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Training – Die „Happy Pill“ für die Psyche
Text Lukas Leibfried
Psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Eine wesentliche Ursache: der fehlende Ausgleich zu alltäglichen Belastungen! In Zeiten von sozialer Distanzierung, mentalem Stress und körperlicher Inaktivität bieten Trainingseinrichtungen Raum für den entscheidenden Ausgleich. Was Training zur „Happy Pill“ macht und wie Anbieter diese für sich nutzen, erfahren Sie in diesem Artikel.
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Die Ergebnisse aktueller wissenschaftlicher Studien zeigen besorgniserregende Trends bezüglich des psychischen Wohlbefindens der deutschen Bevölkerung. Knapp 23 % von 541 befragten Deutschen gaben in einer im Frühjahr 2020 durchgeführten Erhebung von Knolle und Kollegen einen Anstieg an depressiven Symptomen im Vergleich zum Vorjahr an. Auch andere Symptome wie beispielsweise Ängste nahmen zu. Das sind drastische Entwicklungen, die nicht nur die erwachsene Bevölkerung betreffen. Denn auch die jüngeren Deutschen leiden unter den Folgen von sozialer Distanzierung und körperlicher Inaktivität. Eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigt auf, dass der Anteil der 16- bis 19-Jährigen, die unter depressiven Symptomen leiden, im Frühjahr 2020 um 15 Prozentpunkte auf 25 % im Vergleich zu 10 % im Jahr 2018/19 angestiegen ist. Ein womöglich wesentlicher Einflussfaktor: der fehlende Ausgleich zu alltäglichen Belastungen.
Aktivitäts- und Interaktionsräume als wichtige Säule
Das Zusammensein mit Freunden und Verwandten oder auch das ein oder andere Pläuschchen an der Kaffeemaschine mit Kollegen. Der Weg zur Arbeit, Uni oder Schule auf dem Rad mit der Lieblingsmusik auf den Ohren und vor allem der Sprint nach Hause! Für viele Menschen sind soziale Interaktion und körperliche Aktivität der beste Weg, um effektiv abzuschalten und die Batterien wieder aufzuladen. Doch gerade in Zeiten von Bildschirmarbeit, Streaming-Diensten und sozialen Netzwerken bleibt meistens nur wenig Zeit und oft auch zu wenig Motivation für ein ausreichendes und notwendiges Maß an Aktivität und realer Interaktion. Deswegen sind effiziente Lösungen gefragt, die das soziale Miteinander in der echten Welt ermöglichen und für sicheres und regelmäßiges körperliches Training sorgen. Als Anbieter eines solchen Trainings sind die stationären Trainingseinrichtungen und Vereine des organisierten Sports eine flächendeckende und essenzielle Säule im Konstrukt der körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheit. Dass das Trainieren und Sporttreiben so guttut, ist dabei auf zahlreiche verschiedene Mechanismen zurückzuführen.



Fitnessstudios sind bestens darauf ausgerichtet, die maximale Unterforderung unseres Körpers aufzulösen und damit mentale Gesundheit herzustellen
Neurobiologische Wirkweisen von körperlichem Training
In der Therapie von depressiver Symptomatik wird körperliches Training mit seinen antidepressiven Effekten bereits standardmäßig eingesetzt. Mit einer Ansprechrate von 46 % liegt die Effektivität vom Training nur knappe 10 % unter der Ansprechrate von Antidepressiva-Medikation. Dabei sind die Wirkmechanismen sowohl beim Sport als auch bei den „Happy Pills“ die gleichen: eine erhöhte Sekretion von „Glückshormonen“, zu denen Serotonin, Dopamin und auch Endorphine sowie Endocannabinoide zählen. Sie wirken stimmungsaufhellend und sogar schmerzlindernd. Zusätzlich schütten Muskeln unter Belastung hormonähnliche Proteine aus, sogenannte Myokine, die am Schutz und auch am Aufbau von Nervenzellen in bestimmten Gehirnregionen beteiligt sind. Zu den gut untersuchten Myokinen zählen der insulin-like growth factor (IGF) und der brain-derived neurotrophic factor (BDNF). Doch es gibt noch etliche mehr, deren positive Wirkung auf den menschlichen Körper wir bisher nur in Ansätzen kennen.
Training und Sport – die wahre Happy Pill
Gemeinsam mit weiteren Prozessen, die ebenfalls durch körperliches Training ausgelöst werden, führen die beschriebenen neurobiologischen Mechanismen zu kurzfristigen und auch langfristigen psychologischen Anpassungserscheinungen. Beispielsweise
ist die durch regelmäßiges Training ausgelöste Verbesserung der sogenannten exekutiven Funktionen ein wichtiger Gewinn für die kognitive Gesundheit. Die exekutiven Funktionen bilden die Grundlage für die Urteils-, Entscheidungs-, Planungs- und die Organisationsfähigkeit. Diese Fähigkeiten ermöglichen eine adäquate Anpassung an die sich ständig ändernden Herausforderungen des Lebens. Eine wichtige kognitive Leistung, die die emotionale, die soziale und somit die psychische Gesundheit sichert. Und das Allerbeste an der körperlichen Aktivität – der wahren Happy Pill – ist, dass diese im Gegensatz zu Medikamenten nebenwirkungsarm ist und Spaß macht!
In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist
Neben den immer besser erforschten neurologischen Anpassungserscheinungen hat ein regelmäßiges Training auch noch weitere Asse im Ärmel. Training verbessert die körperliche Leistungsfähigkeit und stärkt den Körper gegenüber alltäglichen Belastungen. Seit jeher ist der menschliche Organismus auf Bewegung ausgelegt. Denn die meisten unserer Stoffwechsel- und Wachstumsprozesse bekommen entscheidende Aktivierungsreize durch körperliche Aktivität. Muskelaufbau, Knochenwachstum und die Bildung von neuen Blutgefäßen sorgen für Widerstandsfähigkeit gegenüber körperlichen Strapazen. Überanstrengung setzt später ein und auch Schmerzen treten seltener auf. In einer Studie aus dem Jahr 2005 untersuchten Niedenthal und ihre
Gerade in der heutigen Zeit sind effiziente Lösungen gefragt, die das soziale Miteinander in der echten Welt ermöglichen und für sicheres und regelmäßiges körperliches Training sorgen

Physis kann demnach auch die darin wohnende Psyche positiv beeinflussen.
Befriedigung der psychischen Grundbedürfnisse
In der Psychologie wird oft von drei basalen Grundbedürfnissen gesprochen: dem Bedürfnis nach Autonomie, nach Kompetenz und dem Bedürfnis nach Beziehung oder sozialer Eingebundenheit. In der psychiatrischen Reha
befriedigt das Autonomie-Bedürfnis. Wenn man nun auch noch das Training durchführen kann, in dem man gut ist, und realistisch gesetzte Trainingsherausforderungen aus eigener Kraft meistert, dann fühlt man sich fähig und kompetent. Das gemeinsame Training und der Austausch mit Gleichgesinnten stärken das Gefühl nach sozialer Eingebundenheit und Beziehung. Ob man nun eher der Autonomietyp oder der Beziehungstyp ist, das kann ganz unterschiedlich sein. Doch im Großen und Ganzen ist es die Befriedigung dieser drei grundlegenden menschlichen Bedürfnisse, die den Besuch in der Trainingseinrichtung des Vertrauens zu einem Wohlfühlerlebnis macht.
Kollegen den Einfluss des Körpers auf die Psyche. Während bekannt ist, dass sich Stimmung und Gefühle auf körperlicher Ebene beispielsweise durch die Haltung manifestieren, wiesen die Forscherinnen und Forscher auch den umgekehrten Effekt nach. Zum Beispiel ruft eine selbstbewusste Körperhaltung oder ein freudiges Lachen die entsprechende Emotion hervor. Eine gesunde und leistungsfähige oder „glückliche“ hat man erkannt, dass sich Sport und Training hervorragend eignen, um diese tiefliegenden Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn Kunden selbst entscheiden können, wann und wie oft sie eine Fitness- und Gesundheitsanlage besuchen, wie lange trainiert wird, welche Geräte verwendet werden oder wann auch mal eine Trainingspause eingelegt wird, dann unterstützt das Training die eigene Entscheidungsfreiheit und
Strukturen schaffen, die Bedürfnisse befriedigen
Für jeden nun das Trainingserlebnis zu ermöglichen, das die individuelle Ausprägung der psychischen Grundbedürfnisse befriedigt, das ist ein herausforderndes, jedoch keinesfalls ein unerreichbares Ziel. Denn wenn ein vielfältiges Angebot für verschiedene Trainingstypen bereitsteht, dann finden sich die richtigen Nischen beinahe von selbst. Dabei stehen Ganzheitlichkeit,

Die Wirkmechanismen sowohl beim Sport als auch bei den „Happy-Pills“ sind die gleichen. Im Gegensatz zu Medikamenten ist körperliche Aktivität nebenwirkungsarm und macht Spaß
Lukas Leibfried studierte Rehabilitation, Prävention und Gesundheitsmanagement (M. A.) an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er hat mehrjährige Erfahrung als Sporttherapeut in der psychiatrischen und internistischen Reha sowie als wissenschaftlicher Projektmitarbeiter für digitale Gesundheitsförderungsprojekte. Zurzeit koordiniert er das Forschungsinstitut für Training in der Prävention (FIT-Prävention) unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Ingo Froböse.
Abwechslung und Flexibilität klar im Vordergrund. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder neue Fitness-Trend sofort in das eigene Portfolio integriert werden muss. Vielmehr geht es darum, Verhältnisse und Strukturen zu entwickeln, die Raum für Bedürfnisbefriedigung lassen. Erfolgsfaktoren können sein:
• Gezielt Möglichkeiten für unterschiedliche Bedürfnisse durch ein vielfältiges Angebot an
Trainingsmaterialien und Kursen zu schaffen, um die Ziele verschiedener Zielgruppen oder auch unterschiedliche Tagesformen zu adressieren • Soziale Interaktion zu ermöglichen und Raum bzw. Zeit für
Austausch z. B. in einladenden
Meeting-Areas oder Veranstaltungen zu gewähren • Erfolgserlebnisse durch regelmäßige Assessments und Evaluation des Trainings bei den Trainierenden zu schaffen • Die Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit durch variable Mitgliedschaften und flexible
Angebotsstruktur zu fördern in den Mittelpunkt stellen, ist schon viel erreicht. Noch wichtiger ist allerdings die Art der Kommunikation. Damit ist sowohl die Bild- und Schriftsprache in der Außenkommunikation als auch die persönliche Kommunikation mit den Trainierenden gemeint.
Im Mittelpunkt steht der Mensch
Ein erprobtes Kommunikationsprinzip aus dem Coaching ist die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers. Sie ist eine kommunikative Grundhaltung, in der Klienten als die Experten ihrer Selbst angesehen werden und ihnen mit einem wertschätzenden, empathischen und authentischen Kommunikationsstil entgegengetreten wird. In einer Welt, in der Leistungsdruck und psychische Beanspruchung im Alltag zum guten Ton gehören, genau dort muss das physische Erleben als wohltuender Gegenpol fungieren. Doch die richtige Herangehensweise ist hier entscheidend! Denn rigide Trainingspläne und der Fokus auf „höher, schneller und weiter“ machen aus dem Hobby Training eine alltägliche Verpflichtung. Intrinsische Motivation hingegen wird durch das Erforschen der persönlichen Motivation und der individuellen Stärken der Trainierenden erzeugt. Dabei sind eine gewissenhafte Anamnese und eine realistische Zielsetzung genauso wichtig wie die achtsame Begleitung des Trainingsprozesses. Über direkte Rückmeldung, vor allem bei Erfolgen, kann Freude erzeugt und Motivation aufgebaut werden. Der wesentlichste Grundsatz lautet: Im Vordergrund steht immer der Mensch mit seinen persönlichen Zielen, Stärken und Schwächen.
INTERVIEW MIT PROF. DR. INGO FROBÖSE
BODYMEDIA: Durch die CoronaPandemie wurde die Inaktivität vieler Menschen nochmals deutlich verstärkt. Welche Auswirkungen hat der Mangel an körperlicher Aktivität vor allem auch auf die psychische Gesundheit? Prof. Dr. Ingo Froböse: Gerät der Körper durch einen massiven Mangel an körperlicher Aktivität, wie wir ihn gerade erfahren, in eine Schieflage, dann wirkt sich das unmittelbar auf die psychische Gesundheit aus. Denn in einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist. In einem kranken Körper wohnt ein kranker Geist. Und genau das erleben wir gerade sehr massiv. Körperliche Aktivität und Training sind der beste Garant dafür, dass wir psycho-physische Balance wiederherstellen – denn die haben wir gerade verloren. Das bedeutet, dass gerade Angebote wie die in den Fitnesseinrichtungen sehr schön darauf ausgerichtet sein können, die maximale Unterforderung unseres Körpers aufzulösen und damit mentale Gesundheit herzustellen. Die Angebotsvielfalt ermöglicht es, ob ich nun ein Ausdauertyp, ein Krafttyp, ein Entspannungstyp oder ein Kurstyp bin, genau individuell passend meine Bedürfnisse zu beantworten. Genau das zu bekommen, was mein Körper eigentlich gerade braucht, und ablenkend auf das zu wirken, was ich da draußen erfahre. Das wirkt sich akut und auch nachhaltig positiv auf meine mentale Gesundheit aus.
BODYMEDIA: In den vergangenen Jahren haben depressive Symptome sowohl bei Jugendlichen als auch Erwachsenen deutlich zugenommen. Wie kann man dieser Entwicklung entgegenwirken? Prof. Dr. Ingo Froböse: Depressive Symptome sind in der Tat in den letzten Jahren in ihrer Bedeutung für das Gesundheitswesen angewachsen – leider! Und so kann ich nur sagen, dass auch hier Training und körperliche Aktivität genau die richtige Antwort darauf sind. Denn Ängste und Sorgen werden da viel besser kanalisiert, bearbeitet und wie ein Ventil, sozusagen durch die gesteigerte Atmung, nach außen geblasen. Wir haben so viele Möglichkeiten, positiv auf unsere Stimmung einzuwirken, da Serotonin und Endorphine, die positive Stimmung machen, bei körperlicher Aktivität ausgeschüttet
Gerät der Körper durch einen massiven Mangel an Aktivität in Schieflage, wirkt sich das unmittelbar auf die psychische Gesundheit aus
werden. Und darüber hinaus haben wir und schaffen wir positive Erlebnisse durch die Ablenkung. Nämlich weg aus dem klassischen Arbeitsalltag zu kommen und neue Erlebnisse, gerade auch im sozialen Kontext einer Trainingseinrichtung, zu erfahren. Denn was gibt es Schöneres, als sich im Austausch mit Freunden der sportlichen Aktivität hinzugeben. Da sind die Studios ein wunderbarer Prozess, viel besser, als alleine mit den Sorgen und Ängsten nach getaner Arbeit durch einen dunklen Wald zu laufen.
BODYMEDIA: Häufig ist von der sogenannten Work-Life-Balance die Rede. Was müssen Unternehmer tun, um das optimale Gleichgewicht herzustellen, und was konkret können sie tun, um die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter aufrechtzuerhalten bzw. zu verbessern? Prof. Dr. Ingo Froböse: Wenn wir auf die Work-Life-Balance kommen, dann muss man ganz klar sagen, dass hier auch die Arbeitgeber gefragt sind. Sie müssen Körperlichkeit und körperliche Aktivität als Ausgleich zu der geistigen hoch herausfordernden Anstrengung innerhalb unseres Alltags schaffen. Wir brauchen also Angebote seitens der Arbeitgeber, die die Gesundheit der Mitarbeiter wieder in den Mittelpunkt stellen. Hier sollten Partnerschaften geschaffen werden, die auf regionaler Ebene möglichst leicht erreichbar sind und barrierefrei Angebotsstrukturen für jedes Unternehmen ermöglichen. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen profitieren extrem von einer Kooperation mit Trainingseinrichtungen, weil diese eben auf lokaler Ebene für die Bedürfnisse, Interessen, Neigungen und Wünsche aller unterschiedlichen Beschäftigten ein sehr schönes Angebot schaffen können. Work-LifeBalance ist also die Verknüpfung vom Arbeitgeber insbesondere mit den Angeboten draußen in der Peripherie, um ein Gesamtkonstrukt für leistungsfähige und gesunde Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu schaffen.
BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview.
Prof. Dr. Ingo Froböse ist seit 1995 Universitätsprofessor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln. Dort leitet er das Institut für Bewegungstherapie. Er ist Sachverständiger des Bundestags in Fragen der Prävention und für mehrere Krankenkassen als wissenschaftlicher Berater im Bereich Gesundheitsvorsorge tätig. Darüber hinaus ist er der wissenschaftliche Leiter des Forschungsinstituts für Training in der Prävention (FIT-Prävention).






