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Redakteurstreffen

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Fondue-Plausch

Fondue-Plausch

Stuttgart 28. 2. - 1.3.2020

Bei herrlichem Sonnenschein brach ich am frühen Morgen in Luzern auf. Im Gegensatz zu meinem lieben Kollegen vom MBVC, vom dem im Wesentlichen der nachstehende Bericht ist und der mit der Bahn anreiste, bevorzugte ich das Auto. Dass ich bald nach der Grenze bei Schaffhausen in Deutschland war, erkannte ich nicht nur an den Nummernschildern der Autos, sondern auch an der geschlossenen Schneedecke auf den Feldern und an einer Restschneemenge auf der Überholspur. Also die nötige Vorsicht walten lassen. Dank dem am Vormittag geringen Verkehrsaufkommen war ich recht schnell in Stuttgart. Dort erwartet mich schliesslich das bekannte Bild der Riesenbaustelle am Bahnhof. Eine Operation am offenen Herzen, allerdings nur endoskopisch, findet doch das Ganze unterirdisch statt. Das Auto im reservierten Park-

haus abgestellt. Im Motel One die Begrüssung durch das Mercedes Club-Management-Team, allerdings diesmal unter der Direktive: Kein Händeschütteln! Corona lässt grüssen. In Anbetracht der hohen Anzahl der Teilnehmenden, diesmal 35, werden wir für das Nachmittagsprogramm praktischerweise in eine deutsch- und englischsprechende Gruppe aufgeteilt. Wir bekommen als Erstes einen exklusiven Einblick in das Mercedes-Benz Classic Projekt, dessen neuestes Glanzstück der soeben fertiggestellte Avus-Rennwagen ist. Der stromlinienförmig karrossierte SSKL von 1932 gilt als erster aerodynamisch unterstützter Versuch bei einem bedeutenden Rennen, das es dann als Privatfahrzeug auch auf Anhieb gewann! Das Wiederaufbau-Projekt dauerte 20 Jahre und der Wagen stand am Vortag unseres Besuches noch auf dem Prüfstand und wurde in einer eintägigen Arbeit optimiert. Michael Plag, der Projektleiter erzählt uns mit vollem Enthusiasmus die ganze Geschichte: Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld, ehemaliger Motorradrennfahrer, erholt sich zwar von seinem schweren Sturz, bekommt jedoch von seiner Familie Rennfahrverbot. Von nun an widmet er sich theoretisch der Rennfahrerei, entwirft Motorradverkleidungen, die erfolgreich abschneiden. Er macht Strömungsversuche im Wasser, die Thematik fasziniert ihn, und geht an vierrädrige Renngeräte heran und entwirft eine Verkleidung für den damals bereits veralteten SSKL. Die Rennabteilung der Daimler-Benz AG winkt ab, so wendet er sich an den einzigen Privatfahrer, Manfred von Brauchitsch. Der will zuerst auch nichts wissen von der “hässlichen Gurke“, doch sein

reicher Onkel als Sponsor sowie sein Rennleiter drängen ihn, das Auto zu fahren. Es wird 1932 auf der schnellsten Rennstrecke der Welt, AVUS genannt, im Südwesten von Berlin mit einer jeweils 9 km langen Geraden und Gegengeraden, allesamt nur vier Kurven, gefahren. Der Favorit, Rudolf Caracciola fährt diesmal einen Alfa Romeo als Werksfahrer. Von Brauchitsch erhält die taktische Order, Caracciola erst in der letzten Runde zu überholen, damit diesem die Möglichkeit des Attackierens verwehrt bleibt. So gewinnt von Brauchitsch mit seinem 20 km/h schnelleren Gefährt gegen ein werksseitig optimiertes Fahrzeug dank der aerodynamischen Überlegenheit. Und so wird aus einer hässlichen Gurke die liebste Gurke aller Zeiten. Und: In der aktuellen Dokumentation des Mutterhauses heisst es: “Das ist er nun, der erste silberne Pfeil“. Rundfunkreporter Paul Laven gab dem SSKL bei seinem grandiosen Sieg auf der Berliner Avus 1932 in seinen Kommentaren einen Namen, der Automobilgeschichte schreiben sollte. 1933 ist von Brauchitsch bereits Werksfahrer und gewinnt einige Rennen. Der Aufbau des historischen Fahrzeuges gestaltete sich sehr schwierig, etliche Teile mussten aufgestöbert und schlussendlich nachgebaut werden. Hierbei wurde die 3D-Technik mit Metalldruck erfolgreich eingesetzt. Michael Plag weist darauf hin, dass es sich also bei diesem neu aufgebauten Rennwagen nicht um ein reines Originalfahrzeug

handelt, sondern um ein teilweise nachgebautes Exemplar, was jedoch seitens des Herstellers legitim ist. Das Fahrzeug soll eine authentische Brücke schlagen zwischen damaligen Rennerfolgen und heutigen reinrassigen Sportwagen wie etwa dem SLR. Beim Gruppenwechsel wird auch ein Z’Vieri offeriert: Getränke, Brezel, Süssigkeiten. Anschliessend öffnen sich uns die Pforten der heiligen Hallen, wobei die Mehrzahl etwas übertrieben ist, da wir nur eine der über 10 Hallen betreten dürfen. Die Hallen sind nach Epochen oder Spezialitäten aufgeteilt, wobei die Aufteilung nicht streng definiert ist. Wir besuchen so etwa die Epoche 80-er bis Jahrtausendwende. Ein im eigentlichen Sinne des Wortes herausragendes Exemplar ist das Papa Mobil auf Vito Basis mit Panzerungsstufe 6, wobei die höchste werksseitige Stufe die 8 wäre. Aber auch so wiegt das Auto 2,6 Tonnen. Neben einer Reihe C-Modelle stehen einige königliche 600-er, dann spezielle 126-er. Nicht zu übersehen ist die stattliche Anzahl G-Modelle, alle in einer speziellen Farbe: Von Froschgrün über Stabilopink bis hin zu dem Tiefenwirkung erzielenden Dunkelrot métallisé. Unser Betreuer erzählt über die Handhabung der Sammlung und beantwortet bereitwillig unsere unzähligen Fragen. Nein, vor Standschäden hat man hier keine Angst, die Autos werden deswegen nicht extra bewegt. Sie kommen erfahrungsgemäss alle 2 bis 3 Jahre zum Einsatz, das würde reichen. Es werden ausser den üblichen Konservierungsmassnahmen, wie Treibstoff ablassen, keine weiteren Vorkehrungen getroffen. Nicht einmal an jeder Batterie hängt ein Erhaltungsgerät. Die Objekte stehen auch nicht auf Reifenkissen, die Pneus werden ohnehin spätestens nach 10 Jahren ersetzt. Mottenbefall war einmal Thema, man bekam die kleinen Störenfriede nicht auf Dauer raus, denn ihre Eier blieben zurück und schlüpften im nächsten Sommer aus. Doch Kamerad Zufall half: Ein stark befallenes Auto kam aus der Lackiererei zurück, und das Problem tauchte nie wieder auf. Die Lackierer haben behauptet, nichts Aussergewöhnliches gemacht zu haben, ausser dass sie das ganze Auto in der Einbrennkabine hatten. Ein Biologe bestätigte es: Bei etwa 50o C

sterben bereits die eifrig gelegten Eier ab und in der Einbrennkabine herrschten 60o C. So einfach geht das… Die Sammlung ist eine Art Pionierleistung. Einige ganz alte Exemplare mussten weltweit gesucht werden, doch seit langem wird bei auslaufenden Modellen das letzte Exemplar für die heiligen Hallen bestellt. Ein kurzer Spaziergang führt uns zum Mercedes-Benz Classic Archiv. Hier werden wir aufs Freundlichste durch Frau Daniela Sigl begrüsst und durch ihr Reich geführt. Es ist eine Halle in der Halle, ist doch vor wenigen Jahren in ein bestehendes Gebäude ein moderner, mit Klimaanlage versehener Komplex hineingebaut worden. Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden konstant gehalten, die junge Dame hat auch entsprechend dicke Strümpfe und eine Jacke an. Zuerst zeigt sie uns voller Stolz die Vitrinen mit den kleinen seltenen Ausstellungsstücken. Die überaus engagierte Verantwortliche für die Sammlung erzählt von einem sonst allmächtigen Besucher, der sein Bedauern darüber aussprach, dass man hier weder kaufen, noch klauen kann. Sie verrät uns: Am liebsten würde sie persönlich Gottlieb Daimlers Spazierstock mitlaufen lassen. Oft werden vermeintliche Raritäten dem Archiv angeboten und da muss Frau Sigl sehr genau Bescheid wissen: Ist es eine Nachfertigung, was meistens der Fall ist, da muss sie den Anbieter enttäuschen. Es können aber immer irgendwelche Rosinen dabei sein, was auch schon mal der Fall war. Doch das Archiv besteht nur zu einem kleinen Teil aus einer Sammlung von Bijous, der überwiegende Teil ist Papier. Tonnenweises Papier, farbig bis schwarzweiss, teilweise bis zur Unkenntlichkeit vergilbt. Da gerät sie ins Schwärmen: Als diplomierter Archäologin liegt ihr das Suchen, Graben und Lösungen finden im Blut. Zum Abschied zeigt uns die Herrin des Archivs einen besonderen Schatz. Es ist ein Fotoalbum aus dem Hause Jelinek, und begeistert stellt sie fest, das Besondere an diesen Aufnahmen

ist, dass die Personen nicht wie damals üblich bei den Fotografen steif dastehen, nein, es sind ganz natürliche Familienaufnahmen, wie beispielsweise Mercedes mit ihrem ersten, einen Tag alten Kind im Bett. Dann die einzige Aufnahme mit ihr am Steuer eines Mercedes, denn die Namensgeberin einer der grössten Marken konnte nie Auto fahren. Die Uhr tickt unbarmherzig, wir müssen uns verabschieden. Zum obligaten Gruppenbild versammeln sich alle beim AVUS Rennwagen – der Fotograf steht schon auf der Balustrade. Auf der Rückfahrt zum Hotel wird sichtlich beeindruckt darüber diskutiert, mit welchem Enthusiasmus die Werksmitarbeiter ihre Projekte oder das, was sie betreuen, vorgestellt haben. Alle haben auch ihre Anerkennung und sogar Dankbarkeit darüber ausgesprochen, dass Mercedes-Benz nicht nur neue Fahrzeuge konzipiert und herstellt, sondern auch solche Nebenaufgaben wahrnimmt und unterstützt. Andererseits weisen diese hochmotivierten Mitarbeiter auch darauf hin, dass ihre Bemühungen eine exklusive Marketingstrategie unterstützen. Nach einer Verschnaufpause im Hotel geht’s diesmal zum Italiener. Hier werden wir mit einer vorbestellten, exzellenten Variationen-Vorspeise verwöhnt: Vitello Tonnato, einem fein gewürzten Fladen, Antipasti mit Salami, Wurst und Rohschinken. Danach mag ich meine überaus feine Lasagne nur noch zur Hälfte… Die angeregten Diskussionen werden an der Hotelbar weiter geführt, bis es bei Einem nach dem Anderen heisst: Gute Nacht und bis morgen! Samstag, 29. Februar 2020: Symposium, Messebesuch und Nachtessen mit allen Mercedes-Benz Clubteilnehmern in der Messehalle 10. Nach einem ausgiebigen Frühstück heisst es um 09:00 Uhr ab in den Bus, los geht‘s zum Messegelände wo im Kongresszentrum West unsere Tagung stattfindet. Im ersten Vortrag geht es um die Mercedes-Benz Classic Themenplanung 2020, wobei uns Gerhard Heidbrink, Leiter Strategie und Themenmanagement über das Neueste aufklärt. Anschliessend berichtet Ralph Wagenknecht, Classic Communications, wie der Weg künftig zum Kunden und aber auch zu uns eingeschlagen wird. Nach der Kaffeepause folgt durch Kerstin Heiligenstetter eine flotte Vorstellung darüber, was Mercedes-Benz mit dem Projekt She’s Mercedes bezweckt. Es ist verständlich, dass Mercedes-Benz auch das Zielpublikum Frau ins Visier nimmt. Leider nicht im Plenum, sondern im Nachhinein wird eifrig darüber diskutiert, ob hierbei die Vielfalt des weiblichen Wesens berücksichtigt wird.

Die einen wollen gar nicht anders behandelt werden, als ihre Zeitgenossen, ob Mann oder Frau, die anderen hingegen begnügen sich damit, bei der Farbwahl des neuen Autos mit einbezogen zu werden. Vor dem Mittagessen stellt Brigitte Globig vom Geländewagen-Club im Rahmen der “Themen aus Reihen der Club-Redakteure“ ihre Bemühungen, das Club Heft moderner zu gestalten, vor. Man erkennt eine klare Strukturierung sowie das Einbinden neuerer Gestaltungselemente, die das Heft zeitgemässer erscheinen lassen. Nach der schwäbischen Kartoffelsuppe mit Lauch und Wurstringen – verlockend lecker! – geht es weiter mit der Vorstellung einer nicht mehr so neuen Idee, die Mercedes auf ihre Art aufgreift: Frau Anudar Hanibal stellt uns vor, was sich das Unternehmen in Stuttgart unter Carsharing mit der Bezeichnung Mercedes me Flexperience vorstellt. Es ist eine exklusive Art, das Auto nicht zu besitzen, sondern im Rahmen eines Abonnements flexibel wechselbar auf der ganzen Welt zu ordern. Es sind dann verschiedene Kategorien vorgesehen, die noch erarbeitet werden müssen. Thorsten Grüninger, Produktmanagement Original-Teile Classic, referiert über das neuste Ersatzprodukt, den Bremskraftverstärker für die Heckflossen, über die Schwierigkeiten bei dessen Entwicklung und Herstellung, aber auch über die Freude, das Ding

neu angefertigt zu einem Preis anbieten zu können, der unter den üblichen Kosten einer Revision liegt. Er stellt sich auch bereitwillig den Fragen aus den Reihen der Clubredakteure, weist aber auch auf ein diesbezügliches Treffen im Juli mit den Technikverantwortlichen hin. Georg Wohlfahrt bringt uns die Neuigkeiten aus dem Mercedes-Benz Classic Club Management näher. In einem zweiten Teil aus der Reihe “Themen aus den Reihen der Club-Redakteure“ bekommen wir die Geschichte eines alten Mercedes-Benz Feuerwehr-Löschfahrzeuges, das nach etlichen Strapazen glücklich in Slowenien landet und aufwändig restauriert wird, sowie die Vorstellung der neu gestalteten Clubzeitschrift unseres französischen Kollegen. Dann heisst es zusammenpacken, es geht in die Messe. Wir haben gute zwei Stunden, um die Messe zu besuchen und einen ersten Eindruck zu gewinnen. Dann folgt der Clubabend, abgehalten in der Halle 10, die exklusiv für die Mercedes-Benz Markenclubs reserviert ist. An Stelle der obligaten schwäbischen Maultaschen gibt es ein kaltes Buffet mit Köstlichkeiten aus kleinen Schälchen, raffiniert mit unterschiedlichen Sachen belegten Brötchen sowie kleine Portionen Wurstsalat, die einige Glückliche auch mal ergattern können. Doch das Essen ist zweitrangig, man geniesst in erster Linie die offenen Gespräche mit Redaktions-Kolleginnen und Kollegen. Das Fazit aus dem Besuch der Retro Classic aus meiner Sicht: Die Ausstellung mit total 10 Hallen und einem sich vielfach wiederholenden Angebot verlangt vom Besucher einiges an Fitness und Durchhaltevermögen. Das heisst, man muss die Objekte gezielt aussuchen. Sonst wird man von der Vielfalt fast „erschlagen“ und es fragt sich, ob diese Art der Ausstellung nicht an ihr Ende gelangt ist! Ich frage mich, ob die Swiss Classic in Luzern, die in 3 Hallen und dem Freigelände stattfindet, für den Kenner und an Oldies interessierten Besucher, nicht die bessere Wahl ist. Ich verzichtete darum auf den nochmaligen Besuch der Messe am Sonntag. (Dieter Kraft) Sonntag, 1. März 2020 Messebesuch und Heimreise. Diejenigen, die noch mögen, können nach dem Frühstück um 09:00 Uhr den bereit stehenden Bus für einen Messebesuch besteigen. Je nach Lust und Laune soll man dann die Heimreise antreten. Der Messebesuch gestaltet sich dieses Jahr insofern angenehmer, dass es merklich weniger Besucher zu geben scheint. Viel ungestörter kann man die Exponate bewundern und auch an den Stöbertischen kommt man besser an die Sachen heran, als auch schon. Auch die Preise scheinen nach unten zu tendieren. Auf der Heimreise konnte ich feststellen, auch das Wetter hat vom Ausbruch des meteorologischen Frühlings Kenntnis genommen: An der Sonne erstrecken sich grüne Felder an Stelle von schneebedeckten Flächen. JA, die Oldtimersaison naht! Nach einer schönen Fahrt über die am Sonntagmorgen fast leere Autobahn, kam ich nach der Möglichkeit einmal etwas mehr als 120 Km zu fahren, wieder gut in Luzern an.

Text und Fotos: András Széplaky / Dieter Kraft

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