In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts veränderte sich Le Corbusiers Architektur. Beton und andere Baustoffe wie Holz und Stahl blieben sichtbar, Materialeigenfarben schufen Atmosphäre und machten konstruktive Bezüge sichtbar. Farbe übernahm fortan dekorative und kompositorische Aufgaben. Alfred Roth beschrieb diese letztgenannte Aufgabe der Farbe zutreffend mit dem Begriff der «gestalteten Gleichgewichte»10. Die für diese Funktion notwendige neue Farbenskala Le Corbusiers umfasste nun nur noch 20 dominante Farbnuancen.11 Die 63 Farben der Polychromie architecturale von Le Corbusier ergeben zusammen ein schlüssiges, rational begründbares und von einer hochstehenden Ästhetik geprägtes Farbsystem für die Architektur. Diese Farben bilden etwa die Hälfte der hier abgebildeten Nuancen. Die anderen hier vorgestellten Farben lassen sich nicht zu vergleichbar geschlossenen Gruppen zusammenfassen, sie entspringen unterschiedlichen Hintergründen und Konzepten. Manche, wie Champagnersilber und Grüner Tee, sind zu Publikumslieblingen avanciert, weil sie besondere Ansprüche an die Ästhetik erfüllen. Andere wurden in gelungener Weise von Architekten eingesetzt, die intensiv mit Farbe als Bestandteil der Architektur arbeiteten. Weitere sind Teil einer klassischen Palette, welche die Menschheit schon seit sehr Langem begleiten und die, trotz neuer Möglichkeiten, nie ihre Bedeutung verloren haben. Pompejanischrot ist hierfür ein schönes Beispiel. Wenn es Klassiker unter den Farben gibt, also solche, die ihre Aufgabe besser erfüllen als andere oder die von mehr Menschen als schön empfunden werden als andere, dann sind sie hier dabei. Die vorgestellte Palette ist das Ergebnis jahrelanger Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Architekten, Innenarchitekten, mit der Denkmalpflege und mit Gestaltern, sie bemüht sich um eine abgerundete Ausgewogenheit. Die grundlegenden Kapitel zu den weißen Farben, zu den grauen und schwarzen Farben sowie zu den Umbren werden durch Kapitel zu allen bunten Farben ergänzt. Alle diese Farben weisen eine außergewöhnlich gute Kombinierbarkeit untereinander auf. Trotzdem kann eine Auswahl nie vollkommen und endgültig abgeschlossen sein, ich freue mich daher auch über Rückmeldungen, Vorschläge, Ergänzungen und über Argumente für oder gegen Farben, die hier gezeigt werden. Dies würde den mir wichtigsten Zweck erfüllen, nämlich den Diskurs um Farbe in der Architektur wieder lebhafter werden zu lassen, sowohl in der Theorie als auch in der Materialisierung. Sie gehören zusammen, um zu Goethes Erkenntnis zurückzukehren. 10 Zitiert in: Rüegg, siehe Anm. 1, S. 80 11 Le Corbusier, Claviers de Couleurs Salubra 2, Basel 1959
Einleitung
13Bereitgestellt von | De Gruyter / TCS Angemeldet | linda.steglich@degruyter.com Heruntergeladen am | 06.12.12 14:57