Friederike Schneider
Die Grundrissidee
1
Eine Grundrissidee reflektiert eine bestimmte Vorstellung vom Wohnen. Sie drückt sich aus in der inneren Organisation, im Öffnen und Schließen der Räume, in der Verbindung und Gruppierung von Räumen, in der Verbindung oder Vereinzelung von Funktionen und nicht zuletzt in Wegen und in Blicken. Es gibt Grundrisstypen, die der räumlichen Idee alles unterordnen (vgl. »Eingestellte Elemente«), andere, die die Verbindung zwischen den Räumen betonen, die die Wegeführung optimieren oder zelebrieren (vgl. »Grundriss mit Rundgang«). Oder der Grundriss thematisiert die Wohnung als »Raum sozialer Interaktionen«: Die Räume werden hier auf einer Skala von äußerst kommunikativ bis äußerst privat bewertet und der Grundriss wird entsprechend eingeordnet. Dabei kann eine weitgehend ausgewogene Mischung entstehen (vgl. »Zonierung«) oder ein Typ, bei dem die Privatheit den Vorrang hat (vgl. »Flur / Diele«), oder auch im Gegenteil ein Grundriss, bei dem die kommunikative Seite des Zusammenlebens dominiert (vgl. »Wohnraum als Mittelpunkt und Verteiler«). Diese sozialen Interaktionen beeinflussen natürlich jede Art von Grundrissorganisation. Da sie aber nicht als konstant und universell angenommen werden können, gibt es immer wieder Ansätze, den Grundriss veränderbar oder mehrfach interpretierbar zu machen (vgl. »Flexibler Grundriss«, »Nutzungsoffene Räume«) oder den zukünftigen Nutzer von vornherein in die Grundrissgestaltung einzubeziehen (vgl. »Nutzerbestimmter Grundriss«). Die folgende Einteilung ist ein Instrument zum Lesen und Entwerfen von Grundrissen – wobei der reine Typus nicht als der beste Typus missverstanden werden darf: Die wirklich aufregenden Lösungen liegen meist an den Schnittstellen zwischen diesen Kategorien.
FLUR / DIELE Die Wohnung organisiert sich entlang einer Achse, an der die Zimmer ein- oder zweiseitig aufgereiht sind 1, 2. Vorteil des klassischen Flurtyps sind die gleichzeitig nutzbaren Räume; völlig abgeschlossen und unabhängig erschlossen, erlauben sie den unterschiedlichen Bewohnern alle Freiheiten (Familie, WG …). Der Zugang zur Wohnung liegt in der Achse oder orthogonal dazu 1, 7. In beiden Fällen erschließt sich die ganze Wohnung optisch unmittelbar, es ergibt sich eine angenehme Klarheit. Wichtig ist der Endpunkt der Achse, der im besten Fall ein Allgemeinraum ist wie in Beispiel 1: Der Flur weitet sich hier zum Wohnraum hin immer stärker auf. Mit dem Balkon in Blickachse nehmen für den Besucher Raumqualität, Blickerlebnis und Lichtintensität kontinuierlich zu, das Durchschreiten wird zum Vergnügen. Die Breite des Flures entscheidet maßgeblich, ob er weitere Nutzungen zulässt, beispielsweise als Spielflur; insbesondere bei natürlicher Belichtung kann er vielfältigen individuellen Zwecken dienen 3. Angenehm kann es sein, wenn der Flur nicht rein linear ist, sondern sich zu kleinen
Ausbuchtungen oder ganzen Zimmern aufweiten kann, zur Garderobe an der Tür, zum Vorraum vor Schlafzimmern oder zum Essplatz 1, 4. So wird der Flur einerseits punktuell breiter, vor allem aber wird er so strukturiert und damit als selbstständiger Raum interessant. Durch die Linearität der Grundform entsteht beim Flurtyp schnell das Bedürfnis nach Richtungswechsel und Aufweitung des Raums. Dem begegnen die Grundrisse verschieden: mit großen, offenen Wohnzimmern, die sich nach allen Seiten orientieren, oder orthogonalen Blick- und Raumbezügen innerhalb des Flures 1, 3 und 6. Im klassischen Typ ist eine Begegnung der Bewohner im Flur unumgänglich. Hier kann ein zweiter, den Zimmern vorgelagerter und z. B. als Loggia ausgebildeter Flur Abhilfe schaffen, indem er einen zweiten Zugang gewährt 5. Ähnlich wie der Flur erschließt auch eine Diele alle Zimmer zugleich und die Zimmer sind separat nutzbar. Die Diele zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie den Besucher als räumlich wohlgestalteten, nicht selten repräsentativen Verteilerraum empfängt, der noch mehr Funktionen zulässt als der Flur: Man kann einen Tisch stellen, der Raum lädt zum Verweilen ein 7.
s
2 3 0
2m
48
5
Vivienda tipo 1
6 1 2 3 4 5 6 7
4
7
J. Martorell, O. Bohigas, D. Mackay: Villa Olímpica, Barcelona, 1991 Cruz, Ortiz: Carabanchel, Madrid, 1989 Michael Alder: Vogelbach, Riehen, Basel, 1992 Morger & Degelo: Müllheimerstrasse, Basel, 1993 Herzog & de Meuron: Rue des Suisses, Paris, 2000 Dosmasuno: Vellecas, Madrid, 2007 D. Schnebli, T. Ammann, W. Egli, H. Rohr: Baar, Zürich, 1985