Einleitung: Warum Vitruv?
Dieses Buch war nicht geplant Vitruv, Architekt und Theoretiker der spätrepublikanischen Zeit in Rom, hat als Verfasser der ältesten überlieferten Schrift über Architektur seinen festen Platz in allen Büchern zur Geschichte oder Theorie der Architektur und wird auch immer noch gerne mit seinen drei klassischen Kriterien – firmitas, utilitas, venustas – zitiert, steht aber ansonsten, vorsichtig aus gedrückt, nicht gerade im Zentrum der aktuellen Architekturdiskussion. Es gab zur Zeit der Postmoderne eine kurze Vitruv-Renaissance mit einer Flut neuer Veröffentlichungen, mit Kongressen und Kolloquien zu den neuesten Forschungsergebnissen, es wurden auch die Zehn Bücher über Architektur neu aufgelegt und damit einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Aber es gab in dieser Zeit auch eine Palladio-, eine Alberti-, eine Schinkel-Renaissance, Vitruv war in der allgemeinen Rückbesinnung auf die Baugeschichte nur ein Protagonist unter vielen und verlor mit dem Abflauen der Bewegung, wie alle anderen auch, sehr schnell wieder an Interesse. Aktuell geblieben ist die Behandlung Vitruvs im Rahmen größerer Zusammenhänge wie etwa in Georg Germanns Einfüh rung in die Geschichte der Architekturtheorie (1980) über Vitruv und den Vitruvianismus oder in dem entsprechenden Abschnitt von HannoWalter Krufts Geschichte der Architekturtheorie (1985). Beide beziehen sich, wie auch die meisten Einzelarbeiten über Vitruv in der Zeit zwischen 1965 und 1990 (unter anderen Alste Horn-Onken, Heiner Knell, Frank Zöllner) und wie auch alle Ausschnitte in heute gängigen Anthologien auf die Übersetzung von Curt Fensterbusch (1964), die den großen Vorteil besaß, neben dem deutschen Text auch das lateinische Original wieder zugeben. Und damit fängt die Geschichte dieses Buches an. Ausgangspunkt war, wie so oft, die Suche nach einem Zitat. Es gab eine vage Erinnerung, daß Vitruv behauptet hätte, als erster eine Gesamt darstellung der Architektur verfaßt zu haben, und das paßte zu einer Vor lesung über die Anfänge der Architekturtheorie. Nach wie immer sehr viel 11