BG 767 – Lachenmann, Consolation II

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Helmut Lachenmann

Consolation II

(Wessobrunner Gebet)

für 16 Singstimmen (gemischter Chor)

BG 767

Helmut Lachenmann

Consolation II

(Wessobrunner Gebet)

für 16 Singstimmen

(gemischter Chor)

Singpartitur

BG 767 Printed in Germany

Mir gestand der Sterblichen Staunen als Höchstes, Daß Erde nicht war, noch oben Himmel, Noch Baum, noch irgend ein Berg nicht war, Noch die Sonne, nicht Licht war, Noch der Mond nicht leuchtete, noch das gewaltige Meer, Da noch nirgends nichts war an Enden und Wenden, Da war der eine allmächtige Gott. Wessobrunner Gebet, 1. Teil (9. Jahrhundert)

Zeichenerklärung

Stimm-Aktionen mit Sprechton, verschiedene Tonhöhen

Symbole außerhalb von zwei Linien: geräuschhafte bzw. tonlose Aktion (Flüstern, stimmlose Konsonanten, Schnalzer etc.)

So hoch wie möglich

Kopfstimme

Ausatmen (wird, soweit selbstverständlich, nicht extra vorgeschrieben)

Gepresstes Ausatmen

Stimm-Aktion im Einatmen

Schnarchen (Sonderfall von Stimmaktion im Einatmen)

Stimm-Aktion bei eng gepresstemEinatmen (knarrender, quasi perforierter Effekt)

Mit angehaltenem Atem, unbehauchte Stimmaktion

Nicht eingeklammerte Silben in Kleinbuchstaben bedeuten entsprechend gefärbte Akzentuierung des dahinter stehenden (groß gedruckten) Konsonanten.

Eingeklammerte, klein gedruckte Vokale zeigen die erforderliche Mundstellung und damit die Vokalfärbung von Konsonanten bzw. Geräuschen an.

Silbenfolgen, zwischen Wiederholungszeichen gesetzt oder mit anschließenden Pünktchen, sollen entsprechend den übrigen rhythmischen Angaben repetiert werden.

Lautstärke-Angaben in Anführungszeichen sind relativ aufzufassen (so laut wie möglich).

Vorgeschobene Zungenspitze seitlich hin- und herschnellen lassen

Dieselbe Aktion wie vorher; die Zungenspitze bleibt jedoch bei vorgeschriebener Mundstellung (u) an den vorderen Zahnreihen.

Flatterlippe bedeutet ein energisches Ausblasen von Luft. Die Lippen bilden locker ein „P“, wodurch sie zum „Flattern“ gebracht werden.

Gaumenschnalzer durch quasi gewaltsames Abheben des Gaumens von der dagegengepressten Zunge

Zungenschnalzer durch Wegschnellen der angepressten Zunge vom Gaumen

Explosivartiges Lösen der aufeinandergepressten Lippen

Dieselbe Aktion wie vorher, aber bei ziemlich schwachem Lippendruck; es entsteht ein zartes Geräusch, das an Bläschen erinnert, die an die Wasseroberfläche gelangen.

Text

Clytus Gottwald und der Stuttgarter Schola Cantorum gewidmet

Consolation II

BG 767
©
1973 by Musikverlage Hans Gerig, Köln
1980
assigned to Breitkopf & Härtel, Wiesbaden Helmut Lachenmann, 1968

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Consolation II stellt einen Teil beziehungsweise eine Schicht eines ursprünglich vierteilig geplanten Zyklus für Chor und Schlagzeug dar. Jeder der darin vereinigten Texte repräsentiert unter anderem Blickwinkel eine Erkenntnis, die über die eigenen existentiellen Grenzen hinweghelfen möchte. Der hier zugrunde liegende Text – eine neuhochdeutsche Fassung des „Wessobrunner Gebets“ – lautet:

Mir gestand der Sterblichen Staunen als Höchstes

Dass Erde nicht war noch oben Himmel

Noch Baum, noch irgend ein Berg nicht war

Noch die Sonne, nicht Licht war

Noch der Mond nicht leuchtete noch das gewaltige

Meer

Da noch nirgends nichts war an Enden und Wenden

Da war der eine allmächtige Gott.

In Consolation II ist der Text nicht mehr verstehbar. Solche „Unverständlichkeit“ scheint mir legitim und dort kaum vermeidlich, wo Musik und musikalische Form ihre alten sprach-analogen Gesetzmäßigkeiten mit anderen vertauscht haben, mit Gesetzmäßigkeiten nämlich, welche sich gegen die oberflächliche Koppelung mit einem semantisch orientierten und grammatikalisch gerichteten Sprachverlauf sperren. Einen Text übers Vertonen hinaus „komponieren“ – das muß heißen: in die durch ihn gesetzte Ordnung eingreifen und auf sie reagieren.

Dabei geht Consolation II – wie früher auch Consolation I – von einer Textbehandlung aus, in welcher dank der charakteristischen Ökonomie des phonetischen Materials auch trotz völliger Isolierung, Verfremdung und Umstellung der Textpartikel die semantische Bedeutung doch noch quasi „von fern“ signalisiert bleibt.

Indem die phonetischen Elemente innerhalb der damit gebildeten Strukturen nicht bloß Mittel, sondern selbst Objekt des musikalischen Ausdrucks werden, stellen sich Text und Werk selbst als ein Teil jener Materie dar, von deren Zeitlichkeit hier die Rede ist.

Ein geistliches Werk? Vielleicht, aber nicht von Schuld und Erlösung ist die Rede, sondern von jener Erfahrung, die jeglichem Denken zugrunde liegt: der Sterblichen Staunen.

(Helmut Lachenmann, 1969)

Uraufführung | World Premiere

Schola Cantorum Stuttgart, Clytus Gottwald

Basel, 15. Juni 1969

CD-Aufnahmen | CD Recordings

Schola Cantorum Stuttgart, Clytus Gottwald

CD Cadenza 800 893

Schola Heidelberg, Ltg. Walter Nußbaum

CD KAIROS 0012202KAI

Helmut Lachenmann

Werke für Chor | Works for Choir

Les Consolations (1967/68/, 1977/78) 38 min.

I: Präludium – II: Consolation I – III: Interludium –IV: Consolation II – V: Postludium

16 Stimmen, 4 Schlagzeuger, Orchester

16 Voices, 4 Percussionists, Orchestra

Consolation II (1968) 7 min.

16 Stimmen | 16 Voices

Consolation I (1967) 10 min.

12 Stimmen, 4 Schlagzeuger

12 Voices, 4 Percussionists

www.breitkopf.com

ISMN 979-0-004-12070-5 9790004120705 BG 767 N 17

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