Hamburger Abendblatt, Germany, 2008

Page 1

Expedition in den "Regenwald der Meere" - Reise - Hamburger Abendblatt http://www.abendblatt.de/reise/article400606/Expedition-in-den-Rege...

1 of 2

(http://www.abendblatt.de/)

REISE

Expedition in den "Regenwald der Meere" VON FRANZ LERCHENMÜLLER

3. Juni 2006, 00:00 Uhr

Honduras: Tauchurlaub als Beitrag für die Wissenschaft. Naturschutz unter Wasser: Zum Erhalt des zweitgrößten Riffs der Welt leisten Hobbyforscher in Mittelamerika einen kleinen, aber doch wichtigen Beitrag.

Haben die Fischleute ihre Stangen? Hat das Substrat-Team sein Lot? Wo sind die Schreibtafeln?" Italo Bonilla fragt aus gutem Grund: Das kleine Handwerkszeug vergißt man schon mal im Morgentrubel. Doch diesmal fehlt nichts - also weiter: Flaschen an den Tauchjackets festschnallen, Druck überprüfen, in den Neoprenanzug schlüpfen und schließlich die Ausrüstung ins Boot wuchten. Luis startet die Maschinen der "Baracuda". Und dreht hinaus aufs Meer, zum Pelican Point 1 C, einem der 14 Tauchplätze, an denen Hobbytaucher und Naturschützer ihre Untersuchungen durchführen. Alle Anlaufpunkte liegen in dem ehemaligen Piratengebiet Cayos Cochinos, etwa eine Stunde Bootsfahrt vor der Nordküste von Honduras. Sie gehören zum - nach dem Great Barrier Reef vor Australien - zweitgrößten Korallenriff der Erde. 1993 wurde hier eine 489 Quadratkilometer große Wasserfläche mit 15 Inseln zum Naturschutzgebiet erklärt. Die Verwaltung liegt seitdem in Händen der gemeinnützigen Honduran Coral Reef Foundation. Derzeit sind hier, wie in 80 anderen Ländern der Erde, Hobbytaucher im Auftrag von "Reef Check" unterwegs. Das ist eine Organisation mit Sitz in Los Angeles, die sich die Erforschung der weltweiten Korallenriffe, der "Regenwälder der Meere", zum Ziel gesetzt hat. Die Hotelfachfrau aus Rom, der Biologe einer Karlsruher Pharma-Firma, die schottische Psychologin, eine Versorgungstechnikerin aus München und die Schweizer Lehrerin - sie alle wenden Geld und einen Teil ihres Urlaubs dafür auf, um wissenschaftliche Daten über das Riff zu sammeln. Nach zehn Minuten macht die "Baracuda" an einer Boje fest. Das 55 000 US-Dollar teure Schnellboot ist ein ungewöhnliches Geschenk: Die honduranische Polizei hat es kolumbianischen Drogenschmugglern abgejagt und der Stiftung übergeben. Jetzt wird es eng an Bord: Jackets zuschnallen, Tauchbrille auswaschen, Flossen anlegen. Dann lassen sich die ersten rückswärts über die Bordwand fallen. Ihre Unterwassererfahrungen sind unterschiedlich: Die einen feiern in diesen Tagen ihren 150. Tauchgang, andere haben erst vor Ort ihre Prüfung fürs offene Meer abgelegt. Aber alle kommen sie in der Tiefe zurecht. Abtauchen zur Inventur am Riff. Hinunter in die Welt der "violetten Schlote" und "bepelzten Geweihe". Italo, Meeresbiologe und Tauchmeister, befestigt in 18 Meter Tiefe das Ende eines Längenmaßes am Grund und rollt das Band dann 100 Meter weit aus. Von Fels zu Fels zieht es sich, über dunkle Spalten und hellen Sand hinweg, bis es sich in der blaugrauen Weite scheinbar verliert. Es ist die Linie der Wissenschaft, an der sich die Arbeit der nächsten Stunde orientiert. Kurz darauf folgen das "Fischleute" Lou und Christoph. Sie schwimmen fünf Meter über dem Band nebeneinander her und halten dabei eine zweieinhalb Meter lange Stange quer vor sich. Die Fische, die sie in diesem fünf mal fünf Meter großen Raum zu Gesicht bekommen, notieren sie mit Bleistift auf ihren Plastiktafeln. Zackenbarsche, Schmetterlingsfische, Muränen, Papageienfische - sieben Familien gilt es zu unterscheiden, deren Vorkommen Rückschlüsse auf Überfischung und Wasserqualität zuläßt. Die Einteilung ist grob genug, so daß auch Laien damit zurechtkommen. Außerdem haben die Hobbywissenschaftler während der ersten drei Tage mittels Fotos, Büchern und bei Probetauchgängen gelernt, anhand von Größe, Zeichnung und der Schwanzform zum Beispiel einen Schnapper vom ähnlichen Grunzer zu unterscheiden. Allzu viele Fische sind es ohnehin nicht - verglichen zum Beispiel mit dem Roten Meer: Bis vor zehn Jahren hat die industrielle Fischerei die Meere hier geplündert. Niemand weiß, ob die Bestände sich je wieder erholen. Dem Fischteam folgen, diesmal dicht am Boden, Sabine und Caroline, auf der Suche nach wirbellosen Tieren: Seeigel, Tritonschnecken, Flamingozungen. Sorgfältig spähen sie in Spalten, zählen wie Mitarbeiter eines Supermarkts bei der Warenaufnahme die zahlreichen Fächerkorallen und entdecken auch den Langusten-Methusalem in seiner Höhle - alles natürlich, ohne den Grund zu berühren. Karin und Stefanie, das "Substrat-Team", bilden das Schlußlicht: Alle 50 Zentimeter lassen sie ein Lot zu Boden sinken und notieren, ob der Untergrund aus Fels, Sand oder Schwämmen, aus harten, weichen oder abgestorbenen Korallen besteht. Häufig ist es grüner Bewuchs: Algen, die ein Übermaß an Nährstoffen anzeigen. 15 Kilometer weiter, auf dem Festland, erstrecken sich Ananas- und Ölpalmplantagen, die Dünger und Pestizide benutzen. Über Flüsse gelangt einiges davon ins Meer. Wenn die Arbeit erledigt ist, bleibt noch ein wenig Zeit und Luft, um die Unterwasserwelt zu genießen: Ein Rochen zieht mit

29/08/2009 10:18


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.