EB 9018 – Lachenmann, Guero für Klavier

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Helmut Lachenmann

Guero fĂźr Klavier for Piano

Edition Breitkopf 9018



Helmut Lachenmann

Guero fĂźr Klavier for Piano

Edition Breitkopf 9018 Printed in Germany



Guero

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Erläuterungen

Explanations

In dieser Studie wird das Klavier (erforderlich ist ein Flügel) gleichsam als Guero behandelt: man gleitet mit den Fingernägeln (2. oder 3. Finger bzw. 2.–4. Finger) in der vorgeschriebenen Geschwindigkeit über den angedeuteten Bereich der Klaviatur bzw. der Saiten oder Stifte, ohne eine Taste anzuschlagen, so daß nur das Gleiten der Fingernägel über die Rillen zwischen den Tasten bzw. über den Stimmstiften oder den Saiten zu hören ist. Jede Gleitbewegung ist als Kurve angegeben. Vertikal entspricht die Zeichnung – wie am Anfang angedeutet – der Gesamtbreite der Klaviatur; bei der Unterteilung der Horizontalen entspricht ein Teilstrich-Abstand einer Sekunde (ausgenommen bei Pausen; dort ist der angegebene Pausenwert maßgebend). Je steiler also die Kurve verläuft, desto schneller ist die Bewegung, und umgekehrt. Einzelne „Knoten“ machen eine entsprechend langsame, gelegentlich gar zeitlupenartige Bewegung notwendig, jedem „Knoten“ entspricht (mehr oder weniger genau) eine einzelne Rille, ein Wirbel etc.

In this study, the piano (a grand piano is required) is treated as if it were a Guero: the fingernails (second, third, or second through fourth fingers respectively) are allowed to glide (without striking any keys) at the prescribed speed over the specified areas of the keyboard, the strings, or the tuning pegs in such a way that only the gliding of the fingernails over the spaces between the keys, tuning pegs, or strings is heard. This gliding sound should be varied in every possible way. Each glide is indicated as a curve. As stated above, the vertical scale corresponds to the entire breadth of the keyboard; each mark on the horizontal scale corresponds to a second of time (except at rests; there the duration is determined by the value of the rest). Therefore, the steeper the curve is, the more rapid the movement is, and vice versa. Occasional “knots” make it necessary to slow down accordingly, at times even to the point of producing a slow-motion effect. Each “knot” corresponds (more or less) to one individual space between the keys, to one tuning peg etc.

Das am Anfang einer Kurve stehende Zeichen zeigt, auf welche Spielflächte das Glissando ausgeführt werden soll; es sind 6 Spielflächen vorgesehen:

The sign at the beginning of a curve shows on which playing surface the glissando is to be performed. There are six playing surfaces:

1. 2a. 2b. 3. 4. 5. 6.

1. 2a. 2b. 3. 4. 5. 6.

Gleiten über die Vorderseite der weißen Tasten mit Daumennagel (Bewegungsrichtung von außen nach innen) bzw. Nagel des gestreckten Zeigefingers (Bewegungsrichtung von innen nach außen) Oberfläche der weißen Tasten mit Fingernagel bei gestrecktem Finger Oberfläche der weißen Tasten ebenso mit drei gekrümmten Fingern Oberfläche der weißen und Vorderfläche der schwarzen Tasten (gleichzeitig) mit Fingernagel bei gestrecktem Finger Oberfläche der schwarzen Tasten ebenso, evtl. mit mehreren gestreckten Fingern Stimmstifte (Wirbel) ebenso, evtl. mit mehreren gestreckten Fingern Saiten zwischen Stimmstiften und Sattel

gliding over the front surface of the white keys with thumb nail (direction of the motion from the edge towards the middle) or the nail of the extended index finger (movement from the middle towards the edge) upper surface of the white keys with the fingernail of an extended finger upper surface of the white keys the same way, but with three curved fingers upper surface of the white keys and front surface of the black keys (simultaneously) with the fingernail of an extended finger upper surface of the black keys the same way, but possibly with several extended fingers tuning pegs, also possible with several extended fingers strings between the tuning pegs and the felt strip

Diese Zeichen markieren immer zugleich den zeitlichen Beginn der so gekennzeichneten Bewegungsaktion. Die Lautstärken der glissando-Bewegungen sollen durch variable Stellung der gleitenden Finger, durch Druckveränderung und Geschwindigkeit ständig modifiziert werden. Als weitere Spielweise ist eine Art pizzicato vorgesehen:

These signs also always indicate when such an action precisely begins. The volumes of the glissando motions should be constantly modified by the variable position of the sliding fingers and by the change of pressure and speed.

an der vorderen, seitlichen Tastenkante

at the front, lateral edge of the key

an der Stimmstiftspitze

at the tip of the tuning peg

auf den Saiten zwischen Stimmstiften und Sattel

on the strings between the tuning pegs and the felt strip

im normalen (hohen) Saitenbereich, nahe am Sattel

in the normal (upper) area of the strings, near the felt strip

A kind of pizzicato is intended as a further playing technique:

Diese „pizzicato“-Spielweise ist rhythmisch genau festgelegt. Die anzureißenden Tasten, Stimmstifte, Saiten sollen aber frei gewählt und variiert werden in Anlehnung an oder in Abweichung von der im Text notierten Plazierung.

The “pizzicato” technique is rhythmically precisely determined. The keys, tuning pegs and strings to be jabbed should be chosen and varied freely, either conforming to or differing from the location indicated in the text.

Helmut Lachenmann

Helmut Lachenmann

aus: Studien zum Spielen Neuer Musik für Klavier hrsg. von Alfons Kontarsky, 2. Auflage, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 1991

from: Studies for Playing Contemporary Music for Piano edited by Alfons Kontarsky, 2nd Edition, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 1991 Breitkopf EB 9018


Guero

für Klavier

Edition Breitkopf 9018

Helmut Lachenmann, 1969 (rev. 1988)

© 1972 by Musikverlage Hans Gerig, Köln 1980 assigned to Breitkopf & Härtel, Wiesbaden


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Helmut Lachenmann Guero (1969, rev. 1988) für Klavier | for Piano

Helmut Lachenmann Weitere Klavierwerke | Further Piano Works

Aufführungsdauer | Duration etwa 4 Minuten | approx. 4 minutes Uraufführung | World Premiere Peter Roggenkamp (Klavier | Piano) Hamburg | 01/12/1970 Guero ist eine Studie, angeregt von Alfons Kontarsky, als dieser eine Sammlung kurzer Klavierstücke herausgab, denen charakteristische neue Spieltechniken zugrundeliegen sollten. Die jenem lateinamerikanischen Instrument abgeschaute Spielweise, das Gleiten über eine geriffelte harte Oberfläche, ist indes „charakteristisch“ allenfalls im prinzipiellen Sinn, nämlich als Beispiel eines verfremdeten Umgangs mit einem kulturellen Requisit wie dem Konzertflügel, dessen eingebürgerte Bedeutung hier höchstens als umgangene wirksam wird. Der unmittelbar wahrzunehmende klanglich-formale Zusammenhang bezieht sich in diesem Stück auf die sich anbietenden verschiedenen „Guero“-Klaviaturen (Tastenflächen, Wirbel, Saiten) jenes Möbelstücks und auf die daran geknüpften Bewegungsformen als Varianten eines quasi perforierten Glissandos. In seiner einfachen Koppelung von Verweigerung und Angebot bedeutet Guero eine manuelle und zugleich psychologische Studie für den Pianisten, der, von seinem pianistischen Repertoire im Stich gelassen, dennoch als Musiker ausharren und sich finden muß – eine Studie auch für den Hörer. (Helmut Lachenmann, 1977)

Berliner Kirschblüten (2016/17) 4 min. Marche fatale (2016/17) 8 min. SERYNADE (1997/98) 30 min. Ein Kinderspiel (1981) 17 min. Sieben kleine Stücke | Seven little pieces 1. Hänschen klein 2. Wolken im eisigen Mondlicht | Clouds in icy moonlight 3. Akiko 4. Falscher Chinese (ein wenig besoffen) | Fake Chinese (slightly drunk) 5. Filter-Schaukel | Filter swing 6. Glockenturm | Bell tower 7. Schattentanz | Shadow dance Wiegenmusik (1963) 4 min. Echo andante (1962) 12 min. Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert (1957) 10 min.

Guero, Studie über einen Verfremdungsgebrauch: Das Klavier als sechsmanualige Variante (Tastenflächen, Wirbel, Saiten) jenes lateinamerikanischen Instruments (eigentlich „Guiro“) verweigert sich und bietet sich neu an. Eine Spielstudie auch für den Pianisten, der von seinem erworbenen pianistischen Können getrennt wird und dabei nun erst recht als Musiker sich finden muß; in der strikten Beschwö9 790004 179024 rung des „Un-Klangs“ nicht zuletzt auch eine Studie für den Hörer selbst. (Helmut Lachenmann, 1988)

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