BREITKOPF
SIBELIUS
Vier Stücke
für Violine und Klavier
Four Pieces for Violin and Piano op. 115
EB 9340
JEAN SIBELIUS
1865–1957
VIER STÜCKE
für Violine und Klavier
FOUR PIECES
for Violin and Piano
op. 115
herausgegeben von | edited by Anna Pulkkis
Urtext der Gesamtausgabe Jean Sibelius Werke
Urtext from the Complete Edition Jean Sibelius Works
Edition Breitkopf 9340
Printed in Germany
Einleitung
Sibelius stellte im Frühjahr 1929, in der letzten aktiven Phase seiner Komponistenkarriere, Vier Stücke op. 115 (Auf der Heide, Ballade, Humoreske, Die Glocken (Capriccietto)) fertig. Gleichzeitig arbeitete er an seiner achten Symphonie, einem Projekt, das unvollendet blieb. Zusammen mit Drei Stücke op. 116, auch für Violine und Klavier, waren die Vier Stücke op. 115 seine letzten Werke mit Opusnummerierung.
Der Impuls zum Komponieren der Stücke für Violine kam vermutlich vom New Yorker Verleger Carl Fischer, mit dem Sibelius zuvor eine Vereinbarung über kleine Kompositionen getroffen hatte. In einem Brief an Sibelius im Oktober 1928 bekundete Fischer sein besonderes Interesse an Werken für Klavier, Gesang und Klavier sowie für Violine und Klavier und für „charakteristische Stücke in Form einer Orchestersuite“.1 Sibelius beherzigte den Hinweis. Seine Antwort ist als Briefentwurf vom 15. Februar 1929 erhalten geblieben; darin kündigt er Fischer vier Sammlungen von Kompositionen an: Opus 114 für Klavier solo, Opus 115 und 116 für Violine und Klavier und Opus 117, eine Suite für Violine und Streichorchester, die letztendlich keine Opusnummer erhielt. Im Briefentwurf haben die Stücke von Opus 115 die englischen Titel Moods of the Moor, Tale, Humoresque und The Bells (Capric[c]ietto) 2
Wann genau Sibelius die obengenannten Kompositionen vollendete, bleibt ungewiss. Dem Entwurf des Schreibens zufolge wäre es der 15. Februar. Auf jeden Fall waren die Werke vor dem 23. Mai fertig, dem Tag, an dem Fischer den Erhalt bestätigte. Zunächst äußerte der Verleger die Bereitschaft, die Kompositionen anzunehmen, jedoch erhielt Sibelius im September ein Ablehnungsschreiben. Mit Bezug auf „die äußerst unglückliche Konstellation im Musikverlagsbereich in den Vereinigten Staaten“ sendete Fischer die Kompositionen mit Bedauern zurück.3
Sibelius wandte sich an Breitkopf & Härtel, die 1926, nach einer kriegsbedingten Pause, das symphonische Gedicht Tapiola op. 112 veröffentlicht hatten. Am 1. Oktober 1929 teilte Sibelius Breitkopf mit, er habe ihnen ein paar neue Werke geschickt, und fügte hinzu, dass er auch seinen Vertrag mit Fischer auflösen würde. Das Paket enthielt wahrscheinlich die Opusnummern 114, 115 und 116, jedoch bat Sibelius Breitkopf kurz darauf, Opus 114 wieder an ihn zurückzusenden.4
Breitkopf & Härtel nahmen die neuen Werke an und versicherten, dass „[…] wir die beiden Werke Op. 115 Vier Violinstücke und Op. 116 Drei Violinstücke gern der grossen Reihe Ihrer früheren Werke in unserem Verlage anreihen.“ Sie boten ihm ein Gesamthonorar von 1.400 Rmk an und legten Verträge zwecks Übertragung des Urheberrechts zur Unterschrift bei.5 Sibelius akzeptierte die Bedingungen, und am 12. November schrieb Breitkopf, dass sie bald mit dem Notenstich beginnen würden. Sie versprachen auch, Fahnen zu schicken, jedoch sind weitere Dokumentationen dazu nicht überliefert.6
Wie es für die Zeit typisch war, machten Urheberrechtsprobleme die Dinge komplizierter. Breitkopf & Härtel schrieben am 15. April 1930 an Sibelius und informierten ihn, dass die Werke von einem deutschen Staatsbürger editiert werden müssten, um das USUrheberrecht für diese zu erhalten. Somit baten sie Sibelius um Erlaubnis, in den Erstausgaben „Bearbeitet von Carl Ettler“ zu vermerken; Ettler war der Musikverlagsredakteur. Offenbar teilte Sibelius dem Verleger die jüngsten Veränderungen in den Urheberrechtsbeziehungen zwischen Finnland und den USA mit. Breitkopf & Härtel
versprachen, die Sache weiter zu entwirren, und fügten mit Bedauern hinzu: „Das Wort Bearbeiter anzuwenden […] widerstrebte auch uns.“7 Letztendlich wurde Ettler in der Erstausgabe doch nicht erwähnt. Der Veröffentlichungsprozess zog sich noch einige Monate hin. Am 22. Dezember 1930 konnte Breitkopf Sibelius schließlich informieren: „Zu unserer Freude können wir Ihnen heute mitteilen, dass Ihre 7 Violinstücke Op. 115 und 116 fertiggestellt sind.“8
Die autographen Reinschriften von Opus 115 sind verschollen. Kopistenabschriften von Paul Voigt, die möglicherweise noch vor dem Versand der Stücke Anfang 1929 an Fischer erstellt wurden, sind für die Nummern 1–3 erhalten.9 Zu einem unbekannten Zeitpunkt hatte Sibelius Bleistiftkorrekturen in Voigts Exemplaren eingefügt. Umfassende Veränderungen gibt es in Auf der Heide (Nr. 1), wo die Klavierstimme in den Takten 51–58 zunächst so aussah:
In Humoreske (Nr. 3) war die Klavierstimme in den Takten 26–29 und 56–59 anfänglich den Takten 30–31 und 60–61 ähnlich. Im Allgemeinen beinhalten die Erstausgaben (die der vorliegenden Ausgabe als Hauptquelle dienten) die meisten von Sibeliusʼ in den Voigt-Exemplaren vorgenommenen Überarbeitungen, andere Differenzen zwischen den Erstausgaben und den Kopien weisen jedoch darauf hin, dass noch weitere Überarbeitungen vor der Veröffentlichung stattgefunden hatten. Dies wird besonders in Bezug auf das Tempo und die Aufführungshinweise in Humoreske deutlich. Zum Beispiel schrieb Voigt am Anfang „Commodo“, Sibelius änderte es zu „Andante“ und „Allegretto“, und in der Erstausgabe steht „Tranquillo“.
Die vorliegende Ausgabe übernimmt den Notentext der Gesamtausgabe Jean Sibelius Werke, Serie IV Kammermusik, Bd. 6: Werke für Violine oder Violoncello und Klavier, herausgegeben von Anna Pulkkis, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2018. In diesem Band befindet sich auch ein detaillierter „Critical Commentary“.
Helsinki, Winter 2018
Anna Pulkkis
1 Fischers Brief an Sibelius, 5. Oktober 1928 (Finnische Nationalbibliothek [=NL], Coll. 206.44).
2 Sibeliusʼ Briefentwurf an Fischer, 15. Februar 1929 (NL, Coll. 206.44). Er ist nicht in Sibeliusʼ Handschrift, was für seine englische Korrespondenz typisch war.
3 Fischers Briefe an Sibelius, 23. Mai und 7. September 1929 (NL, Coll. 206.44).
4 Sibeliusʼ Brief an B&H, 1. Oktober 1929, und Telegramm an B&H, 12. Oktober 1929 (B&H-Archiv).
5 B&Hs Telegramm an Sibelius, 16. Oktober 1929, und B&Hs Brief an Sibelius, 19. Oktober 1929. Beide sind im Nationalarchiv Finnland, SibeliusFamilienarchiv [=NA, SFA], Kasten 42 aufbewahrt.
6 B&Hs Brief an Sibelius, 12. November 1929 (NA, SFA, Kasten 42).
7 B&Hs Briefe an Sibelius, 15. April 1930 and 26. April 1930. Beide sind im NA, SFA, Kasten 42 aufbewahrt.
8 B&Hs Postkarte an Sibelius, 22. Dezember 1930 (NA, SFA, Kasten 42).
9 Voigts Kopien sind in NL aufbewahrt.
Introduction
Sibelius completed Vier Stücke Op. 115 (Auf der Heide, Ballade, Humoreske, Die Glocken (Capriccietto)) in the spring of 1929, during the last active phase in his career as a composer. At the same time he was working on his Eighth Symphony, a project that was left unfinished. Together with Drei Stücke Op. 116, also for violin and piano, Vier Stücke Op. 115 were his last opusnumbered works.
The impetus for composing the violin pieces probably came from the New York publisher Carl Fischer, with whom Sibelius had earlier made an agreement regarding small compositions. In a letter to Sibelius in October 1928, Fischer expressed particular interest for works for piano, voice and piano, and violin and piano, and for “characteristic numbers in the form of an orchestra suite.”1 Sibelius heeded the suggestion. His reply has survived as a draft letter dated 15 February 1929, in which he announces sending four collections of compositions to Fischer: opus 114 for solo piano, opuses 115 and 116 for violin and piano, and opus 117, a suite for violin and string orchestra that finally remained without opus number. In the draft letter, the opus 115 pieces have the English titles Moods of the Moor, Tale, Humoresque, and The Bells (Capric[c]ietto) 2
When exactly Sibelius completed the abovementioned compositions remains uncertain. According to the draft letter it would have been by 15 February, and in any case they were finished before 23 May, when Fischer reported having received them. At first, the publisher expressed a willingness to take the compositions, but in September, Sibelius received a rejection letter. Referring to “the extremely unfortunate constellation in the music publishing field in the United States,” Fischer returned the compositions with regrets.3
Sibelius turned to Breitkopf & Härtel, who, after a prolonged break caused by the war, had published the symphonic poem Tapiola Op. 112 in 1926. On 1 October 1929, Sibelius informed Breitkopf he had sent them some new works and added that he would also abrogate his agreement with Fischer. The package probably included opuses 114, 115, and 116, but Sibelius asked Breitkopf to return opus 114 shortly thereafter.4
Breitkopf & Härtel accepted the new works and assured: “[W]e gladly add both works, Vier Violinstücke Op. 115 and Drei Violinstücke Op. 116, to the large series of your earlier works published by us.” They suggested a total fee of 1,400 Rmk and enclosed agreements on copyright transfer to be signed.5 Sibelius agreed with the terms, and on 12 November Breitkopf wrote that they would soon begin the engraving. They also promised to send proofs, but further documentation about them is missing.6
As was typical of the time, copyright issues made things more complicated. Breitkopf & Härtel wrote to Sibelius on 15 April 1930 informing him that to obtain the US copyright for the works they had to be edited by a German citizen. Therefore, they asked Sibelius’s permission to note on the first editions “Bearbeitet von Carl Ettler,” Ettler being their publishing editor. Sibelius apparently informed the publisher of recent changes in copyright relations between Finland and the USA. Breitkopf & Härtel promised to further disentangle the issue, adding with regret: “To use the word Bearbeiter […] displeased us as well.”7 In the end, no mention of Ettler was made in the first edition. The publishing process dragged on for several more months. Breitkopf was finally able to announce to Sibelius on
22 December 1930: “To our joy, we can inform you today that your 7 violin pieces Op. 115 and 116 have been completed.”8
The autograph fair copies of the opus 115 pieces are lost. Scribal copies by Paul Voigt, possibly made even before the pieces were sent to Fischer in early 1929, survive for Nos. 1–3.9 At an unknown point, Sibelius made pencil revisions on Voigt’s copies. Thorough revisions appear in Auf der Heide (No. 1), where the piano part in measures 51–58 initially read:
In Humoreske (No. 3), the piano part in measures 26–29 and 56–59 was initially similar to measures 30–31 and 60–61. Generally, the first editions (which served as the main source in the edition at hand) include most of the revisions Sibelius made in Voigt’s copies, but other differences between the first editions and the copies indicate that further revisions took place before the publication. This is particularly evident regarding the tempo and performance instructions in Humoreske. At the beginning, for example, Voigt wrote “Commodo”, Sibelius emended it to “Andante” and “Allegretto”, and the first edition has “Tranquillo”.
The present edition reproduces the music text of the Complete Edition of Jean Sibelius Works, Series IV Chamber Music, vol. 6: Works for Violin or Cello and Piano, edited by Anna Pulkkis, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2018. This volume also includes a detailed Critical Commentary.
Helsinki, winter 2018
Anna Pulkkis
1 Fischer’s letter to Sibelius, 5 October 1928 (The National Library of Finland [=NL], Coll. 206.44).
2 Sibelius’s draft letter to Fischer, 15 February 1929 (NL, Coll. 206.44). It is not in the hand of Sibelius, which was typical of his Englishlanguage correspondence.
3 Fischer’s letters to Sibelius, 23 May and 7 September 1929 (NL, Coll. 06.44).
4 Sibelius’s letter to B&H, 1 October 1929, and telegram to B&H, 12 October 1929 (B&H archives).
5 B&H’s telegram to Sibelius, 16 October 1929; B&H’s letter to Sibelius, 19 October 1929: “[…] wir die beiden Werke Op. 115 Vier Violinstücke und Op. 116 Drei Violinstücke gern der grossen Reihe Ihrer früheren Werke in unserem Verlage anreihen.” Both are preserved in the National Archives of Finland, Sibelius Family Archive [=NA, SFA], file box 42.
6 B&H’s letter to Sibelius, 12 November 1929 (NA, SFA, file box 42).
7 B&H’s letters to Sibelius, 15 April 1930 and 26 April 1930: “Das Wort Bearbeiter anzuwenden […] widerstrebte auch uns.” Both are preserved in NA, SFA, file box 42.
8 B&H’s postcard to Sibelius, 22 December 1930 (NA, SFA, file box 42): “Zu unserer Freude können wir Ihnen heute mitteilen, dass Ihre 7 Violinstücke Op. 115 und 116 fertiggestellt sind.”
9 Voigt’s copies are preserved in NL.
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