BV 309 - Ziegenrücker, ABC Musik

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Wieland Ziegenrücker

ABC Musik

Allgemeine Musiklehre



Wieland Ziegenrücker

ABC Musik · Allgemeine Musiklehre 446 Lehr- und Lernsätze

Fassung 2009


Für meine Frau Margot

BV 309 ISBN 978-3-7651-0309-4 © 1977 by Deutscher Verlag für Musik, Leipzig © 1997 by Breitkopf & Härtel, Wiesbaden (Neuausgabe) 9., korrigierte Auflage 2022 Alle Rechte vorbehalten Großdruckausgabe: BV 398   ISBN 978-3-7651-0398-8 Umschlaglayout: nach einem Entwurf von Doris Jausly, Wiesbaden Notengrafik: Notensatz ARION, Baden-Baden Satz und Layout: Kontrapunkt Satzstudio Bautzen Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Printed in Germany


Vorwort Neben dem Singen, Musizieren und bewussten Musikhören trägt das Beherrschen der Elementarlehre, die Kenntnis wesentlicher melodischer, harmonischer und rhythmischer Zusammenhänge, zum Verstehen der vielgestaltigen musikalischen Erscheinungen bei. Dieses Buch führt in die Grundlagen der Musik ein und möchte den Lernenden beim Aneignen des notwendigen Wissens unterstützen, darüber hinaus dem Fortgeschrittenen zur Wiederholung und zum Nachschlagen dienen. Deshalb steht im Vordergrund das Bemühen, den reichhaltigen, oft nicht leicht verständlichen Stoff in knapper, übersichtlicher Form methodisch geordnet und in nummerierten Lehr- und Lernsätzen aufbereitet darzubieten. Kennziffern gliedern das Material und gestatten zahlreiche Verweise im Text. Bewusst wurden viele Notenbeispiele herangezogen, um immer wieder die Verbindung zur Musikpraxis herzustellen. Fragen und Aufgaben am Ende der Kapitel ermöglichen gezielte Selbstkontrolle und sollen zur weiteren Beschäftigung anregen. Das Register enthält zum raschen Aufsuchen und Informieren sowohl die Kennziffer des Besprochenen als auch kurze Erläuterungen weiterer wichtiger Begriffe und Fachwörter, ggf. deren Ausprache. Im Anhang finden sich tabellarische Übersichten, die den Stoff ergänzen. Der Inhalt konzentriert sich auf die gegenwärtige Musikpraxis in ihren vielfältigen, der abendländische Musiktradition verbundenen Erscheinungsformen bis hin zur Neuen Musik. Historische Entwicklungslinien werden aufgezeigt, wenn sie für das Verständnis heutiger Gegebenheiten notwendig sind. Dem zunehmenden Interesse an außereuropäischen Musikkulturen wird bei geeigneten Themen wie z. B. den Tonsystemen, Skalen und Instrumenten entsprochen. Das Erklären rhythmischer, melodischer und harmonischer Besonderheiten von Jazz und populärer Musik bereichert die Themenvielfalt der traditionellen Musiklehre. Gerade in den letzten Jahren erschien zu nahezu jedem der hier behandelten Themen eine umfangreiche Spezialliteratur, die dem nach weiterer Stoffvertiefung Suchenden nachdrücklich empfohlen sei. Das betrifft beispielsweise die Bereiche Musikakustik, Gehörbildung, Harmonielehre und Jazzharmonik, Formenlehre, Musikanalyse, Instrumentenkunde, Instrumentation und Arrangieren. Auch auf die Sachbücher zum Themenkreis elektronische Musik und Recording, deren Erläuterungen den Rahmen des vorliegenden Buches gesprengt hätten, wird verwiesen.


Zur Neufassung 2009 Über 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung wurde nunmehr dieses Buch trotz oder gerade wegen seiner ungebrochenen Popularität einer umfangreichen Überarbeitung unterzogen. Die mehrjährige Beschäftigung mit meiner dreibändigen Praktischen Musiklehre, ebenfalls im Musikverlag Breitkopf & Härtel erschienen (BV 311, 312, 313), sowie viele damit verbundene, anregend-kritische Gespräche führten einerseits zum Hinterfragen dieser oder jener Formulierung, weckten andererseits den Wunsch nach sachbezogenem Ergänzen bzw. inhaltlichem Erweitern. So wurden z. B. den akustischen Grundlagen der Musik stärkere Beachtung geschenkt, insgesamt mehr historische Bezüge hergestellt, bei den Tonleitern die Tonschritt-Symbole der heutigen Unterrichtspraxis angepasst, viele Musikinstrumente neu aufgenommen, Register und Fachworterklärung erweitert, eine Zusammenstellung wichtiger Harmonie-Funktionszeichen eingefügt und die Angaben zur Akkordsymbolschrift auf den aktuellen Stand gebracht. Das ständige Bemühen um eine verständliche Darstellung und sprachliche Klarheit gehört zu meinem methodischen Anliegen. Ein Großteil der Textabschnitte ist deshalb neu formuliert, Tabellen und Notenbeispiele sind verbessert und ergänzt. Das bewährte Prinzip durchgängiger Nummerierung der Lehr- und Lernsätze wurde selbstverständlich beibehalten; pädagogische Einrichtungen, die ihre Lehrpläne und Übungsmaterialien auf diese Allgemeine Musiklehre abgestimmt haben, können die Neufassung uneingeschränkt übernehmen. Mein Dank gilt all jenen, die ich in diesem Fach unterrichtet habe, denn ihre vielen Fragen forderten von mir immer wieder neue methodische Ansätze mit hoffentlich befriedigenden Antworten, die letztlich zur Grundlage dieses Buches wurden. Weiterhin den Lesern und Fachkollegen, die mit ihren kritischen Hinweisen nunmehr beseitigte Schwachstellen aufdeckten (und mich vielleicht auf weitere aufmerksam machen werden?). Mein Dank gilt dem Verlag Breitkopf & Härtel, der diese Neufassung initiierte, insbesondere meinem umsichtigen Lektor Friedhelm Pramschüfer, und all denen, die zur Gestaltung und Herstellung dieses Buches beitrugen. Möge auch diese Neuausgabe mithelfen, den Zugang zur Musik zu erleichtern und zum Musizieren anzuregen – dafür wurde sie geschrieben. Leipzig, Sommer 2009

Wieland Ziegenrücker


Inhalt Hinweis: Nach den Überschriften steht in Klammern die Nummer der Lehr- und Lernsätze.

Von den Grundlagen der Musik Musik (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ton, Klang, Geräusch und Knall (2–7) . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gehör (8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Stimmton (9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimmung und Tonsystem (10–12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Elemente der Musik (13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 10 14 15 16 20 21

Von den Noten Die Note (14–20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise zum richtigen Notenbild (21–27) . . . . . . . . . . . . . Notennamen und Stammtonreihe (28–32) . . . . . . . . . . . . . . Die Notenschlüssel (33–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Oktavbereiche (43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur räumlichen Einteilung (44–49) . . . . . . . . . . . . . . . . . Versetzungszeichen und Vorzeichnung (50–61) . . . . . . . . . . . Enharmonische Verwechslung und Umdeutung (62/63) . . . . . . Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 26 28 30 34 36 38 42 44 46

Vom Rhythmus Allgemeines (64) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Notenwerte und Pausenzeichen (65–72) . . . . . . . . . . . . Punktierung (73–75) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überbindung (76–78) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unregelmäßige Unterteilungen (79–84) . . . . . . . . . . . . . . . Metrum und Takt (85–90) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Taktarten (91–96) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Taktwechsel (97–100) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volltakt und Auftakt (101–103) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Taktieren (104) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 53 54 56 59 61 65 67 68


Abweichungen vom rhythmischen Grundwert (105–107) . . . . . . Metrische Gegebenheiten im Notenbild (108­–117) . . . . . . . . . Verlagerung der Betonungen (118–120) . . . . . . . . . . . . . . . Synkope und Hemiole (121–123) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polyrhythmik und Polymetrik (124/125) . . . . . . . . . . . . . . . Metrisch ungebundene Musik (126/127) . . . . . . . . . . . . . . . Vom Tempo (128–135) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rhythmus-Grundfiguren – eine Hilfestellung (136/137) . . . . . . Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 70 73 74 76 80 82 85 87 88

Die Intervalle Allgemeines (138–142) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reine, große und kleine Intervalle (143–146) . . . . . . . . . . . . Übermäßige und verminderte Intervalle (147–151) . . . . . . . . . Komplementärintervalle (152/153) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Hinweise (154/155) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsonante und dissonante Intervalle (156–159) . . . . . . . . . . Diatonische, chromatische und enharmonische  Intervalle (160–162) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93 94 96 99 99 106 107 108 109

Die Tonleitern Allgemeines (163–165) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Tetrachordaufbau (166–168) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tonleiter und Tonart (169) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Durtonleiter (170–176) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Durtonleitern mit # -Vorzeichnung (177/178) . . . . . . . . . . Die Durtonleitern mit b -Vorzeichnung (179–181) . . . . . . . . . . Übersicht zur Durtonleiter (182) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quintenzirkel und Quintenspirale (183/184) . . . . . . . . . . . . . Zur Vorzeichnung (185–188) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die reine, natürliche Molltonleiter (189/190) . . . . . . . . . . . . Die harmonische Molltonleiter (191/192) . . . . . . . . . . . . . . Die melodische Molltonleiter (193) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Übersicht zu den Molltonleitern (194–196) . . . . . . . . . . . . . . . . . Parallel- und Varianttonart (197–201) . . . . . . . . . . . . . . . . Die chromatische Tonleiter (202–204) . . . . . . . . . . . . . . . . Pentatonik (205/206) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

112 113 114 114 116 117 118 119 120 124 125 126 127 130 131 133


Die Modi, die Kirchentonarten (207–213) . . . . . . . . . . . . . . Die Ganztonleiter (214/215) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folkloristische Bezugsreihen (216–218) . . . . . . . . . . . . . . . Skalenbildung im 20./21. Jahrhundert (219) . . . . . . . . . . . . . Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135 142 143 145 147 148

Von den Akkorden und den harmonischen Verwandtschaften Allgemeines (220/221) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Dreiklänge und ihre Umkehrungen (222–227) . . . . . . . . . Methodische Hinweise (228–230) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die leitereigenen Dreiklänge in Dur und Moll (231–233) . . . . . . Die Hauptdreiklänge, die Kadenz (234–241) . . . . . . . . . . . . Die Verbindung der Hauptdreiklänge im vierstimmigen Satz (242–248) . . . . . . . . . . . . . . . . . Parallel-, Gegen- und Variantklänge (249–256) . . . . . . . . . . . Die Septimenakkorde (257–267) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nonenakkorde (268) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akkorde mit hinzugefügter Sexte (269/270) . . . . . . . . . . . . Dominantische und subdominantische Erweiterung der Kadenz (271–274) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Jazz-Kadenz (275/276) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Medianten (277/278) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Trugschluss (279–281) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Modulation (282/283) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Akkordaufbau und harmonischen Strukturen in neuerer Musik (284–290) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atonalität (291–297) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151 152 155 158 160 164 167 172 176 176 178 181 183 185 185 187 191 197 199

Von der Melodie Allgemeines (298–302) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Beziehungen der Melodietöne zu Harmonie und Metrum (303–309) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Motiv (310–319) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Periodische Reihung (320–324) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Liedformen (325–341) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Thema (342–344) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201 203 205 209 211 221


Homophoner und polyphoner Satz (345–349) . . . . . . . . . . . . 222 Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Zum musikalischen Vortrag Die Dynamik (350–356) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phrasierung und Artikulation (357–360) . . . . . . . . . . . . . . . Vortragsbezeichnungen und Spielanweisungen (361/362) . . . . . . Die Verzierungen (363–373) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vibrato, Glissando und Tremolo (374–376) . . . . . . . . . . . . . Abbreviaturen und Repetitionszeichen (377–382) . . . . . . . . . . Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

228 230 232 233 237 238 241

Von den Musikinstrumenten Allgemeines (383–389) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streichinstrumente (390–392) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zupfinstrumente (393–400) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besaitete Tasteninstrumente (401–404) . . . . . . . . . . . . . . . Holzblasinstrumente (405–411) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blechblasinstrumente (412–417) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orgel und Harmonikainstrumente (418–422) . . . . . . . . . . . . Schlag- oder Perkussionsinstrumente (423–433) . . . . . . . . . . Die Stimmlagen (434–436) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transponierende Instrumente (437/438) . . . . . . . . . . . . . . . Partitur und Besetzungsformen (439–446) . . . . . . . . . . . . . Zur Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243 245 246 252 254 259 264 267 277 278 282 294

Sachregister und Fachworterklärung . . . . . . .

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Anhang 1 Übersicht zur absoluten Tonhöhen- und Tonartbenennung . . . . 2 Übersicht zur Tabulaturnotierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Übersicht zur Notierung von Tönen mit unbestimmter Tonhöhe . 4 Übersicht zu den in diesem Buch verwendeten Zeichen zur Funktionsharmonik . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Übersicht zur Taktsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Übersicht zur relativen Tonhöhenbenennung . . . . . . . . . . . 7 Übersicht zur Generalbass-Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Übersicht zur Akkordsymbolschrift . . . . . . . . . . . . . . .

342 343 344 345 348 349 350 352


Von den Grundlagen der Musik

Musik

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1 Nach der antiken griechischen Mythologie stellt die Musik ein Geschenk des Gottes Apollon und der Musen dar. Ihre Geschichte ist eng mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft verbunden, bestimmt von nationalen und territorialen Eigenheiten, immer wieder geprägt von herausragenden Persönlichkeiten, von beispielgebenden Meisterwerken. Musik wirkt – in vielfältiger Weise mit dem Leben, mit unserem Alltag verbunden – bewusst und unbewusst auf den Menschen, auf Musikausübende wie Musikhörer, ein. Musik entsteht, lebt, wird wahr- bzw. aufgenommen im Spannungsfeld von Gefühl und Verstand, Inspiration und Handwerk, Entdeckung und Erfahrung, Naivität und professioneller Ausbildung, Neuorientierung und Traditionsbewusstsein, Improvisation und schriftlicher Fixierung. Schaffenden wie nachschaffenden Musikern (Komponisten und Interpreten) stehen als Materialien Töne, Klänge und Geräusche zur Verfügung, die sie nach überlieferten oder neu bestimmten Prinzipien und Regeln ordnen und gestalten. So unterscheiden sich Komponist und Folkloresänger, Kirchenorganist und Rockmusiker – oder wie man auch immer die Spannweite musikalischer Äußerungen darstellen will – nicht nur in ihrer sozialen Funktion, sondern insbesondere auch in der Auswahl und im differenzierten Einsatz der musikalischen Mittel und deren Verarbeitung sowie natürlich in der Zweckbestimmung des künstlerischen Ergebnisses. Es gibt viele Möglichkeiten, die Musik zu untergliedern, z. B. in geistliche und weltliche Musik, nationale und universelle Musik (»Weltmusik«), Alte und Neue Musik, artifizielle (Kunst-) und populäre Musik bzw. E- und U-Musik, Vokal- und Instrumentalmusik, Orchester- und Kammermusik, Streicher- und Bläsermusik, elektronische Musik, Oper, Ballett, Jazz, Rock, Folklore …

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Ton, Klang, Geräusch und Knall 2 Wir erleben Musik als »Hörkunst«; sie erreicht unsere Ohren als Schall. Ein elastischer Körper, der fest (z.B. die Saiten des Klaviers, das Fell der Trommel) oder auch gasförmig (z.B. die Luftsäule in der Flöte) sein kann, dient als Schallerzeuger. Durch äußere Einwirkungen (z.B. durch Anschlagen der Saite oder des Felles, durch Anblasen der Flöte) gerät dieser Körper in Schwingungen, er wird zur Schallquelle. Das die Schwingungen weiterleitende Medium, der Schallträger, ist die Luft: Der Schwingungsimpuls erzeugt Druck, die Luftteilchen verdichten sich, dehnen sich aber aufgrund ihrer Elastizität wieder aus und geben so den Druck an die benachbarten Teilchen weiter. Die so entstehende Schallwelle breitet sich stets kugelförmig mit gleichbleibender Geschwindigkeit (343 m/s bei 20° C) aber abnehmender Stärke aus. Sie wird vom Schallempfänger (Ohr) aufgenommen und verarbeitet. Dieser Prozess kann auch auf elektrisch-elektronischem Wege (Lautsprecher Mikrofon) vollzogen werden. Wir empfinden den uns erreichenden Schall unterschiedlich und ordnen ihn den Schallarten Ton, Klang, Geräusch und Knall zu.

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3 Der »reine« oder »einfache« Ton ist aus Sicht des Akustikers das Ergebnis einer regelmäßigen, periodischen Sinusschwingung. Zu den wichtigsten Eigenschaften zählen Tonhöhe und Tonstärke.

Elongation (Abstand vom Ruhepunkt)

Grafische Darstellung einer Sinusschwingung: Amplitude (Schwingungsweite)

Sample page Zeit

Periode (ganze Schwingung, Schwingungsdauer)

Die Tonhöhe ergibt sich im Wesentlichen aus der Anzahl der Schwingungen pro Sekunde, gemessen in Hertz (Hz; benannt nach dem Physiker Heinrich Hertz), bezeichnet als Frequenz (frequentia, lat. = Menge, Anzahl).

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Im Vergleich: • hohe Schwingungszahlen entsprechen hohen Tönen, • niedrige Schwingungszahlen entsprechen tiefen Tönen. Auf Musikinstrumente übertragen bedeutet das z.B.: •  kurze, dünne Saiten – hohe Töne, lange, dicke Saiten – tiefe Töne (Klavier, Harfe); •  kleine, kurze Pfeifen – hohe Töne, große, lange Pfeifen – tiefe Töne (Orgel, Panflöte).

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Bestimmend für die Ton- oder Lautstärke (Schallstärke) ist neben der Frequenz hauptsächlich die Weite der Schwingung (Schalldruck). Die größte Entfernung vom Ruhepunkt trägt den Namen Amplitude (lat. = Weite, Größe). Je größer die Amplitude, desto stärker der Ton. Amplitude

starker Ton

schwacher Ton

Unser Gehörsinn empfindet die Lautstärke subjektiv unterschiedlich: mittlere Frequenzen erscheinen lauter als höhere oder tiefere. Als Maßeinheit für den Lautstärkepegel gilt das Phon (phoné, griech. = Ton, Laut), wobei als Ausgangswert (0 Phon) die menschliche Hörschwelle bei einer Frequenz von 1.000 Hz angesehen wird. Die Schmerzgrenze liegt bei etwa 130 Phon. Elektroakustiker nutzen eine weitere relative Maßeinheit für die Lautstärke, konkret für den Schalldruckpegel, das Dezibel (dB; decimus, lat. = zehnter, »bel« nach dem Erfinder des Telefons A. G. Bell).

Sample page 5 Der Ton als Ergebnis einfacher sinusförmiger Schwingungen ( 3) kann nur im Tongenerator erzeugt werden. In der Natur und in der praktischen Musikausübung (Einsatz elektronischer Musikinstrumente ausgenommen) ist der Sinuston kaum anzutreffen, weil hier zur Grundschwingung, dem Grundton, weitere periodische Schwingungen hinzukommen, die ganzzahlige Vielfache der Grundschwingung sind. Man nennt sie harmonische Obertöne, auch Partialtöne (pars, lat. = Teil) oder Teiltöne. 11


Über dem Grundton C ergibt sich folgende theoretisch unendliche, auf alle anderen Tonstufen transponierbare Reihe: etwas tiefer tiefer als als notiert) notiert) (( == etwas GrundGrundton ton

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Partialtöne: 11 Partialtöne:

22

33 44

55

66 77 88 99 10 10 11 11 12 12 13 13 14 14 15 15 16 16

Obertöne: Obertöne:

G G 11

22 33

44

55 66 77 88

SaitenSaitenverhältnis: verhältnis:

11 11

11 11 33 44

11 55

11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 10 11 11 12 12 13 13 14 14 15 15 16 16 66 77 88 99 10

11 22

99 10 10 11 11 12 12 13 13 14 14 15 15

• In der Partialtonreihe ist der Grundton der l. Partialton. • Die Obertonreihe beginnt über dem Grundton: 1. Oberton ist der 2. Partialton. Die unter Darstellung dem Notenbeispiel angegebenen Saitenverhältnisse bezieBildliche der Saitenverhältnisse: hen sichderauf die Unterteilung einer schwingenden Saite (Mono(Teilung schwingenden Saite) chord): schwingende Saite

1 = Grundton (C) 1 1 = Oktave (c) 2 1 = Oktave + Quinte (g) 3 1 = Doppeloktave (c1) 4

Sample page usw.

abgeleitete Intervallverhältnisse: Aus der Partialtonreihe lassen sich auch die grundlegenden Intervallverhältnisse reine Oktaveableiten: 1:2 reine Quinte 2:3 reine Oktave 1. Partialton C : 2. Partialton c reine Quarte 3:4 reine Quinte 2. Partialton c : 3. Partialton g große Terz 4:5 reine Quarte 3. Partialton g : 4. Partialton c¹ kleine Terz 5:6 große Terz 4. Partialton c¹ : 5. Partialton e¹ große Sekunde 8:9 kleine Terz 5. Partialton e¹ : 6. Partialton g¹ kleine Sekunde 15 : 16 große Sekunde 8. Partialton c² : 9. Partialton d² kleine Sekunde 15. Partialton h² : 16. Partialton c³

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Die Stärke und damit die Wahrnehmung der Obertöne nimmt mit zunehmender Entfernung vom Grundton ab. Die Partialtonreihe entspricht der sog. Naturtonreihe. Diese erklingt z.B. in den Blechblasinstrumenten ohne Zuhilfenahme von Ventilen oder Zügen, wobei der Grundton nicht bei allen Instrumenten anspricht. Eine der Obertonreihe analoge Untertonreihe ist zwar mathematischphysikalisch berechenbar, in der Musik jedoch kaum genutzt (Untertongesang).

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6 Der Akustiker bezeichnet im Gegensatz zum »reinen« Ton die hörbare Summe von Grundton und Obertönen als Klang. Im allgemeinen Sprachgebrauch, auch dem der Musiker, wird dafür jedoch der Begriff Ton verwendet – Klang definiert dann das gleichzeitige Hörergebnis von zwei oder mehreren Tönen, den Zusammenklang, akustisch den Mehrfachklang. Der »musikalische« Ton stellt also eine komplexe Erscheinung dar. In einem weiteren Sinne bedeutet »Ton« Ausdruck einer subjektiv empfundenen Klanglichkeit: die Stradivari-Geige hat einen »schönen, warmen Ton«, der Blues-Sänger verfügt über einen »rauen, rauchigen Ton« usw. Trotz aller hinzugefügten Teilschwingungen bleibt die Frequenz des Grundtons so dominierend, dass unserer Hörsinn dessen Tonhöhe eindeutig zuordnet. Anzahl, Stärke und Zeitdauer der mitschwingenden Obertöne sind bei jedem Instrument und den differenzierten Spielweisen, aber auch bei jedem gesungenen oder gesprochenen Vokal unterschiedlich und bilden das typische Klangspektrum. Sie bestimmen entscheidend die Klangfarbe, die jedoch auch von Bau und Material der Instrumente, von den Ein- und Ausschwingvorgängen u. a. Faktoren abhängt. Von Bedeutung ist hierbei die Resonanz (resonantia, lat. = Widerhall): Der Resonanzkörper der Streich- und Zupfinstrumente bzw. der Resonanzboden im Flügel verstärkt nicht nur den Schall, sondern lässt auch bestimmte Frequenzbereiche innerhalb der Obertöne (Formante genannt) hervortreten. So kommt es, dass ein Ton von gleicher Höhe und Stärke auf verschiedenen Instrumenten unterschiedlich klingt – das trifft natürlich auch durch die individuelle Formung von Stimmbändern, Mund-, Nasen- und Rachenraum auf die menschliche Sprech- und Singstimme zu. Oft enthält der Ton bzw. Klang auch einige nichtperiodische Schwingungen, also Geräuschanteile, die z.B. beim Anschlagen oder Anblasen entstehen. Neben Höhe, Dauer und Stärke gehört die Klangfarbe zu den grundlegenden, charakteristischen Eigenheiten eines Tones.

Sample page 13


Unter dem Begriff Sound (engl. = Klang) findet die Klangfarbe in der Rock- und Popmusik in einem erweiterten Sinne Anwendung, da sie durch die meist elektronische Klangerzeugung und -verstärkung sowie durch Klangmanipulation und den Einsatz zahlreicher Effektgeräte ein stilprägendes Element bildet.

7

Das aus unregelmäßigen, aperiodischen Schwingungen resultierende Geräusch hat keine exakt bestimmbare Tonhöhe. Frequenz und Stärke seiner Bestandteile ändern sich zeitlich und unterliegen nicht einer geregelten Gesetzmäßigkeit. Die Teilschwingungen bilden kein ganzzahliges Verhältnis, es entstehen unharmonische Obertöne. In unseren Hörempfindungen ordnen wir einen plötzlich auftretenden kräftigen Schallimpuls ohne erkennbare Tonhöhe als Knall ein. In der Musik der vergangenen Zeit waren Geräusche, abgesehen von den rhythmusgebenden bzw. -verstärkenden Schlaginstrumenten, meist nur als illustratives Element eingesetzt, z.B. Peitschenknall, Donner, Sturm, Pferdegetrappel und Vogelgezwitscher. Erst seit dem 20. Jh. bilden Geräuschanteile in der zeitgenössischen Musik, besonders im Elektronik- und Popmusikbereich, ein bereicherndes kompositorisches Element.

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Das Gehör 8 Über das schallübertragende Medium Luft ( 2) erreichen die Schwingungen des Schallerregers unser Ohr. Im Innenohr erfolgt die Umwandlung der akustischen Reize in nervöse Impulse, die im Hörzentrum der Großhirnrinde, dem auditiven Cortex, geordnet und verarbeitet werden. Ein gesundes menschliches Ohr nimmt Schwingungen von ca. 16 Hz in der Tiefe bis etwa 20.000 Hz im oberen Bereich wahr, mit zunehmendem Alter abnehmend. Töne um 16 Hz, z.B. die tiefsten Pedaltöne der Orgel, erscheinen uns jedoch nur als vibrierendes Brummen. Dagegen wirken die sehr hohen Töne der Pikkoloflöte um 3.500 Hz auf uns schrill und zum Teil schon schmerzhaft. Noch höhere Frequenzen werden als Grundtöne wenig genutzt, sie bleiben den mitschwingenden Obertönen vorbehalten. Ein auf beiden Ohren gesunder und im Hören geübter Mensch kann im mittleren Tonbereich Differenzen bis ein Sechzigstel eines Ganztonschritts, also um 3 Hz, feststellen. Ebenso vermag er etwa 325 Lautstärken oberhalb der Hörschwelle und unterhalb der Schmerzgrenze auseinander zu halten.

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Ein gutes, für die musikalischen Belange geschultes Gehör ist für jeden Musiker unerlässlich. Man unterscheidet: •  das absolute Gehör – auch Tonhöhengedächtnis; das seltener anzutreffende exakte Benennen einzelner Tonhöhen und Tonarten (passives absolutes Gehör) bzw. Ansingen von Noten ohne Klangvorgabe und äußere Hilfsmittel (aktives absolutes Gehör); •  das relative Gehör – das für jeden Musiker unbedingt notwendige Erfassen von Intervallen, Leitern, Klängen, Harmonien, Rhythmen, Formabläufen usw. in vergleichender Beziehung zueinander; •  das innere Gehör – die durch langjährige Erfahrung und Übung erworbene Fähigkeit, einen Notentext stumm, nur in der eigenen Klangvorstellung mit den entsprechenden vokalen und instrumentalen Klangfarben zu »hören«.

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Der Stimmton 9 Grundlage beim Musizieren mit mehreren Instrumenten oder beim Chorgesang ist ein einheitlicher Bezugspunkt zum Einstimmen – der Stimmton, auch Kammer- oder Normalton. Er unterlag in seiner Tonhöhe im Verlauf der Musikgeschichte beträchtlichen Schwankungen. So gab es neben dem Kammerton (für die kleinen Ensembles an den Höfen) z.B. den Chor- bzw. Kapellton für Sänger, den Opernton und für die Stadtpfeifer den Cornettton. Voraussetzung für die Vorgabe einer einheitlichen Tonhöhe war die Erfindung der Stimmgabel 1711 durch den Engländer John Shore. 1788 betrug das a¹ der Pariser Stimmung 409 Hz, 1858 das der Wiener Stimmung 435 Hz. 1939 legte man den Stimmton auf einer internationalen Konferenz in London neu fest: a¹ = 440 Hz bei einer Temperatur von 20° C (bestätigt durch den Europarat 1971). Gegenwärtig bevorzugen die Musiker aus Gründen der Klangbrillanz meist eine noch höhere Frequenz. Besonders bei Aufführungen auf historischen Instrumenten ist es wichtig zu wissen, nach welcher Frequenz seinerzeit eingestimmt wurde (z.B. um 415 Hz für barockes, um 430 Hz für klassisches Instrumentarium). Während im sinfonischen und kammermusikalischen Bereich der Oboist oder der Konzertmeister das a¹ vorgibt, stimmen Bläsergruppen und Blasorchester aufgrund der transponierenden Instrumente ( 437 f.) oft nach dem Ton b¹ ein.

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Stimmung und Tonsystem 10 Die Stimmung legt das Verhältnis der Frequenzen von Tönen zueinander fest, bezogen auf ein Tonsystem ( 12). Das exakte Berechnen von Frequenzen bzw. das Festlegen von Tonhöhen erfordert einen Bezugston, z.B. den Stimmton ( 9). Im Verlaufe der abendländischen Musikentwicklung und des damit verbundenen Wandels des Klangideals gab es viele Versuche mit unterschiedlich berechneten Stimmungen, die zwar alle gewisse Vorteile, aber auch einige Nachteile in Klang und Zusammenspiel mit sich brachten – je reiner die Stimmung einer Tonart, desto unreiner klangen die anderen mit zunehmender Entfernung der Grundtöne im Sinne des Quintenzirkels ( 183 f.). •  Die pythagoreische Stimmung, benannt nach dem griechischen Philosophen und Mathematiker Pythagoras (um 570 – um 500 v. Chr.), basiert auf der reinen Quinte im Schwingungszahlverhältnis 2 : 3. Pythagoras reihte für die Berechnung zwölf Quinten aneinander und erreichte sieben Oktaven höher den Ausgangston – die 12. Quinte (eis5) entspricht der 7. Oktave (f 5).

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7 Oktaven: F1 12 Quintschritte:

F

f

f

f

1

F1

C

G

d

a

e

h

abgeleitete, oktavversetzte Durtonleiter:

c

d

e

f

g

a

1

1

f

2

fis cis 2

3

f

3

gis

3

dis ais 4

f

4

4

5

eis

5

h

Sample page   Rechnerisch ergibt sich jedoch eine Differenz: eis 5 ist um 23,46 Cent ( 12) – also einen knappen temperierten Achtelton – höher als f 5. Diese Abweichung nennt man pythagoreisches Komma (Quintkomma). Sie führt auch bei anderen Intervallen zu Unreinheiten. In der Konsequenz dieser Berechnung schließt sich der Quintenzirkel nicht wirklich, da fis und ges durch das genannte Komma voneinander abweichende Frequenzen haben ( 184) – fis ist höher als ges, die Gleichsetzung erfolgte später in der gleichstufigen Stimmung ( 11). Dennoch war das pythagoreische System bis ins Mittelalter hinein gültig, erst mit dem Aufkommen des mehrstimmigen Musizierens musste nach anderen Lösungen gesucht werden.

16


•  Die reine (auch natürlich-harmonische) Stimmung ist in der natur-

gegebenen Gesetzmäßigkeit der Partialtonreihe ( 5) begründet. Didymos (um 65 v. Chr. – um 10 n. Chr.) bezieht sich in seinen Berechnungen auf die »Naturterz« im Schwingungsverhältnis 4 : 5 (Pythagoras gewann seine Terz aus vier Quintschritten, siehe Abb. S. 16). Nachteilig waren nunmehr zwei unterschiedlich große Ganztonschritte im Verhältnis 8 : 9 (c zu d, f zu g, a zu h) und 9 : 10 (d zu e, g zu a) mit einer Differenz von 21,5 Cent (= syntonisches oder didymisches Komma, Terzkomma).   Reine Stimmung lässt auf Instrumenten mit fixierten Tonhöhen letztlich nur das Musizieren in der Tonart zu, auf deren Grundton sie aufbaut. Modulationen ( 282) in entferntere Tonarten klingen unbefriedigend. Auf Tasteninstrumenten müssten, um in unterschiedlichen Grundtonarten klangschön spielen zu können, für einzelne Töne zwei oder mehr Tasten vorhanden sein (entsprechende Konstruktionen setzten sich jedoch nicht durch).

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11 Es gab immer wieder Überlegungen, die spieltechnischen Probleme bei Anwendung der pythagoreischen und der reinen Stimmung zu minimieren und einen vertretbaren rechnerischen Ausgleich zwischen den Intervallen herzustellen, um vor allem auf Tastenund Lauteninstrumenten in möglichst vielen Tonarten musizieren zu können. Diese Versuche, die hier nur in Auswahl beschrieben werden, führten zu den Temperaturen (temperatura, lat. = richtige Mischung). •  Schon im 16. Jh. verwendete man mitteltönige Temperaturen. Die gebräuchlichste Variante basiert auf acht reingestimmten großen Terzen (damit auch auf einheitlichen Ganztonschritten), aber temperierten Quinten. Das Musizieren in der Renaissance beschränkte sich so meist auf die Tonarten Es-, B-, F-, C-, G-, D-, A- und E-Dur, ohne enharmonische Verwechslung von Tönen ( 62 f.), da die schwarzen Tasten nur auf cis, es, fis, gis und b gestimmt waren. Mitteltönige Temperaturen blieben, besonders im Orgelbau, bis ins 19. Jh. in Gebrauch. •  Die ungleichstufigen (ungleichschwebenden) Temperaturen, auch bekannt als wohltemperierte Stimmungen, kamen in den letzten Jahrzehnten des 17. Jh. auf. Sie wurden im Ensemblespiel notwendig und ließen, wenn auch mit Einbußen im Klang, das Musizieren in allen Tonarten zu. In diesen Temperaturen ging es vor allem um den Ausgleich von reingestimmten Terzen und Quinten, um

Sample page 17


ein geringes, kaum hörbares Verstimmen; so wichen z.B. auch die Größen der Halbtonschritte etwas voneinander ab. Jede Tonart erhielt so einen eigenständigen Klangcharakter, den die Komponisten häufig mit einer inhaltlichen Symbolik verbanden.   Zu nennen sind insbesondere die Stimmvorschläge von Andreas Werckmeister (1645–1706), Johann Philipp Kirnberger (1721–1783) und Francesco Antonio Vallotti (1697–1780). Diese (noch nicht gleichstufigen) Stimmungen liegen auch den beiden Folgen von Johann Sebastian Bachs »Das wohltemperirte Clavier« (1722 und 1742) zugrunde. •  Seit Mitte des 19. Jh. setzte sich zunehmend die gleichstufige (gleichtemperierte, gleichschwebende) Temperatur durch – sie ist ein in allen Tonarten gleichermaßen vertretbarer, übrigens schon um 1585 vom flämischen Mathematiker Simon Stevin berechneter klanglicher Kompromiss. Ausgangspunkt dafür war das pythagoreische System ( 10). Erhalten blieben die reinen Oktaven; das pythagoreische Komma wurde gleichmäßig auf die zwölf Quinten verteilt. An die dabei auftretenden geringen Unreinheiten (z.B. höher gestimmte große Terzen, tiefer gestimmte kleine Terzen) haben wir uns weitgehend gewöhnt, sie sind für das Gehör kaum noch von Bedeutung. Das Ergebnis: Die Oktave ist in zwölf gleich große Halbtöne aufgeteilt; fis/ges und andere enharmonische Töne können seither z.B. auf dem Klavier mit einer Taste angeschlagen werden.   Da nun in allen Tonarten gleiche Intervallverhältnisse herrschen, verliert die Tonartensymbolik an Bedeutung. Für die möglichst klanggetreue Aufführung alter Musik bzw. zum Stimmen historischer Instrumente wird heute noch auf in jener Zeit genutzte Stimmungen zurückgegriffen.

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Sample page Mit elektronischen Stimmgeräten, Synthesizern oder spezieller Software lassen sich historische und außerhalb Europas anzutreffende Stimmungen reproduzieren – eine gute Möglichkeit, sich mit deren Klangcharakteristik vertraut zu machen.

12

In einem Tonsystem sind ausgewählte Töne zusammengefasst, untereinander in Beziehungen gebracht und dabei nach akustischmathematisch festgelegten Abständen bestimmt. Tonsysteme widerspiegeln historische und regionale Musikentwicklungen. Ein übergreifendes Ordnungsprinzip stellt die Oktave ( 32, 139) dar.

18


Unser abendländisches, auf die griechische Antike zurückgehendes Tonsystem teilt die Oktave in zwölf Halbtonschritte. Wichtige Bezugsreihen bilden die siebenstufige (diatonische) Dur- und Molltonleiter. Kleinere Unterteilungen als Halbtonschritte, teilweise in neuerer Musik gefordert, werden als Mikrotöne bezeichnet; dazu zählen Drittel-, Viertel- und Achteltonschritte. In außereuropäischen Musikkulturen begegnen uns auch andere, nach unterschiedlichsten Gegebenheiten berechnete Tonsysteme. So beruhen beispielsweise die in Südostasien verbreiteten Tonsysteme Slendro auf der Unterteilung der Oktave in fünf fast gleich große Stufen und Pelog in sieben, unterschiedlich bemessene Stufen – alle Tonabstände sind jedoch seit Jahrhunderten exakt festgelegt. In der indischen Musiktheorie findet u. a. eine Oktavgliederung in 22 Shruti statt (vermutlich schon seit dem 1. Jh. n. Chr.). Als Maßeinheit führte der englische Akustiker John Ellis 1885 das Cent-System ein. Danach setzt sich der temperierte Halbton aus 100 gleichen Teilen (= 100 Cent) zusammen, die Oktave umfasst also 1.200 Cent.

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Übersicht der Hertz- und Cent-Werte zum chromatischen Tonraum c¹ bis c² in gleichstufiger Stimmung, bezogen auf den Stimmton a¹ mit 440 Hz: c¹

cis¹ des¹

dis¹ es¹

fis¹ ges¹

Hz

261,6

277,2

293,7

311,1

329,6

349,2

370,0

Cent

0

100

200

300

400

500

600

gis¹ as¹

ais¹ b¹

Hz

392,0

415,3

440,0

466,2

493,9

523,3

Cent

700

800

900

1.000

1.100

1.200

Sample page 19


Die Elemente der Musik 13

Die Ordnung des Materials (Ton, Klang, Geräusch) bildet in einem schöpferischen Prozess die Grundlage jeder musikalischen Gestaltung. Das zeitliche Nacheinander der Töne ergibt die Melodie, das zeitliche Miteinander mehrerer Stimmen die Harmonie. Der Rhythmus (die unterschiedlichen Tondauern), das Metrum (die durch betonte und unbetonte Zählzeiten bestimmte Taktordnung) und das Tempo (das Zeitmaß) bestimmen den zeitlichen Ablauf und bilden die bewegende Kraft. Von Bedeutung sind weiterhin die Dynamik (die Abstufungen durch die Tonstärkegrade) und die Klangfarbe, bedingt durch die verschiedenen Instrumente, die menschliche Stimme und die Möglichkeiten elektronischer Klangbeeinflussung.

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Sample page 20


Zur Wiederholung 1. Erläutere die Abfolge Schallerzeuger, Schallquelle, Schallträger, Schallwelle und Schallempfänger. (2) 2. Welche Schallarten unterscheiden wir? (2)

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3. In welcher Beziehung stehen Tonhöhe und Schwingungszahl? (3) 4. Was wird in Phon gemessen? (4) 5. Was sind Obertöne? (5)

6. Nenne die ersten acht Obertöne über dem Grundton C. (5) 7. Welches Intervall entsteht durch Halbierung einer schwingenden Saite? (5) 8. Erkläre den Begriff Naturtonreihe. Nenne »Naturton«-Instrumente. (5) 9. Wie definiert der Akustiker Ton und Klang, wie der Musiker? (6) 10. Was bewirkt der Resonanzkörper bei Musikinstrumenten? (6) 11. Wovon hängen Tonstärke und Klangfarbe ab? (4, 6)

Sample page 12. Worin unterscheidet sich das Geräusch von Ton und Klang? (7) 13. Beschreibe den Hörbereich eines gesunden Menschen. (8) 14. Unterscheide absolutes und relatives Gehör. (8)

15. Was versteht der Musiker unter »innerem« Gehör? (8)

16. Wozu dient der Stimm- bzw. Kammerton? (9) 17. Auf welche Frequenz wurde der heute gültige Stimmton festgelegt? (9)

21


18. Unterscheide pythagoreische und reine Stimmung. (10 f.) 19. Welche Stimmung liegt heute einem Tasteninstrument zugrunde? Begründe sie. (11) 20. Was ist ein Tonsystem? (12)

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21. Was sind Mikrotöne? (12)

22. Nenne die Elemente der Musik. (13)

Sample page 22


Von den Noten

Die Note

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14

Zur schriftlichen Aufzeichnung der Musik hat sich in unserem Kulturbereich in einem langen Entwicklungsprozess die Notenschrift herausgebildet. Sie umfasst das Liniensystem mit den unterschiedlichen Notenwerten, Zeichen und Symbolen (z.B. Schlüssel, Versetzungszeichen, Taktstriche, Artikulationshinweise), Zahlen (z.B. Taktangaben, unregelmäßige Unterteilungen, Fingersätze) und Worten bzw. deren Abkürzungen (z.B. Tempo- und Dynamikhinweise, spielpraktische Erklärungen). Obwohl es unmöglich ist, alle Feinheiten und Nuancierungen des musikalischen Geschehens schriftlich festzuhalten, stellt die Notenschrift ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Musikpraxis dar. Das wichtigste Symbol ist die Note (nota, lat. = Zeichen). Ihre Platzierung lässt die Tonhöhe erkennen, die äußere Gestalt entspricht der Tondauer. Somit hat jede Note zwei Bezeichnungen: •  für die Tonhöhe den Buchstaben als Notennamen ( 29), z.B. c, d, e … •  für die Tondauer ein mathematisches Verhältnis als Notenwert ( 67), z.B. Viertel, Achtel …

15

Die Note besteht aus dem leicht ovalen Notenkopf, der ausgefüllt (schwarz) oder hohl (weiß, nur umrandet) sein kann, und dem Notenhals (Stiel), an dessen Ende sich ein oder mehrere Fähnchen befinden können. Hohle Notenköpfe symbolisieren im Gegensatz zu der ausgefüllten Viertelnote die längeren Tondauern (Ganze, Halbe). Achtel, Sechzehntel und noch kürzere Tondauern sind mit Fähnchen gekennzeichnet (zur Balkensetzung 25).

Sample page 16 Zur Gestalt der Noten ( 66): Beachte die Stellung des Notenhalses ( 21) und die Richtung der Fähnchen ( 23). • hohler Kopf – Ganze ( ), Halbe ( ), • ausgefüllter Kopf, Hals ohne Fähnchen – Viertel ( ), •  ausgefüllter Kopf, Hals mit Fähnchen – Achtel ( ), Sechzehn), Vierundsechzigstel ( ), Zweiunddreißigstel ( ). tel ( 23


17

Die Noten werden in ein aus fünf parallelen Linien bestehendes Zeilensystem eingeordnet, wobei man sowohl die Linien als auch die vier Zwischenräume nutzt. Der Abstand von Linie zu Linie ist gleich. Wir zählen die Linien und Zwischenräume stets von unten nach oben. Liniennoten 5Liniennoten 45 4 3 23 12 1 Zwischenraumnoten 4Zwischenraumnoten 4 3 3 2 2 1 1

Leseprobe Die Größe der Notenköpfe entspricht dem Abstand der Notenlinien, Ausnahme: Stichnoten ( Sachregister).

Die auch heute noch für die Aufzeichnung der einstimmigen gregorianischen Choräle verwendete, bis ins 12. Jh. zurückreichende Choralnotation mit ihren quadratisch geformten Notenköpfen nutzt nur vier Notenlinien.

18

Wie die Buchstabenschrift liest man die Noten von links nach rechts. Die Wiedergabe von Tönen und Klängen im Notenbild lässt sich gut an einem Koordinatensystem verdeutlichen. Während die Senkrechte die Tonhöhe fixiert (tiefere Töne werden »unten« notiert, höhere »oben«), gibt die Waagerechte den zeitlichen Ablauf, den Rhythmus wieder. Daraus folgert: •  fortlaufend aufgezeichnete Noten erklingen nacheinander (z.B. in einer einstimmigen Liedmelodie), •  übereinander geschriebene Noten erklingen gleichzeitig (z.B. im zwei- oder mehrstimmigen Satz).

Sample page Tonhöhe

Tondauer

24


19 Noten, die außerhalb des Liniensystems liegen, erhalten sog. Hilfslinien. Diese Hilfslinien werden für jede Note einzeln geschrieben, nicht für mehrere durchgezogen.

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Zur Angabe der Notenpositionen: 1 2 5 3 4 Note 1 befindet sich auf der 2. Linie. Note 2 befindet sich im 3. Zwischenraum. Note 3 hängt an der 1. Linie. Note 4 liegt auf der 5. Linie. Note 5 befindet sich auf der 1. Hilfslinie über dem System. Note 6 befindet sich über der 2. Hilfslinie über dem System. Note 7 befindet sich auf der 2. Hilfslinie unter dem System. Note 8 befindet sich unter der 1. Hilfslinie unter dem System.

6

7

8

20

Das Anbringen vieler Hilfslinien erschwert die Lesbarkeit. Besser ist in solchen Fällen, den Notenschlüssel zu wechseln ( 38) oder bei extremen Lagen das Oktavierungs- bzw. Ottava-Zeichen (ottava, ital. = achte, Oktave) anzubringen. oder auch 8va (Kurzform für •  Noten, über denen das Zeichen 8 ottava alta bzw. ottava sopra, ital. = eine Oktave höher) steht, sollen acht Töne höher erklingen, bzw. 8va bassa (basso, ital. = •  Noten, unter denen das Zeichen 8 tief) oder ottava sotto steht, sollen eine Oktave tiefer erklingen.

Sample page 8

8

25


Bei Doppeloktavierung ist anstelle der 8 die Zahl 15 bzw. 15ma (quindicesima, ital. = fünfzehnte) notiert; diese Noten sind zwei Oktaven höher oder tiefer auszuführen. Die Doppeloktave mit der Zahl 16 (= 2 × 8) anzugeben, entspricht nicht dem tatsächlichen Intervallverhältnis ( 140). Zur Aufhebung der Oktavierung schrieb man früher über den betreffenden Takt loco bzw. al loco (ital. = am Ort).

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Hinweise zum richtigen Notenbild 1. Position des Notenhalses

21

Bei Noten unterhalb der Mittellinie (3. Linie) verläuft der Hals bei einstimmiger Notierung rechts vom Kopf nach oben, bei Noten auf oder über der Mittellinie links vom Kopf nach unten. Mittellinie

22

Sind mehrere gleichzeitig erklingende Töne in einem System zu notieren, so verbindet man die Notenköpfe meist mit einem Hals. Seine Stellung richtet sich nach der am weitesten von der Mittellinie entfernten Note (a). Bei gleichem Abstand von der Mittellinie weist der Hals nach unten (b). usw. b) b) usw.

a)a)

usw. usw.

===Bezugsnote Bezugsnote Bezugsnote

Sample page 2. Anwendung von Fähnchen und Balken

23 Die Fähnchen beginnen stets rechts am Ende des Notenhalses und öffnen sich zum Kopf. usw.

24 Mehrere aufeinanderfolgende kleine Notenwerte erhalten in der Vokalmusik meist Fähnchen, wobei jede Textsilbe ein eigenes, von den anderen getrenntes Notensymbol bekommt – die Notierung 26


erfolgt syllabisch (syllaba, lat. = Silbe). Sind auf eine Textsilbe mehrere Noten in kleinen Werten zu singen, bezeichnet als melismatisch (melisma, griech. = Gesang), so verbindet man sie mit einem Balken.

Leseprobe Das

Al

Wan

dern ist

le Vö

gel

des

sind

Mül

lers Lust ...

schon

da ...

25

In der Instrumentalmusik sind mehrere Achtel und kleinere Notenwerte durch einen Balken zusammengefasst, nur einzeln stehende Noten erhalten Fähnchen. Die Anzahl der Balken entspricht der Anzahl der Fähnchen. Die Lage der Balken richtet sich nach dem Abstand der Noten zur Mittellinie. Die bei der Balkensetzung notwendige Gruppierung der Noten sollte die metrischen Gegebenheiten verdeutlichen ( 108 ff.).

3. Notierung zweistimmiger Beispiele

Sample page 26

Sind in einem System zwei Stimmen gleicher rhythmischer Struktur notiert, so folgt die Niederschrift dem bisher Gesagten ( 22). Wenn jedoch der Rhythmus oder z.B. dynamische Angaben in den Stimmen voneinander abweichen, dann zeigt der Notenhals in der Oberstimme nach oben, in der Unterstimme nach unten. Um eine gute Lesbarkeit zu ermöglichen, müssen die Noten ihren Zeitdauern ( 67) und den Taktverhältnissen ( 108 ff.) entsprechend in der Notenzeile exakt untereinander platziert sein, den richtigen Untersatz aufweisen. aber

27


27 Aus der Stimmführung ( 243) ergibt sich gelegentlich, dass die Zweistimmigkeit in die Einstimmigkeit (ital. = unisono) übergeht. In diesem Falle schreibt man nicht zwei Notenköpfe nebeneinander, sondern fügt einem Notenkopf zwei Hälse an – einen nach unten, einen nach oben. Handelt es sich jedoch um einen größeren Abschnitt, so wird wie bei Einstimmigkeit notiert und der Zusatz »a 2« (a due, ital. = zu zweit) vermerkt. Weiterhin kann eine Stimmkreuzung auftreten, das heißt, die Oberstimme liegt kurzzeitig unter der Unterstimme.

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Notennamen und Stammtonreihe 28

Wir unterscheiden relative und absolute Tonhöhenbenennung. Im allgemeinen Musikunterricht verwendet man am Anfang als Hilfsmittel zum besseren Erkennen und Verstehen klanglicher Erscheinungen manchmal Tonsilben, sog. Solmisationssilben ( 30), z.B. nach der Tonika-Do- oder der JA-LE-Methode, um Melodien (in Verbindung mit Handzeichen) von jedem Ton aus singen und erfassen zu können. Diese Silben bestimmen keine absolut festgelegte Tonhöhe, sondern kennzeichnen einen melodisch-harmonischen Zusammenhang, benennen Tonhöhen relativ ( Anhang 6).

Sample page 29

Zur Angabe der absoluten Tonhöhe dienen seit dem 7. Jh. die Notennamen. Sie entstammen dem Alphabet: a b c d e f g. Das b spaltete sich im 10. Jh. in einen tieferen Ton, dem b rotundum bzw. b molle mit dem Zeichen , und in einen höheren Ton, dem b quadratum bzw. b durum mit dem Zeichen ( 165). Aus dem wurde , ähnlich dem Buchstaben h, der dann als weiterer Notenname hinzukam. Noch heute bezeichnet man im angloamerikanischen Sprachbereich unser h als b und unser b als b flat (flat, engl. = um einen Halbtonschritt erniedrigt). Die in unserem Musizierbereich gebräuchliche, sieben Töne umfassende Stammtonreihe lautet seither c d e f g a h.

28


30

In einigen romanischen und slawischen Ländern (z.B. in Italien, Frankreich, Russland, Bulgarien) benennt man die Tonstufen absolut mit Silben ( Anhang 1), die auf Guido von Arezzo (um 992–1050) zurückgehen. Um seinen Schülern das Erlernen der Gregorianischen Choräle zu erleichtern, entnahm er aus dem JohannesHymnus des Paulus Diaconus (um 720–799) die Anfangssilben in Verbindung mit den jeweiligen Melodietönen: ut/c, re/d, mi/e, fa/f, sol/g und la/a – diese Sechstonreihe, hexachordum naturale genannt, war für die mittelalterliche Musiktheorie von sehr großer Bedeutung ( 165). Für das mit dem Vordringen der Durtonalität notwendige Bezeichnen der 7. Stufe nahm man die Silbe si aus »Sancte Johannes«. Schließlich wurde ut um 1650 aus gesanglichen Gründen durch Otto Gibelius in do umbenannt, sol in so verkürzt.

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31 Eine gute Hilfe beim Verstehen, Üben und Einprägen bestimmter Themen der Musiklehre und der Gehörbildung bietet die Klaviatur, die visuelle Vorstellung der Klaviertasten. Zur Lage der Stammtöne auf der Klaviatur: Bei den Obertasten (im allgemeinen die schwarzen Tasten) wechseln Zweier- und Dreiergruppen. Die weiße Taste vor der Zweiergruppe heißt c, die weiße Taste vor der Dreiergruppe f.

Sample page c

d

e

f

g

a

h

c

29


32 Die gesamte Klaviatur eines großen Flügels umfasst in der Regel 52 weiße Tasten. Um alle Tasten bzw. Töne benennen zu können, wird die Stammtonreihe mehrfach aneinandergereiht, die Notennamen wiederholen sich. Dem Ausgangston c folgt also als achter Ton wiederum ein c, nun aber in einem anderen Klangbereich. Der Abstand von der l. zur 8. Tonstufe heißt Oktave (octava, lat. = die achte), die Folge der Stammtonreihen ordnet man deswegen in bis zu neun Oktavbereiche (vgl. dazu die bildliche Darstellung, 43).

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Die Notenschlüssel 33

Das Ablesen der genauen Tonhöhe kann erst erfolgen, wenn eingangs der Notenzeile ein Notenschlüssel steht, der sie »aufschließt«, d. h. einer der fünf Linien einen bestimmten Bezugston zuordnet. Das sind die Töne f, c1 und g 1. Auf diese Buchstaben lässt sich auch das in einem langen historischen Prozess stilisierte Bild unserer heute gebräuchlichen Schlüssel zurückführen.

34 Der Violinschlüssel trägt auch die Bezeichnung G-Schlüssel, weil er den Platz (die Linie) der Note g 1 markiert. Historische Ableitung aus dem Buchstaben G:

Sample page (nach Hugo Riemann, Katechismus der Musikgeschichte, Leipzig 1909)

Die Noten im Liniensystem: Schlüsselnote Schlüsselnote Schlüsselnote Schlüsselnote 1 1 g gg1

1 eee 11

1 fff 11

1 1 g gg1

1 aaa 11

1 1 h hh 1

Die Pfeile kennzeichnen die Oktavbereiche ( 43).

30

2 ccc 22

2 2 d dd 2

eee 222

2 fff 22


Zusätzlicher Tonraum:

f

g

a

h

c1

d1

g2

a2

h2

c3

d3

e3

Leseprobe

35

Der mit dem Violinschlüssel wiederzugebende Tonumfang reicht für Kinder- und Frauenstimmen (Sopran, Alt) und für viele Instrumente (Violine, Flöte, Oboe, Klarinette, Trompete, Gitarre, Mandoline u. a.) aus. Dagegen benötigt man für Männerstimmen (Bass) und Instrumente in tiefer Stimmlage (Violoncello, Kontrabass, Fagott, Posaune, Tuba, Pauke u. a.) den Bassschlüssel. Instrumente mit großem Tonumfang (Klavier, Orgel, Akkordeon, Harfe u. a.) erfordern im Notenbild sogar beide Schlüssel.

36 Der Bassschlüssel wird auch F-Schlüssel genannt: Die Doppelpunkte umschließen die Linie der Note f. Historische Ableitung aus dem Buchstaben F:

Die Noten im Liniensystem: Schlüsselnote Schlüsselnote Schlüsselnote Schlüsselnote

Sample page fff

G G G

A A A

H H H

ccc

ddd

eee

fff

ggg

aaa

Zusätzlicher Tonraum:

A1 A 1

H H11

C C

D D

E E

F F

h h

cc 11

1 dd1

1 ee1

ff 1 1

gg11

31


g1

37

Die Hilfslinie der Note c1 kann als die zentrale Achse beider Systeme betrachtet werden, es entsteht so ein Elf-Liniensystem (Spiegelbildlichkeit!). Gleiche Töne in beiden Schlüsseln:

f

c 1 g1

Leseprobe

38 Eine weitere Möglichkeit, um beim Notieren extremer Tonlagen viele Hilfslinien zu vermeiden, ergibt sich aus dem (sparsam einzusetzenden) Wechsel des Notenschlüssels. Dieser sollte dem melodisch-metrischen Verlauf entsprechend platziert sein. Der sog. Wechselschlüssel – etwas kleiner als die Originalgröße – befindet sich meist vor dem Taktstrich bzw. unmittelbar vor der entsprechenden Stelle. Beginnt eine neue Zeile mit einem anderen Schlüssel, so notiert man ihn als »Vorwarnung« bereits am Ende der vorausgegangenen Zeile vor dem letzten Taktstrich.

Sample page 39 Der Oktavierungsschlüssel: Manchmal steht am Notenschlüssel eine kleine 8. Sie entspricht in ihrer Bedeutung dem Oktavierungszeichen ( 20) und sagt aus, dass alle Noten eine Oktave höher (Sopranblockflöte, Pikkolo) oder tiefer (Tenor, Gitarre) erklingen. Auch der Bassschlüssel kann oktaviert werden (Orgelpedal). 8

g2

32

8

g

8

F


40

Neben Violin- und Bassschlüssel erfordern die C-Schlüssel Erwähnung. Der umgangssprachliche Name »Alte Schlüssel« verweist auf ihre Verwendung in den Chorsätzen der historischen A-cappella-Musik, wo jede Stimmlage zur Vermeidung von vielen Hilfslinien im Notenbild durch den entsprechenden Schlüssel gekennzeichnet war ( 441). In unseren heutigen, für das praktische Musizieren herausgegebenen Notenausgaben älterer Musik werden jedoch meist die Stimmen in den Violin- und Bassschlüssel umgeschrieben (Ausnahmen 41). Bezugsnote des C-Schlüssels ist – daher seine Bezeichnung – das c1. Ursprünglich schrieb man nur den Buchstaben c vor die betreffende Notenlinie und legte so den gewünschten Tonraum fest (übrigens wurden früher auch Violin- und Bassschlüssel auf anderen Notenlinien platziert). Heute unterscheidet sich das einfache Schriftbild vom komplizierten Druckbild B . Historische Ableitung aus dem Buchstaben C:

Leseprobe c1

Baritonschlüssel

c1

c1

Tenorschlüssel

Altschlüssel

c1 Mezzosopranschlüssel

c1 Sopranschlüssel

Sample page 41

Von den C-Schlüsseln sind gegenwärtig noch der Altschlüssel für die Bratsche (Viola), daher auch die verbreitete Bezeichnung »Bratschenschlüssel«, und der Tenorschlüssel für Violoncello, Fagott und Posaune anzutreffen. Die Übersicht auf Seite 34 zeigt den gebräuchlichen Tonraum für beide Schlüssel im Vergleich mit Violin- und Bassschlüssel.

33


Leseprobe

42

Im Musikunterricht findet zusätzlich der Grundtonschlüssel Anwendung. Er bestimmt keine absolute Tonhöhe, sondern legt den Grundton do/la bzw. JA/SU fest ( 28, Anhang 6). Dieser Schlüssel kann jeden Zwischenraum- und Linienplatz einnehmen, z.B.: usw. do/JA

do/JA

la/SU

la/SU

Für Schlaginstrumente mit unbestimmter Tonhöhe verwendet man den Perkussionsschlüssel. oder

Die Oktavbereiche 43

Die aneinandergefügten Stammtonreihen ( 29) sind in neun Oktavbereiche geordnet.

Sample page   fünfgestrichene Oktave   viergestrichene Oktave   dreigestrichene Oktave   zweigestrichene Oktave   eingestrichene Oktave   kleine Oktave   große Oktave   Kontra-Oktave  Subkontra-Oktave

nur c 5 (c''''') c4 – h4 (c'''' – h'''') c³ – h³ (c''' – h''') c² – h² (c'' – h'') c¹ – h¹ (c' – h') c–h C–H C¹ – H¹ ; auch ¹C – ¹H ('C – 'H) nur A ² , H² ; auch ² A , ² H (''A , ''H)

auch A, C, C, c, c, c, c, c, c    In der Computerpraxis   nach englischem Vorbild:

34

auch A0, C1, C2, C3, C4, C5, C6, C7, C8


Leseprobe

Sample page

8

Kontraoktave

Basslage

große Oktave

kleine Oktave

Diskantlage

eingestrichene zweigestrichene dreigestrichene viergestrichene Oktave Oktave Oktave Oktave

8

A2H2 C1D1 E1 F1 G1A1H1 C D E F G A H c d e f g a h c1 d1 e1 f 1 g1 a1 h1 c2 d2 e 2 f 2 g2 a2 h2 c3 d3 e 3 f 3 g3 a3 h3 c4 d4 e4 f 4 g4 a4 h4 c5

fünfgestrichene Oktave

Subkontra-Oktave

35


Zur räumlichen Einteilung 44 Die Gliederung des musikalischen Ablaufs ist im Notenbild durch Taktstriche gegeben ( 86). Am Anfang einer einzelnen Notenzeile befindet sich kein Taktstrich.

Leseprobe

45

Werden zwei oder mehrere Systeme für die Niederschrift zusammengefasst, so verbindet man sie vorn mit einer senkrechten Klammer, der Akkolade (franz. = Klammer), umgangssprachlich Akkoladenklammer: •  Sie ist charakteristisch geschwungen (s. u.), wenn es sich um Noten für ein Instrument mit großem Tonumfang handelt (z.B. Klavier, Orgel, Harfe u. Ä.). •  Sie ist gerade, wenn im Notenbild mehrere Instrumente oder Chorstimmen in Partiturform vereint sind. Im ersten Falle sind die Taktstriche durchgezogen, im zweiten meist nicht, es sei denn, man kennzeichnet zusammengehörige Gruppen (z.B. in einer Partitur, 442). Im Notensatz steht der Begriff Akkolade auch für die Gesamtheit der miteinander verbundenen Notenzeilensysteme.

Klavier

oder

Violine I Violine II

Sample page 46 Größere Abschnitte können in den Noten durch Doppelstriche voneinander getrennt werden. Das Ende eines Musikstücks zeigen Schlussstriche an (der 2. Strich ist verstärkt).

36


47

Das Wiederholungs- oder Repetitionszeichen, bestehend aus Schlussstrichen mit zwei Punkten in den mittleren Zwischenräumen, sagt aus, dass ein Abschnitt nochmals musiziert werden soll. Erfolgt die Wiederholung von Anfang an, so befindet sich eingangs der Zeile kein Wiederholungszeichen.

Leseprobe

48

1 2

Beim Wiederholen eines Abschnitts weicht dessen Schluss oft ab. Zur Kennzeichnung stehen waagerechte nummerierte Klammern über der Notenzeile. Diese sog. Voltenklammern (volta, ital. = Wendung, Mal), umgangssprachlich »Kasten« oder »Haus«, bedeuten: •  prima volta, I ma (ital. = das erste Mal) – Takt bzw. Takte vor dem Wiederholungszeichen bei Wiederholung auslassen 1 , 2 •  seconda volta, II da (ital. = das zweite Mal) – 2 2 Abschluss, bei 2 bei Weiterführung (hinten offen). 1

1. x 2. x

2

2

BeiWiederholung Wiederholungwird wirdprima Bei prima volta übersprunvolta übersprungen, es folgt gen, es folgt unmittelbar unmittelbar seconda volta. seconda volta.

49 Dem schnellen Auffinden bestimmter Stellen, wichtig z.B. bei Orchesterproben und im Unterricht, dienen Studierzeichen, d. h. Orientierungsziffern oder -buchstaben, die sich – in Partitur und Stimmen gleich – über dem System befinden, z.B. 1 , 1 oder A usw. Sie folgen meist dem musikalischen Aufbau, der Phrasierung. Oft sind auch kleine Taktzahlen über dem System angegeben. Diese Zählung unterliegt abweichenden Prinzipien: •  Für das praktische Musizieren erweist es sich als günstig, wenn ohne Rücksicht auf den Formaufbau jeder Takt durchgezählt wird (Wiederholungen entfallen, prima und seconda volta rechnen je nach Anzahl der Takte). •  Für Werkanalysen und teilweise auch für Studienausgaben sollten allerdings Wiederholungen, da capo usw. ausgezählt werden, um die tatsächliche Struktur der Komposition zu verdeutlichen.

Sample page 37


Versetzungszeichen und Vorzeichnung 50 Stammtöne können durch Versetzungszeichen bzw. Akzidenzien (accidentia, lat. = zufällige Ereignisse) verändert, d. h. »erhöht« oder »erniedrigt« werden. Wir sprechen von Alteration (alteratio, lat. = Änderung), von chromatischer Versetzung ( 202). Zum einfachen Versetzen (einfaches Alterieren) benötigt man Kreuz und Be, zum doppelten Versetzen (zweifaches Alterieren) Doppelkreuz und Doppel-Be.

Leseprobe

Das Kreuz ( # ) vor der Note erhöht den Stammton um einen chromatischen Halbton. An den Notennamen wird die Silbe -is angehängt.

51

cis

dis

eis

fis

gis

ais

his

ces

des

es

fes

ges

as

b

Das Be ( b ) vor der Note erniedrigt den Stammton um einen chromatischen Halbton. An den Notennamen wird die Silbe -es angehängt (beachte die unterstrichenen Ausnahmen).

52

53

Das Doppelkreuz ( ) vor der Note erhöht den Stammton um zwei chromatische Halbtöne. An den Notennamen wird die Silbe -isis angehängt.

Sample page cisis disis eisis fisis gisis aisis hisis

Das Doppel-Be ( ∫ ) vor der Note erniedrigt den Stammton um zwei chromatische Halbtöne. An den Notennamen wird die Silbe -eses angehängt. Ausnahmen: Der 7. Stammton h wird bei einfacher Versetzung zu b ( 29), bei doppelter Versetzung zu heses. Anstelle von ases sagt man auch asas.

54

ceses deses eses feses geses ases heses

38


55

Übersicht zur Alteration der Stammtöne:

heses

b

h

his

hisis

ases

as

a

ais

aisis

geses

ges

g

gis

gisis

feses

fes

f

fis

fisis

eses

es

e

eis

eisis

deses

des

d

dis

disis

ceses

ces

c

cis

cisis doppelt

Leseprobe einfach Stammton einfach

doppelt

Das Auflösungszeichen ( n ) hebt eine vorher geforderte Versetzung auf, z. B.

Sample page 56

fis

f

es

e

gisis g

ases a

Soll nach doppelter Versetzung einfache Versetzung erfolgen, so steht # bzw. b , mitunter auch n # bzw. n b . fisis

fis

eses

es

39


57

Versetzungszeichen müssen exakt vor dem Notenkopf platziert sein, da sonst – z.B. bei Akkorden – Verwechslungen möglich sind. Außerhalb des Zeilensystems werden Versetzungszeichen vor die Hilfslinien geschrieben.

Leseprobe

58 Wir unterscheiden in der praktischen Anwendung zwischen Versetzungszeichen und Vorzeichnung. Die Vorzeichnung (auch Generalvorzeichnung) steht am Anfang der Notenzeile nach dem Schlüssel, jedoch vor der Taktangabe ( 88) und kennzeichnet die Tonart ( 169). Sie gilt in diesem Falle für das gesamte Musikstück, also auch für alle Oktavbereiche. Reihenfolge und Platzierung der Vorzeichen innerhalb der Vorzeichnung sind festgelegt ( 185 ff.).

fis cis

fis

cis

Ändert sich die Vorzeichnung innerhalb des Stückes durch einen Tonartwechsel, so ist das entsprechend anzuzeigen.

59

Das nur eine einzelne Note betreffende Versetzungszeichen ( # , b oder n ) steht unmittelbar vor deren Notenkopf. Es gilt im Gegensatz zur Vorzeichnung nur im jeweiligen Takt und auch nur für den betreffenden Oktavbereich. Umgangssprachlich bezeichnet man diese Versetzungszeichen oft auch als Vorzeichen.

Sample page b

h

des b d h

Eine über den Taktstrich gebundene ( 76), mit Kreuz oder Be versehene Note braucht im folgenden Takt kein Versetzungszeichen. Wird sie in diesem Takt wiederholt, ist erneute Zeichensetzung notwendig.

40


f

fis fis

f fis

fis

f

Hinweis: Beim Wechsel der Notenzeile sollte auch bei übergebundenen Noten als »Gedächtnisstütze« für den Musiker das eigentlich nicht notwendige Versetzungszeichen stehen.

Leseprobe

60 Im Notentext helfen die Warnakzidenzien, sog. »Erinnerungsvorzeichen«, beim schnellen und eindeutigen Erkennen von Versetzungen. Sie werden oft in Klammern notiert oder stehen mitunter auch über der Note.

61

Zeitgenössische Komponisten schränken den Geltungsbereich der Versetzungszeichen häufig nur auf die einzelne Note und deren unmittelbare Wiederholung ein. Dieser Sonderfall ist jedoch durch eine Anmerkung besonders hervorzuheben. Die Versetzung um Viertel- und Dreivierteltonschritte führte bisher noch nicht zu einheitlicher Darstellung, gebräuchlich sind folgende Symbolisierung Varianten:Erhöhung um ViertelViertel-

Halb- Dreiviertelton Erhöhung um Halb-

Dreiviertelton

Symbolisierung nach Anzahl der Längsstriche nach Anzahl Anzahl der der Längsstriche Querstriche nach durchAnzahl unterschiedliche Pfeilrichtung nach der Querstriche

Sample page durch unterschiedliche Pfeilrichtung

Erniedrigung um

Viertel- Halb- Dreiviertelton Erniedrigung um Viertel-

Halb-

Dreiviertelton

Symbolisierung

Symbolisierung durch Drehung bzw. Dopplung

durch Einfärben durch zusätzliches Drehung bzw. Dopplung durch Pfeilrichtung durch unterschiedliche zusätzliches Einfärben durch unterschiedliche Pfeilrichtung

41


Die Zeichen zum Versetzen um Achteltöne beruhen meist auf den angegebenen Symbolen, jedoch mit zusätzlichen Pfeilen. Ähnlich verhält es sich bei anderen Mikrotönen: Wenn ein Komponist derartige Tonhöhen fordert, stellt er in der Regel seinem Werk entsprechende Ausführungshinweise voran.

Leseprobe

Enharmonische Verwechslung und Umdeutung 62

Jede (schwarze) Obertaste der Klaviatur hat zwei Namen: Man kann sie vom unteren oder vom oberen Stammton aus benennen.

c

cis

des

d

dis es

e

f

fis

ges

g

gis as

a

ais b

h

Auch die weißen Tasten können mehrere Namen tragen:

h

his

c

deses

d

Sample page 63

Das unterschiedliche Benennen von gleichklingenden Tönen resultiert aus der gleichstufig-temperierten Stimmung ( 11). Diese Eigenheit ist auf alle Instrumente übertragbar. So kann unter bestimmten Voraussetzungen der Austausch von Notennamen erfolgen, z.B. dis es oder ces h. Wir sprechen von enharmonischer Verwechslung bzw. Umdeutung (enharmonios, griech. = übereinstimmend). •  Enharmonisch verwechselt werden zuweilen ungewohnte Tonarten mit vielen Vorzeichen, z.B. Fes-Dur (8 b ) in E-Dur (4 # ) – das Aufschreiben und Lesen der Noten wird erleichtert. Das Gleichsetzen von Fis- und Ges-Dur ermöglicht den Quintenzirkel ( 183 f.).

42


•  Das enharmonische Umdeuten von Tönen in einem Akkord ( 265)

verändert dessen Auflösung bzw. die Stimmführung. Beim Enharmonisieren sind immer die melodisch-harmonischen Zusammenhänge zu beachten. Übersicht:

Leseprobe (

(

)

)

Stammtöne

(

)

(

)

Sample page 43


Zur Wiederholung 1. Beschreibe die Gestalt der Noten. (15 f.) 2. Unterscheide Linien- und Zwischenraumnoten. (17) 3. Wie notiert man gleichzeitig erklingende, wie nacheinander erklingende Töne? (18)

Leseprobe

4. Erkläre die Anwendung von Hilfslinien. (19) 5. Was bewirkt das Oktavierungszeichen? (20)

6. Was ist beim Anbringen des Notenhalses zu beachten? (21 f.)

7. Worin unterscheidet sich die Schreibweise kleiner Notenwerte in der Vokal- und Instrumentalmusik? (24 f.) 8. Was ist bei der Niederschrift zweistimmiger Beispiele in einem System zu beachten? (26 f.) 9. Unterscheide relative und absolute Tonhöhenbenennung. (28 f.) 10. Wie heißen die Notennamen der Stammtonreihe? (29) 11. Erkläre den Begriff Oktave. (32) 12. Wozu dient der Notenschlüssel? (33)

Sample page 13. Nenne die wichtigsten Notenschlüssel. (35)

14. Warum nennt man Violin- und Bassschlüssel auch G- und F-Schlüssel? (34, 36)

15. Wie wird der Wechsel des Notenschlüssels angegeben? (38)

16. Erkläre den Begriff C-Schlüssel. (40) 17. Welche Instrumente werden gegenwärtig noch in C-Schlüsseln notiert? (41)

44


18. Worin unterscheiden sich Violin- und Bassschlüssel vom Grundtonschlüssel? (42) 19. Nenne die Oktavbereiche. (43) 20. Welche Zeichen dienen der räumlichen Einteilung? (44 ff.)

Leseprobe

21. Was ist eine Akkolade? (45)

22. Wie kennzeichnet man die Wiederholung größerer Abschnitte eines Musikstücks? (47) 23. Erkläre die Bedeutung von prima volta und seconda volta bei der Wiederholung. (48) 24. Welche Versetzung bewirken Kreuz, Be, Doppelkreuz und Doppel-Be? (50 ff.) 25. Mit welchen Silben werden versetzte Stammtöne benannt? Ausnahmen? (51 ff.) 26. Wozu dient das Auflösungszeichen? (56) 27. Unterscheide die Begriffe Versetzungszeichen und Vorzeichnung. (58 f.) 28. Erläutere den unterschiedlichen Geltungsbereich von Versetzungszeichen und Vorzeichnung. (58 f.)

Sample page 29. Erkläre den Begriff enharmonische Umdeutung bzw. Verwechslung. (63)

45


Aufgaben 1. Übe dich im Notenschreiben und achte auf saubere Ausfüh­r ung der einzelnen Noten! a) Schreibe zunächst hohle und ausgefüllte Notenköpfe auf die verschiedenen Linien und in die Zwischenräume.

Leseprobe

b) Füge nunmehr den Notenhals an (stets von oben nach unten ziehen!). c) Zeichne Fähnchen (als kurzen Strich) an die Notenhälse.

d) Beziehe die Noten mit Hilfslinien ein (erst Hilfslinien ziehen, dann die Note eintragen). 2. Übe Violin- und Bassschlüssel (beachte die richtige Platzierung der beiden Punkte).

3. Benenne die Noten: 1)

2)

3)

4)

5)

6)

7)

8)

9)

10)

Sample page 4. Notiere im Violinschlüssel: g¹, h¹, f ¹, a¹ | h¹, e¹, d², c², g¹ | c², e², a¹, f ², f ¹ | e¹, d², f ², h¹, e² || 5. Benenne die Noten (immer mit Oktavbereich):

46

1)

2)

3)

4)

5)

6)

7)

8)

9)

10)


6. Notiere im Violinschlüssel: d², d¹, h, f ¹, c¹ | e¹, a, h, h¹, g | c¹, d², g², a², c² | c³, a¹, h², d³, e³ || 7. Benenne die Noten: 1) 1)

2) 2)

3) 3)

4) 4)

5) 5)

6) 6)

7) 7)

8) 8)

9) 9)

10) 10)

Leseprobe

8. Notiere im Bassschlüssel: g, f, h, d, a | f, c, A, d, a | c, G, H, e, d | A, g, f, G, c || 9. Benenne die Noten: 1) 1)

2) 2)

3) 3)

4) 4)

5) 5)

6) 6)

7) 7)

8) 8)

9) 9)

10) 10)

10. Notiere im Bassschlüssel: a, d¹, g, f, e¹ | c¹, c, G, F, h | d, H, D, H¹, C | D, d¹, f, E, c¹ ||

Sample page 11. Benenne und notiere einige der oben angeführten Tonfolgen im Alt- und Tenorschlüssel.

12. Benenne die Töne in den angegebenen Schlüsseln:

(

)

13. Notiere die Stammtöne c und g in verschiedenen Oktavbereichen.

47


14. Benenne die Noten: 1)

5)

2)

3)

6)

4)

7)

8)

Leseprobe

15. Notiere die Töne: cis², es¹, ges², as, his | eis, as¹, b, b², ais² | Gis, fes, B, Cis, ges | es³, fis, des, As, dis² || 16. Benenne die Noten: 1)

2)

3)

17. Notiere die Töne: eses², cisis³, fisis, heses, gisis¹ | ceses, disis, geses, Fisis, aisis || 18. Bilde die enharmonische Verwechslung zu: ais, des, his, eses, as | eis, ces, dis, gis, fisis ||

Sample page 48


Vom Rhythmus

Allgemeines

Leseprobe

64 In meist enger Beziehung zu Melodie und Harmonie ist der Rhythmus (rhythmós, griech. = das Fließen) eines der wichtigsten Gestaltungsprinzipien in der Musik. Das Ticken der Uhr, das Tropfen eines Wasserhahns, das Klicken des Metronoms ( 135) – das sind gleichbleibende, ungegliederte Vorgänge, jedoch keine musikalischen Ereignisse. Musik als zum Hören bestimmte Kunstform vollzieht sich in einem organisierten, strukturierten, bewusst gestalteten Zeitverlauf, dem Rhythmus. Dabei kann ein durchgängig gehörter oder auch nur empfundener Grundpuls oder Beat (engl. = Schlag) als erlebbare Bezugsebene dienen. Wesen und Bedeutung des Rhythmus unterlagen und unterliegen in der vergangenen und gegenwärtigen Musik und in ihrem regionalen Bezug (z.B. in außereuropäischen Kulturen) recht unterschiedlicher Betrachtung und Wertigkeit. In der europäischen Musik seit etwa 1600 ist der Rhythmus als übergeordnetes Prinzip für den zeitlichen Ablauf bestimmt aus der Verbindung von •  Rhythmus (im engeren Sinne) – der Gliederung der unterschiedlichen Tondauern im Verhältnis kurz / lang, •  Metrum – der Folge der Betonungen im Verhältnis betont (schwer) / unbetont (leicht), •  Tempo – dem Zeitmaß im Verhältnis schnell / langsam.

Sample page Die Notenwerte und Pausenzeichen 65

Die Tondauer lässt sich aus der Gestalt der Note, den verschiedenen Notenwerten, erkennen. Jedoch erst in Verbindung mit dem Tempo kann die exakte, messbare Dauer eines Tones festgestellt werden. Die Notenwerte selbst geben nur ein relatives Verhältnis an. Die Viertelnote währt in einem besinnlichen, getragenen Lied länger als in einem heiteren Scherz- oder Tanzlied (vergleiche z.B. »Der Mond ist aufgegangen« mit »Heißa, Kathreinerle«). Jedem Notenwert entspricht zeitlich ein Pausenzeichen.

49


66

Übersicht zu Noten und Pausen:

Name

Notenbild

Pausenbild

Name

Ganze Note

Ganze Pause

Halbe Note

Halbe Pause

Viertelnote

Viertelpause

Achtelnote

Achtelpause

Sechzehntelnote

Sechzehntelpause

Zweiunddreißigstelnote

Zweiunddreißigstelpause

Vierundsechzigstelnote

Vierundsechzigstelpause

Leseprobe

67

Nachstehende Übersicht zeigt das heute allgemein übliche zeitliche Verhältnis der Notenwerte und Pausen: Jede Note bzw. Pause hat die doppelte Dauer der folgenden. Größter Notenwert ist die Ganze, der jeweils nachfolgende ist in seiner Dauer halbiert, also 1 1 1 1 1 1 (Ganze) – 2 (Halbe) – 4 (Viertel) – 8 (Achtel) – 16 (Sechzehn1 1 tel) – 32 (Zweiunddreißigstel) – 64 (Vierundsechzigstel). 1

1

= 2

= 2

= 4

= 4

= 8

= 8

= 16

= 16

= 32

= 32

= 64

= 64

Sample page Übersicht zur zweifachen, binären Unterteilung:

50


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Wieland Ziegenrücker

ABC Musik

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nd schließlich: das kommentierte Register mit zusätzlicher u ­Sachwort-­Erläuterung­ 9 783765 103094

Wieland Ziegenrücker (*1939), Studium (Musik/Musikwissenschaft) in Leipzig; zunächst Rundfunk-Musikredakteur, später Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralhaus für Kulturarbeit, 1968–2000 Verlagslektor in Leipzig; langjährige Unterrichtsund Lehrtätigkeit an Landesmusikschule, ­Universität und ­Musikhochschule; zahlreiche Buchveröffentlichungen und Noten­editionen, vor allem im musikpäda­gogischen Bereich

ISBN 978-3-7651-0309-4

9 783765 103094 I 22

BV 309


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