schlüsselung

B

œ œ

œ œ

œ œ

Moll: authentischer Umfang c)

iv

Sample page Dur: authentischer Umfang

b)

Linienauswahl

œ œ

œ œ


33

Dur: plagaler Umfang

d)

œ œ

Linienauswahl

mögliche entsprechende absolute Schlüsselung

œ œ

Leseprobe

Moll: plagaler Umfang e)

œ œ

œ œ

Moll: authentischer Umfang

f)

œ œ

œ œ

Moll: plagaler Umfang

g)

Sample page œ œ

œ œ

Dur: authentischer Umfang

h)

œ œ

œ œ


34

Brückenbau IV: Die übermäßige Sekunde

a)

D

b)

D

c)

w

w

w

Leseprobe w w w < w > #w w

w

#w w

w w

D

ü2

Erfinde eine Melodie! d)

Finde eine Melodie mit den Stufen si-la-ti-do-re-mi-fa zu dem gegebenen Rhythmus und notiere sie im Liniensystem.

D

3 œj 8 3 8

œ

j œ

œ

j œ

œ™ œ œ

œ

Sample page j œ

D

œ

œ œ

œ™ œ œ

j œ œ

œ


35

Blattsingen IV: Die übermäßige Sekunde

Setze wie zuvor einen zum Leitton si passenden do-Schlüssel, bezeichne stabile Intervalle und entfernte Nachbarschaften und singe die Beispiele!

W. A. Mozart: Sinfonie g-Moll KV 550 (1788), 1. Satz, Beginn

a)

Leseprobe

C œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ Œ

œ œ ∫

œ œœœ œœ œ œ Œ œœ œ œœœ œ œ ∫ œ Œ œ

œ œ #œ œ œ œ œ œ œ œ Œ

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847): Lied ohne Worte op. 19 Nr. 2 (1832)

b)

œ #œ œ œ 3 œ œœ œ œ œ œ œ œ œ 8 J œ œœ J J J œ œ œ

Sample page

F. Schubert: Rast! aus dem Liederzyklus Winterreise D 911 (1827)

c)

2 œ œ™ œ œ œ œ ™ œ œ œ #œ ™ œ œJ œ œ œ j 4 J J R J J J R J J J R œ Nun merk' ich erst, wie

müd ich bin, da

Georges Bizet: Carmen, Oper in vier Akten (1875), Prélude

d)

3 œ œ #œ bœ œ œ œj ‰ Œ 4

ich

zur Ruh' mich

le - ge; .

..


42

Ÿ~~~~ Ÿ~~~~ œ œ œ œ œ #œ#œ #œ œ œ œ#œ œ œœ#œœ œœ œœ œœ nœœnœœ# œœ #œœ#œœ œœ

Frédéric Chopin (1810–1849): Polonaise fis-Moll op. 44 (1841)

c)

3 j #œ#œ œ œ œ#œ œ œ#œ œ œ œJ œ ™ œ œ œ œ™ œ œ œ 8œ œ

F. Mendelssohn Bartholdy: Lied ohne Worte op. 30 Nr. 4 (1835)

Leseprobe

d)

j j #œ#œ œ 2 œJ œJ œ œj j œ œ 4 J œ œ™ œ J J œ œ œ œ

F. Schubert: Gute Nacht! aus dem Liederzyklus Winterreise D 911 (1827)

e)

Was

soll ich län - ger

wei

-

len, daß

man

mich trieb hin

-

aus?

Bestimme mit dem ersten Hördurchgang den Charakter des Stimmumfangs: ist er authentisch oder plagal? Setze dann zu Beginn der Skizze einen do-Schlüssel so in das Kästchen, dass der gegebene Oktavumfang entweder la-la oder mi-mi darstellt.

Setze vor die Reinschrift einen absoluten Schlüssel mit entsprechender relativer Bedeutung!

32 Vordersatz

33

Nachsatz

œ œ

Skizze

Sample page Reinschrift

34

Vordersatz

œ œ

Skizze

Reinschrift

35 Nachsatz


43

36

Vordersatz

37

Nachsatz

Skizze

œ œ

Leseprobe

Reinschrift

38

Vordersatz

39 Nachsatz

Skizze

œ œ Reinschrift

Sample page


44

2. Abschnitt: Zwei- und dreistimmige Sätze in Moll Schematische Dreistimmigkeit: Terzenparallele und Bass La Folia

40

˙˙ #˙˙

˙˙

˙˙

˙˙

D

˙

˙

˙

˙

˙

{

D

˙˙ #˙˙

˙˙

˙˙

˙˙

˙

˙

D

˙

˙˙

˙˙ #˙˙

Leseprobe

{

D

˙

˙

˙

˙˙ ˙

˙

˙

œœ #œœ ˙ œ œ ˙

G. F. Händel: Music for the Royal Fireworks HWV 351 (1749), Menuet I

œœ œœ œœ œœ ˙˙ œœ nœœ œœ œœ œœ œœ œœ#œœ œœ œœ œœ œœ 3 # b & 4 ˙ œ œ ˙ œ ? b 43 œ œ œ œ œ

41

{

Ÿ œœ ˙˙ œœ œœ œœ œœ œ ˙. œ #˙. &b œœœ œ # œ œ œ œ ?b œ œ œ

œœ œœ œœ œœ œ œ œ

Sample page { 6

œœ œ œœ œœ &b œ ?b œ œ œ

12

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œœ œ œ œ œœ œ. j 1. . #œ œ œ #œ. œ ˙H J œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ

.. ˙H . 2.

.. ˙.


45

Wege zur Zweistimmigkeit: Terzen-Sexten-Muster in Moll

42

Vordersatz

Skizze

D

Reinschrift

43

Nachsatz

Leseprobe

D

44

Vordersatz

45

Nachsatz

Skizze

D

Sample page D

Reinschrift

D

D


52

J. S. Bach: Suite für Laute BWV 997 (um 1740), Bourrée

59

{

D D

D

60

{

D D

Leseprobe

D

Johann Friedrich Reichardt (1752–1814): Klavierlied Die Spinnerin (1809) T: Johann Wolfgang v. Goethe (1749–1832)

61

Vordersatz

62

Nachsatz

{ Sample page { D

D

D

Johann Krieger (1651–1735): Menuett (1697)

63 Vordersatz D

D

D

64

Nachsatz


53

Singe, spiele, lies! a)

Untersuche die Umfänge der beiden Stimmen und zeichne sie in den beiden Kästchen zu Beginn des Satzes ein (sieh dazu ruhig auf S. 30 nach). Benenne die Umfänge mit ihren Fachausdrücken.

b)

Lies erst die eine, dann die andere Stimme des Satzes mit Tonvorstellung. Versuche dann, den Satz mit beiden Stimmen lesend innerlich zu hören. Singe dann eine Stimme und spiele die andere dazu auf einem Instrument.

Johann Joseph Fux (1660–1741): Fuga a 2 aus Gradus ad Parnassum (1725), Originalnotation

Leseprobe

Umfang der Altstimme:

°B C ¢

BC

w

w

˙ ˙ ˙ ˙ w ∑

˙ œœ œ œ˙ ˙ œ œ m ˙ ˙

w

∑ w

Umfang der Tenorstimme:

°B w ¢

œœ˙

B ˙ ˙

°B ˙™

˙ ˙

˙ ˙

œœœœ w œ œœ˙

B ˙ ˙ ¢

˙

˙ ˙

w

w

w

˙ ˙

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w

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˙ ˙

w m

w

œ œœ ˙

˙ ˙

w

˙™ ˙ ˙

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m

Sample page w

˙

° w B

w

˙ ˙

˙ ˙

w

˙ ˙

˙ #˙

B ∑ ¢

w

w

˙ ˙

˙ ˙

˙ œœ w

Die Kombination der Stimmumfänge (wie vieles andere in seinem berühmten Lehrbuch, nach dem im 18. und 19. Jahrhundert viele Komponisten ihr Handwerk erlernten) hat Fux hier ganz nach alter Renaissance-Tradition eingerichtet. Vergleiche dazu auch das Schema von Michael Praetorius (1571–1621) auf S. 57 unten! Fux trägt seine Lehre in Form eines Gesprächs vor: der Schüler Josephus, in dem sich Fux selbst als Lernender darstellt, stellt Fragen, auf die ihm sein Lehrer Aloysius antwortet. Mit Aloysius meint Fux den Renaissance-Komponisten Giovanni Pierluigi da Palestrina (eigtl. Giovanni Pietro Aloisio Sante da Palestrina, 1525–1594), auf dessen bedeutende kirchenmusikalische Werke sich Fux eigentlich bezieht.


54

Acht Ansichten der Generalvorzeichnung

Mit den folgenden acht Ansichten möchte ich das System der Tonarten und ihre Generalvorzeichnung aus relativer Sicht darstellen. Zwischen den einzelnen Ansichten gibt es mancherlei inhaltliche Entsprechungen und Wiederholungen, die ganz natürlich sind, wenn man denselben Gegenstand aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Die Ansichten muss man nicht unbedingt der Reihenfolge nach lesen.

Leseprobe

Erste Ansicht: Das Siebener-Muster

Die diatonische Tonleiter ist nach Beschreibungen aus dem antiken Griechenland aus einer Reihung von Quintabständen hervorgegangen. Dieses konstruktive Merkmal können wir in einer Anordnung der sieben Töne wiederfinden, die ich hier das Siebener-Muster nenne. Die Töne der C-Dur-Tonleiter sehen dann so aus:

a)

B

m

r

d

w w w w w w l

s

f

w t

Wir sehen darin neben der Quintenfolge auch die Dreierreihe do-re-mi und die Viererreihe fa-sol-la-ti in dem hier durch eine senkrechte gestrichelte Linie begrenzten Tonraum von C-Dur (siehe dazu die Darstellung auf S. 59). Fa steht am einen und ti am anderen Ende der Quintenreihe; daran kann man erkennen, dass diese beiden in ihrem Toncharakter einander so entgegengesetzt sind wie kein anderes Tonpaar der Tonleiter. Unsere verschiedenen Tonarten können als Versetzung (Transposition) einer solchen Siebener-Anordnung dargestellt werden, die entsteht, wenn man an einem Ende der Reihe ein Glied dieser Quintenkette wegnimmt und dafür am gegenüberliegenden Ende eines anbaut. Hier wird in Beispiel b) ganz rechts das ti (der Ton h) weggenommen und in Beispiel c) als fa (Note b) auf der anderen Seite hinzugesetzt. Weil das alte ti und das neue fa denselben Platz im Liniensystem haben, könnte man sie ohne Bezeichnung nicht voneinander unterscheiden. Deshalb erhält das neue fa ein fa-Zeichen: das b vor der Note.

Sample page C - Dur:

b)

m r w w B w w w w w zt s f l d

F - Dur: f c)

t w B bw w w w w w l

s

d

r

m

An dem neuen b-fa müssen sich nun alle bisherigen Tonbedeutungen ausrichten, sie behalten zwar ihre Tonhöhe, aber sie wechseln die Tonbedeutung. Auch in der neuen Tonart F-Dur sehen wir wieder die Dreierreihe do-re-mi und die Viererreihe fa-sol-la-ti. .


57

67 Vordersatz

68 Nachsatz

Skizze

{

D

{

D

D

Leseprobe

D

Reinschrift

D D

Hörvergleich Markiere alle Abweichungen des Hörbeispiels in der Notation. Notiere unten, was tatsächlich zu hören ist.

69 Vordersatz

70

Nachsatz

œ 2 œ œœ œ œœ œ œ œœ 4 œ œ #œ œ œ œ œ œ œ œ ˙ 2 œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ œœœ ˙ ˙ 4

{Sample page D

D

{

D

2 4

D

2 4


58

Daniel Gottlob Türk (1750–1813): Ich bin so matt und krank Nr. 9 aus Kurze und sehr leichte, bloß zweistimmige Handstücke für Klavier

71

Vordersatz

72

Nachsatz

Skizze

3 # D4 B

Leseprobe { Reinschrift

3 # D4 B

? # D43 Œ Œ œ Œ Œ œ Œ œ œ œ œ œ Œ Œ œ Œ Œ œ Œ œ œ œ œ D œ

Arcangelo Corelli (1653–1713): Sarabande

73

Vordersatz

74

Nachsatz

Skizze

D

{Sample page D

Reinschrift

{

D

D


59

Zweite Ansicht: Oktavabstände und Oktavlagen Hier kann man sehen, dass gleichnamige Töne (also solche im Oktavabstand) immer abwechselnd auf einer Linie und im Zwischenraum des Liniensystems liegen. Das Intervall der Oktave hat also in der diatonischen Notation ein charakteristisches Notenbild (1).

1

8 6 4

2

œ b & B œ b ? œ b

# # #

3

Das Gleiche gilt natürlich auch für die mit Vorzeichen bezeichneten Stufen einer Generalvorzeichnung. Sieh dir die Reihe der die Generalvorzeichnung eröffnenden Töne B (2) und Fis (3) an. Mit einer bestimmten Oktavlage einer Note ist also immer ein bestimmter Platz – Linie oder Zwischenraum – verbunden. Das c' liegt z. B. immer auf der Linie, c dagegen immer im Zwischenraum eines Liniensystems.

Leseprobe c'' c' c

b' b B

fis''

fis' fis

Setze den G-, C- oder F-Schlüssel jeweils in richtiger Beziehung vor die gegebene Generalvorzeichnung. Wo gibt es zwei Möglichkeiten?

a)

d)

b #

b)

#

c)

e)

b

f)

b #

Sample page

Die Geschichte der Generalvorzeichnung beginnt mit der Versetzung der Modi auf andere Stufen, die man vornahm, um die Umfänge der Singstimmen besser ausnutzen zu können. Im Schema bei h) gibt es nach den Schlüsseln in drei Oktaven die zusätzliche Angabe der Lage des b-fa (die Unterbrechung des Liniensystems an dieser Stelle hat drucktechnische Gründe). Nun ist nicht mehr d, sondern g als Grundton re des dorischen Modus zu lesen. M. Praetorius: Syntagma Musicum Teil III (1619)*

g)

* Siehe Bildnachweise Seite 76.


65

Übersicht: Tonleitermodelle in Moll

Ñ m

Bezeichne darin wie vorher in den Intervallen alle Toni mit und Semitoni mit Chromatische Intervalle bleiben unbezeichnet!

Leseprobe

natürlich a)

D

w

w

w

w

w

#w

w

w

w

w

w

w

w

w

w

w

w

#w

harmonisch b)

D

w

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melodisch aufc)

D

w

w

#w

w

und abwärts d)

w D

w

w

w

Sample page chromatischer Tetrachord steigend

e)

D

w w #w w #w w

fallend: Lamento-Bass

D

w #w nw #w n w w

Die Tonleitermodelle und ihre Bezeichnungen dienen in der Musiklehre als Hilfe, um die vielfältigen möglichen Gestalten der melodischen Bewegung in Moll zu beschreiben und darüber sprechen oder nachdenken zu können. Die Bezeichnung melodisches Moll z. B. ist daher nicht als Tonartbezeichnung (wie Dur) zu verstehen.


66

Chromatik im mi-Tetrachord

S

T T

T

Leseprobe S

T S

T

T

Typisch für Moll ist die Chromatik („Chroma“ ist das griechische Wort für „Farbe“) innerhalb des mi-Tetrachords. Chromatische Schritte entstehen, wenn man direkt von einer zur nächsthöheren (oder tieferen) Stufe einer anderen Quarten-Spezies geht und dabei die diatonischen Bezugstöne zwischen ihnen auslässt, so wie es oben in der Graphik durch den gestrichelten Pfeil dargestellt ist: die chromatischen Schritte sind wie eine Abkürzung auf dem Weg zwischen den diatonischen Stationen. Die Intervalle fa-fi und sol-si sind tatsächlich kleiner als das kleinste diatonische Intervall, der Semitonus. Sie gehören nicht zur Familie der diatonischen Intervalle, sondern zum chromatischen Tongeschlecht. Auch ihre Notation verrät das: in einem chromatischen Schritt wie fa-fi hören wir zwar zwei verschiedene Tonhöhen, die beiden Notenköpfe liegen aber am gleichen Platz im Liniensystem. Das Liniensystem war ursprünglich zur Notation diatonischer Stufenabstände gedacht. Um darin Chromatik zu notieren, müssen wir zusätzliche Zeichen verwenden, um das Gemeinte zu verdeutlichen: die Vorzeichen.

Sample page 75 F. Chopin: Prélude c-Moll op. 28 Nr. 16 (1839)

Höre den Ausschnitt aus Chopins Prélude und notiere die Folge von 16 Basstönen durch Buchstaben für die jeweiligen Solmisationssilben:

la

___

___

___

___

___

___

___

___

___

___

___

___

___

___

___


67

Blattsingen VI: Der chromatische Tetrachord

W. A. Mozart: Fuge g-Moll KV 154 (385k), Fragment (1782), Soggetto

a)

b c˙ Bb

œ nœ œ #œ

˙

Leseprobe ˙

˙

J. S. Bach: Fuge gis-Moll aus Das Wohltemperierte Klavier Teil 2 (1744), T. 97–102

b)

D

6œœœœœ œœœœœœ œœœœœœ œœœœœœ œ 8 œ l si

s

f m

s

si l

si

l

Spiele die mit Noten dargestellte Stimme – das erste Soggetto der Fuge – auf einem Streichinstrument oder dem Klavier und singe dazu das mit Stufen gegebene zweite Soggetto als Bassstimme darunter. Eine Fuge mit zwei Soggetti, die wie hier im Verlauf des Satzes miteinander kombiniert werden, heißt Doppelfuge. Die Satztechnik, die Bach hier und in vielen anderen seiner Werke angewendet hat und die es erlaubt, Unter- und Oberstimme miteinander zu vertauschen, ohne dass satztechnische Fehler entstehen, heißt doppelter Kontrapunkt. Singe dementsprechend auch das zweite Soggetto als Melodie über dem entsprechend tiefer gespielten ersten Soggetto als Bass.

Sample page

Giuseppe Verdi (1813–1901): Dies irae aus Messa da Requiem (1874), Tenor, T. 3f.

ff

c)

>œ..

B bb c Ó

-

Di

œ n>œ #>œ R

œ n>œ.. R

es

-

i

rae, die - es

3

di -

es

i

-

-

i

w w w B bb nœ bœ œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ.. œR 3

#œ nœ

œœj J‰Œ Ó

3

-

-

-

rae,

rae.


75

Notengraphik gestern und heute Samuel Scheidt (1587–1654): Nun komm der Heyden Heyland*

Leseprobe

a)

b)

{

& ?

Sample page

Die Notation des Satzes beginnt mit der Schlüsselung der Systeme, dann sieht man ein Generalvorzeichen (für die Transposition), dann die Taktvorzeichnung. Das erste Notenzeichen ist eine halbe Pause. Die kleine Zwergenmütze nach der ersten Note im zweiten Takt des Altes ist eine Viertelpause! Auch das Kreuz-Zeichen sah zu Scheidts Zeiten anders aus als heute, am besten kannst du es vor der letzten Note im Tenor erkennen. Übertrage den bei a) im Originaldruck wiedergegebenen Satz in das heute übliche Doppelsystem für Tasteninstrumente bei b). Setze Cantus und Alt zusammen ins obere System und richte die Stiele des Cantus nach oben, die des Altes nach unten. Verfahre mit Tenor und Bass im unteren System genauso. Achte auf die Abstände zwischen den Noten und besonders darauf, dass gleichzeitig klingende Noten genau untereinanderstehen! Beides gibt der Originaldruck nur andeutungsweise wieder. Die Achtelketten in Alt und Tenor haben im Original einzelne Fähnchen, stelle sie wie heute im Instrumentalsatz üblich mit Balken gruppiert dar.

Der Satz stammt aus einer Sammlung von 100 Choralsätzen von Scheidt, der auch als Kantor (also Kirchenmusiker an einer evangelischen Kirche) wirkte. Alle Sätze sind für Instrumente, vor allem für die Orgel gedacht und nach dem Gebrauch der damaligen Zeit auf vier Systemen gedruckt, die wie Singstimmen bezeichnet werden: C vor dem oberen System steht für Cantus (Oberstimme), während die übrigen Bezeichnungen, Alt, Tenor und Bass, auch heute noch gebräuchlich sind. * Siehe Bildnachweise Seite 76.


76

82 Inventio 11

Reinschrift

Skizze

bb œ œœ B b c ≈ œ n œ #œ œ ?b ‰ Jœ bb c œ

{ { 83

bb B b

? bb b

{ {

Leseprobe

Sample page

J. S. Bach, BWV 782

Q

Q


77

Ausblick: Harmonische Modelle Mit den eingeführten ein- und zweistimmigen Wendungen und den schematischen zweistimmigen Satzweisen können viele wichtige Formeln der barocken und klassischen Musik in typischer dreistimmiger Satzweise dargestellt werden. Die Generalbass-Bezifferung ergibt sich aus allen von Terz und Quinte abweichenden Intervallen über dem jeweiligen Basston.

Leseprobe { a)

Terzen-Parallele mit Bass, Neapolitaner über der 4. Stufe, verminderter Septakkord über si und #4.

D

Õ ˙˙ ˙˙ <b>˙˙ ˙ ˙ 6 ( b) 7 6 ˙ ˙ ˙ #˙

C ˙˙ ˙˙ 7

D

C ˙ #˙

- Õ ˙˙ #˙˙ 6 4

˙˙ ˙˙

5

6 5

#

w

˙ #˙

b) D D

D

{

˙ ˙

5 3

˙ <#>˙ ˙

Õ ˙ b˙ #˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ 2

w w

- Õ ˙ #˙ w

w w

#

4

7

w

w

˙ #˙

w

Terzen-Parallele in Unterstimmen: fallender Tetrachord, mi-Klausel in Tenor und Sopran.

D

w

bw

6

6 w w

#w

Õ w

Õ w

˙

˙

w

6

7

6

#

w w

w w

˙

˙

Sample page w w

D

d)

{

˙

alternativer Nachsatz zu a)

6

c)

- Õ ˙ #˙ w

Õ ˙˙ ˙˙

b

6#

w w

6

w w

w w

#w w

Variante von c: Sekundakkord aus Synkopierung, Lamento-Bass, übermäßiger Sextakkord durch Alteration in der mi-Klausel. D

D

-

w

bw

#w

6

6b

w w

w w

4# 2

ww

w

w

6

w w

˙

Õ ˙

6

w w

#ẇ n˙

- Õ ˙ #˙

w

6#

#

#ẇ n˙

#w w

7



Š Foto: Monika Posala

9 783765 199288 A 18


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